Bruno Frank
Cervantes
Bruno Frank

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Der seltsame Kerker

Es gab im spitzbubenreichen Sevilla keinen Ort, wo so planmäßig und ohne Mitleid gestohlen wurde wie im königlichen Gefängnis. Auch hieran, in klarer Verkettung, trugen König Philipps Unternehmungen Schuld.

Zur Armada-Zeit nämlich, in drückender Geldnot, hatte er einem reichen andalusischen Granden, dem Herzog von Alcala, diesen Kerker verpfändet. Der Herzog war ein zu vornehmer Herr, um das anrüchige Objekt selber auszubeuten, er verpachtete es an den Meistbietenden weiter. Dieser Pächter, der nun Direktor war, nützte seine zweitausend Sträflinge nach Kräften aus. Nie sank diese Zahl. Jahrzehnte lang wurden hier zweitausend Menschen geschröpft und bestohlen und bezahlten so nachträglich ein paar von Philipps Prunkschiffen, die auf dem Grunde des englischen Kanals verfaulten.

In diesem Gefängnis war nichts umsonst. Wer etwas essen wollte außer dem schlechten Brot, mußte bezahlen. In dem riesigen Bau befanden sich vier Kantinen: Wein und Speisen lieferte der Direktor. Mehrere Läden verkauften Grünzeug und Früchte, Essig und Öl, Kerzen, Tinte, Papier: von jeder Zwiebel, von jedem Federkiel hatte der Direktor seinen Gewinn. Erhielt jemand Eßwaren von außerhalb, so war ein Zoll zu entrichten. Alles war tarifiert. Das Bodenausfegen, das Entflohen der Betten, das Reinigen der Wände von Wanzen, die Erlaubnis zum Lichtbrennen, alles hatte seinen genauen Preis. Die Wächter forderten unverhohlen, und wer nicht freiwillig gab, dem 338 wurde das Seine genommen. Man zog dem Gefangenen einfach die Kleider aus und versteigerte sie in dem Trakt, der ganz öffentlich »Trödelmarkt« hieß.

Überhaupt wurden hier alle Dinge beim rechten Namen genannt. Drei hintereinanderliegende Tore besaß das Gefängnis: das goldene, das silberne und das von Kupfer, so benannt nach den Bestechungssummen, die bei der Ankunft erlegt wurden. Je nach Bezahlung war dann das Quartier. Man konnte sehr gut wohnen in diesem Kerker, in behaglichen Einzelzimmern des Oberstocks, und man konnte höllisch wohnen, zu zwei- und dreihundert beisammen in stinkenden Menschenpferchen.

Cervantes, der von diesen Bräuchen wenig wußte und auch mit Geld schlecht versehen war, sah sich in die »Eisenkammer« versetzt, einen großen, niedrigen Raum im ersten Stockwerk, dessen viel zu kleine Fenster auf die schmale Posamentergasse hinausgingen.

Hier lag Strohsack an Strohsack. Gezänk, Geschrei und Gelächter rissen nicht ab. Eine zweideutige und verrückte Lustigkeit herrschte. Ringsum wurde gespielt. Unter wüstem Gefluche nahmen die Ärmsten sich ihre Kupferdreier ab oder »auf Ehrenwort« ihre zukünftige Beute. Zunächst aber kostete jeden das Glücksspiel nur Geld. Denn Karten und Würfel verlieh der Direktor.

An diesem ersten Tag rührte sich Miguel Cervantes viele Stunden lang nicht von seiner 339 Bettstatt. Starb man nicht Hungers hier oder wurde von den Läusen aufgefressen, so hatte man für Wochen zu schauen. Es war ein ungeahntes Menschengemisch.

Denn hier existierte kein Unterschied nach dem Grunde der Haft. Sträfling, Untersuchungsgefangener oder Schuldhäftling – alles galt völlig gleich. Der Kaufmann, der einen Wechsel nicht einlösen konnte, schlief neben dem abgeurteilten Räuber. Der Stutzer, der seinem Schneider schuldig geblieben, wurde vom Muttermörder gehänselt, für den im Hof schon der Galgen gerichtet war. Einbrecher und Raufer, Fälscher und Falschmünzer, Sodomiten und Kinderschänder lebten mit Leuten, die garnichts getan hatten und das erst beweisen sollten, in phantastischer Gemeinschaft. Durch einen vergitterten Schacht blickte man in das Weibergefängnis, das unterhalb lag. Diese Öffnung war immer belagert. In zehn Stunden lernte Cervantes mehr plastisch unflätige Redensarten kennen, als ihm sonst sein Wanderdasein in zehn Jahren vor die Ohren gebracht hatte.

