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Fräulein Bäht und der kleine Herr Pudulle

Lange konnte sich Suse nicht von der Geburt der beiden kleinen Zwillingsmädchen erholen, von denen uns das eine so rasch wieder verließ. Suse hatte es mit den Beinen – eine Thrombose, und so mußte sie gestützt werden – im Haushalt.

Eine Stütze war bald in der Gestalt von Fräulein Bäht gefunden; es war noch in jenen heute schon sagenhaften Zeiten, da die Leute nach Arbeit schrien. Also hielt das warm empfohlene Fräulein Bäht bei uns seinen Einzug, Mitte der Fünfziger, spät aber um so stärker erblondet, mit einer meistens blauleinen bekleideten Vollbüste und vor allem mit Bettina, ihrem einzigen Herzenskind, einer echten Pekinesin.

Fräulein Bäht und ihre Bettina gaben ein schönes Paar ab! Es ist schwer zu sagen, wessen Tyrannis leichter zu ertragen war, die von Fräulein Bäht oder die von Bettina. Dieses kleine Mistvieh lag den ganzen Tag unter dem Küchentisch – ich meine natürlich die Pekinesin – und kläffte jeden, der sich außer ihrer Herrin in die Küche wagte, so lange und durchdringend an, bis sie den jemand aus der Küche gekläfft hatte. Stellen Sie sich das vor: weder meine Frau noch ich durften uns in die eigene Küche wagen! Bettina kläffte unerträglich giftig!

Ich habe meine Lebtage eine große Liebe für Hunde gehabt, aber ich habe unerzogene Hunde und nun gar Weiberhunde nie ausstehen können. Ein anständiger Hund hat jeden Fremden, der auf den Hof oder ins Haus kommt, kurz und sachlich zu melden, und dann hat er seine Schnauze zu halten, sonst passiert ihm was! Aber dieses Mistvieh von sechs und einem halben Pfund, ein Paket aus gelben, weißen und schwarzen Haaren, brachte sich vor Gift fast um! Die kleine Schnauze weit aufgesperrt, so daß man den vorschriftsmäßig schwarzen Rachen bis zu den Mandeln sah, fuhr sie auf all und jedes los, kläffte, schnappte, biß in jeden Rocksaum, in jeden Stiefel, der Bettina doch mit einem Stoß hätte zermalmen können!

Und was sagte Fräulein Bäht dazu? Mit jener falschen Süße, die einem auf der Stelle den Magen umstülpen kann, flötete sie: »Ach Bettinchen, sei doch nicht so! Das ist doch bloß der Herr Chef! (Bloß der Herr Chef – du falsches süßes Aas!) Ich glaube, Herr Fallada, Bettinchen ist gestern abend das Kalbsschnitzel nicht bekommen, sie hat so unruhig geschlafen. Ich glaube, ich mache Bettinchen gleich einen Einlauf ...«

Und was sagte der Herr Chef dazu, dieser gefürchtete Haustyrann? Der Chef saß zwischen zwei Feuern. Einerseits wurde das wirklich tüchtige Fräulein Bäht zur Stützung der Hausfrau notwendig gebraucht, andererseits – nun, andererseits hätte er dieser bête blonde am liebsten heute noch auf Nimmerwiedersehen gesagt. Aber da einerseits – genug, der Chef litt vorläufig schweigend, nur kleine Unmutsspritzer erreichten Fräulein Bäht dann und wann.

Aber auch Bettinchen. Ich kann es nicht leugnen, in meiner Zwangslage, ertragen zu müssen, was unerträglich war, wurde ich hinterhältig. Trafen Bettina und ich uns gelegentlich unter vier Augen, so bekam die Giftnudel rasch ein paar Katzenköpfe, was sie freilich keineswegs einschüchterte. Jetzt tobte sie gradezu, sah sie mich nur. Und Fräulein Bäht, die eine feine Witterung für Kränkungen hatte, flötete süß: »Ich weiß nicht, was Bettinchen bloß mit Ihnen hat, Herr Fallada! Es ist grade so, als hätten Sie ihr was getan ... Nun aber ruhig, Bettinchen! Der Herr Fallada tut dir gewiß nichts!«

Bettinchen kreischte gradezu – völlig unerträglich!

Ich habe es schon gesagt, daß Fräulein Bäht wirklich tüchtig war, in dem nämlich, was sie gern tun mochte, im Kochen und Einmachen. Sie kochte so, daß sie auch einen schlimmen Feind damit versöhnt hätte – und ich bin von je ein verfressener Mensch gewesen.

Aber sie hatte dabei ihre Eigenheiten. Zum ersten einmal durfte ihr niemand in ihre Geheimnisse sehen. Fragte Suse sie nach einem Rezept, so bekam sie entweder ein Geknurr zu hören oder falsche Auskünfte. Zum andern verwandelte Fräulein Bäht die Küche alle Tage in ein Schlachtfeld. Nichts von dem, was sie vom frühen Morgen an gebraucht hatte, durfte fortgesetzt oder abgewaschen werden. »Wollen Sie das wohl stehen lassen!« herrschte sie die Haustöchter an. »Das brauche ich noch!«

Sie brauchte alles noch, sie brauchte immer mehr, stets mußte neues Küchengerät angeschafft werden: neue Schüsseln, Kannen, Kummen, Abschöpfkellen. Es hörte nie auf. Mittags sah die Küche aus wie ein Hausstandsladen, abends konnte man nur mit Vorsicht über die Barrieren hinwegkommen. Und zwischen all diesen angebrauchten Näpfen und Kummen kroch Bettinchen umher, und wenn sie nicht kläffte, so leckte sie, naschte sie ... Es war wirklich recht gut, daß wir uns Bettinchens wegen nie lange in der Küche aufhalten konnten, was wir bei kurzen Stippvisiten sahen, genügte vollkommen!

