Theodor Fontane
Mathilde Möhring
Theodor Fontane

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ZWÖLFTES KAPITEL

Frau Schmädicke kriegte wirklich die Anzeige, denn alles kam genauso, wie Thilde vorausgesagt hatte, und am Johannistage konnte die Hochzeit in einem ganz kleinen Saale des Englischen Hauses gefeiert werden. Pastor Hartleben, der getraut hatte, ließ sich bewegen, auch dem kleinen Festmahle beizuwohnen, und hielt eine gefühlvoll humoristische Rede, die besser war als die Traurede in der Kirche. Er saß der Braut gegenüber, zwischen Hugos Mutter und Schwester, die von Owinsk herübergekommen waren, mit noch zwei Cousinen, von denen jede mal auf Hugo gerechnet hatte. Da sie beide aber halb polnisch und sehr hübsch waren, so verschlug es nicht viel, und als die Feierlichkeit überwunden war, tranken sie Hugo zu, gaben ihm einen Muhmenkuß, der so laut klang, wie wenn man ein Baumblatt auf der hohlen Hand zerkloppt, und sagten unter liebenswürdiger Drohung gegen die Braut, »alte Liebe rostet nicht«, was alles von Thilde mit großer Seelenruhe hingenommen wurde. Hugos Vergangenheit beunruhigte sie wenig, viel konnte es nicht gewesen sein, und noch weniger beunruhigte sie die Zukunft. Außerdem waren es fünfzehn Meilen von Owinsk bis Woldenstein. Beim Kaffee setzten sich beide neben Pastor Hartleben, der sich von dem katholischen Leben in Owinsk erzählen ließ, schmunzelnd zuhörte, als die katholische Geistlichkeit und zum Schluß auch der evangelische Geistliche durch die Hechelmühle der beiden hübschen Mädchen hindurchmußten, und, als er aufbrach, sich in seinem alten Dogma von der Überlegenheit der Weltkinder neu gestärkt fühlte. Es war niemand da, gegen den er sein Herz ausschütten konnte, als er aber die Treppe hinabstieg und den Portier, den er von vielen Hochzeiten her kannte, freundlich lächelnd gegrüßt hatte, sann er seinem alten Lieblingssätze von der Überlegenheit der Weltkinder nach. »Es ist ein eigen Ding mit der Frömmigkeit; es sind doch nur wenige, die sie vertragen können, und in diesem Nichts-sein- und Nichts-bedeuten-Wollen leichtsinnigen Gottvertrauns steckt eigentlich Besseres als in der Sicherheit und dem Anspruch derer, die sicher sind, für ihren Gott was getan zu haben. Diese Mädchen... wie graziös und eigentlich wie bescheiden, und der entzückende Kerl, der Rybinski...«

Ja, Rybinski war auch dagewesen mit einer neuen Braut, von der er behauptete, »diesmal sei es ernsthaft«.

»Wirklich?« hatte Hugo gefragt.

»Ja! Sie ist Tragödin.«

Die Schmädicke saß neben der alten Möhring und sprach viel von dem Hochzeitsgeschenk, das sie zum Polterabend (der aber ausfiel) geschickt hatte. Es war eine rosafarbene Ampel an drei Ketten. Die Schmädicke war sehr geizig. »Ich hab es mir lange überlegt, was wohl das beste wäre. Da mußt ich dran denken, wie duster es war, als Schmädicke kam. Ich kann wohl sagen, es war ein furchtbarer Augenblick und hatt so was, wie wenn ein Verbrecher schleicht. Und Schmädicke war doch so unbescholten, wie einer nur sein kam. Und seit dem, wenn eine Hochzeit is, schenke ich so was. Zuviel Licht is auch nich gut, aber so gedämpft, da geht es.« Die alte Möhring nickte mit dem Kopf, schwieg aber, denn sie hatte sich über die Ampel geärgert.

 

Noch denselben Abend reiste das junge Paar ab, und zwar gleich nach Woldenstein. Weil sie aber vorhatten, die erste Nacht in Küstrin und die zweite Nacht in Bromberg zuzubringen, so nannten sie diese Fahrt doch ihre Hochzeitsreise, ja, Hugo tat sich etwas darauf zugute.

»Ich finde es nicht in der Ordnung, daß es immer Dresden und die Brühlsche Terrasse sein muß oder gar der Zwinger. In Küstrin wollen wir uns am andern Morgen das Gefängnis des Kronprinzen Friedrich ansehn und die Stelle, wo Katte hingerichtet wurde. Das scheint mir passender als der Zwinger.« Thilde war mit allem einverstanden gewesen. Küstrin war Etappe nach Woldenstein, und daß Woldenstein baldmöglichst erreicht wurde, nur darauf kam es an.