Die Tür zur »Eisenkammer« stand offen. Die Insassen gingen ab und zu. Besuch aus der Stadt erschien jeden Augenblick und wurde tobend empfangen. Aber als Cervantes aufstand, um draußen irgendwo frische Luft zu schöpfen, wurde ihm mit gekreuzten Hellebarden der Austritt verwehrt. Hierfür mußte bezahlt werden, einmal für immer. Auch die Ärmsten im Saal hatten dafür bezahlt – für das Recht, die Kloake aufzusuchen.

340 Er schloß Bekanntschaften an diesem Tag. Sie schlichen um ihn herum, setzten sich neben ihn, hauchten ihm ihren allzu würzigen Atem ins Gesicht und nannten würdevoll ihre Zunftnamen. Mit Achtung betrachteten sie seinen Stumpf, im offenbaren Glauben, er habe die Hand auf dem Richtblock verloren. »Schlechte Arbeit!« bemerkte einer, »Anfängerarbeit, verhunzt und verschrumpelt!« Miguel fühlte sich zur Aufklärung keineswegs bemüßigt; allzu oft hatte er von Lepanto erzählen müssen. »Gambalon«, stellte sich der Andere vor, »auch der Schinken genannt, seit vorgestern Sklave Seiner Majestät«. Das sollte heißen, daß er seit vorgestern zur Galeere verurteilt sei.

»Weswegen denn?« fragte Cervantes mit Höflichkeit.

»Straßenraub.«

»Ah!«

An der Türe entstand Bewegung. Jemand wurde wie tot hereingetragen. Seine Freunde tränkten hastig ein Leintuch mit Wein und schlugen es um ihn.

Gambalon erhob sich, indem er sich formvoll entschuldigte. Dies sei Polarte, ein besonders guter Kumpan, zu wöchentlich zweimaliger Auspeitschung verurteilt. Das Geld sei leider nicht aufzubringen gewesen, um den Foltermeister zu kaufen. – Was denn das Vergehen des Herrn Polarte gewesen sei? – »Hat gesündigt mit dem, was man braucht.« Und als Cervantes ihn fragend ansah: »Mit dem, was sich abnützt,« variierte er 341 kurz und empfahl sich, von so viel Unkenntnis etwas peinlich berührt.

Nacht und Schlafenszeit kam, aber deshalb noch keine Ruhe. Durch den riesigen Bau schallte der Wächterruf: »Torschluß! Torschluß! Torschluß zum dritten!« Getrampel draußen, Gelächter, Geschrei. Ein Trompetenstoß folgte. Donnernd schlugen die Tore zu.

Der Saal übervölkerte sich. Viele von denen, die jetzt erschienen, hatte Cervantes tagsüber noch nicht erblickt. Alles drängte sich vor einen primitiven Altar, der ein mit Safranfarbe bemaltes Marienbild trug und darunter ein Lämpchen. Ein stämmiger Mensch, der seine Capa so drapiert hatte, daß sie fiel wie eine Sutane, zündete zwei Wachskerzen an. Mit Erstaunen bemerkte Cervantes eine kurze Peitsche in seiner Hand. Wer sich noch auf dem Strohsack lümmelte oder sein Würfeln nicht unterbrach, den jagte er auf. Endlich sangen sie Alle einstimmig das Salve mitsamt den Responsorien. Dann befahl der mit der Peitsche ein Avemaria und vier Paternoster. Und die befremdliche Veranstaltung endete damit, daß der Chor aus vollem Halse brüllte: »Herr Jesus Christ, der Du Dein teures Blut für uns vergossen hast, habe Mitleid mit mir, denn ich bin ein armer Sünder!«

Es hallte und schallte gewaltig, die Worte schienen aus allen Mauern zu dringen. Es war auch so. Alle Gemeinschaftssäle waren gleichzeitig Schauplatz der gleichen Zeremonie. Dann klatschte der Chorführer mit seiner Peitsche, und im 342 selben Augenblick öffnete sich auch schon die Tür und herein stürzte, eine Moschuswolke vor sich her treibend, ein Schwarm von dreißig oder vierzig Weibern, feinster Ausbruch von den »Compas« und von der Calle del Agua. Es war offenbar, daß sie schon gewohnt waren, Nächte hier zu verbringen, zu kurzweiligem Trost.

