Georg Forster
Über James Cook und andere Essays
Georg Forster

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Parisische Umrisse

Anmerkung des Einsenders. Sie werden hier einen andern Pariser Correspondenten auftreten lassen, der freilich die gegenwärtige Lage der Sache in Frankreich mit seiner eigenen Brille betrachtet. Er ist der Revolution, wie man sehen wird, auf keine Weise abgeneigt, wiewohl er sie aus einem ganz besondern Gesichtspunkt in Schutz zu nehmen scheint. Ein eigentlicher Jakobiner ist er indeß nicht; denn diese Eingeweihten erlauben es sich nicht, aus der Schule zu schwatzen, und unser Skizzenmacher scheint über allen Zunftzwang völlig hinaus zu seyn, und die Dinge so ziemlich bei ihren Namen nennen zu wollen. Seine Partheilichkeit – leider! möchte man endlich wohl auf den Gedanken geführt werden, daß Unpartheilichkeit in dem jetzigen Zeitpunkte und unter den jetzigen, Entscheidung erheischenden Umständen, weder existirt, noch möglich, noch selbst erlaubt ist – seine Partheilichkeit werden Ihre Leser wohl von selbst gewahr werden, ohne daß wir jedesmal daran zu erinnern brauchten. Übrigens aber hat es mir geschienen, als ob es theils der Abwechslung wegen, theils um die Leser in ihrer richterlichen Eigenschaft bei dem großen Weltprozesse vollständig zu instruiren, unmöglich schade könne, auf diese Art et alteram partem gebührend vernommen zu haben.

1

Paris, den 1sten des Wintermonds (Brumaire)
im 2ten Jahr der Republik.

Die Hauptstadt Frankreichs war seit langer Zeit die hohe Schule der Menschenkenntniß. Mehr als jemals ist sie es jetzt, und es bedarf nur eines kurzen Aufenthalts und eines flüchtigen Blicks, um hier inne zu werden, was man anderwärts in Jahrzehenden kaum ergrübelt, und nicht nur den Geist der Gegenwart, sondern auch die Zeichen der Zukunft zu enträthseln. In der neuen Republik ist Paris, was Rom einst in dem Universalreiche war: das ungeheure Haupt, von welchem sich alle Bewegungen durch die Provinzen fortpflanzen, und wo alle Gegenwirkungen zusammen fließen. London, mit einer weit größern Volksmenge, die, im Vergleich mit der Bevölkerung Englands, sich gegen Paris wie sieben zu eins verhält, hat nicht den zehnten Theil der Wichtigkeit und des Einflusses auf das Land.

Die moralische Herrschaft von Paris über die benachbarten Departemente, zum Beispiel, wird durch die Revolutionsarmee recht anschaulich, die gestern ausgezogen ist, um für die Verproviantirung der Hauptstadt zu sorgen; denn daß in der öffentlichen Meinung die größte Stärke dieses Heeres besteht, wird niemand bezweifeln wollen, der es nur sechstausend stark gesehen hat.

Diese öffentliche Meinung aber, und Einflüsse, sind Dinge, wovon man vor der jetzigen Revolution keinen richtigen, wenigstens keinen vollständigen, Begriff gehabt haben mag. Ich lese zuweilen in den jenseitigen Darstellungen von dem was bei uns vorgeht, die Worte: Zwang, Gewaltthätigkeit, Tyrannei; ich finde Vergleichungen mit der vorigen monarchischen Regierung, die gegen unsere jetzige noch golden gepriesen wird. Das mag hingehen; denn wer wird einem aufgebrachten Gegner geradeweg die Principien läugnen? und dies wäre doch das geringste, womit unser einer Ehrenhalber anfangen müßte. Aber ich begreife nicht, wie so mancher treuherzige Royalist bei einer kaltblütigen Untersuchung an das: duo dum faciunt idem, non est idem, nicht gedacht zu haben scheint, ob es gleich der erste Punkt ist, worauf sich etwas, das einer Hoffnung zum Auswege aus dem Labyrinth ähnlich sähe, fein säuberlich erbauen ließe.

Gesetzt, es hätte seine Richtigkeit, daß auch uns im Ganzen genommen, die jetzige Lage unserer Angelegenheiten gerade so schwarz und gelbgrün vorkäme, wie sie ein hypochondrischer Schriftsteller ansehen mag, wenn er sich an einer vornehmen Tafel den Magen verdorben hat; glauben Sie in Ernst, daß wir darum den koalisirten Mächten die Thore unserer Festungen aufriegeln würden? Ich versichere Sie, es wäre gerade das Gegentheil; wir riegelten nur desto fester zu. Das ist nun eine Wirkung der öffentlichen Meinung, die allgemein genug bekannt ist, um unseren philosophirenden Gegnern, wenn auch sonst keinen, zu denken zu geben.

Hier haben Sie gleich noch eine. Die Revolution hat alle Dämme durchbrochen, alle Schranken übertreten, die ihr viele der besten Köpfe hier und drüben bei Ihnen, in ihren Systemen vorgeschrieben hatten. Zuerst schwellte sie über den engen Kreis, den ihr Mounier wohlmeinend anweisen wollte. C'est une tête de bronze, coulée dans un moule anglois, sagten wir, weil er so hartnäckig an seiner Nachahmung der Englischen Konstitution hangen blieb; und damit war ihm das Urtheil gesprochen. Manche, auch gemäßigte Staatsmänner, gingen in ihrer Nachgiebigkeit schon weiter, und glaubten noch an die Möglichkeit einer guten Verfassung außerhalb jenes Bezirks. Als aber auch ihre Herkulssäulen, trotz der stolzen Inschrift: non plus ultra, von dem brausenden Orkan umgestürzt lagen, da verkündigte ihre beleidigte Eitelkeit schon das jüngste Gericht. Andere harrten länger aus; aber seitdem ihr letzter Ableiter, den sie im Föderalsystem gefunden zu haben glaubten, durch einen Blitzstrahl vom Berge zerschmettert worden ist, kommen auch sie mit der Babylonischen Hure schon aufgetreten. Die öffentliche Meinung ist alle diese Stufen hinangestiegen, und auf jeder höheren hat sie den Irrthum erkannt, den die Täuschung des falschen Horizonts verursachte. Jetzt bleibt sie bei der allgemeinsten aller Bestimmungen stehen: einer Bestimmung, die freilich den Hafen so lieblich nicht vormahlt, wo das Staatsschiff wohlgemuth einlaufen und abtakeln soll, wobei es sich aber doch mit jener mystischen Losung aus den neuen Ritterzeiten eines geheimen Ordens: in silentio et spe fortitudo mea, auf offnem Meer, und selbst mit etwas beschädigten Masten und Segeln, noch ganz bequem einherschwimmen läßt.

Die Revolution ist – vorausgesetzt, daß Sie nach unserer generalisirten Definition lüstern sind – ist die Revolution. Ihnen dünkt das wohl zu einfach? oder es scheint wohl gar ins Platte zu fallen? Einen Augenblick Geduld! Lange genug haben wir uns gesträubt, das Kind bei seinem rechten Nahmen zu nennen; aber wer kann für Gewalt? Daß sich alles Kopf über Kopf unter wälzt, ist ein vollgültiger Beweis, daß der Nahme der Sache entspricht; und wer mag wissen, ob mit dieser Bewegung nicht die Exegetik eines Deutschen Schriftstellers noch künftig gerettet werden kann, der von dem großen Worte behauptet hat, daß es eigentlicher auf die Wiederbringung, als auf die Zerstörung aller Dinge gemünzt seyn soll?

Die öffentliche Meinung ist also bei uns in Absicht auf die Natur der Revolution jetzt so weit im Klaren, daß man es für Wahnsinn halten würde, ihr Einhalt thun oder Gränzpfähle stecken zu wollen. Eine Naturerscheinung, die zu selten ist, als daß wir ihre eigenthümlichen Gesetze kennen sollten, läßt sich nicht nach Vernunftregeln einschränken und bestimmen, sondern muß ihren freien Lauf behalten. Etwas ganz Anderes, ganz davon Unabhängiges ist es aber, daß diejenigen, die von diesem Strudel ergriffen sind, ihr eigenes Betragen, nach wie vor, vernunftgemäß einzurichten suchen. Daß die Erde um die Sonne kreiselt und den Mond mit sich fortreißt, das hindert ihn ja nicht, sich stets um die Erde zu drehen. – Ich sah einst die Pferde mit einer Landkutsche Reißaus nehmen, und den Kutscher vom Bocke fallen. Einige Straßenjungen stellten sich an den Weg und schimpften auf die Passagiere. Einer von diesen sprang aus dem Wagen, und stürzte den Hals ab; die übrigen waren klüger: sie blieben sitzen, und dachten, wir wollen warten, bis der Koller vorüber ist . –

Seitdem man bei uns die Revolution als eine neue unaufhaltsame Schwungkraft anzusehen gelernt hat, haben sich auch viele von ihren Gegnern wieder mit ihr ausgesöhnt; und meinen Sie nicht, daß es immer noch besser ist, ihr nachzulaufen und sie einzuholen, als mit gewissen Halbweisen, die ihr voranliefen und sie zuerst in Bewegung brachten, plötzlich stille zu stehen und sich zu ärgern, daß sie, wie eine Schneelavine, mit beschleunigter Geschwindigkeit dahinstürzt, stürzend an Masse gewinnt, und jeden Widerstand auf ihrem Wege vernichtet? Das neulich erlassene Dekret des Nationalkonvents, daß die Regierung in Frankreich bis zum Frieden revolutionär bleiben soll, ist der eigentlichste Ausdruck der öffentlichen Meinung, daß die Revolution sich so lange fortwälzen müsse, bis ihre bewegende Kraft ganz aufgewendet seyn wird.

Diese bewegende Kraft ist allerdings nichts rein Intellektuelles, nichts rein Vernünftiges; sie ist die rohe Kraft der Menge. In so fern, wie Vernunft ein vom Menschen unzertrennliches Prädikat ist, in so fern hat sie freilich auf die Revolution ihren Einfluß, wirkt mit in ihre Bewegung, und bestimmt zum Theil ihre Richtung; aber präponderiren kann sie nicht, und wenn – wie wir doch nicht in Abrede seyn wollen? – die Revolution einmal im Rathe der Götter beschlossen war, durfte sie es auch nicht, weil ihre Präponderan an und für sich nur die Revolution hemmen, nie sie treiben und vollbringen kann. Ich würde sie die ächte vim inertiae nennen, wenn ich es mit einem Physiker zu thun hätt; denn einmal überwunden von der Stoßkraft, dürfte dennoch in ihr selbst der Grund jener langen Dauer liegen, womit die Revolutionsbewegung so manchen unerfahrnen Beobachter in Erstaunen setzte.

Als Necker dieses große, nicht zu berechnende Mobil der Volkskraft anregte, wußte er nicht, was er that. Die ersten Anfänge der Bewegung waren aber wegen des Umfangs, der Masse und des Gewichts so unmerklich, daß Klügere als er, sich täuschten, und diese ungeheure Triebfeder umspannen zu können, sich vermaßen. Allein wie bald entwand sie sich aus ihren ohnmächtigen Händen! – Es entstand ein chaotisches Ringen der Elemente; es erfolgten die heftigsten Konvulsionen, die furchtbarsten Erschütterungen. Kleinere gegenstrebende Bewegungen wurden von den größeren, allgemeineren verschlungen; so gab es denn eine gleichartige Bewegung, oder mit andern Worten: der Wille des Volks hat seine höchste Beweglichkeit erlangt, und die große Lichtmasse der Vernunft, die immer noch vorhanden ist, wirf ihre Strahlen in der von ihm verstatteten Richtung.

Ich weiß nicht, ob ich mich deutlicher hätte fassen können, um Ihnen von der jetzigen Beschaffenheit der öffentlichen Meinung einige Begriffe zu machen. Einem oder dem andern würde es vielleicht mehr sagen, wenn ich mich mathematisch so ausdrückte: Unsere öffentliche Meinung ist das Produkt der Empfänglichkeit des Volks, vermehrt mit dem Aggregat aller bisherigen Revolutionsbewegungen. Wer einen anschaulichen Begriff davon hat, oder auch nur aus der Geschichte und Anthropologie weiß, wie beweglich und empfänglich die Französische Nation ist; und wer dann berechnet, in welchem Grade die Ereignisse der vier letzten Jahre diese Reitzbarkeit erhöhen und das Theilnehmen an den öffentlichen Angelegenheiten schärfen mußten: dem wird es schwerlich entgehen, daß die Macht einer auf diese moralische Beschaffenheit geimpften öffentlichen Meinung Wunder thun kann.

Sie werden es nunmehr so ungereimt nicht finden, daß ich vorhin an das duo dum faciunt idem etc. erinnert habe. Die Erscheinungen unter dem Joche des Despotismus können denen, die sich während einer republikanischen Revolution ereignen, sehr ähnlich sehen, und die letzteren sogar einen Anstrich von Fühllosigkeit und Grausamkeit haben, den man dort wohl hinter einer sanfteren Larve zu verbergen weiß; doch sind sie schon um deswillen himmelweit verschieden, weil sie durch ganz verschiedenartige Kräfte bewirkt werden, und von der öffentlichen Meinung selbst einen ganz verschiedenen Stempel erhalten. Eine Ungerechtigkeit verliert ihr Empörendes, ihr Gewaltthätiges, ihr Willkührliches, wenn die öffentliche Volksmeinung, die als Schiedsrichterin unumschränkt in letzter Instanz entscheidet, dem Gesetze der Nothwendigkeit huldigt, das jene Handlung oder Verordnung oder Maßregel hervorrief.

Dieser Vortheil ist wesentlicher, als Sie es vielleicht mit vielen Antigallikanern geglaubt haben mögen, und ersetzt uns so manche Unvollkommenheit der Revolutionsregierung, daß man diese nie richtig beurtheilen wird, bis man ihm nicht volle Gerechtigkeit hat widerfahren lassen. Der National-Convent herrscht lediglich durch die Opinion, bald, indem er sich ihr bequemt, bald, indem er durch seine Berathschlagungen und seine ungeheure Thätigkeit auf sie zurückwirkt und sie bestimmt. So wenig wünschenswerth unser Zustand in Absicht auf die Regierung immerhin genannt und geschildert werden mag, so irrt man doch bei Ihnen gar zu sehr, wenn man von ihrer heterokliten Beschaffenheit auf ihre Zerstörbarkeit schließt; denn was ihr Dauer und Stärke verspricht, ist ja gerade diese durch das Ganze jetzt unwiderstehlich herrschende Einheit des Volkswillens, verbunden mit der Repräsentantenvernunft. Setzen Sie diese letztere so tief herab, wie es Ihnen gut dünkt; dennoch bleibt noch immer ein solcher Lichtherd übrig, daß, sobald nur jener Einklang mit dem allgemeinen Wollen vorhanden ist, nichts dem politischen Riesen widerstehen kann. Warum verhält es sich beim Despotismus anders? Die Auflösung liegt am Tage. Die Einheit fehlt; Vernunft und Wille sind beide nur im Kopfe des Herrschers und seiner Räthe; das Volk ist eine leblose Masse, ein todter Körper, der bloß mechanischen Antrieben gehorcht; jene geistigen Kräfte durchströmen und beleben ihn nicht, verbinden ihn nicht mit sich selbst zu einem lebendigen Ganzen. Beider Zweck und Streben sind gänzlich verschieden. Freilich giebt es noch ein Mittel, die Trägheit, oder die Kraft des Widerstandes im Volke zu überwinden; aber das Beispiel Frankreichs haben wir zu deutlich vor Augen. Wehe dem Deutschen Necker, der sie dort entbindet und in Bewegung setzet!

