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Tagebuchblätter.

Condo et compono, quae mox depromere possim.
Horat.

Die Werke der Dichter, – Romane und Theater, – haben vor rein didactischen Büchern eben das voraus, daß sie nicht Alles aussprechen (woraus Langeweile entsteht); sondern daß sie im Leser, indem sie ihm ein Problem hinwerfen, das eigene Nachdenken anregen. Haben wir ihn nun in den vorangehenden Blättern gelangweilt, so gedenken wir uns durch die folgenden dem eben genannten Vortheile der Dichter zu nähern. Denn aphoristische Reflexionen reizen mehr an, als sie befriedigen, regen mehr an, als sie geben.


Das Leben streut überall Aufgaben, und für den Aufmerksamen (in Symbolen) Grundsätze aus. Ein Gleiches leisten vortreffliche Bücher und erfahrene Menschen. Wir müssen überall hinhorchen, woher Beruhigung und Kräftigung zu gewärtigen ist. Was wir auf diese Weise uns aneignen, wenn wir das uns Gemäßeste finden und in uns verwandeln, ist eben sowol unser Eigenthum, als das, was wir erdacht zu haben glauben. Denn erfinden kann der Mensch doch Nichts; er bethätigt, indem er denkt, nur das in ihm, wie in Allen, wirkende Gesetz des Denkens; ihn umgibt die Atmosphäre des Wahren, aus welcher er einhaucht und wieder ausathmet.


In diesem Sinne kann jenes Wort von Goethe Manchem, der sich mit unserer Aufgabe beschäftigt, sehr gemäß und fruchtbringend sein: »Ein zu zart Gewissen, das eigene Selbst überschätzend, macht auch hypochondrisch, wenn es nicht durch große Thätigkeit balancirt wird.«


So auch dieses andere Wort eines deutschen Schriftstellers: Wer Geist und Körper in vollkommener Gesundheit erhalten will, muß frühzeitig an den allgemeinen Angelegenheiten der Menschen Theil nehmen.«


Nach Gleichgewicht gegen außen und in sich, ist zu streben. Nun ist dies, in so weit es durch den Willen erreichbar ist, in Bezug auf vegetatives Leben: Genügsamkeit, – in Bezug auf irritables: Balance zwischen Bewegung und Ruhe; – in Beziehung auf sensitives: Behagen. Hierin liegt unser Gesetz.


Es gelingt nur den geistig kräftigen und sittlich durchgebildeten Menschen, in sich eine gewisse Stille zu bewahren, die selbst während bewegter Momente und Epochen, wie der Punkt des Archimedes, noch eine Stätte für die Betrachtung bietet; die dem Sein das Denken zugesellt, welches die wahre Glückseligkeit des Menschen ausmacht.


Mit der Leidenschaft möchte es immerhin angehen, – wenn sie nur commensurabel wäre.


Oft habe ich mich scharf beobachtet, und gefunden: auch bei umwölktestem Kopfe ist der Gedanke rein und frei, wie Etwas, das, von außen gedrängt, sich unendlich unverletzbar zurückzieht. Nur die Wirkung ist ihm gehemmt; er kann gleichsam nicht empfunden werden.


Es gibt kühlende Gedanken, wie es erhitzende gibt. Das Verhältniß ist nicht wie das der fröhlichen und traurigen, beide können beides sein.


»Der Zweifel, das bangste aller Gefühle, löst sich durch die Verzweiflung, die oft zum wahren Heilmittel wird.«


Es gibt Augenblicke, glückliche Augenblicke, von denen man sagen kann: der Körper hat sich bis auf das Vergessen seiner Bedürfnisse dem Geiste untergeordnet. Der freie Schwung unserer Kräfte strömt wie ein Meer zwischen einem sichtbaren und einem unsichtbaren Lande.

Wohl Jenem – geistig und leiblich – dem solche Augenblicke werden; der sie durch eine ideale Richtung des Lebens zu rufen, – aber auch durch Besonnenheit zu mäßigen versteht!


»Die Natur heilt, wo sie verwundet. Aber wo der Mensch sich selbst zu nahe tritt, – soll sie da, wie die Mutter des verwöhnten Kindes, ihn noch stolz durch ihre Theilnahme machen? Ist diese Ruhe, dieser schlängelnde Bach, dieser stille Wald, dieser blaue Himmel, diese allgemeine Harmonie der ewigen Schönheit, nicht mütterlicher Balsam genug in deine Seele?«

Und ist es nicht edler und natürlicher, die kleine Dissonanz der Selbstheit in jenen harmonischen Einklang aufzulösen, als ihn durch sie zu verderben?


Eine Kunst, das Leben zu verlängern? ... Lehrt den, der es kennen gelernt hat, lieber die Kunst, es zu ertragen!


»Das ganze Geheimniß, sein Leben zu verlängern, besteht darin: es nicht zu verkürzen.«


Dreierlei muß bei der Thätigkeit berücksichtigt werden, wenn sie wahren Segen bringen soll:

1. Sie muß ihr Maß bewahren; »ohne Rast, aber ohne Hast

2. Sie muß in der rechten Stunde den rechten Gegenstand mit Liebe ergreifen, nicht invita Minerva.

3. Sie muß abwechseln – mit Ruhe und mit den Gegenständen. Die Natur des Geistes ist so geartet, daß uns der Wechsel meist mehr Erholung schafft, als die Ruhe.


Ruhe, Genuß oder Strapaze? – »Der angemessene Wechsel von abhärtender Thätigkeit und dadurch bedingtem gründlichen Behagen.«


Leicht bemerkt es sich, daß die Lebensansicht, die den Genuß apotheosirt, weniger Genuß schafft, als die, welche ihn mit Maß schätzen, also auch den geringeren würdigen lehrt, daß jene unfehlbar den Lebensüberdruß erzeugt, den diese allein zu heilen fähig ist.


