Theodor Fontane
Jenseit des Tweed
Theodor Fontane

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Cullodon Moor

Drumossie-Moor, Drumossie-Tag,
O bittrer Tag, o blut'ges Moor.Die Hochländer nennen Culloden-Moor gewöhnlich Drumossie-Moor.
R. Burns.

Von Inverneß führt eine alte Fahrstraße in fast ununterbrochen östlicher Richtung an der Küste entlang. Die Namen der Städte und Schlösser, die diese Straße passiert, sagen einem am besten, daß man sich im eigentlichen Macbeth-Land befindet: erst Cawdor-Castle, dann Forres, endlich Banff und Macduff.

Wir verfolgen diese Straße nicht ihrer ganzen Länge nach, begnügen uns vielmehr mit einem Besuch von Culloden-Moor, jenem meilenlangen Blachfeld, das fast unmittelbar vor den Toren von Inverneß beginnend, von der oben genannten Fahrstraße durchschnitten wird.

Culloden-Moor ist das berühmte Schlachtfeld, auf welchem die Stuarts, nachdem sie dreimal den Versuch ihrer Wiedererhebung gemacht hatten, endlich für immer unterlagen. Ich verweile einen Augenblick bei den nötigen historischen Fakten.

Culloden Moor

Culloden Moor

Prince Charlie, der vielbesungene Sohn des Prätendenten, war am 27. Juni 1745 in Schottland gelandet. Die Clane hatten sich beinahe ausnahmslos um ihn gesammelt. Am 10. September zog er in Perth, am 19. in Edinburg ein und schlug zwei Tage später die ihm entgegenrückenden Engländer auf der Ebene von Prestonpans. Ganz Schottland war Sieg und Jubel. Anfang November begann der Zug gegen England. Man nahm Carlisle und war bereits bis Leicester vorgedrungen, als Uneinigkeit und Eifersüchtelei zwischen den Clanen, besonders aber die Nachricht von der Rückkehr des Herzogs von Cumberland, der bis dahin mit den besten englischen Regimentern in Deutschland gestanden hatte, dem Siegeszug ein Ende machte und zur Umkehr zwang. Anfang Januar passierten Prince Charlie und seine Clane die schottische Grenze auf dem Rückwege. Gehoben durch die Vorstellung, wieder heimatlichen Boden unter den Füßen zu haben, fochten sie noch einmal siegreich auf dem alten Schlachtfelde von Falkirk; dann neigte sich ihr Stern, rascher und plötzlicher noch, als er aufgegangen war.

Überlegene Streitkräfte schlossen sie ein, und durch die Grafschaften Perth und Inverneß hin ging es jetzt in eiliger Flucht. Auf Culloden-Moor machten sie einen letzten Stand. Es ist viel darüber hin- und hergestritten worden, warum die Hochlandsarmee gerade hier ihre Aufstellung nahm, wo sie von Anfang an alle Chancen gegen sich hatte; die Sache ist aber die, daß die ganze Insurrektion bereits in ein Stadium getreten war, wo nichts so sehr fehlte als ruhige Anordnung und Überlegung. Man folgte den Eingebungen des Moments und floh und focht, wie es die Stimmung des Augenblicks mit sich führte. Noch andres kam hinzu. Die tapfersten und zuverlässigsten Clane, die sich um die Fahne des Prätendenten geschart hatten, die Frazers und MacDonalds, die MacPhersons und Macintosh, waren ebenhier zwischen Aberdeen und Inverneß zu Hause und zeigten sich wenig geneigt, Weib und Kind dem nachrückenden Feinde ohne Schwertstreich zu überlassen. So entspann sich die Schlacht. Der Ausgang derselben war von Anfang an wenig zweifelhaft; zwei Umstände aber vervollständigten die Niederlage der Hochländer. Zunächst das unerwartet frühzeitige Eintreffen des Herzogs von Cumberland, dann die Haltung der MacDonalds, die jede Teilnahme am Kampf ablehnten, weil ihnen die Ehrenstellung am rechten Flügel, die sie beanspruchten, versagt worden war. Dazu kam das Terrain, das flach und hart wie eine Tenne, der überlegenen englischen Reiterei alle nur möglichen Chancen bot. Alle Tapferkeit der einzelnen Clane war umsonst. In wenigen Stunden war die Niederlage vollendet. Gegen 800 Hochländer lagen tot auf der Heide. Die dem Norden angehörigen Clane flohen über Inverneß hinaus; die andern hielten sich südwestlich und trafen andern Tages mit der Abteilung zusammen, die Prince Charlie am Nairn-Fluß zur Verteidigung einer Furt zurückgelassen hatte. Es waren ihrer immer noch gegen 8000 und bereit, den Kampf aufs neue aufzunehmen. Prince Charlie selbst aber hatte seine Sache bereits verloren gegeben und entband die Clanführer ihres Eides. Er selbst nahm Abschied und eilte auf unwirtbaren Wegen dem Westen zu. Diese Flucht ist berühmt geworden. 30000 £ St. waren auf seinen Kopf gesetzt; Hunderte von Hochländern wußten, wo er sich verborgen hielt, aber nicht einer brach die Treue und zeigte Lust, das Blutgeld zu verdienen. Der Prinz selbst entkam endlich von der Insel Skye aus. Die Niedermetzlung der einzelnen Clane begann nun und befleckte den Namen des Herzogs von Cumberland, der in seinen Kämpfen mit dem berühmten Marschall von Sachsen wenigstens Ehre, wenn auch nicht Sieg davongetragen hatte. Galgen und Rad räumten auf zwischen Aberdeen und Inverneß, und jene Klage wurde lebendig, der Burns in seinem schönen Liede Ausdruck gegeben hat:

