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VI

Am Morgen des 25. Februar 1848 hörte man in Chavignolles von einem von Falaise kommenden Unbekannten, Paris sei voller Barrikaden, und am folgenden Tage war die Verkündigung der Republik an der Bürgermeisterei angeschlagen.

Dieses große Ereignis setzte die Bürger in Verblüffung. Doch als man erfuhr, daß der Kassationshof, das Appellationsgericht, die Oberrechnungskammer, das Handelsgericht, die Kammer der Notare, die Korporation der Rechtsanwälte, der Staatsrat, die Universität, die Generäle und Herr von la Rochejacquelein in eigener Person sich für die provisorische Regierung erklärten, atmete man erleichtert auf; und da man in Paris Freiheitsbäume pflanzte, entschied der Magistrat, man müsse solche auch in Chavignolles haben.

Bouvard schenkte einen, denn der Triumph des Volkes hatte sein patriotisches Herz erfreut; was Pécuchet anlangte, so bestätigte der Sturz des Königtums zu sehr seine Voraussage, als daß er nicht befriedigt gewesen wäre.

Gorju, der ihnen eifrig zur Hand ging, grub eine der Pappeln aus, welche die Wiese unterhalb des Hügels säumten, und brachte sie bis zur »Kuhgasse« am Eingang des Fleckens an die bezeichnete Stelle.

Noch ehe die Feierlichkeit begann, erwarteten alle drei den Zug.

Trommelwirbel erklang, ein silbernes Kreuz wurde sichtbar; dann erschienen zwei Armleuchter, die von Kantoren getragen wurden, und der Herr Pfarrer mit Stola, Chorhemd, Chormantel und Barett. Vier Chorknaben begleiteten ihn, ein fünfter trug den Eimer mit dem Weihwasser, und der Küster folgte hinterdrein.

Der Priester trat auf den aufgeworfenen Rand des Pflanzloches, in welchem die mit dreifarbigen Bändchen verzierte Pappel stand. Gegenüber sah man den Bürgermeister und seine beiden Beigeordneten, Beljambe und Marescot, ferner die Honoratioren, Herrn von Faverges, Vaucorbeil, Coulon, den Friedensrichter, einen guten Kerl mit schläfrigem Gesicht. Heurtaux hatte sich eine Polizistenmütze aufgesetzt, und Alexander Petit, der neue Lehrer, hatte seinen Gehrock angezogen, einen ärmlichen grünen Gehrock, den er als Sonntagsanzug zu tragen pflegte. Die Feuerwehrleute, die Girbal, den Säbel in der Hand, anführte, bildeten eine einzige Reihe; auf der anderen Seite glänzten die weißen Metallschilder von ein paar alten Tschakos aus Lafayettes Zeiten; es waren fünf oder sechs, nicht mehr, – denn die Nationalgarde war in Chavignolles aus der Mode gekommen. Bauern mit ihren Frauen, Arbeiter der nahen Fabriken, Straßenjungen drängten sich dahinter; und Placquevent, der Feldhüter, der fünf Fuß acht Zoll groß war, hielt sie mit seinem Blick im Zaume, während er mit verschränkten Armen auf und ab ging.

Die Ansprache des Geistlichen war wie die anderer Priester bei ähnlichen Gelegenheiten.

Nachdem er gegen die Könige gedonnert hatte, verherrlichte er die Republik. Spricht man nicht von einer Gelehrten-Republik? Was gibt es Harmloseres als die eine, was Schöneres als die andere? Jesus Christus prägte unsere hehre Devise: Der Baum des Volkes, das war der Stamm des Kreuzes. Damit die Religion ihre Früchte trage, bedürfe sie der Nächstenliebe, und im Namen der Nächstenliebe beschwor der Geistliche seine Mitbrüder, keine Ausschreitungen zu begehen, friedlich nach Hause zurückzukehren.

Dann besprengte er das Bäumchen, während er den Segen Gottes erflehte. »Möge es wachsen und uns an die Befreiung von aller Knechtschaft erinnern und an diese Brüderlichkeit, die wohltätiger ist als der Schatten seiner Zweige! Amen!«

Stimmen wiederholten »Amen«! und nach einem Trommelwirbel nahm die Geistlichkeit, die ein Te Deum anstimmte, den Weg zur Kirche zurück.

Ihre Teilnahme hatte einen außerordentlich guten Eindruck gemacht. Die einfachen Leute erblickten darin eine Verheißung von zukünftigem Glück, die Patrioten eine Ehrerweisung vor ihren Grundsätzen.

Bouvard und Pécuchet fanden, man hätte ihnen für ihr Geschenk Dank sagen, wenigstens eine Anspielung darauf machen müssen; und sie öffneten ihr Herz dem Grafen und dem Doktor.

Was taten derartige Kümmernisse! Vaucorbeil war über die Revolution entzückt, der Graf ebenfalls. Er verabscheute die Orleans. Man würde sie nicht wiedersehen; glückliche Reise! Von nun an alles für das Volk! Und mit seinem Faktotum Hurel, der ihm folgte, suchte er den Herrn Pfarrer einzuholen.

Foureau ging gesenkten Hauptes zwischen dem Notar und dem Wirt; er war von der Feierlichkeit unangenehm berührt, denn er hatte Furcht vor einem Aufstand; und instinktmäßig wandte er sich nach dem Feldhüter um, der mit dem Hauptmann die Unfähigkeit Girbals und die schlechte Haltung der Leute desselben beklagte.

Arbeiter kamen, die Marseillaise singend, über den Weg; Gorju, mitten unter ihnen, schwenkte seinen Stock: Petit folgte ihnen mit glänzendem Auge.

»So etwas liebe ich nicht!« sagte Marescot, »das schreit, das regt sich auf!«

»Na, guter Gott! Jugend muß ihr Vergnügen haben!« erwiderte Coulon.

Foureau seufzte:

»Sonderbares Vergnügen! und zum Schluß dann die Guillotine!«

Er sah im Geiste Bilder von Schafotten, war auf Schreckliches gefaßt.

Chavignolles zeigte die Rückwirkung der Pariser Erregung.

Die Bürger nahmen Abonnements auf Zeitungen. Des Morgens drängte man sich auf der Post, und die Vorsteherin würde ohne den Hauptmann, der ihr zuweilen half, nicht fertig geworden sein. Dann blieb man plaudernd auf dem Platze stehen.

Die erste heftige Erörterung drehte sich um Polen.

Heurtaux und Bouvard verlangten, man solle es befreien.

Herr von Faverges dachte anders:

»Mit welchem Recht würden wir dorthin gehen? Das hieße Europa gegen uns entfesseln! Keine Torheiten!«

Und da alle ihm zustimmten, schwiegen die beiden Polenfreunde.

Ein anderes Mal verteidigte Vaucorbeil die Rundschreiben Ledru-Rollins.

Foureau hielt ihm sogleich die 45-Centimes-Steuer entgegen.

»Doch die Regierung hatte die Sklaverei unterdrückt,« sagte Pécuchet.

»Was kümmert mich die Sklaverei.«

»Nun gut, und die Abschaffung der Todesstrafe für politische Verbrecher?«

»Zum Teufel!« erwiderte Foureau, »man möchte alles abschaffen. Indessen, wer weiß? Die Mieter machen schon solche Ansprüche!«

»Um so besser!« Die Eigentümer waren nach Pécuchets Ansicht begünstigt. »Wer ein Haus besitzt …«

Foureau und Marescot unterbrachen ihn, indem sie schrien, er sei Kommunist.

»Ich! Kommunist!«

Und alle sprachen zu gleicher Zeit. Als Pécuchet vorschlug, einen Klub zu gründen, hatte Foureau die Unverschämtheit, zu antworten, so etwas werde es nie in Chavignolles geben.

Dann verlangte Gorju Flinten für die Nationalgarde, denn die öffentliche Meinung hätte ihn zum Instrukteur bestimmt.

Die einzigen vorhandenen Flinten waren die der Feuerwehrleute. Girbals Herz hing daran. Foureau machte keine Miene, ihm welche davon zu geben.

Gorju blickte ihn an:

»Man findet jedoch, daß ich damit umzugehen verstehe.«

Denn mit all seinen anderen Gewerben verband er noch das der Wilddieberei, und oft kauften der Herr Bürgermeister und der Wirt ihm einen Hasen oder ein Kaninchen ab.

»Meiner Treu! nehmt sie!« sagte Foureau.