Für den rechten Menschen ist Trost nicht heilsam, weil er schwächt. Pflicht ist sein wahrer Trost. Sehnsucht ins Unendliche ist Verkennen des Endlichen; Jammer über Verkanntsein – Verkennen des Menschenzweckes, der nicht draußen liegt. Ja, Seelenleiden sind nur zu oft Bußen – d.h. natürliche Folgen innerlicher Unnatur!


Das Uebersehen der geistigen Wirksamkeit rührt bei Gebildeten meist von jener flachen Ansicht: Alles, was lebt, lebt durch Etwas außer ihm. So wird das Leben des Menschen zu einem abstracten Nichts gemacht, welches eine medizinische Schule: Erregbarkeit genannt hat. Allein das Leben wirkt von innen heraus. Mens agitat molem.


Was wir leiblich thun, um zu leben, aneignen und aussondern, einathmen und ausathmen, – müssen wir geistig wiederholen. Eine Systole und Diastole Eine Einschränkung und Scheidung. A. d. H. muß das innere Leben sein, wenn es gesund bleiben soll. Jetzt erweitern wir uns, wir lernen, wir genießen, wir handeln, wir gehen aus uns heraus – und schon treibt uns der ewige Pulsschlag des Schicksals wieder in uns zurück und nöthigt uns, alle unsere Kräfte in Einen Punkt zu sammeln, um sie von da aus wieder in die Breite zu versenden. Wer sich immer ausdehnt, zerfließt, – wer sich immer in sich zurückschließt, erstarrt.


Immer aufmerken, immer denken, immer lernen, – darauf beruht der Antheil, den wir am Leben nehmen, – das erhält die Strömung des unsern und bewahrt es vor Fäulniß. Und so gut wie vom »Lieben und Irren« läßt es sich sagen: »wer nicht mehr strebt, wer nicht mehr lernt, der lasse sich begraben.«


O what a noble mind is here overthrown! Ich kenne keinen tieferen, sittlichern Schmerz, als den diese Worte aussprechen. Die Verneinung scheint sich ans Ewige selbst zu wagen und Nichts mehr beharren zu können. Und doch bietet unsere Zeit uns keinen Schmerz öfter als diesen. Möge doch jede bessere, zarte Natur auch jene materielle Härte an sich ausbilden, die in dem Kampfe mit den irdischen Mächten nun einmal unerläßlich ist!


Der Zartheit ist die Geduld zur Erhalterin beigegeben; der Kraft bereitet die Ungeduld oft den Untergang.


Geduld! ernstere Schwester der Hoffnung, wohlthätiger Balsam der heilenden Natur des Geistes; wundervolle, tief-innere Kraft des Wollens – nicht zu wollen, wirkend durch Leiden! welcher Kranke hat nicht im glücklichen Augenblicke deinen Zauber erfahren – wenn er ihn heraufzubannen verstand! welcher Arzt weiß nicht, daß die Fieberparoxysmen vor dir weichen, und wenn du das Bett des Leidenden verlassest, sich verdoppeln, daß du die heftigsten Schmerzen bändigen, die schwierigsten Kuren beschleunigen hilfst! Du allein bist stark im Schwachen, du allein schon die völligste, die zarteste, die schönste Offenbarung der Seele als heilender Kraft im Leibe.


Hypochondrie ist Egoismus. Dichter, gewohnt in den Tiefen ihres eigenen Busens zu wühlen, ihre Gefühle und inneren Zustände zu zergliedern, sich als den Mittelpunkt der Welt zu empfinden, fallen meist diesem Dämon anheim. Ich habe einen dieser schön und traurig Begabten gekannt, den nur das Studium der Geschichte, die reine Theilnahme an dem Weltganzen, auf Augenblicke von solchen Qualen befreite. Diese Richtung würde ihn unfehlbar ganz geheilt haben, wenn es nicht zu spät gewesen wäre.


In der Brust eines jeden Menschen schläft ein entsetzlicher Keim von Wahnsinn. Ringt mittelst aller heitern und thätigen Kräfte, daß er nie erwache!


Scepticismus, der trübe, kleinliche Scepticismus des Weltlings ist Schwäche. Man resignirt sich beim Gewahrwerden der Schwierigkeiten, welche der Muthige mit Ausdauer bekämpft, welche der Glaube allein zu überwinden hoffen darf. Halbe Aerzte sind meist Sceptiker.


Es handelt sich nicht darum, sich Apathie anzubilden; es gilt die reinsten, die edelsten Leidenschaften in sich zu entzünden und zu hegen.


Halte dich ans Schöne! Vom Schönen lebt das Gute im Menschen, und auch seine Gesundheit.


Berufsthätigkeit ist die Mutter eines reinen Gewissens; ein reines Gewissen aber die Mutter der Ruhe, – und nur in der Ruhe wächst die zarte Pflanze des irdischen Wohlseins.


Es kommt weniger darauf an, sich immer bei Verstand zu erhalten (und wem gelänge das so leicht?) – als eine gefaßte Stimmung in sich zu bewahren, – und Etwas zu haben, woran man sie emporhält, wenn sie sinken will.


»Wissen gibt eine Stimmung und nimmt eine Stimmung.«


Man nöthige präcipitirte voreilige. Naturen zu langsamem Gehen und Schreiben; unentschlossene zu raschen Handlungen; in sich versenkte, träumerische gewöhne man den Kopf stets in der Höhe zu halten, Andern ins Gesicht zu sehen und laut und vernehmlich zu sprechen. Es ist unglaublich, aber ich habe es erfahren, wie sehr solche Angewöhnungen auf Seele und Körper wirken.


Es ist nicht genug, sich als Gegenstand zu betrachten, man muß sich auch so behandeln.


Welcher Umgang dich kräftig, dich zur Fortsetzung der Lebensarbeit tüchtiger macht, den suche; welcher in dir eine Leere und Schwäche zurückläßt, den fliehe wie ein Contagium.


Leiden sich als Prüfungen vorzustellen, bleibt ewig der schönste und fruchtbarste Anthropomorphismus. menschliche Vorstellung. A. d. H. Er macht uns sittlich und gibt uns Kraft.


