Ludwig Fulda
Die Sklavin
Ludwig Fulda

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Vierter Aufzug.

Dieselbe Dekoration.

Erster Auftritt.

Frau Kolb. (Dann) Eugenie.

Frau Kolb (sitzt am Tische rechts und ist damit beschäftigt, einen alten Rock ihres Mannes auszubessern. Sie seufzt tief). Ach ja! (Sie läßt die Arbeit einen Augenblick ruhen und blickt wie überlegend vor sich hin ins Leere; dann, mit einem neuen Seufzer, näht sie weiter.)

Eugenie (kommt durch die Mitte, in Hut und Mantel, die sie während des Folgenden ablegt. Resigniert). Da wär' ich wieder einmal.

Frau Kolb (gespannt). Nun, hast du endlich was gefunden?

Eugenie. Nein, es ist wieder nichts.

Frau Kolb. Wieder nichts?

Eugenie. Und wie man mich behandelt hat! Wie eine Bittstellerin, wie eine Bettlerin – weil ich Arbeit suche – 144 weil ich selbständig werden will. Und das ist noch nicht einmal das Schlimmste. Es gibt Männer, die einen ansehen mit einem Blick, mit einem Lächeln . . . o pfui!

Frau Kolb. Aber auf dem Nachweisbureau gab's doch so eine Menge ausgezeichnete Stellen – in Geschäften!

Eugenie. Ich war überall. Entweder nimmt man nur ganz junge Mädchen – oder es wird verlangt, daß man fließend drei Sprachen spricht.

Frau Kolb. Und dann die Gouvernantenstelle – bei den Geheimerats . . .?

Eugenie. Wenn ich geschieden bin, soll ich einmal wieder nachfragen. – Ueberhaupt, sobald die Leute hören, daß ich meinen Mann verlassen habe, dann ist es aus – jedesmal.

Frau Kolb. Ach Gott – wie lange willst du denn noch so herumlaufen von morgens bis abends?

Eugenie. Ich weiß nicht. Ich weiß nur: Meine Kraft ist bald zu Ende. (Sie setzt sich auf das Sofa.)

Frau Kolb. Ach, was für ein Kreuz! Und dein Vater macht mir auch solchen Kummer. Er ist ganz verändert. Nachts schläft er nicht, und am Tag hat er zu Hause keine Geduld; Gott weiß, wo er sich immer herumtreibt. Das kann ihm doch unmöglich gut bekommen . . . (Sie geht mit dem Rock zu ihr nach links.) Sag mal, meinst du, daß er den Rock hier noch einmal tragen kann? 145

Eugenie (starrt vor sich hin und schweigt).

Frau Kolb (während sie den Rock in den Schrank hängt). Ja, wenn man nur erst erfahren könnte . . . Bist du denn noch nicht wieder beim Doktor Ebeling gewesen?

Eugenie. Wozu? Er hat mir ja versprochen, mich's wissen zu lassen, sobald etwas geschieht.

Frau Kolb. Ja, ja, die Advokaten! Die ziehen alles in die Länge. – (Sie setzt sich zu ihr aufs Sofa.) Ach, Kind, ist das vielleicht ein besseres Leben als bei deinem Mann? Du quälst dich ja zu Tod. Und den einzigen Menschen, der dir wirklich helfen könnte – dessen Hilfe hast du nicht angenommen.

Eugenie. Mutter, wie oft soll ich dich noch bitten . . .

Frau Kolb. Ach was! Wenn du so unvernünftig bist, dann muß deine alte Mutter für dich die Vernunft haben. Und kurz und gut – ich hab' heute früh dem Herrn Lukas geschrieben.

Eugenie (erschrocken). Was denn?

Frau Kolb. Ich hab' ihn gebeten in deinem Namen, er soll heute zu dir kommen.