Die schöne Maid von Inverneß,
Wie freudlos ihr der Tag vergeht.
Sie schafft und spinnt und webt, indes
Ihr dunkles Äug' in Tränen steht
»Drumossie-Moor, Drumossie-Tag,
O bittrer Tag, o blut'ges Moor,
Wo kalt und starr mein Vater lag
Und ich der Brüder drei verlor.

Sie liegen tief in Sand und Blut,
Im ersten Grün die Gräber stehn,
Der beste Bursch daneben ruht,
Den Mädchenaugen je gesehn.
Weh Sieger dir, der nach der Schlacht
Noch die Geschlagnen niedertrat,
Du hast manch Herz betrübt gemacht,
Das dir doch nichts zu Leide tat.«

Ich habe bis hierher in kurzen Worten die Schlacht von Culloden beschrieben; ich führe nun den Leser auf das Schlachtfeld hinaus. Der Weg führt von Inverneß zunächst zwischen Gärten und Ahornbäumen, dann zwischen Hecken und Hügeln hin, die hier und dort den Weg verengen und eine Art Schluchtenterrain bilden.

Wir mochten eine gute Viertelstunde gegangen sein, als sich plötzlich der Blick nach allen Seiten erweiterte und unser Führer, mit der vollen Hand ins Blaue deutend, ausrief: »There's Culloden-Moor.« Ziemlich zu unseren Füßen und das Hügelterrain umzirkelnd, aus dem wir eben heraustraten, floß ein Bach, halb Graben, halb Bergwasser, und bezeichnete die Grenze zwischen dem diesseits gelegenen Gartenland von Inverneß und der Öde des Moorlandes, das jenseits lag. Sogar die abschüssigen Wände des Baches selbst schienen an dieser Scheidung teilzunehmen; die eine Wand war dicht mit Disteln bestanden, die andere war kahl, und die Vergißmeinnicht am untersten Rande derselben gehörten mehr dem Wasser als dem Boden an. Wir passierten eine alte Feldsteinbrücke, die über den Bach führte, und standen nun auf Culloden-Moor. Dies berühmt gewordene Moorland dehnt sich meilenweit in nordöstlicher Richtung aus und würde an sich selbst nicht verfehlen, durch seine Stille und Öde einen Eindruck auf den Reisenden zu machen, auch wenn man nicht wüßte, daß es ein Schlachtfeld und die Grabstätte so vieler tapferer Männer sei. Es erinnert in gewissem Sinne an das Steinfeld der Grampians, das ich in einem früheren Kapitel beschrieben habe. Freilich fehlen hier die Züge, die jenem Steinfeld den Charakter des Großartigen leihen; aber die absolute Öde dieses meilenlangen Moors, darauf nicht Baum und Strauch gedeiht, wirkt kaum minder ängstigend und bedrückend, auch ohne die Attribute eines besonderen Schreckens. Es ist schwer zu sagen, was furchtbarer sei, die Einsamkeit auf einem stillen oder einem empörten Ozean.