Entschiedene, eingreifende Activität ist dem Manne von Natur zugewiesen; passives Weben und Leben dem Weibe. Beide Gesetze dürfen nicht ungestraft überschritten werden.


Bücher sind Brillen, durch welche die Welt betrachtet wird; schwachen Augen freilich nöthig zur Stütze, zur Erhaltung. Aber der freie Blick ins Leben erhält das Auge gesünder.


»Nicht eine kränkelnde Moral, – uns frommt eine robuste Sittlichkeit.«


»Was man kräftig hofft, das geschieht. Ein keckes Wort, was aber wunderbar tröstet.«


Die Trauer kommt von innen und untergräbt aus der Tiefe den menschlichen Organismus. Ein Verdruß, der von außen kommt, stellt das Gleichgewicht am besten wieder her.


Gelingt es, die Aufmerksamkeit, sei es durch die Unterhaltung mit einem Freunde oder Buche, sei es durch Erinnerung oder Pflichtgefühl, auf einen gegebenen Punkt zu concentriren, so wird innere Traurigkeit und äußerer Schmerz noch gewisser den Stachel verlieren. Am gewissesten, wenn diese Richtung, dem Leidenden unbemerkt, von einem Andern gegeben werden kann.


»Durch tiefes Denken – sagt Hippel – gewöhnen wir unsere Seele zu einer Art Existenz außerhalb des Körpers; sie bereitet sich durch einen Weg über Feld zu einem größeren, der uns Allen bevorsteht.«


Das Abstrahiren, das sogenannte »Sich zerstreuen« taugt nichts. Indem ich beständig den Vorsatz in mir festhalte und innerlich ausspreche, von dem Gegenstande A oder B zu abstrahiren, halte ich eben dadurch den Gegenstand A oder B in mir fest und verfehle meinen Zweck. Indem ich aber den Gegenstand C fixire, weicht A oder B von selbst.


Nur durch Position eines Andern wird etwas wahrhaft negirt. Ein Gesetz, welches nicht nur für die Diätetik der Seele, sondern für das ganze Leben von den wichtigsten Ergebnissen ist. Das Gemeine, Schlechte, Falsche und Häßliche werden nur dann wahrhaft verneint, wenn man das Edle, Gute, Wahre und Schöne an ihre Stelle setzt. Wer alle jene Uebel als wirkliche Dinge betrachtet und gegen sie ankämpft, ist verloren; man muß sie als Nichts behandeln und Etwas erschaffen.


Ein gemäßigter Optimismus, wie er ja ohnehin aus einer ächten Philosophie des Lebens entspringt, gehört zur Diätetik der Seele. Wer mit der Welt nicht zufrieden ist, wird es auch mit sich selbst nicht sein; und wer es mit sich nicht ist – wird er sich nicht in Unmuth aufzehren? wird er die innere Gesundheit bewahren können? –


Es ist kein Mensch, der nicht schon unerwartet Gutes erlebt hätte. Das halte dir vor, und du wirst nicht an der Zukunft verzweifeln. Die Erinnerung wird – wie sie ein Dichter nennt – die Ernährerin der Hoffnung werden.


Wir sollen uns so behandeln, wie es von Reil gesagt wurde, daß er seine Kranken behandelte: die Unheilbaren verloren das Leben, aber die Hoffnung nie.


Auf Energie beruht die Möglichkeit, sich den Mächten des All gegenüber als Einzelwesen zu behaupten. Alle Energie aber, die wir uns geben können, beruht auf Bildung. Energieen (der Erfahrung zufolge): die träge ( vis inertiae), Kraft der Unthätigkeit. A. d. H. die zähe, die stille, die feste, die beharrliche, die stoßweise, die duldende, die zarte, die wilde, die heitere, die, welche mehrere dieser Kriterien in sich vereint.


Ein Anderes sind die einzelnen Vermögen in ihrer Potenzirung: Verstand, Wille, Phantasie u.f. »Energie« als Gesammtausdruck, bezieht sich auf das Resultat aus ihnen und Anderem, oder auf die individuellste, ihrem Ursprunge nach unbekannte, dem lebendigen Wesen eingeborne Kraft.


Nicht verstimmt zu sein – ist eine Forderung, die weder dieses Buch, noch irgend eine Pflicht an den Menschen machen kann. Die Saiten eines Flügels werden durch die Atmosphäre (als Hygrometer), Feuchtigkeitsmaß. A. d. H. sie werden durch ihre eigene Beschaffenheit verstimmt, das ist nicht zu ändern. Nun ist freilich auf einem solchen Instrumente gut zu spielen – ein schwierig Ding; aber der Virtuose leistet's – eine gute Weile; – leistet's, bis die Verstimmung Saite nach Saite ergreift und keine mehr Antwort gibt.


Stimmungen nicht zu haben, ist nicht in unsere Gewalt gegeben, wol aber vermögen wir sie zu benützen, wie es der Dichter thut. Er gestaltet ein Kunstwerk aus ihnen, wie der Bildhauer aus seinem Marmor. »Und wenn der Mensch in seiner Qual verstummt, gab ihm ein Gott, zu sagen, was er leidet.«


In diesem Sinne lassen wir auch jenen Augenblicken ihr Recht widerfahren, in welchen das Bewußtsein das seine verliert; ja wir begeben uns zuweilen desselben. Mögen sie Schmerz oder Freude bringen, sie gehören zur Dämmerung unseres Zustandes. »Es sind – wie Rahel sagt – Parenthesen im Leben, die uns eine Freiheit geben, welche uns bei gesundem Verstande Niemand einräumen würde. Entschlösse sich – fragt sie – Jemand, ein Nervenfieber zu nehmen? und doch kann es uns das Leben retten. Es kommt aber von selbst.«


Ueber die Stimmung durch Tageshelle habe ich neulich eine lebhafte Erfahrung gemacht. Die Lampe, die in meinem Schlafzimmer des Nachts brennt, brannte sehr helle.

