Georg Forster
Über James Cook und andere Essays
Georg Forster

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Fragment eines Briefes
an einen deutschen Schriftsteller,
über Schillers Götter Griechenlands

Dem Wahrheitsuchenden gefällt die freymüthige Äusserung Ihres misbilligenden Urtheils über Schillers neues Gedicht; denn jeder hat das Recht, seine Meynung nicht nur für sich zu hegen, sondern auch frey zu bekennen und mit Gründen zu rechtfertigen. Wir suchen die Wahrheit, jeder mit eigenem Gefühl, jeder mit Geisteskräften die für ihn unfehlbar sind und seyn müssen. Giebt es also eine allgemeine, von allen anzuerkennende Wahrheit, so führt kein anderer Weg zu ihr als dieser, daß jeder sage und vertheidige, was ihn Wahrheit dünkt. Aus der freyen Äusserung aller verschiedenen Meynungen, und ihrer eben so freyen Prüfung muß endlich, insoweit dieses eingeschränkte, kurzsichtige Geschlecht überhaupt zu einer solchen Erkenntnis geschikt ist, die lautere Wahrheit als ein jedem Sinne faßliches und willkommnes, jeden Sinn erfüllendes Resultat hervorgehen, freywillig von allen angenommen werden, und dann im Frieden allein über uns herrschen.

Der Zeitpunkt dieser allgemeinen Übereinstimmung ist noch nicht gekommen. Die Systeme von Gefühlen und Schlüssen, worin jeder lebt und webt, und die allein vermögend sind, sein Wesen mit Genuß zu erquicken, widersprechen einander oft in allen wesentlichen Punkten; und dennoch sucht ein jeder die Überzeugung die ihn glücklich macht, auch ändern mit Begeisterung anzupreisen, um auch sie an seinen Freuden Theil nehmen zu lassen. In diesem Triebe unseres Herzens, sich alles zu verähnlichen und das Verschiedene gleichartig zu machen, sehen wir auch bis dahin nichts sträfliches sondern vielmehr etwas edles, menschenfreundliches, gutes; und gäbe es ein Land, wo die Gesetze jedem Bürger in Beziehung auf diesen Trieb völlig gleiche Rechte zugestünden, so würde dort vielleicht die Wahrheit am ersten allen und jeden leuchten, und ihr weises, liebevolles Reich beginnen: gewiß aber blühete dort das allgemeine Wohl, die Menschenliebe und die Achtung für den Adel unserer Natur. Liegt gleich ein solcher Staat bis jetzt noch im Reiche der Möglichkeiten, so belohnt sich doch schon die Annäherung zu seinem Regierungssystem durch heilsame Wirkungen. Es darf sogar eine gewisse Form der Glückseligkeit den übrigen vorgezogen, und denen, die sich dazu bekennen, ein Vorrecht über ihre Mitbürger eingeräumt werden: so wird dennoch, so lange nur persönliche Freyheit und Eigenthum dadurch unangefochten bleiben, so lange Wahl, Bekenntnis und Prüfung frey gestattet werden, der Geist der Vaterlandsliebe (wiewohl in etwas geschwächt,) die Gemüther einigen, die in ihren Gefühlen und Begriffen hundertfältig von einander verschieden sind. Der unrechtmäßige Vorzug, den eine Meynung vor den ändern erhält, die Ungerechtigkeit, gleichen Bürgern gleiche Rechte vorzuenthalten, weil ihr Gefühl und ihre Vernunft in Sachen jenseits ihres gesellschaftlichen Verhältnißes, nicht übereinstimmen, – diese Sünde wider die Menschheit entgeht indessen ihrer Strafe nicht; denn von einer so fehlerhaften Grundverfassung erwarten zu können, daß sie die Wahrheit am Ziel erreichen werde, bleibt nach allen Gesetzen des Denkens ein Widerspruch.

