Gustav Freytag
Die verlorene Handschrift
Gustav Freytag

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Viertes Kapitel

Der Professorenball

In diese akademische Verstörung fiel der große Professorenball, das einzige Fest des Jahres, welches sämtlichen Familien der Universität Gelegenheit gab, in fröhlicher Geselligkeit zusammenzutreffen. Auch Studenten und andere Bekannte wurden geladen, der Ball war in der Stadt wohlangesehen und die Einladungen begehrt.

Ein akademischer Tanz ist etwas ganz anderes als ein gewöhnlicher Ball. Denn außer allen guten Eigenschaften eines distinguierten Balles erweist er noch drei Vorzüge deutscher Wissenschaft: Fleiß, Freiheit und Gleichgültigkeit; Fleiß im Tanzen, auch bei den Herren, Freiheit in anmutigem Verkehr zwischen jung und alt und Gleichgültigkeit gegen Uniformen und lackierte Tanzstiefel. Zwar die Jugend hat auch hier im ganzen einen weltbürgerlichen Charakter, denn dieselben Tanzweisen, Roben, Sträuße und Verbeugungen, grüßende Augen und gerötete Bäckchen mag man bei tausend ähnlichen Festen von der Newa bis nach Kalifornien erblicken. Nur wer genauer zusah, erkannte wohl an einem Mädchenkopf die geistvollen Augen und beredten Lippen, welche von dem gelehrten Vater auf sie übergegangen waren, und vielleicht in Locken und Bändern eine kleine akademische Eigenheit. Und der alte Satz, welchen Tiefsinn vergangener Studenten gefunden: Professorentöchter sind entweder hübsch oder häßlich, empfahl sich auch hier dem betrachtenden Menschenfreund, die landesübliche Mischung beider Eigenschaften waren selten. Und unter den Tänzern waren neben einigen Offizieren und der Blüte städtischer Jugend, dem gewöhnlichen Ballgut, hier und da junge Gelehrtengesichter zu sehen, hager und bleich, umflossen von schlichtem Haar, welches mehr geeignet war, sinnig auf die Bücher hinabzuhängen, als im Tanz durch den Saal zu schweifen. Was aber diesem Fest seinen Wert gab, war gar nicht die Jugend, sondern Herren und Frauen in gesetzten Jahren. Unter den älteren Herren mit grauem Haar und fröhlichem Antlitz, welche in Gruppen zusammenstanden oder behaglich zwischen den Damen umhertrieben, viele bedeutende Köpfe, feine ausgearbeitete Züge, ein frisches, lebendiges, unterhaltsames Wesen. Und unter den Frauen nicht wenige, die sonst das ganze Jahr geräuschlos zwischen dem Arbeitszimmer des Gatten und der Kinderstube einherschwebten, und die sich jetzt im ungewohnten Staatskleid dem Kerzenglanz ausgesetzt sahen, ebenso schüchtern und verschämt, wie sie vor langer Zeit als Mädchen gewesen waren.

Diesmal aber war beim Beginn des Festes in einzelnen Gruppen doch eine gewisse Spannung unverkennbar. Der Teetisch Werner hatte angenommen, daß Struvelius nicht kommen werde. Aber er war da. Er stand still in sich gezogen mit seinem gewöhnlichen zerstreuten Blick unweit des Eingangs, und Ilse und ihr Gatte mußten an ihm vorüber. Als Ilse am Arm des Professors durch den Saal schritt, sah sie, daß die Augen vieler sich neugierig auf sie richteten, und hohe Röte stieg ihr in die Wangen. Der Professor führte sie der Frau des Kollegen Günther zu, welche mit Ilse verabredet hatte, daß sie am Abende zusammenhalten wollten, und Ilse war froh, als sie auf einem der erhöhten Sitze neben der muntern Frau Platz gefunden hatte, und sie wagte im Anfange nur schüchtern um sich zu blicken. Aber der Schmuck des Saales, die vielen stattlichen Menschen, welche suchend, plaudernd, grüßend den großen Raum füllten, dazwischen die ersten Klänge der Ouvertüre, gab ihr bald eine gehobene Stimmung. Sie getraute sich weiter umzuschauen und nach ihren Bekannten zu spähen, vor allem nach dem lieben Manne. Sie sah ihn unweit der einen Saaltür stehen inmitten seiner Freunde und Genossen, ragend an Haupt und Gliedern. Und sie sah unweit der andern Tür den Gegner Struvelius stehen mit kleinem Gefolge, fast nur von Studenten umgeben; so standen die Männer zwiefach geteilt, den Groll in ihrem Busen ehrbar bändigend. Aber zu Ilse kamen die Bekannten des Gatten, der Doktor kam und lachte sie aus, weil sie vorher große Sorge gehabt, wie man in dem Gewirr fremder Menschen einander finden werde, auch der Mineraloge kam und erklärte seine Absicht, sie um einen Tanz zu ersuchen. Doch Ilse machte ihm dagegen ernste Vorstellungen: »Bitte, tun Sie das nicht, ich bin in den neuen städtischen Tänzen nicht sicher, und Sie möchten mit mir nicht gut bestehen. Da wollen wir einen Grundsatz daraus machen, und ich werde gar nicht tanzen. Aber das ist auch nicht nötig, denn mir ist sehr festlich zumute, und ich freue mich von Herzen über all die schmucken Leute.« Bald traten Fremde heran, ließen sich ihr vorstellen, und sie erlangte schnell größere Gewandtheit, Tänze abzuschlagen. Darauf führte auch der Historiker seine Tochter zu ihr, der würdige Herr sprach längere Zeit mit Ilse und setzte sich endlich sogar neben sie, und Ilse fühlte freudig, daß darin eine Auszeichnung lag. Endlich wagte sie sich selbst einige Schritte von ihrem Platz, um Frau Professor Raschke zu sich zu holen. Und es dauerte nicht lange, so bildete sie mit den Bekannten eine hübsche kleine Gesellschaft, die niedliche Frau Günther machte allerliebste Scherze und erklärte ihr fremde Damen und Herren. Auch die Frau Rektorin kam herbei und sagte, sie müsse sich zu ihnen setzen, weil sie merke, daß es bei ihnen so lustig hergehe, und die Magnifizenz warf ihre Augen wie Leuchtkugeln hin und her und zog einen Herrn nach dem andern zu der Gruppe; und wer der Magnifizenz Hochachtung bewies, der begrüßte auch die neue Frau Kollegin. Es wurde in ihrer Nähe ein Kommen und Gehen wie aus einem Jahrmarkt, und Ilse und die Magnifizenz saßen da wie zwei Nachbarsterne, von denen einer den Glanz des andern vermehrt. Alles war gut und schön, Ilse war seelenvergnügt, und es fand in ihrer Nähe nur etwas mehr freundschaftliches Händeschütteln statt, als sich im ganzen mit der Feierlichkeit eines Balles verträgt. Und als Felix auch einmal herzutrat und sie fragend ansah, da drückte sie ihm leise die Fingerspitze und lachte ihn so glücklich an, daß er keiner weitern Antwort bedurfte.

