Emil Wilhelm Frommel
Aus der Chronik eines geistlichen Herrn
Emil Wilhelm Frommel

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Viertes Kapitel

Das Geheimnis des Onkels

Wer heutzutage zum edlen Schriftstellerfach gehören will, muß notwendig auch einmal »ein Geheimnis« schreiben. Das ist heutzutage guter Ton; denn alle Welt ist wißbegierig. Solch ein guter Titel ist wie ein leckeres, fettes Würmlein an der Buchhändlerangel und die Fischlein schnappen darnach und der Verleger schnauft mit keinem Wörtlein vom guten Abgang; sondern sagt wohl dem Schriftsteller auf die Frage: »Wie geht denn mein Geheimnis?« »So, so, lala – könnt besser gehen, die Ausstattung ist gar sauber und teuer gewesen und gar arg viel Bogen.« Aber wie gesagt, jeder liest gern ein Geheimnis, zumal wenn's nicht von ihm, sondern von einem andern handelt. – Manche fangen auch lieber von hinten an zu lesen, wie mein lieber Freund im Altenburgischen, um sich alle unnötige, Aufregung zu ersparen und mit aller Gemütsruhe dann von vorne anzufangen, und dem Schriftsteller an den spannendsten und verzweifeltsten Stellen so mit stillem Lächeln ins Ohr zu sagen: »Spann du nur – ich weiß doch schon, wie's kommt.«

Seitdem der Verfasser sich als Büblein auf der Karlsruher Messe auf dem Schloßplatz beim Flecksteinhändler die »Geheimnisse der Höhle Xa-Xa,« auf Reutlinger Zundelpapier gekauft und im Schloßgarten hinter »der Schüssel« im dunkeln Tannenwald mit leisem Schauern gelesen, von welchen ihm freilich nichts mehr in Erinnerung geblieben, als das Zundelpapier und daß man so eine Herrlichkeit für drei Kreuzer samt einem Holzschnitt haben könne, – seitdem hat's auch ihn gelüstet nach Geheimnissen, und will jetzt, dem Zeitgeist zu Gefallen und dem Herrn Steinkopf zu Nutz, damit das Büchlein reißend gehe, auch ein »Geheimnis« schreiben. Der Onkel, von dem in Nr. 3 die Rede war, ist später nach Rußland gekommen. Noch erinnert sich der Verfasser recht gut, wie ihm die Locken apart schön des Nachts in kleine lederne Würstlein gewickelt wurden, damit sie am Morgen ordentlich hielten und der weiße Hemdkragen samt der blauen, mit Goldknüpfen reich besäten Jacke, zurecht gelegt wurde, – alles für den angekommenen russischen Onkel. Der Bruder Karl hatte uns schon allerhand in der Nacht vorher anvertraut vom Onkel, wie der gewiß aus Rußland, von wegen der grimmigen Kälte, eine verfrorene Nase und Bärenfelle mitgebracht habe. Aber nichts von all dem war zu sehen, nur roch alles beim Onkel nach dem feinsten Juchtenleder. Er hatte reiche Geschenke mitgebracht, goldene Löffel mit Türkisen besetzt und Becher in getriebenem Gold, und hatte einen russischen Diener bei sich, mit geschlitzten kleinen Augen, der sich nachts vor des Onkels Thüre legte, wie ein treuer Neufundländer, und trotz der Vermahnung, auf deutschem Boden das fahren zu lassen, lieber russisch leben wollte. – Bald kamen auch die jungen Fürsten, deren Mentor der Onkel war, an, und er, der so menschlich mit Fürsten umging, stieg uns immer höher. Es wurden Gesellschaften zu ihren Ehren gegeben, wobei einmal beim Nachtisch die Mutter einen gewaltigen Schrecken erlebte. Da waren nämlich zwei Gläser mit Johannisbeeren und Apfelgelée aufgestellt, von denen erwartet wurde, daß jeder Gast ein etwas davon auf seinen Teller nehme. Aber zwei der jungen Herren verstanden die Sache auf russisch, und nahmen sich frischweg die beiden ganzen Gläser, und verzehrten sie mit besonderem Behagen, und konnten der betrübten Mutter nicht genug sagen, wie labend und angenehm das sei. »Nur nicht russisch,« hieß es drum später, wenn einer von uns mit einem allzu großen Löffel zugriff.

