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Das erste bitterböse Vierteljahr war vorüber. Ulm war bayrisch geworden, doch was ging das den kleinen Berblinger an? Unvergleichlich einsichtsvollere Persönlichkeiten, wie zum Beispiel der Kaiser des Heiligen Römischen Reichs und sämtliche Altbürgermeister der schwer betroffenen freien Reichsstadt, kümmerten sich ja kaum darum. Ein naßkalter Winter war angebrochen, und die Weihnachtszeit stand vor der Türe. Der Junge hatte seit den Tagen von Ochsenwang – und das war jetzt sechs Jahre her – keinen ungetrübten Christtag mehr feiern können. In des Onkels Haus stand er während des Tumults fast ganz vergessen in einer Ecke, und das Christfest in der Sammlung inmitten der vielen Frauen, die allerhand Süßigkeiten in ihn hineinstopften, war ihm unbehaglicher gewesen als irgendein andrer Abend, an dem er ungestört am ›Perpetulum‹ seines Vaters herumbasteln konnte. Im Kloster bestand die Feierlichkeit in einer lateinischen Festrede, einem Chorgesang und ›verbesserter Kost‹, die insgesamt die Feststimmung nicht förderten. So lebte der Tag in ihm nur noch wie ein verblaßter Kindertraum. Er vermißte ihn kaum mehr, und dies konnte man fast ein Glück nennen, wie die Dinge jetzt lagen.
Äußerlich hatte er sich in die neue Umgebung einigermaßen eingelebt. Enderle war der Ansicht, daß man sich in die Hölle einleben könne, wenn einem nichts andres übrigbliebe, und Gretle glaubte noch immer an die Möglichkeit, alles auszuhalten. Ob Berblinger von weicherem Stoff war, ob das Klosterleben mit seinen Ideen von einer höheren Bestimmung des Menschen, von der unermeßlichen Überlegenheit des Gänsekiels über Nadel und Hammer, Ahle und Hobel und wie die Werkzeuge alle heißen, die den menschlichen Geist aus der Barbarei heraushoben, ihn verwöhnt und verwirrt hatte: Es war ihm noch nicht gelungen, sich der einen oder andern dieser Theorien anzuschließen. Das machte seine Lage nicht erträglicher.
Arbeit und häusliches Leben schlichen in düsterer Einförmigkeit dahin. Als ob es mit den kürzer werdenden Tagen zusammenhänge, wurden Lichtblicke irgendwelcher Art immer seltener und blasser. Er hatte aufgehört, auf sie zu rechnen, und war zufrieden, wenn er wieder vierundzwanzig Stunden hinter sich hatte, ohne mit Nadelstichen daran erinnert worden zu sein, daß der Tag noch nicht zu Ende war. Dann konnte er sich wenigstens hinter seinen Holzstoß in der Dachkammer verschanzen und war nur von Nick bedroht, der gelegentlich und aufs Geratewohl ein Holzscheit in seine Festung warf, oder vom Himmel, denn das Dach des alten Bockelhardtschen Hauses war längst nicht mehr wasserdicht. Beides störte ihn jedoch wenig in der Erörterung der Frage, ob Hunger oder Kälte unangenehmer werden können, wobei er bald dem einen, bald der andern den Vorzug gab.
Solche Betrachtungen mußten jedoch morgens um vier Uhr plötzlich eingestellt werden. Zum Glück hörte man das Schlagen der Rathausuhr durch die Dachlücken vortrefflich, sonst wären auch die wenigen Stunden, die ihm vergönnt waren, des Lebens Jammer schlafend zu vergessen, von der beständigen Sorge getrübt worden, des Guten um eine Viertelstunde zuviel zu tun. Seitdem die Meisterin den Abscheu vor diesem Verbrechen durch eine mehrtägige Hungerkur gesteigert hatte, hörte er in merkwürdiger Weise, ohne eigentlich aufzuwachen, jeden Stundenschlag und schnellte um vier Uhr so pünktlich in die Höhe, als ob sich sein hartes Lager plötzlich in ein üppig ausgestattetes Nadelkissen mit umgekehrt eingesteckten echt englischen Nadeln verwandelt hätte.
In allen häuslichen Beziehungen war naturgemäß die Meisterin die für ihn bedeutungsvollste Persönlichkeit. Wenn auch eine gelegentliche Ohrfeige von ihr nicht zu verachten war, so hatte sie doch meist andre Mittel, ihre Autorität geltend zu machen. Wie oft dachte er wehmütig, ja fast sehnsüchtig an das Karieren im Kloster zurück, ähnlich den Kindern Israels, wenn sie der Fleischtöpfe Ägyptens gedachten, obgleich es sich hier sozusagen um einen umgekehrten, negativen Fleischtopf handelte. Der Meister billigte allerdings diese Art von Zuchtmittel nicht, denn er machte mit Recht geltend, daß sie die Arbeitsleistung des Sträflings ungünstig beeinflusse. Allein was konnte der Meister machen, da es sich zumeist um Haferbrei handelte, über den die Meisterin, nach Handwerksgebrauch, unterstützt vom Altgesellen, in selbstherrischer Weise verfügte. Es soll nicht geleugnet werden, daß hierbei viel von der augenblicklichen Launen der hohen Gebieterin abhing. Dieselbe war jedoch mit einer gewissen Stetigkeit grundschlecht, so daß unbillige Schwankungen bei der Aburteilung der Jungen nicht häufig eintraten. Die Frau war verbittert und nicht ohne Grund. Sie mußte den Verfall eines guten, ehrbaren Bürgerhauses miterleben, in das sie voll der schönsten Erwartungen geheiratet hatte, und war nicht imstande, ihn aufzuhalten. Das hatte sie vor der Zeit hart gemacht.
Hoffnungsvolle Kinder gereichen vergrämten Eltern nicht selten zum Trost, sind sie doch die natürlichen und lebendigen Wechsel auf die Zukunft. Zwillinge sollten dies in doppeltem Maße tun. Aber auch Fritzle und Fränzle waren wirkungslos. Es mochte damit zusammenhängen, daß sie, obgleich kerngesunde Bürschchen, mit einer eigentümlichen Art von Fallsucht behaftet waren und die nervöse Frau in fortwährendem Schrecken erhielten, während gleichzeitig das liebebedürftige Wesen der Kleinen die verhärtete Mutter ärgerte. Denn die Liebe schien in ihr erloschen zu sein, seitdem sie Bockelhardt geheiratet hatte, obgleich dieser, wenn er etwas später als gewöhnlich aus der Herberge oder aus der Ofengabel kam, sich immer noch der Zeiten erinnerte, in denen er vielleicht nur allzu häufig zärtlichen Gefühlen gehuldigt hatte.
Wenn Berblinger nach klassischen Grundsätzen einen Trost darin gesehen hätte, Genossen seiner Leiden zu finden, so hätte ihm Gretle, das arme Mägdlein, diesen Trost in reichlichem Maße gewährt. Es half ihr nichts, die leibliche Nichte ihrer Tante zu sein; sie war und blieb ein Fundelhauskind und dazu eins, deren Mutter der Familie ein großes Unrecht zugefügt hatte. So machten sich auch die Bockelhardts kein Gewissen daraus, die Missetat der Väter an den Kindern zu rächen. Ein großes Glück war, daß Gretle eine philosophische Natur und ihr Optimismus trotz Frost- und andern Beulen noch nicht eingefroren war. Berblinger wunderte sich manchmal im stillen darüber, daß es ihm schwerer wurde, die Hälfte der Last zu tragen, die auf Gretles nicht allzu breiten Schultern lag. Woran mochte das liegen?