Noch denselben Abend begannen die Übungen.

Sie wurden auf dem Rasen vor der Kirche abgehalten. Gorju, in kurzer blauer Joppe, eine Binde um den Leib, führte die Übungen wie ein Automat aus. Seine Stimme war roh, wenn er kommandierte.

»Bauch herein!«

Und sogleich hielt Bouvard den Atem an, zog den Leib, ein, streckte das Kreuz.

»Sie sollen sich nicht wie ein Bogen krümmen, in Teufels Namen!«

Pécuchet verwechselte Glied und Reihe, halbe Wendung rechts, halbe Wendung links; doch der jämmerlichste war der Lehrer: schmächtig und von winziger Gestalt, mit einem Kranz von blondem Barthaar, schwankte er unter dem Gewicht seiner Flinte, mit deren Bajonett er seine Nachbarn belästigte.

Man trug Hosen in allen Farben, schmutzige Wehrgehänge, alte Uniformstücke, die zu kurz waren und auf den Seiten das Hemd hervorsehen ließen; und jeder gab vor, »nicht in den Verhältnissen zu sein, sich anderes zu erlauben«. Es wurde eine Subskription eröffnet, um die Ärmsten einzukleiden. Foureau zeigte sich knickerig, während die Frauen sich hervortaten. Frau Bordin gab fünf Franken, trotz ihres Hasses auf die Republik. Herr von Faverges stattete zwölf Leute aus und fehlte nicht bei den Übungen. Dann ließ er sich bei dem Krämer nieder und bezahlte dem Erstbesten Schnäpse.

Die Mächtigen umschmeichelten damals die niedere Klasse. Die Arbeiter gingen voran. Man riß sich um den Vorzug, zu ihnen zu gehören. Sie wurden die Vornehmen.

Die aus dem Bezirk waren meist Weber; andere arbeiteten in den Kattunfabriken oder in einer unlängst errichteten Papierfabrik.

Gorju fesselte sie durch sein freches Mundwerk, lehrte sie Beinstoßen, nahm die Busenfreunde mit zum Trunke zu Frau Castillon.

Doch die Bauern waren stärker an Zahl, und an Markttagen ging Herr von Faverges auf dem Platze umher und unterrichtete sich über ihre Bedürfnisse, versuchte sie zu seinen Ansichten zu bekehren. Sie hörten ihn an, ohne zu antworten, wie der Vater Gouy, der bereit war, jede Regierung anzunehmen, vorausgesetzt, daß die Steuern herabgesetzt würden.

Durch sein vieles Schwatzen machte sich Gorju einen Namen. Vielleicht würde man ihn zum Abgeordneten wählen.

Herr von Faverges dachte in diesem Punkte wie er, während er zugleich vermied, sich bloßzustellen. Die Konservativen schwankten zwischen Foureau und Marescot. Da jedoch der Notar sein Bureau nicht im Stich lassen wollte, wurde Foureau ausersehen; ein Bauer, ein Idiot. Der Doktor war darüber entrüstet.

In allen Wettbewerben um eine Anstellung durchgefallen, sehnte er sich nach Paris, und das Bewußtsein eines verfehlten Lebens gab ihm eine mürrische Miene. Eine höhere Laufbahn sollte sich ihm nun eröffnen; welch eine Vergeltung! Er faßte ein politisches Glaubensbekenntnis ab und ging zu den Herren Bouvard und Pécuchet, um es ihnen vorzulesen.

Sie beglückwünschten ihn dazu; ihre Ansichten wären die gleichen. Indessen schrieben sie einen besseren Stil, kannten die Geschichte, hätten sich in der Kammer ebensogut wie er ausgenommen. Warum nicht? Doch wer von beiden sollte sich aufstellen? Und ein Kampf zarter Rücksichten begann.

Pécuchet gab dem Freunde den Vorzug vor sich selber.

»Nein, das kommt dir zu! Du siehst stattlicher aus!«

»Vielleicht,« antwortete Bouvard, »aber du bist sicherer im Auftreten.« Und ohne die schwierige Frage zu lösen, stellten sie Verhaltungsmaßregeln für sich auf.

Dieser Abgeordnetentaumel hatte noch andere ergriffen. Der Hauptmann träumte unter seiner Polizistenmütze davon, während er seine kurze Pfeife rauchte, und der Lehrer desgleichen in der Schule, und der Pfarrer ebenso zwischen zwei Gebeten, so daß er sich zuweilen mit zum Himmel gerichteten Augen überraschte, im Begriff zu sagen:

»Mache, o mein Gott, daß ich Abgeordneter werde!«

Der Doktor, dem man Mut gemacht hatte, begab sich zu Heurtaux und legte ihm dar, was für Aussichten er habe.

Der Hauptmann sagte ihm seine Meinung, ohne Umstände zu machen. Vaucorbeil sei ohne Zweifel bekannt, doch bei seinen Kollegen und besonders bei den Apothekern wenig beliebt. Alle würden ihn verlästern; das Volk wolle keinen feinen Herrn; seine besten Patienten würden ihn verlassen; und nachdem der Arzt diese Gründe erwogen, bedauerte er seine Schwäche.

Sobald er fort war, ging Heurtaux zu Placquevent. Unter alten Militärs erweist man sich gegenseitig Dienste. Aber der Feldhüter, der Foureau ganz ergeben war, schlug ihm rund seinen Beistand ab.

Der Pfarrer bewies Herrn von Faverges, daß die Stunde noch nicht gekommen sei. Man mußte der Republik die Zeit geben, sich abzunutzen.

Bouvard und Pécuchet stellten Gorju vor, daß er niemals stark genug sein würde, um die Koalition der Bauern und Bürger zu besiegen, erfüllten ihn mit Unsicherheit, nahmen ihm jedes Vertrauen.

Petit hatte aus Stolz seinen Wunsch durchblicken lassen. Beljambe gab ihm zu verstehen, daß er seiner Absetzung sicher sein könne, wenn er, Beljambe, durchfiele.

Schließlich befahl der Herr Erzbischof dem Pfarrer, sich ruhig zu verhalten.

Es blieb also nur noch Foureau.

Bouvard und Pécuchet bekämpften ihn, indem sie seine Ungefälligkeit in der Flintenangelegenheit, seinen Widerstand gegen den Klub, seine rückständigen Ideen, seinen Geiz anführten, – und sie redeten sogar Gouy ein, Foureau wolle das »Ancien Régime« wiederaufrichten.

So unbestimmt das auch für den Bauern war, er verabscheute es mit einem Haß, der sich durch ein Jahrtausend in der Seele seiner Vorfahren angehäuft hatte, – und er verhetzte gegen Foureau alle seine Verwandten und die seiner Frau, Schwäger, Vettern, Großneffen, eine ganze Horde.

Gorju, Vaucorbeil und Petit setzten die Vernichtung des Herrn Bürgermeisters weiter fort; und nachdem das Terrain so geebnet war, konnten Bouvard und Pécuchet, ohne daß jemand es merkte, Erfolg haben.

Sie losten darum, wer sich aufstellen solle. Das Los entschied nichts, – und sie gingen zum Doktor, um ihn um Rat zu fragen.

Er teilte ihnen eine Neuigkeit mit: Flacardoux, Redakteur des ›Calvados‹, hatte seine Kandidatur bekannt gegeben. Die Enttäuschung der beiden Freunde war groß: jeder fühlte außer der eigenen die des andern mit. Doch die Politik brachte sie in Hitze. Am Wahltage überwachten sie die Urnen. Flacardoux wurde gewählt.

Der Herr Graf hatte sich bei der Nationalgarde zu entschädigen versucht, aber die Majorsepauletten hatte er nicht bekommen. In Chavignolles gedachte man, Beljambe zu ernennen.

Diese sonderbare und unvorhergesehene Gunst des Publikums brachte Heurtaux aus der Fassung. Er hatte seine Pflichten vernachlässigt und sich darauf beschränkt, die Übungen zuweilen zu besichtigen und Beobachtungen von sich zu geben. Gleichviel! Er fand es ungeheuerlich, daß man einem Wirt vor einem ehemaligen Hauptmann des Kaiserreichs den Vorzug gab, und er sagte nach der Überrumpelung der Kammer am 15. Mai: »Wenn die militärischen Grade in der Hauptstadt ebenso vergeben werden, dann wundere ich mich nicht über die Vorkommnisse!«

Die Reaktion begann.