Insgemein überschreitet man aber auch diese äußerste Gränze. Die gutmüthige Absicht, für die Glückseligkeit anderer sorgen zu wollen, oder die hinterlistige Herrschsucht, die sich dieser Larve bedient, äußert sich nur gar zu oft in Zwangmitteln, um jene begünstigte Form zur einzigen zu erheben, alle andere neben ihr zu vernichten, und sie, die einzige, ewig unverändert zu erhalten. Diese Anmassungen beruhen gleichwol auf der ganz irrigen Voraussetzung, daß die Gesetzgebung eines Staats dessen Glückseligkeit und Moralität bewirken könne; da doch nichts mit siegreicheren Gründen erwiesen ward, als daß Selbstbestimmung, oder mit andern Worten, moralische Freyheit, die einzigmögliche Quelle der menschlichen Tugend ist, und alle Funktionen der Gesetze, so wie sie aus dieser Freyheit geflossen sind, sich auch einzig und allein auf ihre Beschirmung einschränken müssen. »Derjenige Zwang«, sagt ein vortreflilcher Denker, »ohne welchen die Gesellschaft nicht bestehen kann, hat nicht, was den Menschen gut, sondern was ihn böse macht, zum Gegenstande; keinen positiven, sondern einen negativen Zweck. Dieser kann durch eine äußerliche Form erhalten und gesichert werden; und alles Positive, Tugend und Glückseligkeit, entspringen dann aus ihrer eigenen Quelle. – Menschlicher Eigendünkel, mit der Gewalt verknüpft, andere nach sich zu zwingen, es sey nun, dass er sich in Auslegung und Handhabung natürlicher oder offenbarter Gesetze an den Tag lege, kann überall nur böses stiften, und hat es von Anbeginn gestiftet.« Eben dieser tiefsinnige Philosoph bemerkt daher, daß jene Zeiten, wo die hierarchische Form die herrschende, beynah die einzige der Menschheit war, und alle übrigen verschlang, an Gräueln, und an Dauer dieser Gräuel, alle andere Zeiten übertrafen. »Wenn aber«, so fährt er fort, »diese gräsliche Epoche meist vorüber ist; wem haben wir es zu verdanken? Etwa irgend einer neuen Form, irgend einer gewaltthätigen Anstalt? Keinesweges. Zu verdanken haben wir es jener unsichtbaren Kraft allein, welche überall, wo Gutes in der Welt geschah, und Böses ihm die Stelle räumen mußte, wenn nicht an der Spitze, wenigstens im Hinterhalte war, dem niemals ruhenden Bestreben der Vernunft. So unvollkommen die Vernunft sich auch im Menschen zeigt, so ist sie doch das beste was er hat, das Einzige was ihm wahrhaft hilft und frommet. Was er außer ihrem Lichte sehen soll, wird er nie erblicken; was er unternehmen soll, von ihrem Rath entfernt, das wird ihm nie gelingen. Kann wohl jemand weise werden anderswo als im Verstande? Im Verstande, den er selber hat? Kann er glücklich werden außer seinem eigenen Herzen?« In der That, so wenig wie ein Mensch dem andern den Auftrag geben kann, statt seiner zu empfinden und zu denken, so wenig kann der Bürger die gesetzgebende Macht bevollmächtigt haben, ihn glücklich zu machen, wozu er eigener Gefühle und Einsichten bedarf. Diese Vollmacht aber von der Voraussetzung abzuleiten, dass Glückseligkeit und Tugend nur mit den spekulativen Meynungen des Gesetzgebers bestehe, wäre nun gar der augenscheinlichste Zirkelschluß. Gäbe es ein Symbol, welches allen wahr, allen alles seyn könnte, so wissen wir doch mit apodiktischer Gewisheit, daß jedes Symbol, welches mit Gewalt aufgedrungen werden muß, dieses ächte nicht seyn kann. Zwang ist hier das Kennzeichen des Betrugs. Kennen wir gleich, wie Lessing sagt, bey weitem nicht das Gute, so trägt wenigstens das Schlimme sein unauslöschliches Brandmal an der Stirne.

Wer demnach die moralische Freyheit kränkt, und Meynungen nachdrücklicher als mit Gründen verficht, sey er König und Priester, oder Bettler und Laye, er ist ein Störer der öffentlichen Ruhe. Ein Satz, an welchem auch nur ein einziger noch zweifelt, ist wenigstens für diesen einen noch nicht ausgemacht, beträfe es auch das Daseyn einer ersten Ursach oder die ewige Fortdauer unserer Existenz. Giebt es etwa ein Mittel, jemanden seine Überzeugung zu nehmen, ihm eine andere einzuimpfen, wenn die Vernunft der andern ihm immer nicht unfehlbar, oder wohl gar inconsequent zu seyn scheinet? Man wird ihn von Ämtern und Würden ausschließen, ihn verbannen, darben lassen, vielleicht martern und erwürgen; nur überzeugen kann man ihn durch dieses alles nicht. Es ist daher unmöglich, auch nur einen spekulativen Satz zu gestatten, dessen Annahme blindlings und unbedingt gefordert werden könnte, ohne zugleich die Rechte der Menschheit bis in ihre Grundfesten zu erschüttern, und alle Gräuel der Gewissenssklaverey wieder über uns zurückzuführen. Wenn nicht alles, was diesem oder jenem für wahr gelten mag, Wahr seyn soll, so ist die Wahrheit also noch nicht gefunden. Jeder hat sein Loos in dieser großen Lotterie, und jedem bleibt es unbenommen, mit fester Überzeugung sich des höchsten Gewinnes im Voraus versichert zu halten. Kann er diese Hofnung, die ihn beglückt, in seinem Herzen nicht verschließen, so mag er es versuchen, die anderen zur Wegwerfung ihrer Loose zu bereden, sich aber zugleich mit Geduld wafnen, wenn mancher, bey völlig gleichen Ansprüchen, seine Einfalt belächelt. Setzt er hingegen jedem, der ihm in den Weg kommt, das Pistol auf die Brust, und ertrotzt das Bekenntnis, daß nur diese Nummer die glückliche sey, wen empörte nicht dieses Verbrechen der beleidigten Menschheit?

