Gustav Theodor Fechner
Vorschule der Ästhetik Teil 1
Gustav Theodor Fechner

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VI. Prinzip der einheitlichen Verknüpfung des Mannigfaltigen.

1) Aufstellung des Prinzips.

Es ist ein wichtiges Prinzip, um das es sich hier handeln wird, seinem Ausspruche nach zwar einfach genug, doch der Betrachtung mancherlei Seiten und Gesichtspunkte, der Ver-wendung manche Schwierigkeiten bietend.

Nach angeborener Einrichtung bedarf der Mensch, um sich bei aktiver oder rezeptiver Be-schäftigung mit einem Gegenstand wohl zu fühlen, eines gewissen Wechsels der Tätig-keitsmomente oder Eindrücke, wozu der Gegenstand die Gelegenheit in einer Mannig-faltigkeit von Angriffspunkten bieten muß. Fehlt es an der erforderlichen Gelegenheit in dieser Hinsicht, so macht der Gegenstand den mißfälligen Eindruck der Monotonie, Einförmigkeit, Langweiligkeit, Leere, Kahlheit, Armut, und treibt dadurch zum Übergange zu anderen Gegenständen. Nach eben so angeborener Einrichtung aber verlangt der Mensch, um sich wohl zu fühlen, daß für die ganze Dauer der Beschäftigung mit einem Gegenstande alle sich in der Zeit und dem Raume folgenden Momente der Beschäftigung durch Punkte der Gemeinsamkeit zusammenhängen oder, wie man kurz sagt, einheitlich verknüpft sind; widrigenfalls entsteht das mißfällige Gefühl der Zerstreuung, Zersplitterung, Zusammenhangslosigkeit, oder selbst des Widerspruches, was ebenfalls zum Übergange zu anderen Gegenständen treibt. Wo nun überhaupt das Bedürfnis eines Wechsels der Beschäftigung, sei es aus diesem oder jenen Grunde, eintritt, braucht man dafür nach Umständen den Ausdruck des Überdrüssigseins oder der Ermüdung durch die frühere Beschäftigung.

Seltsam, daß die Sprache keine eben so gut bezeichnenden und unterscheidenden Ausdrücke für die beiden Seiten des Gefallens, welche in der Befriedigung unseres Prinzips zusammentreffen, bietet, als für die des Mißfallens, welche durch Verletzung desselben entstehen. Ein Kunstwerk kann uns dadurch gefallen, daß wir uns die Verknüpfung alles dessen, was daran ist, durch eine einheitliche Idee zum Bewußtsein bringen, aber auch dadurch, daß sich unsere Betrachtung in der Mannigfaltigkeit der so verknüpften Teile und Momente ergeht. Das sind tatsächlich verschiedene Seiten des Gefallens, die beim vollen Genügen zusammentreffen müssen; aber wie sie sprachlich unterscheiden? Allenfalls wird sich sagen lassen, daß man von erster Seite sich einheitlich gestimmt, von zweiter unterhalten finde.

In Kürze faßt sich nach Vorigem das ästhetische Prinzip, um das sich hier handelt, dahin zusammen: daß der Mensch, um Gefallen an der rezeptiven Beschäftigung mit einem Gegenstande zu finden — denn mit der aktiven befaßt sich die Ästhetik wesentlich nicht — eine einheitlich verknüpfte Mannigfaltigkeit daran dargeboten finden muß.

Was wir einheitlich verknüpfte Mannigfaltigkeit nennen, übersetzt sich näher zugesehen in eine Übereinstimmung des Mehreren nach gewisser Beziehung bei Abweichung nach anderen. Diese Übereinstimmung braucht nicht in qualitativer Gleichheit zu beruhen, sondern kann auch in Übereinstimmung der Teile eines Ganzen zu einem gewissen Zweck, einer gewissen Idee oder in Kausalverknüpfung der Momente eines Geschehens, (die stets eine Abhängigkeit von demselben Gesetze voraussetzt,) liegen, und aus niederem oder höherem Gesichtspunkte statt finden, wie weiterhin zu besprechen und an Beispielen zu erläutern sein wird.

An sich kann einheitliche Verknüpfung nicht ohne Mannigfaltigkeit bestehen, denn ohne solche hätten wir einfache Identität. Bei einer kurz dauernden Beschäftigung aber reicht schon eine sehr geringe Mannigfaltigkeit hin, den Geist Genüge und selbst positives Gefallen finden zu lassen, wenn es an der Einheit darin nicht fehlt; wogegen uns eine Mannigfaltigkeit, die keinen Einheitsbezug geltend macht,Wenn die Glieder einer solchen Mannigfaltigkeit uns jedes für sich annehmlich sind, so entsteht hierdurch ein Konflikt mit der Unannehmlichkeit, die von dem mangelnden Einheitsbezuge dazwischen abhängt. Von Konflikten aber wird später die Rede sein, zunächst ist hier davon abzusehen. nicht nur widersteht, je länger sie sich uns aufdringt, sondern so ziemlich von vorn herein. Und wenn wir, getrieben vom Bedürfnisse des Wechsels, zur Beschäftigung mit etwas Neuem übergehen, werden wir doch nicht zu einer zersplitterten Mannigfaltigkeit, sondern nur zu etwas Anderem, was wieder einheitlich verknüpft ist, übergehen wollen. Insofern scheint auf den Gesichtspunkt der Einheit größeres Gewicht als auf den der Mannigfaltigkeit zu legen; doch dürfte man nicht sagen, daß das Gefallen wesentlich an einem Übergewicht der Einheit über die Mannigfaltigkeit, d. i. wo das Gleiche das Ungleiche überwiegt, hänge, um nicht ein weißes Papier, einen rein ausgehaltenen Ton für das Schönste der Welt zu halten. Bei jedem größeren Ganzen, was uns in einer gewissen Dauer beschäftigen soll, werden wir vielmehr viel Ungleichheit verlangen, die nur irgendwie einheitlich vermittelt und gebunden sein muß, um uns dadurch gefesselt zu finden.

Zeitliche und räumliche Mannigfaltigkeit treten insofern unter denselben Gesichtspunkt, als die räumliche Mannigfaltigkeit, wenn schon bis zu gewissen Grenzen zugleich auffaßbar, doch, um deutlich erfaßt zu werden, nach einander mit der Aufmerksamkeit verfolgt werden muß, in der zeitlichen Mannigfaltigkeit aber das Fortwirken der frühern Eindrücke in die spätern hinein eine gewisse Gleichzeitigkeit derselben bedingt.

Sie treten hingegen unter verschiedene Gesichtspunkte dadurch, daß bei der räumlichen Mannigfaltigkeit die Richtung des Verfolges mehr oder weniger willkürlich, bei der zeitlichen, insofern sie nicht zugleich eine räumliche ist, durch die gegebene Folge derselben selbst vorgeschrieben ist.

Daß Einheitsbezüge zu einer verschiedenen Höhe ansteigen können, erläutert sich so: In einer Mannigfaltigkeit unterscheidbarer Teile, Elemente, Momente, kurz Glieder, kann man nicht nur die Glieder selbst, sondern auch die zwischen den Gliedern mehrfach vorkommen-den Unterschiede oder Verhältnisse mehr oder weniger gleich oder ungleich finden. Durch die Gleichheit von Unterschieden oder Verhältnissen zwischen gegebenen Gliedern eines Ganzen wird ein höherer einheitlicher Bezug dieser Glieder begründet, als den einzelnen Gliedern sei es für sich vermöge ihrer Untergliederung zukommt, oder dem Ganzen bei Wegfall der Unter-schiede zwischen den Gliedern zukommen würde. Statt Gleichheit der Unterschiede oder Verhältnisse aber kann auch eine durch dieselbe vermittelte Zusammenstimmung der Glieder zu etwas Gleichem stehen.

Zum Beispiel:

Der Einheitsbezug, welcher die Teile eines Kreises verknüpft, ist höher als der, welcher die Teile einer geraden Linie verknüpft, und der Einheitsbezug zwischen den Teilen einer Ellipse höher, als zwischen den Teilen eines Kreises. Bei der geraden Linie nämlich liegt der Einheitsbezug unmittelbar in der gleichen Richtung aller ihrer Elemente begründet. Beim Kreise weicht jedes dem andern gleiche Element vom nächsten in der Richtung ab, aber um gleich viel ab: kurz die Unterschiede und hiermit zugleich Verhältnisse dieser Richtungen zu einander sind für die an einander grenzenden oder auch um gleich viel von einander abliegenden gleichen Elemente gleich; bei der Ellipse sind auch diese Unterschiede ungleich; jedes Element weicht vom nächsten oder gleich nahen um einen andern Winkel ab, aber die Unterschiede zwischen diesen Unterschieden, sog. Unterschiede höherer Ordnung, sind durch eine gemeinsame Regel verknüpft, in welcher sie zusammenstimmen, und welche der Mathematiker in einer Formel auszudrücken vermag. — Wird eine gleichförmige Fläche gleichförmig gestreift, so begründet die Regel dieser Streifung einen höheren Einheitsbezug, als die Gleichförmigkeit, die jedem Streifen für sich zukommt, oder die einer ganzen gleichförmigen Fläche zukommen würde, indem statt einer Gleichheit aller Teile die Unterschiede, welche durch die gleichförmige Streifung in die Fläche gebracht werden, sich folgweis in gleichen Abständen durch die ganze Fläche durch gleichen.

