Ludwig Fulda
Das verlorene Paradies
Ludwig Fulda

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Zweiter Aufzug.

Arbeitszimmer Arndts in der Fabrik.

(Schlicht tapezierter Raum; in der Mitte des Hintergrunds eine breite eiserne Schiebethür, worauf in nicht allzugroßen Lettern die Inschrift: »Verbotener Eingang.« In der linken Seitenwand ganz vorn Thür zu einem Arbeitsraum, weiter hinten Thür ins Innere der Fabrik. In der rechten Seitenwand hinten Thür des allgemeinen Auftritts; vorn ein großes quadratisches Fenster ohne Vorhänge, welches auf den Fabrikhof hinausgeht. Vor dem Fenster Zeichentisch, bedeckt mit einem Reißbrett, dem kleinen Modell einer Maschine, Instrumenten, Zeichnungen, Schreibzeug u. s. w. Drehstuhl. An der rechten Wand neben dem Fenster Kleiderhaken; weiter hinten kleines rohgezimmertes Büchergestell mit Werken großen Formats. Links hinten in der Ecke eiserner Ofen. An den Wänden technische Zeichnungen, Karten; an der Mittelwand ein Plakat mit der lesbaren Ueberschrift: »Fabrik-Ordnung.«)

Erster Auftritt.

Hans. (Gleich darauf) Werkmeister Weber.

Hans (sitzt am Zeichentisch in eifriger Arbeit; bald hantiert er an dem Modell, bald zeichnet er auf dem Reißbrett).

Weber (kommt durch die zweite Thür links, wartet einen Augenblick, ob Hans ihn nicht von selbst bemerkt; dann). Herr Arndt – 69

Hans (noch ohne aufzusehen). Aha – Weber – gleich!

Weber. Sie haben befohlen . . .

Hans (steht auf und nimmt mehrere Kartons vom Zeichentisch). Hier sind die Zeichnungen für die neubestellten Elevatoren. Sehen Sie sich das genau durch und sagen Sie mir dann, ob Ihnen alles klar ist.

Weber (die Kartons nehmend). Jawohl.

Hans. Bis wann können wir die zwanzigpferdige Dampfmaschine montieren?

Weber. Schwerlich vor Ende der Woche.

Hans. Das ist jetzt das Allerwichtigste. Sorgen Sie dafür, daß die fehlenden Teile sofort in der Gießerei und in der Schmiede fertig gestellt werden. Lieber alles andre stehen lassen. In drei Tagen ist der erste März, und wie es dann aussehen wird . . .

Weber. Ja, das weiß niemand.

Hans. Eben deshalb muß das Dringlichste bis dahin erledigt sein. Haben Sie noch genug Nieten und Schrauben?

Weber. Für den Kessel wird's nicht mehr langen. 70

Hans. Dann gehen Sie gleich durchs Magazin (deutet auf die erste Thür links) und lassen sich von der Rieke herausgeben, was Sie brauchen. Sie ist doch heute wieder da?

Weber. Jawohl; aber sie steht noch auf schwachen Füßen.

Hans. Sie soll sich schonen, bis sie ganz gesund ist. Sagen Sie ihr, daß ihr nichts abgezogen wird. – Sie haben jetzt einen harten Stand, Weber.

Weber. Es ist eine böse Zeit, Herr Arndt.

Hans. Man kann die Leute hundertmal ermahnen, sie sollen die paar Tage noch Geduld haben – alles umsonst.

Weber. Gestern haben sie wieder eine Versammlung abgehalten.

Hans (den Kopf schüttelnd). Schon wieder!

Weber. Der Kraus soll eine große Rede gehalten haben, und toll wär's hergegangen.

Hans. So, der Kraus! Und Mühlberger?

Weber. Der war auch dabei. 71

Hans. Also doch! – Unser ganzes Streben muß jetzt sein, wir müssen die besonnenen und ruhigen Leute bestimmen, daß sie von diesen Hitzköpfen ihre gute Sache nicht verderben lassen. Ich will noch einmal mit Mühlberger reden.

Weber. Ja, wenn einer was fertig bringt, dann sind Sie es.

Hans. Schicken Sie mir ihn nachher herauf und . . . (Es klopft.) Herein!

 

Zweiter Auftritt.

Vorige. Walter (von rechts).

Hans (ihm entgegen). Ach, das ist eine hübsche Ueberraschung. Endlich einmal!

Walter. Ich hatte dir's ja lange genug versprochen.

Hans. Und so früh am Tage!

Walter (hängt Mantel und Hut an den Kleiderhaken). Die einzige Stunde, wo ich noch manchmal über mich verfügen kann. Heute um halb zwölf große Wohlthätigkeitsmatinee – Gesang, lebende Bilder – ganz Berlin ist anwesend.

Hans. Und da mußt du auch dabei sein? 72

Walter. Natürlich. Sonst wäre ja Berlin nicht ganz. – Und heute Abend Verlobungsdiner bei Bernardi's. Du kommst doch auch?

Hans. Ich bin nicht eingeladen.

Walter. Nicht? – Na, viel verlierst du nicht dabei.

Hans. Wie geht's deiner Frau?

Walter. Danke . . . so leidlich. Sie wollte mitkommen; aber – sie muß sich doch anziehen . . . Uebrigens – wirklich ein nettes Ende hier heraus.

Hans. Doppelt verdienstlich. (Zu Weber, der unentschlossen im Hintergrunde steht.) Wünschen Sie noch etwas, Weber?

Weber (verlegen). Ich dachte nur, wenn Sie sonst noch Arbeit für mich hätten . . . Ich könnt' Ihnen ja vielleicht was abnehmen.

Hans. Nichts können Sie mir abnehmen.

Weber. Ich könnte abends ganz gut eine Stunde länger bleiben.

Hans. Warum? Was meinen Sie damit? 73

Weber (herausplatzend). Alles, was recht ist! Aber ich meine, das kann kein Pferd aushalten, wie Sie in der letzten Woche gearbeitet haben.

Hans. Was wissen Sie davon?

Weber. Heut früh um halb sechs hat wieder Ihre Lampe noch gebrannt.

Hans. Das geht jetzt nicht anders.

(Weber ab erste Thür links.)

 

Dritter Auftritt.

Walter. Hans.

Walter. Hübsches Leben, das du da führst! Aeußerst gesund! Wirklich höchste Zeit, daß wir dem ein Ende machen.

Hans. Ich habe keine Wahl, lieber Freund.

Walter. Und wenn du doch die Wahl hättest? Wenn ich endlich ein Mittel hätte, dich aus diesem gottverlassenen Käfig herauszubringen – he?

Hans. Du bist ein unverbesserlicher Projektenmacher. 74

Walter. Abwarten! Glaubst du vielleicht, ich komme umsonst hierher – mitten in der Nacht, und wo ich noch so viel zu thun habe vor meiner Abreise!

Hans (am Zeichenbrett hantierend). Du willst verreisen?

Walter. Jawohl – mit Lotte – auf ein paar Monate. Ich brauche ganz notwendig eine neue Anregung.

Hans. Schon wieder?

Walter. Weißt du – hier in diesem Sündenpfuhl komme ich ja doch niemals in die richtige Arbeitsstimmung.

Hans. Und du warst doch so fest überzeugt, daß durch deine Verheiratung . . .

Walter. War ich auch. Deshalb hab' ich mir das Frauchen aus meiner Heimat geholt; Kleinstädtische Genügsamkeit, eigener Herd, geordnetes Leben . . . das macht sich in der Theorie ganz wundervoll. Aber die Praxis! Früher habe ich allein gebummelt; jetzt bummeln wir zu zweit.

Hans. Macht das deiner Frau Vergnügen?

Walter. Nicht das mindeste. Und bei Licht betrachtet, mir auch nicht. Na, eben deshalb geh' ich mit ihr durch – nach Italien. 75

Hans. Nach Italien! Ihr Glücklichen!

Walter. Ja, dort sichte ich in aller Ruhe meine gesammelten Eindrücke – und dann geht's los mit der Arbeit, außer es müßte gerade . . . Aber nicht von mir ist jetzt die Rede, sondern von dir. Ist es dir noch Ernst mit deinen alten Zukunftsplänen? Oder willst du in diesem Mauseloch alt und grau werden?