Der Onkel ging wieder nach Rußland und unsre ganze Bewunderung folgte ihm. Ein Sagenkreis von unermeßlichen Gütern, Fürsten, Wölfen umgab ihn für uns. Er zog später wieder mit gebrochener Gesundheit fort und baute sich bei uns sein Daheim; des Abends ging man zur Theestunde zu ihm, wo er im prächtigen russischen Kaftan im Lehnstuhl saß und erzählte. Wir lauschten dann redlich, ob nicht einmal bei dem Onkel auch etwas von einem Geheimnis zum Vorschein käme, aber er war stumm wie ein Grab. Wohl erzählte er einmal eine Geschichte aus seinen Jagden. Es war eine Wildsaujagd in den Forsten weit hinter Moskau. Eine Wildsau mit acht Jungen war aufgetrieben worden, und wurde von den Jägern verfolgt. Der Onkel schlug sich abseits ins Gebüsch, dem Tier auf die Spur zu kommen, da sah er etwas Merkwürdiges sich zutragen. In kurzer Entfernung machte ein großer Fuchs seine Künste. Er suchte auf einen ziemlich hohen Baumstumpf zu springen, konnte aber nicht hinaufkommen und fiel immer wieder herunter. Endlich gelang's ihm. Darnach nahm er ein Scheit Holz zwischen die Zähne und versuchte mit demselben hinaufzukommen. Das kostete viele Sprünge, bis er's dahin brachte. Als es gelungen war, sprang er noch einmal und es gelang wieder. Der Onkel schaute mit Verwunderung dem zu und dachte: wo das nur hinaus wolle. Der Fuchs legte sich still auf den Baumstumpf zum Sprung bereit. Bald darnach raschelte es durchs Laub und das Wildschwein kam mit seinen Jungen daher, eins hinter dem andern, unten am Baumstumpf vorbei. Kaum war das letzte am Vorübergehen, da sprang der Fuchs herab, kriegte es hinten im Genick und sprang auf den hohen Baumstumpf. Das Kleine schrie, die Wildsau kehrte um, aber der Fuchs war mit dem Jungen auf der Höhe geborgen. Da ließ es die Mutter im Stich, und der Fuchs wollte sich eben dran machen, das Junge zu töten, als der Onkel den klugen Kindsräuber mit einem wohlgezielten Schuß erlegte, und den toten Fuchs und das kleine lebendige Wildschweinchen als Beute heimbrachte. – Die Geschichte machte den gehörigen Eindruck, und die russischen Füchse stiegen in unserer Achtung. Zwar Bruder Karl hatte wieder seine Bedenken gegen den Fuchs, eigentlich aber gegen den Onkel, und erzählte so etwas von einem Hubertusmesser, das die Jäger mit sich führten, mit dem man entsetzlich aufschneiden könne. So habe er wenigstens gehört.

Aber das konnte doch das Geheimnis nicht sein, das war nur so eine Fuchsgeschichte. Da gab sich's aber einmal an einem Abend, daß man bis ziemlich spät zusammen war. Es war Geburtstag in der Familie, alles hatte sich traulich um den runden Tisch gerückt, man erzählte sich von vergangenen Tagen – da kam zuletzt eine dampfende Punschschüssel herein. Eben wollte die Tante in das erste Glas ausschöpfen, aber kaum war der Punsch im Glase, als es mit einem lauten Krach sprang. Die Tante nahm das zweite Glas und es erging ebenso. »Halt,« rief der Onkel, »nun ist's genug.« Man sah sich in der Reihe herum; der eine wurde bedenklich und meinte, das bedeute nichts Gutes, man könne doch nicht missen, was da dahintersei; die Tante schaute aber verstohlen nach der Uhr, auf die Stunde und Minute, wo solches passiert sei. Der dritte prüfte die Glaser sorgsam; aber da war kein Schaden zu entdecken. Da nahm der Onkel das Wort: »Ich will euch ein Geheimnis sagen.« Da paßten wir denn auf und sagten zu einander: »Jetzt kommt's.« »Ich war einst in einer Gesellschaft der Fürstin Karaschinabine. Ein glänzender Zirkel war geladen. Man sprach von dem und jenem, vom tscherkessischen Krieg und dem kühnen Schamyl, von den Gefahren und Mühen des Krieges, und erzählte sich schreckliche Geschichten von den Leiden der russischen Armee. Alle waren lebhaft beteiligt, nur eine junge Dame saß stumm, mit bleichem Antlitz da. Man dachte nicht daran, daß ihr Bräutigam Offizier der Armee am Kaukasus war. Jedes Wort schnitt ihr ins Herz. Da wurde der Punsch serviert, die Schüssel dampfte und der Bediente fing an auszuschöpfen. Aber das erste Glas zersprang, das zweite auch und das dritte. Da wurde es still im Kreise. Die junge Dame stieß einen Schrei aus – »er ist gefallen, das bedeutet seinen Tod,« rief sie. Aber die Dame des Hauses schalt mit lauter Stimme den Bedienten einen Esel und befahl, ihr die Punschschüssel und die Gläser zu geben. Sie nahm einen silbernen Löffel, that ihn ins Glas und goß den siedend heißen Punsch hinein und es – sprang nicht, ebensowenig beim zweiten noch beim dritten. »Der Punsch ist zu heiß, der Bediente ist ein Esel, aber Ihr Bräutigam, Sachinka, lebt,« rief die alte Frau. »Lernt das von mir: Nehmt einen silbernen Löffel, thut ihn ins Glas und ihr könnt siedend Wasser hineingießen, und es springt nicht.« Die junge Dame atmete wieder auf. Alle Gläser blieben heil und man stieß an auf die Gesundheit des tapfern jungen Mannes. »Nun gebt mir die Gläser her,« sagte der Onkel. Er füllte sie und es sprang ihm keines. Das war des Onkels Geheimnis. Item:

1) Es ist ein Geheimnis; denn es wissen's nicht alle Leute, daß ein metallener Löffel (ein goldener thut's auch) solches wirken kann.

2) Ist dies ein Geheimnis, das man getrost jedem erzählen kann, während man andere besser bei behält.

3) Ist manches Geheimnis, beim Licht besehen, eigentlich keines; aber Klimpern gehört mit zum Handwerk, und auch der Aberglaube sitzt dem Menschen gemeinhin tiefer als die Philosophie.

4)Ist's gut, wenn man allezeit jenen berühmten goldenen Löffel bei sich führt, womit man, wenn kochendes Wasser im Herzen und Mund ist, machen kann, daß das Gefäß nicht springt, der in dem Goldladen der Sprüche Salomo's zu finden ist. –


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