Mit Kochen und Einmachen beschäftigt, überließ Fräulein Bäht die beiden Haustöchter, die bei ihr das Kochen und Einmachen lernen sollten, völlig ihrem Schicksal. Wie sie die Zimmer sauber machten, wie sie die Wäsche wuschen, wie sie ihren Tag hinbrachten, war ihr ganz egal. In der Küche durften auch sie sich erst am Abend sehen lassen, zum Abwaschen, das immer stundenlang dauerte.

Morgens kam Fräulein Bäht aus ihren Gemächern, in fließende Gewänder gehüllt, recht ungewaschen und unfrisiert, mit Bettinchen auf dem Arm. Bis zum Mittagessen war es nicht ratsam, ein Wort an Fräulein Bäht zu richten; diese Stunden wirkte sie, wie unsere Haustochter Fridolin richtig sagte, wie eine aufgewärmte Leiche. Gegen Mittag belebte sie sich ein wenig, trotzdem sie nur mäßig von dem so trefflich Zubereiteten aß. Dann erzählte sie gerne aus dem reichen Schatz ihrer Erfahrungen.

Sie war bis dato stets Haushälterin bei Junggesellen gewesen, das erklärte ihren totalen Machtanspruch im Haushalt. Süß lächelnd berichtete sie von dem Vertrauen, das sie genossen, von den Kassen, die sie für diese Herren allein geführt, von den Kämpfen, die sie für jene mit den Finanzämtern stets siegreich ausgefochten. Von den Gründen, die sie zur Aufgabe all dieser vorzüglichen Stellungen und zur Annahme einer so jämmerlichen wie in meinem Hause geführt hatten, schwieg sie. Ich nehme an, auch der verhärtetste Junggesell zog auf die Dauer das Ehejoch den Tugenden Fräulein Bähts vor.

Eben sagte ich, daß Fräulein Bäht nur mäßig aß. Nun besteht in meinem Hause seit vielen Jahren die schöne Gewohnheit, daß am Sonntagmorgen nach dem ersten Frühstück alle gewogen werden, Eltern, Kinder, Haustöchter, Gäste. Über sämtliches Gewicht wird Buch geführt, es kostet mich nur einen Griff, ein Nachschlagen, und ich kann sagen, was mein guter Verleger im Juli 1934, wieviel Tante Tilly im November 1937 gewogen hat. Die eigene Familie besitze ich natürlich lückenlos.

Ist am Sonntagmorgen das Frühstück eingenommen, so begibt sich alles, Kind und Kegel, auf die Scheunendiele, wo die Dezimalwaage steht. Feige Gemüter und solche mit schlechtem Gewissen stürzen vorher noch schnell an einen geheimen Ort, um gewisse Gewichtskorrekturen vorzunehmen. Nun wird gewogen. Stets wiegt der Hausherr, stets schreibt die Hausfrau an. Es gibt Jubelschreie zu hören und stille Seufzer der Enttäuschung:

»Wieder zwei Pfund zugenommen! – Und ich habe diese Woche gar nichts gegessen! Die Waage geht bestimmt falsch!« »Ätsch, Anneliese! Nun bin ich doch um ein halbes Pfund leichter als du – und du hast immer gesagt, du würdest nie schwerer als ich!«

Fräulein Bäht, die Füllige, betrat die Waage stets mit Zittern. Ich weiß nicht, was in diesen Frauen steckt, sie war Fünfundfünfzig und hatte die Männer nie ausstehen können. Sie hatte bestimmt keine Heiratsabsichten, und sie schien auch auf ihr Äußeres wenig zu geben. Aber sie hörte ihr Gewichtsergebnis immer an wie einen Richterspruch über Leben und Tod. Stumm, mit bleichen Wangen, ging sie von der Scheunendiele zurück in ihre Küche. Den ganzen Vormittag weinte sie, selbst Bettinchen bekam kein gutes Wort. Sie hatte wieder zugenommen, jede Woche nahm sie bei uns zu.

Uns war es ein Rätsel, denn Fräulein Bäht aß am mäßigsten von uns allen. Bis wir allmählich dahinterkamen, daß Fräulein Bäht naschte. Vom frühen Morgen an schleckte sie da und probierte sie dort. Um die zehnte Stunde wurde der Appetit in ihr übermächtig: sie briet sich ein Stückchen Fleisch, sie schlug sich ein Eichen schaumig, sie holte sich schnell ein Kellchen Sahne aus dem Keller oder machte aus frischem Quark, Schnittlauch, Sahne und Knäckebrot ein Schlemmerschnittchen.

Dann stand sie zitternd am Sonntagmorgen auf der Waage. Sie betete zu Gott, ein Wunder möge geschehen sein. Aber das Wunder geschah nicht, und in der Küche begoß sie ihre Sünden mit Tränen und gelobte Enthaltsamkeit. Dann, spätestens beim Kuchen zum Sonntagsnachmittagskaffee, schlich die Sünde wieder in sie ...