Ich wollte Ihnen mehr schreiben; denn wie manches hab' ich nicht auf diesem Herzen, das die große Nothwendigkeit fühlt, welche gerade im jetzigen Zeitpunkte, »Männer in jedem Staate fordert, die über die Vorurtheile der Völkerschaft hinweg wären und genau wüßten, wo Patriotismus Tugend zu seyn aufhört .« – Doch fürs erste sey dies genug zur Probe, genug, um Sie den Gesichtspunkt beurtheilen zu lassen, zu dem der Aufenthalt in Paris so leicht hinführen kann.

2

Paris, den 15ten Wintermonds, im 2ten Jahr der R.

Sie wissen, so gut wie ich, mein Lieber, daß wenn man dem Französischen Leichtsinne Zeit läßt und das Stündlein des Ernstes und der Besonnenheit abwarten kann, niemand gegen Andre, und zumal gegen Fremde, billiger ist, und ihnen lieber Gerechtigkeit widerfahren läßt, als der Franzose. Dieser Zug in unsrem Nationalcharakter hat sich nicht geändert; ich möchte vielmehr sagen, man ist in der Billigkeit des Urtheils fortgeschritten, so wenig der allgemeine Krieg diese Denkungsart zu begünstigen scheint. Die Phraseologie unsrer Tribünen und Zeitungsblätter muß Sie hierüber nicht irre machen; sie ist bloßer Kurialstyl, und gehört zur neuern Diplomatie. So lange wir von unsren Feinden keine andre Benennung als die von Schurken, Spitzbuben, Bösewichtern, Gottesläugnern und Königsmördern erhalten können; so lange schallt es gräßlich aus unsrem Revier mit Tyrannen, Räubern, Ungeheuern, Sklaven, Banditen und Viehmenschen zurück. Vernünftige Leute, deren es, wills Gott! viele auf beiden Seiten giebt, wissen, was von diesem Feldgeschrei zu halten ist, und führen den Krieg nur in der Absicht, zum Frieden zu gelangen. In Ernst hat wohl noch niemand, der bei gesundem Verstande war, mit Schimpf- und Ekelnahmen etwas zu beweisen geglaubt; und wem wollte man endlich auch auf diese Art beweisen? Ich weiß nicht, was größer wäre, der Eigendünkel auf der einen, oder die Selbstverläugnung auf der andren Seite, wenn so gelehrt und so gelernt werden könnte. Wenn es einmal zwischen zwei großen Mächten so weit gekommen ist, daß sie mit Kanonenkugeln und Kartätschen argumentiren, dann wird wahrlich eine Handvoll ungeschliffener Redensarten den Kampf nicht entscheiden.

Zwischen dem politischen Schimpfen diesseits und jenseits bemerk' ich aber einen sehr wichtigen Unterschied. Bei uns ist es eine Art Expletive oder Lückenbüßer, oder auch etwas, das genialisch aus der Fülle des Herzens sich hervordrängt; es gehört jetzt fast auf die Weise, wie unsre unartigen, aber ganz unschädlichen Flüche, oder wie die allzu geläufigen Gewohnheitsworte f. und b., in unsre Sprache. Bei Euch aber hat es etwas Gesuchtes, Geflissentliches, Erbittertes; und weit entfernt das Bürgerrecht in Euren Volksdialekten erhalten zu haben, findet man es nur in Euren Büchern oder höchstens im Munde Eurer Bramarbasse. Bei uns fließt es unmittelbar aus der öffentlichen Meinung, und ist ihre eigentliche Stimme; bei Euch möchte man, umgekehrt, eine öffentliche Meinung damit heraufzaubern und auf dieselbe wirken.

Da liegt es eben, mein guter Antigallikaner; bei Ihnen giebt es noch keine öffentliche Meinung, und es kann keine geben, wenn das Volk nicht zugleich losgelassen wird. Es dort loslassen, diese ungemessene, unberechnete Kraft auch in Deutschland in Bewegung setzen: das könnte jetzt nur der Feind des Menschengeschlechts wünschen. Wir haben uns für unsre ganze Gattung aufgeopfert, oder, was gleich gilt, aufopfern lassen. Wenigstens komme unser Kampf, unser übermenschliches Ringen, unser wahres Märtyrerthum, den übrigen Nationen Europens zu Gute! Eure Weisen und Gelehrten haben gut deklamiren, sich ereifern und uns beweisen, daß wir es hätten besser machen sollen. Ei, Ihr lieben Herren! wir konnten's eben nicht besser. Nun dann hätten wir's nicht anfangen sollen. Freilich wohl! aber auch das hat nicht von uns abgehangen. Wenn Donquichotte die Galeerensklaven auf freien Fuß stellt, und zum Lohn von ihnen zerbläuet und geplündert wird: wer hat die meiste Schuld, der schwärmende Ritter oder die verwahrloseten Menschen? Doch ich dächte, wir thäten hier am besten, niemand zu richten und zu verdammen. Die Menschen erscheinen in ihren Handlungen, wie sie sind; jeder thut, was er nicht lassen kann, und trägt die unausbleibliche Folge. Wenn ein Thron stürzt, und zwar so leicht und ohne Anstrengung, wie es bei uns der Fall gewesen ist, so ist es doch wohl augenscheinlich, daß alle seine Stützen und Untergestelle schon morsch gewesen sind! Nun bedurfte es nur jenes weltbekannten Zusammenflusses von Ursachen, die im Jahr 1787 die unbegreifliche Schwäche und Hülflosigkeit des Französischen Hofes vor Aller Augen entblößten, und jede nachherige Katastrophe folgt in einer nicht zu unterbrechenden, nicht zu ändernden Verkettung. Fragen Sie, warum die Vorsehung dieses Mißverhältniß zwischen der Unhaltbarkeit einer Regierung und der Unfähigkeit des Volks sich eine neue zu schaffen, geduldet, und in diesen Zeitpunkt die Revolution hat fallen lassen? – Wer anders kann Ihnen antworten, als die unbegreifliche und unergründliche Weisheit der Vorsehung selbst! Ich fühle nicht den Beruf, diesen Artikel der Theodicee auszuarbeiten, wenn ich gleich für mich überzeugt bin, daß unsre Revolution, als Werk der Vorsehung, in dem erhabenen Plan ihrer Erziehung des Menschengeschlechts gerade am rechten Orte steht, und daß Frankreich, nach dem schweren Verhängnisse, das über ihm waltet, sich dennoch zu einer geläuterten, vernünftigen, wohlthätigen Verfassung emporarbeiten wird. »Wer aber diese Revolution als eine bloß Französische ansieht,« hat Mallet du Pan mit einem echten Sehergeiste gesagt, »der ist unfähig sie zu beurtheilen;« denn sie ist die größte, die wichtigste, die erstaunenswürdigste Revolution der sittlichen Bildung und Entwickelung des ganzen Menschengeschlechts.

Je richtiger der Blick ist, womit die auswärtigen Regenten den gährenden Zustand Frankreichs gefaßt und daraus die Nothwendigkeit abgenommen zu haben scheinen, gerade jetzt den Völkern auf keine Weise Luft zu machen oder den Zügel schießen zu lassen: desto unzweckmäßiger, ich möchte sagen widersinniger, kommt mir das unablässige Bemühen so vieler Schriftsteller bei Ihnen vor, einen Geist des Hasses gegen die Franzosen unter ihren Landsleuten anzufachen und sie auf eine solche Art in ihrer eigenen Kraft und Wirksamkeit gegen uns zu schicken. Ich lasse das Unsittliche dieser Aufhetzerei an seinen Ort gestellt; die unbefleckte Tugend, die kein angelegeneres Geschäft kennt, als unser Schuld- und Sündenregister unaufhörlich abzulesen, wird vermuthlich in ihrer Kasuistik über diesen Punkt Beruhigung gefunden haben. Allein auch die Erfahrung hat hier mitzusprechen, und wie hat man es vergessen können, daß nichts gewöhnlicher ist, als Menschen von einem Extrem zum andren übergehen, eine aufgereitzte Leidenschaft in Unbändigkeit ausarten, und alle Leitung verschmähen zu sehen? In der That, wenn es nicht weltkündig wäre, daß unsre gänzliche Vernachlässigung alles Verkehrs mit dem Auslande unsrem ehemaligen diplomatischen Ruf zur unauslöschlichen Schande gereicht, und wenn man nicht auf diese angeerbte Tugendtafel hin, uns jene berüchtigte Propagande, die wir bei einigem Machiavelismus unstreitig hätten stiften müssen, bloß angedichtet hätte; – so könnte man leicht auf den Gedanken kommen, daß wir jenen Schwarm von Aufhetzern heimlich besoldeten, um den Völkern, die bisher geistlich todt geblieben sind, einen lebendigen Odem der Eigenmächtigkeit, des leidenschaftlichen Wollens und Vollbringens, in die Nase zu blasen.

Zum Glücke hat es mit der ganzen Sache keine große Gefahr, und das Mittel, die öffentliche Meinung zu beleben, ist übel, ja im höchsten Grade schlecht, ausgedacht. Die Frage: wie entsteht öffentliche Meinung, und wie erhält sie ihre Kraft, auf den Willen zu wirken? kann uns bald aus dem Traume helfen. Man wird eben so leicht beweisen, daß der Katechismus tugendhaft machen, daß die Prosodie in dithyrambische Begeisterung versetzen, kurz, daß die Regeln das Genie, und nicht das Genie die Regeln, schaffen können, als es uns deutlich und überzeugend darthun, daß die Äußerungen des freien Willens (öffentliche Meinung) erscheinen können, ehe der Wille frei ist. Gestehen Sie es nur, der Karren steckt im Schlamme, und nichts ist possierlicher, als die kannengießernden Heupferde herabspringen zu sehen, in der Hoffnung, ihn in Bewegung zu zirpen. Wenn indeß nicht alle (Französische) Zeitungsnachrichten trügen , so regt sich hier und dort in Deutschland etwas, das der zahmen Gelehrigkeit der Nation eben nicht das Wort redet, und die Weisheit Eurer Prophetenknaben zu Schanden macht. Ich betheure Ihnen, daß mir diese Nachricht keine Freude verursacht; die Reihe ist jetzt nicht an Deutschland, durch eine Revolution erschüttert zu werden; es hat die Unkosten der Lutherischen Reformation getragen, so wie Holland und England, jedes zu seiner Zeit, den Schritt, den sie zur sittlichen und bürgerlichen Freiheit vorwärts thaten, mit einem blutigen Jahrhundert haben erkaufen müssen. Jetzt gilt es uns, und ich wünschte so herzlich, Ihr möchtet Euch an unserm Feuer wärmen, und nicht verbrennen! Aber ach, durch Schaden klug werden, und am Unglücke Anderer sich spiegeln, ist nicht jedermanns Sache! – –

3

Paris, den 24. Wintermonds, 2.

Verzeihen Sie mir, mein Freund, daß ich Sie immer wieder von unserer öffentlichen Meinung unterhalte; allein sie ist das Werkzeug der Revolution, und zugleich ihre Seele. Folgen Sie ihr durch alle ihre Verwandlungen, die sie seit sechs Jahren und drüber, durchgegangen ist, und Sie werden von dieser Wahrheit eben so wie ich, durchdrungen seyn. Ich setze wohlbedächtig ihre ersten Umgestaltungen noch in die letzten Zeiten der Monarchie: denn die Größe der Hauptstadt, die in ihr concentrirte Masse von Kenntnissen, Geschmack, Witz und Einbildungskraft; das daselbst immer schärfer ätzende Bedürfniß eines Epikureisch kitzelnden Unterrichts, die Losgebundenheit von Vorurtheilen in den oberen, und mehr oder weniger auch in den mittleren und niederen Ständen; die ungezwungene Mischung in Gesellschaften; die stets gegen den Hof strebende Macht der Parlemente; die durch die Freiwerdung von Amerika, und Frankreichs Antheil daran, in Umlauf gekommenen Ideen von Regierung, Verfassung und Republikanismus; die Abhängigkeit der im Übermaß genießenden Klasse von der ihren Begierden dienstbaren, die sich dadurch immer mehr emancipirte; das böse Gewissen des Hofes und der Administration, die einem Staatsbanquerott entgegen sahen; endlich die dadurch entstandene Straflosigkeit der politischen Broschürenschreiber, die zu Hunderten jetzt die Wunden des Staats sondirten, und mit gränzenloser Keckheit und Quacksalberweisheit ihren Wundbalsam darauf zu streichen sich erkühnten; – dies alles bahnte der Denkfreiheit und der Willensfreiheit dergestalt den Weg, daß schon eine geraume Zeit vor der Revolution eine entschiedene öffentliche Meinung durch ganz Paris, und aus diesem Mittelpunkt über das ganze Frankreich, beinahe unumschränkt regierte. Was ich hier in so wenige Worte zusammengepreßt habe, können Sie ausführlicher und bis zum Anschauen überzeugend, in Arthur Youngs vortrefflicher Beschreibung seiner Reise durch Frankreich lesen. Von jenem Zeitpunkte an, lassen sich die Verwandlungsstufen ordentlich zählen: die erste Versammlung der Notablen; die Weigerung des Parlements, den impôt unique zu registriren; Neckers Eintritt in das Ministerium; die zweiten Notablen; die Reichsstände (états generaux); der entscheidende Schritt des tiers, der sich zur Nationalversammlung erklärte; die Eroberung der Bastille; der 5te und 6te Oktober; die Aufhebung des Adels; die Asignate; die Föderation; die Flucht nach Varennes; die neue Verfassung der Klerisei; die Konstitution von 1791; der 20ste Junius, der 10te August, der 7te September; die Republik; die Eroberungsplane des vorigen Winters; die Hinrichtung Ludwigs XVI.; die Unglücksfälle des Frühlings; der Kampf der beiden Partheien im National-Convent; der Sieg der Bergparthei am 31sten Mai; die neuen Finanzoperationen Cambons, insbesondere die Zwangsanleihe; die Aushebung von 800.000 Rekruten und 40.000 Pferden; die gänzliche Erdrückung aller Gegenrevolutionsbewegungen; die Brot-Taxe und das Maximum; die neue Zeitrechnung; die Hinrichtung der Königin, des Herzogs von Orleans und der föderalistischen Deputirten; und endlich noch das merkwürdige Erlöschen des Katholicismus in der Sitzung vom 17ten dieses Monats.