Hans. Wenn man abhängig ist, verlernt man's, einen Willen zu haben.

Walter. So hast du früher nicht gesprochen.

Hans. Ich habe auch noch nie eine so schlimme Zeit durchgemacht. Seit der Verlobung kümmert sich Herr Bernardi um die Fabrik weniger als je; unter den Arbeitern ist eine Gärung ausgebrochen, die unabsehbare Folgen haben kann; ich schaffe mit erzwungener Kaltblütigkeit – wie in einem brennenden Hause – und dazu der Eintritt eines neuen Chefs . . .

Walter. Dein neuer Chef – hm! Sag' einmal, was hältst du von diesem Zeitgenossen?

Hans. Ich bin ihm bis jetzt nur einmal flüchtig begegnet. Seitdem ist schon über eine Woche vergangen, und er hat sich hier noch nicht sehen lassen. Aber das ist verzeihlich – im ersten Rausch des Glückes . . . 76

Walter. Rausch des Glückes? O du holder Unschuldsengel! – Sie ist berauscht von seinem Namen, und er von ihrem Geld.

Hans. Da bist du sehr im Irrtum. Man bringt nicht so beträchtliche Opfer wie Herr Bernardi, wenn man nicht sicher ist, ein echtes Glück zu begründen. – Uebrigens – mich geht das alles nichts an. Herr von Ottendorf ist mein Brotherr, und außerdem noch ist er der Sohn seines Vaters.

Walter. Ein netter Sohn, der sofort nach dem Tod seines Vaters einen ganzen Stoß Briefe an die Autographenhändler verkauft.

Hans (bestimmt). Das glaub' ich nicht.

Walter. Nicht? (Holt aus dem Paletot, den er vorher aufgehängt hat, ein Packet und legt es auf den Zeichentisch.) Hier sind sie. Mein Verleger schickt dir den Pack zur gefälligen Durchsicht. Er hat ihn erworben, als die einzelnen Blätter in alle Welt zerstreut werden sollten.

Hans. Eine solche Pietätlosigkeit – es ist undenkbar!

Walter. Warum? Der Herr Sohn brauchte Geld, um sich in Paris zu amüsieren. Der Herr Sohn betrauerte seinen großen Vater in der Weltabgeschiedenheit der Chambres séparées. (Bewegung von Hans.) Du aber bist der Mann, von dem der alte Ottendorf gehofft hat, daß du sein Lebenswerk fortsetzen wirst. Dem Vater gehören deine Dienste, nicht dem Sohn. 77

Hans. Das ist nicht der einzige Wunsch, auf den ich verzichten mußte.

Walter. Im Gegenteil, zugreifen sollst du. Mein Verleger wünscht dich als Herausgeber der Briefe zu gewinnen. Im Anschluß daran macht er dir den Antrag, die Biographie Ottendorfs zu schreiben und bietet dafür ein sehr anständiges Honorar.

Hans (freudig überrascht). Ist das wahr?

Walter. Mit diesem Rückhalt kannst du die Stellung hier aufgeben, kannst deinen wirklichen Beruf wieder ergreifen – die Naturwissenschaft.

Hans (schwankend). Meine ganze Existenz noch einmal in Frage stellen . . .

Walter. So laß dir wenigstens einen längeren Urlaub geben. Du hast ja seit fünf Jahren keinen Tag hier gefehlt. Nimm den Pack Briefe unter den Arm und geh mit nach Italien.

Hans. O – du weißt gut, wo du mich treffen kannst. Wenn ich mir das vorstelle – weit, weit fort – und vom Fenster nicht mehr den Fabrikhof sehn, sondern das Meer – und hinaus in den hellen Sonnenschein – und keine Fessel, keine – und es gibt wirklich Menschen, die das alles haben können und nicht daran sterben! 78

Walter. Du kannst es auch haben.

Hans (mit blitzenden Augen). Wenn es wahr würde, wenn . . .

 

Vierter Auftritt.

Vorige. Mühlberger.

Mühlberger (kommt durch die zweite Thüre links und bleibt an der Thüre stehen. Alter Mann mit weißen Haaren, weißen buschigen Augenbrauen, gebeugter Haltung, berußtem Gesicht und Händen. Er spricht mit schwerer Zunge, mühsam die Worte suchend). Ju'n Morjen, die Herrn.

Hans (wie aus einem Traum erwachend). Mühlberger! – Richtig! – (Zu Walter.) Entschuldige. (Zu Mühlberger.) Nehmen Sie doch einen Augenblick Platz.

Mühlberger (abwehrend). Danke jütigst.

Hans. Ich habe Sie kommen lassen, lieber Mühlberger, weil Sie der fleißigste, der ruhigste und vor allem der älteste von unsern Arbeitern sind. Sie haben wie alle andern die Forderung unterzeichnet, wonach am ersten März eine Lohnerhöhung beansprucht wird. Sie wissen auch, daß ich diese Forderung nach Kräften unterstütze, und ich hoffe noch immer, sie wird bewilligt. Eben deshalb thut es mir leid, daß die Leute nicht ruhig auf die Entscheidung warten, sondern sich zu allerlei Demonstrationen hinreißen lassen, die höchstens unsern Brotherrn verstimmen – weiter nichts. In Ihrem eigenen Interesse, Mühlberger; Sie sind ein alter Familienvater . . . 79

Mühlberger. Familienvater – ja.

Hans. Sie sollten nicht unter die Randalierer gehn. Im Gegenteil, Sie sollten die jungen Bursche zur Ruhe und Mäßigung ermahnen. Und da höre ich nun: Auch Sie besuchen diese stürmischen Versammlungen . . .

Mühlberger. Ick kann mir – nich ausschließen; aber – ick trinke nie.

Hans. Nicht ums Trinken handelt sich's.

Mühlberger. Die trinken – und dann reden sie. Ick hab' keen Jeld zu's Trinken . . . hab' ooch keen Jeld zu's Streiken. Ick bin . . . Familienvater – ja . . . fünf lebendije Kinder hab' ick . . . und die Rieke, wat nu die älteste is, war krank . . . und meine Olle is dod und kann nischt mehr verdienen.

Hans (sein Mitleid bekämpfend). Ich weiß – ich weiß.

Mühlberger. Nu bin ick doch keen Redner niche . . . ja. Wie sie nu haben beschlossen zu streiken, bin ick ufjestanden und hab' jesagt: Mit Streiken is nich! – hab' ick jesagt.

Hans. Und was geschah darauf?

Mühlberger. Ausjetrampelt haben sie mir . . . ja. 80

Hans. Einen Mann mit weißen Haaren!

Mühlberger. Mit weißen Haaren . . . ja. Micheli werden's jrad fufzig Jahr, wo ick in die Fabrike jekommen bin – zu Kellermannen – in die Jewehrfabrike, wo ick mit den ollen Arndt an eine Maschine jestanden bin – wat Ihnen Ihr Vater war. (Bewegung von Hans.) Fufzig Jahr . . . und mein Willem mit die kräftije Fäuste is dod . . . und die Rieke wird sechsundzwanzig, und mein Jüngster is man elfe . . . und ick bin dreiundsechzig . . . Ja. – Aber so schlecht wie in den Winter is mich noch nich jejangen – in meinen janzen Leben nich.

Walter (holt sein Portemonnaie heraus und sucht darin).

Hans. Sagen Sie, Mühlberger – sagen Sie mir offen: Glauben Sie, daß Ihnen durch die Lohnerhöhung geholfen ist?

Mühlberger. Ach ja woll – da wär' ick feine raus. Et is nich um mir; et is man bloß von wejen die Rieke. Sie war krank 'n janzen Monat . . . und drei Pullen Wein hat se trinken müssen – von den deuren franzö'schen . . . und recht jesund is se noch nich . . . und sie muß partuh wieder arbeeten – da drin ins Majezin. Und der Dokter hat jesagt. sie muß an die frische Luft, hat er jesagt; sonst macht sie's nich lange. Und sie is doch 'n jutet Mä'chen.