Als Fräulein Bäht vor der ernsten Frage stand, entweder ihre ganze Garderobe zu erneuern oder aber zu hungern, machte sie meiner Frau einen Vorschlag. Wir hatten es in letzter Zeit mit ernster Besorgnis beobachtet, daß ihre Hüllen nicht mehr auf ihr weilen wollten. Bewegte sich Fräulein Bäht, so knackten die Druckknöpfe, es öffneten sich Schlitze und Scharten. Die Reißverschlüsse rissen. Fräulein Bäht durfte nicht mehr lachen, nicht heftig atmen.

Also, da machte sie der Suse einen Vorschlag. Dieser Vorschlag war für Fräulein Bäht bezeichnend. Sie beschloß nicht etwa Mäßigkeit für sich, nein, sie verdammte das ganze Haus zum Hungern. Sie hatte von einer wunderbaren Diät gehört, von einem Obsttag: einen Tag in der Woche aß man nur Obst, und man wurde schlank wie eine Nymphe. Ob wir nicht auch solch einen Obsttag einführen wollten, vielleicht jeden Freitag –? Ich muß gestehen, daß dieser Vorschlag Fräulein Bähts von meinen sämtlichen weiblichen Hausgenossinnen mit großem Beifall aufgenommen wurde. Das liegt nun einmal in der Zeit. Sie alle, alle glauben, durch ein bißchen Hungern zu den überschlanken Frauen Botticellis werden zu können, auch wenn sie vom Mutterleibe her mit wahren Bärenschinken in der Weltgeschichte herumlaufen. Frau und Haustöchter waren sich sofort einig, Fräulein Bäht bei ihrem Obsttag Beistand zu leisten. Ich schloß mich natürlich aus – ich war nie für Hungern.

Prickelnde Erwartung begrüßte den ersten Obsttag. Auf jedem Platz liegen drei Äpfel, dazu hatte Fräulein Bäht jeder eine Tasse schwarzen Kaffee bewilligt. Scherzend wurde das schlichte Mahl eingenommen.

Ernstere Mienen sahen am Mittag auf die drei Äpfel, zu denen sich diesmal eine Tasse Fleischbrühe aus einem Bouillonwürfel gesellte. Auf dem Gebratenen des Hausherrn ruhten gedankenvolle Blicke, die scheu abirrten, wurden sie bemerkt.

Am Abend – drei Äpfel und eine Tasse schwarzer Kaffee – war die Stimmung wieder aufgeräumter: nun war der Obsttag so gut wie überstanden, die Nacht wurde verschlafen, am nächsten Morgen tüchtig gefrühstückt, und am Sonntag auf der Waage gab es dann die Belohnung für dieses Fasten!

Das sonntägliche Wiegenfest war eine leichte Enttäuschung. Die einen hatten ein bißchen zu-, die andern ein wenig abgenommen, es war genau so, als hätte es keinen heldenhaft ertragenen Obsttag gegeben. Sie trösteten sich mit dem Gedanken, daß einmal keinmal sei, daß die Auswirkungen solchen Hungerns sich erst allmählich bemerkbar machen würden. Dieser Gedanke verlieh auch Fräulein Bäht Kraft, sie weinte nicht. An diesem Sonntagvormittag naschte sie mit bestem Gewissen: am Freitag würde sie hungern und am Sonntag abgenommen haben! Dessen war sie gewiß.

Wieder der Freitag, wieder die Blicke auf meinen Teller, und wiederum ist es Sonntag geworden. Oh, meine Lieben, wie soll ich es euch sagen, wie soll ich euch gläubig machen, die Wahrheit ohne Zweifel hinzunehmen, sie nicht für die Lüge eines verfressenen Schriftstellers zu halten –?! Das Wiegeergebnis: der einzige, der abgenommen hatte, war ich! Alle, alle hatten sie zugenommen, und teilweise recht beträchtlich!

Die Woche, die nun heraufzog, war düster. Von Äpfeln auch nur zu reden, war Vermessenheit. Wir hatten junge und hübsche Mädchen im Haus, es war Friedenszeit, überall gab es junge Männer: unsere jungen Mädchen sahen sich schon rettungslos einem Puddingformat ausgeliefert. Wenn nicht einmal ein Obsttag mehr half! Gradezu mit Abneigung sahen sie auf das gute Essen, das Fräulein Bäht uns auf den Tisch setzte, aßen's aber doch!

Genau wie Fräulein Bäht es aß, wie sie es nicht über sich gewinnen konnte, eine Suppe anbrennen zu lassen, ein Gemüse zu versalzen. Ihre natürliche Gabe, gut zu kochen, lag in heftigem Widerstreit mit ihrem Wunsch, ätherisch zu werden. Es war die alte Geschichte von der irdischen und der himmlischen Liebe, die himmlische kommt immer zu kurz, wir sind eben Menschen.

Der Apfeltag ging unter düsterem Schweigen vorüber, nur Fridolin wagte die Bemerkung: »Wenn ich diesmal wieder zugenommen habe, höre ich aber mit dem Quatsch auf!« Tiefe Stille, kein Widerspruch – nicht einmal von Fräulein Bäht, und doch hatte eben solch junges Ding eine von ihr vorgeschlagene Maßnahme als Quatsch bezeichnet!

Sonntag ist's, und wieder wird gewogen. Nur zögernd finden sich die zu Wiegenden ein, sie stehen erst vor einer gewissen Tür, ewig rauscht das Wasser ... Ich selbst war hoffnungsvoll, mit einer gewissen Freudigkeit setzte ich die Gewichte auf die Waage. Diesmal mußte das Hungern sich ausgewirkt haben, solche Kasteiung mußte belohnt werden, oder es gab keine Gerechtigkeit auf dieser Erde!

