Fouqué, Friedrich Baron de la Motte
Die wunderbaren Begebenheiten des Grafen Alethes von Lindenstein
Fouqué, Friedrich Baron de la Motte

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Fünftes Kapitel

Duftig und hell stieg ein lieblicher Herbstmorgen vor den Fenstern auf. Es wehte ein Athmen und Leuchten herein, wie aus Alethes Kinderjahren herüber, denn schon damals hatte er diese Jahreszeit sehr geliebt, und sie mit wundersam weichen, ahnungsfrohen Schauern seines tiefsten, eigenthümlichsten Wesens und Regens begrüßt. Auch jetzt wichen die beengenden Schauer der schrecklichen Erzählung vor jenem wohlvertrauten Gruße. Ganz unzerstörbar hell und klar ward es ihm, daß – wenn auch ihm selbst auf dieser Welt nie erreichbar – doch irgendwo die unverlierbare Freude und Seeligkeit wohnen müsse; Emiliens Bild hub sich wehmüthig lieb in seinem Herzen empor.

»Wo ist denn das Fräulein von Thurn, die Schwester der Gräfin?« fragte er.

»Ach, entgegnete der Burgvogt, das holde Engelsbild hat viel gebetet und geweint um die Verlorne. Sie lebte, wie im Kloster; denn war sie schon früher ein ganz demüthig stilles, fromm abgeschiednes Kind, so ward sie es seit Frau Yolandens Verschwinden nur noch mehr. Da kam ihr aber einstmalen ein fremder Bote zu; sie ließ mich berufen, und gebot mir einen Zelter ihr zur weiten Fahrt zu rüsten, auch einen zuverlässigen Reitersknecht ihr beizugeben. Dabei weinte sie gar innig, aber ein seeliges Lächeln strahlte wie Regenbogenlicht durch die Thränen. Zur selben Zeit war die erste Kunde von Eurer nahen Heimkehr eingetroffen. Ich eröffnete ihr das schuldigermaaßen. Da weinte sie noch viel mehr, lächelte aber noch viel strahlender, und sagte endlich: »der liebe Gott macht denen, die ihn suchen, Alles gar wundersam leicht!« – Am nächsten Morgen brach sie auf; ist auch seitdem nicht wieder zurückgekehrt, und hat auch nicht das Mindeste von sich hören lassen.«

Nun erst empfand Alethes in voller Schwere die beinah trostlose Einsamkeit seines jetzigen Daseyns. Wenn auch sein gott- und ehrliebendes Gemüth nie auf einen Augenblick die Schranken vergessen konnte, die ihn von Emilien trennten, hatte er es sich doch als einen wundersüßen Trost gedacht, sie zu beschützen, und ihr suchen zu helfen nach dem alten, wahnsinnigen Freiherrn. Aber freilich war es nur zu wahrscheinlich, dieser sey mit jenem wahnsinnigen Reinaldsgreise ein und derselbe, und an dem Klippensturze im Ardennengebirge schon seit Jahren erstorben.

»Das Leben ist doch sehr schwer! « seufzte Alethes in sich hinein, und preßte seine Hand fest auf die ängstlich schlagende Brust. Da fühlte er unter dem Kleide das Büchlein, welches ihm der fromme alte Mann auf der ersten Tagefahrt gen Wien so wohlwollend geschenkt hatte. Es fast unwillkürlich hervorziehend und aufschlagend, las er folgende Worte:

»So Dein Leben sonder Hindrung frisch und günstig fortrollt, bedenke, daß man auf diese Weise bergunter zu fahren pflegt, und gehe Du mit sorglichen Gedanken fein in Dich. So Dir oftmal Steine in der Bahn entgegenstehn, und Du nur mit rechtschaffner Anstrengung fürder kommen kannst, bedenke, daß man auf diese Weise bergauf zu reisen pflegt, und hebe Dein Angesicht fröhlich und vertrauend zu dem lieben Vater empor, der jedes Haar auf deinem Haupte gezählt hat.«

Und Alethes that nach den Worten des Büchleins, und die Morgensonne legte ihre verklärendsten Schimmer über sein wieder heitergewordnes Antlitz.


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