Eugenie. In meinem Namen! Wie konntest du . . .! 146

Frau Kolb. Nun, warum denn nicht? Meint er's vielleicht nicht gut mit dir? In deiner Lage hat man nicht das Recht, so stolz zu sein. Du brauchst ja auch nichts direkt von ihm anzunehmen – behüte! Aber wenn dir jemand eine Stelle verschaffen kann, so ist er's. Er hat so viel seine Bekanntschaften . . .

(Es klingelt.)

Eugenie (angstvoll). Wenn er das wäre . . .

Frau Kolb. Wollen sehen. (Sie geht ab Mitte.)

Eugenie (sieht gespannt auf die Thür; dann halblaut vor sich hin, mit gewaltsamer Energie). Stark sein! – –

Zweiter Auftritt.

Eugenie. Ebeling.

Ebeling (bleibt einen Moment in der geöffneten Thür stehen und spricht schnell zu Frau Kolb zurück, in die Scene). Der Herr Oberpostsekretär nicht da? – Vergessen Sie nicht, ihm meine verbindlichsten Grüße . . . Nun, wir sehen uns ja noch. (Tritt ein und kommt nach vorn.) Gnädige Frau . . .

Eugenie (erstaunt). Sie, Herr Doktor? Sie kommen zu mir?

Ebeling. Nun ja, es ist sonst allerdings nicht meine Gewohnheit, meine Klienten aufzusuchen; aber meine besondere Teilnahme für Ihre Sache – 147

Eugenie. Sehr liebenswürdig. (Sie bietet ihm Platz an.) Sie können sich wohl denken, mit welcher Ungeduld . . . Nun, wie steht's? Ist endlich etwas entschieden? Ist ein Termin festgesetzt?

Ebeling. Nein.

Eugenie. Aber die Klage ist doch eingereicht?

Ebeling. Auch das nicht. –

Eugenie. Und die Erlaubnis, einstweilen von meinem Manne getrennt zu bleiben? – Nicht einmal die?

Ebeling (nach einer kleinen Pause). Meine gnädigste Frau, ich bin leider gezwungen, Ihnen eine Eröffnung zu machen, welche Sie überraschen, vielleicht betrüben wird.

Eugenie (erschrocken). Was denn? Wird die Sache noch länger dauern, als Sie glaubten?

Ebeling. Ich bitte, hören Sie mich ruhig an.

Eugenie. Aber um Gottes willen – was denn sonst?

Ebeling. Nachdem ich den ganzen Thatbestand auf das genaueste geprüft, nachdem ich das Für und Wider sorgfältig abgewogen, nachdem ich schließlich mit dem gegnerischen 148 Anwalt in Verbindung getreten bin und von ihm erfahren habe, daß Ihr Gatte seinerseits die Einwilligung schroff verweigert – da mußte ich zu der Ueberzeugung gelangen, daß eine Scheidungsklage vollständig zwecklos ist.

Eugenie. Zwecklos?! Das verstehe ich nicht.

Ebeling. Ja, noch mehr: von meinem Standpunkt aus sogar gewissenlos. Denn es unterliegt nicht dem mindesten Zweifel, daß Sie nach den bestehenden Gesetzen auf eine Klage Ihrerseits überhaupt gar nicht und unter keinen Umständen geschieden werden können.

Eugenie (starr). Nicht geschieden werden – ich? (Dann bestimmt.) Das ist undenkbar! Da müssen Sie im Irrtum sein!

Ebeling (überlegen). Seien Sie versichert, ich weiß sehr wohl, was ich sage. Ich könnte ja die Klage anhängig machen; aber nur, wenn Sie darauf beharren, sich in vergebliche Kosten zu stürzen.

Eugenie. Herr Doktor – ich bitte Sie – überlegen Sie doch nur – nach alledem, was Sie von mir erfahren haben . . .

Ebeling. Ja – wirkliche Beweiskraft hätten nur die Aussagen der Zeugen – und Sie haben keine Zeugen – keine genügenden wenigstens. Ihren eigenen Angaben würde das Gericht schwerlich viel Glauben beimessen, und selbst wenn – auch diese enthalten keinen Scheidungsgrund.