Man darf als ausgemacht annehmen, daß die öffentliche Meinung in einer jeden dieser Epochen sich entschieden geäußert, und zugleich von den Hauptereignissen derselben einen besondern Charakter angenommen habe. Von Stufe zu Stufe entwickelte und läuterte sich die allgemeine Vernunft, und die letzten Schritte sind nicht die unbedeutendsten gewesen: zum sichern Beweise, daß diese Kraft noch im Wachsen ist und für die Zukunft noch merkwürdige Erscheinungen verspricht. Ich weiß, daß mancher Ihrer Landsleute hoch aufschreien würde, wenn er diese Stelle zu lesen bekäme: »der Himmel wolle uns vor einer solchen Vernunft bewahren!« Es ist mir ordentlich, als ob ich's hörte. Wissen Sie mir aber nicht einen Aufschluß darüber zu geben, wie es doch kommen mag, daß in einem Lande, wo es seit dem Anfange dieses Jahrhunderts die tiefsinnigsten Philosophen gegeben hat, unter einigen Gelehrten und Schriftstellern die gevatternhafteste Ansicht der Dinge noch Statt finden kann? Wer möchte für die Revolution eine Lanze brechen, wenn es darauf abgesehen wäre, die Moralität und Vernunftgemäßheit aller einzelnen Auftritte und Begebenheiten in ritterlichen Schutz zu nehmen? Allein soll man deshalb auch den bewundernswürdigen Ideenreichthum, die Menge der erhabensten Vernunftwahrheiten, die unzähligen Berührungen und Schwingungen des edelsten Menschensinnes, kurz das große Schauspiel des Ringens und Hervordringens einer solchen Masse von Geisteskräften, die bei jenen Anlässen bald empfangen und bald sich mittheilen, schlechterdings verkennen und für Nichts rechnen? Leichter ist es unstreitig, einem ganzen Volke, einem Volke von so vielen Millionen Köpfen, Verstand und Tugend geradesweges abzusprechen, und nun alles, was dort geschieht, für Werke der Bosheit und der Finsterniß auf der einen, des Blödsinnes und der Schwäche auf der andren Seite auszuschreien; leichter, von einer relativen, konventionellen Immoralität der Begebenheiten und Handlungen auf die Ruchlosigkeit der handelnden Personen zu schließen – als sich die Mühe zu nehmen, den unermeßlichen, nicht zu berechnenden Antheil, den die unvermeidliche Verkettung der in's Ganze wirkenden Ursachen und Wirkungen auf die Ereignisse des Zeitalters hat, von dem was den handelnden Personen eigenthümlich ist, gehörig abzusondern, diesen sodann in ihre sämmtlichen Verhältnisse zu folgen, und zuletzt die tröstliche Überzeugung mit nach Hause zu nehmen, daß Unvollkommenheit und Irrthum zwar allenthalben der Menschen Loose, Unsittlichkeit und Unverstand aber, zur seligsten Beruhigung der Menschheit, im Durchschnitt immer nur Resultate der Unwissenheit und Unthätigkeit sind. Wenn bürgerliche und sittliche Freiheit, wenn die Ausbildung der Geisteskräfte, die Läuterung und Veredlung der Gefühle, mit Einem Worte, wenn Vervollkommnung das Ziel ist, nach welchem Nationen streben: mögen sie dann auch manchen Umweg nehmen, manchmal fallen und wieder sich aufraffen, und in Augenblicken sogar auf dem steilen Pfade zurückzugleiten scheinen; dennoch bürgt ihr Streben selbst schon dafür, daß sie ihren Zweck nicht gänzlich verfehlen können; jeder Schritt vorwärts ist ein Sieg über Hindernisse, der sie dem Ziele näher bringt. Wenn der Khan oder der Visir seinen Sultan bekriegt, wenn Pugatschew in Rußland einen Aufruhr stiftet, so sind diese Revolutionen, was auch immer ihr Erfolg seyn mag, für das Menschengeschlecht unfruchtbar; denn die Absicht ihrer Urheber ist bloß persönlicher Eigennutz, und die Beförderung der Humanität kann ihnen nicht einmal Vorwand und Mittel seyn. Es könnte seyn, daß ich von Ihren Landsleuten auf einmal zu viel verlangt hätte; ich erinnere mich, daß ich selbst davon ausgegangen bin, die Übersicht, die ich mir jetzt von unseren Angelegenheiten entworfen habe, meinem Aufenthalte in Paris und der vortheilhaften Lage dieses Standpunkts zuzuschreiben. Wie manches mag nicht bei Ihnen zusammen kommen, um die Gegenstände in einem falschen Lichte und durch allerlei Media zu zeigen, deren verschiedene Refraktion sie verzerren und verunstalten kann, ehe sie bis ins Auge gelangen! Wenn dies aber der Fall seyn sollte, darf man nicht hoffen, daß Ihre Mathematiker diese Refraktionen berechnen werden, sobald man sie damit bekannt gemacht hat? Der Wunsch, ich kann es nicht bergen, liegt meinem Herzen sehr nahe, daß, indem wir uns verständigen, ein reiner Gewinn für Deutschland, oder warum nicht lieber gleich für das ganze Menschengeschlecht, durch die richtigere Beurtheilung und die darnach unausbleibliche Benutzung unserer Revolution erwachsen möge. Bliebe mir diese Aussicht mit einiger Wahrscheinlichkeit verbunden, so wollt' ich mir gern in der ersten Hitze des Argumentirens ein: Paule, du rasest! zu rufen lassen, und getrost erwarten, daß meine Gründe doch nachwirken müßten. Sehr traurig aber wäre die Gewißheit, die mir auf der andern Seite werden könnte, daß der Fehler an den Augen Ihrer Beobachter läge. Leider! spricht das Evangelium wohl von der Finsterniß, die daraus entsteht, wenn das Auge ein Schalk ist; aber wie diese Krankheit zu kuriren sey, davon wird nichts erwähnt, und es steht daher zu vermuthen, daß für diesen Fall sogar die in einer andern Stelle vorkommende kräftige Augensalbe, aus Speichel und Koth, nichts helfen würde.

Die Riesenschritte unserer öffentlichen Meinung werden, dünkt mich, dann erst merkwürdig, wenn man sich der Überzeugung nicht länger erwehren kann, daß sie auf den Umsturz des in unserm Zeitalter mehr als jemals herrschenden Geistes gerichtet sind. Dieser Richtung waren sich weder die ersten Urheber unserer Revolution, noch diejenigen, die seitdem als Hauptfiguren auftraten, deutlich bewußt; jetzt liegt sie indessen so klar am Tage, daß man kaum mehr an die Revolution Hand anlegen kann, ohne sie zur Absicht zu haben; und mir beweiset sie augenscheinlich die höhere Einwirkung, die bei den Schicksalen unserer Gattung mit im Spiele gedacht werden muß, wenn wir nicht auf dem Ocean der Teleologie den Kompaß verlieren, uns einem blinden Ungefähr gänzlich Preis geben, und zugleich alle Begriffe von Recht und Wahrheit, von Güte und Größe für bloße Hirngespinnste und Spiele der Einbildungskraft halten wollen. Ich will Ihre Neugier keinen Augenblick über die Natur und den Nahmen dieses Geistes schmachten lassen; es ist der allvermögende Egoismus, der bis zum Widersinn und zur Unvernunft gehegte und gepflegte Trieb der Selbsterhaltung, der um des Lebens willen vergessen macht, warum man lebt.

Mit jedem Tage wird das Anschauen klarer in meiner Seele daß ohne unsere Revolution vor jener immer gewaltiger um sich greifenden Selbstsucht keine Rettung mehr zu hoffen war. Die Beweise von ihrer Existenz und dem unbegränzten Umfange ihres Wirkens können Sie mir füglich erlassen; es bedarf nur eines prüfenden Blicks auf die Geschichte des Jahrhunderts, so steht sie da in ihrer Ungeheuersgröße, und rechtfertigt die Klagen aller unserer Moralisten über die Kleinheit ihrer Zeitgenossen. Das vervielfältigte Bedürfniß der Sinne und der Eitelkeit verschlingt die ganze physische und moralische Thatkraft des Menschen, und läßt der edleren Eigenliebe, die sich im Andren sucht und erkennt, keinen Raum. Wo fände man Gedankengröße, Schwung der Gefühle, begeisternden Schönheitssinn? wo Selbstverläugnung, Aufopferung, Unabhängigkeit des Geistes? Mit haben, gewinnen, besitzen, genießen, schließt der Ideenkreis eine Kette um den Menschen, die ihn an Staub und Erde fesselt . – Und nun das Mittel alle diese Todesbande zu lösen, jene lebendigmachende hingegen wieder anzuknüpfen? Es ist allerdings so heftig als der Zustand des Menschengeschlechts verzweifelt war; allein von seiner Wirksamkeit macht man sich keinen richtigen Begriff, bis man nicht alles in der Nähe gesehen hat. Wie die öffentliche Meinung den Umsturz der Autoritäten und Stände vorbereitet, wie sie durch denselben alles Ansehen der Person vernichtet habe, brauche ich Ihnen nicht zu erzählen; die letzte große Wirkung dieser Art hat sogar die gespannteste Erwartung überrascht, und eine Klasse, deren Vorurtheile sonst unheilbar scheinen, zur Selbsterkenntniß und Selbstverläugnung gebracht. Der sanfte Tod des Priesterthums und seiner Hierarchie in Frankreich ist der redendste Beweis von der Macht der öffentlichen Meinung. Man hat es gar nicht nöthig gehabt, durch ein Dekret die Pflege des Altars vom Staate zu trennen; der Aberglaube hatte so wenig Nahrung, daß er von selbst, wie ein verglommenes Licht, ausgegangen ist. Die Wunder des 17ten dieses Monaths werden noch katholische Heiden bekehren, und was die Reformation in Deutschland bisher nicht hatte bewirken können, das echte, anspruchlose Christenthum des Herzens und des Geistes, ohne alle Ceremonie, ohne alle Meisterschaft, ohne Dogmen und Gedächtnißkram, ohne Heilige und Legenden, ohne Schwärmerei und Intoleranz, als eine praktische Moralphilosophie mit den Palmen einer frohen Ahndung, wird anfangen aufzukeimen. – »Unglaube und Atheisterei!« hör' ich mir entgegenrufen. Auch diese Erscheinungen will ich nicht läugnen, da sie von der mangelhaften Einsicht und Beurtheilung, von der Gewalt der Umstände, und ich möchte fast hinzusetzen von der Erscheinung des Guten, unzertrennlich sind. Wo wächst das Unkraut üppiger, als auf gegrabenem Erdreich? Allein es hieße doch ein gar zu schlechtes Zutrauen zu der Wahrheit haben, wenn man befürchten sollte, daß sie allein sich selbst gelassen, unter dem Schilde der Freiheit nicht gedeihen könne.

Ich komme zur letzten und mächtigsten Wirkung der Revolution und der ihr inwohnenden Kraft der öffentlichen Meinung. Sie hat der Habsucht, der Gewinnsucht, dem Geitze, mit Einem Worte, der ärgsten Knechtschaft, zu welcher der Mensch hinabsinken konnte, der Abhängigkeit von leblosen Dingen, einen tödtlichen Streich versetzt. Die Finanzoperationen des National-Convents zweckten schrittweise dahin ab. Indem man den Wechsel- und Aktienhandel verbot, indem man eine Zwangsanleihe ansetzte, die den Kapitalisten und Rentirer traf; indem man alle Staatsschulden in ein Buch einschreiben ließ; indem man die Ausfuhr aller Waaren, die zu den Bedürfnissen des Lebens gerechnet werden, untersagte; indem man endlich die Handwerker requirirte, daß sie für den Staat arbeiten, und die junge Mannschaft des ganzen Landes, daß sie ihren Herd verlassen und die Gränzen decken sollte: lehrte man die ganze Nation Aufopferungen machen, die dem Eigenthum einen Theil seines eingebildeten übermäßigen Werthes benahmen. Die Vorstellung, die sich dem Gemüth des Bürgers allgemein vergegenwärtigte, daß die Noth Aller von jedem Einzelnen die Beisteuer seiner Habe, seiner Kräfte, seines Blutes sogar verlange, machte ihn gewissermaßen schon von allen diesen Gegenständen los. Die kriegführenden Mächte aber dürfte es befremden, daß nichts so kräftig zu dieser moralischen Emancipation beigetragen hat, als die Maßregeln, wodurch sie uns den meisten Abbruch zu thun glaubten. Der Verlust unsres auswärtigen Handels, die abgeschnittene Zufuhr von Lebensmitteln, die daraus erfolgte Brot- und Waaren-Taxirung und die strenge Bestrafung derer, die sich des Aufkaufs schuldig machen: was haben sie anders als Geringachtung des todten, unbrauchbaren und sogar gefährlichen Reichthums auf der einen, und Mäßigkeit, genauere Haushaltung, Einschränkung, Entsagungen aller Art auf der andren Seite, zuwege gebracht? Die Einfalt in den Sitten; die Verbannung alles Luxus, sogar der silbernen Löffel von den Tafeln; die auf das bloß Unentbehrliche und Unscheinbare zurückgeführte Kleidertracht; die enthusiastische Liebe zur Gleichheit, der jede Auszeichnung einen Verdacht einflößt; – alle diese durch den Drang der Umstände hervorgebrachten und von der öffentlichen Meinung geheiligten, stillschweigenden Übereinkünfte, haben vollends gegen Geld und Gut und Eigenthum aller Art einen Grad von Gleichgültigkeit erzeugt, der, ohne eine ausdrückliche Verordnung, die Menschen auch in Absicht der Glücksgüter für den Augenblick wenigstens näher rückt, und ihren Geist von den äußeren Dingen unabhängiger macht, als man es sich im Auslande vorstellen kann. Gewiß, den Reichthum unbrauchbar zu machen, war das bewährteste Mittel, ihn verachten zu lehren. Es ist beinahe buchstäblich wahr, daß Brot und Eisen noch unsre einzigen Bedürfnisse sind; und daraus folgt, wenn nicht die Weisheit aller Jahrhunderte trügt, daß wir so gut als unüberwindlich seyn müssen.