Jetzt kehre ich von einer Abschweifung, welche sowohl für unsere Materie, als wegen einiger neueren Attentate gegen die Denk- und Gewissensfreyheit wichtig ist, zu Ihnen zurück. Noch einmal, im Namen aller, die mit uns die Freymüthigkeit lieben, haben Sie Dank, daß Sie es wagten, ein allgemein bewundertes Gedicht zu tadeln, weil es Ihrer Überzeugung und Ihren Grundsätzen widerspricht. Ohne Ihren besonderen Meynungen beyzupflichten, dürfte mancher sich in einem ähnlichen Falle befinden; allein wer hätte gleich den Muth, über einen Dichter, der Apollons immer straffen Bogen führt, öffentlich und keck den Kopf zu schütteln? Doch Sie, mit Lorbeer auch umkränzt, treten hervor, den goldenen Geschossen Hohn zu bieten. Nun wird sich leicht ein ganzes Heer zu Ihrer Fahne sammlen, und den griechischen Göttern tapfere Gegenwehr leisten. Wie reizend in der Phantasie die Regierung jener »schönen Wesen aus dem Fabelland« erscheinen mag, so passen sie doch, denke ich selbst, nicht in unsere Zeiten, und höchstens kann man ihnen noch in unseren Parks und Pallästen, wo sie zieren und nicht gebieten, ihre Nischen und Fußgestelle vergönnen.

Es wäre überflüssig, Sie an die erste Feldherrnregel zu erinnern: Ihren Gegner nicht für schwächer zu halten als er ist. Sie kennen nicht nur die Macht der Dichtkunst über die Gemüther, sondern auch den unnachahmlichen Zauber, den insbesondere dieser Götterfreund seinen hohen Gesängen einhauchen kann. Alles hört ihn mit Entzücken; allen um sich her theilt er die Glut der Begeisterung mit; dergestalt, daß Sie im Ernst zu besorgen scheinen, man werde seinen Göttern wieder Altäre bauen, und jede andere Sekte müsse unterliegen, die in der Wahl ihrer Empfehlungsmittel minder glücklich ist. Zwar mit gewafneter Hand wird er sie nicht einsetzen wollen; und daß Sie ihm nicht wehren können, von ihrer Rechtmäßigkeit überzeugt zu seyn, versteht sich von selbst. Auch ist sein Recht, die Gründe seiner Überzeugung an den Tag zu legen, dem Ihrigen, ihn mit Gegengründen zu bestreiten, völlig gleich.

Ist Ihr Verdacht gegründet, ist der Verfasser im Herzen ein Heide, der nur Gelegenheit sucht, den ganzen Olymp wieder in Besitz seiner ehemaligen Würden zu setzen, und fühlen Sie sich berufen, Ihre Mitbürger dawider zu warnen; so muß Ihnen alles daran liegen, Ihren Gründen das Vollgewicht zu verschaffen, welches freywillige Überzeugung nach sich zieht. An Ihres Gegners Gedicht und an seiner Methode überhaupt müssen Sie die unhaltbare Seite erspähen, und dort mit unwiderstehlicher Macht auf ihn eindringen. Ein kaltblütiger Zuschauer sieht indes oft besser, als die in Fehde begriffenen Parteyen selbst, welche Wendung der Streit zu nehmen scheint; und wem er aus treuherziger Meynung einen Wink ertheilt, welcher Anleitung geben kann, eine unvortheilhafte Position zu verändern, bey dem glaubt er um so mehr auf Gehör rechnen zu dürfen, als er sich dadurch gewissermaßen auf seine Seite zu lenken scheint.

Schon der erste Ausfall, gegen die Moralität der griechischen Götter, so arg es auch damit gemeynt war, mußte Ihnen gänzlich mislingen. Wir wollen einstweilen annehmen, daß ihre Beschuldigungen gegründet sind, so beweisen sie zuviel, und folglich gar nichts. Wie konnte es Ihnen entgehen, daß in allen möglichen Systemen, die Begriffe, aus welchen man die Gottheit construirt, vom Menschen abgezogen sind; mithin, daß überall die anthropomorphistische Vorstellung der Gottheit, durch Raum und Zeit begränzt, keine andere Definition giebt, als diese, eines nach Umständen und mit Leidenschaft handelnden Wesens? Die Rachsucht, der Haß, ja die Liebe selbst, sind es nicht Leidenschaften, sobald wir uns etwas dabey denken? Übrigens wissen Sie ja, daß wo man immer den Unbegreiflichen begreiflich zu machen gesucht, man ihm die Menschheit beygelegt hat.

