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III. Phantasie

Die Phantasie ist der Merkurius in der menschlichen Complexion; sie vermittelt alles, und macht, daß der Mensch so gut und so bös ist.
Heinse.

Die Psychologen der neuen Aera pflegen denen der ältern den Vorwurf zu machen: daß sie durch Aufstellung mehrerer, und zwar höherer und niederer, Seelenvermögen, einer Vernunft, eines Verstandes, eines obern und untern Begehrungsvermögens, einer Einbildungs- und Erinnerungskraft u. dgl. m. die lebendige Einheit des menschlichen Geistes zersplittern und tödten. Sobald die erwähnten, sogenannten Vermögen, als besondere, nach eigenen Gesetzen wirkende Wesen gedacht werden, haben die Tadler recht; denn der Geist des Menschen ist eine einzige, ganze, untheilbare Kraft; und alles, was man an ihm unterscheiden kann, sind nur die Formen seiner Thätigkeit, in welchen er sich äußert. Aber diese Formen lassen sich auch wirklich deutlich genug und zu großer, praktischer Förderniß von einander unterscheiden; und da das Unterscheiden von jeher der Welt weniger Schaden gebracht hat, als das Zusammenwerfen, so wollen wir unsererseits jener ältern Schule lieber danken, daß sie uns gelehrt hat, den Menschen zu analysiren, statt ihn als ein Wunder anzugaffen, – wollen, dem Winke gemäß, den sie uns gibt, indem wir die geistige Kraft des Menschen beschauen und bewundern, uns an die Verschiedenheit ihres Wirkens halten. Wir mögen uns in so viele Radien auseinander legen, als nur vom Mittelpunkte unseres innersten Wesens zum Umkreise der Unendlichkeit denkbar sind; drei Richtungen werden es doch am Ende sein, auf welche sich alle andern so ziemlich zurückführen lassen: die des denkenden Vermögens, die des empfindenden, in welchem Phantasie und Gefühl zusammenfließen, und die des wollenden; dies zusammen ist der innere Mensch, – sein ganzes Wesen, seine ganze Tendenz: das, was der immer philosophische Sprachgebrauch »sein ganzes Denken, Dichten und Trachten« nennt. Gedanken sind die Nahrung, Gefühle die Lebenslust, Willensakte die Kraftübungen des geistigen Lebens. Wie nun die Seele auf diese dreifache Weise gegen die hereinbrechenden Leiden der Leiblichkeit thätig ist, wollen wir gesondert in Betrachtung ziehen.


Wenn schon eine Rangordnung im Reiche des Geistes stattfinden soll, so mag die Phantasie die niedrigste, der Wille die mittlere, die Vernunft die höchste Stufe einnehmen. Dies ist wenigstens die Ordnung, in welcher sich während unsers Lebens jene Thätigkeiten entwickeln. Der Knabe phantasirt, der Jüngling begehrt, es denkt der Mann, und wenn es wahr ist, daß die Natur bei ihrem Wirken vom Kleineren zum Größeren fortschreitet, so ist jener Stufengang bewiesen. Sie fängt mit ihren Entwicklungen bei der Phantasie an, und so wollen auch wir bei ihr anfangen. Ist doch die Phantasie die Brücke, von der Körperwelt in die der Geister! Ein wunderbares, wandelvolles, räthselhaftes Wesen, von welchem man nicht weiß, ob man es dem Leibe oder der Seele zueignen soll, ob es uns oder wir dasselbe beherrschen? So viel ist gewiß, daß es sich eben um dieser Stellung willen ganz besonders dazu eignet, die Wirkungen der Seele auf den Körper zu vermitteln, und daß es uns gerade als solches Mittelglied hier besonders wichtig sein muß. Und in der That, wenn wir auf die Vorgänge in unserem Innern genau Acht geben, so werden wir wahrnehmen, daß weder der Gedanke, noch das Begehren unmittelbar in uns körperlich werden – sondern daß sie immer erst durch die Berührung der Phantasie zur Erscheinung gelangen: eine Bemerkung, die für den Psychologen und Arzt bedeutend genug ist. Die Phantasie ist die Vermittlerin, die Ernährerin, die