Was die öffentliche Meinung noch nicht erzwingen konnte, das ergänzt überall, wo es noch nöthig ist, die Revolutionsarmee: ein Corps, das in verschiedenen Theilen der Republik zusammenberufen wird, um den saumseligen, oder auch noch selbstsüchtigen Gutsbesitzer, den reichen Pächter, den in die Scheuren sammelnden Landmann zur Ablieferung seines Überflusses in die Stadtmagazine anzutreiben. Diese Armee, deren Detaschements von keiner großen Stärke sind, entlehnt im Grunde, wie ich ihnen schon gesagt habe, von der Entschiedenheit der öffentlichen Meinung ihren Nachdruck. Es scheint Menschen zu geben, die sich lieber die Täuschung des Zwanges machen, als freiwillig zu den Bedürfnissen ihrer Mitbürger beitragen wollen: eine Erscheinung, die bei der übergroßen Liebe zum Eigenthum nicht befremdend ist. Die moralische Wirkung bleibt indeß eben dieselbe, wenn sie gleich um etwas verspätet wird: man tröstet sich endlich, wenn man sieht, daß es dem Nachbar um nichts besser ergeht, daß man nothdürftig zu leben hat, und daß niemand des Überflusses froh werden kann. Was anfänglich Ergebung in die Nothwendigkeit ist, wird durch fortgesetztes Nachdenken endlich zur Anerkennung der Gesellschaftspflicht, der Billigkeit gegen den nothleidenden Mitbürger; und auf diese Weise wird endlich der härteste Boden weich genug, um die süßen Früchte der Humanität: Aufopferung, Mittheilung, Nächstenliebe und Vaterlandsliebe, zu tragen.

Die ersten Schritte sind jederzeit die schwersten: sie waren es auch in diesem Falle. Man hielt es beinahe für unmöglich, das Agiotage zu tödten; die Strenge der Gesetze und das allgemeine Gefühl der Nation, das sich gegen den Eigennutz der Kaufleute empörte, brachten gleichwohl die Assignate bald wieder in Kredit. Jetzt blieben aber noch die vorigen ungeheuren Preise; der Verkäufer gewann nur um so viel mehr. So entstand die Nothwendigkeit der Waaren-Taxirung. Das Gesetz war anfänglich unvollständig abgefaßt; man hatte weder dem großen noch dem kleinen Verkäufer einen billigen Gewinn ausgeworfen: und dennoch bewirkte die Allgewalt der Opinion, daß selbst in Paris keine vollkommene Stockung des Handels entstand. – Jede vorhergehende Maßregel verbreitete ein neues Licht über den Zustand der Nation; und je mehr sie sich über ihr eigenes Interesse unterrichtet, je mehr sie die Ideen simplificirt und in den gehörigen Zusammenhang bringt: desto leichter und schneller folgt sie der Impulsion, welche sie von ihrem Haupte, dem National-Convent, erhält. Jetzt, da der Begriff gehörig entwickelt ist, daß die Stärke der Republik in den Aufopferungen der einzelnen Bürger besteht, jetzt darf man alles von den Franken erwarten, was die Bedrängnisse und Bedürfnisse der Zeit noch verlangen können.

Die unermüdete und beispiellose Thätigkeit des National-Convents war Anfangs nothwendig, um diese Nationalkraft zu wecken und in Schwung zu bringen. Gegenwärtig bedarf er sie, um das Zutrauen der Nation, durch die zweckmäßige Anwendung der in ihm selbst unstreitig in hohem Grade vorhandenen Talente, Kenntnisse und Ressourcen aller Art beizubehalten. Es wäre wohl der Mühe werth, wenn auch nur flüchtig, doch in einigem Detail, die wissenschaftlichen Arbeiten des Convents durchzugehen, um das wichtige Resultat überzeugend darzustellen, daß die Entwickelung der Verstandeskräfte mit der Revolution Schritt gehalten hat, wenn auch die jetzige Versammlung mit der konstituirenden im Punkt des Genies und der geschmackvollen Talente sich nicht messen kann. Allein jene Arbeitsamkeit, jene Lichtmasse von Vernunft, jene nie sich verläugnende Energie im Augenblick der Gefahr, jenes vor Aller Augen aufgesteckte Beispiel der Selbstverläugnung – erhoben sie nicht auch den National-Convent auf eine Höhe der Unumschränktheit, wo sie nur die öffentliche Meinung erhalten kann? Ohne Auszeichnung, ohne irgend etwas Äußeres, das die Sinne besticht, ohne Vorzug, und selbst ohne Autorität außer ihrem Versammlungssaale, ohne prätorianische Wache, endlich noch des Vorrechts der Unverletzbarkeit beraubt, herrschen die Repräsentanten des Volkes durch die öffentliche Meinung ohne Widerrede über vier und zwanzig Millionen Menschen. Nie befolgte man ihre Dekrete mit unbedingterem Gehorsam, nie war der Nahme des National-Convents so die allgemeine Losung des Beifalls, des Zutrauens und des republikanischen Stolzes.

4

Paris, den 1sten des Eismonds, (Frimaire) 2.

Ich kann es mir nicht versagen, m. Fr., Ihnen in diesen langen Winterabenden eine Gespenstergeschichte zu erzählen. Hören Sie mir einige Augenblicke zu. Einer von meinen Jugendfreunden, der in H... studierte, reiste auf dem Postwagen nach Berlin, und war, wie es bei dem langweiligen Fuhrwerk und im Sande leicht möglich ist, sanft eingeschlafen. Als er wieder erwachte, war es finstre Nacht; allein er sah ganz deutlich eine lange Riesengestalt neben dem Wagen hergehen. Sie war durchaus leuchtend, und verbreitete einen matten Schein um sich her. Von Zeit zu Zeit schien sie sich in andre Formen zu verwandeln; bald schwebte sie einige Schritte weit voran, bald trat sie drohend näher, als wollte sie einsteigen und neben den Passagieren Platz nehmen. Mein Freund – er war ein Mediciner – wußte nicht, was er von der Sache denken sollte. Die Herren von der Fakultät pflegen sich bekanntermaßen an die handgreifliche, sichtbare Natur zu halten und vor dem Reiche der Geister keinen Respekt zu haben; in den anatomischen Heften seines Professors stand auch keine Sylbe von dem zarten Lichtkörper, Evestrum genannt, der nach dem Tode übrig bleibt und des immateriellen Geistes Hülle werden kann, wie davon weiland Herr Crusius, ingleichen mancher hochwürdige Schüler des erleuchteten Rosicrucius, des Breitern nachzulesen sind. Inzwischen machte ihn die Erscheinung doch ein wenig irre; er rieb sich etlichemal die Augen, und sah nur immer deutlicher und gewisser den furchtbaren Schatten einherschreiten, der vielleicht gar um seines Unglaubens willen nichts Gutes mit ihm im Sinne hatte. Dieser Gedanke that Wunder: der junge Mann hatte Muth, und faßte auf der Stelle den Entschluß, dem Feinde zuvorzukommen; oder – daß ich seiner Vernunft nicht Unrecht thue – er schämte sich der ersten Anwandlung eines unphilosophischen Zweifels, und wollte durch ein entscheidendes Experiment das Gespenst auf die Probe stellen und sich selbst bestrafen. Im Augenblick war sein Degen, den er zwischen den Füßen hielt, aus der Scheide; und als der leuchtende Bewohner der Unterwelt wieder in den Wagen guckte, führte unser Held einen mächtigen Hieb, der ohne Widerstand mitten durch den Lichtkörper, wie Diomedes Schwert durch einen Olympier, oder Bonnets Scheere durch einen Polypen, fuhr, und außer einem leisen Knistern weiter keine Wirkung nach sich zog. Trotziger als je, wandelte der schaurige Drache neben dem Wagen; und wer weiß, wohin es mit dem Unglauben meines neuen Celsus gekommen wäre, hätte er nicht von ungefähr einen Lichtfunken an seiner Klinge kleben sehen. Er griff zu – und siehe da! es war ein Johanniswürmchen, ein kleiner Leuchtkäfer, einer aus einem gedrängten Schwärm von vielen Myriaden, die in einer schwülen Nacht, wie Mücken an der Abendsonne, ihr luftiges Wesen trieben. –

»So endigen sich die Mährchen alle!« werden Sie sagen, und ein wenig schmollen, daß ich nichts Besseres zu erzählen wußte. Haben Sie noch immer freundliche Nachsicht, und hören Sie auch den Kommentar oder die Nutzanwendung; denn, frei gestanden, bloß um dieser willen steht das Geschichtchen da. Ich möchte Sie nehmlich gern bestechen, mich noch einmal über den Gegenstand anzuhören, von dem ich Ihnen bereits so manches vorgeplaudert habe; Ihrem Verlangen nach Details und Thatsachen möcht' ich noch eine kleine Frist abgewinnen. Was hätten Sie auch davon, mein Gespenst so frühzeitig niederzusäbeln und sich und Andern die Illusion zu stören? Zu der Mikrologie, die sich mit den einzelnen Käferchen beschäftigt, bleibt es immer noch Zeit genug. Erst lassen Sie uns die Gattung als ein Ganzes betrachten; wahrhaftig, ein Ganzes, das dem Philosophen sein Concept verrückt, und wären seine Elemente nur Ameisen, verdiente doch schon als solches einige Aufmerksamkeit. Nun aber gar dieses, wovon ich Sie bisher unterhielt, das nicht bloß von einem gemeinschaftlichen Geiste getrieben wird, sondern sich desselben auch bewußt ist! Ändert das nichts an der Sache? Ist die Erscheinung, die ich vor Ihnen heraufgezaubert habe, nur noch ein bloßes Ding der Einbildungskraft, nur ein Insektenschwarm, dem die Furcht oder der Aberglaube Einheit und Seele verleiht? Gewiß, m. Fr., Sie können es nicht in Abrede seyn, daß der Geist der bürgerlichen Gesellschaft ein wahrer Geist genannt zu werden verdient; denn er ist ja der Vereinigungspunkt aller der Intelligenzen, aus denen die Gesellschaft besteht.

Was von der Gesellschaft im ruhigen Zustand gilt, das gilt auch noch von der Revolution; sie hat ihren eigenthümlichen, sich bewußten Geist, und ich halte es, Scher bei Seite mit ihrer Beobachtung im Ganzen und Großen. Bewußtseyn ist unsere erste und letzte Kunst, worin wir täglich Fortschritte machen können, ohne sie vollständig zu erlernen, oder ganz zu erschöpfen. Auch der gährende Staat scheint nur allmählig zur Erkenntniß seiner Kräfte, und später noch, seiner Bestimmung, zu gelangen; allein am Thermometer der öffentlichen Meinung glaub' ich wahrzunehmen, daß dieses moralische Rückwirken auf sich selbst, bei dem unsrigen bereits einen kleinen Anfang genommen hat. Alles in der Natur ist verwebt und verbunden, und der Einfluß der Staaten auf einander gehört zu den Wirkungen, die auch gröberen Sinnen bemerkbar sind. Es gab einen Augenblick in unserer Revolution, wo das Bewußtseyn dieser auswärtigen Verhältnisse sich ungefähr auf eben die Art wie bei Kindern äußerte, die alles was sie gewahr werden, entweder in den Mund stecken, oder zerzausen wollen. Die Wehrlosigkeit unserer Nachbaren machte das Spiel für sie gefährlich; und wenn mir irgend etwas ihre künftige Ruhe bei unserer fortdauernden Gährung verspricht, so ist es das Außerordentliche im Gange der Begebenheiten, welches sie, beinahe gänzlich ohne ihr Zuthun, gerettet hat.

Durch diese Rettung hat unsere Selbsterkenntniß einen großen Schritt vorwärts gethan. Sie ist freilich noch nicht auf dem Punkte, wo ich sie wünsche; noch ist zu viel Muthwille, und ein gewisser jugendlicher Übermuth in dem Gefühl unserer Kräfte; noch ist die Überzeugung, daß zwar Einer für den Andern, aber nicht Alle für Einen vorhanden sind, in der Anwendung auf das Verhältniß der Staaten, nicht allgemein. Indeß bringen uns die Ereignisse eines jeden Tages dieser Reife näher, und was sie jetzt noch zu verzögern scheint, sind vielleicht eben so unrichtige Vorstellungen von einer andern Seite, die mit unausführbaren Projekten in Verbindung stehen. Dahin rechne ich, zum Beispiel, die Wiederherstellung der alten monarchischen Regierungsform, oder auch die Usurpation eines Protektors, oder desgleichen.

Mein Leuchtkäfergespenst muß mir hier gleich noch einmal Dienste leisten. Die merkwürdige Erscheinung unserer Revolution hat mit ihm auch diese Ähnlichkeit, daß ihre einzelnen Bestandtheile beinahe völlig gleichartig sind, und sich vor einander weder durch disproportionirliche Größe, noch anderweite Überlegenheit auszeichnen. Die Menschen, mit andern Worten, die man in unserer Revolution vorzüglich wirken sieht, ragen nicht wie Halbgötter in ihrer Kraft über ihre Mitbürger hervor, und unter ihnen wird man keinen gewahr, vor dessen höherem Genius die Seelen der Andern sich neigten. Man möchte daher zweifeln, ob die Revolution mehr für die Menschen, als die Menschen für die Revolution gemacht sind? Beides trifft vermuthlich zusammen. Das Princip der Gleichheit hätte nicht leicht ein so entschiedenes Übergewicht erhalten, wenn eine auffallende, anerkannte Ungleichheit unter den Menschen ihm entgegengewirkt hätte; und gerade solche homogene Menschen kommen hernach mit diesem Princip am weitsten.

Es ist wahr, in Revolutionszeiten wird den Principien öfters durch willkührliche Ausdehnung Gewalt angethan; auch bei uns hat man – wiewohl ich hier eine fremde Einwirkung in Verdacht habe – unter dem Vorwande der Gleichheit vom Ackergesetz gesprochen, alles Eigenthum aufheben, durch Herabwürdigung aller Geistesvorzüge eine wilde Barbarei herbeiführen, und ihre natürliche Folge, das Recht des Stärkern, wogegen wir eben kämpfen, wieder geltend machen wollen. Der Umweg mochte so übel nicht ausgedacht seyn; indessen gährten diese Excentricitäten hier und dort nur einen Augenblick: im nächsten vertilgte sie der allgemeine Umschwung der Revolutionskräfte, und stellte die Vernunft siegreich wieder her. Sie mußte wohl in allen Gemüthern schon rege und über gewisse Hauptwahrheiten ins Reine seyn, um so, wie es jetzt geschieht, gleich bei ihrer Erscheinung die Huldigung des ganzen Volkes zu erhalten!

Aus dieser Anregung der Verstandeskräfte, die wir der demokratischen Regierungsform verdanken, und aus der vorhin erwähnten Gleichartigkeit der jetzigen Generation folgt mit der höchsten Wahrscheinlichkeit die Sicherheit und Dauer der Republik. Die Grundsätze der republikanischen Freiheit haben bei uns überall desto tiefere Wurzel geschlagen, je mehr sie simplificirt worden sind, und sich daher von jeder Fassungskraft aneignen lassen. In Frankreich wachen wenigstens fünfmalhunderttausend Menschen über die Gesinnungen eines jeden Bürgers und die Anmaßungen eines jeden öffentlichen Beamten. Wer wäre jetzt so kühn, sein Haupt über die Menge zu heben? Wer wagte es, auch nur Demuth zu heucheln und es tiefer als die Anderen zu beugen?

