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In den von Sioux, Komantschen und Apatschen bevölkerten Prärien des südlichen Iowa und nördlichen Nebraska und den nördlich davon gelegenen Wäldergebieten, in denen die Obschibwä, die Pottawatomi, die vielgliedrige Familie der Pawnee und andere rote Völkerschaften ihre Wigwams aufgeschlagen hatten, war es seit einiger Zeit zu unablässigen Streitigkeiten und blutigen Fehden gekommen. Fast ununterbrochen hallte dort der wilde Kriegsruf. Kaum war das Kriegsbeil begraben worden, störte schon wieder der eine oder andere ungebärdige Nachbar die Ruhe.
Eines Tages hatten auf einer ziemlich langgestreckten, teilweise bewaldeten Hochebene, im äußersten nordwestlichen Winkel des Staates Iowa, fast sämtliche Häuptlinge und die angesehensten Krieger der letzterwähnten Stämme sich auf Einladung der Pe-ta-ha-vah-da-Indianer ein Stelldichein gegeben.
Es war um die Mittagsstunde, als die letzten Nachzügler der Geladenen dort eintrafen.
Von den ausgestellten Wachposten freudig begrüßt, wurden sie auf eine Waldblöße geführt, wo fast schon ein halbes Hundert Krieger in malerischen Gruppen, der ungezwungensten Unterhaltung sich hingebend, umhersaßen.
Mehrere Feuerstellen waren errichtet worden, an denen der Spieß mit leckerem Wildbret sich drehte, das von einigen jungen Pe-ta-ha-vah-da, sobald es gar geworden war, kunstgerecht zerteilt und herumgeboten wurde.
Während man den zuletzt Angekommenen noch Zeit ließ, unter den bereits Versammelten sich zurechtzufinden und der Erfrischungen sich zu bedienen, ging ein alter, schon gebeugter Krieger nach der Mitte der Lichtung, dort einen kleinen, kreisförmigen Platz von allem Brennstoff zu säubern und auf dem nackten Boden eine kleine Holzbeige zu errichten.
Als das geschehen war und die letzteingetroffenen Krieger sich hinlänglich gestärkt zu haben schienen, erhob sich ein Pe-ta-ha-vah-da, der mit lauter Stimme verkündete, daß nunmehr alles bereit zu sein scheine, in die Beratungen, die geplant seien, einzutreten, und daß, wenn kein Widerspruch sich erhebe, das Ratsfeuer entzündet würde.
Nach und nach erhoben sich alle Häuptlinge, wandelten ernst und würdig nach der zuletzt errichteten Feuerstelle, wo sie sich, gegenseitig manche Höflichkeit austauschend, im Kreise niederließen, während die jungen Krieger die anderen Feuerstellen mit Erde zuwarfen, dann sich bescheiden nach allen Seiten in den Wald zurückzogen.
Als der letzte Häuptling den Kreis geschlossen hatte, erhob sich unter ihnen ein noch sehr junger, aber mit unzähligen Narben bedeckter Pottawatomi, von dem Ältesten der Versammlung, das in diesem Falle die Große Zunge der Pe-ta-ha-vah-da war, die Friedenspfeife dieses Stammes erbittend.
Nachdem dieses geheiligte Instrument entzündet war und unter der üblichen Zeremonie seinen Rundgang genommen hatte, trat der altersgebeugte Krieger wieder vor, die inmitten des Kreises befindliche Holzbeige zu entzünden.
Mit feierlicher Ruhe sahen die Versammelten alle diesem Beginnen zu und als das Holzhäuschen in lichten Flammen aufgelodert war, erhob sich der ehrwürdige Sachem der Pe-ta-ha-vah-da.
Er sah sich eine kleine Weile im Kreise um und sagte dann unter allgemeinem Schweigen: »Die Große Zunge, der Älteste vom Stamm der Pe-ta-ha-vah-da, hält es zunächst für seine angenehme Pflicht, der großen Freude Ausdruck zu geben, daß die tapfern und weisen Häuptlinge der Odschibwä, der ihnen verwandten Pottawatomi und der verschiedenen Stämme aus der großen Familie der Pawnee der Einladung der Pe-ta-ha-vah-da Folge gegeben und die teilweise sehr weiten und beschwerlichen Wege nicht gescheut haben, so zahlreich hier zu erscheinen. Er heißt sie alle herzlich willkommen. Möge nun auch – das ist der innige Wunsch der Pe-ta-ha-vah-da – die Beratung, die nun vor sich gehen wird, von jenem Wohlwollen geleitet und demjenigen Ernste getragen sein, den sie verdient. Mit diesem Wunsche erklärt die Große Zunge diese ungewöhnliche, zum Wohle unserer Völker berufene Ratsversammlung als eröffnet. Wer, ehe in die eigentliche Beratung eingetreten wird, etwas zu sagen hat, der melde sich.«
Es erhoben sich der Reihe nach alle Stammesältesten, der Großen Zunge in höflicher Weise zu versichern, daß sie alle, so weit auch der Weg nach dem »Walde des Schweigens« gewesen wäre, sehr gerne aufgebrochen seien, die Vorschläge der Pe-ta-ha-vah-da, die sich noch stets als ein kluges und weise handelndes Volk erwiesen hätten, zu vernehmen und daß sie alle des Willens wären, stets nur das Beste für das eigene Wohl und das Wohl der befreundeten Nachbarstämme zu unternehmen. Die Große Zunge, so fügte der letzte Redner, die Dunkle Wolke, ein Häuptling der Pottawatomi, hinzu, möge die Grundzüge des Vorschlages, den das Volk der Pe-ta-ha-vah-da zur Beratung stelle, obwohl durch Sendboten bereits mitgeteilt, doch selbst noch einmal darlegen, um nach allen Seiten hin klar zu sehen, was der Verhandlung nur förderlich sein könne.
Die allseitige Zustimmung, die diese Worte fanden, war kaum verklungen, als sich die Große Zunge leuchtenden Auges erhob, dem geäußerten Wunsche zu entsprechen.