Eugenie. Keinen Scheidungsgrund?! 149

Ebeling. Da von vornherein alle schwerer wiegenden Gründe ausgeschlossen waren – Nachstellung nach dem Leben, grobe Kränkungen der Ehre, fortgesetzte thätliche Mißhandlung, Ehebruch und so weiter – so kam für uns nur ein einziger Paragraph in Betracht: Scheidung wegen unüberwindlicher Abneigung, auf einseitiges Begehren. Diese wird aber nur dann ausgesprochen, »wenn durch erhebliche Thatsachen ein derartiger heftiger, tief eingewurzelter Widerwille dargethan wird, daß zur Aussöhnung keine Hoffnung bleibt«. –

Eugenie. Aber, Herr Doktor, da sehen Sie's ja! Das ist doch hier der Fall!

Ebeling. Es stimmt alles; nur das Wichtigste fehlt: die erheblichen Thatsachen.

Eugenie. Wie? Sind das keine erheblichen Thatsachen, wenn eine Frau, die ihre fünf Sinne hat, nicht mehr im stande ist, bei ihrem Manne zu bleiben; wenn sie lieber darbt und hungert als sich von ihm versorgen läßt; wenn ein erwachsener Mensch erklärt, daß er mit einem andern Menschen nicht mehr zusammen sein will Tag und Nacht und alle Stunden seines Lebens, weil er diesen Menschen nicht lieben, nicht achten, nicht ertragen kann? Und das – das sind keine Thatsachen?

Ebeling. Keine Thatsachen im juristischen Sinn.

Eugenie. Aber gibt es denn nicht eine Art von Mißhandlung, die weher thut als Schimpfworte und Schläge? Glauben150 Sie denn, daß eine Frau nur unglücklich ist, wenn ihr Mann sie mit einer andern betrügt? Ist es nicht gerade so schlimm, wenn er sie betrogen hat um ihre Freuden, um ihre Jugend, um ihr ganzes Leben?

Ebeling. Was ich persönlich glaube, meine gnädige Frau, das kommt hier leider nicht in Betracht. Ich bin hier nur der Mund des Gesetzes.

Eugenie. Aber das Gesetz kann doch unmöglich die Grausamkeit haben zu verlangen . . . Und warum denn? Zu welchem Zweck denn? Ich habe gegen diesen Menschen neun Jahre lang meine Pflicht gethan, ihm neun Jahre geopfert; mein Kind ist tot; ich habe nichts mehr mit ihm gemein, nicht das Geringste, und ich fordre ja auch nichts andres von ihm, als nur meine Freiheit – nur das Recht, in einem andern Raume atmen zu dürfen! – Und es soll ein Gesetz geben, das mir das verweigert!

Ebeling. Ich kann nur wiederholen: Vor dem Gesetz bleiben Sie die Frau Ihres Mannes.

Eugenie (mit verzweifeltem Aufschrei). Was nun? Was nun?

Ebeling. Ja, das ist jetzt die erste und wichtigste Frage.

Eugenie. Ich bitte Sie – lieber Herr Doktor – sagen Sie mir: Was bleibt mir denn noch übrig?

Ebeling. Eines möchte ich Ihnen ganz ausdrücklich widerraten: als ungeschiedene Frau von Ihrem Manne fern zu bleiben. 151 Er kann Sie zwar nicht mit Gewalt zu sich zurückholen; aber er kann Sie doch recht tüchtig chikanieren. Er ist jeder Verpflichtung gegen Sie enthoben; Sie dagegen bleiben von ihm abhängig.

Eugenie. Auch wenn ich mich selbst ernähren könnte?

Ebeling. Auch dann.

Eugenie. Also – es gibt kein Mittel, kein gesetzliches Mittel, mich von ihm zu befreien?