Eines Menschen sämtliche Handlungen können durch die Beziehung auf sein eigenes Wohl einheitlich in sich verknüpft sein; sie können auch durch die Beziehung auf das größtmögliche Wohl Aller einheitlich mit denen von anderen Menschen einheitlich verknüpft sein. Letztre Beziehung ist höher als erstere, indem die Unterschiede zwischen den Handlungen der Einzelnen in diesem Sinne zusammenstimmen müssen.

Bei Betrachtung eines Bildes, welches ein Kampfgewühl darstellt, finden sich die Momente des Benehmens eines jeden Kämpfers durch die Vorstellung seines Strebens, den Gegner zu überwältigen, einheitlich verknüpft, das sehr verschiedene Benehmen Aller hierbei aber in höherem Sinne durch das Motiv, um was sich’s bei dem Kampfe Aller handelt.

Im Allgemeinen ist mit dem Eintritt höherer Einheitsbezüge zugleich die Möglichkeit mehrer Gesichtspunkte derselben gegeben, wie denn mit der gleichförmigen Richtungsänderung aller Teile des Kreises sich der gleiche Abstand derselben von einem gegebenen Punkte verbindet, was man einen zusammengesetzten oder multipeln Einheitsbezug nennen kann. In der Ellipse tritt zu dem höheren Einheitsbezuge, welcher die Elemente der Kurve verknüpft, derjenige, welcher die Radii vectores verknüpft, sofern die Summe je zweier Radii vectores, von den Brennpunkten an den Umfang gezogen, gleich ist.

Wo nicht, wie bei dem goldenen Schnitt, Verhältnisse von Teilen zu dem, die Teile selbst mitinbegreifenden Ganzen, sondern nur Verhältnisse der Teile unter einander in Betracht gezogen werden, kann die größere Höhe einheitlichen Bezuges nur auf Grund vermehrter Zahl der Unterschiede größerer multipler Mannigfaltigkeit bestehen; wogegen nicht umgekehrt vergrößerte Zahl der Verschiedenheiten notwendig einen höhern Einheitsbezug mitführt.

Vor weiter und tiefer eingehender Erörterung erläutern wir das Prinzip an einer Reihe von Beispielen, die, scheinbar sehr abweichender Natur, sich demselben gemeinsam unterordnen, hiermit für seine große Tragweite beweisen. Um sich aber nicht überall durch scheinbare Widersprüche geirrt zu finden, wird Dreies im Auge zu behalten sein, was übrigens nicht bloß für dieses Prinzip gilt, sondern nicht minder auf andere ästhetische Prinzipe übertragbar ist, auch schon im Wesentlichen durch frühere allgemeinere Bemerkungen vorgesehen ist.

Zuvörderst kommt es objektiverseits dabei auf die Einheit und Mannigfaltigkeit wesent-lich nur insoweit an, als sie auch als solche von uns aufgefaßt wird, hiermit sich in eine subjektive umsetzt. Im Grunde ist nichts in der Welt so disparat, daß es nicht durch Punkte der Gemeinsamkeit verknüpft wäre, und nichts so gleich, daß es nicht in irgendwelchen Punkten abwiche; aber insofern wir diese Punkte nicht aufzufassen vermögen, sind sie auch für das Prinzip nicht vorhanden. — Zweitens ist die einheitliche Verknüpfung des Mannigfaltigen zwar immer eine Bedingung im Sinne der Lust (vergl. Abschn. V), die aber keinesweges für sich allein immer hinreicht, das Gefallen über die Schwelle zu treiben. Während uns ein einheitlicher Gesichtspunkt, den wir nicht aufzufassen vermögen, ästhetisch von vorn herein nicht berührt, hört ein solcher, der uns ganz geläufig geworden ist, wozu unzählige in unseren Leben und unserer Umgebung gehören, auf, uns ästhetisch zu berühren, vermag unsere Aufmerksamkeit nicht mehr zu fesseln, weil wir abgestumpft dagegen sind, hingegen entgeht manchem Gesichtspunkt die Kraft dadurch, daß wir durch Anderes zerstreut sind. — Drittens, da die einheitliche Verknüpfung nicht die einzige Bedingung im Sinne der Lust ist, und es auch Bedingungen in gegenteiligem Sinne gibt, so kann sie eben sowohl durch Zutritt gleichsinniger Bedingungen in ihrer Wirkung unterstützt und gehoben, als durch ungleichsinnige überwogen werden, und aus letzterem Gesichtspunkte bei aller Befriedigung des Prinzips auch Mißfallen oder bei Nichtbefriedigung desselben Wohlgefallen entstehen, beidesfalls nur in geringerem Grade, als ohne den Konflikt der Fall sein würde. Wo nun das Prinzip fehl zu schlagen scheint, wird man den Grund immer in einem dieser Gesichtspunkte finden können.

2) Beispiele.

Wir unterschieden an unserem Prinzip zwei Seiten, eine Seite der Einheit und eine Seite der Mannigfaltigkeit, welche zum Gefallen zusammenzuwirken haben. Heben wir zuerst Beispiele hervor, in denen die erste Seite besonders augenfällig zur Geltung kommt.

Die einfachste Erläuterung in dieser Hinsicht findet das Prinzip in dem Gefallen, was wir an der gleichförmigen Reinheit einer Farbenfläche, an dem reinen Zuge einer Linie, einem rein ausgehaltenen Tone, der reinen Glätte einer Fläche beim Hinstreichen des Auges oder Fingers darüber finden, indem durch die sinnliche Gleichheit der Empfindung, welche alle Raum- und Zeitpunkte verknüpft und die leichte Faßlichkeit dieses Einheitsbezuges dem Einheitsprinzipe in vollkommenstem Grade genügt wird, indes die Mannigfaltigkeit hier auf den geringstmöglichen Grad herabgedrückt ist, nur insofern nicht ganz fehlt, als sie noch in der verschiedenen Raum- und Zeitlage der einzelnen Punkte gefunden werden kann.

In der Tat kann selbst der gleichförmig gefärbten Fläche, dem rein ausgehaltenen Tone eine gewisse Mannigfaltigkeit aus letzterem Gesichtspunkte nicht abgesprochen werden. Betrachte man z. B. das Gewimmel der Sterne am Himmel oder die Augen eines Würfels, oder horche auf die Schläge eines Taktmessers, so wird man die Verschiedenheit der Raum- und Zeitlage nicht überhaupt für gleichgültig halten können , nur daß sie freilich durch das Verfließen ausserordentlich an Deutlichkeit abnimmt. Doch bleibt es etwas Anderes, sich mit dem Auge in der Mannigfaltigkeit der Punkte einer gleichförmigen Fläche ergehen, als denselben Punkt konstant fixieren. Wir haben hier nun eben den zugleich einfachsten und deutlichsten Einheitsbezug mit der geringstmöglichen, undeutlichsten Mannigfaltigkeit.

Alles dergleichen wird uns nun freilich bald langweilig, wenn es uns längere Zeit beschäftigen soll. Aber selbst das schönste Kunstwerk wird uns langweilig, sollen wir zu lange dabei verweilen; es tritt nur das Bedürfnis des Wechsels bei der reinen Gleichförmigkeit oder gleichförmigen Reinheit schneller ein als bei einem Kunstwerke, welches wegen größeren inneren Wechsels das Bedürfnis eines äußeren minder schnell fühlbar werden läßt. Im Allgemeinen ergeht sich doch das Auge gern einige Zeit auf einer reinen Farbentafel, zumal wenn man sich das Dasein ihrer Reinheit dabei zum Bewußtsein bringt, und kann man sich am reinen Zuge einer Linie, an einem rein ausgehaltenen Tone wohl erfreuen, wenn man die Aufmerksamkeit darauf richtet; wogegen jeder Fleck, jedes Sprisselchen, jede regellose Biegung, Verdickung oder Verdünnung einer übrigens rein und gerade gezogenen Linie, jedes Geräusch als Beimischung eines Tones, jedes unmotivierte Schwanken in seiner Höhe, jede Rauheit, der wir auf einer übrigens glatten Fläche begegnen, die Wohlgefälligkeit vermindert oder Mißfallen weckt, indem der Einheitsbezug der störenden Stelle zu jeder anderen Stelle dadurch verloren geht, hiermit die Einheitsbeziehung des Ganzen einen Bruch erleidet.