Die übrigen Wirkungen des Revolutionsgeistes kommen noch hinzu, um den Raub der obersten Gewalt so gut als unmöglich zu machen. Alle Oberherrschaft hat man nicht bloß hassen, sondern auch verachten gelernt; alle Götzen liegen im Staube; alle Vorurtheile sind zertrümmert; der Reichthum hat seine Reitze, die Bestechung ihre Kraft verloren; die öffentliche Meinung verurtheilt, noch schneller als das Revolutionstribunal, jeden Volksverräther; vor beiden gilt, wie unzählige Beispiele lehren, kein Ansehen der Person, und die freiwillige Aufopferung ist an der Tagesordnung. Hundert Dolche würden den neuen Cromwell durchbohren, eh' er als Protektor geschlafen, – was sage ich? – eh' er sich selbst noch recht seinen Ehrgeitz gestanden hätte!

»Es daure die Republik, und unser Nahme mag vergehen!« Dies ist die oft wiederholte Losung unserer Volksvertreter. In Dantons Munde lautete sie einst noch schwärmerischer: que la patrie soit sauvée, et que mon nom soit flétri! Man lacht und spottet in Deutschland über diese Rednerfloskeln, diese Deklamationen, dieses Wortgepränge, wie man es nennt, hinter dem sich oft ein fühlloses Herz und ein schaler Kopf verbirgt. Ich gebe Ihnen willig zu, daß die Übertreibung in Worten, daß eine gewisse hohle Begeisterung im Sprechen, daß der Kitzel, sich peroriren zu hören, zum Französischen Nationalcharakter gerechnet werden müsse, und ich streite Ihnen keine einzige der üblen Folgen ab, die tausendfältig aus dieser geräuschvollen, geschwätzigen Lebhaftigkeit und Reitzbarkeit erwachsen. Wenn ich aber auch noch obendrein gestehen sollte, daß bei uns der Weg zum Herzen mehrentheils durch den Kopf geht, (eine vollgültige Ursache, warum fast alles bei uns auf dem halben Wege dahin stecken bleibt): so fordere ich desto zuversichtlicher von Ihnen die Anerkennung der davon unzertrennlichen Wahrheit, daß der Kopf eines Franzosen außerordentlich thätig, für Ideen empfänglich und mit ihrer Verarbeitung sehr beschäftigt ist. Bisher waren es, leider! Frivolitäten, womit unsere Landsleute, zur großen Zufriedenheit ihrer Herren, ihr Possenspiel trieben; es tanzte und pfiff beständig im Hirn eines Franzosen, wie in seinen äußern Organen. Jetzt kamen aber ernsthafte wichtige Vernunftwahrheiten in Umlauf; die Umstände gaben ihnen Nachdruck und Interesse; uns ging so manches neue Licht auf; wir nahmen das neue Thema und die neuen Ideen begierig hin, und fingen an, rascher als je unserer Einbildungs- und Denkkraft auf diesem Felde freien Lauf zu lassen. O mein Freund, huldigen Sie mit mir der Wahrheit; bekennen Sie, daß nichts so kräftig auf den Willen wirkt, als die einmal erkannte Wahrheit. Jenes video meliora, proboque; deteriora sequor, ist in der That nur die Entschuldigung eines Schwachkopfs; denn was der Verstand stark und fest ergriffen hat, dem muß das Herz folgen. Hier trete nun die Erfahrung auf, und gebe Zeugniß. Haben wir seit dem Anfange der Revolution bloß geschwatzt, oder nicht auch gethan?

Ich begegne dem Einwurf, »ob denn die Sprecher auch immer die Handelnden waren?« In einzelnen Fällen mag es sich so zusammengefunden haben; allein im Ganzen, wenn beides getrennt war, so thut es nichts zur Sache. Ist die Wirkung für die Revolution, für die Republik, nicht dieselbe? Daß man es noch immer nicht begreifen kann oder nicht begreifen will, wie unabhängig bei uns das Ganze vom Einzelnen ist! Ihre Politiker, Ihre Philosophen suchen immer noch die Republik und die Revolution in diesem oder jenem Kopfe. Lassen Sie sich diese Grille vertreiben; sie ist bei uns de l'ancien régime und völlig aus der Mode. Befragen Sie einmal einen unserer Republikaner, ob das Heil seiner Republik an Robespierre'ns, an Dantons, an Pache'ns, Heberts, oder irgend eines andern Patrioten Leben hängt? Er wird ihnen antworten, daß er von keines Menschen Nahmen etwas weiß, wo von dem Volk und Staat die Rede ist. So verschwinden die einzelnen Käferchen vor dem Auge des Beobachters; ihr Licht gilt nur in der Masse, wo es sich mit 24 Millionen multiplicirt. Was liegt uns daran, ob dieser nur sprechen, jener nur handeln kann? Wenn dort die Vernunft hier den Arm in Bewegung setzt, so ist der Endzweck des Staats erfüllt.

»Wird aber der Arm solchergestalt nicht öfter den Privatleidenschaften, als dem gemeinen Besten dienen?« – Mir ist bei dieser und ähnlichen Fragen immer so zu Muthe, als fragte man, ob die Franzosen wirklich auch lauter Engel sind. In der That, das sind sie so wenig, als lauter Teufel. Die große Aufgabe der Staatskunst ist die gehörige Einschränkung der Leidenschaften und ihre Unterwerfung unter das Gesetz der Vernunft. Jeder einzelne Mensch reift zuerst zur physischen Vollkommenheit, zur Erfüllung des Zweckes seines physischen Lebens, und spät entwickeln sich in ihm die Früchte des Nachdenkens und der Erfahrung. Der Bürger soll daher von seiner Verbindung mit seines Gleichen über den bloßen Naturmenschen den Vortheil genießen, daß eine Macht, die mit seinen Trieben nichts zu schaffen hat, eine Macht, deren einzige Grundkräfte Vernunft und Gerechtigkeit sind, für die Entwikkelung seiner sittlichen Anlagen sorgt, und sie mit der physischen Bildung Schritt halten läßt. Wem der Staat etwas anderes ist, als diese für die sittliche Vervollkommnung waltende Macht, der darf mich nicht nach der Tugend und Sittlichkeit meiner Landsleute fragen; wer hingegen mit mir hierüber einverstanden ist, wird der von dem ersten Ringen eines Volkes, das seine Vernunft frei haben will, um sich jene zur sittlichen Vervollkommnung führende Verfassung zu schaffen, schon die Wirkung verlangen, die erst die Frucht einer solchen Verfassung seyn kann?

Allerdings mußten heftige Leidenschaften bei der Revolution mit einander in Kampf gerathen, und ihrem Zwecke bald günstig, bald hinderlich seyn. Wenn man aber fragt, ob je die Revolution lediglich den Leidenschaften dieses oder jenes Ehrgeitzigen, dieser oder jener Parthei gefröhnt habe oder noch fröhnen werde? so muß ich nach der Geringfügigkeit und Gleichheit der einzelnen Personen im Verhältniß zur Größe des Staats, nach der Kleinigkeit ihrer Leidenschaften selbst, nach der redlichen Vaterlandsliebe, die wenigstens eine große Menge der Einwohner Frankreichs beseelt, nach der Richtung der Revolution und dem Gange, den sie nun einmal genommen hat, nach der allgemeinen Aufklärung des Jahrhunderts, und den in unsrer Volksmasse verbreiteten geläuterten Grundbegriffen, kurz, nach der Vernunft, die von der öffentlichen Meinung, wenn nicht immer rein empfangen, doch immer rein verlangt wird – nach diesem allen muß ich schließen, daß alle die feindseligen Leidenschaften, die bei dem Umsturze verjährter Zwangsformen legionenweis hervorbrechen, sich beständig in Tugend und Weisheit so tief verhüllen müssen, daß die Verkleidung ihnen das Gehen erschwert, und ihre Befriedigung dem großen Zwecke der Revolution stets untergeordnet bleibt.

Ich will hier nur das auffallendste Beispiel, den vollkommenen Sieg der Bergparthei, erwähnen. Wenn sie in diesem Augenblicke das Ruder führen, bringt nicht jeder Tag die Überzeugung unläugbarer mit sich, daß sie es als Diener, nicht als Gebieter des Staates thun? Der Geist der Revolution, den sie selbst heraufgerufen haben, erzwingt von ihnen Tugenden und Opfer, woran einige von ihnen vielleicht bei dem Eintritt in diese Laufbahn nicht gedacht haben mögen. Sie regieren; aber sie stehen unter der wachsamsten Aufsicht, und die heiligste Verwaltung des Volksinteresse ganz allein kann ihnen die Stütze der öffentlichen Meinung sichern. Sie haben ihre Rache befriedigt; aber der Staat ist einer tödtlichen Spaltung entgangen. Sie wenden Tausende von Millionen für Staatsbedürfnisse auf; aber sie haben den Reichthum verächtlich gemacht, und müssen Muster der Selbstverläugnung und der republikanischen Sitteneinfalt seyn. Wenn sie, wie es dem Menschen so natürlich ist, ihren Zweck vor seiner Erreichung für ganz etwas anderes hielten, als die Erfahrung hernach es auswies; so müssen sie jetzt inne werden, daß die kleinste Anmaßung den Strom der öffentlichen Meinung gegen sie richtet und ihnen selbst das Schicksal ihrer Gegner bereitet. – Wer zieht nun von ihrem Ehrgeitze den Gewinn?

Leicht könnten also die ehernen Gesetze der Zeit und Nothwendigkeit jenen vorhin erwähnten Ausruf, bei dem man sich etwa nur dachte: es ist doch schön und groß gesagt! zum Princip der Handlungen derer machen, die ihn zuerst auf der Rednerbühne erschallen ließen. Sobald wir aber erkennen müssen, daß die Vorsehung durch die Revolution ganz andre Zwecke, als die Befriedigung der Leidenschaften einer Handvoll Ehrgeitziger, erreichen will, – und dies ist augenscheinlich, indem die Revolution von diesen einzelnen Personen unabhängig ist –: so bald gewinnt auch diese große, und in mancher Rücksicht beispiellose Begebenheit in ihren allgemeinen Verhältnissen eine so überwiegende Wichtigkeit, und ihr Totaleindruck wird so kolossalisch, daß ich mich nie genug wundern kann, wenn Menschen mit gesunden Augen nach dem Vergrößerungsglase greifen, um in der Atmosphäre dieses Kometen Sonnenstäubchen tanzen zu sehen.

»Wer ist nun aber dieser Geist des stürmenden Frankreichs? Ists am Ende ein guter Geist oder ein feindseliger Dämon? ein Meteor, das blendend durch die Lüfte fährt, zerplatzt und keine Spur seines Daseyns hinterläßt, oder ein kräftiger Hauch des Lebens, der in den Abgrund der Zeiten hinabsteigt und die kommenden Generationen zu einer noch nie gekannten Entwickelung vorbereitet?« – O, mein Lieber! wie kann ich Ihnen antworten? Fragen Sie Ihre Weisen und Schriftgelehrten, ob jenes halsstarrige Volk, das wüthend über sich und seine Kinder das Blut des Gerechten herabrief, nicht vor den Augen des Menschengeschlechts, ein Denkmahl seiner Verblendung, unheilbar durch Jahrtausende, in der Welt hat umherirren müssen! Und alsdann fragen Sie Ihr Herz: was wird das Loos eines Volkes seyn, das allen Gräueln der innerlichen Zerrüttung und allen Schwertern Europens muthig entgegenkämpft, und bei jedem neuen Kummer, voll der edelsten Selbstverläugnung, aus allen Städten und Dörfern, in den rührenden Trostgedanken ausbricht: »es kommt unsren Kindern und Kindeskindern zu Gute!« – Doch ich will Ihnen sagen, was ich sehe. Ein helles Licht spielt um seine Locken; vom Blute der Erschlagenen trieft sein Schwert. Zürnend, wie der Fernetreffer Apoll, blickt er über seines Landes Gränzen, und ich vernehme deutlich die Donnerworte: discite justitiam moniti!

5

Paris, im Eismond, 2.

Es gab eine Zeit, wo man sich in Deutschland mit einer Art von Siegwarts-Empfindsamkeit über die Harmlosigkeit unsrer Revolution hoch erfreute; alles schien so gelassen, so friedlich abzulaufen, daß man Frankreich für das glückliche Schlaraffenland hielt, wo einem die – Freiheit? von selbst in den Wurf käme. Ein Paar Köpfe, auf Piken gespießt, ließ man uns hingehen; ja, man verzieh uns sogar die Aufknüpfung des armen Schluckers Favras, wodurch einer vornehmeren Kehle geschont wurde. Als nun gar unsre Verfassung von 1791 zu Stande kam: wer hätte da noch an der Wiederkehr des goldenen Zeitalters gezweifelt? Diese utopischen Träume mußten bei der Wendung, die hernach die Sachen nahmen, eine höchst nachtheilige Wirkung thun; man ließ es uns entgelten, daß man sich in seinen Hoffnungen so verrechnet hatte. Als am 10ten August die Absetzung des Königs Blut kostete, da kündigten uns Eure Revolutionsfreunde schon Hut und Weide auf; und bald hernach verglichen sie unsre unseligen Septembernächte mit Karls des Neunten und seiner Mutter Bartholomäusnacht. Seitdem ist es so revolutionsgemäß bei uns hergegangen, daß man von dem ersten Vorurtheil endlich zurückgekommen ist. Man hat Zeit gehabt, die Geschichte andrer Revolutionen mit der unsrigen zu vergleichen. Ihre Würgengel mögen sich unter einander um den Vorrang streiten; und da unsre Rechnung vielleicht nicht so bald abgeschlossen werden kann, so müssen jetzt die Revolutionen überhaupt, und ohne Rücksicht auf ihren Zweck, vorläufig ihr Verdammungsurtheil empfangen. – O über die Kinder, die sich die Nase an einer Stuhlecke stoßen, und den Stuhl dafür peitschen! – O über die Klügler, die, wenn das Gewitter, das die Saaten erquickte, zugleich Dörfer in Brand steckt, Menschen und Heerden erschlägt, nicht wissen, ob sie es Wohlthat oder Plage nennen sollen!