Ebeling. Es gibt ein einziges.

Eugenie (begierig). Welches?

Ebeling. Wenn Sie Ihren Gatten dazu bewegen können, daß er die Scheidungsklage stellt – oder daß er auch seinerseits die unüberwindliche Abneigung zugesteht. Dann wäre die Scheidung möglich, sogar wahrscheinlich.

Eugenie. Und wenn er es nicht thut, was dann?

Ebeling. Sie müssen es noch einmal versuchen.

Eugenie (eindringlicher). Und wenn er es nicht thut, was dann?

Ebeling. Dann, glaube ich, ist es immer noch das kleinere Uebel, zu ihm zurückzukehren. 152

Eugenie. Niemals!

Ebeling. Verstehen Sie mich recht. Ich schätze Ihren Kampfesmut, Ihre feste Entschlossenheit sehr hoch, und ich stehe nach wie vor vollkommen auf Ihrem Standpunkt; vollkommen. Ich brauche ja nur auf meine öffentliche Thätigkeit hinzuweisen. – Und wenn ich noch ein persönliches Bekenntnis beifügen darf: Sie ahnen wohl kaum, was für eine heilsame Wirkung es auf einen Menschen wie mich ausüben kann, wenn er einer Frau wie Ihnen begegnet. Man kernt wieder Respekt vor Ihrem Geschlecht.

Eugenie. Und trotz alledem können Sie mir nichts andres raten – nichts Besseres?

Ebeling. Ja, meine Gnädigste, wenn Sie sich an den Verfechter der Frauenfrage wenden, dann rate ich Ihnen: Führen Sie den ungleichen Kampf fort! Fragen Sie aber den Anwalt, den Freund, der ehrlichen Anteil an Ihnen nimmt, dann sage ich: Gehen Sie so bald als möglich zurück zu Ihrem rechtmäßigen Gatten. – (Er verbeugt sich und will gehen.)

(Man vernimmt vor der Thür die Stimme Waldecks.)

Eugenie (hat aufgehorcht). Hören Sie? Das ist er! Das ist mein Mann! –

Ebeling (dies und das Folgende sehr schnell). Er kommt zu Ihnen; das scheint mir ein gutes Zeichen. Er selbst sucht eine Verständigung.

Eugenie (unwillkürlich nach links fliehend). Ich will ihn nicht sehen! 153

Ebeling. Bedenken Sie, daß bei ihm allein die Entscheidung liegt. Nützen Sie diesen Augenblick, und wenn Sie keine Versöhnung wollen, dann bestimmen Sie ihn wenigstens zur Nachgiebigkeit. Ich wiederhole Ihnen, Sie haben keinen andern Ausweg.

Eugenie (halb zu sich selbst). Das wäre also nun das Letzte!

Dritter Auftritt.

Vorige. Waldeck.

Waldeck (bei dessen Auftreten man einen Augenblick lang durch die geöffnete Thür das besorgte Gesicht der Frau Kolb gewahrt, geht zunächst auf Ebeling zu. Kurz, aber nicht unhöflich). Guten Tag, Herr Doktor. – Finden Sie nicht auch, daß es natürlicher ist, wenn Mann und Frau sich selbst miteinander aussprechen, statt mit ihren Rechtsanwälten?

Ebeling (diskret, artig). Gewiß, Herr Waldeck – das finde ich auch. (Er geht ab.)

Vierter Auftritt.

Waldeck. Eugenie.

