Fouqué, Friedrich Baron de la Motte
Die wunderbaren Begebenheiten des Grafen Alethes von Lindenstein
Fouqué, Friedrich Baron de la Motte

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Siebentes Kapitel

Am Tage darauf sagte Alethes zu Berthold: ich muß fort, lieber Freund. Du siehst wohl, die bunte Schlange läßt mich nimmer aus ihren Ringen, und ich würde nur das freudige, freie Leben, welches in dieser Stadt wieder zu erwachen beginnt, durch meine verpestete Nähe vergiften. Es ist mit mir, wie mit Einem, dem ein wüthendes Thier seine Raserei durch einen Biß mit in die Wunde gegossen hat. Helfen kann mir Niemand von meinem bösen Dämon: er aber kann durch mich Vielen schaden, und es giebt daher nichts Beßres für mich armen Beseßnen, als in der Einsamkeit an meinem Uebel zu vergehn.

Berthold versuchte ihn zurückzuhalten, und sein niedergedrücktes Gemüth wieder zu ermuntern. Aber Alethes sagte: laß nur. Ich glaubte, ihr jetzt entkommen zu seyn, aber Du hörtest ja, was sie sagte: immer verfolgen will sie mich, zu keiner männlichen, ehrebringenden That mich kommen lassen. Sie ist unendlich klüger als wir Alle, und will ich das Gute nicht durch ihre Ränke verfehlt sehn, muß wenigstens ich von der Mitwirkung zum Guten zurücktreten. Verbannt bin ich durch diese schlimme Zauberin aus dem öffentlichen Leben, welches doch so viele Tage hindurch mein recht eigentliches Daseyn ausmachte. Verbannt bin ich, und bleib' es. Und wollt' ich auch in dem Schatten Deiner frommen Häuslichkeit verweilen, – meinst Du nicht, die Eumenide jagte mich auch dorten auf? Ich soll nicht rasten, ich soll nicht wirken. Du hast wohl ein Mährchen gehört, von Einem, der sich mit einem Gespenste, das er in der Finsterniß für sein Mädchen hielt, verlobte, und nun von der gräßlichen Braut unabtrennlich verfolgt ward. Ihn schützte kein Asyl, und mich auch keins. Laß mich ziehn.

Die Unseelige! rief Berthold erbittert. Niemandem hat sie Glück gebracht, auch nicht dem armen Eugenius, der sie im frommen Wahne für seine Schutzgöttin hielt.

Weißt Du von Eugenius? fragte Alethes zerstreut.

Er lebt auf seiner Burg, wie ein betrübter Siedler, sagte Berthold. Gott weiß, wohin ihm Oheim und Muhme seine holde Bertha entführt haben.

Niemandem, meintest Du, bringe Yolande Glück? fuhr Alethes fort. Sie hat doch jene Brüder versöhnt, und einer ganzen Gegend Bewohner seegnen sie, und beten unter ihren Zügen die Mutter Gottes an.

Es ist mir ganz unbegreiflich, wie sie dazu kam, entgegnete Berthold, und wie ihr ein gutes Werk gelingen durfte. Seit Gaston's Tode kommt sie mir vor, wie ein verkleideter Engel der Finsterniß, dem die Larve vom Antlitz gefallen ist. Nichts mehr davon, unterbrach ihn Alethes. Und könntest Du mich auch mit Deinem Abscheu für Augenblicke durchglühen, ich wäre deswegen nicht gerettet. Lebe wohl, Du wirst wohl bald einmal vernehmen, auf welche Weise ich untergegangen bin.

Die beiden Freunde schieden mit großer Betrübniß von einander, und Alethes trat seinen einsamen Lauf wieder an, um so gepreßtern Herzens, da er in Berthold's liebevolles und liebebeglücktes Leben einen Blick gethan hatte, der seine tiefste Sehnsucht nach ähnlicher, für ihn wohl unerreichbarer Seeligkeit geweckt hatte. Er beschloß nun, so unübersteigliche Hindernisse, als möglich, zwischen sich und Yolanden zu setzen, und sich zu dem Ende in einem niederländischen Seehafen einzuschiffen. Auf der Reise dahin sagte ihm einstmals ein Bauer, den Weg bezeichnend: Ihr kennt nicht fehlen, edler Herr, wenn Ihr Euch nur immer in gleicher Richtung mit dem Ardennengebirge haltet. – Das Ardennengebirge! wiederholte Alethes, und bemerkte erst jetzt, daß er sich in derselben Gegend befand, die er unmittelbar nach seinem Entweichen aus des wahnsinnigen Reinald's Höle betreten hatte. Es war ihm, als höre er sich wieder mit dem wunderlichen Ritternamen, Organtin, genannt, und ein lebhafter Wunsch ergriff ihn, zu wissen, wie es mit seinem ehmaligen Wirthe stehe. Die Gebirge schienen ihn nach ihrem Schooß hereinzuwinken, in des frischen Rasens Bekleidung und der Umhüllung belaubter Baumwipfel unendlich anmuthiger aussehend, als sie sich ihm ehmals gezeigt hatten. Reinald's seltsame Mährchenwelt stieg anlockend in seinem Geiste herauf, und aller Furchtbarkeit jenes unheimlichen Lebens in den Bergen ward nur als einer würzenden Zugabe gedacht. Wofern er den rechten Weg wieder fand, konnte die Höle von hier aus nur wenige Stunden entfernt seyn, und was wollte ein Aufenthalt von zweien oder dreien Tagen für den bedeuten, dessen ganzes künftiges Leben eine unter feindlichen Sternen begonnene Irrfahrt zu werden schien. Er trat den Gang nach dem Gebirge an, wobei er sein Gepäck in einem Dörfchen zurückließ, wie auch seinen Diener, damit das Erscheinen einer unbekannten Gestalt den Greis nicht verstöre.