Man glaubte an die Ananaspürees Louis Blancs, an das goldene Bett Flocons, an die prunkvollen Gelage Ledru-Rollins, und da die Provinz der Ansicht ist, daß sie alles was in Paris vorgeht, kennt, so zweifelten die Bürger von Chavignolles nicht an diesen Erfindungen, so galten ihnen die unsinnigsten Gerüchte als ausgemacht.

Herr von Faverges suchte eines Abends den Pfarrer auf, um ihm mitzuteilen, daß der Graf von Chambord in der Normandie angekommen sei.

Foureau zufolge schickte sich Joinville an, mit Hilfe seiner Matrosen die Sozialisten zur Vernunft zu bringen. Heurtaux versicherte, daß Louis Bonaparte in Kürze Konsul sein würde.

Die Fabriken standen still. Zahlreiche Banden von Armen irrten im Lande umher.

An einem Sonntag (es war in den ersten Tagen des Juni), ritt plötzlich ein Gendarm in der Richtung nach Falaise davon. Die Arbeiter von Acqueville, Liffard, Pierre-Pont und Saint-Rémy zogen auf Chavignolles.

Die Fensterläden wurden geschlossen, der Magistrat versammelte sich, und man beschloß, um Unglücksfällen vorzubeugen, keinen Widerstand zu leisten. Die Gendarmerie wurde sogar konsigniert mit der ausdrücklichen Weisung, sich nicht zu zeigen.

Bald hörte man wie ein Gewittergrollen, dann ließ der Gesang der Girondisten die Scheiben erzittern; – und Männer, die einander untergehakt hielten, quollen über die Straße nach Caen, bestaubt, in Schweiß und zerlumpt. Sie füllten den Platz. Ein großer Lärm entstand.

Gorju und zwei Genossen betraten den Saal. Der eine war mager, hatte ein verschlagenes Gesicht und trug ein Trikotwams, dessen Schnüre herabhingen. Der andere, schwarz von Kohlenstaub, – jedenfalls ein Maschinenwärter – trug die Haare kurz geschnitten; seine Augenbrauen waren buschig, und er hatte Stoffschuhe an den Füßen. Gorju hatte seine Jacke wie ein Husar über die Schulter gehängt.

Alle drei blieben stehen, und die Ratsherren, die um einen mit blauer Decke bedeckten Tisch saßen, schauten sie bleich vor Angst an.

»Bürger!« sagte Gorju, »wir brauchen Arbeit!«

Der Bürgermeister zitterte; die Stimme versagte ihm.

Marescot antwortete statt seiner, daß der Rat sogleich darüber Erwägungen anstellen würde; – und nachdem die Genossen hinausgegangen waren, besprach man mehrere Vorschläge.

Der erste war, Kieselsteine anzufahren.

Um die Kiesel nutzbar zu verwenden, schlug Girbal vor, einen Weg von Angleville nach Tournebu zu bauen.

Der von Bayeux erwiese genau den gleichen Dienst.

Man konnte den Dorfteich ausbaggern. Das sei keine genügende Arbeit! (Oder man konnte auch einen zweiten graben, doch an welcher Stelle?)

Langlois war der Ansicht, man solle an den Mortins entlang einen Erdwall aufwerfen zum Schutz gegen Überschwemmungen; besser wäre es, so meinte Beljambe, das Heideland urbar zu machen. Unmöglich, zu einem Entschlusse zu kommen! – Um die Menge zu beruhigen, ging Coulon in die Vorhalle hinunter und verkündete, man plane die Errichtung von Werkstätten für Notleidende.

»Für Almosen danken wir!« rief Gorju. »Nieder mit den Aristokraten! Wir wollen das Recht auf Arbeit.«

Das war das Schlagwort der Zeit; er benutzte es, um sich Ansehen zu geben; man spendete ihm Beifall.

Als er sich umdrehte, streifte er Bouvard, den Pécuchet bis dahin mitgeschleppt hatte, – und sie begannen ein Gespräch. Nichts dränge zur Eile; die Bürgermeisterei sei umstellt; der Rat würde ihnen nicht entschlüpfen.

»Wo Geld finden?« sagte Bouvard.

»Bei den Reichen! Zudem wird die Regierung Arbeiten anordnen.«

»Und wenn kein Bedürfnis für Arbeiten vorhanden ist?«

»So wird man welche im voraus machen!«

»Aber die Löhne werden heruntergehen!« erwiderte Pécuchet. »Wenn die Arbeit anfängt zu fehlen, so kommt das durch die Überproduktion! – und Sie verlangen, man soll sie noch steigern!«

Gorju biß sich auf den Schnurrbart. »Indessen …wenn die Arbeit organisiert wird …«

»Dann wird die Regierung die Zügel in die Hände bekommen!«

Einige in ihrer Nähe murmelten: »Nein! nein! keine Herren!«

Gorju wurde ärgerlich. »Einerlei! man muß den Arbeitern ein Kapital stellen, – oder besser noch den Kredit einrichten!«

»Auf welche Weise!«

»Ja! Das weiß ich nicht! aber man muß den Kredit einrichten!«

»Nun ist's genug,« sagte der Maschinenwärter, »sie wollen uns dumm machen, diese Schwindler!«

Und er erklomm die Freitreppe und erklärte, er werde die Tür einrennen.

Placquevent empfing ihn dort, das rechte Knie gebeugt, die Fäuste geballt: »Komm nur näher!«

Der Maschinenwärter wich zurück.

Das Hohngelächter der Menge drang bis in den Saal, alle erhoben sich, sie wären gerne davongelaufen. Die Hilfe von Falaise kam nicht! Man bedauerte die Abwesenheit des Herrn Grafen. Marescot drehte eine Feder zwischen den Fingern. Der Vater Coulon seufzte; Heurtaux ereiferte sich, man solle die Gendarmen anrücken lassen.

»Geben Sie den Befehl!« sagte Foureau.

»Ich bin nicht befugt!«

Der Lärm wuchs indessen. Der Platz war mit Leuten bedeckt; – und aller Blicke waren auf den ersten Stock der Bürgermeisterei gerichtet, als man am mittleren Fensterkreuz unter der Uhr Pécuchet erscheinen sah.

Schlau war er die Hintertreppe emporgestiegen, – und nach Lamartines Vorbilde, begann er, das Volk anzureden:

»Mitbürger!«

Doch seine Mütze, seine Nase, sein Rock, seine ganze Person waren nicht dazu angetan, Eindruck zu machen.

Der Mann im Trikot fragte ihn:

»Sind Sie Arbeiter?«

»Nein.«

»Arbeitgeber also?«

»Ebensowenig.«

»Dann ziehen Sie sich zurück!«

»Warum?« erwiderte Pécuchet stolz.

Und sogleich verschwand er in der Fensternische, von dem Maschinenwärter gepackt. Gorju kam ihm zu Hilfe. –

»Laß ihn! Er ist ein guter Kerl!« Sie faßten einander beim Kragen.

Die Tür ging auf, und Marescot verkündete von der Schwelle aus die Entscheidung des Magistrats. Hurel war der Vater des Gedankens gewesen.

Der Weg nach Tournebu sollte eine Abzweigung auf Angleville erhalten, die zum Schlosse Faverges führte.

Das war ein Opfer, das die Gemeinde sich im Interesse der Arbeiter auferlegte.

Sie zerstreuten sich.

Als Bouvard und Pécuchet nach Hause kamen, schlugen Frauenstimmen an ihr Ohr. Die Mägde und Frau Bordin stießen Rufe aus, die Witwe schrie am lautesten, – und bei ihrem Anblick:

»Ach! Das ist gut! Seit drei Stunden warte ich auf Sie! Nicht eine einzige Tulpe mehr in meinem armen Garten! Auf dem ganzen Rasen Schweinereien! Nicht möglich, ihn fortzubringen!«

»Wen denn?«

»Den alten Gouy!«

Er sei mit einer Karre Dünger gekommen, – und habe ihn, wie es gerade kam, mitten auf den Rasen geworfen.

»Jetzt gräbt er ihn um. Beeilen Sie sich, damit er ein Ende macht!«

»Ich begleite Sie!« sagte Bouvard.

Draußen stand unten an den Stufen ein Pferd in der Gabeldeichsel eines Karrens und fraß an einem Oleanderbusch. Die Räder hatten, als sie die Beete streiften, den Buchsbaum zerdrückt, ein Rhododendron war abgebrochen, die Dahlien zerknickt – und Stücke schwarzen Düngers, häuften sich wie Maulwurfshügel auf dem Rasen. Gouy grub ihn eifrig um.