Waldeck. Na ja, ich habe die Zwischenträgereien satt. Ich wollte dich nun mal selber fragen, wie lange du das noch so treiben willst – wie lange du mich noch allein zu Hause sitzen läßt! Eigentlich hast du es anders verdient – jawohl, ganz anders; und wär' ich der Mann, für den du mich hältst, dann hätt' ich mich nicht so weit herabgelassen, noch mal gütlich mit dir zu reden. Daß ich's trotzdem thue – daran siehst du meine himmlische Geduld und meine 154 Anhänglichkeit. Aber das ist auch heute mein letzter Versuch – verstehst du wohl? Zum letztenmal biete ich dir die Hand; will doch sehen, ob du sie auch diesmal zurückstoßen wirst. Denn ich denke mir, es ist dir inzwischen ein Licht aufgegangen, was du eigentlich gethan hast; ich denke, du mußt jetzt bald mürbe sein – wie? (Da Eugenie abgewandt bleibt und schweigt.) Oder nicht? – Ich warte auf deine Antwort.

Eugenie (plötzlich sich ihm zuwendend, mit flehentlichem Ton). Gib mich frei!

Waldeck. Hoho, sieh mal an. Also das willst du von mir? Merkwürdig! Du hast dich ja selbst freigemacht. Dazu brauchst du doch mich nicht mehr.

Eugenie (fällt vor ihm nieder und streckt die gefalteten Hände zu ihm empor). Gib mich frei!

Waldeck (sich an dem Anblick weidend). So gefällst du mir. Dieser Ton – der läßt sich hören. – Hast du nun endlich das Bitten gelernt? Begreifst du nun, daß dein Trotz dich nicht weit bringt? Gestehst du's nun zu, daß du in meine Macht gegeben bist, und daß ich dir befehlen darf? Was?

Eugenie (noch auf den Knieen, mit erstickter Stimme wiederholend). Gib mich frei! –

Waldeck. Und weshalb willst du das von mir? Weshalb?

Eugenie. Ich kann nicht mehr mit dir leben! 155

Waldeck. So, das kannst du nicht? Wirklich nicht? Und deshalb bist du mir aus dem Hause gelaufen? – Nein, das machst du mir jetzt nicht mehr weis. Das glaub' ich dir nicht, daß du das gute, sorglose Leben mit einem schlechten, jämmerlichen vertauschen willst – mit Not und Elend. O nein, jetzt sag' ich dir's auf den Kopf zu: Du bist mir fortgelaufen wegen eines andern!

Eugenie (springt auf). Nein, nein, das ist nicht wahr!

Waldeck. Nicht wahr? – So, so! – Kannst du das auch beschwören?

Eugenie. Ja, das kann ich beschwören! Ich habe dabei keinen Augenblick an etwas andres gedacht, als daß ich nicht mehr bei dir bleiben kann.

Waldeck. Ja – wenn das die Wahrheit ist – wenn du das beschwören kannst – (mit lauerndem Blick), dann bleibt mir wohl nichts andres übrig; dann muß ich einwilligen . . .

Eugenie. Thu's, und ich will dir dafür dankbar sein; ich will an dich denken ohne Groll; ich will dir keine andre Schuld beimessen, als daß wir nicht zu einander gehörten . . . keine – keine andere.

Waldeck. Nun gut, ich werd' es thun; aber unter einer Bedingung.

Eugenie. Nenne sie! Ich werde sie erfüllen. 156

Waldeck. Ich will nichts weiter als für deine Behauptung eine Bürgschaft – einen Beweis. Das ist doch wohl nicht zu viel verlangt?

Eugenie. O nein – gewiß nicht.

Waldeck. Also – dann schwöre mir, daß dieser Mensch, dieser Lukas, dir gleichgültig ist; daß du, wenn wir getrennt sind, niemals – wohlverstanden, niemals! – mit ihm dich verbinden wirst. Das schwöre mir – bei allem, was dir heilig ist. – – Nun?

Eugenie (vernichtet). Das – das kann ich nicht.

Waldeck (triumphierend). Nicht? Siehst du? – Ich habe doch recht gehabt.