Vielleicht verleitete Sie der Gedanke, daß die Moralität der Völker von der Moralität ihrer Götter abhängt. Allein davon giengen wir aus, meyne ich, dass kein Symbol, kein Glaubenssystem eine solche Beziehung haben kann. Noch heutiges Tages giebt es große Staaten, deren Religionssystem Verbrechen um Geld verzeiht, oft gutheißt, ja sogar zuweilen gebietet. Wird aber wohl billigerweise jemand behaupten, daß diese Staaten vor allen andern in Laster versunken sind? So wenig hängt die Moralität der Menschen von ihrem Wähnen über Dinge ab, die jenseits ihrer Erfahrung und Erkenntnis liegen! Man schütze die persönliche Freyheit und das Eigenthum, so wird die Tugend aus der innern Energie der menschlichen Natur hervorgehen, die Menschen werden vom äußerlichen unabhängiger, das ist moralisch frey werden, der Vernunft zu gehorchen, und ihrem eigenen, wie aller Vortheil nachzustreben. Nennen Sie daher die griechische Fabel so ausschweifend, wie Sie wollen, so beweisen Sie damit nimmermehr, daß es in Griechenland an klaren Begriffen von Tugend und Verbrechen fehlte, oder daß das Laster dort ungestraft mit frecher Stirne einhergieng. Eine menschliche Gesellschaft mit solchen Grundsätzen könnte keinen Augenblick bestehen; wie die kadmeische, aus Schlangenzähnen entsprossene Brut, würde sie sich selbst aufzehren. Die Griechen hingegen, giengen in manchen Fällen weiter als wir, und indes unsere Gerechtigkeit nur das Schwerd ausreckt, hielt die ihrige mit der Hand auch den lohnenden Kranz. Die Entscheidung der Frage, ob die Welt jetzt tugendhafter als vor diesem ist, beruht übrigens auf einer allzusubtilen Berechnung, wozu die meisten Data uns fehlen. Weit entfernt, den Zweck der griechischen Fabel für unmoralisch zu halten, singt Schiller vielmehr:

Sanfter war, da Hymen es noch knüpfte,
heiliger der Herzen ew'ges Band.

Wie gegründet diese Äußerung seyn möge, gehört nicht hieher; sie soll hier nur darthun, daß der Dichter von einem nachtheiligen Einfluß seiner Götterlehre auf menschliche Handlungen sich nichts träumen ließ; und mir nur Anlaß geben zu erinnern, daß Sie ihn zwar behauptet, aber nicht erwiesen haben.

Eine ähnliche Bewandnis hat es mit Ihrer Beschuldigung, das Gedicht Ihres Gegners verletzte die Wahrheit. Bey allen Grazien! dies ist seine unüberwindliche Seite. Welch ein eigener Unstern mußte Sie regieren, ihn gerade von keiner andern anzugreifen? Nur das Zeugniß der Wahrheit selbst kann Ihre Anklage erhärten. Getrauen Sie sich, diese jungfräuliche Zeugin, die noch niemand erkannt hat, vor Gericht zu stellen? Ich muß besorgen, Sie unternehmen das Unmögliche. Unser Philosoph sagt sogar: »ich begreife nicht einmal den Stolz, der sich Wahrheit zu verwalten untersteht. Das ist Gottes Sache. Also laßt uns ehrlich nur bekennen, was wir ehrlich glauben. Er wird schon zusehen!« Gleichwol scheinen Sie Ihrer Sache ziemlich gewiß, und wenn ich recht verstehe, geben Sie nicht undeutlich zu rathen, daß die Wahrheit insgeheim mit Ihnen des vertrautesten Umgangs pflegt. Glückseliger, – und muß ich hinzufügen? – indiskreter Sterblicher! Doch was sehe ich? Sie guter Mann lassen sich täuschen, wie ein anderer Ixion. Ihre Überzeugung nennen Sie also Wahrheit? In dem nämlichen Augenblick, wenn Sie damit im Gerichtssaal auftreten, werden ganze Schaaren ähnlicher Wolkengestalten erscheinen. Umsonst rufen Sie, die Ihrige sey allein die ächte. Hundert andere Stimmen erklären sich laut, eine jede für eine verschiedene vermeyntliche Wahrheit. Wollen Sie jene anderen alle überschreyen? So wünscht man Ihnen Glück zum großen Loose, und jeder lacht oder zischt, nachdem Sie ihm Milz oder Galle erregen.