Hans. Nun, was das betrifft – die Rieke schicken wir heute Mittag wieder nach Haus und lassen sie nicht arbeiten, bis sie ganz gesund ist. 81

Mühlberger. Nee, nee – sie muß Jeld verdienen!

Hans. Die paar Tage bis zum Ersten geben wir ihr den vollen Lohn; dann werden wir weiter sehn. Und nun den Kopf hoch, Mühlberger. Verlassen Sie sich auf mich und gehen Sie jetzt ruhig an Ihre Arbeit.

Mühlberger (gibt Hans die Hand). Danke jütigst. (Geht nach links.)

Walter (geht ihm nach und will ihm eine Fünfmarkbanknote in die Hand drücken).

Mühlberger (abwehrend). Nee – bin keen Bettler nich. (Ab zweite Thür links.)

 

Fünfter Auftritt.

Walter. Hans.

Walter (sich schüttelnd). Ach, dieses Elend – schauerlich! Du mußt ja ordentlich aufatmen, wenn du aus dieser Atmosphäre heraus bist.

Hans (entschlossen). Ich bleibe hier.

Walter. Was? Du lehnst den Vorschlag ab?

Hans. Du hast das alles mitangehört und fragst mich noch? Hier sind wichtigere Dinge zu thun als nach Italien gehn und Bücher schreiben. 82

Walter. Was kannst du thun in deiner abhängigen Stellung? Kannst du den Leuten vielleicht helfen?

Hans. Ich will es versuchen, und wenn ich es nicht kann, will ich wenigstens nichts vor ihnen voraus haben.

Walter. Du bist ein Schwärmer.

Hans. Ich bin ein Arbeiter! Aus jedem Wort dieses alten Mannes klingt mir das Schicksal meiner Eltern und meine eigene Jugend. Und ich sollte diese Leute verlassen – gerade jetzt verlassen, wo ich der einzige bin, der mit ihnen fühlt, weil er mit ihnen gelitten hat!

Walter. Das ist nun derselbe Mensch, der auf der Universität wie ein junger Gott herumlief und ein großer Gelehrter werden wollte.

Hans. Ein junger Gott, der die Nächte durch Schreiberdienste that, um für den Sonntag Fleisch zu kaufen! Der seine Bücher aufs Leihhaus trug, um des Vaters Begräbnis zu bezahlen. Mich hat die Not bescheiden gemacht. Aber du – du warst ja unabhängig, vermögend, frei . . .

Walter. Und doch ist nichts aus mir geworden, willst du sagen? Na, ich bin immerhin ein beliebter Erzähler und, was viel mehr bedeutet, ich bin ein Lebenskünstler. Ich finde diese Welt rasend hübsch und lasse sie mir nicht verekeln. So lange es noch so entzückende Sachen gibt wie Liebe, Musik, Mondschein und Johannisberger Auslese, 83 so lange redet man mir nicht ein, wir hätten das Paradies verloren und wären nur auf der Welt, um zu arbeiten im Schweiße unsres Angesichts.

Hans. Und doch habt ihr das Paradies verloren – ihr Lebenskünstler – mehr noch als wir! All diese entzückenden Sachen entzücken euch nicht mehr, und wie wir uns nach Freiheit sehnen, so sehnt ihr euch nach einer Abwechslung, nach einer Thätigkeit, ja manchmal sogar nach einer Sorge. Ihr könnt nicht mehr lachen und weinen, nur noch gähnen; es gibt nichts, was euch erhebt, nichts, was euch erschüttert, und deshalb müßt ihr geistreich sein im Schweiße eures Angesichts. – Ich bin gefesselt an Händen und Füßen; aber mit deiner Freiheit tausch' ich nicht.

Walter (achselzuckend). Wir verstehen uns nicht mehr.

Hans. Dann haben wir uns nie verstanden.

 

Sechster Auftritt.

Vorige. Richard, Edith (treten von rechts ein. Es folgt ihnen ein Diener in Livree, der in der Thüre stehen bleibt.)

Richard (spricht zu dem Diener zurück). Der Wagen erwartet uns am Hofthor. (Diener ist Richard beim Ablegen behilflich und geht mit dessen Mantel ab.)

Hans (halblaut zu Walter). Mit seiner Braut! Was soll das . . .? (Geht auf Richard zu.) Herr von Ottendorf, ich gestatte mir, Sie in diesen Räumen willkommen zu heißen. 84

Richard. Danke. – Ich habe meine Braut mitgebracht. Sie hat die Caprice, sich die Fabrik ansehen zu wollen.

Hans. Mein gnädiges Fräulein, ich bin so sehr überrascht . . .

Edith (zu Hans). Die Fabrik kann sich etwas einbilden; denn so früh bin ich nicht mehr aufgestanden seit meinen Institutszeiten. Aber Sie haben mich nun einmal neugierig gemacht . . .

Richard (zu Hans). Aha – das haben Sie meiner Braut in den Kopf gesetzt, Herr . . . (Sucht nach dem Namen.)

Hans. Arndt.

Richard. Arndt – richtig. – Nun, Sie können uns ja nachher gemeinsam herumführen. (Zu Walter, der inzwischen Edith begrüßt hat.) Sieh, sieh – Herr Doktor Heideck – überall und nirgends. Sie haben das Geheimnis, an mehreren Orten zugleich zu sein.

Walter. Das Geheimnis des Erfolges, Herr von Ottendorf. Man ist schon viel, wenn man weiter nichts ist als immer anwesend. Früher verschwand der Dichter hinter seinem Werk; heute verschwindet das Werk hinter seinem Dichter.

Richard. Hä hä – Sie sprudeln, wie gewöhnlich. (Zu Hans.) Wäre schon längst herausgekommen; aber . . . wollte mich 85 erst aus den Büchern genau informieren. Wie weit sind wir mit der Lieferung für Rörland & Comp.?

Hans. Beinahe fertig. (Tritt mit ihm zum Zeichentisch und reicht ihm Papiere.) Wenn Sie das vielleicht durchsehen wollen . . . (Sprechen weiter, am Zeichentisch stehend.)

Edith (zu Walter links vorn). Sie kommen doch auch nachher in die Matinée?

Walter. Selbstverständlich.

Edith. Wird wohl ein mäßiger Genuß werden? Eine Sängerin, die in den weitesten Kreisen unbekannt ist . . .

Walter. Wohlthätigkeitssache. Der gute Zweck heiligt die schlechten Stimmmittel.

Edith (lacht). Na, wenn nur das Publikum interessant ist. Wir wollen uns bei dieser Gelegenheit zum erstenmal öffentlich zeigen.

Walter. Uebrigens – (sieht auf die Uhr) gleich zehn – und ich muß noch zu Hause meine Frau abholen.

Edith. Wir fahren von hier direkt.

Walter (geht zu Hans, halblaut). Ich lasse dir die Briefe bis morgen. Ueberleg's dir noch einmal gründlich. 86

Edith (zu Walter). Heute Abend sehen wir Sie doch bei uns?

Walter. Beim Verlobungsfest – gewiß – wir freuen uns sehr darauf.

Edith. Ich auch. Trotzdem bin ich froh, wenn das alles vorüber ist. Es ist fürchterlich anstrengend, verlobt zu sein.

Walter. Jawohl; aber es hat auch mancherlei Angenehmes. – Empfehle mich. (Ab rechts.)

 

Siebenter Auftritt.

Hans. Edith. Richard.

Richard (zu Edith, die sich umsieht). Sie bemerken: hier ist weiter nichts zu sehen.

Edith. Nichts als eine ungemütliche Einrichtung. (Zu Hans.) Wollen Sie jetzt unser Cicerone sein, Herr Arndt?

Hans. Sehr gern. Darf ich bitten. (Geht beiden voran nach links und öffnet die vordere Thür.) Hier hätten wir zunächst Magazin und Packraum.

Edith (auf der Schwelle). O – da ist aber eine schlechte Luft. – Das will ich mir doch lieber von außen ansehn.

Richard (erfreut). Konnt' ich mir denken. 87

Edith. Arbeiterinnen?

Hans. Diese drei sind die einzigen weiblichen Arbeiter, die wir beschäftigen. In den Maschinensälen sind Frauen nicht gut verwendbar.

Edith. So – und was haben die hier zu thun?