Und wiederum war das Ergebnis kläglich: niemand hatte abgenommen. Einige waren stehen geblieben, andere hatten zugenommen. Ich stand vor einem Rätsel. Suse war's, die Gute, die des Rätsels Lösung fand. Sie hatte am Sonnabend, am Tag nach der Obstdiät, alle Esser beobachtet. Sie hatte schon beim ersten Frühstück einen gewaltig gesteigerten Brotkonsum festgestellt, sie berichtete von schnell zwischen zwei Arbeiten eingeschobenen Stullen – zu deutsch: was sie sich an einem Tag abgehungert hatten, legten sie sich am nächsten Tag zu.

Damit war das Urteil über die Obsttage gesprochen. Alle waren der Ansicht, so etwas eigne sich vielleicht für Stadtmenschen; wer aber auf dem Lande lebe, viel in der frischen Luft sei, sich kräftig ausarbeite, alle Augenblick in einen See springe und schwimme, der habe einen so kräftigen Appetit, daß er einfach befriedigt werden müsse. Hungern, jawohl, aber dann still im Bett liegen. Lieber sich tüchtig abarbeiten, das hielt einen am ehesten auf einem vernünftigen Gewicht!

Mit den Obsttagen war es vorbei. Nun hatte ich auch an den Freitagen wieder fröhliche Mitesserinnen an meinem Tisch, nicht mehr wurde gierig mit schlechtem Gewissen auf meinen Teller gestarrt.

Nur Fräulein Bäht – mit einer unbegreiflichen Hartnäckigkeit hielt sie an ihrem Obsttag fest. Während wir schmausten, kaute sie unter giftigem Schweigen mit hohen Zähnen an ihren Äpfeln. Die jungen Mädchen erzählten uns kichernd, daß diese so herausfordernd ertragene Diät Fräulein Bäht nicht im geringsten hindere, in der Küche auch an den Freitagen zu naschen. Aber nachdem sie um elf ein kleines hübsches Muschelragout aus Kalbsmilch und Champignons zu sich genommen, nachdem sie dann um halb zwölf ein Erdbeereis mit Schlagsahne verzehrt hatte, saß sie um zwölf Uhr fünfzehn mit giftiger Miene vor ihrem Apfelteller.

Ein äußerst komplizierter Vorgang spielte sich in Fräulein Bäht ab: sie warf dem Schicksal einen Fehdehandschuh hin! Sie fastete, jawohl, sie fastete! Wer wagte, anderes zu behaupten, wenn sie da vor ihren drei schrumpeligen Äpfeln saß? Sie fastete, und demzufolge hatte sie abzunehmen, so gehörte sich das! Und wenn sie nicht abnahm, so sollten das Schicksal und Gott und die Welt und Menschen was mit ihr erleben! Sie war nicht sanft, nein, sie hatte Haare auf den Zähnen, Galle im Leibe und Essig auf den Lippen – alle sollten sie sehen!

Und wir sahen! Wie unsere hilflos ihr ausgelieferten Haustöchter diese Teufelin ertrugen, ist mir rätselhaft. Die Antworten, die meine Frau auf sanfte Fragen bekam, erreichten eine nicht mehr erträgliche Ungezogenheit. Mit mir war sie ein wenig vorsichtiger, denn meinem Temperament nach neige ich zu plötzlichen, erschreckenden Explosionen – vor allem auch mich erschreckenden (und beschämenden) Explosionen. Immerhin trieben die Dinge einem raschen Ende entgegen. Fräulein Bäht hätte noch zehnmal tüchtiger sein können, sie machte ja unser Heim zu einer Hölle!

Dieses Mal habe aber nicht ich den unvermeidlichen Krach entfesselt, wie so manches andere Mal, sondern der grimmigste, unversöhnlichste Feind Fräulein Bähts: der kleine Herr Pudulle, der damit in diese Geschichte eintritt.

Der kleine Herr Pudulle ist niemand anders wie mein damals vierjähriger Sohn Uli. Warum wir ihn zu jener Zeit unter uns den kleinen Herrn Pudulle nannten, kann ich so ungefähr noch zusammenkriegen. Den Namen Pudulle hat er sich wohl nach Kinderart selbst ›Kleiner Herr‹ aber wurde er genannt, weil er wirklich einer war.

Eigentlich hatte er eine schlechte Zeit hinter sich; seine Eltern waren zu sehr mit sich selbst beschäftigt gewesen, um sich viel mit ihm abgeben zu können. So war er meist auf Damen jüngeren oder älteren Jahrgangs angewiesen gewesen, wie das Fräulein Wendehals. Er hatte in Hotels und Pensionen hausen müssen, und ›das Kind des armen Arbeitslosen‹ hatte sich dabei eine staunenswerte Sicherheit angeeignet. Wie dieser vierjährige Knabe die Halle eines großen Hotels betrat und sich selbstverständlich vom Portier den Schlüssel holte, vom Liftboy zum Zimmer hinauffahren ließ, das konnte seinen Vater, der sich in fremder Umgebung nie ganz sicher fühlte, vor Neid erblassen machen.