»Wenn die roten Nationen,« also begann der greise Krieger, »so weit sie in vergangene Zeiten zurückzublicken vermögen, die Geschichte ihrer Völker sich vorstellen und ehrlich gegen sich selber sind, so müssen sie sagen, daß sie vom Glück nicht verwöhnt wurden, vielmehr im Laufe der Zeiten das Opfer eines Mißverhältnisses geworden sind, wie eben das Verhältnis vom Stärkeren zum Schwächeren es mit sich bringen kann. Um das, was der Sachem der Pe-ta-ha-vah-da bei diesen Worten im Auge hat, durch ein Beispiel zu erläutern, sei es erlaubt, auf den verschwindend kleinen Rest der benachbarten Delawaren zu verweisen, die einst ein großes, stolzes, tapferes und ruhmreiches Volk gewesen sind. Als die Bleichgesichter fern von den Gestaden des großen Wassers Fuß gefaßt hatten, ließen sie es sich an jenen gesegneten Gefilden nicht genügen, sondern begannen schrittweise die Wälder niederzuhauen und immer tiefer in das Land einzudringen. Die Delawaren, die an jenen Gestaden zunächst ihre Wigwams aufgeschlagen hatten, waren die ersten, die von diesen Gewalttätigkeiten betroffen wurden. Dieses tapfere Volk ließ es, als Mahnungen und Bitten sich als fruchtlos erwiesen, an Widerspruch und Widerstand nicht fehlen, aber sie wurden durch die redegewandten Zungen der weißen Männer und durch deren überlegene Waffen trotz der tapfersten Gegenwehr immer weiter gegen Sonnenuntergang getrieben, bis die Letzten ihres Stammes jetzt endlich diesseits des ›Vaters der Gewässer‹ in den benachbarten Wäldern die letzte Freistatt gefunden haben.«
Der Sachem machte, von Beifall unterbrochen, eine kleine Pause und fuhr dann zu reden fort: »Wenn unsere Beratungen im Grunde auch nur bezwecken, Maßnahmen zu treffen, unsere Völker vor den räuberischen Überfällen der Sioux, Komantschen und Apatschen zu bewahren, worüber fast jedes Volk, das hier durch Gesandte vertreten ist, zu klagen hat, so ist es immerhin nützlich, darauf zu verweisen, daß die Gewalttaten dieser Reitervölker im letzten Grunde nicht minder auf das rücksichtslose Vordringen der Bleichgesichter und insbesondere auf die stetig sich steigernde Vernichtung des Büffels, dieses unentbehrlichen Jagdtiers der roten Nationen, zurückgeführt werden müssen. Auch die Komantschen und die ihnen verwandten Stämme sind, trotz tapferster Gegenwehr, immer mehr nach Sonnenuntergang gedrängt worden, so daß sie, vordem die Herren der Steppen, ihre Jagdgründe jetzt mit vielen anderen teilen müssen.
Es ist tief zu beklagen, daß man von einem Gesamtvolke der roten Krieger nicht sprechen kann, um dem unaufhaltsamen Vordringen der Bleichgesichter gemeinsam ein gebieterisches Halt zuzurufen. Es ist leider wahr, daß die roten Männer sich viel zu sehr voneinander unterscheiden, als daß es möglich wäre, sie unter einen Hut zu bringen. Die einen, sie reiten den stolzen Mustang, andere wieder sind unvermögend, die Waffe zu erheben, wenn nicht der Schatten der düsteren Wälder ihre feige hinterlistige Tat zu decken vermag. Es ist, wie gesagt, tief zu beklagen, daß alle diese Völker und Stämme nicht miteinander und füreinander fühlen, ja daß sie sich im Gegenteil fast unablässig untereinander bekriegen.
Wenn nun der Ansturm der Bleichgesichter, was kaum anders zu erwarten ist, auch fernerhin anhält, werden die roten Völker immer mehr auf einen kleinen Raum zusammengedrängt; die einzelnen Familien werden, ob sie nun in den Steppen den Büffel oder in den Wäldern den Hirsch jagen, ihre Jagdgründe immer mehr zusammenschrumpfen sehen. Dies wird aber immer wieder nur zu neuen Reibungen unter den roten Kriegern führen, so daß die roten Völker zum Vorteil der Bleichgesichter nach und nach sich selber gegenseitig auffressen.
Die Große Zunge hat, um das volle Verständnis für den Vorschlag der Pe-ta-ha-vah-da herbeizuführen, mit diesen Worten einen etwas großen Umweg gemacht, sie hat die Langmut der hier anwesenden Vornehmsten ihres Stammes vielleicht allzusehr in Anspruch genommen. Die Große Zunge glaubt aber, daß es mit zu der Gründlichkeit gehört, mit welcher weise Krieger ihre Maßnahmen zu beraten und zu erwägen pflegen, und ist damit bei dem Punkte angelangt, wo es gilt, nunmehr in die engere Beratung einzutreten, das Beste von dem Guten zu wählen, die unseren Völkern drohenden Gefahren nach bestem Vermögen für die Zukunft fernzuhalten.«
Mit größter Aufmerksamkeit hatten die Häuptlinge den Sachem angehört und jetzt, da er eine Pause machte, gaben sie auf allen Seiten laut ihren Beifall zu erkennen.
Als es dann schien, daß die Große Zunge nicht sogleich weiter zu sprechen wünsche, erhob sich der Weiße Falke der Odschibwä. Er ließ eine kurze Weile den durchdringenden Blick seiner rabenschwarzen Augen über die Versammlung gleiten und sagte dann: »Die Große Zunge der Pe-ta-ha-vah-da möge dem ersten und obersten Krieger der Odschibwä gestatten, ihr aus Anlaß dessen, was die anwesenden Gesandten soeben vernommen haben, den besten Glückwunsch auszusprechen. Der Älteste derer vom Stamm der Pe-ta-ha-vah-da führt seinen Namen nicht umsonst; er wird weithin gerühmt als ein Meister der Rede, er ist auch gleich dem Schützen scharf im Erfassen des Gegenstandes, den er mit seinen Worten zu treffen gedenkt. Der Weiße Falke ist der Überzeugung, daß die Große Zunge von allen hier zu Rate sitzenden Häuptlingen wohl verstanden wurde, ja daß er ihnen allen aus dem Herzen gesprochen hat. Es ist leider unbestreitbar, daß das, was die Große Zunge zuletzt beklagte, schon seit geraumer Zeit leidige Tatsache geworden ist. Die Krieger der Odschibwä wissen davon zu erzählen. Sie waren von jeher Söhne der Wälder, die es sich genügen ließen, pfadlos den Wald zu durchstreifen, den Bären und den Hirsch zu erlegen. Aber von Zeit zu Zeit war es ihr Bedürfnis, ja, es wurde zur Notwendigkeit, ihre Mustangs zu satteln und in die Steppe hinauszureiten, den Büffel der Prärie aufzusuchen. Wie setzten die Krieger ihren größten Stolz darein, das flüchtige Tier einzuholen, oder vom Pferde herab den tödlichen Pfeil unter eine fliehende Herde zu entsenden! Wie jubelten die Squaws und die Kinder, wenn das Fleisch in dünne Streifen geschnitten zum Trocknen in den Dörfern hing, wenn von starken Händen die besten Häute gegerbt wurden, die Männer, Frauen und Kinder oder den Wigwam damit zu bekleiden. Lange war der Büffel ein freies Wild. Niemals hat irgend ein Volk dagegen Einspruch erhoben. Frei war die Steppe! Tagelang konnte man sie durchstreifen, ohne auf den Krieger eines fremden Volkes zu stoßen. Seit etwa zehn Sommern ist das aber anders geworden. Die einst stolzen Reiter der Dakota, die vordem im Überfluß lebten, mögen jetzt selbst darben, jedenfalls aber sind sie seit dieser Zeit auf den Büffel sehr eifersüchtig geworden. Sie haben den Odschibwä wiederholt Schwierigkeiten bereitet und als diese von dem althergebrachten Rechte nicht lassen wollten, ist es zu endlosen Fehden gekommen. Vieles Blut ist geflossen und unzählig sind die Skalpe, die von beiden Seiten auf den Stätten der Kämpfe gelassen wurden. Seit einigen Jahren erst haben die Odschibwä wieder Ruhe, weil es ihnen gelungen ist, jenen kriegerischen Dakotastamm, der ihnen so viele Hemmnisse in den Weg legte, zum größten Teil zu vernichten, den Rest aber mit blutigen Köpfen aus den Jagdgründen der Odschibwä zu verjagen.«
Als der Weiße Falke unter vielem Beifall seine Rede beendet hatte, erhoben sich nacheinander wohl ein Viertel der anwesenden Häuptlinge, die ganz ähnlich lautende Klagen führten. Die einen Völkerschaften hatten mit den Komantschen, andere wieder mit Apatschen, dritte mit einzelnen Siouxstämmen mehr oder minder blutige und langwierige Sträuße zu bestehen gehabt. Die einen Häuptlinge berichteten von kaum vernarbten Wunden, andere wieder, deren Dörfer unweit der Prärie lagen, hatten seit Jahren nicht wieder den Kriegspfad verlassen.