Die mannigfachen häuslichen Verrichtungen, die ihm oblagen, ließen verhältnismäßig wenig Zeit für seinen eigentlichen Beruf als Lehrling. Auch das war Handwerksbrauch, wie ihm der alte Joseph sehr energisch deutlich machte, als er sich eines Tags darüber beklagte, in der Hoffnung, dadurch das Wohlgefallen des Altgesellen zu erregen. Denn es kamen schon jetzt Augenblicke, wenn er heimlich beobachtete, wie Enderle leise pfeifend ein Knopfloch umsäumte oder das Gürtelband eines Schlafrocks mit zierlichen Hexenstichen versah, in denen ihm ein dunkles Gefühl sagte, daß am Ende auch ein Schneider auf das Werk seiner Hände stolz sein könne. Um so weit zu kommen, hatte er allerdings noch manches zu lernen und einiges zu vergessen. Mit dem Vergessen ging es schon etwas leichter.
Der Meister behandelte ihn von oben herab, war aber nicht allzu grob. Dies erklärte sich teils aus dem Stolz der alten Familie, den der Mann sich noch immer bewahrt hatte, teils aus dem Bestreben, dem Studentle zu zeigen, daß ein Schneidermeister auch ohne Ellenmaß nicht weniger achtunggebietend sein könne als ein Professor. Die Derbheiten überließ er dem Altgesellen, der sie für eine Ehre und eine Pflicht hielt, die er dem Handwerk schuldig war. Ohne sie konnte kein Altgeselle seine Würde wahren und kein Junge zu einem tüchtigen Gesellen heranwachsen. Wenn darüber ein schwächliches Muttersöhnchen zugrunde ging, war nicht viel verloren. Es war Handwerksbrauch. Was die Spartaner in ihren Gesetzen niedergelegt hatten, übten die ehrsamen deutschen Zünfte nach alter Sitte. Dabei war Joseph nicht bösartig und konnte dem Jungen eine Birne an den Kopf werfen, während er ihm einen Fußtritt gab: Handwerksgebrauch, mit dem er nicht nur durchs Leben, sondern auch in den Himmel zu kommen hoffte, wo ein dufter Kunde, der die große Wanderschaft anzutreten hatte, ehe er Meister geworden war, stets auf einen Platz und lohnende Arbeit rechnen durfte und wo einem armen Teufel nach mancherlei Mühe hier unten ein ewiger blauer Montag winkte. Hieran hielt Joseph fest, bürstete seinen schwarzen Rock jeden Sonntagmorgen gar säuberlich und ging ebenso regelmäßig morgens in das Münster, als er am Nachmittag seinen Wochenlohn vertrank.
An Enderle hatte Berblinger fast einen Freund, der ihm in mancher kleinen Not beistand und ihn ohne viele Worte mit einem freundlichen Rippenstoß tröstete, wenn ihm der Altgeselle oder Nick das Leben zu sauer machten. Die Handwerksburschenlieder, die Enderle zu singen nicht müde wurde, sobald sich der Meister außer Hörweite befand, waren wohl keine Horazischen Oden, wenn sie sich auch viel mit Liebe, ja mit ziemlich freier Liebe beschäftigten, für die Berblinger noch immer keinen Sinn hatte und die Gretle für Unsinn erklärte, aber es waren doch Lieder, die das Herz auf Viertelstündchen über den Arbeitstisch hinaushoben, gleichwie sich vor dem Fenster über dem kahl gewordenen Gaishirtlesbaum manchmal ein Stückchen blauer Himmel zeigte. Am Sonntag lief Enderle auf dem Michelsberg umher oder packte und schnürte, wenn es regnete, seinen Ranzen in der Dachkammer, zur Probe. Denn Wandern, Wandern ist auch des Schneiders Lust, und sobald der Frühling wieder käme, sagte er, sollte es losgehen.
Nickel dagegen war Berblingers böser Geist, und zwar ein Geist von sehr körperlicher Natur. Wo er dem Prätle einen Schabernack spielen, wo er dem Studentle zeigen konnte, daß in diesem Fall der Jüngere der Herr, der Ältere der Knecht zu sein habe, ließ er die Gelegenheit nicht ungenutzt vorübergehen, und die Streiche, die er zu diesem Zweck ersann, waren nicht immer gutherziger Natur. Darüber zu klagen, machte die Sache nur schlimmer. Handwerksgebrauch, brummte der Altgeselle. Wollte es der Junge anders haben, als es die Jungen seit fünfhundert Jahren gehabt haben? Da soll doch ein siediges Donnerwetter in die Lausbuben von heute schlagen! Dann gab er seinem eignen Knie einen schallenden Klaps; Brechtle aber wußte, was dies zu bedeuten hatte. Überdies war Nickel beträchtlich kräftiger als Berblinger. Auch im ehrbaren Handwerk war man noch nicht allzu weit von den Zeiten des Faustrechts entfernt.
Ganz hatten ihn all diese Erlebnisse von der Vergangenheit noch nicht losgerissen. Eines Sonntagabends nach den ersten fünf Wochen seiner Lehrzeit glaubte er es allein nicht mehr länger aushalten zu können und schlich trotz seiner Angst, einem seiner alten Schulkameraden vom Gymnasium zu begegnen, der den Schneiderlehrling trotz der Dämmerung erkennen könnte, eine Stunde lang um das Münster, fand aber nicht, was er suchte. Die kleinen Fenster des dritten Häuschens an der Südseite starrten ihn an, schwarz und finster, als ob sie ihn nie gekannt hätten. Magister Krummacher war wohl noch in Geislingen oder sonstwo, und ohne den guten alten Herrn wollten sie nichts von ihm wissen. Und er hatte doch so manchmal hinter ihnen gestanden und die Fliegen weggefangen, während er seine griechischen Unregelmäßigen lernte. Sie waren nicht sehr belustigend gewesen, die Fliegen und die Unregelmäßigen. Und doch: Es war ein Paradies, verglichen mit den Dornen und Disteln von heute. Ein verlorenes Paradies. Warum? Weil er von dem Baum der Erkenntnis genascht hatte? Nein; weil er hatte fliegen wollen, was doch jeder Dachschwalbe erlaubt ist.