Unmöglich für den Neuling zu schlafen. Es herrschte nicht die mindeste Aufsicht. Jeder tat hier, was ihm gefiel, und tat es öffentlich, mit Prahlerei. Licht kam vom Altar her und von zwei Heiligenbildern, links und rechts neben der Tür. Jede halbe Stunde riefen die Wächter draußen hallend einander an wie die Schiffswachen: »Vela! Vela! Ahao!« und stießen mit durchdringendem Klirren ihre Hellebarden auf die steinernen Böden.

Endlich war er doch eingenickt. Da traf grelles Licht seine Lider. In phantastischem Fackelschein sah er vor sich eine maskierte Gruppe: den Henker im roten Kleid, zwei Polizeidiener und einen Pater. Sie schwenkten eine aussätzige Puppe, die einen Strick um den Hals trug. »So soll der Sünder des Todes sterben!« riefen sie alle vier mit theaterhaft hohler Stimme und streckten bettelnd die Hände aus. Das sei jede Nacht so, erfuhr Cervantes von seinem Bettnachbar Gambalon, der sein Schnarchen kaum unterbrach, – die Veranstalter zahlten dafür ein Monatsgeld an den Direktor.

Am Morgen ersah er keine Möglichkeit, sich zu waschen. Er händigte den Schließern die Hälfte seiner Barschaft ein und erhielt freien Austritt 343 zum Hof, wo zwischen zwei soliden Galgen der Brunnen sprang.

Einige Stunden darauf wurden im Saal die Brote verteilt: immer für drei Gefangene ein großer, schwarzer, schlecht gebackener Laib. Aber da keinem Häftling ein Messer belassen war, mußten sie Hilfe in Anspruch nehmen. Im Gänsemarsch begab man sich zu dem beamteten Vorschneider, der den Laib in vier Teile zerlegte. Ein Mittelstück behielt er für sich zum Weiterverkauf. Sein Pachtschilling an den Direktor sollte beträchtlich sein.

Wie Cervantes kauend auf seinem Strohsack saß und aus übernächtigen Augen den Weg zweier Wanzen verfolgte, die mühsam über die Rupfendecke wegstrebten, stand plötzlich Gutierrez vor ihm. Der Freund war rot im Gesicht und schnaufte vor Anstrengung oder Erregung. In seiner herabhängenden linken Hand trug er am dünnen Hals eine bauchige Flasche voll Rotwein. Er blickte auf das elende Lager, bemerkte auch eine der Wanzen – die andere war soeben verschwunden – und schnalzte bedauernd laut mit der Zunge. »Komm, Alter!« sagte er nur. Miguel stand gehorsam auf. Sein Bündel war noch nicht ausgepackt. Gutierrez legte behutsam den Arm um ihn und führte ihn hinaus aus der »Eisenkammer«, über menschenwimmelnde Gänge und Stiegen. Miguel dachte nicht anders, als daß er frei sei; er traute Gutierrez alles nur Mögliche zu. Aber vor dem Kupfertor ging es jenseits eine andere Stiege hinauf. Er ließ sich geleiten.

344 Im obersten Stockwerk stand eine Tür offen. Ein ziemlich großes, unbewohntes Gemach lag vor ihnen. Es war sonnig und sauber.

»Logis und Kost bezahlt für einen Monat, mein Miguel. Aber so lange wirst Du nicht bleiben. Setz Deine Eingabe auf, sobald Du den Kopf dafür hast. Dann zahlen wir ihnen ihre zweihundert Taler, und Du bist frei!«

Gutierrez hatte seine bauchige Flasche auf den Tisch gesetzt. Die breit einfließende Septembersonne brach sich prächtig in dem rubinenen Wein. Cervantes schaute schwermütig daraufhin.

Als der Freund gegangen war, blieb er untätig mitten im Zimmer sitzen. Summend drang das Gelärm des närrischen Elendshauses in sein Gelaß.

In diesem obersten Stockwerk lag die Wohnung des Direktors und Pächters. Die übrigen Räume vermietete er. Die Wenigen, die hier untergebracht waren, wurden sorglich bedient. Sie lebten wie in einem sehr ordentlichen Gasthof.