Da stand, als der Redestrom der Häuptlinge erschöpft schien, die Große Zunge wieder auf, das Wort zu ergreifen.
»Ihr Weisesten Eures Stammes! Ihr Väter Eurer Völker!« begann er unter allgemeiner Aufmerksamkeit. »Es ist soeben mit voller Übereinstimmung bestätigt worden, daß unsere roten Brüder in den Steppen in der Tat jede weise Überlegung verloren zu haben scheinen und auf dem besten Wege sind, von ihrer einstigen achtunggebietenden Stellung zu einem händelsüchtigen Wegelagerervolk herabzusinken. Es kann nur zu unserem Besten sein und wird auch unseren Feinden nur zum Vorteil gereichen, wenn wir Mittel und Wege finden, diesem verderblichen Bruderzwiste, der schließlich das Ende aller bedeuten muß, Einhalt zu gebieten. Nun könnte man ja sagen, es würde das einfachste sein, uns zusammenzuschließen, mit vereinter Macht in die Steppe zu reiten, um die händelsüchtigen Stämme nacheinander in ihren Schlupfwinkeln aufzusuchen, sie auf absehbare Zeiten kampfunfähig zu machen oder gänzlich zu vernichten. Dieses aber würde nur Wasser auf die Mühle der Bleichgesichter sein, die dann auf ihrem Wege nach dem Westen, in demselben Verhältnis, als das Strafgericht Opfer gefordert hätte, nur geringere Widerstandskräfte vorfänden. Unsere Maßnahmen müssen daher doch auf anderes gerichtet sein. Zuallererst darauf, den uns feindlich gesinnten Reitervölkern Achtung einzuflößen, sie zur Besinnung zu bringen, von ihrem verderblichen Beginnen abzulassen. Die Pe-ta-ha-vah-da haben das hin und her erwogen und sind zu dem Entschlusse gelangt, den Völkern der hier versammelten Abgesandten vorzuschlagen, zur Erreichung dieses Zweckes ein Schutz- und Trutzbündnis zu begründen. Die Komantschen, Sioux und Apatschen werden es sich in Zukunft doch zweimal überlegen, die einzelnen in Betracht kommenden Stämme in ihren Jagdgründen aufzusuchen und zu überfallen, wenn sie erst erfahren haben, daß dann alle Odschibwä, alle Pawnee, die Pottawatomi, die Pe-ta-ha-vah-da und viele andere Völker, die sich uns noch anschließen werden, wie ein Mann sich erheben, die Angreifer in die Schranken zurückzuweisen. Sind unsere Feinde aber erst zur Besinnung gekommen, dann ist nur noch ein Schritt dahin, die Streitpunkte, die doch zumeist in der Jagd des Büffels ihre erste Ursache haben, durch Verträge zu regeln. Daß ein solches Schutz- und Trutzbündnis, wie die Pe-ta-ha-vah-da es vorschlagen, sehr schätzenswerte Früchte zeitigen kann, ist in der Geschichte der roten Nationen keineswegs ohne Beispiel. Vielleicht ist es den hier versammelten Vornehmsten ihres Stammes genehm, sich daran erinnern zu lassen. Wie die Ältesten unter ihnen alle wissen, wohnen unweit der großen Seen die Huronen, ein Volk, das sehr mächtig und kriegerisch gewesen ist. Ihnen benachbart hatten die Onondago die Wigwams aufgeschlagen, ein Völkerstamm, dem man große Klugheit und die Mächtigkeit der Rede nachzurühmen pflegt. Die Seneka waren beneidet ob ihrer bewunderungswürdigen List in Ausübung des Weidwerks, die Oneida und Cayuga erwiesen sich ebenfalls von besonderen vortrefflichen Eigenschaften. Diese fünf Völker lebten vorzeiten im tiefsten Frieden, als eines Tages, wie ein Blitz aus heiterem Himmel, ein großes Unglück über sie hereinbrach. Ein Haufen Krieger kam wie ein eisiger Sturm aus dem Lande des ewigen Eises dahergezogen, der diese fünf Nationen der Reihe nach überfiel und viele der roten Männer erschlug. Tapfer zwar versuchten sie die Gegenwehr, aber keines der Völker war im stande, den fürchterlichen Feind zu bezwingen. Als die Wunden dieser Völker noch bluteten, fand sich ein Weiser unter ihnen ein, sammelte die Reste der Männer um sich und ermunterte sie, einen Bund der Freundschaft zu schließen. ›Vereinigt euch,‹ so rief er ihnen zu, ›anstatt jedes Volk von euch, unbekümmert um das andere, seine eigenen Wege wandelt und kein Feind wird euch etwas anhaben, kein Feind, so, wie es geschehen ist, die Vernichtung in eure Fluren tragen können. Bleibet ihr aber, wie ihr seid, werdet ihr niemals sicher sein, daß das Verderben früher oder später wieder über euch hereinbricht.‹ Und diese fünf Völker, sie waren einsichtig genug, den Rat des Weisen zu befolgen. Sie schlossen noch am selbigen Tage ein Bündnis, das sie den Bund der Irokesen nannten. Sie waren von da an in der Tat unbesiegbar, bis die Bleichgesichter den Weg zu ihren Jagdgründen gefunden hatten und bald durch List, bald durch die Überlegenheit der Waffen jene Stärke leider wieder zu lähmen wußten. – Ihr Krieger und Häuptlinge der Odschibwä, der Pottawatomi und der Pawneestämme lasset auch uns einen Bund schließen, der zunächst der Händelsucht unserer Widersacher gelten, mit der Zeit aber auch noch andere Früchte zum Besten unserer Völker zeitigen soll! Er wird, wenn wir ihn aufrecht zu erhalten und die Freundschaft zu pflegen wissen, uns stärken; wir werden unseren Feinden Achtung abnötigen; er wird uns immer mehr Kraft verleihen und befähigen, selbst derjenigen Gefahr, die wir die ›weiße‹ nennen, Trotz zu bieten. – Die Große Zunge hat gesprochen. Die Häuptlinge und Gesandten, die an dieser Beratung teilnehmen, mögen nun sagen, ob sie das ebenfalls für gut und wünschenswert halten.«
Eine große Bewegung bemächtigte sich der Versammlung.