Fremd zwar erschien ihm das Innre des Gebirges in seinem Sommerschmuck, aber doch nicht unkenntlich. Es war vielmehr, als habe es sich bewillkommend so festlich und freundlich angethan; selbst die kahle Höhe, an deren steilem Abhange Reinald's Höle lag, sahe, mit frischen Gräsern zwischen den Felsstücken bekleidet, heiter über den niedrigern Bergwald hervor, und belebte durch ihren Anblick den hinaufklimmenden Wandrer mit neuen Kräften.

Er stand oben, und schritt nun rechts am Abhange weiter, um nach der Höle zu kommen. Schon hatte er den Berg fast umgangen, und die wohlbekannten Tannen vor der Thür grünten ihm entgegen, da vernahm er das Hülferufen einer weiblichen Stimme, doch nur unsicher, wie von eigner, innrer Bangigkeit wieder unterdrückt. Er lauschte, – der Ton kam aus der Höle. Hinzueilend bemerkte er, wie das Rufen plötzlich still ward, – es schien, der Schall seiner Tritte habe die Zagende vor Schrecken schweigen gemacht. Er blieb deshalb dicht am Eingange wieder stehn, und hörte nun eine liebliche Stimme, die sein ganzes Herz durchdrang: leise ächzen: ach, ach! Er ist es gewiß! Wo Hülfe vor dem Furchtbaren? O grausenvolle Oede!

Alethes sah durch die vergitterte Oeffnung in der Thür, und wußte nicht, ob er träume oder wache, indem er Yolanden wahrnahm, die ängstlich in dem Hintergrunde der Felsenhalle zusammen geschmiegt, mit flatternden Haarlocken, in verstörten Gewändern, die scheuen Blicke nach dem Eingange richtete.

Mein Gott! Yolande! rief der Ueberraschte, bist Du es? Woher?

Alethes? rief sie aus, Antlitz und Stimme zugleich erkennend, und ein leuchtender Strahl der Hoffnung und Freude blitzte über das schöne Gesicht. Sie eilte nach der Thür zu, die Alethes zu öffnen strebte, sie aber fest verschlossen und verriegelt fand. Indem er versuchte, das Schloß mit seinem Dolche abzubrechen, sagte die reizende Frau: o schnell, mein holder Retter. Kommt der furchtbare Reinald zurück, so sind wir Beide verloren. Mit seines gräßlichen Wahnsinns Allgewalt brach er dort unten am Wege aus dem Gehölz, schlug, trat meine Leute nieder, und riß mich wie auf Flügeln der schwärzesten Hexerei hierher. – Reinald von Montalban, spricht er, sey Er, ich die schöne Balisandra. Noch hab' ich mich seiner entsetzlichen Liebkosungen erwehrt. Er ging aus, Wein zu holen, sagte er, mich auf den Schrecken zu laben. Kommt er aber wieder, – o eile doch, Alethes! Kannst Du mich denn gar nicht mehr lieben, so rette mich mindestens, und gieb nicht zu, daß die Dich anbetend im Herzen trägt, eines Tollen Beute werde.

Alethes Dolch brach vor der gewaltigen Arbeit, Schloß und Riegel saßen unverrückt in ihren Fugen. – Tritt zurück, Yolande, rief er, von der Thür. Mein gutes Schwerdt soll die Bretter zu Trümmern hauen.

Beim dritten mächtigen Hiebe wankte und krachte bereits die Pforte, als sich ein drohendes Rufen: halt! Ho, halt da, Du arger Gast! vernehmen ließ. Alethes erkannte Reinald's Stimme, der auch bald darauf sichtbar ward, einen Weinkrug in der Linken, eine furchtbare Keule in der Rechten. Yolande floh mit einem verzweifelten Angstschrei noch tiefer in die Felsenhalle zurück, während Alethes dem zürnenden Alten einige Schritte entgegen trat.


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