Da, in einer Pause, als Ilse die Wände des Saales entlang sah, erblickte sie auf der entgegengesetzten Seite Frau Professor Struvelius. Sie saß in auffallend dunkelm Kleide, ihre eine sapphische Locke hing ernst und schwermütig von dem feinen Haupt. Die Gattin des Feindes sah bleich aus und blickte still vor sich nieder. In der Haltung der Frau war etwas, was Ilsen das Herz bewegte, und ihr war, als müßte sie hinübergehen. Sie überlegte, ob ihrem Felix das recht sein werde, und fürchtete sich auch vor einer kalten Abweisung. Endlich aber faßte sie ein Herz und schritt quer durch den Saal auf die gelehrte Frau zu.

Sie wußte nicht, was sie tat. Sie selbst war viel mehr aufgefallen, sie wurde viel schärfer beobachtet, und die Anwesenden beschäftigte der Zwist zweier Häuptlinge viel angelegentlicher, als sie ahnte. Wie sie jetzt mit festem Schritt auf die andere zuging und schon einige Schritt vor ihr die Hand nach ihr ausstreckte, da entstand eine bemerkbare Stille im Saale und viele Augen richteten sich auf die beiden Frauen. Die Struvelius erhob sich geradlinig, stieg eine Stufe von ihrem Sitz hinab und sah so gefroren aus, daß Ilse erschrak und kaum eine alltägliche Frage nach ihrem Befinden über die Lippen brachte.

»Ich danke Ihnen,« antwortete die Struvelius, »ich bin keine Freundin lauter Geselligkeit, wohl nur deshalb, weil mir alle Eigenschaften dafür fehlen. Denn zuletzt ist dem Menschen nur da wohl, wo er Gelegenheit hat, irgendeine Anlage tätig darzustellen.«

»Mit meiner Anlage sieht es vollends schlecht aus,« sagte Ilse schüchtern, »aber mir ist hier alles neu und deshalb unterhalte ich mich sehr durch das Zusehen, und ich möchte meine Augen überall haben.«

»Das ist bei Ihnen eine ganz andere Sache,« versetzte die Struvelius mit kalter Abfertigung.

Zum Glück wurde die dürftige Unterhaltung im Beginn unterbrochen. Denn die Konsistorialrätin schoß neugierig wie eine Elster zu der Gruppe, um menschenfreundlich zu vermitteln oder in der auffallenden Szene mitzuwirken. Sie pickte in das Gespräch hinein, und gleichgültige Reden wurden kurze Zeit fortgesetzt. Ilse kehrte erkältet auf ihren Platz zurück, mit sich selbst ein wenig unzufrieden. Sie hatte keine Ursache dazu. Die kleine Günther sagte ihr leise: »Das war recht, und ich bin Ihnen jetzt noch einmal so gut;« und Professor Raschke kam zu ihr herangeschossen; er erwähnte nichts, aber nannte sie einmal über das andere seine liebe Frau Kollega. Er fragte besorgt, ob er ihr nicht etwas Gutes, wie Tee oder Limonade, zutragen dürfe, er nahm den feingeschnitzten Fächer, den ihr Laura aufgenötigt hatte, bewundernd aus ihrer Hand und steckte ihn aus Vorsicht in die Brusttasche seines Fracks. Dabei kam er auf eine lustige Geschichte, wie er als Student sich in seiner kleinen Stube selbst tanzen gelehrt hatte, um seiner gegenwärtigen Frau zu gefallen, und im Feuer seiner Erzählung begann er vor Ilse die Methode darzustellen, durch welche er sich in der Stille die ersten Pas beigebracht. Er bewegte sich gerade im Schwunge, und der Schwanenflaum des Fächers ragte wie eine große Feder aus seinem Flügel hervor, als ein neuer Tanz begann und der Professor durch die wirbelnden Paare mit Lauras Fächer weggefegt wurde. – Es waren nur wenige Schritte, die Ilse durch den Saal getan hatte, aber die kleine Äußerung eines selbständigen Willens hatte ihr die gute Meinung der Universität gewonnen. Denn mancher Bemerkung, welche wohl über ihr ländliches Wesen gemacht wurde, klang jetzt bei Männern und Frauen die Anerkennung entgegen: sie hat Gemüt und Charakter.

Nach altem Brauch wurde der Ball in seiner Mitte durch ein gemeinschaftliches Abendessen unterbrochen. Würdige Professoren waren schon einige Zeit vorher im Nebenzimmer spähend um gedeckte Tische gewandelt, hatten vorsorglich Zettel gelegt und mit wohlgekräuselten Kellnern eine Weinlieferung verabredet. Endlich lagerte sich die Gesellschaft, nach Familien geordnet, um die Tafeln. Als Ilse am Arm des Gatten nach ihrem Platze schritt, fragte sie leise: »War's recht, daß ich hinüberging?« Und er erwiderte ernsthaft: »Es war nicht unrecht.« Damit mußte sie sich vorläufig begnügen.

Während der Tafel brachte Magnifikus den ersten Toast auf die akademische Geselligkeit aus, und die Herren vom Teetisch fanden, daß seine leise Anspielung auf ein freundliches Zusammenhalten der Kollegen in unzarter Weise an die brennende Frage des Tages rühre. Aber diese Wirkung ging sogleich in andern Trinksprüchen unter, und Ilse bemerkte, daß die Tischreden hier anders betrieben wurden als in der Familie Rollmaus, denn ein Kollege nach dem andern schlug an das Glas. Wie zierlich und geistreich wußten sie leben zu lassen, sie hielten ihre Frackschöße und blickten kaltblütig in die Runde und gedachten in herrlichen Worten der Gäste, der Frauen und der übrigen Menschheit. Als die Pfropfen des Champagners knallten, wurde die Beredsamkeit übermächtig, und es schlugen sogar zwei Professoren zu gleicher Zeit an die Gläser. Da erhob sich noch einmal der Professor der Geschichte, und alles wurde still. Er begrüßte die neuen Mitglieder der Universität, die Frauen und Männer, und Ilse merkte, daß dieser Gruß auch auf sie selbst gehe, und sah auf ihren Teller herab. Aber sie erschrak, als er immer persönlicher wurde und zuletzt gar ihren Namen laut in den Saal rief und den der Mineralogin, welche auf der andern Seite ihres Felix saß. Die Gläser klangen, ein Tusch wurde geblasen, viele Kollegen und einige Frauen erhoben sich und zogen mit ihren Gläsern heran, es entstand hinter den Stühlen eine kleine Völkerwanderung, und Ilse und die Mineralogin mußten ohne Aufhören anstoßen, danken und sich verneigen. Als Ilse errötend aufstand, um mit den Grüßenden anzustoßen, streifte ihr Blick unwillkürlich die nächste Tafel, wo wieder die Struvelius gegenüber saß, und sie sah, wie diese nach dem Glase zuckte, aber schnell zurückfuhr und finster vor sich hinstarrte.