Auf allen Seiten rückhaltlose Zustimmung. Überall freudige Äußerungen. Dann ein endloses Beifallrufen.
Längere Zeit verging, ehe ein Redner im stande gewesen wäre, sich Aufmerksamkeit zu verschaffen.
Als dann die Wogen der Erregung sich nach und nach legten, standen nacheinander mehrere Häuptlinge auf, die mit schwunghaften Worten die Große Zunge und die Pe-ta-ha-vah-da beglückwünschten. Sie anerkannten nicht nur die Zweckmäßigkeit des Vorschlages, sondern rühmten vor allem die weise Voraussicht, die in ihm läge.
»Aber eben deshalb,« fügte ein Gesandter der Pottawatomi, die Dunkle Wolke, seinen ebenfalls sehr anerkennenden Worten hinzu, »weil die Absicht, ein solches Schutz- und Trutzbündnis zu schließen, von sehr großer Tragweite ist, und den einzelnen Völkern manche bindende Verpflichtung auferlegen wird, wird es angezeigt erscheinen, sich mit der Festlegung des Gedankens nicht zu überstürzen. Es kann nicht darauf ankommen, ob das Bündnis jetzt oder in einer Stunde, ob es heute oder morgen zu stande kommt. Wohl aber kommt es darauf an, sich mit dem Gedanken auf das innigste vertraut zu machen, weil dies vielleicht manche nützliche Ausgestaltung oder Erweiterungen der zu ergreifenden Maßnahmen zur Folge haben kann. Die Dunkle Wolke schlägt daher vor, für kurze Zeit einen freien, ungezwungenen Meinungsaustausch Platz greifen zu lassen, daß die einzelnen Gruppen der Gesandten unter sich zu Rate gehen können.«
Auch dieser Vorschlag fand allgemeine Anerkennung.
Langsam ging der Kreis der Versammelten auseinander, um sich zwanglos in einzelnen Gruppen zusammenzufinden, die bald in lebhaftester Unterhaltung standen.
Am lautesten ging es dabei in der Gruppe der Pe-ta-ha-vah-da her, weil dort immer wieder einige Häuptlinge sich einfanden, die sich verpflichtet fühlten, der Großen Zunge noch ein Wort der Anerkennung und Höflichkeit zu sagen, oder über die engeren Bedingungen, die das beabsichtigte Bündnis nach Ansicht der Pe-ta-ha-vah-da den einzelnen Stämmen auferlegen würde, sich unterrichten wollten.
Während man sich hier angelegentlich unterhielt, kam ein junger Krieger der Pe-ta-ha-vah-da aus dem Walde herbeigelaufen, der den Schwarzen Vogel beiseite winkte und ihm einige Worte zuflüsterte.
Die Meldung, die der Häuptling empfing, schien ihn sehr zu überraschen und einen tiefen Eindruck auf ihn zu machen.
Als er sich dann seiner engeren Umgebung wieder zuwandte, begegnete er manchem fragenden Blicke, wodurch er sich schon aus Höflichkeit veranlaßt fühlte, die Mitteilung zu machen, daß ganz in der Nähe ein Bleichgesicht den Wald durchstreift hätte, das von den wachehaltenden Pe-ta-ha-vah-da-Kriegern listig umstellt und gefangen genommen worden sei.
Das Kopfschütteln und die nicht unbedenklichen Gesichter, die der Schwarze Vogel allenthalben wahrnehmen mußte, nötigten ihn zu der weiteren Erklärung, daß er bereits Befehl gegeben habe, den weißen Mann vorzuführen, um zu erfahren, welche Absicht das Blaßgesicht in diese entlegenen Wälder geführt habe.
Schnell sprach sich der Vorfall überall herum. Mit allgemeiner Spannung sah man dem weißen Manne entgegen.
Kurze Zeit darauf trat ein halbes Dutzend junger Rothäute unter den Bäumen hervor, die die Waffen und die Ausrüstung eines Weißen in den Händen trugen, ein noch jugendliches, wetterverbranntes Bleichgesicht in ihrer Mitte.
Es war Young Ironfist.
Stolz erhobenen Hauptes schritt er daher, offenbar beseelt von dem Entschlusse, sich durch nichts aus der Fassung bringen zu lassen.
Seine Augen weiteten sich im Heranschreiten aber doch merklich, als er sich einer Versammlung von roten Männern gegenübersah, die fast ausnahmslos die Häuptlingszeichen trugen.
Unverkennbare Bestürzung malte sich in seinen Zügen, als er inmitten der ernst blickenden Rothäute plötzlich die Große Zunge, den Schwarzen Vogel und die Große Schlange, seinen ehemaligen Lehrmeister, erkannte.
Schnell aber überwand Young Ironfist die Überraschung.
Hocherhobenen Hauptes und frei begegnete er den vielen forschenden Blicken, die jetzt ausnahmslos auf ihn gerichtet waren.
Als die Krieger mit ihrem Gefangenen vor den Häuptlingen standen, trat auf einen kaum merklichen Wink der Großen Zunge der Schwarze Vogel vor und sagte strengen, gemessenen Tones zu dem jungen Bleichgesicht: »Die Krieger der Pe-ta-ha-vah-da haben, wie es scheint, einen sehr glücklichen Fang gemacht. Die Augen des Schwarzen Vogels müßten mit Blindheit geschlagen sein, wenn sie in dem Manne, der sich von den roten Kriegern hat überraschen lassen, trotz der Verwandlung, die mit ihm vorgegangen ist, nicht auf den ersten Blick einen Abtrünnigen ihres Stammes erkennen sollten.«
Mit großem Erstaunen vernahmen es ringsum die Häuptlinge.
Mit der Geste der Zustimmung neigte Young Ironfist schweigend das Haupt.