Vierzehn Tage später war es so weit mit ihm gekommen, daß er sich entschloß, geschehe was da wolle, den Turmwart Lombard zu besuchen. Wenn er ein Hexenmeister war, wie die Leute sagten, um so besser. Etwas – jemand mußte ihn trösten, ihm helfen. Er war schon auf der steilen, dunkeln Treppe hinter des Mesners Schuhmacherwerkstätte, als ihm einfiel, daß er dem Pestilenziarius versprochen hatte, diese Stufen drei Jahre lang nicht zu betreten. Nun waren keine sechs Wochen vergangen, und hier war er! Er drehte sich um und lief die Treppe wieder hinunter, so daß er fast kopfüber in das Mesnerstübchen gestürzt wäre. Dann aber war es fast, als ob ein mitleidiger Engel ihn für seine Gewissenhaftigkeit belohnen wollte. Als er an das Magisters Häuschen vorüberging, fiel ein freundlicher Lichtstrahl aus den kleinen Fenstern über den Weg. Er schlich näher. Durch die grünen Vorhängchen sah er in verschwommenen Umrissen seinen väterlichen Freund, der sich tief über einen Folianten beugte, aus dem er von Zeit zu Zeit einen Satz abschrieb. Das kleine Männchen schien älter geworden zu sein. Schon hatte der Junge den Klopfer in der Hand, aber er ließ ihn wieder sinken. Es war, als ob ihm die letzten Wochen allen Mut aus der Seele gesaugt hätten. Hatte sich nicht auch der Pestilenziarius seine Besuche ausdrücklich verbeten? Was konnte der arme Schneiderlehrling bei dem gelehrten Herrn suchen, der ihn nicht mehr sehen wollte? Und kein Wunder! Jetzt erst sah es Berblinger selbst, wieviel Mühe sich der Magister mit ihm gegeben, wie er um seinetwillen die geliebten Folianten auf die Seite geschoben hatte. Und das war alles umsonst gewesen und mußte so rasch als möglich vergessen werden. Das war das einzig richtige, Gott sei's geklagt, und das war es wohl, was der Herr Pestilenziarius bezweckte, als er ihm verbot, sich zu zeigen. Alles, weil er gehofft hatte, den Menschen Gutes zu tun und sie fliegen zu lehren, was jeder Spatz ungestraft tun durfte!
Den Onkel aufzusuchen, sich von Hans und den Bäschen verhöhnen zu lassen, war einfach unmöglich; lieber sterben. Von diesem Tag an ging er an den trüben November- und Dezembersonntagen nur noch auf den Kirchhof, saß stundenlang auf einem Stein neben dem Grab seiner Mutter und sah in den grauen Winterhimmel hinauf, wo ein Dutzend Krähen hin und her flatterten. Die hatten's trotz des Winters immer noch besser als er. Niemand machte Schneiderlehrlinge aus ihnen, weil sie fliegen gelernt hatten. Als er nach Hause kommend einmal Gretle erzählte, wo er gewesen sei, schluchzte das Mägdlein, das sonst alles so ruhig hinzunehmen schien, plötzlich laut auf. Er sah sie erstaunt an. War es möglich, daß sie übler dran war als er?
Gleich am folgenden Tag kam es zu einem mehr als gewöhnlich stürmischen Auftritt, obgleich die Ursache eine nicht ungewöhnliche war. Wie regelmäßig am Montagnachmittag war der Meister nicht zu Hause, und Berblinger wurde vom Altgesellen fortgeschickt, im ›Goldenen Hecht‹, der Gesellenherberge, einen Krug Bier zu holen. Während er zurückkehrend die Treppe hinaufstieg, wurde er von der Meisterin gerufen, um Fränzchen zu befreien, den Fritzchen derart in ein vergittertes Kellerloch geschoben hatte, daß er weder vor- noch rückwärts konnte. Er stellte den Bierkrug auf die Treppe und eilte hilfsbereit zur Unglücksstätte, denn die Zwillinge schrien beide, als ob ihr letztes Stündchen gekommen wäre. Nach vollbrachtem Rettungswerk fand er Nick auf der Treppe im Begriff, den halbgeleerten Krug mit schmunzelnder Miene und triefenden Lippen vorsichtig auf seinen Platz zurückzustellen. Das war mehr, als er ertragen konnte. In unbändigem Zorn, nicht so sehr über die Freveltat Nickels als über das bitterböse Geschick, das ohne Rast und Ruh' auf ihn losschlug, stürzte er auf den großen, zweimal stärkeren Jungen los, sprang wie eine Katze an ihm hinauf, schlang den linken Arm um seinen Kopf und hämmerte mit geballter Faust auf den dichten Haarschopf, der sich in der krampfhaften Umarmung schüttelte. Das war für Nickel etwas durchaus Neues. Nach der ersten Überraschung umschlang er seinen Gegner und hob ihn ohne Schwierigkeit vom Boden auf. Dadurch bekam dieser die Beine frei und gebrauchte sie als Stoßwaffe. Die Wut gibt auch dem Schwachen erstaunliche Kräfte, und er hatte günstigerweise von seinem Gang her Stiefel an. Nickel verlor bei dem Bestreben, seine Schienbeine zu retten, das Gleichgewicht, und beide rollten polternd die Treppe hinunter, hinter ihnen drein der Krug, gefolgt von einer rieselnden Kaskade köstlichen Biers. Unten angelangt, hatte Berblinger den Vorteil, auf seinem Feinde liegend zu vorübergehender Ruhe zu kommen, und benutzte denselben in so wirksamer Weise, daß Nickel zu brüllen anhub. Die scheinbar günstige Lage hatte aber zwei Seiten. Der Altgeselle und Enderle waren durch das Gepolter auf den Kampfplatz gerufen worden. Joseph, den Sachverhalt ahnend, hatte, während er die Stube verließ, den Rohrstock ergriffen, mit welchem Kleider ausgeklopft zu werden pflegten, und machte sich kurzerhand daran, den gordischen Knoten, den die zwei toll gewordenen Jungen bildeten, in alexandrinischer Weise zu lösen. Hierbei zog der sieghaft oben liegende Berblinger den kürzeren und war gezwungen, auf die weitere Ausnutzung seiner vorteilhaften Lage zu verzichten. Selbst dies war nicht das ganze Unheil, das über ihn hereinbrach. Joseph, der jetzt erst sein Bier die Treppe herunterlaufen sah, geriet nun seinerseits in berechtigten Zorn, und da dem hierfür verantwortlichen Berblinger schlechterdings keine Zeit zu Erklärungen gelassen wurde, der lügenhafte Nickel überdies brüllend mitteilte, daß sein linkes Auge ausgeschlagen sei, ging es nach Handwerksgebrauch dem jüngsten Lehrburschen so schlecht, daß ihm der Atem ausging.
Einige Minuten später saß er allein und wieder keuchend, die Hälfte des zerbrochenen Rohrstocks in der blutenden Hand, auf der untersten Stufe der finsteren Treppe. Er hatte nicht das entwürdigende Gefühl, Prügel bekommen zu haben – in der guten alten Zeit und in seinem Alter nahm man dies nicht zu schwer –, sondern nur, daß er in ungleichem Kampf, zwei gegen einen, eine zwar ehrenvolle, aber schwere Niederlage erlitten habe. Der halbe Stock in seiner Hand war eine nicht zu verachtende Trophäe. Und doch dachte er ernstlich daran, ob es nicht besser wäre, direkt in die Donau zu gehen oder sonstwohin.
»Komm!« sagte eine weiche, freundliche Stimme, und eine kleine, nicht allzu rauhe Hand nahm ihm den Stock aus der seinen und warf ihn in den nächsten Winkel. Es war Gretle, das kleine Mägdlein. War sie zufällig auch zwischen die Kämpfenden geraten? Sie hatte Tränen in den Augen, und um ihre Mundwinkel spielte ein schmerzliches Lächeln. Aber sie lächelte doch und wiederholte, fast einschmeichelnd, mit einem Ton, der ihm fremd geworden war, seit seine Mutter zum letztenmal mit ihm gesprochen hatte: »Komm!«
Er stand auf und folgte ihr schwankend, als hätte er selbst den Rest des Biers getrunken, den Nickel im Krug gelassen hatte. Die Anstrengung war zuviel für ihn gewesen. Seine Knie zitterten. Er brauchte noch einige Zeit, ehe er ganz bei sich war.