Man kann bemerken, daß der Zuwachs des Mißfallens an einer Unreinheit nicht mit dem Zuwachs der Unreinheit selbst gleichen Schritt hält. Ein kleiner Schmutzfleck auf einer übrigens ganz reinen Fläche stört uns ausnehmend; kommt ein zweiter hinzu, so wächst das Mißfallen in der Regel wohl, doch in viel geringerem Verhältnisse, und unter Umständen fast gar nicht. Manche Frau ist über den ersten Fleck, der auf ihr weißes Kleid oder Tischtuch gemacht wird, außer sich; kommt ein zweiter hinzu, so denkt sie, es war nichts mehr daran zu verlieren. Dabei kommen freilich auch ethische Verhältnisse in Rücksicht, sie gehen aber mit den ästhetischen Hand in Hand, und es gilt von moralischen Flecken dasselbe als von physischen. Von diesem Zurückbleiben der Mißfälligkeit hinter der Ursache derselben läßt sich ein doppelter Grund angeben. Einmal wächst nach einem (schon im Punkt 1 berührten) psychophysischen, durch Beziehung auf Lust- und Unlustreize in die Ästhetik übertragbaren, Gesetze eine Empfindung überhaupt mit Verstärkung des Reizes über einen gewissen Grad hinaus schwächer als der Reiz, oder selbst gar nicht mehr merklich. Ein Licht, in eine fast dunkle Stube gebracht, fügt außerordentlich viel Helligkeit hinzu; ein zweites gleiches hinzugebracht, läßt die Helligkeit nur noch in unverhältnismäßig geringerem Verhältnisse wachsen. Zweitens wird bei Verdoppelung einer störenden Stelle doch die Störung insofern nicht ganz verdoppelt, als die störenden Stellen selbst und die Weisen ihrer Störung etwas Gleiches darbieten. Beide Gründe dürften im Allgemeinen zusammen in Betracht zu ziehen sein.

So wenig gleichförmige Reinheit uns lange für sich zu fesseln vermag, so willkommen ist uns doch im Allgemeinen die Reinheit der Konture, der Farben in den Teilen eines Kunstwerkes, weil jeder Teil von selbst nur die kurze Betrachtung in Anspruch nimmt, über die hinaus er anfangen würde uns langweilig zu werden. Gehen wir doch bald von einem Teile zum anderen über, um damit des zwischen ihnen bestehenden höheren Einheitsbezuges zu gewahren; nun kann sich die Gewahrung des niederen an der Gleichförmigkeit der Teile in vorteilhafter Weise damit verbinden. Unstreitig zwar können wir die Reinheit von Konturen auch deshalb fordern, weil der darzustellende Gegenstand dadurch schärfer ins Licht tritt, aber Beides widerspricht sich nicht, sondern hilft sich; sonst könnte uns eine reingezogene Linie nicht auch außer einer Zeichnung besser gefallen als eine unrein gezogene.

Die stärkste Störung erfährt natürlich die Gleichförmigkeit eines Eindruckes durch seine völlige Unterbrechung; und man kann sagen, daß solche an sich überall im Sinne der Unlust ist, nur daß die Schwelle der Unlust namentlich durch einzelne Unterbrechungen nicht überall überstiegen wird, und Regelmäßigkeit der Unterbrechungen eine Kompensation bewirken kann, sofern damit ein höherer Einheitsbezug eintritt, der für den Bruch des niederen zu entschädigen vermag, wie jedenfalls vom Takt im Gebiete des Gehörs gilt; doch reicht diese Entschädigung nicht überall anderwärts zu. Ein irgendwie intermittierender Lichtreiz kann uns durch seine Unterbrechungen geradezu peinlich werden; das Hinfahren über eine raue Oberfläche, deren Rauheit doch nur auf Unterbrechungen ruht, wird Niemand behagen, und eben so mißfällt jedem ein unregelmäßiges Geklapper. Plötzliche starke Änderungen kommen der völligen Unterbrechung im Effekt nahe. Also steht allgemein gesprochen alles Rauhe, Grelle, Schroffe, Eckige, Abrupte, Zerrissene im Nachtheil der Wohlgefälligkeit gegen das Sanfte, Runde, Fließende, in sich Zusammenhängende, aus einander Folgende, durch Übergänge Vermittelte, und knüpfen wir nicht nur unwillkürlich die Vorstellung einer Ungefälligkeit an jene Ausdrücke, sondern brauchen sie auch geradezu zur Bezeichnung einer solchen.

Der ästhetische Vorteil wie Nachteil aus vorigen Gesichtspunkten kann freilich in unzähligen Fällen durch Gegenwirkungen überboten werden. Daß das Weib rundlichere, fließendere Formen hat als der Mann, begründet allgemeingesprochen einen Schönheitsvorteil desselben, der unter den vorigen Gesichtspunkt tritt, vor dem Manne; aber unmöglich wäre es, die weibliche Schönheit allein aus diesem Gesichtspunkte zu verstehen und danach zu messen. Das dicke fette Weib gefällt uns trotzdem, daß es in fließender Rundung der Formen das schönste, um so mehr den schönsten Mann übertrifft, doch schon deshalb weniger, weil für eine nicht zu kurze Betrachtung das Bedürfnis der Mannigfaltigkeit durch die einfachen Rundungen der Form weniger befriedigt wird, missfällt uns aber sogar, weil sich an die Formen der Korpulenz die ungefällige Vorstellung von einer Beschwerung des Körpers durch eine Masse, die seinen Kräften nichts zusetzt, nur seiner freien Beweglichkeit schadet, von überschrittener Jugend, von trägem Leben knüpft; indes bei Persern und Türken, denen träge Ruhe eher gefällt als mißfallt, wegen geringeren Bedürfnisses der Abwechselung und Zurücktretens jener Assoziationen junge Mädchen sogar gemästet werden, um sie durch rundlichere Formen um so reizender zu machen.

Eine viereckige Tasse vermöchte uns nicht eben so gut zu gefallen als eine runde, ungeachtet sie dem Zweck eben so gut entspräche, weil, alles Übrige gleich gesetzt, das Runde überhaupt gefälliger als das Eckige ist; aber in unzähligen Fällen ziehen wir doch um des Zwecks oder anderer Nebenbedingungen willen das Eckige, ja sogar die scharfe Ecke vor.

Wird eine, erst als gleichförmig vorgestellte, weiße oder Farbenfläche marmoriert, gestrichelt, getüpfelt, so wächst die Mannigfaltigkeit, aber der einheitliche Bezug aller Teile der Fläche geht mehr oder weniger verloren. Ist nun die Variation, welche in dieselbe gebracht wird, ganz prinziplos, werdenz. B. hier große, da kleine, hier regelmäßige, da unregelmäßige, hier rote, da schwarze Kleckse, dazu geradlinige, krummlinige, geknickte Linien unter einander auf der Fläche angebracht, so lehrt die Erfahrung, daß das Niemanden gefällt; selbst das Tätowieren der Wilden hält Gesichtspunkte der Regelmäßigkeit ein: Beweis, daß mit möglichster Mannigfaltigkeit allein keine Wohlgefälligkeit zu erzielen ist. Wenn hingegen durch die Marmorierung, Strichelung, Tüpfelung ohne strenge Regel ein gewisser gemeinsamer Charakter durchgeht, und selbst diese Benennungen weisen uns auf einen solchen hin, so kann eine solche Fläche nicht nur noch recht wohl gefallen, indem der Einheitsbezug, den jener Charakter voraussetzt, zwar minder deutlich als der verloren gegangene der Gleichförmigkeit ist, aber doch noch merklich genug ausgeprägt sein kann, um mit Rücksicht auf die vermehrte Mannigfaltigkeit einen Lusterfolg zu geben. Ja Manchem und unter manchen Umständen gefällt dergleichen besser als die monotone Farbe, ohne daß sich allgemein berechnen läßt, was besser gefallen muß, weil hierbei Nebenumstände und subjektive Stimmungen mit ins Spiel kommen. So ist noch nicht zu lange her, daß man allwärts marmorierte Büchereinbände sah, jetzt sieht man solche nirgends mehr.

Letzteres Beispiel aber spielt schon, in die Betrachtung höherer Einheitsbezüge hinein, zu denen wir uns jetzt wenden.

Am nächsten kommt dem einfachen Einheitsbezuge ungetrübter Gleichförmigkeit die gleichförmige Wiederholung gleicher einfacher Eindrücke in Raum oder Zeit, wie sie nur angenähert in vorigem Beispiele, entschieden durch ganz regelmäßige Tüpfelung, Streifung, Cannelierung von Flächen oder regelmäßige Taktfolge einfacher Gehörseindrücke geboten wird. Darüber hinaus aber begründet jede zusammengesetztere Regel, Gesetzlichkeit, Ordnung einen mehr oder weniger hohen und zusammengesetzten Einheitsbezug, beispielsweise in Symmetrie, goldnem Schnitt, Wellenlinie, Schneckenlinie, Mäander, Tapeten- und Teppichmustern von mancherlei Art, Versmaß, Rhythmus, Reim.

Durch jedes Aufsteigen zu einem höheren Einheitsbezuge über der Gleichförmigkeit wird der niedere der Gleichförmigkeit selbst verletzt, indem der höhere nur zwischen einer größeren als bloß räumlichen und zeitlichen Verschiedenheit von Teilen bestehen kann. Hierdurch wird an Mannigfaltigkeit gewonnen, und für den Bruch des niederen Einheitsbezuges tritt, wie schon oben bemerkt, eine Entschädigung durch den höhern ein, hiermit der doppelte Vorteil, daß die größere Mannigfaltigkeit der Langweiligkeit weniger leicht und weniger rasch Raum gibt, und daß der höhere Einheitsbezug einem höheren geistigen Anspruche entgegen kommt. Doch entgehen diese Vorteile nicht ganz Nachteilen, welche unter Umständen überwiegen können.