Der Eifer um die vermeyntliche gute Sache kann vom Ziele führen; der Zorn aber ist ungerecht, er beleidigt und empört. Wird man Sie wohl von diesem Affekt ganz frey sprechen können? Statt der Gründe, sind Ihnen Ausdrücke entfahren, welche man nur denen, die den Kürzern gezogen haben, gleichsam zur Entschädigung, zu verzeihen pflegt. Sie hatten in der That alle Fassung verloren. Sie suchten ein Schimpfwort! – und fanden keines wegwerfend und verächtlich genug.

Späterhin, gab Ihr Gedächtnis doch noch eines her; und wie der Blitz! flog dem Dichter der Naturalist nach dem Kopf. Es giebt bekanntlich Leute von gewissen Grundsätzen, die man, ich weiß nicht, ob mit ihrer eigenen Einwilligung, Naturalisten nennt. Allein mich dünkt, ich sage Ihnen etwas allbekanntes, wenn ich hinzusetze, daß die Vielgötterei und der Naturalismus ganz getrennte Dinge sind. Übrigens ist es eine verunglückte Erfindung um diese Kunst, die Leute mit ihren eigenen Namen zu schimpfen. Im Vertrauen! wiederholen Sie nie diesen Versuch. Ich ersparte Ihnen und mir gern das unangenehme Gefühl, welches Sie uns doch selbst bereitet hätten, falls Ihr Gegner den Stein, der ihn verfehlte, auf Sie zurückschleudern, und in den einzigen Ausruf: Christ! seinen ganzen Unwillen zusammenpressen sollte.

Was die Menschen für Tugend halten, ist gewöhnlich dasjenige, dessen Ausübung ihnen am schwersten fällt. Daher mag es wohl kommen, daß Dulden, Demuth und Fassung da so äußerst selten angetroffen werden, wo man sie für verdienstlich hält, ihnen eine besondere Wichtigkeit beylegt, und sie als wesentliche Hauptstücke der Sittenlehre empfiehlt. Wo hingegen eine richtige Schätzung der Dinge von selbst zu einer gewissen Billigkeit im Denken und Handeln führt, dort werden diese sogenannten Tugenden zwar ausgeübt, jedoch ohne alle Zurechnung und Anmaßung. Von Ihnen, zu welcher Klasse Sie auch gezählt seyn wollen, erwartet man aber diese Eigenschaften, es sey als Folgen Ihrer Glaubensregeln oder Ihrer Lebensphilosophie. Denn wer, wie Sie, in die Schranken tritt, um seine Überzeugung geltend zu machen, muß weit entfernt beleidigen zu wollen, vielmehr gefaßt seyn, Beleidigungen, die nicht zur Sache gehören, mit Gelassenheit zu ertragen; er darf sich keine Rechte anmaßen, die er nicht auch jedem Andersgesinnten einzuräumen gesonnen ist, und er ist der Gottheit oder dem Schicksal dieses Bekenntnis als ein Opfer der Demuth schuldig: daß wo seine Gründe keinen Eingang finden, seine Überzeugung aufhöre Wahrheit zu seyn. Sie haben bisher, dieser Verhaltungsregeln uneingedenk, einen Ton angenommen, der Ihren Gegner berechtigen könnte, Ihnen vielleicht mit Empfindlichkeit zu antworten. Das, worauf ich Sie jetzt aufmerksam machen werde, leidet kaum Entschuldigung. Einem Menschen, welcher über spekulative Gegenstände anders denkt, als Sie, dürfen Sie öffentlich nachreden: er lästre Gott? Es ist wahr, genau untersucht, hat dieser Ausdruck keinen bestimmten Sinn; allein die Emphase, womit Sie ihn niederschrieben, zeugt offenbar, daß Sie keinen leeren Schall zu sagen vermeynten, und wissen Sie nicht, welch' eine Bedeutung die Bosheit ihm unterschiebt, um die Dummheit zu ihren Endzwecken anzuspornen? Sie bekennen sich zu einer Partey, deren Meynungen die herrschenden sind, ohnerachtet Meynungen nie herrschen sollten. Desto sorgfältiger müssen Sie aber den erniedrigenden Verdacht vermeiden, als wollten Sie mit der überlegenen Macht Ihres Haufens drein schlagen, und wo es Vernunftgründe gilt, die Keule der Unfehlbarkeit schwingen. Sie sind Manns genug um sich keiner Helfershelfer, keiner unerwiesenen Behauptungen, keiner Schmähungen zu bedienen. Ergreifen Sie die rechtmäßigen Waffen, so haben Sie, wenn Sie auch unterliegen sollten, wenigstens Ehre von dem Kampf. Aber freylich! gegen den Lästerer brauchen Sie sich nicht zu stellen; mit diesem einzigen Worte ziehen Sie sich behend aus der Sache, und überlassen den friedlichen Streit der Vernunft einer heiligen Hermandad, die ihn etwa mit dem Holzstoß entscheidet. Nennen Sie dieses prüfen? Dies wären die Gründe, womit Sie sich der Götter Griechenlands erwehren wollen? Doch genug! Sie entsetzen sich gewiß vor den möglichen Folgen Ihrer Heftigkeit. Nie konnte es Ihre Absicht seyn, unedel und unritterlich, selbst an einem Feinde zu handeln: nur im Augenblick der Leidenschaft konnten Sie sich selbst so weit vergessen, die einzige That zu begehen, die man Gotteslästerung nennen könnte, weil sie an seinem Bilde geschieht.