Sie führte ihn in den Hof hinaus. Dort stand ein wunderliches kleines Nebengebäude, das seinem Stil nach über hundert Jahre alt sein mochte. Es stammte aus der Zeit, in der die Bockelhardt eine wohlhabende und angesehene Familie waren. Man sah auch in dem verkümmerten Gärtchen um den Gaishirtlesbaum Spuren hiervon: große, uralte Rosenstöcke, Beete mit Resten einer Buchsbaumeinfassung und dergleichen. Der Stolz von Bockelhardts Urgroßmutter war jedoch dieses Häuschen gewesen, vor dem ein drei Schritte langer Teich angelegt war. Es hatte zwei Stockwerke. Im unteren hatten Enten gehaust, das obere bewohnten Hühner: italienische Hühner, Perlhühner, ja sogar von einem Pfauen erzählten sich die alten Leute der Nachbarschaft, zu deren glänzendsten Jugenderinnerungen der seltene Vogel gehörte. Das alles war jedoch verschwunden, und das Häuschen drohte einzufallen. Nur mit Mühe konnten kleine gewandte Leutchen an einem Brett, halb Leiter halb Treppe, in den oberen Stock hinaufklettern. Dort oben aber war es gar nicht übel. Der Boden war sauber gekehrt. Ein dreibeiniges Bänkchen diente als Tisch. Zwei halbvermoderte kurze Balken unter einer bunten Decke aus zusammengenähten Flecken stellten Diwans vor, auf denen vornehme Besuche Platz nehmen konnten, und in einer Ecke waren zwei Bündel Stroh, mit einem grauen Tuch bedeckt, eine Art von Bett, auf dem sich auch eine größere Gesellschaft niederlassen konnte. Man sah dem eigentümlichen Winkelchen wohl an, daß hier eine weibliche Hand säubernd und ordnend wartete. Mehr als das! Man sah, daß ein warmes, liebebedürftiges Herz, das nichts in der Welt sein eigen nannte, versucht hatte, sich hier ein Nest zu bauen, wenn auch nur zum Spielen. Dort hinauf zog Gretle den Jungen, den sie an der Hand führte und der ihr noch immer halbbetäubt ohne Widerstreben folgte. »Setz dich«, sagte sie. »Man kann hier oben nicht aufrecht stehen, aber es ist doch nett und gehört uns ganz allein. Ich glaube, die Treppe würde brechen, wenn große Leute heraufwollten. Das ist das beste daran.«
Jetzt erst sah Berblinger, der sich folgsam auf einem der Balken niedergelassen hatte, daß sie nicht allein waren: In der Ecke auf dem Stroh saßen die Zwillinge mit offenen Mäulchen und großen runden Augen, jeder noch mit einer Träne auf dem rotglänzenden linken Bäckchen, und sahen stumm und staunend, daß Gretle einen Besuch mitgebracht hatte. Auch sie hatten sich hierher geflüchtet, als ihnen der Lärm auf der Treppe zu toll wurde, und warteten geduldig auf die weitere Entwicklung der Dinge. Sobald Gretles Kopf über dem Fußboden erschien, erfaßte beide gleichzeitig ein Gedanke, der mit dem traulichen Versteck eng zusammenhängen mochte, und sie riefen einstimmig: »Getle, G'schicht vezählen!«
Das Mädchen warf einen Blick auf Berblinger, dessen Kopf auf die Knie gesunken war, eine Stellung, die ihm neuerdings fast zur Gewohnheit geworden war, wenn er sich unbeobachtet glaubte. Sie fühlte, daß es am besten sein mochte, ihn eine Zeitlang in Ruhe zu lassen, und setzte sich zu den Kindern. Auch diese beobachteten den ungewohnten Gast mit schüchterner Zurückhaltung, schienen dann aber bald zu dem Schluß zu kommen, daß er harmlos sei, und Fritzchen, der energischere des Paars, wiederholte, wie wenn ihn plötzlich ein neuer Gedanke ergriffen hätte: »Getle, G'schicht vezählen!«
»Was soll ich euch erzählen?« fragte sie, ohne den mitleidigen Blick von dem Jungen abzuwenden.
»Vom Spatz!« riefen die Zwillinge einstimmig.
Berblinger rührte sich nicht.
»Ruh aus!« sagte Gretle. »Es kommt wieder anders. Da war einmal ein armer Spatz –«
»Nein«, sprach Fritzchen. »Es fängt an: Die Ulmer wollten ein Münster bauen.«
»Die Ulmer wollten ein Münster bauen, so fängt es an«, bestätigte Fränzchen.
»Die Ulmer wollten ein Münster bauen«, gab Gretle zu; »da brauchten sie einen großen, langen Balken.«
»Holzbalken!« verbesserte Fritzchen.
»Großen, langen Holzbalken«, sagte Fränzchen, machte ein furchtbar ernstes Gesicht und breitete seine Ärmchen aus, so weit sie reichen wollten.
»Sei still, Fränzle, und paß auf!« sagte Fritzchen. »Der Spatz kommt jetzt gleich.«
»Noch lange nicht!« erklärte Fränzchen etwas entmutigt.
»Wenn ihr nicht still seid, kann ich nicht erzählen«, sagte Gretle.
»Ich hab' ihm schon desagt, er soll still sein«, bemerkte Fritzchen mit hängenden Lippen. Er fühlte sich gekränkt.
»Gut also«, fuhr Gretle fort, »da schickten sie ihren Fuhrmann und viele Holzhauer in den Wald. Die schlugen einen Baum um und machten einen Balken.«
»Einen großen, langen Holzbalken!« betonte Fränzchen, die Größe nochmals mit ausgebreiteten Ärmchen andeutend.
»Sei still!« rief Fritzchen ungeduldig, den die Geschichte aufs lebhafteste zu erregen begann.
»Und die Holzhauer legten den Balken quer auf den Wagen, daß er auf beiden Seiten weit über den Weg herausstand, denn sie dachten, so ist es bequemer. Dann fuhr der Fuhrmann nach der Stadt, und die Holzhauer liefen nebenher. Als sie aber an das Gänstor kamen, da wollte der Wagen nicht durch das Tor gehen wegen des langen, großen Balkens, der quer über dem Wagen lag.«
»Langer, großer Holzbalken!« erklärte Fränzchen dem Fritzchen abermals.
»Still, jetzt kommt er bald!« antwortete dieser.
»Noch lange nicht!« behauptete sein Bruder.
»Da schickten die Holzhauer den Fuhrmann in die Stadt aufs Rathaus zum Kleinen Rat. Der Fuhrmann sprach: ›Der große, lange Balken geht nicht durch das Tor, und wir wissen keinen Rat. Er ist zu lang.‹ Da zog der Kleine Rat zum Gänstor hinaus und besah die Sache und wußte auch keinen Rat.«
»Kann sich das – der – das kleine Rad nicht drehen?« fragte Fritzchen und strahlte vor Vergnügen, denn der Knirps hatte bereits eine Ahnung davon, daß er einen großen Witz gemacht hatte.