Die Gesellschaft erhob sich, und jetzt erst begann die rechte Festfreude. Denn auch die Professoren wurden regsam und gedachten ihrer alten Tüchtigkeit. Und der Saal erhielt ein verändertes Aussehen, denn jetzt drehten sich auch ehrwürdige Herren mit ihren eigenen Frauen im Kreise. Ach, es war für Ilse ein herziger und rührender Anblick! Mancher alte Frack und bequeme Wegstiefel bewegte sich im Takte. Die Herren tanzten entschlossen mit allerlei Schleifung des Fußes und kühner Bewegung der Knie in dem Stil ihrer Jugendzeit und mit dem Gefühl, daß sie ihre Kunst auch noch verstanden. Einige der Frauen hingen schüchtern in den Armen der Tänzer, manche auch etwas schwerfällig, andern aber sah man an, wie gut sie das Regiment im Hause führten, denn wenn die Wissenschaft des Gemahls nicht ganz ausreichte, wußten sie ihn durch ein kräftiges Herumschwingen im Kreise fortzutreiben. Und Magnifikus tanzte mit seiner runden Frau, sehr zierlich, und Raschke tanzte mit seiner Frau und sah beim Anlauf, der einige Zeit in Anspruch nahm, triumphierend nach Ilse hinüber. Bei diesem Ball geschah, was lange nicht vorgekommen war: die Professoren wagten auch eine Senioren-Française. Als aber Raschke dazu antrat, entstand ein besorgtes Kopfschütteln seiner Vertrauten. Nicht ohne Grund, denn er brachte eine heillose Verwirrung in die Touren. Er wollte seine Frau durchaus nicht mit einer andern Dame vertauschen, welche ihm gegenüberstand, dann ergab sich, daß er keine feste Ansicht über seinen eigentlichen Platz gewinnen konnte, und erst am Ende, als ein großer Stern gebildet wurde, bei welchem die Herren an der Außenseite als Strahlen herumkreisten, da fand er sich an der Hand irgendeiner Dame wieder zurecht und schwenkte lachend seine Beinchen gegen die Außenwelt.

Lustiger wurde das Getümmel, alle Nachbarinnen Ilsens waren durch den Taumel ergriffen und tanzten Walzer; Ilse stand unweit einer Säule und sah in das bunte Treiben herab. Da strich etwas hinter ihr herum, ein seidenes Kleid rauschte, die Struvelius trat neben sie.

Betroffen sah Ilse in die großen grauen Augen der Gegnerin, welche langsam begann: »Ich halte Sie für edel und gemeiner Empfindung ganz unfähig.«

Ilse verneigte sich ein wenig, um ihren Dank für die unerwartete Erklärung auszudrücken.

»Ich gehe umher,« fuhr die Struvelius in ihrer gemessenen Weise fort, »wie mit einem Fluche beladen. Was ich in diesen Wochen gelitten habe, ist unaussprechlich, heute in der lauten Freude komme ich mir vor wie eine Ausgestoßene.« Das Tuch in ihrer Hand zitterte, aber sie sprach eintönig fort: »Mein Mann ist unschuldig und in der Hauptsache von seinem Recht überzeugt. Mir als seiner Frau geziemt, seine Auffassung und sein Schicksal zu teilen. Aber ich sehe auch ihn durch eine unselige Verwicklung innerlich verstört, und ich fühle mit Entsetzen, daß ihm die gute Meinung seiner nächsten Bekannten verloren sein mag, wenn es nicht gelingt, die Zweifel zu lösen, welche sich um sein Haupt sammeln. – Helfen Sie mir,« rief sie in plötzlichem Ausbruch die Hände ringend, und zwei große Tränen rollten ihr über die Wangen.

»Vermag ich das?« fragte Ilse.

»Es ist ein Geheimnis bei der Sache,« fuhr die Struvelius fort, »mein Mann hat die Unvorsichtigkeit gehabt, unbedingtes Schweigen zu versprechen, sein Wort ist ihm heilig, und er selbst ist wie ein Kind in Geschäften und weiß sich in dieser Sache keinen Rat. Ohne sein Wissen und Zutun muß versucht werden, was ihn rechtfertigt. Ich bitte Sie, mir dabei Ihren Beistand nicht zu versagen.«

»Ich kann nichts tun, was mein Mann mißbilligen würde, und ich habe bis jetzt niemals ein Geheimnis vor ihm gehabt,« versetzte Ilse ernst.

»Ich will nichts, was nicht vor dem strengsten Urteil bestehen könnte,« fuhr die andere fort. »Ihr Gemahl soll zuerst wissen, was ich etwa ermitteln kann; gerade deshalb wende ich mich an Sie. Ach, nicht deshalb allein, ich weiß niemanden, dem ich vertrauen könnte. – Ihnen sage ich, was ich nicht von Struvelius erfahren habe, er hat das unglückliche Pergamentblatt von Magister Knips erhalten und an diesen wieder zurückgegeben.«

»Das ist der kleine Magister aus unserer Straße?« fragte Ilse neugierig.

»Derselbe. Ich muß den Magister veranlassen, daß er das Blatt wieder herbeischafft oder mir sagt, wo es zu finden ist. Nicht hier ist der Ort, dies zu sprechen,« rief sie, als die Tanzmusik verstummte. »Bei der Stellung unserer Männer darf ich Sie nicht besuchen, es würde mir zu schmerzlich sein, die veränderte Haltung Ihres Gemahls in einer Begegnung zu empfinden; aber ich wünsche Ihren Rat und bitte Sie, eine Zusammenkunft am dritten Ort möglich zu machen.«

»Wenn Magister Knips im Spiel ist,« erwiderte Ilse zögernd, »so schlage ich vor, sich zu Fräulein Laura Hummel, meiner Hausgenossin, zu bemühen, wir sind in ihrem Zimmer ungestört, und sie weiß mehr von dem Magister und seiner Familie als wir beide. Aber, Frau Professorin, wir armen Frauen werden bei einem fremden Manne schwerlich etwas durchsetzen.«

»Ich bin entschlossen, alles zu wagen, um meinen Gatten von dem unwürdigen Verdacht zu befreien, der sich gegen ihn zu erheben droht. Beweisen Sie sich so, wie Sie mir erscheinen, und ich will Ihnen auf den Knien danken.« Sie drückte wieder heftig mit der Hand und sah dabei sehr gleichgültig aus.

