Anatole France
Nützliche und erbauliche Meinungen des Herrn Abbé Jérôme Coignard
Anatole France

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Das Heer

II

»Mein Sohn,« fuhr mein guter Lehrer fort, »ich will dir am Stande dieser armen Soldaten, die dem König dienen, des Menschen Schmach und Ruhm in einem zeigen. In der Tat führt und zieht uns der Krieg zu unsrer angeborenen Brutalität zurück; er ist die Folge einer Wildheit, die wir mit den Tieren gemein haben, nicht allein mit den Löwen und Hähnen, die darin ganz Hervorragendes leisten, sondern auch mit den kleinen Vögeln wie die Elstern und Meisen, deren Sitten so kriegerisch sind, ja selbst mit den Insekten, den Wespen und Ameisen, die sich mit einer Hartnäckigkeit bekriegen, von der selbst die Römer hätten lernen können. Die Haupttriebfedern des Krieges sind bei Mensch und Tier die gleichen; beide kämpfen, um Beute zu machen oder sie zu beschützen, um Nest und Höhle zu verteidigen oder um ein Weibchen zu erringen. Da ist kein Unterschied; und der Raub der Sabinerinnen gemahnt mich durchaus an jene nächtlichen Kämpfe der Hirsche, die unsre Wälder mit Blut färben. Nur haben wir diese gemeinen, natürlichen Gründe mit Ehrbegriffen ausgeschmückt, die wir planlos darauf anwenden. Und wenn wir uns heute einbilden, aus sehr edlen Gründen Krieg zu führen, so liegt dieser Adel lediglich in der Unbestimmtheit unsrer Gefühle. Je weniger klar, einfach und deutlich der Zweck eines Krieges ist, um so verwerflicher und verächtlicher ist er. Und wenn es wahr ist, mein Sohn, daß man heute so weit gekommen ist, sich nur der Ehre wegen zu töten, so ist das eine grenzenlose Ausschreitung. Das übertrifft noch die Grausamkeit der wilden Bestien, die sich nicht ohne triftigen Grund umbringen. Und es ist wahr, wenn man sagt, daß der Mensch in seinen Kriegen böser und naturwidriger ist als die Stiere und Ameisen in den ihren.

Das ist aber nicht alles; und ich verachte die Heere weniger deshalb, weil sie den Tod säen, als wegen der Unwissenheit und des Stumpfsinns, der ihnen nachfolgt. Es gibt keinen ärgeren Feind der Künste als einen Führer von Söldnern oder Freischaren; und ihre Bildung ist zumeist nicht besser als die ihrer Soldaten. Die Gewohnheit, seinen Willen mit Gewalt durchzusetzen, macht den Kriegsmann sehr ungeschickt zur Beredsamkeit, die auf dem Wunsche zu überreden beruht. Und so trägt der Soldat denn auch stets Verachtung des Wortes und der schönen Künste zur Schau. Ich entsinne mich, in Séez, als ich dort Bibliothekar des Herrn Bischofs war, einen alten Hauptmann gekannt zu haben, der unter den Waffen ergraut war und für einen tapferen Mann galt. Er trug eine breite Schmarre quer durchs Gesicht und war ein Lüderjahn, der viele Männer getötet und unterschiedliche Nönnlein vergewaltigt hatte, und das ohne jegliche Bosheit. Er verstand sein Handwerk recht gut und gab große Stücke auf die Haltung seines Regiments, das besser als ein andres defilierte. Kurz, er war ein Biedermann und ein guter Kamerad, wenn es galt, einen Humpen zu leeren. Das habe ich im Wirtshause ›Zum weißen Rössel‹ erfahren, wo ich ihm manches Mal Widerpart hielt. Nun geschah es eines Nachts, daß ich ihn begleitete (denn wir waren gute Freunde), als er seine Leute instruierte, wie man sich nach den Sternen richtet. Er sagte ihnen zunächst die Vorschrift des Herrn von Louvois auf, und da er sie seit dreißig Jahren herbetete, so machte er nicht mehr Fehler als beim Vaterunser und beim Ave-Maria.

Er fing also damit an, daß die Soldaten zunächst den Polarstern suchen müßten, der allein von allen Gestirnen fest am Himmel stünde, während die andern ihn umgekehrt wie ein Uhrzeiger umkreisten. Aber was er da sagte, verstand er selbst nicht recht. Denn nachdem er sein Sprüchlein zweimal, dreimal in ziemlich gebieterischem Ton hergesagt hatte, flüsterte er mir ins Ohr:

›Verdammt! Abbé, zeigen Sie mir doch das Luder von Polarstern. Wenn ich ihn aus dem Lichtergeflacker da oben herausfinde, dann soll mich der Teufel frikassieren!‹

Ich brachte ihm sogleich bei, wie man ihn findet, und wies mit dem Finger darauf.

›Oh! Oh!‹ rief er, ›das Biest sitzt aber hoch! Von hier aus kann man ihn nicht sehen, ohne sich den Hals zu verdrehen.‹

Und sogleich gab er seinen Offizieren Befehl, die Soldaten fünfzig Schritte zurücktreten zu lassen, damit sie den Polarstern besser sehen könnten.