Einmal findet sich, daß in manchen Fällen der Bruch des niedern Einheitsbezuges mit stärkerem Mißfallen empfunden wird, als durch das Aufsteigen zum höhern ausgeglichen werden kann; zweitens kann die Regel, welche den höheren Einheitsbezug begründet, so kompliziert oder von so hoher Ordnung sein, um nicht faßlich zu sein; dann erscheint sie uns vielmehr als Unordnung statt als Ordnung; und überhaupt nimmt die Schwierigkeit der Auffassung einer einheitlichen Beziehung mit der Höhe derselben zu. Zwar bei einem einfachen Muster empfinden wir noch nichts von einer solchen Schwierigkeit; doch bleibt der einheitliche Bezug der Gleichförmigkeit so zu sagen am aufdringlichsten. Wenn aber hiernach unter Umständen der einfache Einheitsbezug der Gleichförmigkeit in Vorteil gegen einen höheren bleiben kann, ist es doch allgemeingesprochen unmöglich, mittelst der erstem die Wohlgefälligkeit so hoch zu steigern, als mit höheren nur nicht zu hohen Einheitsbezügen; daher die häufige Anwendung, die man von solchen macht.

So gibt man allen Gefäßen, Geräten, Möbeln eine regelmäßige Form, insoweit es der Zweck gestattet, auch selbst, wenn er eine unregelmäßige Form eben so gut gestattete; liebt Kleider, Teppiche, Wände mit regelmäßigen Mustern zu bedecken; gibt Möbeln, Bildern an den Wänden eine symmetrische Stellung zu einander; canneliert Säulen; reiht Gitterstäbe nach der Regel u. s. w., sucht aber bei alle dem die Vorteile des niederen Einheitsbezuges der Gleichförmigkeit noch so gut als möglich dadurch zu wahren, daß man die Teile, welche in den höhern Bezug eintreten, so weit es immer der Zweck gestattet, glatt, in reiner Weiße oder Farbe und in reinen Konturen hält.

In allen Fällen praktischer Verwendung freilich machen sich Mitbestimmungen geltend, die abgesehen von den oben erwähnten inneren Konflikten des Prinzips den Vorteil des höheren Einheitsbezuges verkümmern wie gegenteils unterstützen können. Sonst würden wir nicht noch so viel weiße und einfarbige Kleider und Wände sehen, nicht anderseits so oft in Zweifel sein können, ob wir die Wohlgefälligkeit eines Gegenstandes vielmehr auf seine regelmäßige Form oder die sich assoziativ geltend machende Angemessenheit derselben zu seiner Bestimmung zu schreiben haben. Nur allgemeingesprochen eben scheint der Vorteil des höheren Einheitsbezuges vor dem niederen der Gleichförmigkeit und vollends vor der Regellosigkeit durch alle Mitbestimmungen durch, und tritt um so reiner hervor, je mehr solche fehlen. Um ihn aber so rein als möglich zu haben, muß man solche so sehr als möglich ausschließen; und in dieser Beziehung ist nichts instruktiver als die so zu sagen zauberhafte, allen Mitbestimmungen merklich entzogene, Leistung des Kaleidoskops.

In der Tat mag eine Anordnung noch so gleichgültig oder eine Unordnung noch so ungefällig sein, das Kaleidoskop erzwingt durch den zusammengesetzten Einheitsbezug regelmäßiger Wiederholung mit allseitiger Symmetrie die Wohlgefälligkeit, und ein ziemlich bekanntes Spiel leistet Ähnliches schon mit zweiseitiger Symmetrie. Was für einen Krakel mit Tinte wir auf ein Papier machen, wenn wir es inmitten oder am Rande des Krakels so zusammenbrechen, daß ein symmetrischer Abdruck davon auf der Gegenseite entsteht, so erwächst für die Zusammensetzung des Krakels mit dem Abdruck eine Wohlgefälligkeit, die nur durch die Unreinheit, welche der Abdruck den einzelnen Zügen verleiht, einen gewissen Abbruch erleidet.

Fraglos hiernach, daß auch an der Wohlgefälligkeit der menschlichen Gestalt die zweiseitige Symmetrie wesentlichen Anteil hat; bloß eine Seite des Menschen für sich möchte uns, abgesehen von der freilich vorwiegenden Gewöhnung, die menschliche Gestalt aus assoziativen Gesichtspunkten ins Auge zu fassen, auch nur als ein unregelmäßiger Krakel erscheinen. Ja verletze man durch schiefe Nase, schiefen Mund die Symmetrie, so wird es die Schönheit stark spüren, womit übrigens nicht ausgeschlossen ist, daß an der menschlichen Schönheit noch ganz andere Faktoren mitwirken, denn sie ist so zu sagen so zusammengesetzt als der Mensch selbst. Man kann aber bei dieser Gelegenheit wieder die Leistung des Hilfsprinzips erkennen. Nimmt man dem menschlichen Körper seine Symmetrie, so verliert seine Schönheit viel mehr, als man nach der Leistung bloß bedeutungsloser Symmetrie meinen sollte, daß sie ihm geben könnte.

Bei Abweichungen von der Symmetrie zeigt sich entsprechend als bei Abweichungen von der Gleichförmigkeit, daß die Verminderung der Wohlgefälligkeit dem Grade der Abweichung nicht proportional wächst. Wenn ein Rechteck nur ganz wenig windschief ist, merken wir die Abweichung überhaupt nicht und die Mißfälligkeit derselben bleibt mit der Wahrnehmbarkeit derselben zugleich unter der Schwelle; aber schon eine kleine Abweichung, wenn sie nur erst merklich wird, kann die Wohlgefälligkeit erheblich stören oder in Mißfälligkeit verwandeln. Nimmt die Abweichung zu, so nimmt auch die Mißfälligkeit bis zu gewissen Grenzen zu, aber keineswegs so, daß wir von der doppelten Abweichung mit doppelter Unlust betroffen würden, und über gewisse Grenzen hinaus, wo das Gefühl der Annäherung an Symmetrie verloren ist, hat eine weitere Vergrößerung der Abweichung keinen merklichen Einfluß mehr zur Vermehrung der Mißfälligkeit.

     Daß es aber doch auch Fälle geben kann, wo durch Aufsteigen zu einem höheren Einheitsbezuge über dem der Gleichförmigkeit wegen zu starker Verletzung des niederen, abgesehen von allen Mitbestimmungen, an Wohlgefälligkeit eingebüßt werden kann, beweist sich mit Folgendem:

Gewiß ist, daß, wenn man mit dem Finger über die Zähne eines noch so regelmäßig geschnitzten Zahnrades hinstreicht, man nicht denselben angenehmen Eindruck davon hat, als beim Hinstreichen über eine ganz glatte Fläche, indem die oftmalige völlige Unterbrechung des gleichförmigen Eindruckes, welcher den niederen Einheitsbezug dazwischen begründet, den Vorteil der regelmäßigen Wiederholung, welche einen höheren Einheitsbezug begründet, überbietet; und aus gleichem Grunde peinigt uns ein noch so regelmäßig intermittierender Lichtreiz. Daß es sich aber in der Tat hierbei vielmehr um einen überbotenen als fehlenden Vorteil der regelmäßigen Wiederholung handelt, beweist sich dadurch, daß durch Unregelmäßigkeit der Wiederholung die Ungefälligkeit wächst, also zieht die Regelmäßigkeit doch etwas von der Ungefälligkeit ab. Auch gibt es andre Fälle, wo der Nachteil der häufigen Unterbrechung nicht dasselbe Übergewicht über den Vorteil der regelmäßigen Wiederholung beweist. So erscheint uns ein regelnläßiges Gitter gefälliger als eine glatt fortlaufende Wand, — was für zeitliche Intermissionen im Felde des Gesichts gilt, überträgt sich also nicht auf räumliche, — und ein regelmäßiger leerer Taktschlag mindestens nicht ungefälliger als ein kontinuierliches Geräusch.

Daß nun das Verhalten in diesen verschiedenen Fällen ein verschiedenes ist, läßt sich freilich aus dem Prinzip selbst nicht a priori voraussehen, begründet aber eben so wenig einen Widerspruch gegen dasselbe, da nach Verschiedenheit der Bedingungen der Konflikt sich recht wohl verschieden entscheiden kann.

Daß ein regelmäßiger Taktschlag gegen eine unregelmäßige Folge von Schlägen in entschiedenem Vorteil der Wohlgefälligkeit ist, wird Niemand in Abrede stellen; auch folgt man dem regelmäßigen Gange selbst einiger leeren Taktschläge nicht ungern, wohl länger als einem kontinuierlichen bloß einförmigen Geräusche, indem sich die Aufmerksamkeit dadurch in nicht ungefälliger Weise sozusagen gewiegt findet; nur eine längere Fortsetzung der leeren Schläge vermag die Aufmerksamkeit so wenig zu fesseln, als die irgend eines anderen einheitlichen Eindrucks. Der entschiedene Beweis aber, daß der regelmäßige Takt vielmehr etwas im Sinne der Lust als Unlust ist, was nur für sich nicht leicht die Schwelle erheblich übersteigt, liegt darin, daß er in Zusammensetzung mit den anderweiten Bedingungen gleichen Sinnes, welche die Musik zu ihm hinzubringt, dem Prinzip der ästhetischen Hilfe oder Steigerung genügt, das heißt, ein größeres Produkt des Wohlgefallens gibt, als nach den dazu beitragenden Momenten für sich erwartet werden könnte. Der Takt für sich will allerdings wenig sagen, eine Musik ohne Takt aber vermöchte kaum zu bestehen. Erfüllt sich nun der Takt mit der Mannigfaltigkeit der Momente, welche die Musik hinzubringt, so wird er dann auch fast ins Unbestimmte vertragen.