Hans. Hauptsächlich Magazinverwaltung. Sie überwachen das gesamte Arbeitsmaterial, teilen die nötigen Werkzeuge zu und müssen genau darüber Buch führen. Die Arbeit ist nicht körperlich anstrengend, aber sehr verantwortlich.

Edith. Und was bekommen die armen Dinger dafür?

Hans. Ungefähr zehn Mark.

Edith. Pro Tag?

Hans. Nein, pro Woche.

Edith. Die ganze Woche zehn Mark! – Und davon leben sie?

Hans. Sie müssen.

Edith (nachdenklich). So viel brauche ich für Handschuhe und Eau de Cologne. 88

Richard (nervös). Was für Vergleiche!

Hans. Wenn es Sie interessiert – ich will eines der Mädchen hereinrufen.

Edith (ängstlich). Nein, nein – lassen Sie das lieber. Zeigen Sie uns jetzt bitte die Maschinensäle.

Hans (schließt die Thür). Wie Sie wünschen. Zunächst können Sie einen allgemeinen Ueberblick haben über den Hauptsaal – von der Galerie aus. (Geht auf die Mittelthür zu.)

Edith. Warum steht da »Verbotener Eingang«?

Hans. Die Treppe, die hier direkt hinunterführt, soll während der Betriebszeit nicht benutzt werden. Sie ist gefährlich infolge der vielen Transmissionen, welche dicht darüber hinlaufen. Früher sind da wiederholt Unglücksfälle vorgekommen.

(Er öffnet mit kräftigem Ruck die Schiebethür. In demselben Augenblick hört man den ganzen Fabriklärm – das Schnurren der Räder und Riemen, das Klopfen, Hämmern, Stampfen u. s. w. Für das Publikum ist nur der obere Teil des Saales sichtbar, dessen Boden ein Stockwerk tiefer angenommen ist. Hinter einer hölzernen Brustwehr sieht man zahlreiche Transmissionen über Räder laufen, alles in vollster Bewegung. Dahinter die gegenüberliegende Wand des Saales mit Fenstern. – Alle drei, Edith in der Mitte, stehen einige Augenblicke mit dem Rücken gegen das Publikum an der Brustwehr und sehen hinunter. Edith hält sich die Ohren zu. Hans deutet erklärend nach verschiedenen Seiten.)

Edith (eilt nach vorn und setzt sich links, noch immer sich die Ohren zuhaltend. Richard folgt ihr). 89

Hans (schließt die Schiebethür. Der Lärm wird wieder unhörbar).

Edith. Aber mein Gott – wie können es denn die Menschen aushalten – in diesem Höllenspektakel!

Hans. Sie hören ihn nicht mehr.

Edith. Was für Nerven! . . . (Steht wieder auf.) Und nun . . .

Richard. Haben Sie nach dieser Probe noch nicht genug?

Edith. Nein – ich muß auch noch hinunter – ich werde mich schon zusammennehmen. Jetzt bin ich einmal hier; jetzt muß ich alles sehen.

Richard. Dann möchte ich Sie doch darauf aufmerksam machen, liebe Edith, daß wir nicht mehr allzulange Zeit haben, wenn wir nicht zu spät ins Theater kommen wollen, und daß ich hier noch wichtige Geschäfte erledigen muß.

Edith. Das geht natürlich vor, mein Herr. Erledigen Sie zunächst Ihre Geschäfte. (Setzt sich wieder.)

Richard (zu Hans). Sie halten also im Falle der Nichtbewilligung den Streik für eine sichere Sache?

Hans. Für ganz sicher. Nicht fünf von den dreihundert Arbeitern würden in der Frühe des Ersten antreten. 90

Richard. So so – das wissen Sie?

Hans. Ich weiß, daß das gestern förmlich beschlossen worden ist. Und wir dürfen uns keinem Streik aussetzen, Herr von Ottendorf.

Richard. Dürfen wir allerdings nicht. Könnten wir keine vierzehn Tage aushalten.

Hans. Ich wußte ja, daß Sie das einsehen würden.

Richard. Sehr verbunden für gute Meinung. Eben deshalb will ich mit den Leuten sprechen – und zwar gleich.

Hans (freudig). Sie wollten . . .

Richard. Dem Streik vorbeugen – ja, will ich. Selbstredend gehe ich vor – in vollstem Einverständnis mit meinem Schwiegerpapa. Er wird im Laufe des Vormittags herkommen, und eben deshalb wünsche ich diesen Fall vorher klarzulegen. Wollen Sie also die Leute anhalten, mir eine Deputation zu schicken, mit der ich verhandeln kann.

Hans. O – gerne! (Geht nach links. Man hört das Signal einer Dampfpfeife.)

Edith. Was bedeutet das? 91

Hans. Das Zeichen der Frühstückspause. Ich werde ihnen sagen, sie sollen sich sofort nach der Pause hier einfinden. Das wäre in zwanzig Minuten.

Richard. Warum? Sollen etwas später frühstücken.

Edith. Lassen Sie doch den armen Leuten ihre Pause. Auch wenn wir das erste lebende Bild nicht sehen.

Richard (geärgert). Na – meinetwegen. Aber dann bitte etwas plötzlich. (Hans ab zweite Thür links.)

 

Achter Auftritt.

Richard. Edith.

Richard. Und nun, mein liebes Kind, reichen Sie mir Ihren Arm und lassen Sie sich zu unsrem Wagen führen.

Edith. Zu unsrem Wagen – weshalb?

Richard. Sie fahren damit in die Stadt, schicken ihn mir zurück – und wir treffen uns im Theater.

Edith. Halten Sie's nicht für richtig, daß wir dort gemeinsam erscheinen? 92

Richard. Vor allen Dingen halte ich es für richtig, daß Sie nicht länger hier bleiben.

Edith. Störe ich Sie?

Richard. Aber ich bitte Sie, Edith – seien Sie doch vernünftig. Als Sie zuerst die sonderbare Laune aussprachen, mich in die Fabrik zu begleiten, waren sowohl Papa wie Mama durchaus dagegen, und ich selbst – ich widersetzte mich nur deshalb nicht energischer, weil ich annahm, Sie würden durch die Befriedigung dieser Grille am schnellsten den Geschmack daran verlieren. Sie haben sich jetzt genügend überzeugt, daß hier kein Salon für junge Damen ist, und alles weitere wäre direkt unpassend – sowohl Ihre Gegenwart bei meinen Verhandlungen mit Arbeitern, als Ihre Familiarität mit diesem Biedermann da – diesem Herrn Arndt.

Edith. Haben Sie etwas gegen Herrn Arndt?

Richard. Ich habe nichts gegen und nichts für ihn. Er ist mein Techniker – basta. Aber Sie sind meine Braut, und ich – Ihr Bräutigam – finde, daß hier nicht Ihr Platz ist.

Edith. Nicht mein Platz? In der Fabrik meines Vaters, in Ihrer Fabrik?

Richard. Dafür sind wir Männer da. Die Frauen gehören ins Haus. 93

Edith (auf die Magazinthür deutend). Und die Frauen da drinnen – gehören die auch ins Haus?

Richard (ungeduldig). Meine liebe Edith – davon verstehen Sie nichts.

Edith. Dann lehren Sie mich's verstehen.

Richard. Schön . . . ein andermal.

Edith. Nein, jetzt gleich. Lassen Sie mich hier noch ein wenig die Augen aufmachen; lassen Sie mich hören, was Sie mit diesen Arbeitern reden. Möglich, daß es eine Laune war, weshalb ich herkam; aber daß ich nun hier bleiben will – das ist keine Laune mehr; das ist notwendig.

Richard. Notwendig – wofür?

Edith. Merken Sie denn nicht, daß das alles eine neue Welt für mich ist? Daß ich von alledem keine Ahnung hatte? Und daß es mich interessiert – ganz riesig interessiert? Ich habe bis heute nicht gewußt, daß es Menschen gibt, die von zehn Mark die Woche leben.