Ich erwachte und wußte nicht, welche Zeit es war. Gewohnte, nächtliche, meist ernste, ja düstere Gebilde nahmen Besitz von meiner Phantasie und verjagten den Schlaf. Da schlug die Uhr fünf, und ich erkannte, daß das, was ich für Lampenschein gehalten, schon Tageshelle war. Augenblicklich veränderte sich meine Stimmung; dieselben Gegenstände, die mich eben verdüstert, erschienen im heitern Lichte, und ich hatte wieder Muth. Ich empfand diese Veränderung wie einen Ruck im Gehirne.


Eine gerührte Stimmung ist wie das Abendroth oder ein farbiges Glas, durch welches wir die Welt schöner, wie überzaubert erblicken.


Je ne sais, – mais j'aurais plus d'horreur d'un poison noir que d'une eau transparente comme celle-ci; sagt ein Mädchen im Théâtre de Clara Gazul, die, im Begriffe sich zu vergiften, die klare Flüssigkeit betrachtet. Sie gibt uns eine gute Lehre. Es kommt auf die Farbe an, die wir den Dingen verleihen, welche uns nun einmal bestimmt sind.


Das Leben des Menschen muß eine Morgenröthe haben; ist sie einmal aufgegangen, so bleibt es Tag und es bedarf keiner Lampe mehr. Jeder, der den Namen Mensch verdient, hat diese Epoche der innern Geburt erlebt: da er sich sein bewußt ward. Aber ein müßiges Aufpassen auf jeden Zahn im Räderwerke unseres Treibens ist gegen die Natur. Ich bin nicht blos Hirn, ich bin auch, und mehr noch, Herz, Hand, Fuß. Hat das Auge sein Ziel gefaßt, so braucht der Körper nicht nachzudenken, um sich hin zu bewegen. Die Rosen blühen unbewußt, und eben so reifen die Früchte.


Der Grundfehler des Menschen ist Trägheit. Er untergräbt in tausend Formen unser Wohlsein. In Gebildeten verlarvt er sich in jene philosophisch sein sollende trübe, sceptische Weltansicht, die man Hamletismus nennen könnte, um sie für den Erfahrenen mit Einem treffenden Typen zu bezeichnen. Es ist ein Aufgeben seiner selbst, ein freiwilliges Erkranken und Sterben. Gesundheit und Leben ist Selbsterweckung.


Wenn der Verstand Alles vermöchte, so hätten wir weder Gefühls- noch Einbildungsvermögen.


Leib und Seele werden durch erschütternden Wechsel von Frost und Hitze, Lust und Qual gehärtet und gestählt. So erzieht die Natur ihre herrlichsten Söhne, so die Dichtkunst durch die ächte Katharsis. Reinigung. A. d. H.


Die Erkenntniß kann uns keine Theilnahme am Leben einflößen; sie zeigt es uns vielmehr in seiner Nichtigkeit. Phantasie und Gefühl erregen unser Interesse für dessen vergängliche Erscheinungen, und machen uns dadurch glücklich. In diesem Sinne ist die Kunst ein gesünderes Streben, als die Philosophie.


Ein Begriff füllt den Menschen nicht aus, macht ihn nicht handeln, beruhigt ihn nicht. Dieses Alles wirkt nur die Gesinnung, das je ne sais quoi, welches sich nicht nennen, aber an Andern auffassen, an sich selbst lernen und üben läßt. Von Hafisens Gedichten ist sehr gut gesagt worden, daß sie nicht durch den Sinn der Worte, sondern durch die heitere Gesinnung, die sich aus ihnen über den Hörer verbreitet, so wunderbar erquicken.


Nichts schützt so kräftig vor dem schauerlichen Gespenste des Alters, vor der Verknöcherung unseres Wesens, die es verkündet oder begleitet, als ein heiterer Scepticismus. Nicht über ewige Wahrheiten, sondern über sich selbst. Vor der Einseitigkeit des eigenen Individuums beständig auf der Hut sein, das ist die ewige Jugend.


Ein tüchtiger Mensch muß immer ein tüchtiges Werk vor sich haben. Eine Aufgabe, die ein Zusammenstreben aller seiner Kräfte verlangt. Dieses Leben ist ja doch nur eine Spannung, mehr oder weniger gewaltsam; jedes Nachlassen ist ein Erkranken, ein Ersterben.


Das Schreiben, und wenn man auch nicht ans Druckenlassen denkt, ist ein wahrhaft diätetisches Stärkungsmittel, dessen in unserer überbildeten Zeit sich ohnehin fast Jeder bedienen kann. Man befreit sich von einem quälenden Gedanken, von einer drückenden Empfindung am besten, indem man ihn klar niederschreibt, indem man sie rein darstellt. Der Krampf der Seele löset sich, und der Wiederkehr ist vorgebaut.


Die Philosophie, welche sich der Betrachtung des Todes widmet, ist eine falsche; die wahre Philosophie ist eine Weisheit des Lebens; für sie gibt es gar keinen Tod.


Aechte Tugend und wahres Wohlsein gründet sich auf Leitung durch sich selbst.


Wer sich je mit dem Nachdenken über seine eigenen leiblich-geistigen Zustände befaßt hat, frage sich selbst: ob er nicht erfuhr, daß sich die Empfindungen weit mehr nach den Vorstellungen, als die Vorstellungen nach den Empfindungen richten?


Die Leidenschaft ist das eigentliche Leiden; das besonnene Leben die wahre Thätigkeit. Denn dort leidet unser innerstes Wesen, hier wirkt es. Je mehr die Thätigkeit zur Gewohnheit, zum Elemente wird, desto mehr schützt sie vor dem Leiden. Das Leiden drückt nieder, das Wirken erhebt; die Erhebung belebt, Krankheit und Tod sind theilweiser oder völliger Mangel an Erhebung.


Die Fehler früherer Jahre, physische wie sittliche, wirken auf die späteste Lebenszeit hinaus. So auch das frühzeitig errungene Gute.


Ich muß wollen, ich will müssen. Wer das Eine begreifen, das Andere üben gelernt hat, der hat die ganze Diätetik der Seele.