Eugenie (keuchend). Ich bitte dich – höre mich an! Was ich dir gesagt habe, ist wahr. Gott im Himmel weiß es, ich habe nicht an ihn gedacht, als ich dich verließ. Ich habe nichts andres gedacht, nichts gewollt, als mir ein ehrliches Dasein begründen durch eigene Kraft. Und dann hab' ich gesehen, wie schwer das ist, wie unmöglich . . . Dann hab' ich gesehen, daß alle mich im Stich lassen, daß jeder Weg mir versperrt ist. Und da ist er gekommen und hat mir eine Aufgabe gezeigt, für die ich leben könnte – die Erziehung seines Kindes – die einzige Aussicht, die einzige Zukunft! – Und trotzdem hab' ich ihn zurückgewiesen, weil ich noch deine Frau war; ich habe ihn fortgehen lassen, obwohl ich in meinem Herzen aufjubelte: Hier, hier allein ist das Licht – die Rettung! 157

Waldeck (stark). Also – du liebst ihn!

Eugenie. Ja, seit jener Stunde weiß ich, daß ich ihn liebe.

Waldeck. Gut! Gut! Nimmst du dir nicht einmal mehr die Mühe zu leugnen! Und nach einem solchen Geständnis willst du noch, daß ich dich freigebe! Was?

Eugenie. Nachdem ich dir das gesagt habe – nun mußt du es ja wohl.

Waldeck. Na, das ist doch wahrhaftig der Gipfel . . .! Du gestehst mir offen deine Untreue, deinen schamlosen Verrat – und du verlangst von mir, daß ich dir dazu Vorschub leisten soll? Du glaubst, ich werde mich einem Prozeß aussetzen, mich darin herumziehen und verlästern lassen – ich werde in meinem Haus ein einsames, verlassenes, unbehagliches Leben führen – nur, damit du mit deinem Liebsten leben kannst in Saus und Braus! Damit ihr zwei so thun könnt, als wär' ich nie auf der Welt gewesen! Ein Narr müßt' ich ja sein – ein Kinderspott! – O nein, jetzt erzähle du nur herum, ich hätte dich schlecht behandelt, du hättest es nicht bei mir ausgehalten! Jetzt fürcht' ich das nicht mehr; denn jetzt hab' ich eine Waffe gegen dich.

Eugenie (mit tiefstem Abscheu). Du Elender!

Waldeck. Jetzt halt' ich dich fest! Und wie du heute vor mir auf den Knieen gelegen hast und gerufen: Gib mich frei! 158 so sollst du noch einmal vor mir auf den Knieen liegen und sollst betteln: Nimm mich wieder auf! (Er geht schnell ab.)

Fünfter Auftritt.

Eugenie. (Dann) Frau Kolb. (Zuletzt) Kolb.

Eugenie (allein; in äußerster Verzweiflung). Aus – alles aus! – – (Sich zusammenraffend, mit wildem Entschluß.) Ein Ende machen – ein Ende!

Frau Kolb (kommt eilig herein). O Herr Jesus . . . mein Kind . . . was ist geschehen? . . . Er ist fortgestürzt im Zorn . . . und du – Allbarmherziger – wie siehst du aus – was hast du vor?

Eugenie (hat ihren Hut und Mantel ergriffen). Mutter – ich muß fort! (Da Frau Kolb sie fest umklammert:) Hörst du . . . ich muß!

Frau Kolb. Und niemand da, der mir beisteht . . . Du bist ja nicht mehr bei Verstand! – Wenn doch nur der Vater käme – oder Herr Lukas! – Ich arme, schwache Frau – was soll ich denn nur thun?

Eugenie. Mutter – du warst immer so gut – du hast mir immer den Willen gethan – mich nie gezwungen – und nur noch einmal . . .

Kolb (kommt durch die Mitte).

Frau Kolb (stürzt auf ihn zu). Kolb – sieh her – unser Kind . . . 159

Kolb. Ich weiß schon. Sie kann nicht geschieden werden. Auch das Gesetz gibt ihr unrecht.

Eugenie. Vater, Mutter – laßt mich gehen!