Die große östliche Fahrstraße nach Forres, Banff und Macduff, wie bereits hervorgehoben, führt mitten durch dieses Moor hindurch. Sie führt nicht bloß mitten durch das Moor, sondern auch mitten durch das Schlachtfeld. Alle Punkte, an denen mit Erbitterung gekämpft wurde, liegen dicht am Wege. Zunächst in unmittelbarer Nähe der Brücke passieren wir einen Turm, der den Namen führt: The tower of the last encounter, d. h. Turm der letzten Begegnung. Die nördlichen Clane, die ihre Flucht über Inverneß nahmen, setzten sich hier noch einmal zur Wehr. Aus welchem Grunde sie gerade diesen Punkt zur Wiederaufnahme des Kampfes wählten, ist schwer zu sagen, da das Terrain so ungünstig gewählt erscheint wie nur irgend möglich. Man fragt unwillkürlich: warum nicht jenseits der Brücke? Der Bach in ihrem Rücken konnte nur das Mißliche ihrer Lage steigern und tat es. Wahrscheinlich waren sie zu erschöpft, um den Wettlauf mit den verfolgenden Dragonern noch länger möglich machen zu können, und kämpften nur, weil Nichtkampf noch sicherer zum Verderben geführt hätte. Wenige entkamen, nur um die Botschaft von der Niederlage nach Roßshire und dem Norden zu bringen. Der Turm, der den Platz »der letzten Begegnung« bezeichnet, hat ohngefähr die Form einer holländischen Windmühle – wogegen nicht viel zu sagen wäre, wenn man nicht gleichzeitig auf die geschmacklose Idee gekommen wäre, den untern Dachrand mit 6 oder 8 hölzernen Kanonen zu garnieren, die nun nach allen Seiten hin ihre Zunge ins Land hineinstrecken. Ich wähle diesen Vergleich absichtlich, denn das Ganze nimmt sich aus wie Spott und Verhöhnung. Wo wirkliche Kanonen aufgeräumt haben, ist solche Spielerei nicht am Platz.

Wir haben den armen Schuhflicker, der unten im Turm wohnt und sozusagen den Türhüter von Culloden-Moor macht, unseren Besuch abgestattet und marschieren nun weiter feldeinwärts, bis wir eine Art Rondell, eine Oase, erreichen, die, etwa eine halbe Meile hinter dem Turm, die Öde des Moores wie eine Parkanlage unterbricht. Dies ist, wenn nicht das eigentliche Schlachtfeld, so doch der Punkt, wo am heißesten gestritten und die Niederlage der Hochländer entschieden wurde. Geb' ich eine Beschreibung dieses Platzes. Er ist viel größer als der uns wohlbekannte »Große Stern«, der auf halbem Wege zwischen Berlin und Charlottenburg liegt. Wie diesen Großen Stern die Charlottenburger Chaussee durchschneidet, so führt dort die große Fahrstraße mitten durch die Oase hindurch. Der Platz, wie er der Punkt war, an dem sich der Tag entschied, ist natürlich auch die Hauptbegräbnisstätte geworden und trägt völlig den Charakter eines verödeten und verfallenen Kirchhofes. Eine niedrige Feldsteinmauer umgibt die ganze Rundung, zu der sich an der einen Seite noch ein seichter Graben und eine Einfassung von Brombeersträuchern gesellt. Jeder Zug ist hier charakteristisch, und man kann diesen Platz, der Schlachtfeld und Kirchhof zugleich ist, nicht passieren, ohne sich das Bild für immer eingeprägt zu fühlen.

Ich bin über viele Schlachtfelder gegangen, aber keines hat einen so bestimmten Eindruck in mir zurückgelassen. Das macht, weil es ganz bestimmte Züge hat, die viel größeren und bedeutsameren Schlachtfeldern oftmals fehlen. Ich entsinne mich des Tages, als ich zum ersten Male über das Leipziger Schlachtfeld schritt. Wir kamen von Markkleeberg her und passierten das berühmt gewordene Plateau von Wachau. Im Dorfe selbst hatte sich ein alter Totengräber zu uns gesellt und machte nun unseren Führer. »Ich hab' hier mit begraben helfen« - sprach er trocken vor sich hin – »immer sechs Pferde und dreißig Mann, so war die Ordre. Es war schwere Arbeit. Dann kamen fünf schlechte Jahre für unser Dorf. Der Weizen schoß mannshoch in die Höh', aber alle Körner waren verbrannt. Dann wurd' es besser; jetzt haben wir gute Zeit.« So erzählte damals der Totengräber, und seine Rede ist mir 20 Jahre lang im Gedächtnis geblieben; aber das Wachauer Feld hat kein bestimmtes Bild in mir zurückgelassen. Es ist ein Feld wie andere Felder. Der Pflug ist über den Boden hingegangen und hat alles hinweggenommen, was sichtbar und handgreiflich an jenen blutigen Oktobertag erinnern könnte. Nicht so auf Culloden-Moor. Der Boden hatte hier keinen Wert, und so ließ man das Schlachtfeld fortbestehen. Wo doch kein Kornhalm aufgegangen wäre, war es keine Enthaltsamkeit, sich an den Gräbern der Toten nicht zu vergreifen. Sonst stieg das Ackerfeld über das Schlachtfeld; hier aber ist der grüne Rasen des Grabes Sieger geblieben.