In den melodischen und harmonischen Beziehungen der Töne selbst spielt unstreitig unser Prinzip seine Rolle, nicht zwar nach der Weise, wie Herbart die Tonhöhen in Gleiches und Ungleiches zerlegt, die ihn zu der Seltsamkeit geführt hat, in der Oktave den vollen Gegensatz gegen den Grundton zu finden, und zu nicht minder seltsamen Rechnungen geführt hat, aber nach der Weise, wie Helmholtz Gleichheit und Verschiedenheit der Töne betreffs ihrer Obertöne in Rücksicht zieht. Nur kann unser Prinzip keinen Anspruch machen, mehr als einen sehr allgemeinen Gesichtspunkt musikalischer Wohlgefälligkeit zu bieten; Rechnungen lassen sich auf seinen Ausspruch überhaupt nicht gründen.

Mit den bisherigen Beispielen haben wir uns im Felde rein anschaulicher Verhältnisse gehalten, indem wir unter solchen Kürze halber Verhältnisse sinnlicher Eindrücke überhaupt verstehen. Aber das Prinzip reicht weit und hoch darüber hinaus in das darüber aufsteigende Gesamtgebiet unsrer Vorstellungen, was wir zwar hier nicht ganz damit durchmessen, aber doch in einigen Punkten berühren wollen, nachdem es gelegentlich schon früher in Erwähnung von Mitbestimmungen, die daraus fließen, geschehen ist.

So in Geltendmachung des Gesichtspunktes der Zweckmäßigkeit. In der Tat einer der Gesichtspunkte, weshalb uns das Zweckmäßige gefällt, obwohl nicht der einzige, ist der, daß wir alle Teile des zweckmäßigen Ganzen durch den Bezug zur Zweckidee einheitlich verknüpft finden. Für die Zweckidee aber können auch andere Ideen eintreten. Und so verlangen wir schließlich überhaupt von jedem Kunstwerke, daß alle Teile desselben durch eine einheitliche Idee oder Erweckung einer einheitlichen Stimmung verknüpft sind. Es ist gewissermaßen die oberste Forderung, die wir an ein Kunstwerk zu stellen haben, wodurch Forderungen an den unter der Idee begriffenen Inhalt nicht ausgeschlossen werden; die Forderung der Einheit aber muß bei dem verschiedensten Inhalt erfüllt sein, soll nicht das Kunstwerk an einem wesentlichen Mangel leiden.

Was nun verstehen wir unter einheitlicher Idee hierbei? Eine noch verhältnismäßig einfache, weil abstrakte, Vorstellungsverknüpfung, in welcher nicht nur alle Teilvorstellungen durch eine gemeinsame Beziehung verknüpft sind, sondern die auch zwischen allen Momenten der Ausführung ins Konkrete eine Verknüpfung dadurch herstellt, daß alle unmittelbar oder durch Vermittelungen mit ihr als etwas Gemeinsamen zusammenhängen.

     Nicht minder aber als in eigentlichen Kunstwerken spielt unser Prinzip seine Rolle in so manchen kleinen Kunstspielen, als wie sinnreichen und witzigen Vergleichen, Wortspielen und andern. Kleinigkeiten von untergeordnetem ästhetischen Interesse, wobei freilich noch sonst Manches mit hineinspielt, worauf für jetzt nicht einzugehen. Betrachten wir hier nur ein Beispiel:

Rätsel vergnügen uns dadurch, daß sie zu einer vorgegebenen Mannigfaltigkeit von Vorstellungen uns die einheitliche Verknüpfung in der Auflösung des Rätsels erst suchen lassen. In dem Entdecken dieser Beziehung liegt der Reiz der gelungenen Auflösung, indes in der Voraussicht, daß sich die Auflösung finden lasse, eine Vorwegnahme desselben liegt, welche in der Tat dazu gehört, uns am Erraten selbst Lust finden zu lassen; denn Rätsel, von denen man weiß, daß es keine Lösung dafür gibt, mag Niemand raten, man hätte davon nur die reine Unlust eines zersplitterten Vorstellungskomplexes; und wer sich bewußt ist, Rätsel schlecht raten zu können, findet daran auch keinen Geschmack. Bei Charaden aber ist es immer von Vorteil, wenn die Aufgabe für die verschiedenen Silben oder Wortabteilungen irgendwie einheitlich verflochten ist, nicht für jede als ein unabhängiges Rätsel auftritt.

Unstreitig nun trägt zum Reize des Rätselratens auch das Gefallen an der Überwindung einer Schwierigkeit bei, der wir uns gewachsen finden, indem wir nach einem anderweiten Prinzip zum Bedürfnis der Einheit auch das Bedürfnis eines gewissen Grades der Beschäftigung haben, dabei aber die einheitliche Verknüpfung dieser Beschäftigung durch Richtung auf ein bestimmtes Ziel, selbst abgesehen von der Beschaffenheit des Zieles, verlangen; daher gar zu leicht zu erratende Rätsel uns nicht interessieren. Aber im Allgemeinen wollen wir doch, daß bei jeder Überwindung von Schwierigkeiten noch etwas Anderes als die Überwindung selbst herauskommt; und lesen daher ein längeres Rätsel auch nach dem Erraten gern noch einmal durch, um uns der einheitlichen Verknüpfung des gesamten Inhalts durch das Wort des Rätsels zu erfreuen; dabei mit Unlust bemerkend, was etwa nicht recht dazu stimmen will.

So sehr wir uns aber an sinnreichen und witzigen Vergleichen, Wortspielen, hübschen Rätseln, Charaden vergnügen mögen, so sehr uns auch Anekdoten aus diesem oder jenem Gesichtspunkte amüsieren können, und so gern wir einige davon hinter einander lesen oder hören, werden wir es doch nicht über uns gewinnen, eine längere Reihe davon hinter einander zu hören oder zu lesen; schon vor der zwanzigsten haben wir es gründlich satt; indes wir wohl einen ganzen Band eines guten Romans auf einen Sitz auslesen, so zu sagen gar nicht davon loskommen können, ungeachtet wir von jeder Anekdote für sich einen größeren Lustertrag hätten als von jedem gleich großen Stück des Romans, und man meinen könnte, daß durch den beständigen Inhaltswechsel der Anekdoten die Erregbarkeit immer frisch erhalten werden müßte. Aber eben dieser Wechsel ohne verknüpfenden Faden läßt uns nicht lange bei dem Lesen aushalten ; ja, wenn nicht jeder Vergleich, jede Anekdote für sich dem Prinzip der einheitlichen Verknüpfung genügte und sonst noch durch die Beschaffenheit des Inhaltes interessierte, würden wir um so weniger dabei aushalten.

So viel zur Erläuterung des Gesichtspunktes der Einheit, der in unser Prinzip eingeht. Wenden wir uns zu dem der Mannigfaltigkeit, so mögen wir zuvörderst im Allgemeinen zurückrufen, daß das Gefühl der Monotonie um so zeitiger und stärker hereinbricht, je mehr es an Mannigfaltigkeit fehlt, wonach die reine Gleichförmigkeit demselben mehr unterliegt als die gleichförmige Wiederholung einer einfachen Form, und diese mehr als die eines zusammengesetzten Musters; können aber auch auf viele Schauspiele insbesondere verweisen, deren Reiz, wenn schon nicht auf der Mannigfaltigkeit allein beruhend, doch mit wachsender Mannigfaltigkeit wächst, ohne daß das Gefühl der Einheit dabei sich mit steigere, nur daß es nicht verloren gehen darf, um nicht mit der ersten Seite des Prinzips in Widerspruch zu geraten.

In das Kaleidoskop tut man niemals bloß ein oder zwei Steinchen, sondern eine Mehrheit von solchen, womit ohne Vorteil für die einheitliche Beziehung, die immer in derselben Art symmetrischer Verknüpfung liegt, nur ein Vorteil für die Mannigfaltigkeit entsteht.

Lange kann man sich an den Evolutionen eines Fluges von Tauben oder Staren ergötzen, so mehr und so länger, je mannigfacher die Wendungen, Schwenkungen, Gestaltveränderungen desselben sind. Jetzt ballt sich der Schwarm zur Kugel, jetzt dehnt er sich zum Ellipsoid, jetzt bietet er uns eine breite, jetzt eine schmale Seite dar, jetzt zieht er sich zusammen und verdunkelt sich dadurch, jetzt dehnt er sich aus und wird dadurch lichter; jetzt trennt sich die Masse, jetzt vereinigt sie sich wieder, und oft blitzähnlich geht eine Veränderung in die andere über; man wird nicht müde dem zuzusehen. Ähnlich ist es mit den Evolutionen und Manövers der Soldaten. Ja selbst den Bewegungen eines in starkem Winde flackernden Wimpels kann man eine Zeit lang mit Unterhaltung und Interesse folgen, wie er bald sich flach ausbreitet, bald sich aufbauscht, bald sich in sich verschlingt, daß man meint, er könne nicht wieder auseinander, dann sich doch wieder löst, eine neue Verschlingung eingeht, jetzt sich nach oben aufbäumt, dann wieder nach unten, nach den Seiten getrieben wird. Im Jahre 1870 gab der bei jeder neuen Siegesnachricht sich wiederholende Flaggenschmuck der Häuser oft genug Gelegenheit, sich mit diesem Schauspiel zu unterhalten.