Jetzt müssen Sie noch erfahren, daß auch dieser Wurf das Ziel verfehlte. Ich will über die Bedeutung jener Redensart nicht rechten, nicht untersuchen, wie die Gottheit mit sich selbst uneins seyn könne, nicht die endlosen Labyrinthe der Fragen vom freyen Willen, vom Ursprung des Übels, vom Fall der Engel, von der Erbsünde, durchirren; alles, sogar die Anwendung des abscheulichen Worts, mögen Sie nach Ihrer Art rechtfertigen können; aber– –: Ihren Gott hat denn doch der Vertheidiger der olympischen Götter nicht gelästert! Seine Seitenblicke sind auf den philosophischen Gott gerichtet, das »Werk des Verstandes,« wie er ihn ausdrücklich nennt.

Freundlos, ohne Bruder, ohne Gleichen,
Keiner Göttin, keiner Irrd'schen Sohn,
herrscht ein Andrer in des Äthers Reichen, etc.

War es möglich diese Stelle zu lesen, und sich nur einen Augenblick träumen zu lassen, daß sie auf einen wirklich existirenden, geoffenbarten Gott gienge, dessen Sohn auf Erden gewandelt hat, und dessen ganze Familie weltbekannt ist? Von seinen Göttern rühmt der Dichter:

Selbst des Orkus strenge Richterwaage
hielt der Enkel einer Sterblichen;

um den Vorzug dieses Anthropomorphismus vor einem metaphysischen Hirngespinste zu behaupten, also keinesweges, um einen ändern anthropomorphistischen Lehrbegrif zu bestreiten. Haben Sie es vergessen, daß unser Weltrichter um einen Grad näher mit dem Menschengeschlechte verwandt ist? Jetzt werden Sie also Ihr Unrecht tief empfinden. Den Mann, der die demonstrirte Gottheit, das ist, mit ändern Worten, den Atheismus so eifrig angreift; den Mann, der das Gefühl, und nicht die kalte Vernunft zur Quelle der Gottesverehrung erhebt, den schimpften Sie einen Lästerer und Naturalisten? Sowohl das System, welches der Dichter vertheidigt, als jenes, welches er erschüttert, sind im Westphälischen Frieden nicht begriffen, und man könnte sein Gedicht von dieser Seite mit den Todtengesprächen in eine Klasse stellen. Es ist darin nur von den Todten die Rede, denen Konstantin der Große und Kant das Leben raubten. Nunmehr dürfte es Ihnen selbst vielleicht seltsam vorkommen, daß Sie ein Meisterstück der Fiktion – nicht auch als Fiktion behandelten. Was ich Ihnen bis hierher gesagt habe, berechtigt mich aber, für das folgende Gehör zu erbitten.

Eine schöne, lange Reihe von Jahren – dies kann Ihnen so wenig als mir entgangen seyn – war Griechenland höchst beglückt unter der Herrschaft seiner Götter; und wenn Rom zulezt diese herrlichen Freystaaten verschlang, so war das schwerlich Jupiters oder Apollons oder irgend eines Olympiers Schuld; sondern der Wohlstand, nach welchem alle Völker streben müssen, und der sie alle, sobald sie ihn erlangt haben, innerlich verzehrt, dieser rafte auch die schönste Blüthe der Menschheit dahin. Jenen Zeiten, wo die Geisteskräfte des edelsten Menschenstammes sich unter den günstigsten Verhältnissen entwickelten, jenen Zeiten, die nie wiederkommen werden, verdanken wir doch alles, was wir bis jezt geworden sind. Mehr als eine Mutter und Amme war unserm Geiste Griechenland; und ob ich gleich die Zumuthung äußerst unbillig finden würde, ich nie der Gesellschaft meiner Amme entziehen, ihre Mährchen stets andächtig nachbeten, und ihre Unfehlbarkeit nie bezweifeln zu müssen; so gestehe ich doch gern, daß die Erinnerung an meine Kinderjahre mir oft ein lebhaftes Vergnügen gewährt, und daß ich nicht ohne Rührung und Dankbegierde an die gute, wenn gleich nicht immer weise, Pflegerin denke.