Nach kurzer Zeit erschien ein Wärter und brachte Schreibzeug und Aktenpapier. »Im Auftrag des Herrn, der eben gegangen ist! Für die Eingabe an die Behörde. Euer Gnaden möchten es ja nicht vergessen!«

Cervantes nickte.

»Wenn sonst für irgend etwas Bedarf ist – Euer Gnaden brauchen nur vor die Türe zu treten und in die Hände zu schlagen. Zum Abendessen gibt es heute Aal und dann Rindszunge mit Pfeffersauce. Es kann aber alles geändert werden.«

Gehorsam setzte sich Cervantes sogleich vor 345 den Stoß Papier und tauchte den Kiel ein. Kein Zweifel daran: diese Schuldhaft konnte nicht dauern. Der Fall lag ja klar. Was aber hernach? Was eigentlich war gewonnen für ihn, wenn die drei Tore hinter ihm lagen und er wieder draußen stand in den Straßen von Sevilla...

Langsam schrieb er, mit kurialen Schnörkeln, die Überschrift:

»An den Herrn Präsidenten der Königlichen Oberrechnungskammer, in Madrid.«

Aber dabei blieb es. Er kam nicht weiter. Von ungefähr war sein Blick in den Spiegel gefallen, der in geringer Höhe über dem Tisch an der Wand hing. Dieser Spiegel war ein billiges Ding, nicht aus Glas gefertigt, sondern aus poliertem Blech, dreieckig geformt, oben breit, unten spitzig, in einem Rahmen aus rotem Holz. Cervantes betrachtete sich. Lieber Himmel, sah er so aus! Waren sein Kinnbart und der lange, hängende Schnurrbart nicht kürzlich noch golden gewesen? Jetzt waren sie trübes Silber. Und diese langen, tiefen, schlaffen Falten neben der Nase. Der Mund... Er wies sich selber die Zähne. Wenn er noch acht oder zehn besaß, war es viel, und nicht zwei davon bissen recht aufeinander, alle standen sie in eigensinniger Isolierung umher. Die Augen allein schienen wie ehedem, in denen wohnte noch mutiges Leben. Sonst aber... Der schlechte Spiegel zog alles noch in die Länge, kläglich und komisch. Viele Monate hatte er sich nicht mehr selber beschaut, jetzt fand er ein melancholisches Vergnügen daran, zu studieren, was das Dasein 346 übrig gelassen hatte von ihm. Ohne daß er's recht wußte, begann er zu kritzeln, zu zeichnen. Ungelenk zeichnete er sich selber ab auf seinem Kanzleiblatt. Er strichelte sein Gesicht hin, hager und eckig, unmäßig lang und übertrieben krummnasig. Solch ein Porträt an den Kammerpräsidenten zu schicken, das müßte eindrucksvoller sein als alle Worte. Wenn er sich darstellte auf seinem Maultier, wie er über die steinigen Straßen dahinritt im verfluchten Dienst, den Amtsstab eingeklemmt unter dem Arm.

Er zeichnete das. Es gefiel ihm. Es wurde nicht das wohlgenährte, ärarische Maultier mit den feurigen Augen. Es wurde ein elendes, ausgemergeltes Gerippe von Pferd. Er selber thronte darauf mit dürrem Leib, endlose Beine traurig herniederhängend. Dem Stab unterm Arm gab er keine runde Bekrönung, sondern ließ ihn spitz auslaufen wie eine Lanze.

Zur Lanze die Rüstung. Er bekleidete sich mit einer Art Panzer und mit einem helmartigen Gebilde, daran kein Visier war. Sporen jetzt noch an die Stiefel, riesige Räder! Das war der Ritter, ihr Herren von der Rechnungskammer, der für eure Kassen auf Eroberung auszog im ausgesogenen Lande.

Der Ritter! Endlich hatte er absteigen dürfen vom Gaul und saß bequem im Gefängnis. Endlich hatte er Muße. Eine sonderbare Art von Wohlbehagen überkam ihn... Der gute Gutierrez, der ihm dazu verhalf! Einmal mußte der Mensch sich noch selber beschauen, ehe er ins 347 Grab hinunterstieg, das nicht mehr gar ferne sein konnte.