»Mancher Sommer ist vorbeigegangen,« nahm der Schwarze Vogel in etwas beißendem Tone wieder das Wort, »seit die Pe-ta-ha-vah-da sehr viele Stücke auf einen ihrer jüngsten Krieger gehalten haben. Ja manche hatten sich sogar schon verleiten lassen, ihn ihren Liebling zu nennen, denn jener junge Krieger hatte in der Tat erwarten lassen, einer der tapfersten ihrer Söhne zu werden. Leider aber mußten sie nur zu bald erfahren, daß sie eine Schlange an ihrem Busen genährt haben.«
Hoch auf richtete sich Young Ironfist.
Er warf einen langen, fast vorwurfsvollen Blick auf den Schwarzen Vogel und entgegnete: »Nicht eine Schlange – wohl aber war es ein Unglücklicher, der durch das Spiel des Zufalls eines Tages aufgeklärt wurde, worüber die Pe-ta-ha-vah-da ihn im Dunkel gelassen hatten, daß er nicht einer ihrer Söhne, sondern der Sprößling eines weißen Mannes und einer weißen Squaw ist.«
Forschend sah der Schwarze Vogel den vor ihm stehenden jungen Mann geraume Weile an. Endlich entgegnete er: »Warum ist der junge Krieger, als er erfuhr, was ihm bis dahin verborgen geblieben war, nicht zu den Ältesten und Ersten seines Stammes gekommen, warum hat er sie nicht um Rat gefragt? Die Wahrheitsliebe der Pe-ta-ha-vah-da hätte sich ganz sicher nicht verleugnet, und, hatte das, was ihm in das Ohr geflüstert wurde, einen Wunsch im Herzen des jungen Blaßgesichts gezeitigt, hätte der junge Krieger ebenso auf die Großmut der Pe-ta-ha-vah-da bauen können. Statt dessen hat er seinem Heimatdorfe heimlich den Rücken gekehrt und obendrein einem weißen Gefangenen, dessen Leben als verwirkt gelten konnte, in schnöder, hinterlistiger Weise zur Flucht verholfen.«
Einen Augenblick schlug Young Ironfist die Augen nieder. Dann, gewaltsam sich zusammenraffend, sagte er mit merklich gedrückter Stimme: »Der ehemalige junge Krieger der Pe-ta-ha-vah-da steht nicht an zu erklären: er fühlt sich schuldbewußt. Allzu schwer hatte ihn die Enthüllung des Geheimnisses getroffen, die ihm jenes gefangene Bleichgesicht zuzuflüstern wußte. Schlaflos hat er daraufhin in seinem Wigwam die Nächte durchwacht, wie ein wildes Tier einsam die stillen Wälder durchrast. Daß er nicht sein sollte, was er bis dahin gewesen war, ein Pe-ta-ha-vah-da, er hat es nicht zu glauben vermocht. Jenes Bleichgesicht aber hat ihm immer wieder Tatsachen vor Augen gehalten, die nicht wegzuleugnen waren. Als er sich endlich von der Wahrheit trotz allen Gegensträubens dennoch überzeugen mußte, als das Bleichgesicht den jungen Pe-ta-ha-vah-da-Krieger einen Elenden und einen Feigling nannte, wenn er den weißen Bruder im Stiche ließe, als der Gefangene dann der unerfahrenen jungen Rothaut die Welt der weißen Menschen in den berückendsten Worten und den verlockendsten Farben ausmalte, da hatte Beutelratte die Besinnung vollends verloren. Er hat gehandelt wie ein Träumender, er hat gehandelt wie nur ein Mensch handeln kann, der seiner Sinne nicht mehr mächtig ist. Und die Strafe dafür, sie ist ihm nicht erspart geblieben. Der leichtgläubige und betörte Jüngling von damals, er hat nur zu bald erfahren müssen, daß er das Opfer eines gewissenlosen Heuchlers geworden ist, der nur den eigenen Vorteil suchte.«
Eine merkliche Bewegung ging durch die Versammlung.
Auch der Schwarze Vogel und die übrigen Pe-ta-ha-vah-da schienen von dem warmen, aufrichtig klingenden Ton dieser Beteuerungen für den Augenblick ganz hingenommen.
Schnell aber legte die Stirne des Schwarzen Vogels sich wieder in Falten.
Ernst und gemessen sagte er: »Der ehemalige Krieger der Pe-ta-ha-vah-da spricht von Betörung, von Leichtgläubigkeit, der er zum Opfer gefallen sein will. Fast klingen seine Worte, als ob auch die Reue aus ihnen spreche. Mag auch manches, das er gesprochen hat, wahr sein – wer aber wird einem Manne Glauben schenken, der kurz vor seiner Flucht das Gelöbnis der Treue in die Hände der Ältesten seines Stammes niederlegte, doch kaum zwei Monden später dieses Gelöbnis so leichten Sinnes gebrochen hat? Wie kommt es, so muß man fragen, daß jener entflohene junge Krieger in diesen Wäldern anzutreffen ist? Die Erwartung, daß die Pe-ta-ha-vah-da seine Fährte finden und ihn den Arm der strafenden Gerechtigkeit würden fühlen lassen, kann ihn doch nicht zurückgeführt haben. Man muß vielmehr annehmen, daß die junge Rothaut, als sie sich überzeugt hatte, ein Bleichgesicht zu sein, nicht nur allein ein Opfer der Betörung war, sondern zum guten Teil sich auch vom Zuge ihres Herzens hat leiten lassen. Man muß ferner annehmen, daß der Verlorengewesene bei seinen weißen Brüdern eine warme Aufnahme gefunden hat und daß er ihnen dafür mehr oder weniger Dank schuldet. Wenn man in Verbindung damit, daß das junge Bleichgesicht diese Wälder durchschleicht, das alles in Betracht zieht, muß man zu Vermutungen gelangen, die, wenn die Pe-ta-ha-vah-da den übrigen Versicherungen auch Glauben schenken wollten, ihr nicht geringes Bedenken erregen müssen.«
Ein fast schmerzlicher Zug ging über das Angesicht Young Ironfists.