Bewegerin aller vereinzelten Glieder des geistigen Organismus. Ohne sie stagniren alle Vorstellungen, und wenn deren Fülle noch so groß wäre; die Begriffe bleiben starr und todt, die Empfindungen roh und sinnlich. Daher der belebende Zauber der Träume, dieser lieblichen Kinder der Phantasie – die bethätigende Macht des Genies, der Dichtung und alles Hohen, das nie ohne Poesie ist. Ueberhaupt ist die Phantasie – nach dem Worte eines weitausgreifenden Denkers – noch die unerforschteste und vielleicht die unerforschlichste der menschlichen Seelenkräfte; denn da sie mit dem ganzen Bau des Körpers, insonderheit mit dem Gehirn und den Nerven zusammenhängt, wie so viele wunderbare Krankheiten zeigen, so scheint sie nicht nur das Band und die Grundlage aller feineren Seelenkräfte, sondern auch der Knoten des Zusammenhanges zwischen Geist und Körper zu sein; gleichsam die sprossende Blüte der ganzen sinnlichen Organisation zum weiteren Gebrauch der denkenden Kräfte.« – Und Kant, der Philosoph griechisch: χαι εξοχην, der weit weniger, als sein eben angeführter großer Gegner, der Mann war, jener »ewig beweglichen, immer neuen Göttin« eine Hymne zu singen, macht doch auch die Bemerkung, daß ihre bewegende Kraft weit inniger sei, als jede mechanische. Ein Mensch – pflegte er zu sagen – den gesellige Freude recht vom Grund aus durchdrungen, wird mit weit mehr Appetit essen, als Einer, der zwei Stunden auf einem Pferde gesessen hat, und erheiternde Lectüre ist gesünder, als Körperbewegung. In diesem Sinne betrachtete er das Träumen als eine Motion im Schlafe, von der Natur veranstaltet, um das Getriebe der Organisation lebendig zu erhalten. Ja, in dem tiefsinnigsten seiner Werke erklärt er auch das Vergnügen der feinen Gesellschaft für den Effect der geförderten peristaltischen d.h. wurmförmige Bewegung der Därme, wodurch der Inhalt derselben fortbewegt und die Verdauung befördert wird. A.d.H. Darmbewegung, und die dadurch erhöhte Gesundheit für den wahren und besten Zweck so vieler zarten Empfindungen und geistreichen Gebauten. Mag es doch dem Philosophen erlaubt sein, indem er uns guten Rath ertheilt, sich nebenbei ein bischen Luft zu machen! – Ein anderer Denker nannte die Phantasie passend »das Klima des Gemüthes.« In ihm haben auch einzig und allein die eigentlichen Krankheiten der Seele ihre Wurzel und ihren (sogenannten) Sitz. Denn wäre ihr Herd der Geist, so waren sie Irrthümer oder Laster, und nicht Krankheit; wäre es der Leib, so wären sie nicht Krankheit der Seele; nur wo Beides sich wundersam berührt, in der räthselhaften Dämmerung, wo der Schatten des Seelenlichtes durch den Körper bedingt wird, da taucht diese Schreckgestalt der Menschheit auf, die uns äffend höhnt, von der wir uns mit tiefem, innerstem Schauder abwenden, und welche weit und für immer von uns zu bannen, die eigentliche und letzte Aufgabe der Diätetik der Seele ist. Phantasie bleibt immer ein Vermögen für das Nichtwirkliche, und mit einem solchen Vermögen ist der Kenn des Glückes und Elendes in uns gelegt. Wuchert sie maßlos fort, so macht sie uns wachend träumen, – und wir stehen auf der ersten Stufe des Irrsinnes. Und selbst

»Des Dichters Aug', in schönem Wahnwitz rollend –«