Den Weibern, deren gutmüthige Schwärmerei so gern eine Unschuldswelt hervor zaubern möchte, ist es zu verzeihen, wenn sie über den Punkt das All vergessen. Sie sind gewohnt, das Schauspiel der Weltbegebenheiten nur in dem Einen Gegenstande, der ihr Herz erfüllt, zu erblicken; und alles um sie her ist Nacht, wenn dieser Spiegel zerbricht. »Die Guillotine«, sagte mir neulich eine Pariserin, »wird noch alle Regungen der Menschlichkeit ersticken. Selbst meine Kinder sprechen schon davon in ihren Spielen und die Straßenjungen haben längst manche Katze guillotinirt; ja, es heißt sogar, daß sie in einem gewissen Städtchen das Experiment an einem aus ihrer Mitte hätten probiren wollen.« – Mir machten diese Beispiele von angeblicher Verwilderung um so weniger bange, da ich wußte, daß diesmal einige der neuesten Auftritte die gute Frau außer Fassung gebracht hatten. Am wenigsten durfte sie für ihre eigenen Kinder besorgt seyn, bei denen man den glücklichsten Übergang kindlicher Triebe in das zarte sittliche Gefühl unmöglich verkennen konnte. Warum sollte auch Fühllosigkeit gerade das Hauptresultat einer Revolution seyn, worin so manche Triebfedern wirken? Wer hält die Engländer darum für fühlloser als andre Menschen, weil man in London wöchentlich ganze Galgen voll Diebe, Räuber und Mörder aufhängen sieht? Wahr indessen oder nicht; jene Besorgniß verräth immer ein schönes Gefühl, und der echte Bürger, der Mensch im größten Sinne des Worts, leidet tief bei der traurigen Erfahrung daß ohne ganze Ströme Bluts die Vortheile der Revolution deren die Welt so nothwendig bedarf, ihr nicht zu Gute gekommen wären. Ja es trifft sich zuweilen, (und dies ist unstreitig das Niederschlagendste von Allem) daß der Verbrecher im politischen Sinn, als Mensch, als Hausvater und Freund, von Hunderten die ihn kannten, betrauert wird. Bei Ihnen dürfte mancher auch noch fragen: ist denn das politische Verbrechen allemal so ausgemacht? Eigentlich sind wir zur Beantwortung dieser Frage noch nicht hinlänglich unterrichtet. Welcher Dritte kann jetzt noch darüber urtheilen, ob die Systeme und Regierungsplane der einen oder der andern Parthei den Vorzug verdienten? Allein, so bald es zwischen ihnen so weit gekommen war, daß keine Aussöhnung mehr möglich blieb und es einen Kampf auf Tod und Leben galt; so konnte nur der Ausgang über die Straffälligkeit entscheiden und die siegende Parthei fand ihre Rettung einzig und allein in der Vertilgung der andern. Was die Leidenschaften hier unter dem Mantel der unerbittlichen Nothwendigkeit gewirkt haben mögen, wird der Vergeltung nicht entgehen, wenn es auch eben kein Thurm von Siloah wäre, der über den Schuldigen zusammenstürzte; aber die Moralität jener blutigen Rache gehört wenigstens für jetzt vor keinen menschlichen Richterstuhl.

Es ziemt uns, wenn wir kaltblütig forschen wollen, die Ursachen nicht zu übersehen, die allem Thun der Menschen so viel Unwillkührliches beimischen, daß das Wenigste zuletzt, sey es lobens- oder tadelnswerth, ihnen eigen gehört. Die gewaltsamsten Erscheinungen unserer Revolution entsprangen aus dem Widerstand und Aneinanderreihen der Kräfte. Die konstituirende Nationalversammlung wurde durch kleine Hindernisse gereitzt, die ihr der Blödsinn in den Weg legte; und täglich gewann sie dadurch ein vollkommneres Bewußtseyn ihrer Überlegenheit. In der zweiten ward die Reibung stärker: der Hof strebte nach seiner alten Macht; die Minorität gönnte ihm auch die nicht, die er vermöge der neuen Verfassung hatte, und in dieser Minorität lag eine andere noch ungeborne, die auf kürzerem aber halsbrechendem Wege, per saxa, per ignes, zur Republik gelangen wollte. Dessen ungeachtet blieben die furchtbarsten Krämpfe noch für die jetzige Versammlung aufbewahrt. In den Waffenkreis der auswärtigen Mächte gebannt, stürmten die los gebundenen Leidenschaften durch einander, und die Wuth der Partheien entbrannte in lichten Flammen. Unstreitig hat der gewaltsame Druck, womit man unsere Gährung dämpfen wollte, die Hitze auf den höchsten Punkt gebracht, und die heftigsten Anstrengungen in uns hervorgerufen.

Jetzt haben wir indessen unter einander ausgekämpft; alles kommt gegenwärtig darauf an, jenen zusammendrückenden, ehernen Kreis zu zersprengen. Wie mag es aber gekommen seyn, daß Europa so gegen uns sein ganzes Spiel auf Eine Karte setzt? Wer hat die Elasticität des gährenden Stoffes so genau berechnet, daß man von seiner Kraft nichts zu befürchten haben sollte? Wer kennt den Grad der Verstärkung, den unsere Gährung durch die von außen hinein gemischten Mittel noch erhalten kann? Wenn die Bombe zerplatzt, wird sie nicht alles umher zertrümmern? Ist überhaupt ein überlegter, ruhiger, fester Gang der Vernunft in diesem Plane zu suchen, oder ist es überall Leidenschaft gegen Leidenschaft, und Würfel gegen Würfel? Führen Könige und Republikaner nur Krieg mit einander, oder schlägt ein Gott die Menschengattung in Scherben, um sie im Tiegel neu umzugießen? –

Ich kann nicht glauben, daß vorsetzliche Verblendung so weit gehen könne, das Schauspiel der Revolution, das nun ins fünfte Jahr fortdauert, und die Resultate desselben, die so klar vor Augen liegen, gänzlich verkennen und für etwas anderes als sie sind, halten zu wollen. Wahrscheinlich glaubt man daher, auf die Verderbtheit der menschlichen Natur sicher und zuverlässig Rechnung machen zu dürfen; wahrscheinlich hofft man mehr vom Spiel der zügellosen Leidenschaften, als noch am Tage ist, und lächelt meiner zu frühzeitigen Behauptung: wir hätten untereinander ausgekämpft. Ich mag nicht rügen, welch eine gräßliche Verläugnung aller Gefühle von Menschlichkeit, und aller in der Politik jetzt mehr als jemals zum Vorwand und zur Larve gebrauchten Grundsätze der Sittlichkeit, aus jener eigennützigen Berechnung unserer Untugend hervorleuchtet. Jeder Rechtschaffene schaudert vor dem Gedanken, daß jemand auf eine solche Hoffnung Plane gründen und den Umsturz eines politischen Systems durch die teuflischste Verrätherei an der Menschheit bereiten könne. Allein den schlimmsten Fall vorausgesetzt, und also einmal angenommen, daß die Zerstörung, nicht etwa der Republik, sondern des in der Wage von Europa so mächtigen Französischen Staatskörpers überhaupt, wirklich bei dem ersten Ausbruch der Revolution, von den beiden Mächten, denen am meisten daran gelegen war, von Östreich und England, insgeheim beschlossen, die Ausführung dieser tiefen politischen Verschwörung systematisch entworfen, und dergestalt eingefädelt worden sei, daß jede neue Entwickelung der Revolutionskräfte dabei benutzt werden konnte, und die Absichten der beiden Verbündeten ihrer Reife nur um so viel näher brachte –: so müßte doch der Erfolg, im Ganzen genommen, jetzt gegen die Erfüllung ihrer noch so kühnen, noch so fein gesponnenen Entwürfe einen leisen Zweifel bei ihnen selbst aufsteigen lassen; so müßte doch der schnelle Umschwung des Revolutionsrades bei ihnen die Hoffnung schwächen, es noch nach ihrer Willkühr gegen den Felsen, an welchem es zerschellen sollte, richten zu können. Wenn es buchstäblich wahr wäre, wessen sich die redseligen Emigrirten so ungescheut rühmen, daß nehmlich alle die heftigen Krämpfe unserer Gährung nur Minen sind, die Östreichs, Englands und ihrer eigenen Brüderschaft Agenten springen lassen; daß fremdes Gold uns die Kriegserklärungen entlockt, fremdes Gold sodann Ludwigs Enthauptung bewirkt habe, um die Parthei der Kriegserklärer selbst zu stürzen; fremdes Gold endlich noch jetzt wirksam sei, um neue Spaltungen im National-Convent zu Stande zu bringen, und die Häupter der Revolution durch einander aufzureiben; wenn es wahr wäre, daß nach allen wachsamen Vorkehrungen und Verhaftnehmungen, noch zehntausend Emigrirte, Englische und Kaiserliche Emissarien in Paris unter mancherlei Verlarvungen das große Geheimniß der Bosheit gar kochen , hier Anklagen schmieden, dort Armeen desorganisiren, am dritten Orte Plünderungen veranstalten, in den Volksgesellschaften und selbst in der Commüne von Paris übertriebene Maßregeln erzwingen oder erschleichen, gegen unsere wenigen noch übrig gebliebenen Alliirten beinahe offenbare Feindseligkeiten verüben lassen, die Übergabe unserer Festungen erhandeln, und, mit einem Worte, die Beweglichkeit der Volksregierung und die geringe Einsicht des großen Haufens mißbrauchen, um alles durch einander zu peitschen, und das oberste zu unterst zu kehren: wie ist man nicht hellsehend genug, um die wenigen Vortheile, die man durch diesen Macchiavelismus etwa wirklich errungen hat, mit dem riesenmäßigen Fortschritte der Revolution, der dadurch selbst befördert werden mußte, zu vergleichen? Was ist in Zeit von einem Jahr, oder seit der Stiftung der Republik, gegen uns geschehen? Man hat uns einige Festungen durch Einverständniß mit den Besatzungen, und Eine durch Hunger abgewonnen; man hat einige Tausend Menschen ins Gefängniß werfen, etliche Hundert enthaupten, und ein paarmal hunderttausend im Kriege – Sie sehen, ich nehme die auswärtigen Zeitungen hier zu Hülfe – in Stücken hauen, und in der Gefangenschaft verschmachten lassen; man hat uns gezwungen, vielen Bequemlichkeiten zu entsagen; man hat die Sicherheit jedes einzelnen Bürgers durch das herrschend gewordene Mißtrauen und die Vervielfältigung der Verräthereien untergraben. Sehr wahr! und sehr wenig, oder gar nichts, wenn man dagegen nur einen Augenblick erwägen wollte, daß man, um diese Wirkungen hervorzubringen, den Geist der Revolution erst recht hat entflammen müssen, und daß sein verzehrendes Feuer jetzt ohne Ansehen der Person alles einschmelzt, was ihm vorkommt, ja, trotz den noch ferner angelegten und von Zeit zu Zeit springenden Minen, schneller über die Gränze zu gehen droht, als irgend eine kleine Explosion im Innern den Gang unserer bürgerlichen und politischen Einrichtungen hemmen kann.

Elend wäre der Kunstgriff und noch elender die Hoffnung derer, die, um Frankreich zu zerrütten und zu zerstückeln, den Koloß der öffentlichen Meinung aufrichten geholfen hätten. Ich will das Unmögliche denken; ich will annehmen, daß die Bestechung, deren man sich so dreist, oder wenigstens so unvorsichtig, rühmt, bis ins innerste Heiligthum gedrungen, daß die Hand, die das Staatsruder führt zum schwärzesten Verrath gewonnen sey: wie behutsam, wie ängstlich, wie unmerklich muß sie es nicht zum Verderben lenken! Die geringste Übereilung wäre Tod! Nur durch unumschränktes Vertrauen könnte der Verräther sich auf den gefährlichen Gipfel der Macht emporschwingen, wo die Möglichkeit, den Staat den Feinden unwiederbringlich in die Hände zu spielen, an die Wahrscheinlichkeit der Ausführung gränzte. Allein jenes Vertrauen kann ja nur durch Mittel erworben werden, welche dem Zwecke der verbündeten Höfe gerade entgegengesetzt sind; nur durch die Rettung von unsern Übeln, und die Demüthigung aller unserer Feinde. Ich habe Ihnen schon gesagt, – und lassen Sie es mich jetzt wiederholen – kein einzelner Mann in Frankreich besitzt in sich allein die Kraft, die zu diesen großen Wirkungen erfordert wird; keiner ist teuflischgroß genug, um sie in sich zu verschließen, während er seine Gehülfen als Werkzeuge und die Volksmasse als bildsamen Stoff gebrauchte. – Wenn es aber dennoch einen solchen Wundermann unter uns geben sollte, den – um das Maß der Wunder in diesen ungläubigen Zeiten voll zu machen – den unsere Feinde jetzt schon genauer als wir selbst kennten; ist es möglich, die Selbstgefälligkeit bis zu dem Grade des Widersinnes zu treiben, daß man sich schmeicheln dürfte, dieser Cäsar, dieser Cromwell unseres Jahrzehends werde sich begnügen, nur Andrer Marionette zu bleiben? Wahrhaftig, so kann nur die unverbesserliche Plattheit eines gemeinen Intriganten die Menschengröße berechnen!

Es ist indeß noch eine andere Auskunft im Reiche der Möglichkeiten, wobei die politische Rechenkunst unserer Feinde weniger ins Gedränge kommt. Es hieße gar zu wenig Zutrauen zur Verschmitztheit der neueren Macchiavellen äußern, wenn man zweifeln wollte, daß sie bei einem tiefangelegten Vergrößerungsplane, nicht auch jene Ereignisse im Voraus in Anschlag gebracht haben sollten, die den Laien als Wirkungen des unbeständigen Glücks, oder gar als unvermeidliche Folgen der Revolution, erscheinen. Also könnte es vielleicht doch in ihren Plan selbst gehört haben, diesen ganzen Feldzug hindurch Europa und Amerika in dem Wahne zu lassen, daß gegen die Republikaner auf keinem ändern Wege, als durch Verrätherei, etwas ausgerichtet werden könne? Vielleicht hat man unsere undisciplinirten Truppen und unsere Feldherren eines Augenblicks nur dummdreist machen wollen, indem man sich das Ansehen gab, ihnen nicht widerstehen zu können; die Engländer haben vielleicht die Belagerung von Dünkirchen nur deshalb aufgehoben, um im künftigen Feldzuge sicherer zu zeigen, daß unsere Sache auf den Muth unserer Krieger gar nichts wirkt; und der Held von Martinestje wird nun ehestens beweisen, daß seine Niederlage bei Maubeuge eine glänzende Kriegslist war, wodurch der Sanskülotte Jourdan unfehlbar ihm ins Garn laufen muß; ja, wer steht dafür, daß Wurmser nicht noch dieses Jahr das Elsaß räumt, um unsere Truppen zu ihrem gewissen Verderben in den anscheinenden Vortheil des Besitzes von Zweibrücken und der Pfalz am Rhein zu setzen? – Wie wird Ihnen, mein Freund? Fangen Sie nicht an neue Hoffnung zu schöpfen? Bedauern Sie mich nicht ein wenig, daß ich mich unvermuthet auf einen Gesichtspunkt gestellt habe, der für das Schicksal der Republik so bange macht? Es ist wahr, wenn man die Sachen auf diese Art ansieht, gewinnen sie eine ganz andere Gestalt, und alles, worauf wir diesseits uns freuen zu können glaubten, wird Ihnen jenseits zur Bestätigung der tiefen Weisheit des Londoner und Wiener Kabinets!