Wer gesund bleiben und es weiter bringen will, muß alle Thätigkeiten und Zustände in der Zeit wohl von einander zu sondern wissen. Einsamkeit ist sehr gedeihlich: aber in der Gesellschaft muß man nicht einsam sein wollen.


»Könnte man die Schnellkraft der Jugend mit der Reife des Alters verbinden, – da wäre man geborgen!« – Strebe nur, die erste zu bewahren! da die andere sich von selbst aufdringt, so wird eine Epoche eintreten, in der dein Wunsch erfüllt wird.


Wornach Einer recht mit allen Kräften ringt, das wird ihm, – denn die Sehnsucht ist nur der Ausdruck dessen, was unserem Wesen gemäß ist. Wer klopft, dem wird aufgethan; das Leben zeigt uns täglich Beispiele an Abenteurern, Reichen, Ruhmsüchtigen, edel Strebenden. Und sollte es mit der Gesundheit anders sein?


Wir müssen in der ersten Epoche unseres Selbstbewußtwerdens die jugendliche Glut und Frische unserer Gefühle nur scheinbar, nur für eine Zeit lang aufopfern, um sie später, nur durch Einsicht und Erfahrung um so fester gegründet, wieder aufzunehmen.


Steht dir ein Schmerz bevor, oder hat er dich bereits ergriffen, so bedenke: daß du ihn nicht vernichtest, indem du dich von ihm abwendest. Sieh ihm fest ins Auge, als einem Gegenstande deiner Betrachtung, – bis dir klar wird, ob du ihn an seiner Stelle liegen lassen, oder etwa pflegen und verwenden sollst. Man muß erst eines Objectes Herr werden, ehe man es verachten darf. Was nur so auf die Seite geschoben wird, dringt sich mit verschärftem Trotz immer wieder auf. Nur der wirkliche Tag besiegt alle Nachtgespenster, indem er sie beleuchtet.


Die Bildung ist wol nöthig, damit der Wille mit Klarheit wirke, aber nicht damit er überhaupt wirke. Man muß, während man mit der Cultur seiner selbst beschäftigt ist, ehe man damit zu Stande gekommen ist, das eigene Wohl durch Erweckung allgemeiner Energie zu fördern fähig sein. Die Intelligenz steht höher als der Wille, aber dieser muß zuerst gebildet werden, damit er ihren Auftrag zu erfüllen vermöge.


Ich kann aber nicht wollen – sagst du – ohne Etwas zu wollen. Und dies Etwas muß ich doch früher wissen! – Gut, aber dies Wissen braucht kein Verstehen zu sein. Du weißt, was du willst, – im Allgemeinen – du weißt es nur zu oft nicht, im strengeren Sinne. Kein Begriff ohne Erfahrung – äußere oder innere; – wol aber gibt es Erfahrungen, vor (also ohne) den Begriff davon.


Die Leere des Innern, da sie eine Verneinung ist, kann eigentlich nicht empfunden werden. Manchmal aber verdichtet sich gleichsam diese Leere, und es entsteht das Gefühl derselben. Das ist der Anfang zur Heilung; denn ein Streben wird Bedürfniß.


»Die Seele übermäßig Reicher, deren ungebildeter Geist die große Kunst, reichselig zu leben, nicht versteht, und keine edlere Beschäftigung kennt, ermattet im Genießen und Wünschen, und sehnt sich dunkel nach Gegenständen, die ihrer Kraft hinreichenden Widerstand leisten könnten.«


Wie im Auge des Menschen ein Punkt ist, der nicht sieht, so ist in seiner Seele ein dunkler Punkt, der den Keim zu Allem in sich schließt, was uns von innen heraus untergraben kann. Es kommt Alles darauf an, diesen Punkt in sich durch Klarheit, Frohsinn und Sittlichkeit zu beschränken, – daß er, so lange wir leben, unsichtbar bliebe. Wird ihm Raum gegeben, so breitet er sich weiter aus; ein Schatten wirft sich über die Seele, und die Nacht des Wahnsinns bricht endlich über uns Unglückliche herein.


Eben so gibt es auch in der Seele einen lichten Punkt, ein tiefstes, innigstes Plätzchen der Stille, der Helle, wohin kein Sturm und keine nächtliche Gewalt zu dringen vermögen. Wir können und sollen uns dahin flüchten, darin heimisch sein; es retten, bewahren, – es auszubreiten suchen. Selbst der Wahnsinn läßt ja – wie Jean Paul sagte – der Seele noch diese ewig lichte Stelle.


Man hat noch nicht bestimmt, bei welchem Grade von Seelendisharmonie der Wahnsinn anfange.


Nur zu oft wird Kraft mit Sinn verwechselt. Diesen, der mit der kränklichen Zartheit wächst, bildet unsre Zeit genug aus; jene, welche der Kern der Gesundheit ist, liegt brach. Wir haben Sinn für Alles, aber zu gar Nichts Kraft.


Den Zwiespalt des menschlichen Daseins, mag ihn auch die Reflexion wegdemonstriren, werden wir nie beseitigen. Wir wollen ihn lieber gewähren lassen, und uns der lichten Stunden freuen, wo wir in That oder Liebe eine höchste Einheit ahnen.


Der Mensch kann mit der Zeit jedes Zustandes Meister werden: sei es durch Verständniß oder, wo dies unmöglich ist, durch Assimilation. Wie sich der Organismus an Gifte gewöhnt.


»Nur im Schweigen des Nachdenkens keimen und wachsen die Erinnerungen. Das beste Mittel, uns einen Gegenstand gleichgiltig zu machen, besteht darin, uns fortwährend davon vorzusprechen, damit wir nicht mehr den Wunsch hegen, daran in der Einsamkeit zu denken.«


Man erhält sich vorzüglich auch dadurch in einem gesunden Zustande, daß man die Vorzüge jedes Lebensalters gehörig zu schätzen und auszubilden versteht. Die Frische und kräftige Unbewußtheit der Jugend, die besonnene Mäßigung der Männlichkeit, den ruhigen Ueberblick des Alters. Krank macht den Jüngling die zaudernde Ueberlegung, den Greis die unreife Heftigkeit. Die gütige Natur hat jede Zeit des Lebens mit Blüten geschmückt und mit Früchten bedacht.