Er begann in dem geräumigen Gemach auf und ab zu wandern, bemüht, Vergangenes zu sichten, zu klären.

Aber es war zu viel. Alles ging wirr durcheinander. Ein ununterscheidbares Wogen von Hoffnung, Entschluß und Enttäuschung, neuem Anlauf, neuer Enttäuschung. »Kirche, Meer oder Königshaus« – Illusion und Enttäuschung. Ein Gerichtsvollzieher, verflucht, von Bauernfäusten mit Steinen beworfen! Glaubte er Gold in der Hand zu halten und tat er die Hand auf, so war es Kot. Die Venezianerin Gina stand mitten im Zimmer, tückisch lächelnd aus weißem Gesicht. Don Juan d'Austrias Brief, Glückshoffnung seiner Jugend: Urteilsbrief zu langer Gefangenschaft. Illusion, Illusion! Weitergezogen, bis man alt war und steif, Chimären vor Augen, Chimäre des Glücks, Chimäre der Freiheit. Einmal hielt er die Freiheit wirklich im Arm. Enttäuschung, Enttäuschung! Ach, ihre Gestalt war nicht schön. Die Gemeinheit warf sich zur Richterin auf über den, der in Träumen lebte.

Es war nicht hell mehr im Zimmer. Er merkte es nicht. Der Wärter hatte Essen für ihn hingestellt. Er berührte es nicht. Er durchlief seine Jahre der Länge und Quere nach. Immer wieder kam er die selben Straßen, der Ritter schien sich selber entgegenzureiten wie ein Gespenst. Illusion und Traum! Traum vom indischen Amt, Gouverneur oder Richter. Traum vom Dichterruhm, der 348 entschwebte. Traum vom ländlichen Frieden im Mancha-Dorf...

Aber hier stockte er. Der Zeit in Esquivias zu gedenken, erfüllte ihn immer mit einer dunklen Beschämung. Lange hatte er sich Catalina nicht mehr vor Augen gestellt, obwohl sein Kind bei ihr aufwuchs. Sein Kind – eine Illusion auch dies Kind. Jetzt sah er sie vor sich mit ihren Büchern. Sie saß auf dem Boden, um sich verstreut all die zerlesenen Bände voll edlen Unsinns, an den sie glaubte. Sah hunderttausend Catalinas im weiten Land, die an Hirngespinsten sich sättigten, letztem törichtem Nachhall großer Vergangenheit. An all diesen Olivantes und Clarians, die mit leuchtender Waffe Riesen und Zaubergeister zu Boden warfen. Nicht so war sein Held.

Sein Held... Er trat an den Tisch. Im Flackerschein der entzündeten Kerze beschaute er sein primitives Bildnis. Nein, sein Ritter war kein holdseliger Jüngling, kein rosiger Cherub. Ein braver, klappriger Alter, ein bißchen närrisch geworden durch all den verschollenen Spuk. Müßt' es nicht prächtig sein, so einen ausziehen zu lassen, im Glauben, noch sei die Ritterzeit. Was für tolle und bittere Scherze, wenn er auf seiner knochigen Mähre durch das Spanien von heute ritt, durch die arme Mancha etwa, wo die Bauern sich um den Eierpreis sorgten. Wenn er allenthalben Kampfesehren ersah und zu erlösende Unschuld, als ein rührender Narr, der ewig zu fassen meint, was ewig entschwebt und zergeht. Und der überall seine Schläge bezieht, niedergeworfen 349 wird, sich aufrichtet, weiterzieht, unenttäuschbar, mit starrem Greisenblick entgegen dem unverlöschlichen Schimmer der Illusion...

Von unten hallte der Torschluß-Ruf. Nun begann das plärrende Beten. Es drang durch Boden und Mauer, das Haus schlitterte leicht vom tausendstimmigen Leiern der Ausgestoßenen. Er hörte es schon nicht mehr. Er ergriff seinen Kiel. Auf dem Blatt mit der Adresse des Präsidenten, dicht unter dem gekritzelten Bildnis, fing er zu schreiben an:

»Noch nicht lange ist's her, da lebte in einem Dorfe der Mancha, auf dessen Namen ich mich nicht besinnen mag, ein Hidalgo. Er war einer von denen, die einen Spieß und einen alten Lederschild im Waffenschrank haben, einen magern Klepper im Stall und ein Windspiel zur Jagd...« 350

 


 << zurück weiter >>