blickt es nicht manchmal die furchtbaren Dämonen, wie durch unheimlichen Zauber, herbei, die es nur verscheucht, wenn es fest dem ewigen Sterne der Schönheit zugewendet bleibt? Aber auch im gewöhnlichen Zustande des Daseins, – übt nicht die Phantasie eine langsam unaufhörlich bildende Gewalt über uns? Haben wir nicht in der Phantasie der Aeltern (wenn nicht den einzigen, doch) einen sehr einflußreichen Grundkeim zur Lebensform des künftigen Menschen zu suchen? und wenn nun insofern der ganze Mensch ein Sohn der Phantasie zu nennen wäre, – ist da nicht die Phantasie etwas sehr Ursprüngliches in uns? Man kann sagen, sie ist in uns, ehe wir noch wir selbst sind, und wenn wir es kaum mehr sind; – in allen jenen merkwürdigen Zuständen, in welchen die freie Besonnenheit unter die Gewalt einer dunkeln Willkür geräth, in der Kindheit, im Schlummer, im Wahnsinn, in jener poetischen Periode, die ein Gemisch von allen dreien ist, walten ihre Zauber am mächtigsten. Was die umgebende Außenwelt mit all ihren wichtigen Einflüssen für den auswendigen, das ist die Phantasie, diese innere, den Kern des Lebens umgebende Welt von Bildern, für den inwendigen Menschen. Wie sollte nicht ihr Weben und Walten für Gesundheit und Krankheit entscheidend sein? »Ich habe oft Stunden lang – erzählt Lichtenberg von sich – allerlei Phantasien nachgehängt. Ohne diese Phantasien-Cur, die ich meist um die gewöhnliche Brunnenzeit gebrauchte, wäre ich nicht so alt geworden.«

Wenn ich vorhin sagte, in ihr stieße Empfinden und Einbilden zusammen, so war das nicht gesagt, um eine genauere Distinction zu ersparen, sondern weil in der That Gefühl und Phantasie nur der leidende oder thätige Zustand eines und desselben Vermögens sind; denn wir empfinden auch, indem wir phantasiren; wir empfinden dann, was wir uns einbilden, so wie sich die Phantasie, welche in diesem Falle thätig war, leidend mit den Eindrücken beschäftigt, welche ihr die Außenwelt aufdrängt – als Empfindung. Wer geübt ist, über sich selbst nachzudenken, wird bald merken, daß hier mehr als ein bloßes Wortspiel zu Grunde liegt. Wir werden leiden, wenn wir die empfindende Fläche unseres Wesens der Welt entgegen halten; – wir werden uns von Leiden befreien, wenn wir eine thätige Phantasie ihr entgegen stellen. So kommt auch hier, wie in allen Dingen, Leid und Freude den Menschen aus Einer Quelle. Und wenn Jedem von uns die furchtbare, wie die herrliche heilsame Gewalt der Phantasie in kranken Zuständen aus Erzählungen und Beispielen hinlänglich bekannt ist, – muß nicht, was Krankheiten heilen kann, auch im Stande sein, sie abzuwehren, – was sie tödtlich machen kann, sie herbeizuführen? Wie tief und gefahrvoll leiden jene Unglücklichen, die sich der fixen Einbildung irgend eines ihnen drohenden oder schon gegenwärtig gewähnten Uebels überlassen? Früher oder später führen sie es wirklich herbei. Eine anhaltend auf Ein Organ geleitete Innervationsströmung, die nicht ermangeln kann, auch die Vegetation desselben in ihren Bann zu ziehen, ist die physiologische Ursache eines solchen Phänomens. Man kennt jenen Schüler Boerhave's, der den entsetzlichsten Cursus der Medizin durchmachte, indem alle krankhaften Zustände, welche der beredte Lehrer mit lebensvollen Farben malte, nach und nach an ihm wirklich zum Vorschein kamen; nachdem er so im Wintercurse die Fieber und Entzündungen und im Sommer die Neurosen durchgemacht, hielt er es für gerathen, ein Studium aufzugeben, welches ihn an den Rand des Grabes docirt hätte. Ein Kellner las im September 1824 in einer Zeitung die Schilderung des durch den Biß eines wüthenden Hundes erfolgten Todes eines gewissen James Drew, wurde nach der Lectüre von der Wasserscheu befallen, und im Guy-Hospital noch dem Tode entrissen. (Britannia, April 1825.) Unglückliche, die sich im Innern vom Vorwurfe einer ausschweifend verlebten Jugend gequält fühlen, und die körperlichen Folgen davon fürchten, drücken das Bild der ihnen drohenden Uebel so tief und wiederholt in ihre Seele, bis jener Zustand entsteht, welchen Weikard als Tades imaginaria d.h. eingebildete Schwindsucht. A.d.H. charakterisirt, und welcher ein