Eines Tages hatte Frau Bordin beiläufig gesagt, sie wolle ihn umgraben lassen. Er hatte sich an die Arbeit gemacht und fuhr trotz ihres Verbotes fort. In dieser Weise faßte er das Recht auf Arbeit auf; Gorjus Reden hatten ihm den Kopf verdreht,

Er entfernte sich erst auf Bouvards heftige Drohungen.

Frau Bordin verweigerte ihm, um sich selbst schadlos zu halten, den Arbeitslohn und behielt den Dünger. Sie war eine gescheite Frau: die Gattin des Arztes und sogar die des Notars, obwohl von höherem Range, achteten sie.

Die Armenbeschäftigungshäuser dauerten eine Woche. Es stellte sich keine Unruhe ein. Gorju hatte die Gegend verlassen.

Inzwischen war die Nationalgarde immer auf den Beinen: Sonntags eine Parade, zuweilen militärische Umzüge – und jede Nacht Ronden. Sie setzten das Dorf in Unruhe.

Man zog zum Scherz an den Schellen der Häuser; man drang in die Kammern, wo Gatten auf demselben Pfühl schnarchten; dann machte man derbe Späße, – und der Gatte erhob sich, um Schnäpse herbeizuholen. Darauf kehrte man zur Wache zurück, um eine Partie Domino zu spielen, trank dort Most, aß Käse, und der Posten, der sich an der Tür langweilte, gähnte jede Minute. Dank der Schwäche Beljambes herrschte Zuchtlosigkeit.

Als die Junitage anbrachen, war sich alle Welt einig, daß man »der Pariser Regierung zu Hilfe eilen« müsse, aber Foureau konnte sein Bürgermeisteramt, Marescot sein Notariat, der Doktor seine Kranken, Girbal seine Feuerwehrleute nicht im Stich lassen, und Herr von Faverges war in Cherbourg. Beljambe legte sich krank ins Bett. Der Hauptmann brummte: »Man hat von mir nichts wissen wollen, um so schlimmer.« Und Bouvard war so weise, Pécuchet zurückzuhalten.

Die Ronden wurden weiter im Lande ausgedehnt.

Panische Schrecken stellten sich ein vor dem Schatten eines Heuhaufens oder den Formen der Bäume: einmal ergriffen sämtliche Nationalgardisten die Flucht. Im Mondenschein hatten sie in einem Apfelbaum einen Mann mit einer Flinte wahrgenommen, der auf sie angelegt hatte.

Als ein anderes Mal die Patrouille in finsterer Nacht in der Buchenallee Halt gemacht hatte, hörte sie jemanden vor sich.

»Wer da?«

Keine Antwort.

Man ließ den Kerl seinen Weg fortsetzen, indem man ihm in einiger Entfernung folgte, denn er konnte eine Pistole oder einen Totschläger bei sich haben; doch als man im Dorfe im Bereich der Hilfe war, stürzten sich die zwölf Mann des Halbzuges alle zugleich auf ihn und schrien: »Ihre Papiere!« Sie schimpften ihn aus, überhäuften ihn mit Schmähungen. Auf der Wache war niemand anwesend. Man schleppte ihn dorthin, – und beim Scheine der Kerze, die auf dem Ofen brannte, erkannte man schließlich Gorju.

Ein elender Lastingpaletot krachte um seine Schultern. Seine Zehen guckten durch die Löcher seiner Stiefel. Sein Gesicht blutete von Schrammen und Quetschungen. Er war erstaunlich mager geworden und rollte die Augen wie ein Wolf.

Foureau, der schnell herbeigeeilt war, fragte ihn, wie er in die Buchenallee gekommen sei, zu welchem Zwecke er nach Chavignolles zurückgekommen sei, worauf er die letzten sechs Wochen seine Zeit verwandt habe.

Das ginge sie nichts an. Er sei frei.

Placquevent durchsuchte ihn nach Patronen. Man setzte ihn vorläufig fest.

Bouvard legte sich ins Mittel.

»Das ist zwecklos!« sagte der Bürgermeister. »Man kennt Ihre Anschauungen.«

»Indessen …«

»O! Nehmen Sie sich in acht, ich rate es Ihnen! Nehmen Sie sich in acht.«

Bouvard machte keine weiteren Anstrengungen.

Da wandte sich Gorju an Pécuchet: »Und Sie, Herr, Sie sagen nichts dazu?«

Pécuchet senkte den Kopf, als wenn er an seiner Unschuld gezweifelt hätte.

Der arme Teufel lächelte bitter.

»Ich habe Sie doch verteidigt!«

Bei Tagesanbruch führten ihn zwei Gendarmen nach Falaise ab.

Er wurde nicht vor ein Kriegsgericht gestellt, sondern von dem Zuchtpolizeigerichtshof zu drei Monaten Gefängnis verurteilt wegen Vergehens, umstürzlerische Reden gehalten zu haben.

Von Falaise aus schrieb er an seine ehemaligen Herren, ihm bald ein Zeugnis über gute Lebensführung zu senden, – und da ihre Unterschrift durch den Bürgermeister oder den Beigeordneten beglaubigt werden mußte, zogen sie es vor, Marescot um diesen kleinen Dienst zu bitten.

Man führte sie ins Eßzimmer, das alte Fayence-Teller schmückten; eine Boule-Uhr nahm das schmälste Stück der Täfelung ein. Auf dem Mahagonitische, der ohne Decke war, sah man zwei Servietten, einen Teekessel, Schalen. Frau Marescot ging durch das Zimmer in einem Morgenrock aus blauem Kaschmir. Sie war Pariserin und langweilte sich daher auf dem Lande. Dann kam der Notar, ein Samtbarett in der einen Hand, eine Zeitung in der andern; – und sogleich drückte er mit liebenswürdiger Miene sein Siegel darunter, – obwohl ihr Schutzbefohlener ein gefährlicher Mensch sei.

»Wirklich,« sagte Bouvard, »wegen einiger Worte!«

»Wenn das Wort Verbrechen nach sich zieht, lieber Herr, erlauben Sie!«

»Indessen,« erwiderte Pécuchet, »wie soll man die Scheidung zwischen harmlosen und strafbaren Äußerungen machen? Was jetzt verboten ist, wird in der Folgezeit gepriesen werden.« Und er tadelte die wüste Art, mit der man die Aufwiegler behandele.

Marescot führte natürlich den Schutz der Gesellschaft, das öffentliche Wohl als höchstes Gesetz an.

»Verzeihung!« sagte Pécuchet, »das Recht des einzelnen ist gerade so achtungswert wie das der Gesamtheit, und Sie können ihm nur Gewalt entgegenstellen – wenn er das Axiom gegen Sie wendet.«

Anstatt zu antworten, zog Marescot verächtlich die Augenbrauen in die Höhe. Sofern er nur weiter Akten schreiben und zwischen seinen Tellern in seiner kleinen, bequemen Häuslichkeit leben konnte, konnten ihn alle sich einstellenden Ungerechtigkeiten nicht erregen. Die Geschäfte riefen ihn. Er bat, sie möchten ihn entschuldigen.

Seine Lehre vom öffentlichen Wohl hatte sie entrüstet. Die Konservativen redeten jetzt wie Robespierre.

Weiterer Grund zur Verwunderung: Cavaignac verlor an Einfluß. Die Mobilgarde wurde verdächtig. Ledru-Rollin hatte sich um alles Ansehen gebracht, sogar nach Vaucorbeils Ansicht. Die Kämpfe um die Verfassung interessierten niemand, – und am 10. Dezember stimmten alle Bürger von Chavignolles für Bonaparte.

Die sechs Millionen Stimmen kühlten Pécuchet gegen das Volk ab, – und Bouvard und er studierten die Frage des allgemeinen Stimmrechts.

Da es allen gehört, kann es keine Einsicht haben. Ein Ehrgeiziger wird es immer leiten, die anderen werden wie eine Herde gehorchen, denn von den Wählern verlangt man nicht einmal, daß sie lesen können: das war nach Pécuchets Ansicht der Grund zu so viel Betrügereien bei der Präsidentenwahl.