Über das weibliche Geschlecht übte der kleine Herr Pudulle eine fast unumschränkte Herrschaft aus. Er war, was man einen hübschen Jungen nennt, sehr blond, sehr blauäugig, das Gesicht mit lebhaft wechselnden Farben, und er steckte so voll Schelmerei, Schmeichelei, Einfälle und Humor, daß die meisten weiblichen Wesen seinen Herrschergelüsten hilflos ausgeliefert waren.

In jener Zeit habe ich den kleinen Herrn Pudulle einmal in einer Privatklinik besucht, wo er wegen einer bösen Mandelgeschichte sein mußte. Als ich ihn dorthin brachte, wurde ich von einer Oberin empfangen, dem bärbeißigsten, brummigsten Dragoner von Oberin, den ich je erlebt habe, übrigens auch Oberin-Dragoner mit Bart. Sie schnauzte alle an: Ärzte, Schwestern, Patienten, Besucher. Sie schien nur schnauzen zu können – ein grimmiges Weib!

Als ich wiederkam ... Als ich wiederkam ... »Sie wollen Ihren Uli sehen?« schnauzte sie. »Wird auch Zeit, daß sich mal einer nach ihm umsieht! Na, Sie werden was erleben! Zimmer fünfzehn liegt er. Na, gehen Sie schon! Sie sehen doch, ich habe mehr zu tun, als Sie anzusehen, wenn Sie auch ein berühmter Mann sind!«

Ich stieg zu Zimmer 15 empor. Aus der Tür stürzte eine Schwester, krebsrot im Gesicht, sich vor Lachen schüttelnd. Bei meinem Anblick versuchte sie – aber vergeblich – ein Gesicht strenger Schwesternhingabe anzunehmen. Sie rückte verwirrt an ihrem verrutschten Häubchen.

Ich trat ein. »Nun, mein Sohn?« fragte ich. »Wie geht es uns denn heute?«

Und erschrak bei seinem Anblick. Er hatte kreisrunde dunkelrote Flecken auf den Wangen, seine Lippen waren purpurn, aber unter den Augen hatte er dunkle Schatten. Hatte er nicht blonde Brauen gehabt? Sie schienen von der Krankheit geschwärzt! Das ganze Zimmer stank atemraubend nach einem billigen Parfüm und war mit Spielzeug angefüllt wie ein Laden.

»Mir geht's prima!« strahlte mein Sohn, der trotz seines fieberischen Aussehens im Bett saß und nicht lag. »Papa, das ist das Mönchen, die pflegt mich. Die halte ich aber in Trab!«

Ich schüttelte die Hand der langen, weißgewandeten Schwester, die mich anlächelte. »Es geht dem Uli jetzt wieder ganz gut«, sagte sie.

»Er sieht aber schrecklich aus!« rief ich und probierte seine Wangenfarbe mit dem Zeigefinger. Der Finger wurde rot. »Ich glaube gar, Sie haben den Bengel angemalt!«

»Es macht ihm doch so viel Spaß!« flüsterte die Schwester. »Er klaut mir immer den Lippenstift, und ehe er das ganze Bett einschmiert, bemale ich ihn lieber selbst!«

»Sie haben ihn aber auch in Parfüm gebadet!«

»Es ist ganz billige russische Eau de Cologne, er riecht sie doch so gerne!«

»Das glaube ich – aber mögen Sie in der Luft hier sein?«

»Ach, mir macht es nichts aus – und ihm macht es doch soviel Spaß!«

»Papa, wollen wir Karten spielen? Ach ja, bitte, Papa! Ich kann fein ›Tod und Leben‹ spielen, ich gewinne immer. Ich habe schon die ganze Schublade voll Geld!«

»Spielen Sie mit dem Bengel etwa um Geld?!« fing ich grade an, da öffnete sich die Tür, und die Schwester, die ich eben lachend auf dem Gang getroffen hatte, sah herein. »Mönchen, kannst du nicht einen Augenblick mal rauskommen?«

»Nein!« rief mein Sohn herrisch. »Du weißt doch, Vroni, Mönchen darf nie aus meinem Zimmer. Ihr könnt ja in der Ecke miteinander flüstern, wenn ich's nicht hören soll. – Papa, das ist die Schwester Vroni, die ist noch neu hier, die ist noch mächtig schüchtern. Aber ich gewöhne ihr das schon ab!«

So begann mein Besuch, der sich dann noch ziemlich lange ausdehnte. (Suse lag wegen ihrer Thrombose auch, aber in einer andern Klinik.) Allmählich übersah ich den Umfang der Tyrannis, die mein Sohn Ulrich ausübte. Ich erfuhr, daß Schwester Monika – Mönchen – seit vierzehn Tagen das Zimmer meines Sohnes nicht hatte verlassen dürfen, weder tags noch nachts. Sie mußte in dem Bett neben ihm schlafen, und selbst ihre Besuche auf einem gewissen Ort wurden nur nach Kämpfen gestattet und mit dem Minutenzeiger der Uhr nachgemessen.

Ich erlebte den Besuch der brummbärtigen Oberin, die sich nach den Essenswünschen des kleinen Herrn Pudulle erkundigte. Sie schimpfte auch mit ihm, sie schimpfte auf die verfluchte Weiberwirtschaft in dieser Krankenstube, und brummbärtig und schimpfend ließ sie sich alle Vorschläge von dem Herrn Sohn ablehnen und versprach ihm genau das Essen, das er haben wollte.