Gleicherweise gedeihlich ist eine stete, dankbare Aufmerksamkeit auf die Millionen unbemerkter, immer wiederkehrender Freuden, die uns der Lauf der Stunden zustießen läßt. Wie viele freudige Empfindungen läßt der Mensch mit stumpfer Gleichgiltigkeit täglich sich an ihm versuchen, – deren Anerkennung ihm erst ein dauerndes Behagen geben würde! Zarte, geistreiche Menschen haben diese Reflexion häufig angestellt. Man muß lernen, wie Jean Paul, jedes Gelingen, jedes Fertigwerden, jedes erwünschte Begegnen, auf die Wagschale zu legen! – wie Goethe die Natur zu preisen, die mit jedem Athemzuge ein neues Leben einflößt, – wie Hölderlin die Seligkeit zu segnen, daß wir der Sonne genießen dürfen, – und wie Hippel jeden Tag als eine Gnade zu begreifen, auf die wir keinen Anspruch zu machen hatten.


Ein reiner und edler Egoismus ist erforderlich, um heiter und gesund zu bleiben. Wer nicht sich selbst zu Liebe und Dank arbeitet, liebt und lebt, der ist übel d'ran. Von außen, von andern kommt selten oder nie ein reines Behagen. Alle Handlungsweisen des Menschen nähren ihre Früchte selbst und bringen sie unausbleiblich, gute wie schlimme.


Die menschliche Seele kann es sich nicht verhehlen, daß ihr Glück doch zuletzt nur in der Erweiterung ihres innersten Wesens und Besitzes bestehe. Frage sich jeder Gebildete aufrichtig: wann er sich wahrhaft glücklich gefühlt habe? nur in jener herrlichen Zeit jugendlicher Entfaltung, da mit jedem Tage neue Welten seinem Geiste sich aufthaten, neue Sphären des Gedankens. Je älter man wird, desto sparsamer werden die Beglückungen; die irdischen Erkenntnisse haben zuletzt doch sichtbare Grenzen, und den erfahrensten Greis, muß ihn nicht am Ende nur noch die Aussicht über sie hinaus – erhalten und beseligen?


Das ist das Wahrzeichen, wodurch der gemeine und höhere Mensch sich unterscheiden; daß Jener sein Glück nur dann findet, wenn er auf sich selbst vergißt, Dieser, wenn er zu sich selbst wiederkehrt; Jener, wenn er sich verliert, Dieser, wenn er sich besitzt.


Begib dich mit deiner kranken, rathlosen Seele, mit deinen Bangen und Zweifeln, in die Kreise der Gesellschaft. Dort hat oft ein hingeworfenes Wort, wie ein Blick, die fürchterlichsten Nächte aufgehellt.


Auch die, welche dir die Nächsten und Liebsten sind, erträgst du manchmal schwer. Sei gewiß, es geht ihnen mit dir eben so. Das bedenke gut und oft. Es gibt kein besseres Prophylacticum. Vorbeugungsmittel.


Unser Zweck ist: dem Geiste im Allgemeinen die gesunde und wahrhafte Richtung zu geben, und indem wir ihn durch unsere Betrachtungen erweitern und befreien, in diesen Blättern selbst ein Mittel zu liefern, welches, so oft sie etwa zur Hand genommen werden möchten, nie ganz seine heilsame, anregende Kraft versage.


Im Einzelnen nachzuweisen, was Alles der Wille in den gewöhnlichsten, alltäglichen Verrichtungen und Zuständen des körperlichen Lebens zu wirken im Stande sei, wäre Pedanterie und würde unsere Absicht eher vereiteln.


Es läßt sich in den Schriften aufmerksamer Aerzte nachlesen, wie der Zorn aufs Gallensystem wirke, so daß die Galle in großer Menge, oder krankhaft geartet durch den Stuhlgang oder das Erbrechen abgeht, – der Wirkung eines Brechmittels analog; der Schreck auf die Nerven, welche zum Herzen oder zu den großen Gefäßen gehen, u.dgl.m. – wie Furcht und Haß Kälte hervorbringen, Freude oder Angst Hitze, frohe wie bange Erwartungen Herzklopfen, Abscheu und Ekel Ohnmachten, wie das Lachen und das Weinen vorzüglich Anstalten der versorgenden Natur zu unserem physischen Wohle – ja das letztere oft eine eigentliche Krisis mannichfach verwickelter Leiden – darstelle. Niesen, Gähnen, Seufzen, stehn – wenigstens negativ – in unserer Gewalt. Aber das Feinste, Merkwürdigste, und zugleich Alltäglichste in diesen Wirkungen ist mit Worten kaum auszusprechen; allein Jeder wird dessen zu seinem Erstaunen inne werden, der Alles das, was wir von der Macht des Vorsatzes über den Körper schwärmten, mit Beharrlichkeit praktisch zu erproben versuchen will.


Man will bemerkt haben, daß der Anblick des Schönen wohlthätig auf das Gesichtsorgan einwirke, wie die grüne Farbe der Wiesen, die tiefblaue des Himmels.


Die Hypochondrie und Hysterie waren den Alten fremd. Versuchen wir zu sein wie die Alten, – edel wie die Griechen, kräftig wie die Römer, – vielleicht wird sie uns auch wieder fremd!


Hypochondrie ist es nicht blos, sich ein Leiden, das man nicht hat, einzubilden, sondern Leiden, die man hat, zu aufmerksam zu beschauen.


Seelenkranke sollten in ihr Tagebuch nur solche Gedanken einschreiben, die ihnen Trost gewähren und freundliche Bilder vor's Gemüth führen, um sie in düstern Stunden gegenwärtig haben zu können. So kann das Buch einen Freund vorstellen, der solchen Kranken mindestens eben so nöthig ist, als ein Arzt.