»Schwatz nicht so dumm heraus!« mahnte Gretle ernst. Sie war kein Freund von Witzen.
»Du bist dumm!« bestätigte Fränzchen.
»Du bist dummer!« versetzte Fritzchen gereizt; worauf sie sich wieder beruhigten.
»Der Herr von Schad sprach: ›Wir müssen den Balken absägen.‹ ›Dann wird er zu kurz fürs Münster‹, sprach der Herr von Besserer. ›An das habe ich nicht gedacht‹, sagte der Herr von Schad. ›Da bleibt nichts übrig, als das Tor weiter zu machen‹, erklärte der Herr Bürgermeister. ›Dann fällt der Turm um‹, sagte der Herr von Besserer, dem nichts recht war, was er nicht selbst sagte. ›Das ist wahr‹, sprach der Herr Bürgermeister. ›Dagegen weiß ich ein probates Mittel‹, sprach der Herr von Schad. ›Holet Maurer, die sollen den Turm abbrechen.‹ Wie sie so sprachen, und auf die Maurer warteten –«
»Jetzt kommt er!« riefen beide Zwillinge jauchzend.
»Da sahen sie am Turm oben unter der Dachrinne ein kleines, armes Nest, das gehörte einem Spätzchen.«
»Das hieß Fritzchen!« jubelte der eine Zwilling.
»Nein, Fränzchen!« behauptete der andre.
»Nichts hieß er!« erklärte Gretle. »Ein ungetauftes Spätzchen war's. Aber es hatte einen ellenlangen Strohhalm im Schnabel; damit wollte es sein Nestchen flicken, denn in seiner schönen Stube war die Wand eingefallen. ›Nun bin ich doch neugierig‹, sprach der Herr Bürgermeister, ›wie der Schlingel mit seinem langen Stroh durch das kleine Loch kommt.‹ Da drehte der Spatz den Kopf und schob das Ende des Halms in das Loch und schob und schob, bis der ganze Halm drin war. ›Tausend alle Welt‹, sagte der Herr von Besserer, ›so geht's.‹ ›Ich hab' mir's gleich gedacht‹, rief der Bürgermeister, ›der bringt es fertig. Holz her, ihr Mannen! Dreht den Balken um! Noch einmal, Holz her!, Und alle lachten und schrien und schoben, bis der Balken auf dem Wagen gedreht war, und dann schoben sie den Wagen zum Tor hinein und haben sich noch lange gewundert, wie gut es ging, und ihr Münster gebaut zur Ehre des lieben Gottes, unsers Herrn.«
Die Kinder hatten still und fast atemlos dagesessen, tief ergriffen von der erstaunlichen Wendung der oft gehörten Geschichte. Nun glaubte Fritzchen doch etwas Passendes sagen zu müssen und wiederholte feierlich: »Zur Ehre des lieben Gottes, unsers Herrn. Amen.«
»Die Ulmer aber sind nicht undankbar«, nahm Gretle die Geschichte wieder auf. »Sie ließen das Spätzchen in Stein aushauen.«
»Tat's weh?« fragte Fränzchen.
»Nein; das ist eine große Ehre – und stellten es auf ihr Münsterdach, mit dem langen Strohhalm im Schnabel. Da steht es und ihr könnt es heute noch sehen, obgleich es schon lange gestorben ist.«
»Armes Spätzle!« seufzte Fränzchen, dessen mitleidiges Herz nach einem tragischen Schluß verlangte. Fritzchen dagegen krabbelte auf Gretles Schoß, riß sie an den Haaren und sagte sehr entschlossen: »Ich will es sehen. Wann gehst du mit uns auf das Münsterdach?«
»Brechtle!« sagte die kleine Magd sanft, indem sie das lachende Kind auf das Stroh zurückwarf. Der Junge hatte während der ganzen Erzählung dagesessen, das Gesicht auf den Knien, fast ohne sich zu rühren, anfänglich ohne aufzumerken, in seinem fast kindlichen Elend versunken. Dann hatte der Tonfall der Stimme ihn leise gefangengenommen. Auch er hörte jetzt der rettenden Tat des Ulmer Spatzen zu und wurde ruhiger, als ob das einfache, nichtssagende Geschichtchen ihn trösten könnte. Dann kam ihm plötzlich ein Gedanke, weit ab von dem Jammer der Gegenwart. Wie? Hatte damals der Spatz den Ulmern nicht den richtigen Weg gezeigt? Könnte er es nicht wieder tun? Mit dem Ballon war es nichts. Der flog, wohin ihn der Wind trug. Der hatte ihn in die Schneiderwerkstätte geführt. Aber der Spatz – Flügel – das – das mußte die Lösung sein!
»Brechtle!« wiederholte die kleine Magd.
Berblinger merkte nicht, daß es der Klang dieser Stimme war, der ihm wie Balsam in die wunde Seele drang. Er richtete sich auf.
»Wie kannst du den Buben Geschichten erzählen, wenn sie dir das Haar ausraufen?« fragte er bitter.
»Sie meinen's nicht bös und es ist nicht so schlimm als es aussieht. Sieh, wie kleine Händchen sie noch haben. Die Meisterin hat andre!«
»Alle Welt hat andre!«
»Ja«, sagte Gretle einfach. »Deshalb ist mir der Hühnerstall und die Kinder das Liebste, was ich habe, namentlich die Kinder. Manchmal kommt mir's vor, auch du seist noch ein Kind.«
Berblinger fuhr auf, rot vor Scham, und sank dann wieder vorwärts, in seine Lieblingsstellung.
»Soll ich dir auch etwas erzählen?« fuhr das Mägdlein fort. »Du hast mich schon zehnmal danach gefragt, aber es ging nicht. Droben sind zu viele Leute um den Weg. Es ist eine Geschichte für den Hühnerstall, und weil du dich hereingefunden hast, magst du sie hören. Aber lach nicht. So klein, als ich dich haben möchte, bist du nicht mehr. Alles lacht mich aus, und ich – ich habe keinen Vater und keine Mutter mehr.«
»Ich auch nicht«, sagte Berblinger finster.
»So passen wir zusammen. Mein Vater war ein Schifferknecht bei deinem Onkel. Er konnte nicht Meister werden, denn er war zu arm dazu, und die Zunft wollte ihn nicht heiraten lassen, denn auch dazu war er zu arm. Aber er hat die Mutter doch geheiratet, drunten in Günzburg, und nur mit Müh und Not brachten sie es dahin, daß er nicht aus der Zunft und der Stadt ausgewiesen wurde. Denn die Zunft ist reich und will keine armen Leute um sich haben. Zuletzt ging's doch, denn mein Vater war der beste Schiffer zwischen Wien und Ulm, sagen sie noch heute, und wenn eine Zille wertvolles Gut führte, setzten sie ihn drauf. Er hatte noch nie eine stecken lassen und war immer zur Stelle, wo es harte und gefährliche Arbeit gab.