»Wir treffen uns morgen,« versetzte Ilse, »darin wenigstens darf ich Ihrem Vertrauen entsprechen.« Und sie beredeten die Stunde.

So trennten sich die Frauen. Noch einmal sah die Struvelius hinter der Säule hervor aus ihren großen Augen flehend nach Ilse, dann umschloß beide der Schwarm aufbrechender Ballgäste.

Nach der Heimfahrt hörte Ilse noch lange im Traum die Tanzmusik und sah fremde Männer und Frauen an ihr Lager kommen, und sie lachte und wunderte sich über die närrischen Leute, die sich gerade eine Zeit aussuchten, wo sie im Bett lag ohne ihr schönes Kleid und den Fächer. Aber in diese frohe Betrachtung fuhr die heimliche Sorge, daß sie ihrem Felix von all diesen Besuchen nichts sagen dürfe. Und da sie leise über solchen Zwang seufzte, schwebte der Traum zurück nach der elfenbeinernen Pforte, aus welcher er herangezogen war, und ein fester Schlummer löste ihr die Glieder.

Am nächsten Morgen ging Ilse zu Laura hinauf und vertraute ihr die Ereignisse des Abends, zuletzt die Bitte der Struvelius. Die geheime Zusammenkunft mit der Frau Professorin war ganz nach Lauras Sinn. Sie hatte in den letzten Wochen am Teetisch mehr als einmal von dem geheimnisvollen Pergament gehört, sie fand den Entschluß der Struvelius hochherzig und sprach von allem, was Magister Knips anzetteln könne, mit Verachtung.

Mit dem Stundenschlag traf Frau Struvelius ein. Sie sah heut recht gedrückt und leidend aus und man erkannte auch hinter ihren unbeweglichen Zügen die ängstliche Spannung.

Ilse kürzte die unvermeidliche Einleitung von Grüßen und Entschuldigungen ab, indem sie begann: »Ich habe Fräulein Laura von Ihrem Wunsche gesagt, das Pergamentblatt zu erhalten, sie ist bereit, Herrn Magister Knips sogleich herüberzurufen.«

»Das ist unendlich mehr, als ich zu hoffen wagte,« sagte die Struvelius, »ich war bereit, mit Ihrer gütigen Hilfe ihn selbst aufzusuchen.«

»Er soll herkommen,« entschied Laura, »und er soll sich hier verantworten. Er ist mir immer unausstehlich gewesen, obgleich er mir manchmal für Geld hübsche kleine Bilder gemalt hat. Denn seine Demut ist so, wie sie keinem Manne geziemt, und ich halte ihn im Grund seines Herzens für einen Schleicher.«

Die Köchin Susanne wurde gerufen und von Laura in Gegenwart der Frauen als Herold in die Burg der Knipse gesandt. »Du sagst unter keinen Umständen, daß jemand bei mir ist, und wenn er kommt, führst du ihn sogleich herauf.« Susanne kehrte mit schlauem Gesicht zurück und überbrachte den Gegengruß: »Der Magister läßt sagen, er wird sich sogleich die hohe Ehre geben. Er erstaunte, aber es war ihm recht.«

»Er soll sich wundern,« rief Laura. Die verbündeten Damen ließen sich um den Sofatisch nieder und empfanden den Ernst der Stunde, welche ihnen bevorstand. »Wenn ich mit ihm spreche,« begann Frau Struvelius feierlich, »haben Sie die Güte, genau auf seine Antworten zu achten, damit Sie dieselben im Notfalle wiederholen können, seien Sie mir Beistand und Zeugen.«

»Ich kann schnell schreiben,« rief Laura, »ich will aufzeichnen, was er antwortet, nachher kann er's nicht ableugnen.«

»Das wird zu sehr wie ein Verhör,« warf Ilse ein, »es macht ihn nur mißtrauisch.«

Draußen scholl das wütende Gekläff eines Hundes. »Er kommt,« rief die Struvelius und rückte sich entschlossen zurecht. Ein polternder Schritt ließ sich von der Treppe hören, Susanne öffnete und Magister Knips trat ein.

Gefährlich sah der nicht aus, ein kleiner gekrümmter Mann, von dem man zweifeln konnte, ob er jung oder alt war, ein blasses Gesicht mit hervorragenden Backenknochen, auf denen zwei rote Flecke lagen, zusammengedrückte Augen, wie Kurzsichtige zu haben pflegen, von vieler Nachtarbeit bei trüber Lampe gerötet, so stand er, den Kopf auf eine Seite geneigt, in fadenscheinigem Rock, ein demütiger Diener, vielleicht ein Opfer der Wissenschaft. Als er drei Damen sitzen sah, wo er seinem Herzen nur für eine Fassung gegeben hatte, alle streng und feierlich, darunter die Frauen gewaltiger Männer, blieb er bestürzt an der Tür stehen. Doch faßte er sich und machte drei tiefe Verbeugungen, wahrscheinlich jeder Dame eine, enthielt sich aber alles Gebrauchs der Worte. »Setzen Sie sich, Herr Magister,« begann Laura herablassend und wies auf einen leeren Stuhl gegenüber dem Sofa. Der Magister trat zögernd heran, rückte den Stuhl weiter aus dem Bereich der drei Schicksalsgöttinnen und schob sich mit einer neuen Verbeugung auf eine Ecke des Rohrgeflechts.

»Es wird Ihnen bekannt sein, Herr Magister,« begann Frau Struvelius, »daß die letzte Schrift meines Mannes Erörterungen veranlaßt hat, welche allen Beteiligten und, wie ich voraussetze, auch Ihnen peinlich gewesen sind.«

Knips machte ein sehr klägliches Gesicht und legte den Kopf ganz auf eine Schulter.

»Ich berufe mich jetzt auf das Interesse, welches auch Sie für die Studien meines Mannes haben, und ich berufe mich auf Ihr Herz, wenn ich Sie ersuche, mir offen und geradsinnig die Auskunft zu geben, welche uns allen wünschenswert sein muß.« Sie hielt an, Knips sah mit gebeugtem Haupt von der Seite zu ihr hinüber und schwieg ebenfalls. »Ich bitte um eine Antwort,« rief die Struvelius nachdrücklich.

»Ach sehr gern, hochverehrte Frau Professorin,« begann endlich Knips mit feiner Stimme, »ich weiß nur nicht, worauf ich antworten soll.«

»Aus Ihren Händen hat mein Mann das Pergament bekommen, welches die Veranlassung zu seiner letzten Abhandlung gewesen ist.«

»Hat der Herr Professor der hochverehrten Frau Professorin das gesagt?« fragte Knips noch kläglicher.