Kolb. Ja, nun dürfen wir dich nicht länger behalten. Sonst handeln wir wissentlich gegen das Gesetz – und das Gesetz ist das Höchste!

Frau Kolb (außer sich). Siehst du denn nicht, daß sie von Sinnen ist – zu allem fähig? . . . Merkst du denn nicht, wie grausam sie uns strafen will – für das, was wir an ihr gefrevelt haben!

Kolb (aufschreiend). Was? – (Dann schmerzvoll, gebrochen.) Hat sie ihren Gott so ganz verloren?

Frau Kolb. Ich weiß mir keinen Rat mehr . . . (Es klingelt.) Hör' nur! Der Himmel hat Erbarmen mit uns alten Leuten. Das muß – das muß endlich Herr Lukas sein! (Sie eilt hinaus.)

Eugenie (die Hände abwehrend ausgestreckt). Nicht! Nicht! – (Sie thut einen Schritt, wie um zu fliehen.) Nicht! (Die Kräfte versagen ihr; sie sinkt um, von ihrem Vater aufgefangen.)

Kolb (hält die Ohnmächtige in seinen Armen und beugt sich besorgt über sie. Nach einer Pause). Meine Tochter – du bist bei deinem Vater, meine Tochter. (Er stützt sie und läßt die Willenlose auf dem Lehnstuhl nieder.) 160

Sechster Auftritt.

Vorige. Frau Kolb (kommt zurück mit) Lukas.

Frau Kolb (im Auftreten). Ach, Herr Lukas, Sie wissen noch nicht, was sie vorhat – das Schlimmste – das Schrecklichste . . .!

Lukas. Nein, nein – nicht, solange ich lebe!

Eugenie (kommt zu sich, wie aus tiefem Schlaf erwachend; ihr Blick fällt auf Lukas und bleibt auf ihn geheftet ohne volles Bewußtsein).

Kolb (indem er Lukas tiefbewegt die Hand drückt). Wir haben keine Macht mehr über sie. (Er geht mit Frau Kolb rechts ab.)

Siebenter Auftritt.

Eugenie. Lukas.

Lukas (nach einigem Schweigen, sanft, leise). Eugenie – bin ich Ihnen so fremd geworden? Haben Sie keinen Gruß mehr für mich . . .?

Eugenie (jetzt erst ganz erwachend und wild ausbrechend). Hinweg! Hinweg! Wen suchen Sie hier? Was wollen Sie von einem so jämmerlichen Geschöpf? Ich habe nichts mehr zu hoffen, nichts mehr zu vergeben. Halten Sie mich nicht auf . . . ich muß fort!

Lukas. Erst sagen Sie mir: Wohin? 161

Eugenie. In die Freiheit!

Lukas. In den Tod! Ich fühl' es ja . . . ich seh' es ja! Aber Sie sollen nicht sterben! (Vor ihr hingeworfen und sie umklammernd.) Du sollst nicht sterben! Du darfst nicht! Ich will es nicht! Ich duld' es nicht! Denn ich habe dich so lieb – so grenzenlos lieb! (Pause.)

Eugenie (wie verklärt auf ihn niederschauend). Ist es denn wahr? Ist es wahr? – Ja, es ist! – Und was ich dir zu sagen hoffte am Tag, wo ich frei geworden, das sag' ich dir jetzt zum Abschied. Ich liebe dich wieder – von ganzem, ganzem Herzen; ich weiß, du hättest mir ein Glück geschenkt, so groß, so groß . . . Jetzt ist es vorbei – habe Dank, habe Dank – und leb wohl. (Sie hat ihn zu sich emporgezogen und drückt einen raschen Kuß auf seinen Mund.) Leb wohl!

Lukas. Und du glaubst, ich lasse dich diesen Weg allein gehen – deinen Kuß auf den Lippen, dein Bild im Herzen? Hältst du meine Liebe für so schwach, für so feig, daß ich das überleben könnte? – Komm – nimm mich mit!