In diese Klasse von Empfindungen setze ich das Entzücken, womit ich Schillers Gedicht unzäligemal nach einander las, und womit es von meinen Freunden und Bekannten, ja überall, wohin es nur gekommen ist, gelesen ward. Mit jugendlich glühender Phantasie versetzt sich der Dichter in die Zeiten der Vorwelt, in ihre Denkungsart. Er wird hingerissen von den poetischen Schönheiten einer Fabellehre, welche der Jugend des Menschengeschlechts angemessen ist, lauter Scenen des thätigen, leidenschaftlichen Lebens schildert, nicht in transcendenten Worten, sondern in anschaulichen Bildern, das Gefühl und nicht das Abstractionsvermögen beschäftigt, und statt Verneinungen, begränzte Ideale von menschlicher Schönheit und Vollkommenheit aufstellt. Indem ihn diese Gestalten der Einbildungskraft umschweben, kommt der Geist der Lieder über ihn und kleidet seine Anschauungen in Worte. Wer kennt den Zustand der Begeisterung besser als Sie, da Sie ihn als Entäußerung seiner selbst so treffend beschreiben? Wir hören nicht mehr unsern teutschen Mitbürger; ein Grieche würde so klagen, der nach Jahrtausenden erwachte, und seine Götter nicht mehr fände: ein Grieche, dessen junge, in Bildern spielende Vernunft noch keinen Sinn hat für einen metaphysischen Gott. Dies ist das hohe Vorrecht des Dichters, mit jeder Seele sich identificiren zu können. Dachten sich nicht die Schauspieldichter so an die Stelle eines jeden neuen Charakters in ihren unsterblichen Werken? Bey Ihrer Frage: »hat der Dichter zwo Seelen?« waren sie uneingedenk eines Vorrechts, das Ihnen selbst wohl eher zu statten kam, und ohne welches wir keine lebendige, poetische Darstellung hätten.

Da die Wahrheit, welche Sie in Schillers Gedicht vermissen, in jedem Kopfe anders modificirt erscheint, mithin als absolut für die jetztlebende Menschheit nicht existirt, warum sollte ich mich nicht an die relative Wahrheit halten, welche der Dichtung eigen ist, und welche gerade in diesem, Ihnen so misfälligen Werke des Genies, allgemeines Entzücken erweckt, ja Ihnen selbst mit unwiederstehlicher Anmuth den Tribut der Bewunderung entlockt? Die Wesen des Dichters sind Geschöpfe der Einbildungskraft, welche das wirklich Vorhandene innig auffaßt, und wieder zu hellen, lebendigen Gestalten vereinigt. Natur und Geschichte sind die nie versiegenden Quellen, aus welchen er schöpft; sein innerer Sinn aber stempelt die Anschauungen, und bringt sie als neugeprägte Bilder des Möglichen wieder in Umlauf. Keinen Gegenstand giebt es daher im weiten Weltall und in den mannichfaltigen Ereignissen der Vorzeit, dessen Darstellung nicht durch eines Dichters reines Feuer geadelt würde; aber auch keinen, der einer besudelten Einbildungskraft nicht frischen Zunder reichte. Aus derselben Blüthe bereitet die Biene sich Honig und Gift. Dem Menschen ist die freye Wahl gelassen, welches von beyden er aus den Bildern, die sich seinem Anschauungsvermögen aufdringen, für sich einsammlen will. In dem vor uns liegenden Falle schuf der Dichter aus Götternamen und personificirten Eigenschaften der Gottheit ein Ganzes, mit einer in Bildern schwelgenden, aber keiner verderbten Vorstellung fähigen Phantasie. Was geht es ihn an, wie tief hinab sich mancher mythologische Dichter senkte? Was würden Sie zu einer Messiade sagen, die ihre Bilder aus dem Toldos Jeschu entlehnte?

Lehrreich soll uns eine jede Dichtung seyn; sie soll uns mit neuen Ideenverbindungen bereichern, das Gefühl des Schönen in uns wecken, unsere Geisteskräfte üben, schärfen, stärken, durch ihre glühend lebendige Darstellung, uns Begriffe des Wirklichen in dem Gemählde des Möglichen zeigen. Die Gewalt des Dichters über die Gemüther besteht gänzlich in dieser schaffenden Energie seiner Seelenkräfte; durch sie rührt und erschüttert, oder erweicht und entzückt er die harmonisch mit ihm fühlende Seele, nicht durch sein Lehrsystem, nicht durch einen besondern ästhetischen Satz, den er etwa beweisen will. Ließt wohl jemand Klopstocks Epopee als einen versificirten Katechismus, und gefällt die Gierusalemme nur als ein Compendium der christlichen Moral?