Ich hoffte auf die Ärztin, eine bekannt tüchtige Kinderärztin. Sie kam – und durfte erst in meines Sohnes Hals sehen, nachdem sie mit ihm drei Partien ›Tod und Leben‹ gespielt und verloren hatte. Jede einzelne Untersuchung kostete ihren Preis. Seufzend und doch lächelnd hielt die Vielbeschäftigte und Gehetzte eine Stunde bei ihm aus, er zwang sie einfach.

Man glaube nicht, daß ich etwa entzückt von diesen Beobachtungen war. Ich fand es einfach gräßlich, wie sie alle, alle meinem Herrn Sohn den Willen taten, weil es ihm doch so viel Spaß machte. Es war wirklich eine vollendete Weiberwirtschaft: er war der Pascha und sie der Harem, der nach seinen Launen tanzte.

Ich bin nie für Seine Majestät das Kind gewesen, ich bin für guterzogene Kinder. Wenn sie parieren, haben es auch die Eltern leichter, vor allem aber die Kinder. Man kann nicht früh genug parieren lernen – in diesem Leben.

Ich begleitete die Ärztin ein paar Schritt auf der Straße und erkundigte mich sanft, ob ein solches Maß von Verwöhnung noch durch seine Krankheit bedingt sei?

Sie lächelte ein wenig verlegen und meinte, es gehe dem Uli ja jetzt den Umständen nach schon recht gut. Immerhin sei er sehr empfindlich, neige zu Fieber und Rückfällen. Im übrigen sei er doch so entzückend und scharmant ... Und sie fing von meinem Sohn zu schwärmen an, wie eben unverheiratete ältere Mädchen von Kindern schwärmen, mit denen sie nur ein Stündchen am Tage auskommen müssen.

Ich aber dachte an meine kranke Suse, die diesen verwöhnten Erbprinzen zwölf Stunden am Tage würde ertragen müssen. Ich dachte auch an meine Arbeitsruhe, am meisten aber dachte ich an den Sohn selbst. Also eröffnete ich der Ärztin, ich würde doch noch gerne, ihr Einverständnis vorausgesetzt, einen Spezialisten zuziehen ...

Natürlich war sie einverstanden, dies war sogar ihr dringender Wunsch! Wir verabschiedeten uns rasch und recht kühl.

Am Nachmittag kam ich dann sogar mit zwei Ärzten an, männlichen Ärzten. Diese Untersuchung fand ohne ›Tod und Leben‹ statt, ohne alle Erpressung. Mein Sohn war auch viel zu schlau, um so etwas diesmal zu versuchen. Das Ergebnis war, daß er gesundgeschrieben und nur noch leichte Schonung empfohlen wurde. Noch am Abend zogen wir aus der Klinik, unter Zurücklassung beträchtlicher Mengen russischer Eau de Cologne, Puder, Lippen- und Brauenstifte.

Gottlob hat mein Sohn das glückliche Naturell meiner Frau, Tyrannis lag ihm nicht im Blute. Er lernte bald, sich wieder zu fügen, und Mahlendorf, das Land, war da eine ausgezeichnete Schule für ihn. Über Hella, der Erikuh und Rautchen vergaß er übergangslos die Privatklinik und das wirklich aufopfernde Mönchen und sielte sich ohne alle Sehnsucht nach Parfüm in jedem Dreck.

Aber der kleine Herr Pudulle blieb er darum doch, er war sich seines Wertes und seiner Männlichkeit wohl bewußt. Noch heute, im reifen Alter von zwölf Jahren, ist ihm der Hang eigen, weibliche Wesen als minderwertig zu ignorieren, noch heute beginnt er seine Briefe fast stets mit der Anrede ›Lieber Papa‹ – als gebe es seine Mutter, die er doch zärtlich liebt, nicht auf der Welt.

Danach kann man sich denken, wieviel Reibungsflächen es zwischen ihm und Fräulein Bäht gab, die Männer schrecklich fand, Kinder noch schrecklicher, aber Jungens am schrecklichsten. Fräulein Bäht wollte meinen Sohn kommandieren, sie wollte ihn tyrannisieren, aber was ihr beim ganzen Haus gelang, bei dem Bengel gelang es ihr nicht. Sie haßten sich gegenseitig gründlich.

Nun begab es sich zu der Zeit der mißglückten Obsttage und erhöhten Spannungen, daß Bettinchen gar zu giftig irgendeine große Dorftöle angeiferte. Die Töle schnappte zu, Fräulein Bäht sprang dazwischen und rettete Bettina, bekam aber einen kräftigen Schmiß in den Arm.

Meine Frau erzählte mir davon, sie hatte Fräulein Bäht den Arm verbunden. Der kleine Herr Pudulle saß auch im Zimmer, in einer Ecke, unter einem Stuhl, anscheinend völlig in sein Bilderbuch vertieft.

»Mir wurde beinahe schlecht«, erzählte Suse, »als ich der Bäht den Arm verband. Das dicke Fett quoll hervor, gleich unter der Haut, und denke dir, es ist genau so gelb wie Hühnerfett!«

Aus! Danke! Wir dachten nicht mehr daran, später setzten wir uns zum Mittagessen nieder, zu einer jener Mahlzeiten, die früher so vergnügt gewesen waren, und die jetzt meist durch Fräulein Bähts schlechte Stimmungen verdüstert waren.

Es gab einen Zank zwischen Fräulein Bäht und dem kleinen Herrn Pudulle. Sie behauptete, er habe seine Füße unter dem Tisch an ihrem Kleid abgewischt, er versicherte, daß nicht, sie doch, er nein, sie doch – beide völlig auf dem gleichen Niveau, fünfundfünfzig und vier Jahre.