Da kam mein Bruder auf die Welt. Der Vater wollte ihn Fritz heißen, nach dem Preußenkönig, der alles gewann, die Mutter aber hieß ihn Gotthilf und wußte warum. Zwei Jahre später kam ich, und wieder nach zwei Jahren ist mein Vater im Strudel bei Grein mit seinem Schiff untergegangen. Er hätte sich retten können, erzählten die Leute, aber er wollte die große, schöne Zille und die zwei Jungen nicht im Stich lassen, und so sind alle miteinander ertrunken. Der Meister Schwarzmann sei außer sich gewesen, denn die Ladung war dreißigtausend Gulden wert, und wollte von der Mutter nichts hören noch sehen. Die Zunft hatte dem Vater nicht verziehen, daß er eine Günzburgerin nach Ulm gebracht hat. Da wurden wir so arm, daß unsre liebe Mutter den Verstand verlor und in die Donau ging. Sie wollte den Vater suchen, sagte sie, als sie wegging. Es war in einer bösen Herbstnacht, kalt – kalt! Ich vergesse es nie, so klein ich war, wie wir froren, als wir aufwachten – allein, ganz allein – und wie wir suchten und suchten, im Haus, auf dem Schwahl, auf den Zillen. Erst lachten sie, die Schiffer und Zimmerleute, dann halfen sie uns suchen, dann flüsterten sie zusammen, als ob sie auch erschrocken wären, dann gaben sie uns zu essen.
Bei Günzburg fischten sie die Mutter auf. Es war ihre alte Heimat, aber sie wollten sie nicht begraben und schickten sie in einem Nachen nach Ulm zurück. Die Ulmer aber wollten sie auch nicht behalten, und böse Leute sagten, man sollte sie in ein schwarzes Faß tun und die Donau hinunter treiben lassen; das sei der alte Brauch gewesen. – Dazu kam's aber nicht. Ein paar mitleidige Schifferknechte, die meinen Vater gekannt hatten, fuhren sie hinab, über das Stadtgebiet hinaus, und begruben sie in der Nacht am Ufer bei Elchingen. Als die Elchinger davon hörten, schrieben sie an den Rat von Ulm, daß sie das nicht dulden wollten, der Rat aber sagte, daß er sich nicht drum zu kümmern habe, was auf Elchinger Markung liege. Dabei ließen es die Elchinger bewenden, und dort am Ufer liegt sie noch und hört das Wasser murmeln, das uns Vater und Mutter genommen hat. Die Stelle weiß ich nicht, und ich glaube fast, es weiß sie niemand mehr. Sie hat jetzt Ruhe vor den Leuten. Aber siehst du, Brechtle, jeden Sonntagnachmittag kannst du deine Mutter besuchen und weißt, wo dein Vater begraben liegt.«
Berblinger sah die kleine Magd starr an. Sie weinte nicht, aber ein bitteres Zucken spielte um ihren Mund, und der Strohhalm, den sie spielend in der Hand gehalten hatte, war in kleine Stücke zerrissen.
»Die Schiffsleute, die uns aufgenommen hatten, mußten nach etlichen Tagen die Reise nach Passau antreten und brachten uns aufs Rathaus. Dort fand sich, daß ich eine Tante in Günzburg hatte. Sie hatte aber von ihrer Schwester nichts wissen wollen, seitdem sie eines Schifferknechts Frau geworden war, und wollte jetzt nichts von uns wissen. So blieb den Herren im Rathaus nichts übrig, als uns ins Fundelhaus zu schicken. Sie sagten, wir sollten nur jeden Morgen Gott und der Stadt schön danken, daß sie das täten, denn verpflichtet seien sie nicht dazu. Da waren wir nun mit vierzig andern Kindern, Buben und Mädchen, die alle darauf warteten, alt genug zu werden, um irgendwohin in einen Dienst oder eine Lehre zu gehen. Es war gut genug, und ich hätte dem lieben Gott und der Stadt gedankt, nur wollten sie auch dort nichts von uns wissen, wegen der Mutter. Sie hießen uns die Wasserkinder. Ein trauriges Leben, von einem Tag in den andern, sonderlich wenn Gotthilf krank war, und das kam oft genug, brachte aber auch sein Gutes. Die andern konnten dann den Wasserbuben nicht quälen und ich durfte bei ihm sitzen und stricken. Und noch eins, die Hauptsache. Wir hatten unsre eigne Schule; die Fundelkinder durften nicht in die Stadtschulen kommen. Viermal in der Woche kam der Herr Pestilenziarius vom Münster und ließ uns in der Biblischen Geschichte lesen. Das gefiel uns besser als alles andre, dem Gotthilf die Geschichte vom Joseph, den seine Brüder in den Brunnen geworfen und verkauft hatten und der doch wieder herauskam und sie alle vor dem Verhungern retten durfte, mir die Geschichte vom Heiland, den sie ans Kreuz schlugen und der die Welt erlöst hat. Denn ich dachte, er werde auch uns erlösen. Dann, wenn mein Bruder krank war, kam der Herr Pestilenziarius in die Krankenstube, sprach mit uns und tröstete uns. Das war fein! Zuerst hatte ich Angst vor ihm; dann aber merkten wir, daß uns wieder jemand lieb hatte, und glaubten noch viel mehr. Damals lernte ich auch, daß man alles aushalten kann, wenn man muß und wenn man will und wenn man glaubt.
So wurden wir älter, und es hieß, wir seien nun lange genug im Fundelhaus gewesen und müßten sehen, uns selber weiterzuhelfen. Aber kein Meister wollte meinen Gotthilf in die Lehre nehmen wegen der Mutter. Eine ehrbare Zunft könne dies nicht zulassen, das sei von jeher gegen Handwerksgebrauch und Ordnung gewesen. Henker könne er werden oder Schäfer oder Turmwart oder Trompeter, aber ein ehrsames zünftiges Gewerbe dürfe er nicht erlernen. Da fand sich endlich der alte Stallmeyer im Rappengäßchen, der Schirmmacher, denn Schirmmachen war vor etlichen Jahren noch eine freie Kunst, wie sie sagen. Eigentlich zieht er nur im Land herum und flickt Schirme und was er sonst zu flicken findet. Der nahm ihn gegen eine kleine Vergütung, die die Stadt zahlte, und der Hausvater im Fundelhaus meinte, das Herumziehen werde seiner schwachen Brust gut tun. Es hat ihm aber nicht gut getan.