Richard. Das sollen Sie auch nicht wissen – absolut nicht! Sie sollen sich mit schönen, mit ästhetischen Dingen beschäftigen – mit Kunst, mit Musik – meinetwegen sogar mit der Wissenschaft. Aber Sie sollen sich nicht von verschrobenen und ordinären Ideen Ihr Köpfchen verdrehen 94 lassen, und deshalb bitte ich Sie noch einmal, ebenso freundlich wie dringend . . .

Edith. Nun gut, ich gehe. Aber so viel will ich Ihnen sagen: Das ist nicht der Weg, auf dem wir einander näher kommen.

Richard. Das sagen Sie zu mir! Ich könnte Ihnen erwidern: An aufrichtigen Anstrengungen meinerseits hat es dazu nicht gefehlt – aber ganz und gar nicht.

Edith. Vielleicht waren es nicht die rechten.

Richard. Ich habe Ihnen von Anfang an mein volles Vertrauen geschenkt. Ich habe es an keiner ritterlichen Aufmerksamkeit, an keiner Galanterie fehlen lassen – und Sie vergelten mir das alles mit einer Kälte, einer Gleichgültigkeit . . .

Edith. Sind Sie denn so besonders warm?

Richard. Ich habe Sie des öfteren um das Du gebeten – und wir nennen uns noch heute Sie – zehn Tage nach unserer Verlobung. Ganz abgesehen von uns – was soll die Welt davon denken? Was soll sie sich sagen, wenn wir jeden Abend nebeneinander sitzen und Sie ein Gesicht dazu machen, als ob Sie sich mit mir langweilten!

Edith. Da langweile ich mich auch; da langweile ich mich maßlos! Oder finden Sie es besonders amüsant – diese allabendlichen Brautessen und diese Besuche und diese 95 Redensarten – immer dasselbe? Ist mir das denn etwas Neues? Habe ich das nicht seit vielen Jahren abgehaspelt – einen Winter um den andern? Und da verlobt man sich nun und denkt: Jetzt wird das Leben endlich einen Sinn bekommen! Jetzt wird das Neue beginnen, das Unerhörte, das Verwandelte! Und der ganze Unterschied soll schließlich darin bestehen, daß Sie jetzt mein ständiger Tischnachbar sind, und daß die große Rede auf uns gehalten wird, statt auf jemand anders!

Richard. Das sind die Opfer, die man der Gesellschaft bringt. Aber – wenn Sie den neuen Sinn des Lebens begreifen wollen – warum geben Sie mir nicht mehr Gelegenheit, mit Ihnen allein zu sein? Warum verweigern Sie mir auch nur die minimalste Zärtlichkeit? – –

Edith (sieht ihn groß an).

Richard. Spüren Sie keine Verwandlung, wenn ein Mann vor Ihnen steht mit offenen Armen? (Er legt seinen Arm um sie und will sie an sich ziehen.) Fühlst du nicht, daß etwas Neues beginnt?

Edith (sich ruhig losmachend). Nein, Sie verstehen mich noch nicht recht.

Richard. Ah – Sie behandeln mich wie einen Fremden!

Edith. So behandeln Sie mich. Sonst würden Sie glücklich darüber sein, daß ich Sie nicht nur im Salon kennen lernen will, sondern auch in Ihrem Beruf. Sonst würden Sie mir nicht die Thüre weisen, wenn es sich um die wichtigsten Interessen Ihres und meines Lebens handelt. 96

Richard. Na, also schön, bleiben Sie! – Ja, bleiben Sie nur! Und da Sie bis jetzt noch nicht erkannt haben, was ein Mann bedeutet, ein ganzer Mann, der stramm durchs Leben geht – jetzt sollen Sie's erfahren.

 

Neunter Auftritt.

Vorige. Hans.

Hans (kommt zurück). So – das ist besorgt. Drei Mann werden sich sofort nach der Frühstückspause hier einfinden – als die bevollmächtigten Vertreter der Arbeiterschaft.

Richard. Kennen Sie diese drei Mann?

Hans. Ich weiß nicht, wen diesmal die Wahl trifft. Jedenfalls aber wird der älteste Arbeiter mit darunter sein – der Schlosser Mühlberger, ein Mann von sehr gemäßigten Ansichten. Er allein hat sich in der Versammlung gegen den Streik erklärt, obwohl es gerade ihm mit am schlimmsten geht.

Richard. So – hm! – Sie halten also für ausgeschlossen, daß die Leute widerborstig sind?

Hans. Wenn Sie nur ein wenig auf ihre Art einzugehen versuchen . . .

Richard. Sehr vorsichtig bemerkt. – Dann möchte ich Ihnen nur noch einmal ins Gedächtnis rufen, daß Sie unser Beamter sind. 97

Hans. Das habe ich noch nie vergessen, Herr von Ottendorf.

Richard. Sie scheinen es doch vergessen zu haben – damals, als Sie meinem Teilhaber gegenüber sich für den berufenen Vertreter der Arbeiter erklärten. Für unsre Arbeiter zu sorgen, das ist ausschließlich unsre Sache. Ihre Sache ist es, unsern Weisungen nachzukommen und nötigenfalls unsre Interessen als die Ihrigen zu verfechten.

Hans. Ich frage mich umsonst, wodurch eine solche Rüge . . .

Richard. Nicht als Rüge will ich das aufgefaßt wissen, sondern als Warnung. Denn ich brauche kaum zu betonen, daß der Standpunkt meines Teilhabers voll und ganz auch der meinige ist, und daß von einer fünfzehnprozentigen Lohnsteigerung in diesem Jahr nicht die Rede sein kann.

Hans (zurückfahrend). Nicht die Rede . . . nicht die Rede! Ich habe wohl vorhin nicht recht gehört?

Richard. Bedaure.

Hans. Aber, Herr von Ottendorf – diese Deputation . . .!

Richard. Dieser Deputation werde ich haarscharf beweisen, daß ihre Forderungen unsinnig sind. Bis zu fünf Prozent werde ich mich allenfalls von ihnen treiben lassen, und das ist schon eine äußerst starke Konzession, da wir das Geld einfach aus unsrer Tasche nehmen – (sieht nach 98 Edith hin) aus unsrer Tasche. Vor allem aber werde ich diesen Herren den Gedanken an das Streiken gründlich abgewöhnen. Dazu habe ich mich Herrn Bernardi gegenüber verpflichtet, und ich bin der Mann, diese Verpflichtung zu halten. Bin in meinem Leben schon mit ganz andern Leuten fertig geworden – aber mit ganz andern! Mit denen werde ich auch fertig, und Sie – Sie werden mich dabei unterstützen.

Hans. Nein!

Richard. Sie werden!

Hans. Ich werde nicht!

Richard. Nicht? Nun, wir wollen sehen! (Geht auf und ab.)

Hans (sich bezwingend, zu Edith). Mein Fräulein, ich beklage sehr, daß gerade in Ihrer Gegenwart . . .

Edith (mit leicht zitternder Stimme). Nehmen Sie keine Rücksicht auf mich. Ich will . . . nur zuhören – nur zuhören.

Richard. Jawohl, meine Braut hört zu.

Hans. Herr von Ottendorf, verzeihen Sie meine Schroffheit; wir sind jetzt beide erregt; verschieben wir's – nur so lange, bis Herr Bernardi kommt und ich Ihnen klar gemacht habe . . .

Richard. Mir ist alles klar. 99

Hans. Eine Arbeitseinstellung kostet Sie täglich Unsummen, während durch diese Bewilligung ein für allemal . . .

Richard. Großartige Logik! Wenn wir heute bewilligen, dann müssen wir morgen wieder bewilligen – und so fort mit Grazie. Ich kenne die Herrn Arbeiter. Der Appetit kommt beim Essen.

Hans. Beim Hungern kommt er, Herr von Ottendorf.

Richard. Die Leute hungern nicht. Für ihren Stand und für ihre Bildung geht es ihnen genau so gut wie uns.

Hans. Wie können Sie das wissen! Haben Sie sich denn um diese Leute gekümmert? Haben Sie untersucht, ob sie das entbehren können, was sie verlangen? Waren Sie in ihren Wohnungen? Haben Sie ihre Frauen und Kinder gesehen? Seien Sie erst einmal zehn Minuten lang in der engen Stube, die unser alter Mühlberger mit seiner ganzen Familie bewohnt, und Sie werden finden, daß Ihnen noch nicht alles klar ist.