Ach ja! Wir armen Republikaner! Es wird uns theuer zu stehen kommen, daß wir uns die Königswürde, die Prinzen, den Adel, die Priester vom Halse geschafft haben! Die eingezogenen Kron-Domainen, die Güter der Geistlichkeit und der Emigrirten, das sind ungeheure Bissen, an denen wir noch ersticken werden! Die verdammten Assignate kommen zuletzt doch wohl unseren Feinden zu Gute! Was nun gar die Consolidation der Staatsschulden, und die heillose Zwangsanleihe für ein Ungewitter über unseren Köpfen zusammenziehen wird! Wie werden wir uns retten können, wenn unser baares Geld wieder zum Vorschein kommt! Ist wohl das Unglück zu berechnen, welches hunderttausend Reiche arm, und vier und zwanzig Millionen Arme wohlhabend machen wird! Wenn uns das Sparen und Entbehren, die Verbannung des Luxus und die Einführung der strengsten Sitteneinfalt nun auf den breiten, geraden Weg des Verderbens führen! Das Glockenmetall zu Kanonen umgeschmolzen, was mag nicht dahinter für ein feindseliger Östreichischer Anschlag stecken! Und unsere Waffenfabriken in Paris, die hat gewiß Pitt zu unserm Untergang erfunden!

Unsere Armeen waren schon viermalhundert tausend Mann stark; und nun kommen noch achtmalhunderttausend gesunde junge Bursche und vierzigtausend Pferde hinzu; unstreitig hat uns die schwärzeste Bosheit unserer Feinde zu dieser verkehrten Maßregel verleitet! Die armen Jungen, wenn sie erst in die Fußangeln fallen, die wahrscheinlich rund um unsere Gränze, und besonders auf dem Meere, gelegt sind! Die Nordgränze ist gedeckt, Lyon erobert, Marseille gerettet, die Vendee zerstört, Straßburg gesichert; – wir sind augenscheinlich verloren! Das katholische Heidenthum ist in ganz Frankreich wie durch einen Zauberschlag durch den Volkswillen verschwunden, und das Reich der Vernunft ist angegangen, – ach! wer hätte es sich träumen lassen, daß wir diesem tödtlichen Streiche der superfeinen Römischen Politik nicht entgehen würden! In Paris und dem ganzen Inneren unserer großen Republik herrscht die tiefste Ruhe; wer aber nicht wüßte, daß England und Östreich dahinter stecken! – O lieber Freund, wie stürmen alle diese ominösen Bilder auf mich ein! Ich muß inne halten, und mich auf mein Schicksal vorbereiten. Bleibt mir noch etwas andres übrig, als der tiefen Weisheit Ihrer Politiker zu huldigen? Scherz bei Seite, leben Sie für diesmal wohl, und

Grüßen mir Zenidens Papageyen!

6

Paris, am 13ten des Reifmonds.

Sie sollen Recht haben, mein Freund; auch habe ich nicht geradezu wegläugnen wollen, daß man aus einzelnen Zügen zuweilen den Charakter eines Zeitpunkts, eines Volkes, einer besondern Entwickelung menschlicher Geisteskräfte kennen lernt. Nur muß man diese Züge auszuwählen wissen, und nicht Handlungen ohne alle Physiognomie, denen etwa der Nähme des Handelnden ihr ganzes Interesse giebt, für bezeichnende Auftritte halten. Ich will Ihnen heute eine Begebenheit mittheilen, aus welcher, wie mich dünkt, der Geist der Revolution unverkennbar hervorleuchtet.

Laplanche, ein Volksrepräsentant, der im Departement der Manche die Aufsicht hat, schrieb vor einigen Tagen an den National-Convent, daß das 11te Bataillon der neuen Pariser Requisition, welches hauptsächlich aus den Sektionen der Tuilerien und der Eliseischen Felder formirt worden ist, sich zu Coutances rebellisch aufgeführt, die dreifarbige Kokarde beschimpft, und O Richard, o mon Roi, gesungen hätte. Wirklich sollen eine Anzahl übelgesinnter Leute, nehmlich verwöhnte Kinder reicher Handelshäuser, Advokatenschreiber, abgeschaffte Subalternen aus den Bureaux, gewesene Priester sogar, in diesem Bataillon gesteckt und durch eine üble Anwendung ihres Geldes die Andern gewonnen oder wenigstens im Rausch verleitet haben, mit ihnen allerlei ungeziemende Streiche zu verüben, die ihnen zuletzt als Aufruhr angerechnet werden konnten. In der Jakobinergesellschaft deliberirte man am Abend, nachdem jener Bericht im Convent vorgekommen war, was zu thun sey, und fand unter ändern, daß man einen so übel organisirten Haufen nicht in die Vendee, oder gegen die daraus entflohenen Rebellen, sondern gegen die Östreicher hätte schicken sollen. Während dieser Berathschlagung trat ein Abgeordneter von der Sektion der Tuilerieen herein, um die Gesellschaft zu benachrichtigen: »daß die ganze Sektion, vier tausend stark, versammelt gewesen sey und einmüthig den Entschluß gefaßt habe, am folgenden Morgen den Convent um die Bestrafung dieser Aufrührer zu bitten; vorläufig hätte sie auch schon die Eltern derer, die man als Rädelsführer angäbe, verhaften lassen.«

Den ändern Tag, den 4ten dieses Monats, zog nun die ganze Sektion der Tuilerien, Männer und Weiber, vor die Schranken des Convents. Der Präsident der Sektion bat um Erlaubniß, die Adresse lesen zu lassen. Baudouin, als Redner, hielt zuvor diese Anrede:

»Wir sind verrathen! Ein Theil der zahlreichen Jugend, die Hoffnung des Vaterlandes, hat seine Stimme verkannt. Menschen, die sich noch eben jetzt Republikaner nannten, die den ehrenvollen Beruf hatten, für die Unabhängigkeit des Frankenvolkes zu streiten, sind zu Rebellen geworden, und haben öffentlich jenes verabscheuungswerthe Lied gesungen, woran sich die Räuber in der Vendee erkennen. Stellvertreter des Volks! So gehe augenblicklich aus dem Schooße des heiligen Berges das Rachfeuer hervor, und verzehre die Aufrührer! Das große Beispiel einer so verdienten, so schnellen Strafe, müsse den Treulosen schrecken, der sich versucht fühlte, ihnen nachzuahmen.« »Die Sektion der Tuilerien muß den Schmerz erdulden, diese Verräter an der Sache der Freiheit unter ihre Kinder zu zählen, wenn dieser Nahme noch Verräthern zukommt. Hier kommen die Väter und Mütter in Eure Versammlung; sie fordern ihre Bestrafung von Euch; sie entsagen ihnen auf ewig. Die echten Sanskülotten werden schon wissen, sich durch eine republikanische Adoption für dieses Opfer schadlos zu halten. Die übrigen richte das Volk! Ein schnelles, furchtbares Gericht vertilge von der Erde der Freiheit jene feigen Ungeheuer, die ihrem oft wiederholten und selbst in Eurer Gegenwart abgelegten Schwur, zu siegen oder frei zu sterben, ungetreu werden konnten ... Wir haben es auch geschworen; und wir haltens. Wir halten den heiligen, feierlichen Eid. Ist es nöthig, so gehen wir, ja wir gehen selbst, uns an den Platz unserer schuldigen Söhne zu stellen und ihre schnöden Verbrechen gut zu machen. Wir ersuchen Euch, uns zu erlauben, selbst Überbringer der Befehle des National-Convents zu seyn. Laßt vier Kommissarien aus unserer Mitte sie dem Volksrepräsentanten mittheilen und Zeugen von der Verurtheilung und Hinrichtung dieser Elenden werden.«

Hierauf verlas er den Beschluß der Sektion, und der Präsident des National-Convents lud alle vor den Schranken Stehenden ein, an der Sitzung Theil zu nehmen. Merlin von Thionville bemerkte, daß Rom nur Einen Brutus, wir aber jetzt sechshundert zählten. Thuriot machte in einer rührenden Rede bemerklich, daß Brutus vermöge seines Amtes im Staate das Urtheil über seine Söhne fällen mußte; hier aber sey es reine Empfindung, edle, nie erreichte Aufopferung und Selbstverläugnung, die aus Vätern und Müttern eine patriotische Jury bilde. »Nun urtheilt selbst«, rief er aus, »auf welche Höhe sich der Revolutionsgeist mit der Freiheitsliebe geschwungen hat! Auf dem ganzen Erdenrunde giebt es keinen einzigen Menschen, den es nicht ergreifen und mit Bewunderung durchdringen muß, wenn er vernimmt, daß bei der bloßen Erwähnung des Verraths, dessen man die Kinder einer Sektion beschuldigt, Väter, Mütter, Freunde, Verwandte, Mitbürger in hellem Haufen hergezogen sind, um genugthuende Rache an den Verräthern zu fordern.« Er setzte noch hinzu, daß er das Verbrechen nicht für so schlimm halte, als man es gleich Anfangs geschildert habe. Es wären Verwandte und Freunde von ehemaligen Adeligen im Bataillon gewesen: sie hätten in ihren Trinkgelagen unfehlbar die guten Sanskülotten, ihre Kameraden, ihrer Vernunft beraubt, weil die Letzteren nur auf diese Art der Freiheit entrissen werden könnten. »Aber,« schloß er endlich, »was auch der Ausschuß des öffentlichen Wohls hierüber berichten wird, dekretirt, Bürger, – bei der Rührung fordre ich Euch auf, die jene große Bürgertugend, wovon wir Zeugen sind, in uns Allen erregte – dekretirt augenblicklich, daß die Sektion der Tuilerien sich um das Vaterland verdient gemacht habe. Durften wir glauben, daß unsern Unwillen über die neue Verrätherei die würdigen Väter, die patriotischen Mütter theilen würden, die hier ganze Ströme von Thränen vergießen und gleichwohl nicht anstehen, Euch zuzurufen: unsere Kinder sind schuldig; wir liefern sie dem Schwert der Gerechtigkeit! Wer diese Sprache gegen Euch führen kann, ist unfehlbar tugendhaft. Laut also laßt uns verkünden, daß die Sektion der Tuilerien sich um das Vaterland verdient gemacht habe! So ehren wir die guten Sitten und die Revolution, so führen wir einen tödtlichen Streich gegen die kalten Berechner des Unglücks ihres Vaterlandes, die jene Bürgersöhne in den Abgrund stürzen wollten, deren Väter hier schwören, ihr eignes Blut für das Vaterland zu vergießen.«

Der unzweideutigste Beifall hatte die Äußerungen der Sektion der Tuilerien, und diese Rede Thüriots gekrönt. Man hörte lange nichts als: »Republik und Freiheit!« jauchzen; und Thüriots Vorschlag wurde sogleich einstimmig genehmigt. – In der Sitzung vom 11ten ist nun von dem angeklagten Bataillon selbst eine Adresse an den National-Convent eingegangen, worin es sich gegen die Beschuldigungen in dem Briefe von Laplanche ausführlich rechtfertigt. »Wir hoffen,« sagen die jungen Krieger, »daß der unwillkührliche Irrthum eines Augenblicks uns nicht zum Verbrechen ausgelegt werden wird. Wir glaubten, den Befehlen des Ministers Folge leisten zu müssen; er hatte uns nach Cherbourg, zur Vertheidigung dieses Platzes beordert,« (und nach den Dispositionen des Repräsentanten sollten sie gegen die Rebellen in Avranches ziehen). »Der Ausbruch des Murrens bei einigen unter uns, hat keinen Zug, keinen Schein von Aufruhr gehabt, und alle in dem an den Convent überschickten Protokoll gesammelten Klagartikel sind verfälscht und übertrieben.« Am Schlüsse betheuern sie, daß die Liebe des Vaterlandes und der Wunsch seine Feinde zu bekämpfen, sie beseelt. Der Convent hat diesen Brief an den Ausschuß des öffentlichen Wohls verwiesen, der über den wahren Verlauf der Sache zu berichten hat. –

So weit können Sie alles, was diesen Vorfall betrifft, aus den Zeitungen, und vielleicht noch umständlicher als ich es hier erzählt habe, erfahren. Aber was in keiner Zeitung steht, was in seiner lebendigen Natur die Feder eines Geschichtschreibers und selbst die eines Dichters nicht erreichen kann, das waren die Scenen in der Sektionsversammlung, als der Brief von Laplanche verlesen ward, und hernach vor dem Convent, bei Überreichung ihres Beschlusses. Zwischen Bürgersinn und Elternliebe erhob sich der wunderbarste Kampf – oder darf ich Kampf nennen, was eigentlich ein Zusammenschmelzen beider Gefühle in ein unnennbares war? Die Überzeugung von der Strafbarkeit ihrer Kinder sprach augenblicklich das Todesurtheil im Herzen selbst der Väter und Mütter; und zu gleicher Zeit behauptete der Schmerz über den Verlust ihrer Lieblinge seine traurigen Rechte. Ihre Thränen stürzten unaufhaltsam hervor; aber das Vaterland und die Gerechtigkeit forderten ihre Opfer. Unter lautem Weinen und Schluchzen schrieen die unglücklichen Väter und Mütter, mit einer sie selbst betäubenden leidenschaftlichen Heftigkeit: »fort zum Tode mit ihnen! auf den Richtplatz! sie haben's verdient!« Es blieb kein trocknes Auge weder im Convent, noch unter den Tausenden von Zuschauern.

7

Paris, im Reifmond.