»Nein,« antwortete die Struvelius, »aber ich habe durch die Tür gehört, daß Sie kamen, und ich habe gehört, daß er versprach, über etwas zu schweigen, und da ich später bei ihm eintrat, sah ich das Pergament auf seinem Tisch liegen, und als ich danach fragte, sagte er mir auch: das ist ein Geheimnis.«

Der Magister sah ängstlich in der Luft umher und senkte den Blick endlich auf seine Kniespitzen, welche in ungewöhnlicher Glätte und Abgestoßenheit glänzten.

»Wenn der Herr Professor selbst meinten, daß die Sache Geheimnis sei, so steht doch mir nicht zu, darüber zu sprechen, selbst wenn ich in der Tat etwas wüßte.«

»Sie verweigern also, uns Auskunft zu geben?«

»Ach! hochverehrte und wohlgeneigte Frau Professorin, ich würde niemandem lieber eine Mitteilung machen als den gütigen Damen, welche hier ich zu sehen die Ehre habe, aber ich bin viel zu schwach, Ihnen hierin zu dienen.«

»Haben Sie auch überlegt, was Ihre Weigerung für verwirrende Folgen haben muß für meinen Gatten, für die ganze Universität, und was Ihnen mehr als dies alles gelten muß, wenn Sie im Dienst der Wahrheit stehen, für die Wissenschaft?«

Knips gab zu, im Dienst der Wahrheit zu stehen.

Laura merkte, daß das Verhör sich in Seitenpfade schlängelte, auf denen das Pergament nicht zu finden war, sie sprang auf und rief: »Gehen Sie einmal hinaus, Magister Knips, ich habe mit Frau Professorin etwas zu besprechen.« Knips erhob sich bereitwillig und machte eine Verbeugung. »Sie dürfen aber nicht fort, treten Sie in das Zimmer nebenan. Kommen Sie, ich werde Sie sogleich wieder einlassen.« Knips folgte mit gesenktem Haupte und Laura kam auf den Fußspitzen zurück und sagte leise: »Ich habe ihn eingeschlossen, damit er nicht entläuft.« Die Frauen neigten die Köpfe zu geheimer Beratung.

»Sie behandeln ihn zu zartfühlend, Frau Professorin,« flüsterte Laura, »bieten Sie ihm Geld, das wird ihn locken. Es ist hart, daß ich so etwas sagen muß, aber ich kenne die Familie Knips, sie ist egoistisch.«

»Auch ich habe für den äußersten Fall daran gedacht,« versetzte die Struvelius, »ich wollte ihn nur nicht durch ein kaltes Angebot verletzen, wenn eine männliche Empfindung in ihm lebt.«

»Ei was,« rief Laura, »es ist gar kein Mann, es ist nur ein Hasenfuß. Und wenn er Ihnen widersteht, so bieten Sie mehr. Bitte, hier ist meine Sparkasse.« Sie lief zum geheimen Schreibtisch und holte die Perlentasche hervor.

»Ich bin Ihnen von Herzen dankbar,« raunte die Struvelius und zog auch ihre Börse aus dem Gewande. »Wenn es nur reichen wird,« sagte sie, ängstlich an den Schnüren ziehend, »sehen wir schnell, was wir haben.«

»Behüte,« rief Laura erschrocken, »sie ist ja voll Gold.«

»Ich habe zu Geld gemacht, was ich gerade konnte,« erwiderte hastig die Struvelius. »Das ist ja jetzt alles unwesentlich.«

Ilse nahm beiden Frauen die Börsen aus der Hand und sagte fest: »Das ist zu viel. Solche Summe dürfen wir ihm nicht anbieten, wir wissen nicht, ob wir nicht den armen Mann in Versuchung führen, ein Unrecht zu tun. Überhaupt, wenn wir Geld bieten, lassen wir uns auf einen Handel ein, den wir gar nicht verstehen.« Das bestritten die andern, und im Flüsterton wurde eifrig darüber verhandelt.

Endlich entschied Laura: »Zwei Goldstücke soll er haben, und damit abgemacht.« Sie eilte hinaus, den Gefangenen wieder einzuführen.

Als der Magister eintrat, sah die Struvelius so bittend auf Ilse, daß diese sich überwand, die Verhandlung einzuleiten. »Herr Magister, wir Frauen haben uns in den Kopf gesetzt, das Schriftstück zu erhalten, welches die Herren Gelehrten so sehr beschäftigt, und da Sie Bescheid wissen, bitten wir Sie, uns dabei zu helfen.« Magister Knips bewegte seine Lippen zu einem untertänigen Lächeln.

»Wir wollen es kaufen,« fiel die Struvelius ein, »und wir bitten Sie, den Ankauf zu besorgen. Sie sollen das Geld haben, welches Sie dafür brauchen.« Sie fuhr in ihre Börse, vergaß in ihrer Angst die Verabredung und zählte einen Louisdor nach dem andern auf den Tisch, daß Laura erschrocken zu ihr sprang und sie von hinten heftig an dem Tuch zupfte. Knips trug sein bedrängtes Haupt wieder auf der Schulter, und wie ein Hündchen auf die Hand des Brotschneidenden starrt, blickte er auf die kleinen Finger der Frau Professorin, aus denen ein Goldstück nach dem andern fiel. »Dies und noch mehr gehört Ihnen,« rief die Struvelius, »wenn Sie mir das Pergament schaffen.« Der Magister fuhr in die Tasche nach seinem Tuch und trocknete sich die Stirne. »Wohl wird Denenselben bekannt sein,« sagte er klagend, »daß ich viele Korrekturen lesen muß, und manches Mal in die liebe Nacht arbeiten, bevor ich nur den zehnten Teil von dem verdiene, was hier liegt. Es ist eine großer Verlockung für mich, aber ich glaube nicht, daß ich das Pergamentblatt schaffen kann. Und wenn es mir gelingen sollte, so fürchte ich, es könnte nur unter der Bedingung sein, daß den Streifen keiner der Herren Professoren in die Hand bekommt, sondern daß derselbe hier in Gegenwart der hochverehrten Frauen und Fräulein vernichtet wird.«

»Gehen Sie noch einmal hinaus, Magister Knips,« gebot Laura aufspringend, »lassen Sie aber Ihren Hut hier liegen, damit Sie uns nicht entwischen.«

Der Magister verschwand zum zweiten Male. Wieder fuhren die Frauenköpfe zusammen.

»Er hat das Blatt, und er kann es schaffen. Jetzt wissen wir's,« rief Laura.