In einer anzuordnenden Diät für die Seele müßten besonders die Lebensalter wohl verstanden und berathen werden. Denn jede Epoche des Menschenlebens hat ihr Ideal im Wünschen und im Sollen, das nicht für die nächste paßt. Mag der Jüngling hin und her schweifen, wie ihn das gährende Streben im Innern treibt; hier ist eine gewisse diätetische Unordnung, welche allen Keimen Freiheit zur Entwicklung gewährt, dem Willen der Natur gemäß. In der Mitte des Lebens, mit dem festhaltenden Charakter, beginne auch die Gewohnheit; das Alter bewahre sie heilig, als freundliches Sinnbild und Bürgschaft des Beständigen. Schön ist es, daß die Erinnerung, bewahre sie Lust oder Leid, immer freundlich ist, und daß die Freuden, nicht aber die Schmerzen jedes Lebensalters in das spätere hinüberragen.


Was ist die Vergangenheit? Du selbst. Nichts aus ihr vermagst du festzuhalten, Nichts ist mehr für dich als die Keime, die sie in dein Wesen legte, und die mit diesem sich allmählich entwickelten und verschmolzen. Was ist die Zukunft? für dich – Nichts als du selbst. Sie kann dich nur angehen, in so weit es deine Aufgabe ist, dich ihr zuzubilden. Erinnern und Hoffen in jedem andern Sinne ist Täuschung eines Traumes; sich ihr hingeben, – Hätscheln des Gefühls.


Jeder Rückweg scheint weit schneller und kürzer, als der Hinweg schien. So auch das Altwerden. Man kann es nur dadurch um diesen Schein betrügen, daß man es als einen Hinweg betrachtet und behandelt.


Hufeland hält das verheirathete, Kant das cölibatäre Leben für tauglicher zur langen Dauer. Beide berufen sich auf Erfahrung; jener auf die Beispiele des höchsten Alters, dieser auf das Wohlaussehen alter Garçons. Der Schlüssel des Räthsels liegt wohl darin, daß in der aufsteigenden Hälfte des Lebens die Energie der Vitalität durch das Cölibat bewahrt, in der absteigenden das schwächere Dasein durch häusliche Pflege länger erhalten wird.


Das Leben ist kein Traum. Es wird nur zum Traume durch die Schuld des Menschen, dessen Seele dem Rufe des Erwachens nicht folgt.


Eine sanfte, elegische Stimmung, von Zeit zu Zeit gehegt, hat wie der Anblick des Mondes, etwas Erquickendes. Man sollte versuchen und verstehen, die dumpfe und verdrießliche Stimmung in die traurige hinüberzuspielen, – und selbst sparsam fließende Thränen würden zum schmelzenden Balsam für verhärtete Wunden werden.


Wer genügt sich je, der es tiefer und redlich meint? Allein Ungenügen mit sich selbst untergräbt die Kräfte, die allein zum Zwecke führen. So muß man selbst das Höchste: die Pflichten, herabzustimmen wissen, um ihnen desto sicherer zu genügen.


In Caspers Wochenschrift erzählt Pritsch von sich: daß er es durch Uebung dahin gebracht habe, Phänomene des Gemeingefühls wie der Sinne, als: Mückensehen, Klingen, Singen, Läuten, Brausen u. dgl. m. willkürlich zum Bewußtsein zu bringen. Justinus Kerner kann sein Herz nach Belieben langsamer schlagen machen. Wie vorzugsweise Schwind- und Wassersuchten durch Seelenleiden ausgebildet werden, so wird vorzugsweise die zu ihrer Heilung erforderliche Aufsaugung durch Thätigkeit und Freude befördert. Ich sah das oft, und es kommt jedem praktischen Arzte vor. Hufelands Rath: durch Willkür die täglichen Aussonderungs-Functionen zu regeln, ist bekannt und begründet; und ich füge bei diesem Anlaß den, freilich mehr zur leiblichen Diätetik gehörigen hinzu: während des Lesens und Schreibens, wo man unbewußt den Athem einhält, manchmal absichtlich tief einzuathmen, selbst vom Tische aufzustehen und ein paar Mal durchs Zimmer zu gehen, – so wie, zumal bei feinerer oder abendlicher Arbeit, manchmal für einige Minuten die Augen zu schließen. Der Laie befolge diesen Rath, der Arzt begreift ihn.


Die genaue, jammervolle Selbstschilderung des Hypochondristen, – ach, sie schildert im Grunde nichts Anderes, als den Zustand des Menschen überhaupt, den ein gemüthlich und körperlich gereiztes und geschwächtes Wesen nur schärfer und quälender empfindet!


Wir haben viel von der Kraft des Willens gerühmt – aber öfter wird sie dem Seelenkranken in der sich selbst entgegengesetzten Richtung frommen. Ich meine die Kraft: nicht zu wollen, wo Zwang nur aufriebe; sich zu einer beschwichtigenden Resignation zu entschließen, keine Pläne zu nähren und die Zukunft in keiner andern Gestalt, als in jener der Hoffnung, vor die Seele treten zu lassen (Se laisser aller.)


Oft, ja meistens, sind dunkle Vorstellungen in ihrer Wirkung stärker als klare; z.B. das Aufwachen aus dem Schlafe zur Stunde, die man sich Tags vorher vorsetzte, die Macht der Leidenschaften u. dgl. Allein derjenige, bei welchem klare Vorstellungen stärker sind, dessen geistiges und leibliches Wohl ist besser bedacht.


Höchst sachverständig nennt Kant die Einbildungskraft in ihrer Thätigkeit eine Motion des Gemüthes, die zur Gesundheit diene. Denn, genau betrachtet, ist die vereinzelte Thätigkeit des Verstandes eine lähmende, und die reine Betrachtung macht die Seele zu einem stehenden Wasser, in welchem sich die Gegenstände spiegeln, – das aber allgemach in Fäulniß übergeht.