Inzwischen hatte Onkel Bockelhardt die Tante geheiratet, und die kleinen Schlingel waren auf einmal da. Das sind sie seitdem immer, wo man sie nicht brauchen kann. Nun konnte die Tante mit der Haushaltung nicht mehr allein fertig werden und erinnerte sich, daß auch ich auf der Welt war. Du weißt, Prätle, wie es uns geht. Aber ich halte es aus; ganz gut, seitdem wir den Hühnerstall gefunden haben. Fritzle und Fränzle helfen mit. – Ganz gut? – Nein; lügen soll man nicht, auch wenn man's gut damit meint, sagt der Herr Pestilenziarius. An den glaub' ich, obgleich ich schon lange nichts mehr von ihm gesehen habe. Wenn er nur seine Röcke bei uns machen ließe. Er könnte es brauchen; und wir auch.«
Es war ganz still und fast Nacht im Hühnerstall geworden. Auf dem Stroh hatten sich die Kinder in einen Knäuel zusammengewickelt und waren eingeschlafen. Berblinger sah verwundert auf die kleine Magd. Er hatte zum erstenmal das Gefühl, als ob er an ihr hinaufsähe. Sie begann wieder, fast flüsternd:
»Die Tante, und Kälte und Hunger und das frühe Aufstehen – im Fundelhaus mußten wir erst um fünf Uhr aufstehen – und der Nick, der unverschämte Bub – das alles läßt sich ertragen. Was mir das Herz abdrückt, ist der Gotthilf. Der hat's schlecht! Mit wunden Füßen halb barfuß in der Welt herumlaufen, mit seinem Husten und in der Kälte in Scheuern und Heuschobern schlafen, Prügel, wenn er keine zerbrochenen Regenschirme findet, Prügel, wenn er nicht genug Geld bringt, und die Bauern wollen nicht halb so viel zahlen, als der alte Stallmeyer für seinen Schnaps braucht! Alle drei, vier Wochen kommen sie nach Ulm zurück. Im Hinterhaus beim Bäcker Honold hat er seine Werkstatt und sein Lädchen. Gotthilf schläft dort in einem Winkel im Keller. Es sei besser, meint er, als draußen auf der Walze. Du hättest ihn husten hören sollen, als sie vor acht Tagen heimkamen. Wenn ich ihn nur hier schlafen lassen könnte, aber die Tante schlüge mich tot und ihn dazu, wenn sie es merkte. Und ich weiß, bei dem Stallmeyer stirbt er. Dann kommt er sicher in den Himmel und ich bin ganz allein. Ich halte ja alles aus – nur das – aber ich kann nichts dafür!«
Dies galt den Tränen, die sie sich mit der Schürze abtrocknete, ehe sie fortfuhr:
»In acht Tagen kommt er wieder, und dann kommt Christtag. Da sollst du ihn sehen, Prätle. Wir haben es uns schon lange ausgedacht. Er schafft ein Bäumchen herbei, das bringt er fertig, denn sie kommen stundenlang durch Wälder und ein Bäumchen ist nicht schwerer als ein Regenschirm. Damit halten wir Christtag hier im Hühnerstall. Der erste Christtag war ja auch in einem Stall. Aber niemand soll dabei sein als du, weil – weil dich der Altgeselle so verhauen hat.«
Schweigend saßen sie eine Zeitlang nebeneinander, Hand in Hand. Auch dem Jungen war nicht klar, was in ihm vorging. Es war ein Gefühl tiefer, schmerzlicher Demütigung, nicht weil ihn ›der Altgeselle so verhauen hatte‹, sondern weil er neben einem kleinen schwachen Mägdlein saß, das mehr als er zu tragen hatte und es trug, fast ohne zu wanken. War er nicht ein Mann oder wollte es wenigstens werden? War das nicht der Weg, den die großen Männer gehen mußten, von denen er so viel gehört und gelesen hatte? Mußten sie nicht auch schleppen, kämpfen, leiden, ehe sie schaffen konnten, was sie groß gemacht hat? Freilich, Schneiderlehrling war keiner gewesen; das nicht. Er hätte laut aufheulen können, wenn er sich nicht so fürchterlich geschämt hätte.
Plötzlich zog Gretle ihre Hand aus der seinen.
»Komm«, sagte sie entschlossen. »Es ist Kochenszeit und sie werden auch dir aufpassen. Sag nichts vom Hühnerstall. Wenn die Tante merkt, wo wir waren, ist alles aus.«
Dann suchte sie die Zwillinge zu wecken, aber nur Fränzchen ließ sich stören und murmelte schlaftrunken: »Gschicht vezählen, Getle. Vom Ulmer Spatz!« Fritzchen mußte getragen werden. Sie wurden erst wieder munter, als der Haferbrei auf dem Tisch stand.
Ein milder Stern leuchtete ihnen am Weihnachtsabend. Der Meister war in der Herberge, wo am Morgen vor offener Lade zwei Gesellen ihr Meisterstück vorgelegt hatten, was nicht ohne einen darauffolgenden großen Festschmaus geschehen konnte, der die Herren Schneidermeister bis in die späte Nacht festhielt. Joseph und Enderle benutzten die Gelegenheit, etwas früher nach der Gesellenherberge aufzubrechen, wo ein Weihnachtstrunk abgehalten wurde, und die Zwillinge, denen trotz ihrer Fallsucht jedermann gut war, waren zur Bescherung in ein Nachbarhaus eingeladen und von der Meisterin dorthin gebracht worden. Gotthilf war schon am Abend zuvor von der Wanderschaft zurückgekommen und hatte in der Tat unter seinen Regenschirmen ein kleines, ganz anständiges Bäumchen mitgebracht und bei Bockelhardts in den Hausgang geschmuggelt. Wie Gretle unter dem Putzen und Scheuern von Flur und Treppe, Küche und Stuben und trotz der üblen Laune der Meisterin Zeit fand, auch im Hühnerstall das Nötige zu besorgen, muß ein Rätsel bleiben, das nur das alte Sprichwort löst: Wo ein Wille ist, ist ein Weg.
Berblinger pikierte die Rückenteile einer Weste, die ihm der Altgeselle hingeworfen hatte, bis er in tiefer Dämmerung nichts mehr sehen konnte. Öl kostete Geld; es lohnte sich nicht, ihn bei Licht allein arbeiten zu lassen. Dann schlich er die Treppe hinunter und in den Hof hinaus. Dort sah er etwas noch nie Dagewesenes. Die beiden oberen Gucklöcher des Hühnerstalls waren erleuchtet. Als er in das Innere schlüpfte und in die Beletage hinaufkletterte, gewahrte er das Tannenbäumchen, das an einem Bindfaden von der Decke hing, so daß es aufrecht zu stehen schien, und sechs Wachskerzen trug, die im reichsten Salon einer Prinzessin nicht besser hätten brennen können. Auf dem Balken aber, dem Bäumchen gegenüber, saß ein Junge und Gretle, wie er mit ihr gesessen hatte, Hand in Hand.
»Das ist mein Gotthilf«, sagte die kleine Magd, als sie ihn bemerkte, »und das ist unser Christbaum, Prätle. Ist er nicht fein?«
Es war noch Platz auf dem Balken. Berblinger setzte sich an Gretles andre Seite. Der fremde Junge gab ihm die Hand, nicht scheu und zögernd, wie sie Berblinger nahm, sondern mit einer offenen Herzlichkeit, als ob er hier zu Hause wäre und einen lieben Gast empfinge. Er war größer als Berblinger, ungewöhnlich bleich und mager, und hustete, aber seine großen Augen leuchteten fast unheimlich, obgleich sie voller Freundlichkeit waren.
»Dir geht's auch nicht zum besten, Prätle«, sagte er mit einem Lächeln, hinter dem sich das Leid des Lebens nicht ganz verstecken lassen wollte. »Da können wir Christtag feiern, als ob wir zusammengehörten. Und sieh nur, sie hat dafür gesorgt, daß auch etwas unter dem Bäumchen liegt.«
Mit Erstaunen sah Brechtle auf dem Boden unter den Tannenzweigen in regelmäßigen Abständen drei Brezeln liegen. Neben der einen standen ein Paar Pantoffeln, neben der zweiten eine Pelzmütze und neben der dritten nichts. Unter den Pantoffeln lag auch noch ein Buch.