Das Rondell, das die Steinmauer einfaßt, zerfällt in zwei sehr verschiedene Hälften. Rechts vom Wege haben wir den Kirchhof, links die Monumente. Der Kirchhof besteht aus vier deutlich erkennbaren Gräberreihen, die in der Ausdehnung eines mäßigen Gartenbeetes fast parallel nebeneinander herlaufen. Zu Kopf und Fuß stehen Ginsterbüsche. Hier wurden die Frazers, die Macintosh, die MacPhersons und die MacDonalds bestattet. Ob diese Angabe richtig ist, muß dahingestellt bleiben. Es sind dies nämlich die Namen jener vier Clane, die noch bis diesen Augenblick um Inverneß herum ihre Sitze haben. Man darf daraus wohl mit einigem Rechte den Schluß ziehen, daß die Gräber in einer späteren Zeit von den Umwohnenden beliebig benannt worden sind, wenn man nicht, vielleicht unmittelbar nach der Schlacht, nur jene Stelle des Schlachtfeldes mit einer Steinmauer umgeben und zu einem Kirchhof hergerichtet hat, wo diejenigen im Blute lagen, die den Bestattern besonders nahe standen.

Die Monumente links vom Wege beschränken sich auf einen Haufen Steine. Sie sollten ein Monument werden, liegen aber jetzt nur da als ein Monument der Schmach, der Roheit und des Betruges. Es hat damit folgende Bewandtnis. In der Mitte der vierziger Jahre trat in Inverneß ein Komitee zusammen, das die Absicht aussprach, auf dem Schlachtfelde ein Culloden-Denkmal zu errichten. Die Idee fand Anklang; ziemlich bedeutende Summen wurden gezeichnet, Pläne eingesandt und Feldsteine in langen Wagenreihen bereits hinausgefahren, um vorweg Baumaterial und Fundament zu haben. Als die Begeisterung auf ihrer Höhe war, geschah, was in England nur allzuoft geschieht: Sekretär und Kassierer wurden unsichtbar. Jetzt erfolgte ein Umschlag in der Stimmung. Das Volk von Inverneß, gleichviel, ob es beigesteuert hatte oder nicht, schickte sich an, wenigstens ein Culloden-Fest an Stelle des Culloden-Denkmals zu haben und zog zu Tausenden auf das Schlachtfeld hinaus. Die ersten Stunden vergingen ohne Exzesse, und einige Redner suchten das Volk für die Idee zu begeistern, aus dem bereits vorhandenen Material eine Steinpyramide aufzuschichten. Man begann auch, aber eh' noch irgendein Resultat gewonnen war, fing der Whisky an, seine Wirkung zu äußern. Der Steinhaufen, der schon dalag, wurde auseinandergerissen; dem Sekretär und Kassierer wurden Hochs gebracht, »weil sie gescheite Leute gewesen seien«, die Gräber wurden zu Zech- und Tanzplätzen, und eine von Lärm, Übermut und Whisky berauschte Menge zog endlich wieder in die Stadt zurück. Wie jene wüste Nacht das intendierte Monument ließ, so ist es geblieben, ein Haufen Steine, teils noch aufgeschichtet daliegend, teils umhergestreut, das Ganze eine Stätte der Verwüstung. -

Wir schieden gern von dieser Hälfte des Friedhofs, die zu so viel unerfreulichen Betrachtungen Veranlassung gab, und setzten unsern Weg noch ein paar tausend Schritt bis über diese Stätte hinaus fort. An einem Granitblock von der Form eines Riesenkiesels machten wir halt. Dieser Stein, der zugleich die äußerste Grenze des Schlachtfeldes bezeichnet, heißt der Duke's Stone, »des Herzogs Stein«. Er liegt hart am Wege wie ein Meilenstein. Als die Grampians noch jung waren, müssen längst verronnene Fluten diesen Felsblock losgelöst und, mit ihm spielend, ihn endlich an dieser Stelle niedergelegt haben. Der Stein ist beinah mannshoch und von solchem Umfang, daß 24 Personen mit Bequemlichkeit daran essen könnten. Es heißt, daß der Herzog von Cumberland von seiner Höhe aus die Bewegungen der Schlacht leitete. Es wird auch erzählt, daß er nach einem rasch gewonnenen Überblick, der ihm vielleicht die ganze Rat- und Hilflosigkeit der Gegner verraten haben mochte, den Wunsch äußerte, vor Beginn der Schlacht ein Frühstück einzunehmen. Seine Offiziere aber baten ihn aufs dringendste, vor jeder sorglosen Unterschätzung seiner Gegner auf der Hut zu sein, da diesen »Teufels von Hochländern«, nie zu trauen sei. So begann denn die Schlacht unmittelbar, und eh' zwei Stunden vorüber waren, war alles entschieden.

