Gustav Frenssen
Peter Moors Fahrt nach Südwest
Gustav Frenssen

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Kapitel VII.

Gegen Ende der vierten Woche kamen vorgeschickte Reiter wieder einmal mit der Meldung, der Feind wäre nahe. Da machten wir ein besseres Lager als gewöhnlich. Wir stellten unter einem großen Baum das Zelt des Alten auf und machten einen starken Dornverhau rund um uns und hoben draußen Latrinen aus und schliefen die Nacht.

Am andern Morgen in aller Frühe, als ich vom Posten kam, hörte ich, daß alle unsere Reiter, nicht allein die alten Afrikaner, sondern auch die meisten Offiziere als Patrouille ausziehn und die Stellung der Feinde erkunden wollten. Bald darauf sah ich auch, wie sie sattelten und das Maschinengewehr und den einen zweiräderigen Karren mit Ochsen bespannten. Dann zogen sie, gegen vierzig Reiter, noch in aller Frühe aus dem Lager. Der Alte mit seiner kleinen, strammen Gestalt und seinem forschen Gesicht ritt mitten unter ihnen. Auch unser Leutnant ritt mit. Ich ärgerte mich, daß er statt meiner den Unteroffizier mitgenommen hatte. Doch sah ich ihm nach, bis der schmale Sandweg in den Büschen verschwand. Er trug den Hut auf dem linken Ohr.

Nachdem sie fort waren, fingen wir eine große Wäsche an, denn es war an dieser Stelle ziemlich viel Wasser in tiefen Löchern, die in den hellgrauen kalkigen Boden hinein gegraben waren. Wir machten bei unserm Feuerloch eine breite Grube, legten eine wasserdichte Zeltbahn darüber, gossen das Wasser hinein, zogen unsere Lumpen aus und wuschen und rieben mit großem Eifer. Dann hingen wir sie über die Büsche zum Trocknen. So verbrachten wir den Tag ein wenig munterer als lange und sprachen über unsere Reiter: ob sie den Feind wohl fänden, und wann sie wohl wiederkämen. Gegen Abend ging ich zu unsern Proviantwagen und empfing unser Teil für die Backschaft und machte einen Mehlpapp, und wir setzten uns nach unserer Gewohnheit um das Kochloch und aßen.

Als wir noch so saßen, sahen wir plötzlich, wie die nächste Backschaft die Hälse reckte und aufstand. Zugleich hörten wir ein Rufen vom Ende her. Da sprangen wir auf und sahen, auf dem Weg her, auf dem unsere stolze Patrouille heute morgen ausgezogen war, einen einzelnen Reiter heran galoppieren. Er war vor Anstrengung matt, daß er mit den schweren Sprüngen des Pferdes hin und her wankte, und das Pferd war dunkelblank von Schweiß und mit Schaumflocken übersät. Sie halfen ihm vom Pferde. Sprechen konnte oder wollte er nicht. Der Hauptmann kam aus dem Zelt und nahm ihn mit sich.

In dem Augenblick kamen, kurz nacheinander, zwei weitere Reiter, alte Afrikaner. Der eine war ein Schleswiger, eine tüchtiger, ernster Mann. Sie riefen nach dem Hauptmann und sagten vom Pferd mit schwerer Stimme: »Über die Hälfte sind tot.« Da riefen wir durcheinander: »Wer denn? Was denn? Wer lebt denn? Wo ist der Alte? Ist Peter tot? Ist unser Leutnant tot? Sag' es doch!« Aber sie sagten nichts. Da kam auch der erste wieder aus dem Zelt und sagte: »Die Karre wird gleich kommen mit mehreren Offizieren, die verwundet sind.«

Da machten wir unsere Gewehre bereit, verstärkten den Posten und schickten einen Zug aus, dem Wagen entgegen, und warteten und brüteten vor uns hin und sprachen mit leiser Stimme. Wir waren wie auf den Kopf geschlagen.