»Auf sein Anerbieten können Sie nicht eingehen,« sagte Ilse, »denn es liegt Ihnen doch nichts daran, das Blatt zu behalten, es soll nur noch einmal von unsern Männern untersucht werden, dann kann es ja der Herr Magister wieder zurücknehmen.«

»Bitte, schaffen Sie alles Geld fort bis auf dies hier,« riet Laura, »und erlauben Sie mir, jetzt aus einem andern Tone mit ihm zu sprechen, denn meine Geduld ist am Ende.« Sie öffnete die Tür: »Kommen Sie herein, Magister Knips, und hören Sie mich mit Überlegung an. Sie haben sich geweigert, das Geld ist verschwunden bis auf zwei Stücke, die liegen noch für Sie da. Aber nur unter der Bedingung, daß Sie auf der Stelle schaffen, was Frau Professorin von Ihnen erbeten hat. Denn wir haben Ihnen deutlich angesehen, Sie besitzen das Blatt, und wenn Sie sich noch weigern, so kommt uns der Verdacht, daß Sie dabei etwas Unehrliches verübt haben.« Knips sah sie erschrocken an und winkte flehend mit der Hand. »Und ich gehe sogleich zu Ihrer Mutter und sage ihr, daß es ein Ende hat zwischen ihr und unserm Hause. Ich gehe hinüber zu Herrn Hahn und erzähle ihm von Ihrem Verhalten, und daß er Ihnen Ihren Bruder auf den Hals schickt. Ihr Bruder ist in einem Geschäft und weiß, was Redlichkeit heißt. Und wenn er es nicht einsieht, so wird Herr Hahn daran denken, und auch Ihrem Bruder wird es nicht zum Heile gereichen. Zuletzt will ich Ihnen noch etwas sagen. Ich lasse auf der Stelle Herrn Fritz Hahn herüberbitten und wir teilen ihm alles mit, und dann soll er mit Ihnen verhandeln. Denn daß Fritz Hahn mit Ihnen fertig wird, wissen Sie. Und ich auch, denn ich habe als kleines Mädchen dabeigestanden. Ich kenne Sie, Herr Magister. Wir auf unserer Straße sind nicht von der Art, daß wir uns hinters Licht führen lassen. Und wir halten auf Ordnung in der Nachbarschaft. Deshalb schaffen Sie das Blatt, oder Sie sollen Laura Hummel kennenlernen.« Das rief Laura mit blitzenden Augen, und sie ballte die kleine Hand gegen den Magister. Und Ilse sah mit Erstaunen, wie in der Rede der Eifrigen auf einmal der Doktor als Ajax gegen den Magister heranstürmte.

Wenn ein Vortrag nach seinen Wirkungen beurteilt werden darf, so war Lauras Anrede musterhaft, denn sie bewirkte in dem Magister völlige Zerstörung. Er war unter den Menschen und Gewohnheiten der kleinen Straße aufgewachsen und würdigte sehr wohl die Folgen, welche Lauras Feindschaft für das geringe Behagen seines eigenen Lebens haben konnte. Er kämpfte deshalb eine Weile um die Worte, endlich begann er leise: »Da es so weit gekommen ist, daß Fräulein Laura sogar gegen mich selbst etwas mutmaßt, so bin ich allerdings genötigt, den hochverehrten Frauen zu sagen, wie die Sache zusammenhängt. Ich kenne einen kleinen reisenden Händler, der allerlei Antiquitäten mit sich führt, Holzschnitte, Miniaturen, auch Bruchstücke alter Handschriften, und was sonst in dieser Art vorkommt, ich habe ihm manchmal Kunden zugewiesen und wohl auch über den Wert seltener Sachen Auskunft gegeben. Dieser Mann zeigte mir bei seinem Hiersein einen Haufen alter Pergamentblätter, über welche er bereits, wie er sagte, mit einem Auswärtigen im Handel war. Und weil man jetzt auf die doppelt beschriebenen Blätter sehr aufmerkt, war ihm der Streifen aufgefallen und mir auch. Ich las einiges darin, soweit man es durch den Leim erkennen konnte, der noch darüber lag, und ich bat ihn, mir das Pergament wenigstens zu leihen, damit ich es einem unserer großen Herren Gelehrten zeigen könnte. Ich trug es zu Herrn Professor Struvelius. Und als der Herr Professor meinten, die Sache wäre vielleicht der Mühe wert, ging ich wieder zu dem Händler. Dieser sagte mir, verkaufen könne er das Blatt vorläufig nicht, aber es sei ihm recht, wenn darüber geschrieben würde, denn dadurch könnte es größeren Wert erhalten. In dieser Woche ist er wieder angekommen, um es mit fortzunehmen. Jetzt weiß ich nicht, ob es noch vorhanden ist, und ich kann gar nicht sagen, ob er es für dieses Geld herausgeben wird. Ich besorge: nein.«

Die Frauen sahen einander an. »Sie alle hörten diese Aussage,« begann die Struvelius. »Aber weshalb haben Sie, Herr Magister, meinen Mann gebeten, niemandem zu sagen, daß das Pergament von Ihnen kommt?«

Der Magier wand sich auf dem Stuhl und sah verlegen auf seine Knie herab. »Ach, die hochverehrten Damen werden mir zürnen, wenn ich das ausspreche. Herr Professor Werner hat gegen mich immer viele Freundlichkeit gehabt und ich hatte Angst, derselbe könnte übel empfinden, wenn ich einen solchen Fund nicht zuerst ihm zeigte. Und doch hatte auch Herr Professor Struvelius mich wieder zu Dank verpflichtet, denn derselbe hatte mir geneigtest Korrektur und Inhaltsverzeichnis seiner neuen großen Ausgabe übertragen. Deshalb stand ich zwischen zwei schätzbaren Gönnern in Verlegenheit.«

Das war so kläglich, daß es leider nicht unwahrscheinlich war.

»O bewirken Sie, daß Ihr Gemahl ihn anhört,« rief die Struvelius.

»Wir hoffen, Herr Magister, Sie werden Ihre Worte vor andern wiederholen, welche den Inhalt besser verstehen als wir,« sagte Ilse, und der Magister erklärte furchtsam seine Bereitwilligkeit.

»Aber das Pergament müssen Sie doch schaffen,« warf Laura dazwischen.

