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Der Morgen war neblig, beinah frostig gewesen, aber die Sonne kam hervor, während Val zum Rochampton Gate trabte, von wo aus er zu der gewohnten Zusammenkunft galoppieren wollte. Seine Stimmung hob sich schnell. Nichts war bei den Vorgängen dieses Morgens so fürchterlich gewesen, als die schimpfliche Aufdeckung privater Angelegenheiten. ›Wären wir verlobt,‹ dachte er, ›wäre es einerlei, was geschieht.‹ Er fühlte in der Tat wie alle Menschen, die über die Folgen des Ehestandes stöhnen und klagen, und doch nichts Eiligeres zu tun haben, als zu heiraten. Und in der Furcht, sich zu verspäten, galoppierte er über das winterdürre Gras des Richmondparks. Aber wieder war er allein an dem Treffpunkt, und daß Holly zum zweiten Mal abtrünnig war, brachte ihn ganz aus der Fassung. Er konnte nicht nach Haus, ohne sie gesehen zu haben! Daher ritt er aus dem Park und machte sich auf den Weg nach Robin Hill. Nach wem aber sollte er fragen? Angenommen, ihr Vater wäre zurück, oder ihr Bruder, oder ihre Schwester zu Haus! Er beschloß, es darauf ankommen zu lassen und zuerst nach allen zusammen zu fragen, so daß, wenn er Glück hatte und sie nicht da waren, es ganz natürlich sein würde, schließlich nach Holly zu fragen; doch falls jemand von ihnen anwesend sein sollte, mußte, der ›Vorwand einer Reittour‹ der rettende Ausgang sein.
»Nur Miß Holly ist zu Haus, Sir.«
»O! Danke! Darf ich mein Pferd in den Stall führen? Und wollen Sie melden – ihr Vetter, Mr. Val Dartie sei da.«
Als er zurückkehrte, war sie in der Halle, sehr rot und sehr scheu. Sie führte ihn an die gegenüberliegende Seite und sie setzten sich auf eine breite Fensterbank. »Ich habe mich schrecklich geängstigt,« sagte Val. »Was ist vorgefallen?«
»Jolly weiß von unsern Ritten.«
»Ist er zu Haus?«
»Nein, aber ich erwarte, daß er bald hier sein wird.«
»Dann –!« rief Val, beugte sich vor und ergriff ihre Hand. Sie versuchte sie ihm zu entziehen, es gelang ihr jedoch nicht, da gab sie den Versuch auf und blickte ihn nachdenklich an.
»Vor allem,« sagte er, »möchte ich dir etwas über meine Familie mitteilen. Mein Vater, weißt du, ist nicht ganz – ich meine, er hat meine Mutter verlassen und nun versuchen sie eine Scheidung zu erlangen, daher haben sie ihn aufgefordert zurückzukehren, verstehst du. Du wirst es morgen in den Zeitungen lesen.«
Die Farbe ihrer Augen vertiefte sich in ängstlichem Interesse und sie drückte ihm die Hand. Aber Val war nun einmal im Zuge und sprach eifrig weiter:
»Natürlich macht das im Augenblick nicht viel aus, aber später, fürchte ich, ehe es vorüber ist; Scheidungsprozesse sind schauderhaft, weißt du. Ich wollte es dir sagen, weil – weil – du es wissen mußt – wenn –« er fing an zu stottern und starrte ihr in die erschreckten Augen. »Wenn – wenn du lieb sein willst und mich lieben haben, Holly. Ich liebe dich – so sehr; und ich möchte so gern verlobt sein.« Es war so ungeschickt herausgekommen, daß er sich hätte ohrfeigen mögen, nun kniete er nieder und versuchte dem sanften erschreckten Gesicht näher zu kommen. »Du liebst mich doch – nicht wahr? Wenn du es nicht tust, so –« Es trat ein Moment des Schweigens und furchtbarer Ungewißheit ein, so daß er das Geräusch einer Mähmaschine draußen auf dem Rasen hören konnte, die tat, als wäre dort Gras zu schneiden. Dann neigte sie sich vor, ihre freie Hand berührte sein Haar, und er stammelte: »Ach, Holly!«
Ihre Antwort klang sehr sanft: »Ach, Val!«
Er hatte von diesem Augenblick geträumt, aber stets als der herrische junge Liebhaber, und nun fühlte er sich demütig, gerührt und zag. Er fürchtete sich aufzustehen, als würde der Zauber dadurch gebrochen, als könne sie, wenn er es tat, zurückschrecken und ihre eigene Zustimmung verleugnen – so sehr zitterte sie mit geschlossenen Lidern in seinen Armen, während seine Lippen sich ihren näherten. Sie öffnete die Augen, schien ein wenig schwindelig; er preßte seine Lippen auf die ihren. Plötzlich sprang er auf, er hatte Schritte gehört und erstauntes Brummen. Er sah sich um. Niemand! Aber die langen Vorhänge, die die äußere Halle absperrten, bewegten sich.