Richard. Mit diesen Redensarten imponieren Sie mir nicht. Aber ich glaube wahrhaftig, daß Sie jetzt mehr auf die Sentimentalität meiner Braut spekulieren.

Edith (sehr eingeschüchtert). Warum sollen denn die Leute nicht wirklich – die paar Groschen – bekommen? 100

Richard (zu Hans). Richtig – Sie haben auf Ihr Publikum Eindruck gemacht.

Edith. Aber Herr Arndt – redet doch – aus Erfahrung.

Hans. Ja, aus Erfahrung spreche ich, mein Fräulein, aus eigener bitterer Erfahrung. Denn ich selbst habe gehungert wie diese Menschen da, und seit fünf Jahren sehe ich, wie kümmerlich es den meisten von ihnen geht. Ihr Herr Bräutigam aber, der heute zum erstenmal diese Schwelle betrat . . .

Richard (aufbrausend). Genug jetzt, Herr Arndt! Genug! Es war Zeit, daß ich kam – aber höchste Zeit! Mein gutmütiger Schwiegerpapa hat Sie sich gehörig über den Kopf wachsen lassen; sonst wär's einfach unverständlich, wie diese unerhörte Art und Weise . . .

Hans. Ja freilich ist es unerhört, daß ich die Fabrik so gut wie selbständig geleitet habe, während Ihr Herr Schwiegervater auf Reisen oder in Gesellschaften war. Freilich unerhört, daß ich in diesen fünf Jahren Tag und Nacht gearbeitet habe, um das Geschäft auf seine jetzige Höhe zu bringen – ich – ich ganz allein. Freilich unerhört, daß ich nicht die Hand dazu bieten will, wenn Sie einreißen, was ich aufgebaut habe; wenn Sie mir kommandieren wie einem Rekruten, statt von mir zu lernen.

Richard (sich die Lippen beißend). Also – Sie verweigern mir den Gehorsam! 101

Hans. Sie können mich ja fortschicken – auf der Stelle; aber mich zwingen, meine Ueberzeugung mit Füßen zu treten – das können Sie nicht.

Edith (heftig zitternd). Richard – bedenken Sie doch . . .

Richard (zu Edith). Ich bedenke. (Zu Hans.) Nun, mein lieber Herr, wenn Ihnen die Pflicht so wenig bedeutet, wie steht es denn mit Ihrer Dankbarkeit? Soll ich Sie erst noch an meinen Vater erinnern?

Hans. An den, Herr von Ottendorf, erinnern Sie mich besser nicht!

Richard. Nicht wahr, das ist Ihnen unbequem! Mein Vater hat Sie zu dem gemacht, was Sie sind. Er hat Sie studieren lassen; er hat Sie jahrelang erhalten. Alles verdanken Sie ihm! Und hier stehe nun ich, sein einziger Sohn. Aber bei Ihnen darf man aus Pietät nicht rechnen.

Hans (greift krampfhaft nach den Briefen auf dem Zeichentisch und will damit auf Richard losgehen. In diesem Augenblick ertönt das Signal der Dampfpfeife. Hans läßt die Hand mir den Briefen sinken und murmelt vor sich hin). Pietät! – –

Edith (geht auf Hans zu, faßt seine Hand). Herr Arndt . . . wenn . . . ich Sie bitte . . . (Sie ringt vergeblich nach Worten).

Hans (sieht sie an; dann entschlossen). Ich werde schweigen. 102

 

Zehnter Auftritt.

Hans (rechts vorn). Richard (in der Mitte der Bühne). Edith (hat auf dem Drehstuhl vor dem Zeichentisch Platz genommen. Durch die hintere Thür links treten ein:) Kraus (schmächtiger Mann von etwa achtundzwanzig Jahren), Mühlberger und Franke (gedrungene Gestalt in mittlerem Alter. Sie stellen sich in derselben Reihenfolge auf der linken Seite der Bühne auf).

Richard (im Rednerton, überlegen, aber mit forcierter Freundlichkeit). Na, ihr Leute . . . ihr seht in mir euren zweiten Arbeitgeber, und ich hoffe zunächst aufrichtig, daß ihr dasselbe Zutrauen zu mir habt, das ich zu euch habe. Trotz meiner begreiflichen Geschäftsüberhäufung habe ich es mir nicht nehmen lassen, persönlich zu euch zu kommen, und zwar erstens, weil ich Fühlung gewinnen will mit euch und euren Kameraden, zweitens weil ich mit euch in Ruhe debattieren möchte über eure bekannten Wünsche und Forderungen. Was diesen zweiten Punkt betrifft, so setze ich voraus, daß ihr dabei löbliche Maßhaltung entwickelt und besonders . . . Objektivität. (Die Arbeiter sehen sich verblüfft an.) So, das wäre also das . . . Und nun, wer spricht für euch?

Kraus. Ich, Herr! (Bewegung von Hans.)

Richard. Ihr Name?

Kraus. Wilhelm Kraus.

Richard. Wie lange sind Sie in der Fabrik?

Kraus. Acht Monat. 103

Richard. Haben gedient?

Kraus. Nein.

Richard. Warum nicht?

Kraus. Zu schmale Brust. – Das hier ist der Schlosser Mühlberger.

Richard. Mir dem Namen nach als wackrer Mann bekannt. Wie lange in der Fabrik?

Mühlberger. Micheli werden's fufzig Jahr'.

Richard. Ah – meine natürlich – in unsrer Fabrik.

Mühlberger. So achtzehne bis neunzehn.

Kraus. Und das ist der Maschinenführer Franke.

Franke (mit einem Bückling). Seit sieben Jahren – uffzuwarten, Herr Baron.

Richard (zu Kraus). Sie sind hier verhältnismäßig kurz. Wie kommt es, daß man gerade Sie zum Sprecher gewählt hat?

Kraus (halb zu den beiden andern). Meine Kameraden kennen mich! 104

Richard. Also – diese beiden Männer arbeiten hier seit Jahr und Tag, und Sie – nun, Sie sind auch lange genug da, um zu wissen, daß Herr Bernardi allgemein bekannt ist für seine aufgeklärte und menschenfreundliche Gesinnung . . . Und da könnt ihr euch wohl ungefähr denken, daß es ihn und mich geschmerzt hat . . . heftig geschmerzt, als wir es schwarz auf weiß lasen, wie wenig ihr das alles zu schätzen wißt.

Kraus. Das mit der Menschenfreundlichkeit vom Herrn Bernardi – das mag schon seine Richtigkeit haben. Hut ab. Nur wir, was die Arbeiter sind, wir haben nischt davon gemerkt – is auch nicht anders möglich. Sein Gesichte haben wir nicht oft das Vergnügen zu sehen, und um die einzelnen Privatverhältnisse von Dreihundert kann er sich nicht kümmern.

Richard. Allerdings . . . beim besten Willen . . .!

Kraus. Nu eben drum . . . gottlob, die Menschenfreundlichkeit haben wir auch nicht nötig. Es is schon mehr ein rechtskundiges Geschäftsverhältnis – Kontrakt, wie's genannt wird. Vor nischt is nischt. Wir arbeiten, und er zahlt uns davor. Nu haben wir ihm zu wissen gethan: Vom Ersten ab müssen wir so und so viel haben – keinen Knopp mehr als in die andern Fabriken ooch. Sagt er ja, denn gut. Sagt er nein, denn gehn wir'n Haus weiter.

Richard. Sie irren, mein Teurer. Wenn Sie plötzlich eine so unverhältnismäßige Mehrforderung stellen, dann haben Sie uns vor allem zu beweisen, ob dazu irgend eine Notwendigkeit vorliegt. 105

Kraus. Notwendigkeit – nu nee! Is allens fürs Pläsier!

Richard. Lassen Sie gefälligst Ihre Scherze.

Kraus (halb zu den Arbeitern). Zum Scherzen is es uns nicht – was?

Richard. Ich frage Sie hiermit, Sie persönlich. Sind Sie mit Ihrem bisherigen Lohn nicht ausgekommen?

Kraus. Von meiner Persönlichkeit is nicht die Rede, Herr. Ich stehe hier vor unsern Stand.