»Die ist dein«, sagte Gretle, auf die Brezel mit den Pantoffeln weisend, »die dein«, zu ihrem Bruder, dem das Christkind die Pelzmütze beschert hatte, »und die mein... Es hat jedes seine Brezel. Ist es nicht fein?«
»Aber wie kommst du zu den Sachen?« fragte Berblinger.
»Ich?« fragte Gretle ebenso erstaunt. »Das Christkindlein war hier und hatte ein gutes liebes Gesicht und war so groß als der Herr Pestilenziarius. Er läßt dich vielmals grüßen«, fügte sie geheimnisvoll bei. »Du solltest tapfer aushalten und ihn nicht besuchen. Das halte er nicht aus. Sie halten nichts aus, die armen feinen Leute! Nun wollen wir aber Christtag halten und ihm danken.«
Berblinger griff nach dem Buch. Es war ein kleines Neues Testament. Griechisch! Für den Augenblick war das freilich nutzlos; Gretle aber brauchte es auch nicht. Sie hatte noch nicht alles vergessen, was man in Fundelhaus lernte, und der Christtag im Fundelhaus war der Glanzpunkt ihres dortigen Lebens gewesen. Sie stellte zwei Lichtchen, die umzufallen drohten, wieder auf, faltete die Hände und sprach einfach und laut:
»Es waren aber Hirten in der selbigen Gegend auf dem Felde bei den Hürden, die hüteten des Nachts ihre Herden. Und siehe, des Herrn Engel trat zu ihnen und sprach – das weiß ich nicht mehr alles, aber er sprach –: Ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt in einer Krippe liegend. Und alsbald war da bei dem Engel eine Menge der himmlischen Heerscharen, die lobeten Gott und sprachen: Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen. Amen.«
Dabei fing sie plötzlich an laut zu weinen und umfaßte ihres Bruders Kopf.
»Warum heulst?« fragte dieser sanft, indem er versuchte, seinen Kopf aus den Armen, die ihn umklammerten, herauszuziehen.
»Weil es so fein ist!« sage sie und schluchzte weiter.
Nach und nach beruhigte sie sich und dann begannen alle drei ihre Brezeln zu essen.
»Es sind Zibeben drin«, erklärte die kleine Magd nicht ohne Befriedigung.
»Wir haben Pantoffeln und Pelzkappen«, sagte Berblinger. »Wenn du deine Brezel gegessen hast, Gretle, hast du nichts. Wir sind rechte Tolpatsche.«
»Das sind alle Buben«, antwortete Gretle prompt, ihre Tränen trocknend. »Aber es tut nichts. Der Christbaum gehört mir.«
Dann begannen sie von andern Dingen zu plaudern. Wes das Herz voll ist, des geht der Mund über. Brechtle hatte nach der großen Schlacht zwei böse Wochen durchzumachen gehabt. Der Altgeselle trug nichts nach, es kam ihm aber auch auf einen Puff mehr oder weniger nicht an, und beim ersten Unterricht im Bügeln hatte er dem Lehrling nichts geschenkt. Schlimmer war's mit Nickel, der ihn stach und trat, wo er es unbemerkt tun konnte. Dabei hatte Brechtle nachgerade entdeckt, daß es am klügsten war, zu tun, als ob er Nadelstiche gar nicht mehr fühle. Doch war all dies nichts gegen die Geschichten, die Gotthilf zu erzählen wußte. Der alte Stallmeyer trank, seitdem es kalt wurde, mehr als früher, und dann war kein Sinn und Verstand in der Art, wie er seinen Jungen behandelte. Während jener in der Dorfkneipe saß, mußte dieser das Dorf und die Höfe absuchen. Ohne mitleidige Bäuerinnen, die ihm gelegentlich ein Stück Brot oder einen Knochen zusteckten, wäre er längst auf dem Wege liegengeblieben. In Jungingen, auf dem Heimweg, hatte er nur einen Schirm bekommen, und den schlug sein Meister an ihm in Stücke. Und dann die wunden Füße und nachts der Husten in den kalten, windigen Schuppen und die Regenschirme! Es waren diesmal doch zuletzt so viele, daß er sie kaum schleppen konnte.
Gotthilf erzählte von all dem ohne zu klagen, wie man von einem Feldzug spricht, den man nicht selbst mitgemacht hat. Aber er blickte etwas wehmütig auf seine zerrissenen Schuhe, die im Licht der sechs Wachskerzen begehrlich zwei große Froschmäuler aufsperrten.
»Lange halten die's nimmer aus«, sagte er nachdenklich, mehr zu den Schuhen als zu seinen Freunden. »Erst als wir vorgestern mittag durchs Schwedenwäldle hereinkamen und ich den Münsterturm wiedersah, fiel mir ein, daß morgen Weihnachtsabend sein mußte. Da stand auch gleich das Bäumchen geschickt am Weg, so daß ich's abschneiden und unter die Regenschirme packen konnte, ohne daß der Stallmeyer etwas merkte. Er hatte dazu von Jungingen her ein gutes Frühstück im Kopf, so daß wir einzogen mit Friede auf Erden.«
Er lachte, nicht laut, aber freundlich, und Berblinger dachte im stillen mit schmerzlicher Bewunderung: ›Der kann's!‹
»Und dein Husten?« fragte Gretle.
»Besser, viel besser! Den Menschen ein Wohlgefallen.«
»Sag das nicht so«, bat seine Schwester.
»Aber wir wollen es nicht vergessen, Gretle, so oder so. Der himmlische Vater weiß, wie wir's meinen«, versetzte er und wollte weitersprechen, doch ein Hustenanfall schüttelte ihn plötzlich dermaßen, daß es nicht mehr möglich war. Auch waren die kleinen Kerzen fast abgebrannt, und an zwei Stellen glimmten schon die Tannennadeln und verbreiteten einen köstlichen Festgeruch durch den Hühnerstall. Da geschah zum Schluß etwas Merkwürdiges. Vor einer der Luken, die längst kein Fensterchen mehr deckte, erschienen plötzlich zwei schwarze stechende Augen und ein langes gelbes Gesicht. Gretle sah und erkannte es zuerst und faßte ihren Bruder am Arm. Es war die Meisterin. In ihren Zügen lag mehr Erstaunen als Zorn und das erwartete Donnerwetter brach nicht los. Das Gesicht verschwand wieder. Gretle löschte das letzte Lichtchen am Baum, alle drei kletterten lautlos die Hühnertreppe hinunter und trennten sich in dem finsteren Hausgang.
»Komm wieder«, sagte Berblinger zu Gotthilf. »Ich brauche dich.«
»Komm wieder«, sagte auch Gretle, halb lachend, »den Menschen ein Wohlgefallen.«
»Und Friede auf Erden!« flüsterte der Regenschirmjunge, während er durch die halbgeöffnete Haustüre in die Nacht hinausschlüpfte.
Die Meisterin war schweigend die Treppe hinaufgegangen, hatte sich in der kalten, öden Stube an das Fenster gestellt und sah nachdenklich zum Sternenhimmel hinauf, ein bitteres Lächeln auf ihren harten Lippen. Selbst als hinter ihr Gretle die brennende Lampe auf den Tisch stellte, sagte sie nicht ein Wort.
Friede auf Erden!