trauriges Gemisch von Besorgnissen und durch Besorgnisse wirklich erzeugten Leiden ist. Jeder ausübende Arzt hat, zumal in unseren überbildungssiechen Tagen, oft genug Gelegenheit, analoge Erscheinungen an sich und Andern zu bemerken. Während des Studiums der Augenheilkunde schweben manchem Jünger unserer Kunst Mouches volantes d.h. fliegende Mücken, eine der Sehkraft schädliche Augentäuschung. A.d.H. vor den Augen und schwächen diese wirklich, während das Schreckbild des schwarzen Staars der Phantasie droht. Wie häufig während der furchtbaren Epidemie, welche in den letzten Jahren zur europäischen Angelegenheit geworden ist, Die Cholera, id. hörte man, nachdem das gesellige Gespräch sich eine Zeit lang um jene Achse gedreht hatte, Diesen und Jenen über beängstigende Empfindungen im Unterleibe klagen, bis er wirklich Symptome des gefürchteten Uebels äußerte! – Ich greife absichtlich nach Beispielen in die nächste Nähe; aus Büchern könnten sie ins Erstaunliche vermehrt werden. Und diese Phantasie, welche im Stande ist, den Sterblichen in solch einen tiefen Jammer zu stürzen, sollte nicht Kraft genug haben, ihn zu beglücken? Wenn ich erkrankte, weil ich mir einbilde, zu erkranken – sollte ich mich nicht gesund erhalten können, dadurch, daß ich mir fest einbilde, es zu sein?

Wenden wir uns zu der erfreulichen Betrachtung jener Fälle, welche diese Frage bejahen. Ich wiederhole hier nicht, was von Wundern des Zutrauens, der Hoffnungsbilder, der Träume, der Sympathien, der Musik in Krankheiten erlebt worden ist; es stehe nur als ein Wink hier, daß das, was auf schon zerrüttete Organe heilend wirkt, noch wirksamer gesunde bewahren werde. Alle jene Mittel zur Heilung gehören ins Gebiet der Phantasie, und eine fortrückende Zeit wird unsere Enkel belehren, daß noch gar manche Heilmethode in dieses Gebiet gehöre, deren Grund wir heute noch ganz wo anders suchen. Dadurch wird ähnlichen Mitteln gar nichts genommen; wenn mich die Einbildung gesund gemacht hat, ist nun meine Gesundheit nur Einbildung? Ein Kranker, der von seinem Arzte durchaus gewisse Pillen verlangte, die dieser, weil er sie unzweckmäßig fand, verweigerte – ertrotzte endlich, daß ihm der wohlmeinende Arzt, unter dem Vorwande, ihm zu willfahren, Brodpillen gab, die er übergüldete. Wie mag der gute Doctor erstaunt sein, als ihm der Kranke des andern Tages dankbar die Wirkung der Pillen rühmte, die nicht nur was er wünschte, sondern noch zum Ueberflusse Erbrechen erregt hatten! War diese Wirkung weniger vorhanden, weil sie aus Einbildung entstanden? Ein englischer Arzt wollte bei einem seit Langem an Zungenlähmung leidenden Manne, dem bisher nichts half, ein von ihm erfundenes Instrument versuchen, von welchem er sich viel versprach. Um sich zuerst von der Temperatur der kranken Zunge zu unterrichten, bringt er ein kleines Taschen-Thermometer unter dieselbe. Der Kranke, im festen Glauben, dies sei das neuerfundene Heilinstrument, versichert entzückt nach wenigen Minuten, daß er seine Zunge bewegen könne (Sobernheim, Gesundheitslehre 1835). – Konnte er sie etwa weniger bewegen, weil ihn eine Einbildung geheilt hatte? – Es ist hier nicht der Ort, zu untersuchen, wie viel von den Erscheinungen des animalischen Magnetismus hierher gehört. Die Beobachtung der körperlichen Wirkungen einer absichtlich gestimmten Phantasie ist wenigstens eine der ältesten, welche Menschen gemacht haben. »Was würden Sie sagen – schreibt Foutanier, ein in Asien reisender Gelehrter, aus Teheran vom August des Jahres 1824, an Jaubert in Paris, – wenn ich Ihnen melden müßte, daß die Theorie (Erfahrung?) dessen, was wir den thierischen Magnetismus nennen, den Einwohnern des Orients viel früher bekannt gewesen, als man in Europa daran dachte? Daß es Leute in Asien gibt, welche die Praxis jener Theorie zu ihrem eigentlichen Gewerbe machen, und von den Molla's verfolgt werden?