Schließlich sagte sie, weiß vor Empörung:

»Ekelhafter Bengel!«

Worauf mein Sohn antwortete: »Olles dummes Fräulein Bäht!«

Da ich Züchtigungsrecht nur über meinen Sohn besitze, verabfolgte ich ihm ein paar Katzenköpfe und befahl ihm mit donnernder Stimme, sofort vom Tisch aufzustehen und sich ungegessen in sein Bett zu begeben.

Schluchzend gehorchte der kleine Herr Pudulle. Aber in der Tür blieb er stehen und rief weinend abermals: »Olles dummes Fräulein Bäht – du hast ja Hühnerfett im Arm, sagt Mummi!«

Worauf er mit überstürzter, allerdings auch dringend gebotener Hast entschwand.

Wir saßen erstarrt. Selten ist bei uns in so überaus höflicher Form um Schüsseln gebeten und gedankt worden. ›Bitte sehr‹ und ›Danke schön‹ waren die einzigen Worte, die in unserer Runde erklangen. Fräulein Bäht wandte nicht einmal sie an, sie saß weiß und starr wie ein Marmorbild da und aß nichts.

›Hühnerfett! Hühnerfett!‹ ging es immer wieder durch meinen Kopf. ›Das ist das Ende! Das verwindet sie nie!‹

Nach dem Essen kümmerte ich mich erst einmal um meinen Sohn. Er lag befehlsgemäß im Bett, hatte das Zimmer sogar verdunkelt, und selbst mein Lichteinschalten konnte ihn nicht aus seinem verstellten Schlaf wecken. Der Einfachheit halber ließ ich es dabei.

Als ich dann in mein Zimmer kam, war die Schlacht zwischen Suse und Fräulein Bäht bereits in vollem Gange. Ausgehend vom heutigen Fall beklagte sie sich weinend darüber, daß alle Hausgenossen sie mit Verachtung behandelten. Sie sei rein gar nichts, keiner gebe ihr ein freundliches Wort, und dieser ekelhafte Bengel werde geradezu ermuntert, sie zu beleidigen ...

Vergeblich suchte ihr die sanfte Suse vorzustellen, daß von Beleidigung durch ein vierjähriges Kind nicht die Rede sein könne. Der Junge sei unverschämt gewesen, und er habe auch sofort seine Strafe bekommen.

Nein, die Bäht beharrte darauf, sie sei beleidigt worden, der Junge sei angestiftet. Das – Hühnerfett habe er nicht aus sich gehabt ...

Suse wurde rot, und die Bäht, dies bemerkend, ging schärfer zum Angriff vor. Mein armes gutes Weib, das monatelang ohne Klage unter der Bähtschen Knute gelebt hatte, wurde zu einer feigen Verschwörerin, einer bewußten Beleidigerin.

All das hatte nicht den geringsten Sinn mehr, dieser zerbrochene Pott war nicht mehr zu kitten. Auch war ich nicht gesonnen, mein sanftes Weib noch länger von diesem Drachen kränken zu lassen. Aus lauter schlechtem Gewissen wegen ihrer Bemerkung über das Hühnerfett kam Suse sich schon wirklich wie eine Sünderin vor und wagte kaum, sich zu verteidigen. Ich griff ein und schlug Fräulein Bäht eine Lösung unseres Verhältnisses vor. Es passe insofern gut, als heute grade der Fünfzehnte sei, ob wir uns zum Ersten trennen wollten?

Dies schien Fräulein Bäht nicht ganz recht zu sein, sie erhob Einwendungen. Im ganzen hatte ich den Eindruck, sie hatte diesen Zwischenfall nur dazu benutzen wollen, ihre Herrschaft zu befestigen und auszudehnen. Eine Kündigung hatte sie weder beabsichtigt noch erwartet, wie jeder von uns hielt auch sie sich auf ihrem Posten für unersetzlich. Doch blieb ich unbeugsam, ich sprach die offizielle Kündigung aus. Fräulein Bäht erbat sich Urlaub für den Nachmittag auf einen Weg in unsere Stadt Bergfeld, bekam ihren Urlaub und ging, jedes Gramm gekränkte Unschuld.

Wir erlebten den erlöstesten, vergnügtesten Nachmittag. Die Würfel waren gefallen, wir würden uns trennen, binnen vierzehn Tagen würde es keine Bähtschen Stimmungen mehr geben. Die Mädels sangen, Suse lächelte – alle arbeiteten selten vergnügt im Garten. Um vier Uhr erlöste ich meinen Sohn aus seinem dunklen Bett und schickte ihn, nach kurzer väterlicher Ermahnung, zu den andern in den Garten. Ich hatte das Haus für mich allein, ich setzte mich an meine Schreiberei.

Ich weiß nicht, welche Ahnung trüben Unheils mich gegen fünf Uhr von meiner Arbeit hochtrieb. Ich stand auf und wanderte unruhig durchs Haus. Ich bin solch ein Hauskater geworden, ich spüre es immer, wenn etwas im Hause nicht in Ordnung ist.

Im Garten hörte ich die Mädchen singen, vom Fenster aus sah ich Suse über ein Beet gebückt stehen. Argwöhnisch schnuppernd ging ich weiter. Im Zimmer meines Sohnes angekommen, stand ich verblüfft da. Von neuem ist der Raum verdunkelt, von neuem liegt der vor einer Stunde Erlöste im Bett, in verstelltem Schlaf. Ich halte mich nicht auf. Er muß etwas Schreckliches angerichtet haben, daß er sich freiwillig ins Bett gepackt hat. Banger Ahnungen voll eile ich durch die restlichen Räume.