Eben so treffend gibt er die Ursache der Schädlichkeit des Wachens vor Mitternacht an. Die Phantasie ist zu dieser Zeit am thätigsten, und wirkt allzu erregend auf's Nervensystem.


Lichtenberg, der feinste Maler der Seelenzustände, der Columbus der Hypochondrie, liefert die nützlichsten Winke. »Wir liegen oft – sagt er – mit unserem Körper so, daß gedrückte Theile uns heftig schmerzen: allein, weil wir wissen, daß wir uns aus dieser Lage bringen können, wenn wir wollen, empfinden wir wirklich sehr wenig.« – Er findet die bezeichnendsten Worte für die Hypochondrie, die er einmal »pathologischen Egoismus«, ein ander Mal »Pusillanimität« Kleinmütigkeit. nennt. »Mein Körper – heißt es an einer andern Stelle – ist derjenige Theil der Welt, den meine Gedanken verändern können. Im ganzen übrigen All können meine Hypothesen die Ordnung der Dinge nicht stören.« – »Als ich – erzählt er – am 18. December 1789 in meiner Nervenkrankheit die Ohren mit den Fingern zuhielt, befand ich mich besser, weil ich nun das kränkliche Sausen für ein erkünsteltes hielt.« – Wie der Hypochondrist aus allen Betrachtungen Gift saugt, so läßt sich aus diesen Balsam gewinnen.


Es gibt eine unwillkürliche Hypochondrie und das ist die, an welcher wir Aerzte manchmal leiden. Denn wenn Hypochondrie das Mikroskop ist, durch das man die sonst unsichtbaren, kleinen Leiden des eigenen Körpers sieht, so haben wir dies unabweisbare Mikroskop – in unserer Wissenschaft, die uns alle möglichen Ursachen, Verkettungen und Folgen jedes Uebels zeigt.


Wenn es wahr ist, wie die Weisen sagen, daß die Kunst des Vergnügens Eins ist mit der Kunst des Selbstvergessens, so ist sie auch Eins mit dem Streben und Wirken nach einem Zwecke, der uns ganz erfüllt.


Wenn wir die Augenblicke des Vergnügens, der Seligkeit analysiren, so ist es ein, wie alle menschlichen Zustände, doppelter Zustand (homo duplex): ein Vergessen seiner selbst, ein völliges Besitzen seiner selbst; ein erhöhtes Dasein, ein dem Dasein Entrinnen. Ein Widerspruch, wie der Mensch – und kein Widerspruch! denn was man vergißt, sind die Fesseln, und was man erhöht empfindet, ist die Freiheit des Lebens.


»Wie soll ich aber wollen, da es eben die Kraft zu wollen ist, lieber Doctor, was mir fehlt?«


Wenn Sie sich selber fehlen, lieber Kranker, was kann ich Ihnen verordnen, als: sich selber?


Der »Weltschmerz«, wenn er nämlich das Gefühl der Mängel dieser Welt bedeuten soll, ist ein Motiv der Vorsehung, uns zur Abhilfe dieser Mängel anzuregen, unsere Kräfte zur Thätigkeit zu entwickeln. Das mögen diejenigen wohl bedenken, die sich ihm hingeben.


Wer sich innerlich für krank erklärt, wird hypochondrisch unglücklich; wer sich mit Leichtsinn und Trotz für gesund erklärt, kann durch Versäumniß unglücklich werden. Zwischen beiden liegt die Aufgabe: sich als Valetudinarier (maladif) zu behandeln, – denn das sind wir Alle, und müssen, mit diesem Zustande zufrieden, vorsichtig leben.


Der Bewegtrieb für die heilende Seelenthätigkeit sollte freilich in vielen Fällen, wo gar nicht an das Leiden gedacht werden darf, von Anderen ausgehen, die sich dann als Aerzte verhielten; ihn vom Leidenden selbst fordern, heißt vielleicht zu viel fordern. Allein, wer kennt deine Krankheit wie du selbst? wer kennt die Gabe und den rechten Augenblick für das Heilmittel, wie du selbst? Es gilt also durchaus: sich zusammennehmen, und sehen was möglich ist!


Es gibt im Ganzen (und das gilt nun von der Diätetik der Seele, wie von allem menschlichen Streben und Wirken) zwei Arten, das Leben anzuschauen und zu behandeln. Entweder: man setzt sich in den Mittelpunkt und sucht das innere Leben gegen die Dinge zu behaupten, und durch Ausbildung des Charakters in seiner Kraft zu steigern; eine Denkart, welche man die subjective oder sittliche nennen könnte (Kant); oder: man gibt sich willig der Welt hin, und sucht sich den Gegenständen anzueignen, indem man auch sich selbst als solchen auffaßt, und als Theil des Ganzen behandelt; eine Denkart, welche man die objective oder poetische nennen könnte (Goethe). Durch die große Einheit und Gesetzlichkeit der Natur, vermöge welcher sich die entgegengesetzten Pole suchen, führen auch diese Gegensätze zu Einem Ziele. Denn wer nur das Subject recht in sich ausbildet, kommt dem Zwecke des Ganzen entgegen, dessen Theile Subjecte sind, und wer die Objecte treu abspiegelt, wird auch sich selbst klar werden, und, indem er sich opfert, sich nur um so sicherer wiederfinden. Keine Ansicht hat Unrecht, jede paßt für einen eigenen Charakter, wie überhaupt die Denkart des Menschen aus seinem Charakter hervorgeht; und wenn es scheint, als widersprächen sich hier oder da die Rathschläge, die diese Blätter ertheilen, so wird nun mindestens deutlich sein, wie es gemeint ist. Sie wollen jedem nach seinem Bedürfnisse helfen und wohlthun.


Jeder Mensch hat seinen Weg vorgezeichnet, auf dem eben Er zum gemeinsamen Ziele gelangt. Mir ist es nun einmal gemäß, die Dinge von ihrer sittlichen Seite anzuschauen, und so sind diese diätetischen Betrachtungen moralischer ausgefallen, als es in ihrem Wesen zu liegen scheint. Es kommt nun darauf an, was uns Noth thut.

Ende.


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