Paris, ich hab' es Ihnen schon gesagt, mein Freund, ist die Quelle der öffentlichen Meinung, das Herz der Republik und der Revolution. Vielleicht ließe es sich, sogar ohne Scherz, noch besser mit dem Magen vergleichen, wenn diese Idee auch schon Ihren Persiffleurs zu allerlei witzigen Einfällen Anlaß geben könnte. Mögen sie doch glauben, und ihrem Publikum weis machen, daß wir uns hier, wie die Spanischen Edelleute, die Zähne stochern, ehe wir zu Mittag gegessen haben! Wo man so viele Armseligkeiten glaubt, mag eine mehr leicht in den Kauf gehen. Aber wahr ist gerade das Gegentheil; nie hat der Bürger in Paris besser gelebt als jetzt, da freilich nur Eine Art Brot gebacken wird, hingegen auf den mit Überfluß prangenden Märkten, keine Haushofmeister und Köche von reichen Prassern mehr zu sehen sind, die den Sanskülotten das Beste vor dem Munde wegzuschnappen pflegten. Der starke Gewinn des Handwerkers setzt ihn in Stand, sich mit einer gewählteren, wohlschmeckendern Kost als zuvor gütlich zu thun, und er genießt jetzt an seinen Festtagen um geringes Geld die Leckerbissen, die Eure reichsstädtischen Sardanapalen sonst mit Extrapost aus Frankreich verschrieben und unter dem Vorsitze der Göttin Dullneß verschlangen. Die köstlichen Weine aus Languedoc, Champagne und Bourgogne, die unsere Nachbarn uns sonst austranken, netzen jetzt nur republikanische Gaumen. Lord Howe mit seiner allmächtigen Flotte hat doch den Austern, Hummern und Steinbutten ihr Futter noch nicht abgeschnitten; wir fangen sie so fett und schmackhaft als je an unseren fischreichen Küsten. Unsere Bäuerinnen in der Normandie haben durch die Revolution die Kunst Kapaunen und Poularden zu stopfen, noch nicht verlernt. Die Ananas reifen nach wie vor in unseren Treibhäusern, und die Sonne hat uns dieses Jahr auch warm genug geschienen, um unsere unzähligen Obstsorten mit Würze, Saft und Kraft zu füllen. Die Natur scheint es nicht im geringsten übel zu nehmen, daß keine Dücs und Pairs, keine Generalpächter, sondern arme Sanskülotten ihre köstlichsten Erzeugnisse verzehren. Anstatt aber, daß vor diesem die wohlschmeckendsten Gerichte für den unersättlichen Schwelger durch den Mißbrauch ihren Reitz verloren, haben wir das Geheimniß gefunden, die Gaben unseres fruchtbaren Bodens ohne Überdruß zu genießen, indem wir mit Auswahl und Mäßigkeit nur die Feste des Vaterlandes und der Gastfreundschaft durch ihren Genuß erhöhen. An Werkeltagen genügt jedem sein Braten und ein Salat, der darum nicht schlechter schmeckt, daß ihn der letzte Erzbischof von Paris nicht zubereitet hat.

Paris – nicht wahr, Sie verzeihen mir meine Arabesken, wenn ich nur zuweilen auf das Hauptwort zurückkomme? – Paris empfindet, denkt, genießt und verdauet für das ganze Land. Daher war in der That der Anschlag nicht so übel erdacht, im vorigen Jahre schnurstracks hierher zu marschiren und die Revolution zu ersticken, indem man Paris von der Erde vertilgte, oder wenigstens auf ein Paar Jahrhunderte, wie Antwerpen, in den kläglichen Zustand zwischen Leben und Tod versetzte Paris giebt den Ton an, nicht bloß wegen seiner Bevölkerung und Größe, sondern weil der Umlauf des Handels, der Ideen, der Menschen selbst, im Lande noch unbedeutend ist. Kaum der zwanzigste, vielleicht nicht einmal der dreißigste Einwohner Frankreichs kommt aus seiner Stelle; indeß in England wahrscheinlich der vierte Theil der ganzen Volksmenge wenigstens einmal im Jahre durch London getrieben wird, und dadurch einen Grad von Unabhängigkeit, von Übung und von Klarheit im Denken erlangt, den in Frankreich nur der Pariser haben kann. Schon unter der monarchischen Regierung lebte der Französische Adel und alles, was wohlhabend war, das ganze Jahr hindurch in Paris; da hingegen in England den Sommer über alles auf die Landgüter hinausströmt, und überall sein Interesse von dem der Stadt zu trennen weiß. Bei uns ist Paris der einzige Maßstab der Vollkommenheit, der Stolz der Nation, der Polarstern der Republik. Hier allein ist Bewegung und Leben, hier Neunheit, Erfindung, Licht und Erkenntniß Paris ist der Kommunikationspunkt zwischen allen übrigen Städten, zwischen allen Departementen der Republik; alles fließt hier zusammen, um erst von hieraus nach den Provinzen zurückzuströmen. Die Gesetze des Geschmacks und der Mode wurden seit einem Jahrhundert in Paris gegeben und promulgirt. Frankreich gehorchte ihnen wie Göttersprüchen; und ohne daß wir es verlangten, huldigte ihnen Europa. Noch jetzt wird ihre Oberherrschaft jenseits unserer Gränzen anerkannt, wie schon die bloße Existenz Eurer Modejournale beweisen muß, aber im Bezirke der Republik selbst gebietet jetzt Paris auf eine weit wirksamere Art: durch die Kraft der öffentlichen Meinung.

Wer der Revolution gefolgt ist, wird wissen, daß alle ihre Hauptereignisse in Paris angelegt und ausgeführt wurden. Das Pariser Volk war ein wirksames Instrument in den Händen derer, die es wagten, die Stimmung der Nation auf die Probe zu stellen, und zuerst den Sinn der Menge laut auszusprechen. Nichts beweiset so sonnenklar und unwiderleglich die Reife der Franken für eine republikanische Verfassung, als der Umstand, daß die Hauptstadt, der Sitz des frechsten Luxus und des ungezähmtesten Sittenverderbnisses, bei diesem Umstürze der Monarchie den Ton angegeben hat. Allerdings mußten in diesem Ungeheuern Sammelplatze des Reichthums, der Schwelgerei und des Egoismus, die Feinde der Revolution zahlreicher und durch ihre Vereinigung stärker, als in irgend einem andern Punkte des ganzen Landes seyn; und auf diese Art erklärt sich das Phänomen der ununterbrochenen Gährung, die in Paris, mehr oder weniger offenbar, seit dem Anfange der Sitzungen der ersten Nationalversammlung fortgedauert hat. Alles, was nur durch Ränke, Verschlagenheit, Verläumdung, Bestechung und Verführung, durch Bubenstücke und Abscheulichkeiten aller Art, verübt werden konnte, um den Fortschritt des Freiheits- und Revolutions-Geistes zu hemmen: alles hat man versucht und mit unermüdetem Beharren angewendet; und alles hat gleichwohl die Überlegenheit derer, die das Gegentheil wollten, durch Kraft und Unerschrockenheit vereitelt.

Ohne hier den Werth der Revolutionsideen im geringsten untersuchen, und ihre Sittlichkeit nach konventionellen Vorstellungen abmessen zu wollen, (was überhaupt im ganzen großen Gange der Weltbegebenheiten so mißlich scheint) wird man mir zugeben müssen, daß die außerordentliche Verbreitung wissenschaftlicher Begriffe und Resultate in Paris, der Grund von jener großen Empfänglichkeit seiner Einwohner für Revolutionsideen geworden ist. Die Neugier der Pariser ist viele Grade feiner und unterscheidender, als in irgend einem Winkel des ganzen Landes, und ihre Ausbildung durch den Umgang mit unterrichteten Leuten, und durch die Übung, im Schauspiel attische Feinheiten zu empfinden, übertrifft, im Ganzen genommen, Alles, was man sich vorstellen kann, ehe man hier gewesen ist und mit eigenen Augen gesehen hat. Jetzt insbesondere ist der Abstich durch die fünf Revolutionsjahre noch ungleich auffallender geworden. Des Morgens sieht man alle Hökerinnen auf der Straße über ihrem Kohlenfeuer sitzen und die Zeitungen lesen; des Abends hört man in den Volksgesellschaften, in den Sektionsversammlungen Wasserträger, Schuhknechte und Karrentreiber von den Angelegenheiten ihres Landes, und von den Maßregeln des Augenblicks mit einer Bestimmtheit sprechen, die nur aus der einfachen Richtigkeit und Klarheit allgemein verbreiteter Grundbegriffe entspringen kann. Die Verbindungen, die mit einer geringen Anzahl von Ideen möglich sind, können eingeschränkte, einseitige Urtheile veranlassen; aber nur falsche oder Scheinbegriffe führen zu falschen Resultaten. Ein Kopf, den Moliere, Regnard, Destouches, Marivaux, Racine, Corneille und Voltaire zustutzen halfen, hat wenigstens die Wahrscheinlichkeit für sich, daß er Wahrheiten, wo nicht selbst kombiniren, doch von Anderen vorgetragen fassen und beherzigen werde. Nur in Einem Punkt irrte man sich hier durchgehends; man hatte sich von dem Joche der künstlichen und erlernten Unwissenheit schon so weit entfernt, daß man nicht mehr begriff, wie ein Kopf organisirt seyn müsse, dem ein Kapuziner alles in allem ist. Allein die Lektion des vorigen Winters hat diese überspannten Vorstellungen von der Empfänglichkeit der Nachbaren sehr herabgestimmt.

Paris wird, fürs Erste wenigstens, der Sitz der Regierung bleiben müssen. Das Föderalsystem des Amerikanischen Freistaates erlaubte dem Congreß öftere Veränderungen der Residenz, die bei den bisherigen Verhältnissen jenes so großen, aber auch so volksleeren Staats, dem Bunde noch unschädlich waren, und vielleicht zu seiner Befestigung dienen konnten. Daß man jetzt auf den Gedanken verfallen ist, eine eigene Congreß-Stadt zu erbauen, scheint mir die Unbeweglichkeit des Regierungssitzes nicht sicherer zu stellen. Das ganze Land muß sich der Bildung einer neuen Hauptstadt widersetzen wo sie aber einmal vorhanden ist, wird sie ein nothwendiges Übel, und das Wohl des Ganzen ist mit dem Wohle dieses Ungeheuern Theiles so genau verflochten, daß der philosophischste Patriot auf seine Ideale Verzicht thun muß, um seinen Staat so zu modeln, wie es die gegebenen Umstände, die er nicht ändern darf, erfordern.

Dafür spielt nun auch, werden Sie mir einwenden, Paris im Staat eine Rolle, die sich das verzogenste Kind in einer Familie nicht heraus nehmen dürfte, ohne wenigstens den Haß, den Neid, die Verwünschungen der übrigen auf sich zu laden. Es ist wahr, oft hat die Stimme der Pariser für die Stimme des ganzen Volkes gegolten; aber, bemerken Sie den Unterschied: das ganze Volk hat dieser Stimme Beifall gegeben, und alle Versuche, die Departemente mit Paris zu entzweien, sind jederzeit mißlungen. Übrigens ist eine halbe Million Menschen, die, so wie hier, auf einem kleinen Flecke versammelt ist, kein übles politisches Barometer. Die Frage, worauf es in Revolutionen ankommt, ist ja auch nicht die: hat dieser oder jener Theil des Volkes seine Rechte überschritten? sondern die: hat es durch eine solche Anmaßung im Staate herrschen, oder ihn nur aus augenblicklicher Gefahr retten wollen? Wer weiß nicht, daß der 31ste März und der 2te Junius das Werk der Pariser Commüne waren? Damals schien auf einen Augenblick das Ansehen und die Macht des National-Convents vor ihr zu verschwinden. Verschwunden waren sie wirklich, wie in dem Falle einer Krankheit die individuelle Größe des Patienten vor dem Arzte verschwindet. Allein der Kranke ist genesen, und steht in höherem Ansehen, also noch je zuvor; ja, sogar die Commüne von Paris selbst, die damals so viel auf ihre Verantwortung nahm, hat sich neuerlich schon ein paarmal unter die gewaltigere Hand des Convents beugen müssen. Kaum hatte Chaumette, der Gemeinde-Prokurator, vom Gemeinderathe den Schluß fassen lassen, daß alle Revolutionnair-Ausschüsse aus den acht und vierzig Sektionen sich zu einem gemeinschaftlichen Körper mit dem Gemeinderathe vereinigen und gemeinschaftlich mit ihm berathschlagen sollten, so schlug ein Dekret des Convents diese Central-Versammlung mit dem Anathema, das immer bereit ist, gegen jede Anhäufung untergeordneter Autoritäten geschleudert zu werden; und die Gemeinde von Paris, anstatt wie eine furchtbare Skolopender auf acht und vierzig Füßen zu laufen, ist vielmehr, wegen der Macht, die den Revolutionnair-Ausschüssen zugeordnet ist, in acht und vierzig unbedeutende Insekten zerschnitten worden, deren jedes sein Leben für sich hat. Chaumette, der außer dieser Lektion neuerlichst noch, wegen des mit großem Geräusch abgeschafften Katholicismus hart mitgenommen worden ist, hat die weiseste Parthei ergriffen, sich in die Zeiten zu schicken und die Ruthe zu küssen. Seine Popularität in der Stadt war unbegränzt und ist noch jetzt sehr groß, ungeachtet des Stoßes, den sie erlitten hat. Sein Substitut, Hebert, der bekannte Verfasser des Blättchens, welches einen Tag um den andern unter dem Nahmen des Pere Duchesne herauskommt, steht ebenfalls noch auf den Füßen, wiewohl man ihm neulich von einer gewissen Seite sehr zu Leibe gewollt hat. Von Pache, dem Maire, spricht jedermann mit Ehrfurcht, wie von einem Manne, dessen Tugend die Probe schon bestanden hat, und allgemein anerkannt worden ist. Man versichert mir, daß man seine Bekanntschaft nicht mache, ohne sein Freund zu werden. Ein solcher Mann scheint geschaffen, der Revolution das Siegel der Vollendung und Vollkommenheit aufzudrücken, oder – – – – – – – –

Eine Menge Menschen, die immer nur berechnen, was mit dem Überschusse von Leidenschaft anzufangen sey, der in diesem oder jenem Kopfe, in dieser oder jener Masse von Köpfen gährt, haben jetzt schon neue Spaltungen, neue Revolutionen, neue Koryphäen ersonnen, und wissen, als hätten sie es mit den auswärtigen Mächten abgeredet, genau zu bestimmen, wer zuerst werde springen, und wer zunächst werde folgen müssen. Wenn man sie anhört, und die Cascade von Partheien und Untergängen sich versinnlicht, so möchte man glauben, es wäre ganz darauf angelegt, noch den letzten von allen unseren fünf und zwanzig Millionen Patrioten durch die Guillotine aus dem Wege räumen zu lassen. Vor ein Paar Tagen noch hinterbrachte man mir, daß wir innerhalb zehn Monathen ein neues dénouement gewiß erfahren würden. Die Frist ist nicht übel, dachte ich, für Leute, die, wenn es wahr ist, keinen Augenblick ihres Lebens sicher zu seyn glaubten. Ich ahnde auch manchmal, daß es ohne manchen harten Kampf nicht abgehen wird; allein wer auf diese innerlichen Reibungen die ganze Hoffnung setzt, Frankreich wieder unter das Joch zu bringen, und ungequetscht davon zu kommen, – guter Himmel! – Nicht doch, Ihr Herren, Ihr schlagt die Volte falsch, wie Ihr möget. Paris ist immer unsere Karte, und Ihr habt verloren.

E. D.


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