In allen diesen Fällen handelt es sich nicht um eine rein zersplitterte Mannigfaltigkeit; vielmehr wird die Zusammengehörigkeit aller Teile objektiverseits bei dem Fluge der Tauben oder Stare durch ihren Geselligkeitstrieb, bei den Evolutionen und Manövres der Soldaten durch den Willen des Kommandierenden und die Absicht der Manövres, bei der flatternden Flagge durch die Kraft des materiellen Zusammenhanges vermittelt, und ein einheitlicher Eindruck hiervon bleibt subjektiv durch alle Wechsel durch bestehen; aber das Vergnügen der Unterhaltung wächst nicht mit dem Eindrucke dieser sich immer gleich bleibenden einheitlichen Verknüpfung, sondern mit dem der Mannigfaltigkeit.

Zu den wirksamsten Mitteln, der Monotonie an den Gegenständen zu begegnen, gehören Verzierungen. Um geschmackvoll zu sein, müssen solche immer durch eine einheitliche Beziehung zur Form, zum Zweck des Gegenstandes oder den Verhältnissen, mit denen in Zusammenhang er zu betrachten ist, motiviert sein, also sich dem einheitlichen Eindrucke desselben vielmehr unterordnen als denselben schädigen; insoweit sie aber diese Bedingung erfüllen, werden sie allgemeingesprochen den Gegenstand um so wohlgefälliger erscheinen lassen, je mannigfaltiger sie sind.

In Kunstwerken, wo ein ganzer Aufbau höherer Beziehungen über niederen mit einem Abschlusse in der Idee des Kunstwerkes statt findet, wächst die Mannigfaltigkeit mit der Höhe dieses Aufbaues nicht nur vermöge Vermehrung der Verschiedenheiten des unterliegenden sinnlichen Materials, sondern auch der Stufen der darüber aufsteigenden Beziehungen, kurz ausgedrückt nicht bloß nach der Breite sondern auch nach der Höhe. Hiernach liegt überhaupt in dem Aufsteigen zu höheren Beziehungen eins der wirksamsten Mittel, das Wohlgefallen nicht nur der Stufe nach zu erhöhen, sondern auch dem Grade nach zu steigern, was nur darin seine Beschränkung und Grenze findet, daß höhere Beziehungen im Allgemeinen minder leicht faßlich sind als niedere, und ein höheres geistiges Vermögen und höhere Vorbildung voraussetzen, um wirklich gefaßt zu werden.

3) Sachliche Konflikte und Hilfen.

Mehrfach haben wir Gelegenheit gehabt, von assoziativen Mitbestimmungen unseres Prinzips zu sprechen, und Abschnitt IX wird näher auf den Gesichtspunkt derselben eingehen; für jetzt aber heben wir noch einen anderen sehr allgemeinen Gesichtspunkt der Mitbestimmung hervor, der sich mit dem vorigen vielfach kombiniert und kreuzt und nicht minder Konflikte wie Hilfen für das Prinzip bedingen kann.

Bei jedem Gegenstande kommt es außer auf die Verhältnisse der Gleichheit und Ungleichheit daran, worauf sich unser Prinzip bezieht, auch auf die Beschaffenheit dessen, was in diese Verhältnisse eintritt, an, wovon wir ersteres kurz als formale, letzteres als sachliche Seite des Gegenstandes rechnen,Zur formalen Seite werden wir weiterhin auch Verhältnisse der Widerspruchslosigkeit und Klarheit rechnen, wovon in den beiden folgenden Abschnitten die Rede sein wird, und denen nicht minder eine sachliche Seite des Inhaltes entspricht. dabei nicht ausgeschlossen, daß in die sachliche Seite selbst wiederum Verhältnisse des Gleichen und Ungleichen aber nur in untergeordneter Weise eingehen. Jedenfalls geht die Beschaffenheit eines Gegenstandes nicht ganz in solchen Verhältnissen auf, sondern wird man davon noch einen Inhalt oder Stoff, welcher diesen Verhältnissen unterliegt, als sachliche Seite unterscheiden können. Nun kann der formalerseits durch unser Prinzip bestimmte ästhetische Eindruck auch zugleich sachlicherseits in Konflikt oder Einstimmung damit ästhetisch bestimmt sein.

Das einfachste Beispiel eines solchen Konfliktes hat man darin, daß ein rein bitterer Geschmack, ein rein stinkender Geruch uns in jedem Falle, wenn wir nicht abgestumpft dagegen sind, mißfällt, ungeachtet er dem Prinzip einheitlicher Verknüpfung so gut genügt als eine reine Farbenfläche, der reine Zug einer Linie, ein rein ausgehaltener Ton. Der rein bittere Geschmack u. s. w. mißfällt uns aber nicht, weil in der Reinheit an sich etwas Mißfälliges läge, sondern weil mit seiner Reinheit die Quantität der von der Qualität abhängigen Unlustwirkung wächst. In diesem einfachsten Falle reduziert sich nämlich die stoffliche oder sachliche Seite einfach auf die Qualität. Hiergegen kann man die Wohlgefälligkeit, welche der reinen Farbenfläche, dem reinen Zuge einer Linie, einem rein ausgehaltenen Tone zukommt, nicht eben so auf deren Qualität abgesehen vom Prinzip der Einheit schreiben, da man sonst durch unregelmäßige und regellos zerstreute Kleckse von einer an sich wohlgefälligen Farbe jede gleichförmige Fläche müßte verschönern können, was nicht der Fall ist; da ferner eine rein und scharf gezogene Linie uns besser gefällt als eine unsicher und schwankend gezogene, ungeachtet die Qualität der Linie beidesfalls gleich ist; und da wir noch lieber einen Gesang mit einem rauhen Tone von sich gleichbleibendem Charakter hören, als einen solchen mit unregelmäßig sich einmischenden an sich wohlgefälligen, aber aus jenem Charakter heraustretenden Tönen.

Verlangt man gegenteils ein einfaches Beispiel von sachlicher Unterstützung unsers Prinzips, so braucht man nur darauf zu weisen, daß (abgesehen von Assoziationen, welche den Erfolg ändern können) dieselbe Fläche uns besser gefällt, wenn sie mit einer tiefen oder feurigen reinen Farbe als mit reinem Grau oder gar Schwarz überzogen ist.

Durch Voriges sind wir aber aufmerksam gemacht, daß wir überhaupt überall nicht bloß auf das Dasein der einheitlichen Verknüpfung, sondern auch die Beschaffenheit des einheitlich Verknüpften zu achten haben, um den ästhetischen Erfolg im Ganzen richtig zu beurteilen; denn was uns in dieser Beziehung Beispiele aus dem niedersten ästhetischen Gebiete lehrten, findet seine Anwendung nicht minder auf die höchsten Gebiete; wonach Kunstwerke, welche dem Prinzip der einheitlichen Verknüpfung im Sinne der Lust genügen, uns doch ebenso durch ihren widerwärtigen Inhalt noch mißfallen, wie aber auch gegenteils durch einen wohlgefälligen Inhalt um so besser gefallen können.

Wo formale und sachliche Seite des Gefallens sich unterstützen, findet eine Steigerung des Wohlgefallens nach dem Hilfsprinzip statt, Im Falle sie in entgegengesetztem Sinne gehen, kann nach Umständen das Gefallen oder Mißfallen überwiegen oder ein Schwanken zwischen beiden entstehen, überhaupt verschiedene Fälle eintreten.

So wird durch die Zusammenstimmung aller Darstellungsmittel zu einer mißfälligen Idee die Mißfälligkeit derselben mit um so größerer Kraft zur Geltung kommen, indes uns doch noch die gute Zusammenstimmung gefallen kann; wo sich dann nicht allgemein sagen läßt, was im Ganzen überwiegen wird, es vielmehr auf die Richtung ankommen wird, welche der Geist bei der Auffassung nimmt, ob sie mehr nach der formalen oder sachlichen Seite geht.

Daß die assoziativen und sachlichen Mitbestimmungen unseres Prinzips sich mit einander kreuzen können, liegt darin, daß die assoziativen Vorstellungen, die sich mitbestimmend an einen direkten Eindruck knüpfen, ihrerseits den Verhältnissen der Einheit und Mannigfaltigkeit unterliegen, also nicht nur formalerseits durch ihre einheitliche Verknüpfung, sondern auch sachlicherseits durch den verknüpften Inhalt diese Mitbestimmung äußern können.

4) Nähere Bestimmungen.