»Keineswegs,« erwiderte Bouvard; »ich glaube vielmehr an die Dummheit des Volkes. Denke an alle die, welche Revalenta, die Pomade Dupuytren, das Toilettewasser und so weiter kaufen. Diese Einfaltspinsel bilden die Masse der Wähler, und wir müssen uns ihrem Willen fügen. Warum kann man mit Kaninchen nicht ein Einkommen von dreitausend Franken erzielen? Weil eine zu zahlreiche Anhäufung eine Ursache der Sterblichkeit ist. Ebenso entwickeln sich durch das bloße Vorhandensein der Menge die ihr anhaftenden Dummheitskeime, und unberechenbare Wirkungen sind die Folge.«

»Dein Skeptizismus erschreckt mich!« sagte Pécuchet.

Einige Zeit später, im Frühling, trafen sie Herrn von Faverges, der ihnen die Nachricht von der römischen Unternehmung brachte. Man würde die Italiener nicht angreifen, aber wir brauchten Garantien. Sonst sei unser Einfluß gebrochen. Nichts Gerechteres als diese Einmischung.

Bouvard riß die Augen auf. »Hinsichtlich Polens behaupteten Sie das Gegenteil!«

»Das ist nicht dasselbe!« Jetzt handele es sich um den Papst.

Und wenn Herr von Faverges sagte: »Wir wollen, wir werden handeln, wir haben die feste Absicht,« so vertrat er eine Partei.

Bouvard und Pécuchet fühlten sich von der Minderheit ebenso abgestoßen wie von der Mehrheit. Im großen und ganzen wog die Plebs die Aristokratie auf.

Das Interventionsrecht schien ihnen verdächtig. Sie suchten nach den Grundsätzen für dasselbe bei Calvo, Martens, Vatel; und Bouvard schloß:

»Man interveniert, um einen Fürsten wieder auf den Thron zu setzen, um ein Volk zu befreien, oder aus Vorsicht im Hinblick auf eine Gefahr. In beiden Fällen ist es ein Attentat auf das Recht eines andern, ein Mißbrauch der rohen Kraft, eine heuchlerische Gewaltmaßregel!«

»Indessen sind die Völker wie die Menschen solidarisch!« sagte Pécuchet.

»Vielleicht!« Und Bouvard verfiel in tiefes Sinnen.

Bald begann die römische Expedition.

Im Innern plünderte aus Haß gegen die Umsturzideen die Elite der Pariser Bürger zwei Druckereien. Die große Partei der Ordnung bildete sich.

Sie hatte im Bezirk den Herrn Grafen, Foureau, Marescot, den Pfarrer zu Führern. Gegen vier Uhr wandelten sie jeden Tag von einem Ende des Platzes zum andern und plauderten über die Ereignisse. Das wichtigste war die Verteilung der Broschüren.

Sie hatten eindrucksvolle Titel: »Gott will es. – Der rote Genosse. – Wie kommen wir aus dem Sumpf? – Wohin steuern wir?« – Das Schönste darin waren die Dialoge im Stil der Dörfler, mit Flüchen und unrichtigem Französisch, zur Hebung des sittlichen Niveaus der Bauern. Nach einem neuen Gesetz lag die Verbreitung von Schriften in den Händen der Präfekten – und man hatte Proudhon soeben in Saint-Pélagie eingesperrt: ein ungeheurer Sieg.

Die Freiheitsbäume wurden allgemein gefällt. Chavignolles gehorchte der Weisung. Bouvard sah mit eigenen Augen die Stücke seiner Pappel auf einem Schubkarren. Sie dienten dazu, den Gendarmen einzuheizen, – und man schenkte den Stumpf dem Herrn Pfarrer, der ihn doch geweiht hatte! Welch ein Hohn!

Der Lehrer verbarg seine Anschauungen nicht.

Bouvard und Pécuchet beglückwünschten ihn dazu, als sie eines Tages vor seiner Tür vorbeikamen.

Am Tage darauf fand er sich bei ihnen ein. Am Ende der Woche machten sie ihm einen Gegenbesuch.

Der Tag neigte sich, die Schlingel wären soeben fortgegangen, und der Schulmeister fegte in Hemdsärmeln den Hof. Seine Frau, welche ein Tuch um den Kopf geschlungen hatte, nährte ein Kind. Ein kleines Mädchen verbarg sich hinter ihrem Rock; ein häßlicher Balg spielte zu ihren Füßen auf der Erde; das Wasser ihrer Wäscherei, die sie in der Küche besorgte, floß durch das Haus.

»Sie sehen,« sagte der Lehrer, »wie die Regierung uns behandelt.« Und sogleich griff er das niederträchtige Kapital an. »Man sollte es demokratisieren, den Stoff befreien.«

»Das ist gerade, was ich verlange!« sagte Pécuchet.

»Wenigstens hätte man das Recht auf Unterstützung anerkennen sollen.«

»Noch ein Recht!« sagte Bouvard.

»Gleichviel!« Die provisorische Regierung sei schlapp gewesen, da sie die Brüderlichkeit nicht zum Gesetz erhoben habe.

»Versuchen Sie doch, sie einzuführen!«

Da es dunkel wurde, herrschte Petit in rohem Tone seine Frau an, einen Leuchter in sein Arbeitszimmer heraufzutragen.

Stecknadeln hielten an den Gipswänden die lithographischen Bildnisse der Redner der Linken fest. Ein Bücherregal voller Bücher überragte ein Pult aus Tannenholz. An Sitzgelegenheiten waren ein Stuhl, ein Schemel und eine alte Seifenkiste vorhanden; er stellte sich, als lache er darüber; doch das Elend höhlte seine Wangen, und seine schmalen Schläfen zeigten einen bockbeinigen Starrsinn, einen unbezähmbaren Stolz. Niemals würde er sich beugen.

»Das ist übrigens, was mich aufrecht erhält!«

Es war ein Haufen Zeitungen auf einem Brett, und fieberhaft betete er sein politisches Glaubensbekenntnis herunter: Entwaffnung der Truppen, Abschaffung der Behörden, Gleichheit der Löhne, ein mittlerer Wohlstand, durch den man unter der Form der Republik das goldene Zeitalter bekäme, mit einem Diktator an der Spitze, einem tüchtigen Kerl, der einen geraden Weges zum Ziele führen würde!

Dann langte er nach einer Flasche Anisette und drei Gläsern, um auf den Heros, auf das unsterbliche Opfer, auf den großen Maximilien ein Hoch auszubringen!

Auf der Schwelle erschien das schwarze Gewand des Pfarrers.

Nachdem er die Gesellschaft lebhaft begrüßt hatte, wandte er sich an den Lehrer und sagte mit beinahe leiser Stimme:

»Wie steht es um unsere Sankt-Joseph-Angelegenheit?«

»Sie haben fast nichts gegeben,« erwiderte der Schulmeister.

»Das ist Ihre Schuld!«

»Ich habe getan, was ich konnte!«

»Ach! Wirklich?«

Bouvard und Pécuchet erhoben sich, da sie nicht stören wollten. Petit nötigte sie wieder auf ihre Sitze, und sich dann zum Pfarrer wendend:

»Ist das alles?«

Der Abbé Jeufroy zögerte; dann sagte er mit einem Lächeln, das den Verweis milderte:

»Man findet, daß Sie die Heilige Schrift ein wenig vernachlässigen.«

»O! die Heilige Schrift!« wandte Bouvard ein.

»Was werfen Sie ihr vor, mein Herr?«

»Ich? Nichts. Nur gibt es vielleicht nützlichere Dinge als die Erzählung von Jonas und die Könige von Israel!«

»Wie Sie meinen!« erwiderte trocken der Priester.

Und ohne sich um die Gäste zu kümmern, oder vielleicht gerade ihretwegen:

»Die Katechismusstunde ist zu kurz!«

Petit zuckte die Achseln.

»Geben Sie acht. Sie werden Ihre Pensionäre verlieren!«

Die zehn Franken, die er im Monat von diesen Schülern bekam, waren das Einträglichste an seiner Stelle. Aber der Priesterrock brachte ihn außer sich:

»Meinetwegen! Rächen Sie sich!«

»Ein Mann von meinem Charakter rächt sich nicht,« sagte der Priester, ohne in Erregung zu geraten. »Doch ich erinnere Sie daran, daß das Gesetz vom 15. März uns die Überwachung des Elementarunterrichts zuerteilt.«

»Ja, das weiß ich sehr wohl,« schrie der Lehrer. »Sie steht sogar den Gendarmerieobersten zu! Warum nicht dem Feldhüter! Das wäre die Höhe!«

Und er sank auf den Schemel, sich vor Wut in die Faust beißend, seinen Zorn meisternd, erstickt von dem Gefühle seiner Ohnmacht.