« – Nun sind die Söhne des Ostens weit mehr in der Welt der Phantasie daheim und erzogen, als wir, und die Mysterien des Wunderreiches mußten, als ihre ersten Erfahrungen, ihnen bekannter werden, als uns. Alle die Einwirkungen, welche wir täglich kräftigere und reichere Naturen auf unbestimmtere und zartere ausüben sehen, scheinen in diesen Bezirk zu gehören, und durch Operationen der Phantasie bewerkstelligt zu werden. Auch die Vernunft eines höheren Menschen wirkt erst in die unsere, wenn die Phantasie ihr den Weg gebahnt hat. Bedeutende Menschen wirken nicht dadurch, daß man sie sogleich versteht ( exempla odiosa!), sondern durch den Nimbus, der sie umglänzt, und die Phantasie der übrigen in ihre Atmosphäre zieht.

Es sind diese Phänomene Sinnbilder für so Vieles, für das Größte und Wichtigste, was in der Menschenwelt geschieht. Eine geistige Atmosphäre, wie eine äußere, umgibt die Welt und jeden ihrer Theile, umgibt das Jahrhundert und den Tag. In sie verbreiteten sich alle lebendigen Wirkungen des Einzelnen zu einem Ganzen; aus ihr wirken sie, ihm unbewußt, auf den Einzelnen zurück. Gedanken, Empfindungen, Vorstellungsweisen schweben ungesehen in der Atmosphäre; wir athmen sie ein, assimiliren sie und theilen sie mit, ohne uns dieser Vorgänge deutlich bewußt zu sein. Man könnte sie die äußere Seele der Welt nennen; der Geist der Zeit ist ihr Reflex in der Geschichte, und das merkwürdige Phänomen der Mode eine Fata Morgana dieses Luftkreises. Er umgibt auch die kleineren Kreise der Gesellschaft, und wie eine zarte Contagion lösen sich Gedanken in ihm auf, und influenziren auf diejenigen, die wir unsere eigensten wähnen. Ist er gleich das naturnothwendige Ergebnis der organischen Wirkungen eines Ganzen, so bemerkt der genaue Beobachter doch bald, wie vorzugsweise die Lebensenergie eines Einzelnen ihn bestimmt, ihn zum Träger seiner Daseinsweise, und diese dadurch zu der seiner Umgebung macht. Der Muth des Helden theilt sich wie ein belebender Aether den halbgelähmten Schaaren der Gefährten mit; das Zittern der Furcht steckt unwillkürlich an; ein gemüthliches Lachen, so recht vom Herzen aus, der Geist einer unverwüstlich frohen Laune reißt in sanften, aber unwiderstehlichen Schwingungen eine ganze Gesellschaft mit sich fort, und selbst der Grämliche kann, halb verschämt und halb verdrießlich, das Lächeln seiner Lippen nicht zurückzwingen; und wieder – das Gähnen der langen Weile aus einem einzigen Munde, erzeugt es nicht eine Epidemie des Gähnens in einer ganzen Gesellschaft? wirkt es nicht wie die schwüle Gegenwart eines Verräthers unter Freunden? und man fragt noch (wie ich so oft gefragt wurde), wie es möglich sei, daß eine Anzahl gesunder, unbefangener und ehrlicher Menschen die Gespenster wirklich gehört und gesehen zu haben versichert, welche der Exorcist beschwor? Im guten und schlimmen Sinne sei es gesagt: Es ist eine allmächtige Kraft, die Kraft des Glaubens, und noch geschehen Wunder, – da, wo sie lebt und wirkt, die Gewalt, welche Berge versetzt. Halte deinen Bruder für gut, und er ist es; vertraue dem Halbguten, und er wird gut! muthe deinem Zöglinge Fähigkeiten zu, und er wird sie entwickeln, – halte ihn für unbildbar – und er wird es bleiben. Erkläre dich für gesund – und du magst es werden! Die ganze Natur ist ja nur Echo des Geistes, und es ist das höchste Gesetz, welches sich in ihr ausfinden läßt: daß aus dem Ideellen das Reale werde – daß die Idee allmählich die Welt nach sich gestalte.