Knips zuckte die Achseln. »Wenn es möglich ist,« sagte er, »und ob der Mann für diesen Betrag mir das Blatt überlassen wird –«

Die Struvelius griff wieder nach der Tasche, aber Ilse hielt ihr die Hand fest und Laura rief: »Wir geben nicht mehr.« »Dennoch, aber,« fuhr der Magister, gedrückt durch den Widerstand seiner Richterinnen, fort: »es sind Zweifel erhoben an der Echtheit, und wie es bei solchen Leuten geht, vielleicht hat das Blatt dem Händler dadurch an Wert verloren. – Aber, hochverehrte Frauen und Fräulein, wenn es mir gelingen sollte, Ihnen zu dienen, so flehe ich in Ehrerbietung, daß Dieselben mir nicht den unglückseligen Anteil nachtragen, den ich ohne mein Verschulden in dieser schwierigen Sache gehabt habe. Sie hat mich die ganze Zeit sehr bekümmert, und seit die Worte des Herrn Professors Werner gedruckt wurden, habe ich jeden Tag gejammert, daß ich je mit einem Auge auf das Blatt gesehen. Denn ich darf meine gewichtigen Gönner nicht verlieren, wenn ich nicht in den Abgrund des Elends sinken soll.«

Diese Worte regten den Richterinnen das Mitleid auf, und die Struvelius sagte gütig: »Wir glauben Ihnen, denn es ist eine häßliche Empfindung, auch wider Willen andere getäuscht zu haben.« Aber Laura, welche sich zur Vorsitzenden des Rates aufgeworfen hatte, entschied kurz: »Ich bitte also, daß alle Beteiligten sich morgen um dieselbe Stunde hierher bemühen. Ihnen, Magister Knips, gebe ich bis dahin Zeit, das Blatt in unsere Hände zu liefern. Nach Ablauf dieser Frist wird Wäsche entzogen, das Haus verboten und der Familie Hahn Anzeige gemacht. Sehen Sie zu, daß wir im Guten auseinander kommen.«

Der Magister näherte sich dem Tisch, schob mit einem Finger die Geldstücke in die hohle Hand, welche er bescheiden unter dem Rand der Tischplatte hielt, machte geknickt drei tiefe Verbeugungen und empfahl sich den hochverehrten Anwesenden.

Ilse erzählte dem Gatten das Abenteuer, und Felix hörte erstaunt von der Rolle, welche das gelehrte Faktotum in der Tragödie gespielt hatte.

Schon am nächsten Morgen erschien der Magister vor dem Gelehrten. Atemlos zog er das eingepackte Unglücksblatt aus der Tasche und trug es mit geneigtem Haupt und ausgestreckter Hand, immer kleiner werdend, demütig und flehend von der Tür bis zum Arbeitszimmer des Professors. »Dem Herrn Professor dies zu bringen, möchte ich immer noch eher wagen, als zum zweitenmal höherer weiblicher Würde entgegentreten. Wenn der Herr Professor geruhen wollten, dasselbe durch Dero Gemahlin geneigtest in die Hände der neuen Eigentümerin zu befördern.« Auf die strengen Fragen des Professors begann er Bericht und Verteidigung. Was er sagte, war nicht unwahrscheinlich. Dem Professor war der Name des unsichern Händlers bekannt, er wußte, daß der Mann sich in diesen Wochen am Orte aufgehalten hatte, und bei den zahlreichen Verbindungen, welche Knips im Interesse seiner Gönner unterhielt, war seine Bekanntschaft mit diesem Verkäufer nicht auffallend. Der Professor untersuchte neugierig das Pergament. Hatte hier eine Fälschung stattgefunden, so war sie meisterhaft ausgeführt; aber Knips selbst brachte eine Lupe aus der Westentasche und machte darauf aufmerksam, wie man unter dem Vergrößerungsglase erkenne, daß einige Male die schattenhaften Schriftzüge der scheinbar ältesten Hand über die Buchstaben des Kirchengebets geführt, also später aufgemalt seien. »Des Herrn Professors Einwürfe in der Literaturzeitung haben mich aufmerksam gemacht, und heut früh, als ich das Pergament in die Hand bekam, habe ich sorgenvoll untersucht, was vorher durch den aufgestrichenen Kleister undeutlich war. Und soweit ich mir in solchen Dingen überhaupt ein Urteil erlauben darf, wage ich jetzt Dero Ansicht zu teilen, daß ein Falsarius an diesem Blatt Übles getan hat.«

Der Professor warf das Blatt weit von sich: »Ich bedaure, daß Ihre Hand jemals an dies gerührt hat. Denn Sie haben, wenn auch wider Willen, eine Verwüstung angerichtet, deren Schmerzlichkeit Sie wohl nicht übersehen. Auch um Sie selbst tut es mir sehr leid. Dieser unglückliche Vorfall wirft einen Schatten auf Ihr Leben. Ich würde viel darum geben, wenn ich ihn hinwegwischen könnte. Denn wir kennen einander von mancher Arbeit, Herr Magister, ich habe für Ihre opfervolle Tätigkeit zugunsten anderer immer Teilnahme gefühlt. Und trotz Ihrem Bücherschacher, den ich nicht lobe, und trotz der Zersplitterung Ihrer Zeit durch Arbeiten, die auch Schwächere abmachen könnten, habe ich Sie stets für einen Mann gehalten, dessen ungewöhnliche Kenntnisse Achtung einflößen.«

Der gebeugte Magister erhob das Haupt und über sein Gesicht flog ein Lächeln. »Und ich habe Herrn Professor immer für den einzigen unter meinen vornehmen Gönnern gehalten, welcher das Recht hätte, mir zu sagen, daß ich zu wenig gelernt habe. Der Herr Professor sind ebenso der einzige, dem ich zu gestehen wage, daß ich mich in der Stille auch als einen Gelehrten zu ästimieren nicht unterlassen kann. Und ich verhoffe, daß Sie mir nicht das Zeugnis versagen werden, Denenselben stets ein zuverlässiger und treuer Arbeiter gewesen zu sein.« Er fiel in sein gedrücktes Wesen zurück, als er fortfuhr: »Was geschehen ist, soll mir für die Zukunft eine Lehre sein.«

»Ich muß mehr von Ihnen fordern. Zuerst werden Sie sich Mühe geben, durch Ihre Bekanntschaft den Versteck zu ermitteln, aus welchem diese Fälschung hervorgegangen ist, denn sie ist schwerlich der zufällige Einfall eines gewissenlosen Mannes, sondern Beginn einer unheimlichen Industrie, welche noch mehr Unheil anrichten kann. Ferner ist Ihre Pflicht, auf der Stelle Herrn Professor Struvelius das Pergament zu überbringen und Ihre Entdeckung mitzuteilen. Sie selbst aber werden gut tun, fortan vorsichtiger in der Wahl der Geschäftsleute zu sein, mit welchen Sie verkehren.« Diese Ansichten teilte Knips vollständig und schied, indem er sich flehentlich für die Zukunft zu hochgeneigter Berücksichtigung empfahl.

»Er ist doch irgendwie bei der Schurkerei beteiligt,« rief der Doktor.