Die Mannigfaltigkeit an einem Gegenstande kann aus drei verschiedenen Gesichtspunkten wachsen: erstens, sofern die Menge des räumlich oder zeitlich Verschiedenen zunimmt; zweitens, sofern die Zahl der Verschiedenheiten zunimmt oder Unterschiede aus mehrerlei Hinsichten vorkommen; drittens, sofern der Grad der Verschiedenheit wächst, wonach sich in Kürze eine extensive, multiple und graduelle Seite der Mannigfaltigkeit wird unterscheiden lassen. aaaaaa, ababab, abcdef haben gleiche extensive Mannigfaltigkeit, sofern sie eine gleiche Zahl räumlich oder zeitlich verschiedener Teile einschließen, aber folgen sich betreffs der multiplen Mannigfaltigkeit in der aufgestellten Ordnung. Ein Vieleck behält bei gleich bleibender Zahl der Seiten dieselbe extensive Mannigfaltigkeit, wie sich auch das Verhältnis der Seiten und Winkel ändert; aber die multiple Mannigfaltigkeit wächst, wenn die Seiten oder Winkel aus gleich ungleich werden, und die graduelle wächst mit dem Grade dieser Ungleichheit.

Auf den Einheitsbezug scheinen für den ersten Anblick quantitative Bestimmungen nicht anwendbar, doch ist es näher zugesehen aus drei entsprechenden Gesichtspunkten als auf die Mannigfaltigkeit der Fall. Die Gleichheit oder der gleiche Bezug, worin der Einheitsbezug besteht, kann mehr oder weniger Teile betreffen, und vermöge dessen mehr oder weniger vollständig sein; er kann aus mehr oder weniger Gesichtspunkten statt finden; endlich mehr oder weniger angenähert, respektiv vollkommen sein; wonach sich entsprechend unterscheidende Bezeichnungen als auf die verschiedenen Seiten der Mannigfaltigkeit anwenden lassen; doch wird man statt von einem multiplen auch von einem zusammengesetzten Einheitsbezuge sprechen können.

Mannigfaltigkeit und Einheit können quantitativ nach allen ihren Seiten zugleich wachsen, aber auch auf Kosten von einander wachsen. Sie wachsen z. B. extensiv zugleich, wenn sich die Gleichförmigkeit oder ein regelmäßiges Muster über eine größere Fläche erstreckt, oder sich die Seitenzahl eines regelmäßigen Vielecks unter Forterhaltung der Gleichheit der Seiten und Winkel vermehrt. Sie wachsen multiplerseits zugleich, wenn die Seiten eines regelmäßigen Vielecks verschieden aber in regelmäßiger Abwechslung gefärbt werden. Sie wachsen graduell zugleich, in sofern durch stärkere Unterschiede zwischen den Gliedern einer Mannigfaltigkeit die höhere Einheit, welche auf Gleichheit oder Zusammenstimmung dieser Unterschiede in etwas Gleichem beruht, wo solche vorhanden ist, sich mit größerer Kraft ausspricht. Aber es kann auch die Zahl des Verschiedenen, die Zahl und der Grad der Verschiedenheiten wachsen, ohne daß der Zuwachs sich der alten Einheit unterordnet oder Einheit schafft, wo solche nicht da ist; allgemeingesprochen ist es leichter, eine geringere als größere Mannigfaltigkeit in einheitlicher Verknüpfung zu erhalten; und ein zusammengesetzter Einheitsbezug kann zwischen den verschiedenen einheitlichen Gesichtspunkten, aus denen er sich zusammensetzt, selbst die einheitliche Verknüpfung vermissen lassen.

Dies betraf zunächst die objektiven Verhältnisse der Mannigfaltigkeit und Einheit; schließlich aber kommt es bei unserem Prinzip auf die Mannigfaltigkeit und Einheit an, wie sie in uns erscheint, kurz auf die subjektive, welche zwar von der objektiven wesentlich abhängt, aber auch von rein subjektiven Bedingungen wesentlich mitbestimmt wird, als namentlich der Richtung und dem relativen Konzentrationsgrade der Aufmerksamkeit, der Schärfe des Unterscheidungsvermögens, dem Grade des Fassungsvermögens höherer und verwickelter Beziehungen, der Gesamtintensität der ins Spiel gesetzten geistigen Tätigkeit. So kann es sein, daß von einer ausgedehnten objektiven Mannigfaltigkeit nur wenig ins Auge gefaßt wird, die Aufmerksamkeit von diesem oder jenem Gesichtspunkte sei es der Einheit oder Mannigfaltigkeit nicht oder wenig affiziert wird, ein höherer einheitlicher Gesichtspunkt einem zu niederen Fassungsvermögen überhaupt entgeht.

Man übersieht hieraus, daß bei der Anwendung unseres Prinzips sehr komplizierte Verhältnisse ins Spiel kommen. Rechnen wir noch hinzu, daß die Wohlgefälligkeit eines Gegenstandes, die wir danach beurteilen möchten, nicht bloß nach dem Grade der Lust, die er zu gewähren vermag, sondern auch nach der Dauer, durch welche er sie zu gewähren vermag, also nach dem Produkt beider zu beurteilen ist, beide Faktoren aber nicht allgemein von gleichen Bedingungen abhängen, so wird man nicht erwarten können, daß sich der ästhetische Erfolg des Prinzips in jedem einzelnen Falle mit Bestimmtheit voraussagen und Vergleiche danach überall mit Sicherheit ziehen lassen. Inzwischen hindert das nicht, folgende Sätze in so weit als allgemeingültig aufzustellen, als dabei von Konflikten abgesehen wird, welchen unser Prinzip mit anderen Prinzipien unterliegt.

a) Jede unsere Aufmerksamkeit beschäftigende einheitliche Verknüpfung ist im Sinne der Lust, sofern sie nicht Anspruch macht, uns zu lange oder in zu großer Ausdehnung zu beschäftigen.

b) Das Gefallen an Gleichförmigkeit oder gleichförmiger Wiederholung nimmt allgemein gesprochen bis zu gewissen Grenzen mit wachsender Extension derselben in Raum oder Zeit zu, über gewisse Grenzen hinaus aber ab. Doch kann das Gefühl der Monotonie sich auch schon bei einmaliger Wiederholung geltend machen.

So werden wir uns bis zu gewissen Grenzen lieber mit dem Auge in einer größeren reinen oder tapetenartig gemusterten Fläche ergehen wollen, als in einer kleinern; doch begrenzenwir die Einförmigkeit der Farbe oder des wiederholten Tapetenmusters unserer Stubenwände durch Bordüren und Lamperieen oben und unten, und unerträglich würde es uns sein, wenn sich dieselbe gar auch über Decke und Boden ohne Unterbrechung forterstrecken sollte. Ja selbst wo das Gefühl der Erhabenheit mit der Größe eines einförmigen Gegenstandes wächst, wie beim Meere, würde das Mißgefühl der Monotonie überwiegen, wenn wir nicht auch die Begrenzung durch etwas Anderes erblickten, sich etwa Meer und Himmel in voller Gleichförmigkeit in einander fortsetzen sollten.

Daß aber auch Fälle eintreten können, wo eine gleichförmige Wiederholung uns schon das erstemal mißfallen kann, beweist sich u. a. darin, daß wir dieselbe Anekdote nicht zweimal hinter einander erzählt hören mögen, nicht gern zwei Sätze hinter einander mit demselben Worte anfangen und schließen lassen, und bei gebildetem musikalischen Geschmack Oktaven- oder Quintengänge überhaupt nicht wohl vertragen.

c) Gleiche Extension vorausgesetzt läßt sich allgemein sagen, daß die Wohlgefälligkeit um so mehr wächst, ein je intensiveres oder deutlicheres Gefühl der Einheit sich durch eine je größere Mannigfaltigkeit durch erstreckt; nur daß Konflikte hindern, beides zugleich ins Unbestimmtezu steigern.

d) Es gibt Extreme nach einer und der anderen Seite, wo die Einheit möglichst gesteigert und zugleich die Mannigfaltigkeit möglichst herabgedrückt ist, oder umgekehrt. Z. B. nach erster Seite, wenn eine gleichförmige Fläche sich ins Unbestimmte ausdehnte, nach zweiter, wenn in einer unregelmäßigen und unregelmäßig wechselnden Kleckserei gar kein gemeinsamer Charakter, wie ihn noch jede Marmorierung hat, spürbar wäre. Von solchen Extremen kann man sagen, daß sie unbedingt mißfallen, und um so sicherer ist Mißfallen zu erwarten, je näher ein Fall dem einen oder anderen Extrem kommt.

e) Zwischen beiden Extremen gibt es eine gewisse Mitte oder mittlere Breite, in welcher die Konflikte zwischen Einheit und Mannigfaltigkeit sich in möglichst vorteilhafter Weise für das Gefallen abwägen; mag von hier ab die Einheit oder Mannigfaltigkeit auf Kosten der Gegenseite bevorzugt werden, so nimmt die Wohlgefälligkeit ab, wird die Fortsetzung der Betrachtung kürzere Zeit vertragen oder tritt selbst Mißfälligkeit ein. Aber dieser vorteilhafteste Punkt oder diese vorteilhafteste Breite ist nach Verschiedenheit der Subjektivität und selbst nach Verschiedenheit der Zustände desselben Subjekts verschieden. So stimmt vorausgegangene Monotonie empfänglicher für das Gefallen an größerer Mannigfaltigkeit, vorausgegangene Zerstreuung an größerer Einheit; Jugend wird einen häufigem Wechsel lieben, als Alter u. s. w.

f) Insofern durch Einführung höherer Einheitsbezüge die Mannigfaltigkeit bis zu gewissen Grenzen ohne entsprechende Einbuße am Gefühl der Einheit gesteigert werden kann, ist das Aufsteigen zu höheren Einheitsbezügen ein wichtiges Mittel, die Wohlgefälligkeit bis zu gewissen Grenzen zu steigern. Bei Steigerung der Höhe über gewisse Grenzen hinaus aber leidet die Faßlichkeit des Einheitsbezuges zu sehr, um nicht vielmehr Verlust zu bringen.

g) Nach Maßgabe, als der Geist höhere Beziehungen fassen lernt, empfindet er auch ein stärkeres Bedürfnis sich mit solchen zu beschäftigen, und wird bei Vermissen derselben leichter gelangweilt.