Frei war zwar sein Blick, aber von tiefer innerer Bewegung redeten seine Worte: »Der ehemalige rote Krieger versteht die Sprache derer nur zu gut, denen er einst in seinen Knaben- und Jünglingsjahren angehört hat. Er fühlt nur zu sehr die Schwere des Vorwurfs, den Stachel und das Mißtrauen, die in den soeben vernommenen Worten ihren Ausdruck finden. Würde der Schwarze Vogel, der Häuptling der Pe-ta-ha-vah-da, die Leidensgeschichte aber kennen, die Beutelratte, solange er unter den Bleichgesichtern weilte, durchlebt hat, würde er statt des Mißtrauens wahrscheinlich doch lieber das Mitleid sprechen lassen. Aus den stolzen Hoffnungen, die jener Gefangene der Pe-ta-ha-vah-da in dem Busen des betörten Jünglings erweckte, erwuchsen eine lange Reihe der herbsten, bittersten Enttäuschungen, die sich mit wenigen Worten nicht zusammenfassen, die sich kurz nicht schildern lassen. Wohl hatte der ehemalige Pe-ta-ha-vah-da-Krieger die Absicht, sich dem Leben seiner weißen Brüder anzupassen, sich mit ihren Sitten und Gebräuchen zu befreunden, einer der Ihren zu werden. Doch die Fremdartigkeit jenes Lebens war für ihn eine so große, die Schwierigkeiten, die sich ihm entgegenstellten, waren so zahlreiche, daß er ihrer eines Tages nicht mehr Herr wurde und damit das stolze Hoffnungsgebäude, das Gebilde seiner Träume wie mit einem Schlage zerflossen lag. Freudig, keineswegs aber mutlos, kehrte er seinen weißen Brüdern den Rücken, das Gute, das er gefunden, im Herzen, von allem Schlechten aber unberührt. Frei wie der Mustang der Prärien, frei wie der Hirsch der Wälder zog er wieder hinaus in das, was die weißen Menschen die Wildnis nennen, glücklich wieder frei zu atmen, glücklich wieder ein Kind der Natur zu sein, bis er eines Tages, ohne daß es in seiner Absicht gelegen hätte, in diese Gegend gelangte und die Berge erkannte, von denen das Tal, in dem die Pe-ta-ha-vah-da wohnen mußten, umschlossen lag. Da konnte der ehemalige Pe-ta-ha-vah-da nicht widerstehen, sein Heimatsdorf wiederzusehen. Heimlich ist er hingeschlichen, hat die Krieger rauchend vor ihrem Wigwam liegen, hat die Squaws ihre Kinder hüten sehen. Heimlich hat er sich wieder entfernt und der Schwarze Vogel mag es glauben, es ist der ehemaligen jungen Rothaut schwer geworden, sich wieder wegzustehlen. Die Wehmut im Herzen ist er pfadlos durch diesen Wald geschlichen. Sie, die Wehmut, die das Herz des Menschen wie mit schweren Steinen beschwert, sie mochte es gewesen sein, die zugleich sein Auge getrübt und sein Ohr geschwächt hat. Nur so kann er es verstehen, daß er den Männern, die ihn gefangen genommen und hierher geführt haben, blindlings in die Hände lief. Nun es aber geschehen ist mögen die Pe-ta-ha-vah-da bestimmen, was mit dem Bleichgesichte geschehen soll.«
Wieder bemächtigte sich eine allgemeine Bewegung der Versammlung.
Mit unverkennbarer Teilnahme hatten die Häuptlinge Young Ironfist beobachtet und auf jedes seiner Worte gelauscht.
Es stand außer allem Zweifel, daß seine Erscheinung und die schlichte Art seiner Verteidigung allgemein einen guten Eindruck gemacht hatte.
Nur die Pe-ta-ha-vah-da standen ernst und anscheinend teilnahmlos da, wohl in der Erwartung, daß der Schwarze Vogel nunmehr ein entscheidendes Wort sprechen würde.
Schon schickte er sich dazu an, die breite Stirne in dunkle Falten gelegt.
Da öffnete sich der Kreis der Versammlung, einem Häuptling, der sich bislang im Hintergrunde gehalten hatte, Platz zu machen. Ein Freudenstrahl flog über das Angesicht Young Ironfists, als er in dem Mann, der sich durch die Reihen schob, den Weißen Falken der Odschibwä erkannte.
Dieser stellte sich, das Wort erbittend, dicht neben Young Ironfist.
»Häuptlinge der Pe-ta-ha-vah-da, der Pottawatomi, der Pawnee und der übrigen hier vertretenen Völker!« begann er. »Es werden wohl an fünf Sommer vergangen sein, als eines Tages drei Bleichgesichter die Jagdgründe der Odschibwä aufsuchten und die Bitte an sie richteten, den Biber und den Otter jagen zu dürfen. Da die beiden Wortführer der weißen Männer den besten Eindruck machten, hatten die Odschibwä den Bleichgesichtern nichts in den Weg gelegt, ja, sie haben sogar nicht gezaudert, mit ihnen die Friedenspfeife zu rauchen. Wohl gab es unter den Kriegern der Odschibwä welche, die in diesem Beginnen eine Tat erblickten, die besser unterblieben wäre, doch sie wurden durch die Begebenheiten, die sich in der Folge daran knüpften, Lügen gestraft. Das ganze Volk der Odschibwä segnet heute den Tag, der diese Bleichgesichter in ihre Jagdgründe geführt hat.«
Und nun erzählte der Weiße Falke, wie sehr damals das Volk der Odschibwä unter den räuberischen Belästigungen eines benachbarten Dakotastammes zu leiden hatte. Er schilderte mit beredten Worten die blutigen Fehden, die sein Volk Jahre hindurch auszufechten genötigt gewesen war, bis eines Tages ihre Feinde sogar bis in die Wälder sich wagten, den Odschibwä einen Kampf auf Sein und Nichtsein aufzudrängen. An jenem kritischen Tage seien es zwei jener Bleichgesichter gewesen, die mit ihren unfehlbaren Todesflinten im Augenblicke der höchsten Not so in den Kampf eingegriffen hätten, daß die Dakota im Handumdrehen aufs Haupt geschlagen wurden. Aber nicht genug daran, jene beiden Bleichgesichter hätten sich auch später noch als die besten Freunde erwiesen; sie hätten den Odschibwä in den Zeiten des Mangels in der uneigennützigsten Weise Pulver und Blei zur Verfügung gestellt, ja, sie wären noch weiter gegangen, ihnen hilfreich beizustehen, sich die besten Flinten zu beschaffen, die das Volk der Odschibwä heute zu einem unbezwinglichen Volke machten.
»Und das eine dieser beiden Bleichgesichter,« fuhr der Weiße Falke mit erhobener Stimme fort, auf Young Ironfist deutend, »steht hier. Es ist der jüngere der beiden Männer, den die Odschibwä um seiner unwandelbar freundschaftlichen Gesinnung willen Treuherz nannten, den sie lieben und verehren, den sie nur ungerne von sich haben scheiden sehen. Es mußte dem Weißen Falken von jeher auffallen, daß Treuherz mit der Sprache, mit den Sitten und Gebräuchen der roten Völker innig vertraut war, er hat sich darüber manchen Gedanken gemacht. Doch wäre es unhöflich gewesen, einem Mann gegenüber, der sich als ein makelloser Freund und Bruder bewiesen hat, das auch nur andeutungsweise auszusprechen. Jetzt sieht der Weiße Falke freilich klar. Er muß leider zugeben, die Tat, die die Pe-ta-ha-vah-da dem Freunde der Odschibwä vorwerfen, sie wiegt schwer. Wenn der Weiße Falke sich erlaubt hat, das Wort zu ergreifen, so lag es keinesfalls in seiner Absicht, das was die Pe-ta-ha-vah-da in dieser Sache zu tun gedenken, zu durchkreuzen. Es ist ihre Angelegenheit und soll auch die ihre bleiben. Immerhin hielt er es für seine Pflicht, die Bedenken, die der Schwarze Vogel soeben geäußert hat, wenigstens nach einer Seite hin, zu zerstreuen. Ein Bleichgesicht, das den Odschibwä die Freundschaft so treu gehalten hat, kann unmöglich in böser Absicht diese Wälder durchstreifen. Zum anderen steht vielleicht doch zu erwarten, daß die Pe-ta-ha-vah-da das, was sie durch den Weißen Falken soeben vernommen haben, in Betracht ziehen und beherzigen, so daß ihr Urteil über die Tat dieses Bleichgesichts und ihre Entscheidung doch vielleicht von einer minder schweren Art sein wird.«
Ringsum Schweigen, erwartungsvolle Stille.