»Mein Gott! Wer war das?«
Holly war ebenfalls aufgesprungen.
»Jolly, glaube ich,« flüsterte sie.
Val ballte entschlossen die Fäuste.
»Ach was!« sagte er. »Ich mache mir nicht die Spur daraus, da wir verlobt sind,« ging auf die Vorhänge zu und zog sie zur Seite. Am Kamin in der Halle stand Jolly und kehrte ihm geflissentlich den Rücken zu. Val ging auf ihn zu. Jolly wandte sich um.
»Verzeih, daß ich es hörte,« sagte er.
Wider Willen mußte Val ihn in diesem Moment bewundern; sein Gesicht war klar, seine Stimme ruhig, er sah beinahe bedeutend aus, als handle er nach Grundsätzen. »Es geht dich nichts an,« sagte Val kurz.
»So!« sagte Jolly, »komm hier herein,« und ging durch die Halle. Val folgte ihm. An der Tür des Lesezimmers fühlte er eine Berührung seines Armes; Hollys Stimme sagte:
»Ich komme mit.«
»Nein,« sagte Jolly.
»Doch,« erwiderte Holly.
Jolly öffnete die Tür und alle drei gingen hinein. In dem kleinen Zimmer standen sie verlegen auf den drei Ecken des abgenutzten türkischen Teppichs, und völlig unfähig, den Humor der Situation zu erkennen, blickten sie einander nicht an.
Val brach das Schweigen.
»Holly und ich sind verlobt.«
Jolly trat einen Schritt zurück und lehnte sich an das Fensterbrett.
»Dies ist unser Haus,« sagte er. »Ich will dich darin nicht beleidigen. Aber mein Vater ist fort. Meine Schwester steht unter meinem Schutz. Du hast mich überrumpelt.«
»Das war nicht meine Absicht,« sagte Val hitzig.
»Ich glaube doch,« erwiderte Jolly. »Hättest du nicht die Absicht gehabt, so hättest du mit mir gesprochen oder gewartet, bis mein Vater zurückkommt.«
»Es hatte seine Gründe,« sagte Val.
»Was für Gründe?«
»Meiner Familie wegen – ich habe es ihr eben gesagt. Ich wollte, daß sie es erfährt, bevor etwas geschieht.«
Jolly sah plötzlich weniger bedeutend aus.
»Ihr seid ja noch Kinder, und ihr wißt, daß ihr es seid.«
»Ich bin kein Kind mehr,« sagte Val.
»Doch – du bist noch nicht zwanzig.«
»Nun und du?«
»Ich bin zwanzig,« sagte Jolly.
»Eben erst geworden, aber einerlei, ich bin ebensogut ein Mann wie du.«
Jollys Gesicht färbte sich hochrot, dann verdüsterte es sich. Er kämpfte offenbar mit sich; und Val und Holly starrten ihn an, so deutlich war dieser Kampf ihm anzumerken; sie konnten ihn sogar atmen hören. Dann erhellte sich sein Gesicht und er sah seltsam entschlossen aus.
»Das wollen wir sehen,« sagte er. »Ich verlange von dir, daß du tust, was ich tun werde.«
»Verlangst von mir?«
Jolly lächelte. »Ja,« sagte er, »ich verlange es von dir; und ich weiß sehr gut, daß du es nicht tun wirst.«
Val zuckte bestürzt zusammen; das hieß im Dunkeln tappen.
»Ich habe nicht vergessen, daß du ein Prahlhans bist,« sagte Jolly langsam, »und ich glaube, das ist ungefähr alles, was von dir zu sagen ist; oder daß du mich Pro-Bure genannt hast.«
Val hörte ein Stöhnen neben seinen eigenen tiefen Atemzügen und sah Hollys Gesicht sehr bleich und mit großen Augen sich ein wenig vorbeugen.