Insofern die Auffassung von Beziehungen, Verknüpfungen höherer Stufe überhaupt eine Sache höherer geistiger Tätigkeit ist, und eine höhere Anlage so wie Entwicklung des Geistes voraussetzt, geht dem rohen Menschen, vollends dem Tiere mit der Unfähigkeit zu solcher Auffassung eine wichtige Quelle der Lust und Unlust ab, welche für den höher gebildeten Menschen besteht, indem der Rohe das Dasein höherer einheitlicher Beziehungen eben so wenig mit Lust empfindet, als bei Abwesenheit derselben solche mit Unlust vermißt.

h) Läßt das Prinzip nach all’ dem noch eine große Unbestimmtheit daraus für den einzelnen Fall zu ziehender Folgerungen übrig, so kann man dagegen in jedem einzelnen Falle nach dem Gefühle der Monotonie oder Zersplitterung beurteilen, ob es nach der einen oder anderen Seite verletzt ist.

5) Allgemeinheit des Prinzips.

Obwohl wir unser Prinzip hier eigentlich bloß In seiner Bedeutung für die Ästhetik, mithin nur für rezeptive Eindrücke, die von der Sinnesseite her vermittelt sind, in Betracht zu ziehen haben, mag es doch nützlich sein, etwas über seine darüber hinausgehende allgemeine Tragweite hinzuzufügen, zumal keine strenge Abgrenzung in dieser Hinsicht statt findet.

Gleich Eingangs ward das Prinzip in der Allgemeinheit ausgesprochen, daß es eben so für aktive als rezeptive Beschäftigung gelte. Jede körperliche wie geistige Tätigkeit will, um uns zu behagen, in einem gewissen Zusammenhange ausgeführt sein, verträgt nicht häufige Unterbrechung, kann aber auch durch Monotonie ermüden, und wer höherer Gesichtspunkte mächtig ist, verlangt auch solche zur Verknüpfung der Momente seiner Tätigkeit. Mit Händen und Füßen zwecklos strampeln genügt uns nicht, weil es an einem verknüpfenden ideellen Motive der einzelnen Bewegungen fehlt; aber auch direkt in sich will die körperliche Tätigkeit einheitlich verknüpft sein, und es ist nicht ohne Interesse, den Takt im Gebiete derselben eine entsprechende Rolle wie bei unseren rezeptiven Gehörseindrücken spielen zu sehen.

In der Tat alle unsere Bewegungen nehmen wir lieber taktmäßig als ohne Takt vor, wenn nicht die Unregelmäßigkeit im Sinne eines Zweckes ist. Wir gehen taktmäßig, atmen taktmäßig, lassen die Schlucke beim Trinken taktmäßig folgen, bringen den Löffel taktmäßig zum Munde, schlagen taktmäßig einen Nagel ein, trommeln zur Unterhaltung taktmäßig mit den Fingern auf dem Tische. Im Tanze aber steigert sich die Wirkung des Takts unserer eigenen Körperbewegung mit dem taktmäßigen Eindrucke der Musik und den andern Elementen derselben zu einer höheren Leistung. Selbst in die ganz unwillkürlichen Bewegungen hinein macht sich der Vorteil des Taktes geltend, indem der Mensch sich im Allgemeinen um so wohler befindet, je regelmäßiger sein Herzschlag und die peristaltische Bewegung seiner Eingeweide ist, ja er befindet sich im Ganzen um so wohler, je regelmäßiger seine Lebensordnung überhaupt ist, d. h. in je regelmäßigerer Periode er dieselben Verrichtungen wiederholt, wenn es nur nicht an hinlänglicher Abwechslung zwischen denselben fehlt; wogegen starke Abweichungen davon zwar als Ausnahmen geliebt werden, aber auch nur ausnahmsweise vorkommen dürfen. Regelmäßige Periode und Takt aber haben das Gemeinsame einer Wiederkehr derselben Momente in gleichen Zeitabschnitten; nur daß eine kontinuierliche periodische Bewegung in doppeltem ästhetischen Vorteil dadurch gegen den Takt abgesonderter kurzer Schläge ist, daß jede Periode noch eine Mannigfaltigkeit in sich einschließt, und daß keine volle Unterbrechung der Bewegung statt findet.

Hierzu beiläufig einige, in die innere Psychophysik der ästhetischen Gefühle gehörige Bemerkungen, zu welchen die große Rolle, welche wir die regelmäßige Periode mit dem sich ihr unterordnendem Takte bei aktiven wie rezeptiven Beschäftigungen spielen sehen, wohl Anlaß geben kann.

Voraussetzlich beruhen Licht- wie Toneindrücke auf Schwingungen in unserem Nervensysteme und hiernach können wir selbst die Wohlgefälligkeit einer rein gleichförmigen Farbenfläche, wie eines rein ausgehaltenen Tones auf das Prinzip übereinstimmender periodischer Bewegung zurückführen, sofern erstenfalls alle Teilchen unserer Netzhaut in dieselbe periodische Bewegung versetzt, letzterenfalls die Teilchen des Gehörnerven fortgehends in solcher erhalten werden. Weiter könnten wir uns hiernach denken, daß jedes wohlgefällige Farbenmuster und Tonstück uns nur durch zusammengesetztere aber kommensurable PeriodizitätsverhältnisseDie hier kurz als kommensurabel bezeichneten Perioden können ihrer Größe nach von einander abweichen, müssen aber so in einer größeren Periode aufgehen, daß sie nach jedem Ablauf derselben immer wieder in derselben Phase als beim Anfang derselben zusammentreffen und denselben zusammengesetzten Ablauf von da ab wiederholen. der Nervenschwingungen gefalle, endlich, die Hypothese noch mehr erweiternd und steigernd, denken, daß alle Empfindungen und Bewußtseinstätigkeiten überhaupt auf Schwingungen in unseren Nerven beruhen, und alle Lust und Unlust darauf, daß sich die Schwingungen in einfacherer oder zusammengesetzterer Periode über eine gewisse Grenze hinaus der vollen Zusammenstimmung in kommensurablen Verhältnissen nähern oder entziehen. Es ist sehr möglich und meines Erachtens selbst wahrscheinlich, daß etwas der Art statt finde, tritt auch wesentlich in eine, anderwärts von mir ausgesprochene, nur noch etwas mehr verallgemeinerte, Hypothese hinein (vergl. Abschn. II Pkt. 2); aber einmal ist es doch bis jetzt nur eine Hypothese, welche die Bezugnahme auf tatsächliche Verhältnisse und Gesetze, so weit sich solche finden lassen, weder ersetzen kann noch verwirren darf; zweitens würde sie noch einer genaueren Präzisierung bedürfen, um in exakte Betrachtungen einzutreten und an die Erfahrungen gehalten zu werden; endlich ist es eben nur eine Hypothese der inneren Psychophysik, von welcher nach schon früher gemachter Bemerkung in unserer Ästhetik nach der Beschränkung , in der wir sie hier fassen, kein Gebrauch zu machen; sofern sich’s in dieser eben nicht um die Verhältnisse unserer Empfindungen zu den körperlichen Tätigkeiten handelt, welche den Empfindungen in unseren Nerven unterliegen, sondern (mit Überspringung dieses uns unbekannten Zwischengliedes) um Verhältnisse der Empfindungen zu den Einwirkungen der Außenwelt, so weit Lust und Unlust dabei beteiligt sind; wonach die Ästhetik von Tatsachen der äußeren Psychophysik aus vielmehr ins rein psychologische als innerlich psychophysische Gebiet überführt.

In der Wissenschaft beruht auf unserem Prinzip die formale (vom sachlichen Inhalt der wissenschaftlichen Betrachtung unabhängige) Freude, die wir daran finden, einheitliche Gesichtspunkte zwischen Verschiedenem aufzusuchen, aus Einzelnem allgemeine Gesichtspunkte, Gesetze zu abstrahieren, von besonderen Gesichtspunkten, Gesetzen, Prinzipien zu immer allgemeineren aufzusteigen, umgekehrt aber auch allgemeine Gesichtspunkte, Gesetze, Prinzips durch das Einzelne durchzuführen, in den Anwendungen zu verfolgen, das Einzelne selbst aus Allgemeinerem abzuleiten. Es genügt uns eben weder die bloße Einheit, noch die zersplitterte Mannigfaltigkeit, sondern nur eine Durchbildung der einen durch die andre.


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