Nur im Hintergrunde da und dort ein leises Flüstern.
Überall aber sehr ernste Gesichter.
Die versammelten Häuptlinge mochten fühlen, daß diese ganz unerwartet hier aufgerollte Angelegenheit, angesichts des Zweckes, zu dem das große Ratsfeuer soeben hier entzündet wurde, doch nicht so einfach lag. Auf der einen Seite die nach ihrer Auffassung durchaus zu billigende Haltung der Pe-ta-ha-vah-da, die völlig im Rechte waren und willens zu sein schienen, den ehemaligen Krieger ihres Stammes den strafenden Arm der Sühne fühlen zu lassen, auf der anderen aber die Freundschaft des Bleichgesichts mit dem sehr angesehenen, einflußreichen Volke der Odschibwä, die nicht übersehen werden durfte. Ja sie fühlten, daß der Weiße Falke die ganze Schwere dieser letzten Tatsache aus einem Grunde, der durchsichtig genug war, bisher nur angedeutet und noch gar nicht voll betont habe.
Besonders die Große Zunge und die übrigen Pe-ta-ha-vah-da machten jetzt sehr ernste und sorgenschwere Gesichter.
Sie verhehlten sich nicht, daß sie, wenn sie die Odschibwä nicht verstimmen oder gar die im Gange befindliche Verhandlung in Frage stellen wollten, wenn auch nicht auf den ungetreuen einstigen Pe-ta-ha-vah-da-Krieger, so doch auf das ihm befreundete Volk Rücksicht nehmen mußten. Sie fühlten, daß die Auseinandersetzung mit dem Bleichgesicht bereits so weit vorgeschritten war, daß ein einfaches Verschieben der weiteren Behandlung, angesichts der Odschibwä, nicht mehr gut möglich war. Es wäre mindestens unhöflich gewesen und konnte Folgen nach sich ziehen, die außer aller Berechnung lagen. Sie sahen die Frage plötzlich in ein ganz anderes, in ein neues Licht gestellt+… sie mußte jetzt mit der größten Vorsicht behandelt werden. Die Pe-ta-ha-vah-da hatten also wohl oder übel alle Klugheit und Mäßigung zu Hilfe zu nehmen, um einen glücklichen Ausweg zu finden.
Endlich schien die Große Zunge zu einem Entschlusse gekommen. Sie erhob die rechte Hand, zum Zeichen, daß sie zu sprechen wünsche.
Über der ganzen Versammlung sofort lautlose Stille.
Mit fast weicher Stimme begann der Sachem sehr diplomatisch: »Ehe die Pe-ta-ha-vah-da dem Häuptlinge der Odschibwä für die sehr überraschenden Mitteilungen ihren Dank abstatten, sei erlaubt eine Frage an das Bleichgesicht zu stellen. – Wenn es zuvor gesagt hat, daß es ihm sehr schwer geworden ist, sich von dem Dorfe der Pe-ta-ha-vah-da wieder wegzustehlen, wenn man die Worte des Häuptlings der Odschibwä in Betracht zieht, die geeignet sind, die Person des ehemaligen, flüchtig gewordenen Pe-ta-ha-vah-da-Kriegers in einem sehr günstigen Lichte erscheinen zu lassen, dann allerdings wird man dem Bleichgesicht Glauben schenken müssen, daß es über seine Flucht Reue empfindet. Die Pe-ta-ha-vah-da geben jetzt ohne weiteres zu, daß es nicht unlautere und verwerfliche Gründe gewesen sind, welche den ehemaligen roten Krieger veranlaßt haben, dem Dorfe der Pe-ta-ha-vah-da den Rücken zu kehren. Sie sind jetzt vielmehr des Glaubens, daß es die voreilige Tat eines unüberlegt handelnden Jünglings gewesen ist. Angenommen nun, die Pe-ta-ha-vah-da würden Nachsicht walten lassen statt der Strenge, womit eine solche Tat sonst getroffen würde, angenommen, sie würden dem Bleichgesichte das Leben schenken – was wollte es beginnen, nachdem es kein roter Mann mehr ist und, wie es sagt, von seinen weißen Brüdern nichts mehr wissen will? Hat es sich darüber schon seine Gedanken gemacht?«
Eine leise Handbewegung der Großen Zunge deutete an, daß Young Ironfist antworten möge.
Dieser zögerte keinen Augenblick und sagte: »Wenn der ehemalige Pe-ta-ha-vah-da-Krieger einen Wunsch aussprechen darf, so wäre es der: es möchte niemals geschehen sein, zu erfahren, daß er ein Bleichgesicht ist. Da er es aber nun einmal ist, will er es auch sein, denn es würde dem Mann von guter gerader Gesinnung übel anstehen und wohl auch kaum gelingen, sich selbst zu belügen. Die stolzen Hoffnungen, die einst den Knaben und Jüngling beseelten, einer der Tapfersten unter dem roten Volke zu werden, dem er, seit er zu denken vermag, angehörte, sind damit freilich ein für allemal zu Grabe getragen. Aber es bliebe für das jetzige Bleichgesicht immer noch eines übrig: es könnte und wünschte auch als weißer Mann ein Freund der roten Krieger zu sein. Als Treuherz, wie die Odschibwä ihren Freund nannten, seinen weißen Brüdern vor etwa Jahresfrist den Rücken wandte, da war all sein Sehnen darauf gerichtet, auf ein gut geartetes rotes Volk zu stoßen, um sein Haupt wie vordem wieder in einem Wigwam zur Ruhe legen zu können. Daß es ihm vergönnt sein würde, sein ehemaliges Heimatsdorf, das Dorf der Pe-ta-ha-vah-da jemals wieder als Heimstätte betrachten zu dürfen, das war ja ausgeschlossen. Getragen von diesem Gedanken hat er große Prärien durchritten, viele Wälder durchzogen, bis der Zufall ihn hierher gelangen ließ. Und immer noch lebt einzig und allein nur dieser eine Wunsch in seinem Herzen.«
»Wie aber denkt sich Treuherz das engere Verhältnis zu den roten Kriegern? wie würde er mit ihnen leben, gesetzt den Fall, daß es ihm gelingen würde, die eine oder andere Freundschaft zu schließen?«
»Ganz und gar der Freund des roten Mannes zu sein, in jeglicher Hinsicht. Freud und Leid mit ihm zu tragen. Mit ihm zu denken und zu handeln!«
Diese schlichte, einfache Erklärung schien auf die ganze Versammlung den besten Eindruck zu machen. Mit unverkennbarem Wohlgefallen sahen die Häuptlinge auf Treuherz.