Ueber dieses Kapitel wären Bücher zu schreiben; ich aber kehre von meiner Abschweifung zurück, und will nur andeuten, daß dort, wo die eigene Phantasie zu lahm geboren ist, um in meine seelendiätetischen Pläne einzugehen, sie sich an eine mächtigere schließen und aus ihr den Odem und die Milch geistiger Gesundheit schlürfen mag. »Seelenhektisch ist jeder – sagte der noch nie ganz gewürdigte Hippel – dessen Einbildungskraft auf schwachen Füßen geht. Die Phantasie ist die Lunge der Seele.« – In der That, wenn es erlaubt ist, Gleichnißreden fortzuspinnen, erscheint die Phantasie als die vegetative Sphäre des innern Menschen, dessen irritable das fühlende, dessen höchste, das geistige Nervensystem bedeutende, das denkende Vermögen darstellt. Die Phantasie ist weiblicher Natur; das weibliche Leben ist im Ganzen ausdauernder, als das männliche, und jene hohe physische Kraft, welche – nach der Erfahrung des Menschenforschers – der Zartheit und Reinheit verliehen ist, möchte ihr Ergebniß sein. Und sehen wir nicht, wie sich so häufig zarte, wie aus Mondschein und Aether gewebte Lianen-Naturen, zum Staunen ihrer selbst und der Ihren, erhalten und schützen, blos von der duftigen Kost leichter, feenhafter Träume genährt? Ist nicht die Hoffnung, nächst dem Schlafe, dem Bringer der ächten Träume, – selbst in den Augen Kants – des nüchternsten der Vernunft-Evangelisten – die Beschützerin und der Genius des menschlichen Lebens? und was ist die Hoffnung meist anders, als eine Tochter der Phantasie? eine Schwester des holden Traumes? Gewiß, Hufeland hat Recht, wenn er eine lieblich gerichtete Einbildungskraft unter den wichtigsten Verlängerungsmitteln des Lebens mit aufzählt. Kallobiotik ist nur ein Theil der Macrobiotik, und die Schönheit des Daseins liegt in den Händen der Phantasie. Wenn eine in neuesten Tagen berühmt gewordene Frau von sich rühmt: »bei altersmäßiger Reife alle Springfedern wahrer Kindheit und Jugend im Gemüthe bewahrt zu haben,« – wem hatte sie das zu danken, als jener mit den Schwingen ewiger Jugend beflügelten Phantasie, welche ihre Leser an ihr so gerne bewundern? Lange würde die traurige Katastrophe über Naturelle, wie das eines Novalis, eines Heine, v. Kleist, nicht hereingebrochen sein, wenn nicht dieselbe Phantasie, welche thätig war, sie abzuwehren, durch die verderbliche Richtung, die sie annahm, vielmehr selbst die Lähmung aller frohen Kräfte herbeigeführt hätte. Und hier bin ich nun, wo ich anlangen wollte. Eben weil die Einbildungskraft nur die schwärmende Seite des Empfindungsvermögens, weil sie weiblicher Natur ist, so soll sie auch nie, wenn sie gedeihlich werden will, ihres passiven Standpunktes vergessen. Sie ist ein sanftes vestalisches Feuer, welches, wenn es jungfräulich gehütet wird, leuchtet und belebt, – wenn man es aber entfesselt, verzehrend um sich greift.