Wir erkletterten den Stein nicht ohne Mühe. Man sieht von seiner Höhe aus etwas weiter ins Land hinein und wird des Moray-Busens ansichtig, dessen blauer Streifen sich nordöstlich zieht; sonst verändert sich das landschaftliche Bild in nichts, da es eben nur kahle Fläche ist, was hier auf Meilen hinaus nach allen Seiten sich dehnt.

Der Tag war grau, und der Himmel drohte mit Regen; so traten wir, nachdem wir den Herzog von Cumberland aus dem Felde geschlagen und auf seinem eigenen Stein das Frühstück eingenommen hatten, das ihm unterm Zwang der Umstände versagt geblieben war, unsern Rückzug an. Als wir die eingefriedigte Stelle wieder passierten, wo wir nunmehr zur Rechten den wirren Steinhaufen und zur Linken die Gräber hatten, kniete ich nieder, um einen vollen Ginsterbusch von dem Grabe der Frazers und einen Büschel Heidekraut von dem der Mac-Phersons zu pflücken. Es waren Zweige von jener großglockigen Erika-Art, die in Holstein den schönen Namen der »Edelheide« führt. Aus beiden hab' ich seitdem einen Kranz gewunden, zur Erinnerung an Culloden-Moor.

Der Tag von Culloden hat noch ein Nachspiel. Fünfzig Jahre und mehr waren vergangen. Ein Prozeß fand statt. Es handelte sich um die weiten Besitzungen des Lords Glenmore, von dem es hieß, daß er unter Prince Charlie gefochten habe. Die eine Partei stützte ihren Erbanspruch auf die allgemeine Annahme, daß Lord Glenmore bei Culloden gefallen sei; die andere Partei forderte die Feststellung dieser Tatsache, d. h. den Beweis des Todes. Diesen Beweis anzutreten schien unmöglich.

So zog sich der Prozeß durch zwanzig Jahre hin. Endlich - zu einer Zeit, als niemand mehr an seine Erledigung glaubte - fand die Streitfrage rasch und unerwartet ihr Ende. Es war im Mai 1823, als vor dem englischen Oberhause (bekanntlich höchste Gerichtsbehörde) folgende denkwürdige Verhandlung geführt wurde. Der Lord-Oberrichter rekapitulierte die Sachlage, die ohnehin in dem dichtgedrängten Hause jedermann kannte, und schloß dann mit den Worten: »Es hat sich ein Zeuge gefunden, der den Tod Lord Glenmores beschwören will. Ich bitte den Zeugen in Eid zu nehmen.«

Ein steinalter Mann, aber noch rüstig und gekleidet in die rote Uniform der Chelsea-Pensionäre, erhob sich jetzt auf der dem Lord-Oberrichter zunächst befindlichen Bank und leistete den üblichen Zeugeneid auf die Bibel. Dann begann folgender Dialog:

Lord-Oberrichter: Ihr Name?
Zeuge: Adam Graystone, Kapitän außer Diensten, früher bei Enniskillen Dragoner.
Lord-Oberrichter: Ihr Alter?
Zeuge: 95 Jahre.
Lord-Oberrichter: Haben Sie Lord Glenmore gekannt?
Zeuge: Ja, ich habe ihn gekannt.
Lord-Oberrichter: Wissen Sie, daß er tot ist?
Zeuge: Ja, ich weiß, daß er tot ist.
Lord-Oberrichter: Wann und wo ist er gestorben?
Zeuge: 1746, bei Culloden.
Lord-Oberrichter: Woher wissen Sie es?
Zeuge: Weil ich ihn selbst erstochen habe.
So schloß die Sitzung. Wohl das letztemal, daß der Name »Culloden« von einem Manne genannt wurde, der jenen blutigen Tag noch miterlebt hatte.


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