In einer weniger angenehmen Lage fühlte sich die Große Zunge, die jetzt wieder an einer Klippe angelangt war, die nur schwer umgangen werden konnte, während doch alle Umstände auf eine Entscheidung drängten.
Der Sachem, noch etwas unschlüssig, wurde dieser schwierigen Aufgabe durch die Dunkle Wolke der Pottawatomi enthoben, die vortrat und die Versammlung für eine kurze Frage um Aufmerksamkeit bat. Der Häuptling sagte: »Wenn die Dunkle Wolke in dieser sie sonst wenig berührenden Angelegenheit sich dennoch erlaubt, das Wort zu ergreifen, so tut sie es im Interesse der ganzen Versammlung und im Interesse dessen, was durch die schwebenden Beratungen zu stande kommen soll. Um in dieser Hinsicht das Gelingen zu sichern, scheint es nötig zu sein, daß auch in der Angelegenheit dieses Bleichgesichtes, die unversehens dazwischen gekommen ist, völlig klar gesehen wird. Mein roter Bruder, der Weiße Falke, mag die gute Absicht nicht verkennen, wenn die Dunkle Wolke folgende Frage an ihn richtet: Gesetzt den Fall, die Pe-ta-ha-vah-da würden gegen Treuherz, den weißen Freund der Odschibwä, eine Nachsicht üben, wozu sie unter anderen Umständen niemals eine Veranlassung hätten, würden die Odschibwä, nach dem, was vorgefallen und jetzt zu ihrer Kenntnis gelangt ist, Bedenken tragen, Treuherz wieder in ihrem Dorfe als befreundetes Bleichgesicht zu beherbergen?«
Dem Weißen Falken schien diese Frage nicht ganz gelegen zu kommen. Dennoch zögerte er keinen Augenblick und entgegnete: »Dem Weißen Falken wäre es lieber gewesen, diese Frage jetzt nicht gestellt zu sehen. Für ihn und sein Volk steht die Antwort zwar längst fest. Er wollte nur, um die schwebenden Verhandlungen in keiner Weise zu beeinflussen, den Dingen vorerst ihren natürlichen Verlauf lassen. Hätte dieser eine Wendung erfahren, die den Odschibwä nicht genehm gewesen wäre, blieb ihm ja immer noch übrig das Wort zu ergreifen. Nun aber die Dunkle Wolke die Frage stellte, kann der Weiße Falke die Antwort nicht schuldig bleiben.«
Ohne ein Wort weiter zu sagen, streifte er den Ärmel seines Jagdhemdes zurück, trat dann zu Treuherz, auch diesem den rechten Vorderarm zu entblößen.
Bei beiden Männern wurde eine völlig gleiche Tätowierung sichtbar, die in rohen Zügen die Gestalten zweier Pumas, die sich umschlungen hielten, darstellten.
Der Weiße Falke wies darauf hin und sagte: »Die Häuptlinge der Pe-ta-ha-vah-da kennen die Bedeutung dieser Zeichen. Treuherz, das Bleichgesicht und der Weiße Falke haben die Blutsbrüderschaft geschlossen. Es ist nun nicht mehr schwer, den Grad der Freundschaft, die zwischen Treuherz und den Odschibwä besteht, zu ermessen!«
Allseitiges Erstaunen, dann ein Aufatmen im ganzen Kreise, auch bei den Pe-ta-ha-vah-da, die, als sie die beredten Zeichen gesehen hatten, fast erschraken, ihre volle Ruhe und Fassung aber alsbald wieder fanden. Jetzt wußten sie, daß Treuherz mit den Odschibwä auf Leben und Tod verbündet war, daß sie unter keinen Umständen voneinander lassen würden.
Schnell hatten die Große Zunge, der Schwarze Vogel, die Große Schlange und die übrigen Pe-ta-ha-vah-da einen Blick des Einverständnisses gewechselt.
Alsbald erhob die Große Zunge wieder die Hand, die Aufmerksamkeit der Versammlung zu erbitten. Mit warmem, weichem Ton in der Stimme sagte der Sachem: »Ein Friedenswerk ist es, das die hier versammelten weisen Häuptlinge und Gesandten zusammengeführt hat. Und die Friedensarbeit, der sie alle zu obliegen wünschen, soll durch nichts beeinträchtigt werden, wenn auch der Zufall Treuherz, das Bleichgesicht, hierher geführt hat, unter Umständen, die diese Versammlung fast gar in eine Gerichtssitzung gewandelt hätte. Es ist vor allem der Wunsch der Pe-ta-ha-vah-da, das geplante Vorhaben mit allen Kräften zu fördern. Sie sind zum Beweise dessen daher willens, die Angelegenheit dieses Bleichgesichts einer sehr einfachen Lösung zuzuführen, der großen Tat, die hier gemeinsam vollbracht werden soll, durch ein Werk der Milde und Nachsicht, durch ein Werk friedevoll gesinnter Art gleichsam eine beredte Weihe zu verleihen. So sei denn die Schuld, die Treuherz, das Bleichgesicht, dereinst auf sich geladen hat, aus dem Gedächtnisse der Pe-ta-ha-vah-da hinweg gewischt, sei das, was es in jugendlicher Übereilung verbrochen hat, der Vergessenheit anheim gegeben+… Treuherz sei schuldlos und frei! – Wohl bedarf das noch der Zustimmung des Großen Rates der Pe-ta-ha-vah-da, doch wird dieses wenig an diesem Entschlusse ändern, denn die Große Zunge darf annehmen, daß in dieser Entscheidung das ganze Volk der Pe-ta-ha-vah-da hinter seinen Häuptlingen steht.«
Die Große Zunge trat zu Treuherz, reichte diesem die Hand, die dieser mit glücklich strahlendem Gesicht erfaßte.
»Nur eines sei dem noch angefügt,« sagte die Große Zunge, jetzt mit gewinnendem Lächeln, während Treuherz zum Zeichen des Dankes sich tief vor dem Häuptling verneigte. »Wenn das Bleichgesicht, wie wohl zu erwarten steht, den ›Wald des Schweigens‹ verlassen wird, den Weißen Falken, seinen roten Bruder und Freund nach den Dörfern der Odschibwä zu geleiten, dann möge Treuherz sich früher oder später erinnern, daß er fortan auch an den Feuern der Pe-ta-ha-vah-da stets von Herzen willkommen ist.«