»Nein,« entgegnete der Professor. »Sein Unrecht ist, daß ihm bis zum letzten Augenblick mehr an einem Handel als an Ermittelung der Wahrheit lag.« Und Frau Professor Struvelius sprach am Nachmittag zu Ilse: »Was wir erreicht haben, ist für meinen Gatten sehr schmerzlich. Denn es gibt ihm die Überzeugung, daß er getäuscht wurde, während andere das wahre Sachverhältnis erkannt haben. Es ist für eine Frau grausame Qual, wenn sie selbst zu solcher Demütigung des Liebsten die Hand reichen muß. Dieses Leid werde ich lange in mir herumtragen. Auch unsere Gatten sind einander so entfremdet, daß für beide längere Zeit notwendig sein wird, bevor die verletzte Empfindung einer unbefangenen Würdigung des Kollegen Raum gibt. Mir aber liegt daran, daß das Verhältnis zwischen Ihnen und mir darunter nicht leidet. Ich habe den Wert Ihres Herzens erkannt und ich bitte Sie, sich trotz meinem schwerfälligen Wesen, das ich sehr wohl erkenne, die Freundschaft gefallen zu lassen, welche ich Ihnen entgegentrage.«

Als sie in ihrem schwarzen Kleide langsam zur Tür hinausschritt, wunderte sich Ilse, wie schnell der erste Eindruck, den ihr die gelehrte Dame gemacht, durch andere Gefühle zurückgedrängt war.

In der nächsten Nummer der Literaturzeitung erschien eine kurze Erklärung des Professor Struvelius, worin er ehrlich bekannte, daß er durch einen – allerdings sehr geschickten – Betrug getäuscht worden sei, und daß er dem Scharfsinn und der freundlichen Tätigkeit seines verehrten Kollegen dankbar sein müsse, welcher zur Aufklärung des Sachverhältnisses beigetragen.

»Diese Erklärung hat die Frau geschrieben,« sagte wieder der hartnäckige Doktor.

»Wir dürfen annehmen, daß die unbehagliche Novelle dadurch für alle Beteiligten zum Ende gebracht ist,« schloß der Professor mit leichtem Herzen.

Aber auch die Hoffnungen eines großen Gelehrten gehen nicht immer in Erfüllung. Dieser Streit der Zepter tragenden Fürsten an der Universität hatte nicht nur Ilse in den neuen Beruf eingeführt, auch einen andern.

Magister Knips kauerte am Abend des entscheidenden Tages, welcher die Nichtigkeit des Pergaments enthüllt hatte, in der ungeheizten Kammer seiner dürftigen Wohnung auf dem Boden. Auf den Brettern an der Wand und auf dem Fußboden lagen die Bücher unordentlich gehäuft und er saß von ihnen ringsum eingeschlossen, wie ein Ameisenlöwe in seinem Trichter. Er räumte eine alte Zigarrenkiste seines Bruders, die mit kleinen Flaschen und Farbentöpfchen gefüllt war, in eine dunkle Ecke und legte Bücher darüber. Dann stellte er die Lampe auf einen Schemel neben sich, nahm mit innigem Behagen ein und das andere alte Buch in die Hand, betrachtete den Einband, las den Titel und die letzte Seite, strich liebkosend mit der Hand darüber und legte es wieder zum Haufen. Endlich faßte er mit beiden Händen den alten italienischen Druck eines griechischen Autors, schob sich näher an die Lampe und untersuchte Blatt für Blatt. Die Mutter rief zur Tür herein: »Höre auf mit deinen Büchern und komm aus der kalten Kammer zu deinem Abendbrot.«

»Seit zweihundert Jahren hat kein Gelehrter dies Buch gesehen, Mutter, sie leugnen, daß es überhaupt vorhanden ist, ich aber halte es in meinen Händen, und es gehört mir. Das ist ein Schatz, Mutter.«

»Was hilft dir der Schatz, du armer Junge?«

»Ich hab' ihn, Mutter,« sagte der Magister, zu den harten Zügen der Frau aufblickend, und seine zwinkernden Augen glänzten verklärt. »Heut erst mußte ich eine Korrektur lesen, in der ein berühmter Mann behauptet, dieser Band, den ich hier halte, sei nie vorhanden gewesen. Er wollte das ›nie vorhanden‹ mit gesperrter Schrift gedruckt, und ich habe es dem Setzer gezeichnet, aber ich wußte es besser.«

»Kommst du wieder nicht los?« rief die Mutter ärgerlich, »dein Bier wird am Ofen warm, mach' ein Ende.«

Widerstrebend erhob sich der Magister, fuhr mit seinen Filzschuhen aus der Kammer und setzte sich zu seinem Butterbrot in der Stube nieder. »Mutter,« sagte er der Frau, die dem schnellen Essen zusah, »ich habe einiges Geld übrig, brauchst du etwas, so kaufe dir's. Aber ich will wissen, was es ist, und ich will es auch sehen, daß nicht der Bruder dir das Geld wieder abborgt. Denn es ist mit Sorgen verdient.«

»Dein Bruder wird mir jetzt alles zurückzahlen; denn Hahn hat ihm seine Stelle gebessert und er hat sein gutes Auskommen.«

»Das ist nicht wahr,« versetzte der Magister, die Mutter scharf ansehend, »er ist zu vornehm geworden, um noch bei uns zu wohnen, aber so oft er herkommt, will er etwas von dir. Und du hast ihn immer lieber gehabt als mich.«

»Rede nicht so, mein Sohn,« rief Frau Knips, »er hat nur eine andere Art, du hast immer fleißig stillgesessen und gesammelt, und schon als kleiner Junge hast du zusammengetragen.«

»Ich habe mir etwas gesucht, das mir lieb war,« sagte der Magister und sah nach seiner Kammer, »und ich habe manches gefunden.«

»Ach, und wie sauer läßt du dir's werden, mein armes Kind,« schmeichelte die Mutter.

»Wie's kommt,« antwortete der Magister und verzog in heiterer Stimmung sein Gesicht. »Ich lese Korrekturen und ich mache Arbeiten für diese Gelehrten, die vornehm im Wagen fahren und, wenn ich zu ihnen komme, mich behandeln wie einen römischen Sklaven. Und kein Mensch weiß, wie oft ich ihre Dummheiten ausbessere und die groben Fehler aus ihrem Latein. Ich tue es aber nicht jedem, nur dem, welchen ich mag und der es wohl um mich verdient hat. Den andern lasse ich stehen, was sie nicht gewußt haben, und ich zucke in der Stille die Achseln über die hohlen Köpfe. Es ist nicht alles Gold, was glänzt,« sagte er, und hielt behaglich sein Dünnbier gegen das Licht, »ich allein weiß, wie es in manchem aussieht. Ihre elenden Manuskripte, immer wieder korrigiert, und das Schlechteste darin nicht korrigiert; ich sehe, wie sie sich abquälen und, was sie etwa wissen, noch aus fremden Büchern mausen. Man sieht das alle Tage, Mutter, und man lächelt in der Stille über den Lauf der Welt.«

Und Magister Knips lächelte über die Welt.


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