»Ja,« fuhr Jolly mit einem leisen Lächeln fort, »wir werden gleich sehen. Ich bin im Begriff, mich als Freiwilliger zu melden, und ich verlange von Ihnen das gleiche, Mr. Val Dartie.«
Val fuhr betroffen zurück, es traf ihn wie ein Schlag zwischen die Augen, so völlig unerwartet, so plötzlich und so häßlich kam das mitten in seine Träume; und er blickte Holly mit Augen an, die plötzlich rührend verstört aussahen.
»Setze dich!« sagte Jolly. »Laß dir Zeit! Überlege es dir gut.« Und er selbst setzte sich auf die Lehne von seines Großvaters Armstuhl.
Val setzte sich nicht, er stand mit den Händen tief in den Taschen seiner Breeches da – mit geballten, bebenden Händen. Das Furchtbare dieser Entscheidung, wie sie auch sein mochte, pochte mit doppelten Schlägen, wie die eines ungeduldigen Briefträgers, an sein Herz. Ging er auf dieses Verlangen nicht ein, so war er in Hollys Augen und in den Augen dieses jungen Feindes, ihres Grobians von Bruder, entehrt. Doch tat er es, ach! dann würde alles verschwinden – ihr Antlitz, ihre Augen, ihr Haar, und die Küsse, die eben erst begonnen!
»Laß dir Zeit,« sagte Jolly noch einmal, »ich möchte fair sein.«
Und sie beide schauten Holly an. Sie war bis an das Bücherregal zurückgewichen, das bis zur Decke reichte; ihr dunkler Kopf lehnte an Gibbons ›Römisches Reich‹, ihre Augen ruhten mit dem Ausdruck leiser grauer Seelenangst auf Val. Und ihm, dem es sonst an Scharfsinn fehlte, kam plötzlich der Gedanke, daß sie stolz auf ihren Bruder – seinen Feind – sein würde! Daß sie sich seiner schämen würde! Seine Hände fuhren aus den Taschen wie durch Schnellkraft herausgeschleudert.
»Gut!« sagte er. »Abgemacht!«
Hollys Gesicht – ach! es sah sonderbar aus! Er merkte, wie die Röte darin stieg. Er hatte das Rechte getan – Hollys Gesicht leuchtete in ernster Bewunderung. Jolly stand auf und nickte zustimmend, als wolle er sagen: ›Du hast es bestanden.‹
»Auf morgen denn,« sagte er, »wir wollen zusammen hingehen.«
Val erholte sich von dem Kraftaufwand, den diese Entscheidung ihn gekostet und blickte ihn durch seine Wimpern höhnisch an. ›Gut,‹ dachte er. ›Ich muß mit – aber irgendwie sollst du es büßen.‹ Und er sagte mit Würde: »Ich werde bereit sein.«
»Dann wollen wir uns am Hauptwerbebüro treffen,« sagte Jolly, »um zwölf Uhr.« Darauf öffnete er die Glastür, und aus Rücksicht auf das innere Gebot, das ihn gezwungen, sich zurückzuziehen, als er sie in der Halle überraschte, trat er auf die Terrasse hinaus.
Vals Verwirrung war gewaltig, als er plötzlich so allein mit Holly blieb, für die er diesen unvorhergesehenen Preis gezahlt hatte. Das Verlangen ›sich hervorzutun,‹ war jedoch immer noch vorherrschend. Man mußte gute Miene machen zum bösen Spiel!
»Wir werden wenigstens reichlich zum Reiten und Schießen kommen,« sagte er, »das ist ein Trost.« Und es machte ihm förmlich ein grimmiges Vergnügen, den Seufzer zu hören, der aus dem Grunde ihres Herzens zu kommen schien.
»O! der Krieg wird bald vorüber sein,« sagte er, »vielleicht werden wir garnicht fort müssen. Mir wär's einerlei, außer um deinetwillen!« Er würde dieser verwünschten Scheidung aus dem Wege gehen. Plötzlich fühlte er Hollys warme Hand in seine schlüpfen, und Jolly dachte, er hätte ihrer Liebe ein Ende gemacht? Er umfaßte sie fest, sah sie zärtlich durch seine Wimpern an, lächelte, um sie aufzuheitern und versprach, bald herauszukommen und sie zu besuchen. Er fühlte sich mindestens um sechs Zoll größer und viel überlegener ihr gegenüber, als er es je vorher gewagt hätte. Und nach vielen Küssen stieg er auf und ritt in die Stadt zurück. So kommt das Verlangen nach Besitz bei dem kleinsten Anlaß schnell zu Wachstum und Blüte.