Richard. Beantworten Sie meine Frage!

Kraus. Nu – ich bin ein einsamer Junggeselle und nicht verwöhnt. Ein geschickter Gießer wie ich findet überall sein Auskommen; deshalb hätt' ich nicht so oft mit der Arbeit wechseln brauchen . . . nee. Aber ich bin nicht alleine auf der Welt. (Zu Franke.) Wie viel Familienväter seid ihr hier?

Franke. Hundertsiebenundzwanzig.

Mühlberger. Familienväter – ja.

Franke. Uns sitzt det Messer eeklig an der Kehle, Herr Baron. Und wenn Sie't uns nicht glauben, denn fragen Sie hier den Herrn Arndt. 106

Kraus. Nee, Franke. Wir wollen unsre Sach' alleine führen. Das wär' faul, wenn wir auf fremde Hilfe warten müßten.

Mühlberger. Laß jut sind . . . Herr Arndt meint et jut.

Kraus. Wenn er's gut meint, dann könnt' er ja dem gnädigen Herrn dasselbe vorreden wie uns!

Hans (kämpft mit sich und schweigt).

Edith (die ihn beobachtet hat, aufstehend, leis und entschieden). Das hat er gethan. (Sie ist erschrocken über ihre eigenen Worte.)

Hans (zu Kraus, mühsam seine große Erregung bemeisternd). Ich habe hier nichts zu sagen – jetzt nicht! Aber wenn Sie meinen, daß dies der rechte Ton ist, Ihre Sache zu führen . . .

Kraus. Hab' keine so pikfeine Erziehung gehabt wie Sie. Ich red', wie mir der Schnabel gewachsen ist.

Richard. Zur Sache!

Kraus. Zur Sache – ja wohl. Geben Sie uns, was wir verlangen, oder nicht?

Richard. Leute, seid doch nur einmal gerecht! Fragt euch doch, ob wir genug verdienen . . . ob wir das Geld überhaupt haben. Und dann . . . wenn ich euch klar machen wollte, 107 wie wir uns plagen müssen, wie wir Tag und Nacht uns abstrapazieren und abdenken und dazu noch das Risiko tragen . . .

Franke. Wir wollen an det Risiko teilnehmen!

Richard. Was wißt ihr davon! Was wißt ihr von unseren entsetzlichen Sorgen! Habt ihr denn überhaupt einen Begriff, was Kopfarbeit ist? Wenn ihr Abends eure Werkzeuge hinlegt, dann seid ihr fertig . . .

Kraus. Ja, fertig sind wir dann!

Richard. Und dann kommen bei uns erst die schlaflosen Nächte. – Wir meinen es ja gut mit euch. Ihr sollt mehr bekommen, sobald wir die Konjunktur benutzen können. Nur gerade jetzt geht unser Geschäft so schlecht . . .

Kraus. Aber unser Geschäft geht gut. Sie brauchen uns jetzt nötiger, als wir Sie.

Franke. Anjebot und Nachfrage, Herr Baron.

Richard (sich immer weniger beherrschend). Lächerliche Prahlerei! Nicht der fünfte Teil von euch fände wieder Beschäftigung.

Kraus. Und Sie fänden noch nicht den zehnten Teil Ersatz für uns. Denn am Ersten kommt Ihnen keine Katze in die Fabrik. 108

Richard. Also keine Einsicht, keine Anhänglichkeit – der ganz gemeine Interessenstandpunkt!

Kraus. Stehn Sie auf einem andern?

Richard. Ich wiederhole euch, wir können nicht mehr geben!

Kraus. Dann wissen wir genug. (Ausbrechend, zu den beiden andern.) Kommt!

Richard (hält sie eifrig zurück). Ihr laßt mich ja nicht ausreden. Wir können nicht mehr geben als fünf Prozent, und zwar dies . . . in Anbetracht . . .

Kraus (zu den Arbeitern). Woraus wartet ihr noch? (Will wieder gehen.)

Richard. Habt ihr gehört? Fünf Prozent! Eine enorme Konzession!

Kraus. Fufzehn – keinen Pfennig drunter!

Richard. Mühlberger! Franke! Habt ihr keinen eigenen Willen? Noch habe ich mehr Zutrauen zu meinen wackeren Arbeitern, als daß sie sich von gewissenlosen Agitatoren ins Bockshorn jagen lassen.

Kraus. Probieren Sie's! 109

Richard. Sie, Mühlberger – ich weiß, Sie haben sich gegen den Streik erklärt . . .

Mühlberger. Wat ick jesagt habe, det hab' ick jesagt . . . Aber ausschließen duh ick mir nich.

Franke. Koalition muß sind.

Richard (knirschend). Ihr kennt mich noch nicht, Leute; ihr wißt noch nicht, mit wem ihr es zu thun habt.

Kraus (höhnisch lachend). Hoho! Bangemachen gilt nicht.

Richard. Und ihr wollt noch ehrliche Arbeiter sein . . . ihr seid . . .

Kraus (ihm einen Schritt entgegen). Was sind wir? Was?

Hans (zwischen beide springend, zu Kraus). Zurück! Kein Wort mehr!

 

Elfter Auftritt.

Vorige. Bernardi. (Später) Rieke.

Bernardi (ist von rechts eingetreten und hat die letzten Worte gehört. Er kommt rasch nach vorn). Was ist . . . was geht hier vor?! 110

Hans (atmet bei seinem Anblick erleichtert auf und sagt gleichzeitig). Gott sei Dank!

Edith (schmiegt sich angstvoll an ihren Vater an). Hilf ihnen, Papa, hilf ihnen!

Kraus (durch Bernardis Erscheinen einen Augenblick verdutzt, tritt nun vor). Was hier vorgeht, Herr? Man spricht uns die Ehrlichkeit ab, weil wir auf unserem Recht bestehn!

Bernardi. Dummes Zeug! Wer thut das?

Kraus (auf Richard deutend). Der neue Herr da.

Richard (bemüht sich vergeblich, seine Haltung wiederzugewinnen). Ich . . . ä . . .

Bernardi (wirft ihm einen mißbilligenden Blick zu; dann zu den Arbeitern). Kinder, das sind Mißverständnisse . . . Wenn wir nur im großen einig sind . . .

Kraus. Hoho, einig!

Bernardi. Hat euch mein Socius denn nicht gesagt . . . 111

Kraus. Angeranzt hat er uns, ja wohl, und fünf Prozent will er uns schenken – allergnädigst! Aber wir danken davor.

Bernardi. Kinder, ihr habt euch in die Hitze geredet; das kenn' ich. Da gibt ein Wort das andere, und wenn man's auch noch so redlich meint . . . ihr meint es redlich, dafür leg' ich meine Hand ins Feuer! Wenn ihr nur erst euer Herz sprechen laßt, dann werdet ihr einsehen, daß wir mehr bewilligt haben, als wir können, (Bewegung der Arbeiter) daß . . . hört mich doch nur ruhig an! . . . Ja, daß wir's uns selbst am Munde absparen. Weiß Gott, ich bin in den letzten Wochen sichtlich gealtert – alles aus Sorge für euch! Seht mich nur an und ihr werdet zu euren Genossen sagen: So sieht kein Mann aus, der uns drücken und schinden will. Haben wir Geduld mit ihm! Vertrauen wir ihm! Unsre Sache ist in den allerbesten Händen.

Kraus. In unsren eigenen Händen ist sie besser!

Bernardi. Nein, nein – ihr wollt euch unbedacht ins Unglück stürzen – ja noch mehr – ihr wollt auch mich ins Unglück stürzen, und ich hab' doch keinen anderen Fehler, als daß ich zu weich bin . . . daß mir alles zu nahe geht . . . Seht, wenn ich allein stünde in der Welt, ich wollte selber darben, nur um euer Los zu verbessern. Ja, das thät' ich. Aber ich hab' eine Familie – eine Frau – einen Schwiegersohn – und hier (Edith zärtlich umschlingend) eine Tochter, meinen ganzen Reichtum, meinen Stolz, meine Hoffnung. Gerade jetzt hat sie sich verlobt, gerade jetzt wollte ich ihren Hausstand begründen . . . Rührt euch das nicht? Habt ihr das Herz, auch ihre Zukunft zu untergraben? 112

Mühlberger (der bisher meist stumpf und scheinbar teilnahmlos dagestanden, hat sich von dem Augenblick an, wo Bernardi auf seine Familie zu sprechen kam, merklich verändert. Er hat sich aufgerichtet; seine Augen leuchten; aus einer nervösen Beweglichkeit heraus schreitet er auf die Thüre links vorn zu, öffnet sie und ruft mit einer Leidenschaft, die man ihm bisher nicht zugetraut hätte). Rieke – Rieke – komm heraus!