Eugenie. Was sagst du da . . .?

Lukas. Du und ich – wir gehören nun zusammen – im Leben und im Tod!

Eugenie. Und was – was soll aus Käthe werden?

Lukas (mit tiefem Schmerz). Käthe! – Sie würde daran zu Grunde gehen! 162

Eugenie. Nein, das soll sie nicht! Das soll unsre Käthe nicht!

Lukas. Und doch willst du sie verlassen!

Eugenie. Ich kann ja niemals ihre Mutter werden!

Lukas. Niemals? – Und warum kannst du es nicht?

Eugenie. Weil ich gefesselt bin – festgeschmiedet . . .!

Lukas. Nun, dann sei größer als dein Unglück! Dann brich die Fessel! Brich sie mitten entzwei!

Eugenie. Das will ich. Dazu hab' ich den Mut. (Sie macht einen halben Schritt nach der Thür.)

Lukas. Braucht man Mut, um miteinander zu sterben? Mutiger ist es, miteinander zu leben!

Eugenie. Ach, wenn wir es könnten!

Lukas. Willst du dir das Todesurteil sprechen, ohne daß du eine Schuld begangen hast? Bist du nicht dem Gesetz gehorsam gewesen bis zum Aeußersten? Hast du dich nicht vor ihm gebeugt, obwohl es dich mit Füßen trat? Willst du ihm auch noch dein Leben opfern und das Leben derer, die dich lieben? 163

Eugenie (im inneren Zwiespalt). Ist es nur das Gesetz, dem ich gehorchte? Ist die Ehe nicht heilig?

Lukas. Ja, die Ehe, welche die Herzen schließen; aber nicht die, welche nur die starre Gewalt noch aufrecht hält – die Ehe, in der zwei Menschen, die sich lieb haben, leben und schaffen wollen für ein großes und gutes Werk.

Eugenie. Würdest du mich noch achten können?

Lukas. Ich dich nicht achten? Ich, der ich meines Kindes Schicksal in deine Hände legen will? Der ich dich liebe, dich vergött're, dich beschützen will und eins mit dir sein bis zum Tod! Ich dich nicht achten? (Mit erhobener Faust.) Und wehe dem, der es mir nicht nachthut.

Eugenie. Du würdest leiden müssen um meinetwillen.

Lukas. Leiden nicht; aber freudig für dich kämpfen.

Eugenie. Du würdest ausgestoßen sein – würdest nicht hierbleiben können – nicht in der Stadt, nicht im Lande.

Lukas. Die Welt ist groß; ich habe gelernt zu arbeiten – und wo du und Käthe sind, da ist meine Heimat.

Eugenie (mit Größe). So will ich dir in Freiheit folgen bis an der Welt Ende. 164

Lukas (leidenschaftlich). Eugenie, mein geliebtes Weib!

Eugenie. Ja, ich will dein Weib sein; ja, ich will mit dir leben und mir das Recht dazu verdienen! (Sie stürzt ihm an die Brust. Pause.)

Lukas (sich langsam loslösend, feierlich). Unser Bund soll mir heilig sein. Ich gelob' es dir beim Haupte meines Kindes. – (Mit Thränen in den Augen.) Und wenn wir gemeinsam Käthens Glück begründet haben – ein Glück, das niemand ihr rauben kann, weil es in ihr selber ruht – dann wird Gott uns segnen, auch wenn die Menschen uns verbieten, in seine Kirche zu gehen. – –

Achter Auftritt.

Vorige. Käthe.

Käthe (auf Eugenie zueilend). Tante Eugenie! . . .

Lukas (ergreift Käthens Hand; einfach, feierlich). Käthe – sage Mutter zu ihr.

Käthe (sieht ihren Vater freudestrahlend an; dann umschlingt sie mit stürmischer Leidenschaft die weinende Frau). Meine liebe Mutter!

 

Ende.

 


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