Bald hörten wir dann von ferne aus dem Busch Peitschenknallen; dann sahen wir das weiße Zeltdach des Wagens zwischen den Büschen schimmern. Das Geschirr der Ochsen war verwirrt; mehrere der Tiere waren verwundet. Auf der Kiste, mitten im Wagen, saßen die verwundeten Offiziere, mehrere andere lagen wie tot daneben. Der Alte aber stand in der Mitte aufrecht. Sein Haar war blutig und sein Gesicht war bleich. Die Lazarettgäste kamen mit wollenen Decken gelaufen und legten sie über die Liegenden und trugen sie vom Wagen. Das Blut sickerte in großen roten Tropfen vom Wagenbrett. Nach geraumer Zeit kamen, nach und nach, noch fünfzehn, unter ihnen der Sergeant Hansen. Das war alles was wiederkam.

Ich ging zu meiner Backschaft zurück und saß eine Weile trübsinnig unter ihnen. Die alten Afrikaner saßen nicht weit von uns. Ich wagte aber nicht zu ihnen zu gehn; denn sie waren ein kleiner Haufe geworden. Zuletzt ging ich doch und setzte mich stumm ein wenig zur Seite.

»Er wollte zurück,« sagte Sergeant Hansen und starrte vor sich in das Feuer. »Aber er hatte einen schlimmen Schuß im Bein. So ist er liegen geblieben.«

Es wurde ein anderer Mann genannt. »Der hatte Glück,« sagte der Schleswiger. »Er bekam einen Schuß in die Brust und lag gleich still.«

Ich fragte leise nach unserm Leutnant. »Ich weiß nicht,« sagte der eine. Der andere sagte: »Er ging zur Seitendeckung in den Busch. Karl hat ihn da fallen sehn.«

Einer erzählte vom Alten: »Ich höre mein Leben lang in all dem Jammer und Geschieße seine ruhige Stimme. Es ist ein Wunder, daß er lebend davon gekommen ist.«

Ein anderer sagte: »Sie haben sich alle gut gemacht. Sie lagen und standen und sprangen, und lagen todwund, als tapfere Männer.«

Der Schleswiger schüttelte den Kopf und legte die Hand schwer auf sein Knie: »Daß uns das geschehen konnte!« Sie nannten zwei gute Namen, alte Afrikaner, die geführt hatten und gefallen waren.

Ich sagte mit starker Stimme: »Es sind merkwürdig viele Tote und wenige Verwundete.« Aber Hansen sagte: »Sei nicht so dumm. Sie machen keine Gefangenen. Wir tun's ja auch nicht.« Dann sprachen sie noch davon, daß wir nun wohl ein Gefecht haben würden und daß dies Gefecht ein sehr schweres sein würde.

Während ich noch bei ihnen saß und ihnen zuhörte, wurden in der Mitte unseres Lagers aus großen Pistolen rote und weiße Glühkugeln als Signale steil in den Nachthimmel hinauf geschossen. Viele standen auf den Wagen und auf den Ästen der Bäume und sahen über das weite, dunkle, schweigende Buschfeld, ob von der großen Abteilung eine Antwort käme. Aber es kam keine.

Als Ruhe im Lager befohlen wurde, ging ich zu meiner Backschaft zurück. Unser Unteroffizier war nicht wieder gekommen.

Da wurde ich am andern Tag zum Gefreiten befördert. Die Knöpfe, die Gehlsen mir schenkte, nähte ich mir mit weißem Zwirn an. Schwarzer Zwirn war nicht da.

Wir lagen noch mehrere Tage an dieser Stelle. Es kamen und gingen täglich mehrere Male Patrouillen; aber keine hatte vom Feind etwas gesehen. Auch kam immer noch keine Botschaft oder Signale von der Hauptabteilung. Wir sprachen viel über unsere Lage und meinten, der Feind werde eines Tags, von der Hauptabteilung bedrängt, mit seinen Tausenden nach Osten zu auf uns los kommen und uns überrennen, um in die Wüste durchzubrechen. Das mochte wohl ein schwerer Stand werden.