Am 26. mittags waren sie da. Sie bezogen die Wohnung, die schon der vorige Burgemeister innegehabt und die Hugos Mutter und Schwester von Owinsk aus eingerichtet hatten, teils mit einigen alten Sachen aus dem Owinsker Haus, teils mit neu gekauften Möbeln und Stoffen, die sämtlich in Woldenstein gekauft waren. »Es wird wohl teurer sein und nicht viel taugen«, hatte Thilde gesagt, »aber es bringt sich wieder ein. Wir müssen uns lieb Kind machen. Woldenstein ist jetzt die Karte, drauf wir setzen müssen.«

Am 1. Juli wurde Hugo eingeführt und eroberte sich gleich die Herzen durch eine Ansprache, die er hielt. »Er sei ein halber Landsmann und habe, von Jugend an, an der Überzeugung festgehalten, daß die Kraft des preußischen Staates in den östlichen Provinzen liege. Von daher habe die Monarchie den Namen, aus Königsberg stamme das preußische Königtum, und wenn Woldenstein auch vielleicht nicht bestimmt sei, derart in die Geschicke des Landes einzugreifen, so sei auch das Kleinste groß genug, durch Pflichterfüllung und durch Festhalten an den alten preußischen Tugenden vorbildlich zu wirken und dem Lande eine Ehre und Seiner Majestät dem Könige eine Freude zu sein.« An dieser Stelle wurde Beifall laut, denn Woldenstein wählte konservativ. Aber Hugo, der gut sah, hatte doch auch das spöttische Lächeln gesehn, mit dem eine kleine Gruppe diese patriotische Wendung begleitete, weshalb er hinzufügte: »Seiner Majestät eine Freude sein, dem Könige, der ein Hort der Verfassung ist, zu der wir alle stehn mit Leib und Leben.«

 

Der Schluß der Rede hatte so gewirkt, daß die Firma Silberstein und Isenthal ein Ständchen anregte, das auch am selben Abende noch gebracht wurde. Die Konservativen schlossen sich aus, aber nicht aus Demonstration gegen Hugo, sondern nur aus Demonstration gegen die fortschrittliche Firma.

Die nächsten Tage waren etwas unruhig, Hugo hatte Besuche in [der] Stadt und auch in der Umgegend zu machen, namentlich beim Landrat, der persona gratissima war und mit dem er gleich entschlossen war sich gut zu stellen. Es war nicht ganz leicht, da das Ständchen doch höhren Orts Anstoß gegeben hatte. Thilde sagte: »Das tut nichts. Rom ist nicht an einem Tage gebaut; gut Ding will Weile.« Sie richtete zunächst ihre Aufmerksamkeit auf die Einrichtungen des Hauses und vervollständigte die Einrichtung durch allerhand kleine Einkäufe. Den dritten Tag nach ihrer Ankunft trafen auch noch einige Sachen aus Berlin ein, darunter die Ampel. Hugo war nicht abgeneigt, ihr den Ehrenplatz zu geben, der der Schmädicke vorgeschwebt hatte, Thilde sagte aber: »Da sieht sie ja keiner«, und hing sie in den Hausflur, wo sie freilich bei den hellen Sommertagen zunächst noch zu keiner Wirkung kommen konnte.

Das Beste der Wohnung war der hübsche, ziemlich große Garten, der, nach Passierung eines schmalen Hofes mit einem Truthahn und Perlhühnern (alles vom vorigen Burgemeister übernommen), unmittelbar hinter dem Hause lag. Durch die Mitte zogen sich Buchsbaumrabatten, halben Wegs war eine Sonnenuhr, und in den Beeten, die links und rechts liefen, blühten Balsaminen und Rittersporn, überall überwachsen von riesigen Sonnenblumen, für die der Vorbesitzer eine Vorliebe gehabt haben mußte.

Hier war Thilde besonders tätig, trug einen großen weißen Schnurrenhut eigner Erfindung und legte, wenn Hugo vom Rathaus kam, ihren Arm in den seinen und ließ sich, während sie mit ihm auf und ab schritt, von den Sitzungen erzählen.

»Ich bin mitunter in Verlegenheit«, sagte er. »Sie haben ein Vertrauen zu meiner Rechtskunde, und ich soll immer am Schnürchen wissen, was da zu tun sei und was rechtens sei. Natürlich sag ich immer: es läge sehr schwer, es sei ein komplizierter Fall, der je nachdem höchstwahrscheinlich so oder so entschieden werden müsse, dabei schlägt mir aber das Herz, denn alles, was ich da sage, kann auch Unsinn sein.«

»Du fängst es nicht richtig an, Hugo. Was heißt Rechtsfragen? Rechtsfragen, das ist für Winkelkonsulenten. Und wenn es was Ordentliches ist, dann mußt du sagen, da wollen wir Justizrat Noack fragen; ich halte den für einen scharfen Kopf...«

»Ja, Thilde...«

»Für einen scharfen Kopf. Und wenn du das sagst, so legt dir das keiner zum Schlimmen aus, und den Justizrat hast du nu schon sicher auf deiner Seite. Der sagt dann: ›Ihr Herren, da habt ihr endlich mal einen richtigen Burgemeister, einen klugen, verständigen Mann. In der Regel wollen sie alles selber wissen. Das ist Pfuscherei, das ist, wie wenn die Apotheker die Kranken kurieren wollen. Dazu gehört noch mehr. Ein Burgemeister ist ein Verwaltungsbeamter, ein kleiner Regente, kein Rechtsprecher, und das kann ich euch sagen, der versteht zu regieren, er ist ein Adininistrationstalent er hält auf Ordnung, und er hat Ideen.‹«