Der Geistliche berührte leicht seine Schulter.

»Ich wollte Sie nicht betrüben, mein Freund! Beruhigen Sie sich! Ein wenig Vernunft!

Bald ist Ostern: ich hoffe, Sie werden ein gutes Beispiel geben und mit frommem Eifer kommunizieren.«

»Ach! das ist zu stark! ich! ich! mich in solche Dummheiten fügen!«

Bei dieser Gotteslästerung erblich der Geistliche. Seine Augen sprühten Blitze, sein Kinn zitterte.

»Schweigen Sie, Unglücklicher! Schweigen Sie! – Und seine Frau besorgt die Wäsche für die Kirche!«

»Je nun! Wieso? Was hat sie verbrochen?«

»Sie versäumt stets die Messe! Übrigens auch Ihr Fall!«

»Nun! Man entläßt einen Schulmeister wegen solcher Sachen nicht!«

»Man kann ihn versetzen!«

Der Priester schwieg. Er stand im Hintergrunde des Zimmers im Schatten. Petit, dessen Kopf auf die Brust herabhing, verfiel in tiefes Sinnen.

Sie würden am äußersten Ende von Frankreich ankommen, nachdem ihr letzter Heller durch die Reise aufgezehrt war, und sie würden dort unter anderen Namen denselben Pfarrer, denselben Rektor, denselben Präfekten wiederfinden; alle bis herauf zum Minister waren sozusagen die Ringe einer Kette, die ihn erdrückte. Er hatte schon eine Verwarnung bekommen, andere würden folgen. Und dann? Und in einer Halluzination sah er sich die Landstraße entlang wandern, einen Sack auf dem Rücken, die, welche er liebte, an seiner Seite, die Hand bettelnd gegen eine Postkutsche ausgestreckt.

In diesem Augenblick wurde seine Frau in der Küche von einem Hustenanfall gepackt; das Neugeborene begann zu wimmern, und der Balg weinte.

»Arme Kinder!« sagte der Priester mit sanfter Stimme.

Da brach der Vater in Schluchzen aus:

»Ja! ja! alles, was man verlangt!«

»Ich verlasse mich darauf,« erwiderte der Pfarrer.

Und nachdem er sich verbeugt:

»Meine Herren, recht guten Abend!«

Der Schulmeister verharrte, das Gesicht in den Händen.

Er stieß Bouvard zurück.

»Nein! lassen Sie mich! Ich möchte verrecken! Ich bin ein Elender!«

Die beiden Freunde suchten ihre Behausung wieder auf, während sie sich zu ihrer Unabhängigkeit beglückwünschten. Die Macht der Geistlichkeit setzte sie in Schrecken.

Man verwandte sie jetzt dazu, um die soziale Ordnung zu befestigen. Die Republik pfiff auf dem letzten Loch.

Drei Millionen Wähler waren vom allgemeinen Stimmrecht ausgeschlossen. Die Kautionssumme der Zeitungen wurde erhöht, die Zensur wieder eingesetzt. Man hatte es auf die Feuilleton-Romane abgesehen. Die klassische Philosophie kam in einen gefährlichen Ruf. Die Bürger predigten das Dogma von den materiellen Interessen, und das Volk schien zufrieden.

Die Landbevölkerung kehrte zu ihren alten Herren zurück.

Herr von Faverges, der Besitzungen im Departement Eure hatte, wurde für die gesetzgebende Versammlung vorgeschlagen, und seine Wiederwahl in die Kreisstände des Calvados war im voraus sicher.

Er hielt es für nötig, die Honoratioren des Landes zu einem Frühstück einzuladen.

Das Vestibül, in welchem drei Diener sie erwarteten, um ihnen die Überzieher abzunehmen, das Billardzimmer und zwei in derselben Flucht liegende Salons, die Pflanzen in den chinesischen Vasen, die Bronzen auf den Kaminen, die goldenen Leisten am Getäfel, die schweren Vorhänge, die bequemen Sessel, dieser ganze Luxus berührte sie sogleich wie eine Höflichkeit, die man ihnen erwies; und als man in das Eßzimmer trat, da heiterten sich alle Gesichter auf beim Anblick der mit verschiedenen Braten besetzten Tafel, die auf silbernen Schüsseln lagen; dazu die Reihe Gläser hinter jedem Teller, die hier und dort stehenden Vorspeisen, und mitten auf der Tafel ein Salm.

Sie waren ihrer siebzehn, darunter zwei begüterte Landwirte, der Unterpräfekt von Bayeux und ein unbekannter Herr aus Cherbourg. Herr von Faverges bat seine Gäste, die Gräfin, die durch eine Migräne verhindert sei, entschuldigen zu wollen; und nach Komplimenten über die Birnen und Trauben, welche vier Körbe auf den Ecken füllten, kam die Rede auf die große Neuigkeit: den Plan einer Landung in England durch Changarnier.

Heurtaux wünschte sie als Soldat, der Pfarrer aus Haß gegen die Protestanten, Foureau im Interesse des Handels.

»Sie geben mittelalterliche Anschauungen zu erkennen!« sagte Pécuchet.

»Das Mittelalter hatte sein Gutes,« erwiderte Marescot. »Zum Beispiel unsere Kathedralen …«

»Indessen, die Mißbräuche, mein Herr! …«

»Gleichviel, die Revolution wäre nicht gekommen!«

»Ja, die Revolution, das war das Unglück!« sagte der Geistliche seufzend.

»Aber alle Welt hat dazu beigetragen! und – verzeihen Sie, Herr Graf – die Adligen selbst durch ihre Verbindung mit den Philosophen!«

»Was wollen Sie! Ludwig XVIII. hat den Raub der Güter legalisiert! Seit jener Zeit untergräbt uns das parlamentarische System die Grundlagen! …«

Ein Roastbeef wurde aufgetragen, und einige Minuten lang hörte man nur das Geräusch der Gabeln und Kinnladen zu den Schritten der Diener auf dem Parkett und der Wiederholung der beiden Worte: »Madeira! Sauternes!«

Die Unterhaltung wurde von dem Herrn aus Cherbourg wieder aufgenommen. Wie am Rande des Abgrundes einhalten?

»Bei den Athenern,« sagte Marescot, »bei den Athenern, denen wir in gewisser Hinsicht ähneln, hielt Solon die Demokraten nieder, indem er den Wahlzensus erhöhte.«

»Besser wäre es,« sagte Hurel, »die Kammer abzuschaffen; alle Unordnung kommt von Paris.«

»Dezentralisieren wir!« sagte der Notar.

»In gehöriger Weise!« fügte der Graf hinzu.

Nach Foureaus Ansicht mußte die Gemeinde die unumschränkte Herrin sein, so daß sie sogar die Benutzung ihrer Wege den Reisenden verbieten konnte, wenn es ihr gut schien.

Und während ein Gericht dem andern folgte, Huhn in Brühe, Krebse, Champignons, Gemüsesalat, gebratene Lerchen, wurden manche Fragen behandelt: das beste Steuersystem, die Vorteile der Bewirtschaftung im Großen, die Abschaffung der Todesstrafe, – der Unterpräfekt vergaß nicht, das reizende Wort eines Mannes von Geist anzuführen: »Möchten die Herren Mörder damit anfangen!«

Bouvard war von dem Gegensatz überrascht, in welchem die Umgebung zu dem stand, was man sagte, – denn man glaubt immer, daß die Worte der Umwelt entsprechen müssen, und daß die hohen Räume für große Gedanken geschaffen seien. Nichtsdestoweniger war er beim Nachtisch rot und sah die Kompottschüsseln in einem Nebel.

Man hatte Bordeaux, Burgunder und Malaga getrunken …Herr von Faverges, der seine Leute kannte, ließ Champagner entkorken. Die Gäste tranken anstoßend auf den Erfolg der Wahl, und es war drei Uhr vorbei, als sie ins Rauchzimmer hinübergingen, um den Kaffee zu nehmen.

Zwischen Nummern des »Univers« lag eine Karikatur des »Charivari« auf einem Pfeilertischchen; sie stellte einen Bürger dar, unter dessen Rockschößen ein Schwanz hervorsah, der in ein Auge auslief. Marescot gab die nötige Erklärung. Man lachte tüchtig.