In der Tür von Fräulein Bähts Zimmer bleibe ich erschrocken stehen. Hier hat es gebrannt, noch füllt übler Papierqualm die Luft. Ein Blick auf die herausgezogene Schublade, halb angebranntes Briefzeug unterrichtet mich: das Feuer ist erloschen. Ich eile und hole Suse!

Die am Tatort zurückgelassenen Beweisstücke lassen uns unschwer den Sachverhalt rekonstruieren. Mein erlöster Sohn hatte sich, statt in den Garten zu gehen, tatenlüstern in allen Stuben des stillen Hauses herumgetrieben. In Fräulein Bähts Zimmer angelangt, hatte er auf dem Nachtschränkchen Streichhölzer entdeckt. Aus einer Kommodenschieblade, die wahrscheinlich offen stand, hatte er Briefe entnommen, und damit ein Feuerchen entfacht. Dann war er zur Untersuchung der Nachttischschieblade übergegangen, hatte Schokolade und Bonbons gefunden und zum Teil aufgefressen.

Auch die auf dem Nachttisch stehende Kerze hatte er entzündet. Von der Kerzenflamme war der Papierschirm über der elektrischen Lampe aufgeloht – die brennenden Fetzen waren auf das Bett gefallen, und angstvoll war mein Sohn entflohen!

Die brennenden Fetzen waren nicht nur auf das Bett gefallen, auf dem Bett hatte gelegen und lag noch Bettinchen, die giftige Kläfferin. Und hier, jetzt, in dem einzigen Augenblick, wo ihr Kläffen von Nutzen gewesen wäre, wo sie mich, den zwei Zimmer weiter Sitzenden, herbeigerufen hätte, hier hatte die unbegreifliche Bettina geschwiegen! Die lohenden Papierstücke waren auf ihr Fell gefallen, sie hatte sich nicht gerührt. Noch jetzt lag sie da und glotzte uns mit ihren bernsteinfarbenen vorstehenden Augen an, ohne Kläffen ließ sie sich die Aschenflocken aus dem Fell nehmen! Unbegreifliche Bettina!

Aber noch unbegreiflicheres Fräulein Bäht!

Erst aber kam der Sohn heran, kein noch so gut geheuchelter Schlaf wurde respektiert. Er bekam eine Wucht, die ihn bis zum heutigen Tage vom Spielen mit Streichhölzern heilte!

Dann saßen seine Mutter und sein Vater beisammen und warteten beklommen auf die Rückkehr Fräulein Bähts. Eine sehr unangenehme Auseinandersetzung stand uns bevor. Dies war nun wirklich äußerst peinlich! Wenn wir daran dachten, was uns die Bäht alles sagen würde und eigentlich mit Recht sagen würde! Dieser infame Bengel! Dieser elende Herr Pudulle – in was für Schwierigkeiten hatte er uns gestürzt!

Unbegreifliches Fräulein Bäht! Sie kam, und stockend machte ich ihr die notwendigen Mitteilungen, ehe sie noch ihr Zimmer betreten hatte. Sie lächelte! Sie meinte, das sei wohl nicht so schlimm. Ich beschwor sie gradezu, nicht so guter Laune zu sein, Briefschaften seien verbrannt, womöglich wichtige Dinge. Sie möge doch erst einmal feststellen ...

Sie stellte fest, sie kam wieder, sie sagte lächelnd, nur ganz gleichgültige Briefe fehlten. Sie war eitel Freundlichkeit, nicht ein Vorwurf kam von ihren Lippen ...

Und so ist sie die ganze letzte Zeit geblieben, in den letzten vierzehn Tagen lernten wir ein ganz anderes Fräulein Bäht kennen. Nicht gerade einen Engel, aber einen völlig erträglichen Menschen. Ich verstehe es nicht. Zuerst haben wir gedacht, sie habe in Bergfeld etwas so Günstiges erfahren, daß sie dadurch in solch glänzende Stimmung versetzt sei. Aber dann hörten wir, daß sie sich dort nur auf der Arbeitsfront nach den Aussichten für einen Prozeß gegen uns erkundigt, aber einen ungünstigen Bescheid erhalten hatte. Dann dachten wir, sie habe eine andere, viel bessere Stellung in Aussicht. Aber von uns aus ging sie überhaupt nicht wieder in Stellung. Sie hatte sich ein kleines Haus zusammengespart, in das sie jetzt endgültig zog.

Kein Grund zu entdecken für diese Milde, diesen Stimmungsumschwung. Manchmal noch liege ich wach und denke über Fräulein Bäht nach. Menschen, die ich nicht verstehe, sind wie ein juckendes Ekzem für mich, ich muß immer wieder daran herumkratzen, ob ich will oder nicht. Aber Fräulein Bäht enträtsele ich nicht.

Vielleicht kommen ihr diese Zeilen zu Gesicht – aber bitte schreiben Sie mir nicht, Fräulein Bäht! Lieber will ich mich weiter jucken. Denn diesmal würden Sie noch schlimmer beleidigt sein als damals mit dem Hühnerfett, und das möchten wir doch nicht gerne, nachdem Sie damals so munter mit der giftigen Bettina abgezogen sind! Schreiben Sie uns nicht, erhalten Sie uns Ihr Lächeln, Fräulein Bäht!


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