Nach einigen Tagen wurde das Wasser knapp und schlecht. Wir brachen also am Nachmittag auf. Wir marschierten mit großer Vorsicht; denn es war anzunehmen, daß der Feind, der wegen seiner großen Viehherde viel Wasser brauchte, die nächsten Wasserlöcher, die sehr reichhaltig sein sollten, innehätte und hart verteidigen würde. Einige Sektionen mußten also zu beiden Seiten ausschwärmen und geduckt zwischen den Büschen vorschleichen, das Gewehr in beiden Händen bereit. Dazu wurde auch ich kommandiert.

Da unser Haupttrupp auf dem hindernislosen Weg rasch vorwärts kam, hatten wir, die wir immer vorn zur Seite sein mußten, tüchtig zu laufen, zu schleichen, zu bücken, zu springen, immer Fühlung zu halten. So ging es durch sieben Stunden. Als ich abgelöst wurde, war ich todmüde, meine Stiefel, die schon seit vierzehn Tagen vorn zerrissen waren, hatten lose Sohlen. Meine Füße waren wund. Im Weitermarschieren band ich mir die Sohlen mit Riemen aus frischer Ochsenhaut und zog mir starke Dornen aus Händen und Armen.

Wir gingen bis in die tiefe Nacht hinein, die besonders dunkel war. Mitten in der Nacht kam von der Spitze her plötzlich Befehl, Halt zu machen und aufzurücken. Auch die Wagen fuhren in großer Eile auf und zusammen. Im Viereck knieten wir um sie, das Gesicht nach draußen, das Gewehr bereit. Wir meinten, nun käme der Ansturm. Wir gierten alle danach. Aber es kam nichts, und bald hieß es: »Gewehre zusammenstellen und Decken empfangen!« Da stellten wir Posten auf und lagerten dort die Nacht.

Früh am andern Morgen zogen wir unbehindert weiter und kamen gegen Mittag an die Wasserstelle. Es war ein ziemlich großes, von kalkiger Erde weißliches Feld; in mehreren tiefen Löchern war ziemlich viel gutes Wasser. Da lagerten wir.

Am andern Morgen zog unsere Kompanie aus, um die Stelle zu suchen, an der unsere große Patrouille gefochten hatte und zur Hälfte vernichtet war. Nach einem langen, beschwerlichen Marsch durch dichten Busch, an mehreren flachen Teichen vorbei, die gutes Wasser hatten, sahen wir über dem Buschfeld gegen Mittag unendlich viele Geier und Adler in der Luft schweben und auf Bäumen sitzen. Wir gingen darauf zu und kamen an eine lichte Stelle, die am andern Ende eine kleine buschig werdende Anhöhe sanft hinauf lief, auf welcher, schon im Busch ziemlich versteckt, verlassene Hütten der Feinde standen. An dieser Anhöhe, vor den Hütten des Feindes, lagen viele Leichen der Unsrigen im hohen, dürren Gras, nackt, verstümmelt und zerfressen. Viele von uns waren still; andere knirschten mit den Zähnen und ballten die Hände und fluchten; andere spotteten und sagten: »Wie lange wird es dauern, dann liegen wir auch so. Dann haben wir keine Not mehr.«

Wir stellten Wachen rund um uns in den Busch und fingen an, die andern Toten zu suchen, besonders die, welche in den Busch ausgeschwärmt und dort gefallen waren, und fanden sie alle. Da gruben etliche Gräber, andere flochten aus dem dürren Gras Kränze, andere machten aus Holzstücken Kreuze, andere kappten mit ihren Messern und Seitengewehren die hornharten Dornbüsche. Dann legten wir die Toten in ihre Gräber, schaufelten sie zu und legten die abgehauenen dornigen Äste als einen Verhau darüber, damit die wilden Tiere und Menschen sie in Ruhe ließen, und zogen wieder nach dem Lager.


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