Hier tritt noch ein anderes beseligendes Wesen in unsere Nähe, das jene Flamme nährt und mit freundlichem Lächeln auch zu dämpfen versteht. Witz, – herrliches Element im Ganzen menschlicher Bildung! mit deinen fröhlichen Genossen, dem Humor und der Jovialität, übst du die heilsame Macht des Lächerlichen, und rettest uns so oft von Dünkel, Beschränktheit, Pedantismus, eitler Größe und trübsinnigem Bangen! Vor deinem leichten, gewaltigen Scepter fliehen beschämt die grämliche Sorge, die aufgeblasene Hoheit, der peinigende Wahn; die heitere Stimmung, ein linder Balsam, den du im kranken Gemüthe zurücklässest, bleibt ein unschätzbares Trostmittel auch dort, wo Trostgründe nicht mehr ausreichen. Wer wollte nicht versuchen, diesen Balsam bereiten, wenigstens anwenden zu lernen?

Unter den Bestrebungen, die das geistige Leben des Menschen auf unserem Planeten bilden, ist es die Kunst, welche der Sphäre zugehört, in der wir uns eben bewegen. Wie im Traume ein freundliches Vegetiren den ermüdenden Kampf des Geistes mit der Körperwelt ablöst und, indem es Leib und Seele näher verschwistert, das Dasein durch Ersatz wiedergebiert, so erschafft uns die Kunst im Wachen Träume, welche das Leben unterhalten, das dem Zwiespalt der Wirklichkeit erliegen will. Halb an den Leib, halb an die Seele spricht die Musik, die bildende und die redende Kunst. Von der Musik namentlich meinte ein scharfer Beobachter, der es sich zur Aufgabe gemacht, zu jeder Blüte den Stamm und die Wurzel zu suchen, – es laufe bei ihr zuletzt doch Alles auf Gesundheit hinaus; denn wenn ein lebendiges Wesen sich selbst mit all seinen Kräften und Trieben recht innig fühle, so befinde es sich wohl. Durch Gesang und Musik aber entstehe eine harmonische Belebung aller Organe; die zitternde Bewegung theile sich dem ganzen Nervensysteme mit; der ganze Mensch sänge und töne gleichsam mit, seinem angebornen Triebe gemäß sein Dasein auszuposaunen. Und in der That, – ist unser Gefühl selbst etwas anderes, als eine beständige Musik des Lebens, – eine Schwingung in uns, welche die Tonkunst nur gleichsam in Luft verkörpert, außer uns darstellt? und beruht nicht jede andere Kunst, wie die Musik, auf dem Gefühle harmonischer Verhältnisse? So werden sie alle zum Palladium der Gesundheit und des frohen Zustandes werden, wenn sie, den obigen Erörterungen gemäß, von dem männlichen Geiste beherrscht und geleitet, zum Frieden und zur Versöhnung hinwirken. Dann wird ihr holder Aether uns durchs ganze Leben erquicken, und noch im Tode werden uns, wie es von Jakob Böhme erzählt wird, Harmonien umringen und mit nie gehörter Herrlichkeit in die größere und ewige Harmonie der Sphären hinübergeleiten. Aber hier läge die Versuchung nahe, eine ästhetische Vorlesung zu halten und zu fragen, ob der jetzige Zustand der Kunst diesem schönen, freundlichen Zwecke entspreche? ob die Werke unserer Maler, wie der Anblick des vatikanischen Apoll, uns mit innerer Gesundheit erfüllen? ob die der Dichter uns zu erheitern, zu bilden, zu beleben, gesund zu erhalten, geschrieben und geeignet sind? Diese Fragen gehören weit mehr, als man etwa glauben möchte, in das Gebiet einer Diätetik der Seele.


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