Sie stürzten Liköre hinunter, und die Asche der Zigarren fiel in die Polster der Möbel. Der Abbé, der Girbal überzeugen wollte, griff Voltaire an. Coulon schlummerte ein. Herr von Faverges erklärte seine Ergebenheit für Chambord. »Die Bienen zeugen für die Monarchie.«

»Aber die Ameisenhaufen für die Republik!« Übrigens legte der Arzt keinen Wert mehr auf sie.

»Sie haben recht!« sagte der Unterpräfekt. »Die Form der Regierung ist ziemlich gleichgültig!«

»Die Freiheit vorausgesetzt!« wandte Pécuchet ein.

»Ein anständiger Mensch bedarf ihrer nicht,« erwiderte Foureau. »Ich halte keine Reden! Ich bin kein Journalist! Und ich behaupte, daß Frankreich von einem eisernen Arme regiert sein will!«

Alle verlangten nach einem Retter.

Beim Fortgehen hörten Bouvard und Pécuchet Herrn von Faverges zum Abbé Jeufroy sagen:

»Man muß den Gehorsam wieder einführen. Die Autorität erstirbt, wenn man sie erörtert. Das göttliche Recht, das ist das einzig Wahre!«

»Ganz Ihrer Ansicht, Herr Graf!«

Hinter den Wäldern warf die Oktobersonne lange blasse Strahlen, ein feuchter Wind wehte; – und während sie über abgefallene Blätter gingen, atmeten sie wie befreit.

Alles, was sie nicht hatten aussprechen können, machte sich in Ausrufen Luft:

»Welche Dummköpfe! Welche Niedrigkeit der Gesinnung! Wie ist nur solch eine Verbohrtheit denkbar! Zunächst, was versteht man unter göttlichem Recht?«

Der Freund Dumouchels, jener Professor, der sie über ästhetische Dinge unterrichtet hatte, beantwortete ihre Frage mit einem gelehrten Briefe.

Die Theorie des göttlichen Rechts ist unter Karl II. von dem Engländer Filmer formuliert worden.

Hier folgt sie:

»Der Schöpfer verlieh dem ersten Menschen die Herrschaft über die Welt. Sie ging auf seine Nachkommen über, und die Macht des Königs kommt von Gott: ›Er ist sein Ebenbild,‹ schreibt Bossuet. Die Machtbefugnis des Vaters gewöhnt an die Herrschaft eines einzigen. Man hat die Könige nach dem Beispiel der Väter eingesetzt.

Locke widerlegte diese Doktrin. Die väterliche Machtbefugnis unterscheidet sich von der monarchischen, denn jeder Untertan hat dasselbe Recht in bezug auf seine Kinder, wie der Monarch es seinen eigenen gegenüber hat. Das Königtum existiert nur kraft der Wahl des Volkes, – und diese Erwählung wurde sogar bei der Feierlichkeit der Salbung ins Gedächtnis zurückgerufen, wo zwei Bischöfe, indem sie den König zur Schau stellten, die Edlen und das Volk befragten, ob sie ihn als solchen anerkennen wollten.

Also kommt die Gewalt vom Volke. ›Es hat das Recht, alles zu tun, was es will,‹ sagt Helvetius, ›seine Verfassung zu ändern,‹ sagt Vatel, ›sich gegen Ungerechtigkeit zu empören,‹ behaupten Glafey, Hotman, Mably und so weiter, – und der heilige Thomas von Aquino spricht ihm die Befugnis zu, sich von einem Tyrannen zu befreien. ›Es braucht nicht einmal recht zu haben‹ sagt Jurieu.«

Über diesen Grundsatz erstaunt, nähmen sie Rousseaus »Gesellschaftsvertrag« zur Hand.

Pécuchet las ihn bis zu Ende; dann schloß er die Augen, warf den Kopf zurück und analysierte:

»Vorausgesetzt wird eine Vereinbarung, durch die der einzelne sich seiner Freiheit entäußerte.

Zugleich verpflichtete sich das Volk, ihn gegen die Ungleichheiten der Natur zu schützen, und machte ihn zum Eigentümer der Dinge, die er besitzt.

Wo aber ist der Beweis für den Vertrag?

Nirgends! und die Gemeinschaft bietet keine Sicherheit Die Bürger werden sich ausschließlich mit Politik beschäftigen. Aber da man Handwerker braucht, rät Rousseau zur Sklaverei. Die Wissenschaften haben das Menschengeschlecht zugrunde gerichtet. Das Theater wirkt verderblich, das Geld ist unheilvoll, und der Staat muß eine Religion einsetzen, wenn er nicht zugrunde gehen soll.«

Wie! sagten sie sich, das ist der Vorkämpfer der Demokratie?

Alle Reformatoren haben ihn abgeschrieben, – und sie verschafften sich die »Untersuchung über den Sozialismus« von Morant.

Das erste Kapitel erläutert die Saint-Simonistische Lehre.

An der Spitze der »Vater«, der zugleich Papst und Kaiser ist. Abschaffung der Erbschaften, da alles bewegliche und unbewegliche Gut ein Gesellschaftskapital bildet, das durch eine hierarchisch gestufte Organisation nutzbar gemacht wird. Die Geschäftsleute verwalten das öffentliche Vermögen. Doch darum keine Furcht; man wird den zum Führer haben, »der am meisten liebt«.

Etwas fehlt noch, die Frau. Vom Erscheinen der Frau hängt das Heil der Welt ab.

»Das verstehe ich nicht.«

»Ich auch nicht!«

Und sie machten sich an die Lehre Fouriers.

Alles Unglück kommt durch den Zwang. Man lasse die Attraktion sich ungehindert betätigen, und alles wird sich harmonisch ordnen.

Unsere Seele umschließt zwölf Grundtriebe: fünf sensuelle, vier affektive und drei distributive. Die ersten beziehen sich auf das Individuum, die folgenden auf die Gruppen, die letzten auf die Gruppen der Gruppen oder Reihen, deren Gesamtheit die Phalanx bildet, eine Gesellschaft von achtzehnhundert Personen, die einen Palast bewohnen. Jeden Morgen bringen Wagen die Arbeiter aufs Land und holen sie am Abend zurück. Man trägt Fahnen, man feiert Feste, man ißt Kuchen. Jede Frau besitzt, wenn sie Wert darauf legt, drei Männer: den Ehegatten, den Liebhaber und den Erzeuger. Für die Ehelosen ist durch das Bajaderentum vorgesorgt.

»Das ist nach meinem Geschmack!« sagte Bouvard. Und er verlor sich in Träume von der harmonischen Welt.

Durch die Verbesserung der klimatischen Verhältnisse wird die Erde schöner werden, durch die Kreuzung der Rassen das menschliche Leben länger. Man wird die Wolken lenken, wie man es schon jetzt mit dem Blitz tut, es wird des Nachts auf die Städte zu deren Reinigung regnen. Schiffe werden die unter der Einwirkung von Nordlichtern aufgetauten Polarmeere durchqueren. Denn alles vollzieht sich durch die Vereinigung eines männlichen mit einem weiblichen Fluidum, die von den Polen ausgehen; und die Nordlichter sind ein Anzeichen der Brunst des Planeten, ein Ausströmen der Zeugungskraft. »Das geht über meinen Horizont,« sagte Pécuchet.

Nach Saint-Simon und Fourier beschränkte sich das Problem auf die Lohnfrage.

Louis Blanc will, daß man im Interesse der Arbeiter den Außenhandel abschafft; Lafarelle, daß man Maschinen einführt; ein anderer, daß man die Getränke von Steuern befreit, oder daß man die Zünfte wiederherstellt, oder daß man Suppen austeilt. Proudhon denkt an einen einheitlichen Tarif und verlangt für den Staat das Zuckermonopol.

»Deine Sozialisten verlangen immer die Tyrannei,« sagte Bouvard.

»Nicht doch!«

»Ganz gewiß!«

»Du redest Unsinn!«

»Du empörst mich!«

Sie ließen sich die Werke kommen, die sie nur ihrem Hauptinhalte nach kannten. Bouvard merkte mehrere Stellen an und sagte, auf sie hinweisend:

»Lies selbst! Sie stellen uns als Beispiel die Essener, die Herrnhuter, die Jesuiten von Paraguay, sogar die Gefängnisordnung hin.

Bei den Ikariern wird das Frühstück in zwanzig Minuten eingenommen, die Frauen kommen im Krankenhaus nieder; was die Bücher anlangt, so besteht das Verbot, deren ohne Ermächtigung der Republik zu drucken.