Was ich dir da erzähle, mein Sohn, das habe ich mit eignen Ohren gehört; und du wirst mir zugeben, daß dieser Haudegen eine recht naive Vorstellung vom Weltsystem und besonders vom wahren Stand der Gestirne hatte. Trotzdem trug er eine schöne bestickte Uniform mit den Orden des Königs darauf und war im Staate mehr geehrt als ein gelehrter Priester. Diese Unbildung ist's, die mir das Heer verleidet.«

Bei diesen Worten war mein guter Lehrer stehen geblieben, um Atem zu schöpfen, und ich fragte ihn, ob er trotz dieser Unwissenheit des Hauptmanns nicht glaubte, daß viel Geist dazu gehörte, um Schlachten zu gewinnen. Er antwortete mir folgendes:

»Tournebroche, mein Sohn, wenn man bedenkt, wie schwer es ist, Heere zusammenzubringen und zu führen, wieviel Kenntnisse der Angriff oder die Verteidigung eines festen Platzes, wieviel Geschicklichkeit ein guter Schlachtbefehl erfordert, so sieht man leicht ein, daß nur ein fast übermenschliches Genie wie das Cäsars zu solchem Unterfangen imstande ist; und man erstaunt, daß es Geister gegeben hat, die fast alle Fähigkeiten eines wahren Kriegsmannes vereinten. Ein großer Feldherr kennt nicht nur das Antlitz der Länder, sondern auch die Sitten und den Gewerbefleiß der Völker. Er behält eine Unzahl winziger Tatsachen, aus denen er sich einfache und großzügige Anschauungen bildete. Die Pläne, die er reiflich bedacht und im voraus gefaßt hat, kann er mitten im Handeln durch plötzliche Eingebung verändern, und er ist zugleich sehr verwegen und sehr besonnen; sein Denken kriecht bald mit der blinden Langsamkeit des Maulwurfes dahin, bald schwingt es sich mit Adlerflügeln empor. Aber bedenke, mein Sohn, wenn zwei Heere einander gegenüberstehen, so muß eins besiegt werden, woraus sich mit Notwendigkeit ergibt, daß das andre siegen muß, ohne daß sein Anführer alle Eigenschaften eines großen Feldherrn zu besitzen braucht, ja vielleicht nicht eine einzige. Es gibt gewiß geschickte Feldherren; es gibt auch solche, die Glück haben und die nicht minder Ruhm ernten. Wie soll man im Würfelspiel der Schlachten entscheiden, was Erfolg der Kriegskunst, was Glück ist?

Doch du bringst mich von meinem Gegenstand ab. Tournebroche, mein Sohn, ich wollte dir zeigen, daß der Krieg heute die Schande der Menschheit ist und daß er ehedem ihre Ehre war. Die Notwendigkeit zwang ihn den Staaten auf, und er ward der große Erzieher des Menschengeschlechtes. Durch ihn lernten die Menschen alle staatsbildenden und staatserhaltenden Tugenden, lernten sie Geduld, Willenskraft, Verachtung der Gefahr und den Ruhm der Selbstverleugnung. An dem Tage, wo die Hirten Felsblöcke zur Mauer zusammenwälzten, hinter der sie ihre Weiber und Herden verteidigten, entstand die erste menschliche Gesellschaft, und die Künste wurden geboren. Das große Gut, das wir besitzen, das Vaterland, die Stadt, das, was die Römer als Urbs höher verehrten als die Götter, ist eine Tochter des Krieges.

Die erste Stadt war ein Mauerring, und in dieser rauhen, blutigen Wiege entwickelten sich die erhabnen Gesetze und die schönen Gewerbe, die Künste und die Weisheit. Und darum wollte der wahre Gott, daß man ihn den Gott der Heerscharen nennt.

Was ich dir hier sage, Tournebroche, mein Sohn, das bezweckt nicht, daß du dich von dem Werbe-Unteroffizier dort anwerben läßt und den Wunsch faßt, ein Held zu werden – mit durchschnittlich sechzig Stockschlägen pro Tag auf den Buckel. Denn der Krieg ist in unsren Gesellschaften nur noch ein ererbtes Übel, eine lüsterne Rückkehr zur Wildheit, eine verbrecherische Kinderei: Die Fürsten unsrer Zeit, insbesondre der verstorbene König, werden immerdar die hehre Schmach tragen, daß sie den Krieg zum Spiel und zur Kurzweil der Höfe herabgewürdigt haben. Es ist ein schmerzlicher Gedanke, daß wir das Ende dieser planvollen Schlächtereien nicht mehr erleben werden.

Was aber die Zukunft betrifft, mein Sohn, die unerforschliche Zukunft, so erlaube mir, daß ich sie mehr im Geiste der Sanftmut und Gerechtigkeit träume, der mir innewohnt. Die Zukunft ist ein bequemer Ort für Träume. Dort wie in Utopien baut der Weise sich gern seine Luftschlösser. Ich möchte annehmen, daß die Völker dereinst friedliche Tugenden üben werden. Gerade das Anwachsen der Rüstungen ist mir eine ferne Verheißung des Weltfriedens. Die Heere werden an Zahl und Stärke unablässig zunehmen; ganze Völker werden von ihnen verschlungen werden. Dann wird das Untier an Überfütterung sterben; an Fettleibigkeit wird es krepieren.«

 


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