Vielleicht ist es mir geglückt, befriedigend genug zu zeigen, daß man Schillers Götter Griechenlands bewundern könne ohne ihre fabelhaften Urbilder anbeten zu wollen. Ich wünschte hier, wie überall, den Misverstand hinwegzuräumen. Nicht die Äußerung Ihres Misfallens, wofür ich Ihnen als freyer Mann Dank weiß, sondern die Art des Benehmens, welche für Sie und andere von nachtheiliger Wirkung ist, veranlaßte diese gutgemeynten Winke. Ihre öffentliche Darlegung ist Barmherzigkeit, verübt an manchem zarten Gewissen, welches vor dem schrecklichen Ruf des Wächters zusammenfuhr, und alle die zerrütteten Folgen empfand, die von der Entdeckung einer zuvor an sich selbst ungeahndeten Sündlichkeit unzertrennlich sind. Mein sey der süsse Lohn, den schüchternen Kindern eines gütigen Vaters die Überzeugung wiedergeschenckt zu haben, daß ihre Freude über ein schönes Gedicht ihn kindlicher, als die knechtische Furcht oder der unbefugte Eifer, ehrt: denn die Quaalen des Zweiflers, wenn sie auf jemanden zurückfallen müssen, so fallen sie nicht auf den, der einen Wahn bestreitet, sondern auf den Feind des Menschengeschlechts, der Seligkeit und Verdammniß daran knüpfte. Auf ihm allein haftet das Wehe! über den der Ärgerniß giebt; sonst hätte die Weisheit sich selbst verdammt, und der Weg zur Wahrheit bliebe auf ewig verschlossen. Ist aber nur die leere Furcht vor selbstgeschaffenen Schrecknissen besiegt, so können wir wieder ruhig empfinden, prüfen, überlegen, mit unserm Sinn und unserm Herzen zu Rathe gehen. Am Ende halten wir uns doch an unser Gefühl und unsere Einsicht, in Ermangelung einer bessern, und weil Sinn und Verstand eines andern – nicht die unsrigen sind; wir fordern aber auch von niemanden Gleichheit der Denkungsart und Glaubenseinigkeit, und feinden niemanden an, der anderes Sinnes ist; nicht, daß wir den Indifferentismus affektirten, sondern weil wir überall das Bild der Wahrheit im Spiegel der Vernunft, bald mehr bald weniger verzerrt, auch in der seltsamsten Stralenbrechung noch ehren, und von unserer eigenen Vernunft, ohne die lächerlichste Inconsequenz nicht glauben dürfen, daß sie allein untrüglich, und ihr Spiegel allein geradflächig sey.

Fühlen Sie dem ungeachtet den Beruf, die Ehre, nicht sowohl der Gottheit, als Ihrer Vorstellungsart zu retten? So würde ich Ihnen wenigstens wünschen, daß Sie mit einem so delikaten Subjekt als der Anthropomorphismus, äußerst behutsam umgiengen, und sich ja wohl bedächten, was für einen Sie dem griechischen entgegenstellen. Der Begriff des Seyns, bleibt leer für uns, solange wir nichts relatives hineinlegen; obschon das Seyn alles erschöpft. Denken Sie sich aber einen Gott mit Attributen, so wird er menschlicher, Sie bringen Ihn sich, und sich Ihm näher, und Schillers Worte werden wahr;

Da die Götter menschlicher noch waren,
waren Menschen göttlicher.

Für den erkünstelten Zustand der kalten Besonnenheit gehört freylich diese Vorstellungsart nicht; allein die leidenschaftlichen Stunden, wo wir alles personificiren, sind nicht die unglücklichsten für phantasirende Geschöpfe wie wir. Jeder Frühling und jede Blüthe, der Mann von Genie und seine Dichtungen, alles, alles ist für mich in solchen Stunden eine herrliche Offenbarung!

Genügen Ihnen diese Offenbarungen und meine Erinnerungen nicht, so bleibt Ihnen ein ziemlich unbetretener Weg noch übrig. Setzen Sie Ihren Lehrbegrif in das helle Licht, welches jetzt die Götter Griechenlands in Schillers Liede umfließt; bieten Sie alle Kräfte auf zu einem unsterblichen Gesange, der Ihres Gegners Talente verdunkelt, und seinen Zauber auflößt. Den Beystand der neun Schwestern dürfen Sie zwar nicht dazu erflehen; allein, wer weiß, ob nicht eine, uns unbekannte Muse auch in Ihrem Himmel wohnt?– – – –


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