»Aber Cabet ist ein Idiot!«

»Hier etwas aus Saint-Simon: die Publizisten haben ihre Arbeiten einem Komitee von Handelsleuten zu unterbreiten.

Und aus Pierre Leroux: das Gesetz wird die Bürger zwingen, einen Redner zu hören.

Und aus Auguste Comte: die Priester werden die Jugend erziehen, alle Werke des Geistes leiten und die Staatsgewalt anhalten, das Zeugungsgeschäft zu regeln.«

Diese Lehren bekümmerten Pécuchet. Beim Diner am Abend erwiderte er:

»Daß es bei den Utopisten manches Lächerliche gibt, das gebe ich zu; indessen verdienen sie unsere Liebe. Die Häßlichkeit der Welt schmerzte sie, und um sie schöner zu machen, haben sie alles erduldet. Erinnere dich der Enthauptung des Morus, der siebenmaligen Folterung Campanellas; wie Buonarotti eine Kette um den Hals trug, Saint-Simon im Elend litt, und vieler anderer. Sie hätten in Frieden leben können; aber nein! sie sind ihren Weg gegangen wie Helden, erhobenen Hauptes.«

»Glaubst du,« erwiderte Bouvard, »daß die Welt infolge der Theorien eines solchen Herrn sich ändern wird?«

»Was tut das!« sagte Pécuchet, »es ist an der Zeit, daß man nicht mehr im Egoismus verfault! Suchen wir das beste System!«

»Dann rechnest du darauf, es zu finden?«

»Gewiß!«

»Du?«

Und das Lachen, von dem Bouvard erfaßt wurde, erschütterte seine Schultern und seinen Bauch in gleichen Stößen. Roter als die Konfitüren, die Serviette unter der Achsel, lachte er immer wieder von neuem:

»Ha! ha! ha!« Es war aufreizend.

Pécuchet verließ das Zimmer und schlug die Tür zu.

Germaine rief ihn, durch das ganze Haus suchend, – und man fand ihn schließlich in seinem Zimmer in einem Lehnsessel, ohne Feuer und Licht, während er die Mütze tief in die Stirn hinabgezogen hatte. Er war nicht krank, sondern er gab sich seinen Betrachtungen hin.

Nachdem die Mißstimmung zwischen beiden verflogen war, erkannten sie, daß eine Grundlage ihren Studien fehlte: die Nationalökonomie.

Sie unterrichteten sich über Angebot und Nachfrage, Kapital und Zins, Einfuhr, Ausfuhrverbot.

Eines Nachts wurde Pécuchet durch das Knarren eines Stiefels im Hausflur geweckt. Am Abend hatte er, wie gewöhnlich, alle Riegel vorgeschoben – und er weckte Bouvard, der fest schlief.

Sie harrten regungslos unter ihren Decken. Das Geräusch ließ sich nicht wieder hören.

Die Mägde, darum befragt, wollten nichts gehört haben.

Doch als sie in ihrem Garten umhergingen, bemerkten sie auf einem Beet in der Nähe des Gitters den Abdruck einer Stiefelsohle, – und zwei Stäbe des Zaunes waren zerbrochen. Augenscheinlich war jemand hinübergestiegen.

Der Feldhüter mußte benachrichtigt werden.

Da er nicht auf dem Bürgermeisteramt war, begab sich Pécuchet zum Krämer.

Wen sah er in der Hinterstube des Ladens an der Seite Placquevents mitten unter den Trinkern? Gorju! – Gorju, in feiner Kleidung und die andern freihaltend.

Sie legten der Begegnung keine weitere Bedeutung bei.

Bald kamen sie zur Frage des Fortschritts.

Bouvard bezweifelte ihn nicht auf wissenschaftlichem Gebiet. Doch in der Literatur zeigt er sich weniger klar; und wenn auch der Wohlstand zunimmt, so ist doch der Glanz des Lebens verschwunden.

Um ihn von seiner Ansicht zu überzeugen, nahm Pécuchet ein Stück Papier: »Ich zeichne eine schräg verlaufende Wellenlinie. Wer ihren Weg nimmt, wird jedesmal bei der Senkung den Horizont nicht mehr sehen. Und doch hebt sie sich, und trotz ihrer Krümmungen wird er den Gipfel erreichen. Das ist das Bild des Fortschritts.«

Frau Bordin trat ein.

Es war der 3. Dezember 1851. Sie brachte die Zeitung mit.

Sie lasen schnell, in dasselbe Blatt sehend, den Aufruf an das Volk, die Auflösung der Kammer, die Gefangensetzung der Abgeordneten.

Pécuchet wurde blaß. Bouvard sah die Witwe an.

»Wie! Sie sagen nichts!«

»Kann ich's ändern?« Sie vergaßen, ihr einen Stuhl anzubieten. »Ich war gekommen in dem Glauben, Ihnen ein Vergnügen zu machen! O! Sie sind heute wenig liebenswürdig!« Und sie ging, von ihrer Unhöflichkeit beleidigt.

Die Überraschung hatte sie stumm gemacht. Dann gingen sie ins Dorf, ihrer Entrüstung Ausdruck zu geben.

Marescot, der sie, mit seinen Verträgen beschäftigt, empfing, dachte anders. Das Geschwätz der Kammer höre auf, dem Himmel sei Dank. Man würde hinfort eine Politik der Tatsachen haben.

Beljambe wußte nichts von den Ereignissen, sie waren ihm zudem gleichgültig.

An der Markthalle hielten sie Vaucorbeil an.

Der Arzt hatte sich von all dem frei gemacht. –

»Sie tun unrecht, sich damit zu quälen!«

Foureau kam an ihnen vorüber und sagte mit spöttischer Miene: »Hineingelegt, die Demokraten!« – Und der Hauptmann an Girbals Arm riet von weitem: »Es lebe der Kaiser!«

Aber Petit mußte sie verstehen, und nachdem Bouvard an die Scheibe geklopft, verließ der Schulmeister seine Klasse.

Er fand es außerordentlich komisch, daß Thiers im Gefängnis saß. Das war eine Rache für das Volk. – »Ha! ha! meine Herren Abgeordneten, die Reihe ist an Ihnen!«

Die Füsilladen auf den Boulevards fanden die Billigung der Einwohner von Chavignolles. Keine Gnade für die Besiegten, kein Mitleid für die Opfer! Sobald man sich empört, ist man ein Verbrecher.

»Danken wir der Vorsehung!« sagte der Pfarrer, »und nächst ihr Louis Bonaparte. Er umgibt sich mit den ausgezeichnetsten Männern. Der Graf von Faverges wird Senator werden.«

Am folgenden Tage erhielten sie den Besuch Placquevents.

Die Herren hätten viel geredet. Er verpflichtete sie zu schweigen.

»Willst du meine Ansicht wissen?« sagte Pécuchet:

»Da die Bürger blutdürstig, die Arbeiter eifersüchtig, die Priester Kriecher sind, – und da dem Volk jeder Tyrann recht ist, vorausgesetzt, daß man ihm sein Maul im Troge läßt, so hat Napoleon recht getan! – Mag er es knebeln, mit Füßen treten und vertilgen! – Es wird nie eine genügende Strafe sein für seinen Haß gegen das Recht, seine Feigheit, seine Dummheit, seine Verblendung!«

Bouvard dachte: »Ach, der Fortschritt, welch ein Schwindel!« Er fügte hinzu: »Und die Politik, eine schöne Schweinerei!«

»Sie ist keine Wissenschaft,« erwiderte Pécuchet. »Die Kriegskunst steht höher, man sieht voraus, was eintrifft; wir sollten uns daran machen.«

»Nein, danke!« erwiderte Bouvard. »Alles widert mich an. Laß uns lieber unsere Bude verkaufen und laß uns, zum Himmeldonnerwetter, zu den Wilden gehen!«

»Wie du willst!«

Im Hofe pumpte Mélie Wasser.

Die hölzerne Pumpe hatte einen langen Schwengel. Um ihn hinabzudrücken, krümmte sie sich, – und man sah alsdann ihre blauen Strümpfe bis hinauf zu den Waden. Dann hob sie mit einer schnellen Bewegung ihren rechten Arm; während sie den Kopf ein wenig drehte, – und Pécuchet fühlte bei ihrem Anblick etwas ganz Ungewohntes, einen Reiz, ein unendliches Vergnügen.


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