»Ja, Thilde...«

»Und hat Ideen, sag ich.«

»Ja, das sagst du oder läßt es deinen Justizrat sagen. Aber wer hat Ideen? Ideen, das ist nicht so leicht.«

»Ganz leicht.«

»Ach, Thilde, das ist ja Torheit. Ideen...«

»Ideen hat jeder, der sie haben will. Du bist bloß zu ängstlich, du hast kein Zutraun zu dir, du denkst immer, die andern sind wunder wie klug und verstehen alles besser. Wenn man Burgemeister ist, dann muß man so was aufgeben...«

»Ja, das sagst du wohl. Aber ich muß doch mit was kommen...«

»Natürlich.«

»Ich muß doch mit was kommen und Vorschläge machen. Und was soll ich vorschlagen?«

»Alles.«

»Ach, Thilde, das ist doch Torheit. Du sagst ›alles‹, und ich weiß gar nichts.«

»Weil du die Augen nicht aufmachst und die Ohren erst recht nicht. Du bist immer wie im Traum, Hugo.«

Er lächelte.

»Sieh, da is hier der Weg zwischen der Stadt und dem großen Torfmoor. Alkitten hat mir gesagt, im Herbst, wenn es regnet, ist gar nich durchzukommen, und wer seinen Torf bis dahin nicht eingefahren hat, der mag sehn, wo er bleibt...«

»Hab ich auch gehört.«

»Ja. Aber du denkst dir nichts dabei. Du mußt morgen den Stadtverordneten vorschlagen, daß ein Steindamm gebaut wird (es ist ja nur eine halbe Meile) oder eine Klinkerchaussee oder doch mindestens ein Knüppeldamm, daß die Wagen im Modder nicht steckenbleiben. Und dann laß ein Chausseehaus baun, es ist ja alles noch auf städtischem Grund und Boden, und der Landrat hat nicht mit dreinzureden. Und für den einen Groschen haben die Leute dann einen feinen Weg und können noch stolz sein, daß sie so was aus eigner Kraft und eignen Mitteln gebaut haben.«

»Seh ich ein; ist ein guter Vorschlag »

»Und dann mußt du wegen der Garnison anpurren. Alkitten sagt mir, daß schon lange davon die Rede war, daß aber dein Vorgänger nicht wollte, vielleicht weil er sich wegen seiner Frau fürchtete. Die soll nämlich etwas forsch gewesen sein...«

»Ja, das is richtig.«

»Nun, da siehst du's. Und die Knauserei mit dem Stallgebäude, das ist ja der pure Unsinn. Alkitten hat mir erzählt, die Stadtverordneten hätten nicht gewollt. Ja, warum nicht? weil der Anstoß fehlte. Nun, bei mir liegt es anders. Und wenn der schönste Rittmeister herkommt, du kennst doch deine Thilde.«

Hugo versicherte, daß er sich ganz überzeugt halte.

»Von ganzem Regiment kann natürlich keine Rede sein. Dazu ist Woldenstein zu sehr Nest, und Silberstein und Isenthal können es nicht rausreißen und Rebecca Silberstein auch nicht. Übrigens ist es eine hübsche Person. Aber doch nicht zum Heiraten. Und für sonst ist sie zu streng. Also nicht das ganze Regiment, für einen adligen Obersten ist auch eigentlich gar keine Wohnung hier, höchstens in unsrer ersten Etage...«

»Thilde...«

»Aber zwei Eskadrons, das geht. Und nun berechne dir mal, wie das wirkt. Von Brot will ich nich reden, das backen sie selber. Aber dreihundert Pferde und dreihundert Menschen. Und ein Kasino müssen sie doch auch haben. Und dann die jungen Frauen und Ball und Theater. Silberstein ist gegen das Militär, aber das gibt sich. Die ganze Bäckerei und Schlächterei kommt auf einen andern Fuß, und Woldenstein hört auf, ein Nest zu sein, und wird eine Stadt, und vielleicht ziehen sie hier mal eine Division zusammen und machen ein Kavalleriemanöver, und wenn der General bei uns wohnt, so hast du den Kronenorden weg, du weißt nicht wie...«

Hugo bückte sich, um einen Rittersporn zu pflücken und Thilden in den Gürtel zu stecken.

»Und sieh, Hugo, so mußt du's anfangen. All dies kleine Zeug, was ihr da immer durchsprecht, damit zwingst du's nicht; das kann jeder. Aber immer auf dem Auskiek, immer sehen, was so dem Ganzen zugute kommt, damit zwingst du's, und das is, was ich die ›Ideen‹ genannt habe. Die Welt kann nicht jeder auf einen höhren Fleck bringen, aber Woldenstein so weit zu bringen, daß es alle Woche mal in der Zeitung steht und daß die Menschen erfahren, ›es gibt einen Ort, der heißt Woldenstein‹ - ja, Hugo, das ist möglich, und das ist in deine Hand gegeben...«

»Oder in deine«, lächelte Hugo. »Aber du hast recht, wir wollen's versuchen.«


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