Bernardi. Was soll das?

Rieke (ein leidend aussehendes, vergrämtes Geschöpf in dürftiger Arbeitstracht, erscheint auf der Thürschwelle, blickt scheu um sich und sieht ihren Vater erstaunt und fragend an). O Jott! Wollen sie mir fortschicken?

Mühlberger (nimmt sie bei der Hand und geht mit ihr nach der Mitte der Bühne, so daß Bernardi und Edith einerseits, Mühlberger und Rieke andrerseits sich isoliert gegenüberstehen). Hier is meine Dochter . . . die soll an die frische Luft . . . an die frische Luft . . . .

Rieke. Vater, laß los . . . ick muß arbeeten.

Mühlberger (mit leidenschaftlicher Entschlossenheit). Nee, nich mehr arbeeten . . . nich mehr, nie mehr . . . An die frische Luft sollste – mein Kind . . . mein jutet kranket Kind. (Er hält sie umschlungen. Pause. Niemand von den Anwesenden kann sich dem Eindruck dieser Episode entziehen. In Ediths Mienen malt sich tiefste Erschütterung.)

Bernardi (ehrlich ergriffen). Warum hab' ich davon nichts gewußt! Ihrer Tochter soll geholfen werden . . . sie soll die Mittel erhalten. . . . 113

Kraus. Von solchen Töchtern gibt's noch mehr! Zahlen Sie uns, was uns zukommt – und wir brauchen Ihre Almosen nicht!

Bernardi. Können Sie denn nichts anderes thun als hetzen, selbst in diesem Augenblick!

Franke (zu Kraus). Willem, du jehst zu weit.

Kraus. Du alter Hasenfuß, hast du verschlafen, was abgemacht ist?

Richard (zu Franke). Sagen Sie's doch dem frechen Burschen, daß er nicht für euch alle spricht!

Kraus. Nicht? Nu passen Sie mal auf!

Richard. Wird sich zeigen am Ersten!

Kraus. Am Ersten? Wir warten gar nicht bis zum Ersten! Auf der Stelle wird sich's zeigen – auf der Stelle! (Ehe jemand gemerkt hat, was er beabsichtigt, ist er zur Schiebethür gesprungen und reißt sie auf. Das Getöse wieder hörbar. An der Brustwehr stehend schreit er, den Lärm übertönend, in den Saal hinunter.) Alle Mann Arbeit niederlegen! Versammlung im Saal! (Ein vielstimmiges, dumpfes, anschwellendes Echo antwortet ihm.) 114

Bernardi. Herr meines Lebens! Da haben wir's!

(Nach und nach hört das Maschinengetöse auf. Der Betrieb wird abgestellt. Die Transmissionen laufen noch, aber geräuschlos, da sie nicht mehr treiben. Um so deutlicher hört man das immer stärkere Stimmengewirr der unten zusammenströmenden Arbeiter.)

Kraus (hat sich an der Brüstung umgedreht und winkt den beiden andern, mit welchen während des Lärms Bernardi und Richard noch verhandelt haben, ihm zu folgen). Hier gleich hinunter – vorwärts!

Bernardi (zu Mühlberger, ihn zurückhaltend). Haben Sie gehört . . ? Ich habe Ihnen versprochen . . .

Mühlberger (der Rieke noch immer fest an der Hand hält). Kann mir nich ausschließen. (Zu Rieke.) Komm! (Er folgt mit ihr den beiden andern, und sie verschwinden durch die Mittelthür, welche offen bleibt.)

 

Zwölfter Auftritt.

Bernardi. Richard. Edith. Hans.

Bernardi (vollständig rabbiat). Um Gotteswillen, nur jetzt keinen Augenblick verloren! Herr Arndt, warum stehen Sie noch da? Eilen Sie ihnen nach, sogleich! Hindern Sie diesen Aufwiegler . . . sagen Sie den andern . . .

Hans. Herr Bernardi, ich habe gesprochen, so lange es Zeit war. Ihr Teilhaber hat nicht auf mich gehört. Da hinunter gehe ich nur unter einer Bedingung! 115

Bernardi. Welche? Welche?

Hans. Daß ich sagen darf: Alles bewilligt.

Bernardi (verzweifelt). Ich kann ja nicht . . . ich . . .

Richard. Halten wir uns nicht auf mit einem Menschen, der seine Pflicht vergißt.

Hans. Herr, das nehmen Sie zurück!

Richard. Nein!

Hans. Dann bestehe ich auf meiner sofortigen Entlassung! (Er hantiert während des Folgenden am Zeichentisch, holt seinen Hut und Mantel und schickt sich zum Aufbruch an.)

Bernardi. Sie wollten . . .

Hans. Ich habe hier nichts mehr zu thun.

Bernardi. Sie lassen mich im Stich, Sie auch . . . Mensch, Freund . . . (Zu Richard.) Nun, das haben Sie wirklich gut gemacht!

Richard. Ich hätte die Kerle untergekriegt, wenn nicht Ihre Dazwischenkunft . . . 116

Bernardi (alles vergessend). Nein, Ihre Dazwischenkunft, Ihre! Hätte mich nicht Ihr riesiges Selbstbewußtsein getäuscht . . .

Richard. Herr Bernardi – erwägen Sie gütigst . . .

Bernardi. Ja wohl, ich erwäge, daß ich Ihnen, daß ich dieser Verlobung die wahnsinnigsten Opfer gebracht habe, und zum Lohn dafür stellen Sie in einem Vormittag meine ganze Fabrik auf den Kopf.

Richard. Ich werde Ihnen beweisen . . .

Bernardi. Beweisen Sie mir gar nichts mehr, sondern bringen Sie lieber mein armes Kind nach Hause. – Sehen Sie nur, wie sie zittert. Am Ende wird sie mir noch krank! –

Richard (zu Bernardi). Ich darf Sie jetzt nicht allein lassen! Meine Pflicht . . .

Edith. Ich gehe nicht fort ohne Papa.

Bernardi. Unmöglich! Hier kannst du jetzt nicht bleiben – keinen Augenblick mehr!

Richard. Allerdings.

Bernardi (da Edith eine bittende Bewegung macht). Geh – hörst du – ich will es so! Herr Arndt wird dich begleiten. (Zu Hans.) Um diesen Dienst darf ich Sie doch wohl noch bitten? (Lärm im Maschinensaal.) Wir schwatzen 117 hier, und unterdessen . . . Mindestens die Hälfte ist zu halten, wenn man nur . . . (Entschlossen.) Ich gehe hinunter! –

Edith (ihn beschwörend). Papa!

Richard. Ich gehe mit! – Aber sollen wir so unbewaffnet . . .

Bernardi. Halten Sie sich hinter mir. Meine Arbeiter thun mir nichts.

(Bernardi und Richard ab durch die Mittelthür.)

 

Dreizehnter Auftritt.

Hans. Edith.

Edith (hat bei immer größerer Ergriffenheit bis jetzt ihre Fassung äußerlich bewahrt. Nun bricht sie völlig haltlos in ein heftiges Schluchzen aus). O mein Gott! Mein Gott!

Hans. Mein Fräulein – seien Sie nur ganz unbesorgt. Den Herren geschieht nichts.

Edith (sich mühsam aufrecht haltend). Kann denn niemand helfen?

Hans (sieht sie einen Augenblick an). Niemand. (Er wendet sich noch einmal um; mit tiefer Bitterkeit.) All meine Arbeit umsonst! (Dann zu Edith.) Kommen Sie! –

(Während sie abgehen, erneutes dumpfes Stimmengewirr im Saal.)

(Der Vorhang fällt.)

 


 


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