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In geduldigem Schweigen hatte Zäzil den väterlichen Sturm über sich ergehen lassen. Das Mäulchen schmollend aufgeworfen, war sie auf der Bank gesessen und hatte mit den vorgestreckten Fußspitzen kleine Kreise beschrieben, so, wie andere Leute in einer nachdenklichen Minute die Daumen drehen. Jetzt, da die Luft wieder rein geworden, blickte sie tiefatmend auf und drückte unter unsicherem Lächeln die beiden Hände an die Schläfen, als könnte sie mit diesem Druck die dunkel wirbelnden Gedanken beschwichtigen, die ihr Köpfchen zu durchstürmen schienen. Glühende Röte brannte auf ihren Wangen, und ein feuchter Schimmer zeigte sich in ihren Augen.
Da hörte sie draußen im Hausflur eine fremde Stimme und gleich darauf im Hof einen leichten Schritt, der sich flink davonmachte. Nun kam die Mutter in die Stube, blieb vor Zäzil stehen, strich die blaue Schürze über dem Bäuchlein glatt und schlug dann jammernd die Hände ineinander: »Madl! Was hast denn da jetzt angstellt! Ganz auseinand is er, der Vater!«
Zäzil aber schien durchaus nicht in der Laune, nach dem Gewitter, das der Vater ihr gemacht, nun auch noch ein mütterliches Wetterleuchten hinzunehmen. »No ja«, schmollte sie, »deswegen bleib ich noch lang net ledig! So ein Lebzelten, wie der einer is, kann ich mir in jedem Standl kaufen!« Trotz dieser Meinung hielt sie es für geraten, nach einer Ablenkung zu suchen. »Was is denn? Was hat's denn grad geben im Hausgang draußen? Wer war denn da?«
»Jesses, ja, denk dir, dem untern Wirt sein Madl is dagwesen und hat gfragt, ob das kleine Büberl von dem Maler und seiner Frau, die seit vier Wochen beim Wirt drunt loschieren, net zu uns auffikommen wär? 's Büberl geht ab seit heut mittag, und bei dem fürchtigen Sturm hat halt sein Mutter so viel Angst . . .«
»Jetzt is gut!« fuhr Zäzil erschrocken auf. »Um Gotts willen! 's Büberl wird doch net in See aussi gfahren sein?«
»Wie kommst denn auf so ein Gedanken?«
»Weil ich 's Büberl nach'm Essen bei die Schiffhütten gsehen hab. Allweil hat's umbandelt an eim von die kleinen Schifferln. Und ich hab ihm noch gsagt: . . . ›Geh, Schlankerl‹, hab ich gsagt, ›daß mir fein net aussifahren tust, denn weißt, es könnt noch ein Wetter geben heut!‹ Aber's Bübl hat in d'Höh auffigschaut, wo der Himmel um und um blau gwesen is, und völlig ausglacht hat er mich, ja.«
»Mein Gott, o mein Gott!«
»Mutter, was meinst? Soll ich net nunter springen zum Wirt?«
»Ja, Madl, lauf, was d' laufen kannst.«
Und ohne Hut, wie sie war und stand, eilte Zäzil davon. Als sie ins Freie trat, fuhr ihr der pfeifende Sturm mit solcher Gewalt entgegen, daß ihr der Atem verging und daß ihre Röcke flatterten und rauschten. Mit dem ›Laufen‹ ging es nun freilich nicht so leicht; sie hatte den heulenden Wind gegen sich und kam nur langsam vorwärts. Während sie das Gattertürchen des Hofraumes hinter sich zuwarf, streiften ihre Blicke das anstoßende Gehöft, und da lachte sie gezwungen auf: »Den schau an! Gar net dran denkt hat er, daß ich ihn net mögen könnt! So einer!« Und mit trotzig erhobenem Kopf schritt sie weiter. Drunten auf der Straße kam sie etwas flinker von der Stelle, da die mächtigen, eng stehenden Linden die Gewalt des Sturmes ein wenig brachen. Aber bald verschwand sie in wirbelndem Staube, bald wieder in einer Wolke der welken Blätter, die der Sturm von allen Bäumen riß und mit sich führte als sein raschelndes Spielzeug.
Als sie die Seelände erreichte, fand sie vor dem von Schaum und Wasser überspülten Ufer bereits eine Gruppe erregter, schreiender Menschen. Die Nachricht, die Zäzil bringen konnte, war schon überholt. Man hatte den Abgang eines Kahnes entdeckt, und einer der hemdärmeligen Buben, die mit verschüchterten Gesichtern umherstanden, war auf das Dach der höchsten Schiffshütte geklettert und hatte weit draußen im See den auf den wild empörten Wellen hilflos schaukelnden Nachen erspäht. Manchmal glaubte man auch die kreischenden Rufe des Knaben durch das Pfeifen und Rauschen von Sturm und Wasser zu hören. Auch Versuche zur Rettung waren schon unternommen worden. Aber es hatte sich als Unmöglichkeit erwiesen, mit einem Nachen aus einer der Schiffshütten hinauszufahren, in denen der Wellenschlag die an rasselnden Ketten hängenden Kähne durcheinanderschleuderte wie gewichtlose Späne. So hatte man einen Nachen zuerst aus der Schiffshütte ans Land gezogen und an das offene Ufer geschleppt. Aber jeder Versuch, den Kahn auf das freie Wasser zu bringen, war mißlungen – immer hatten ihn die anstürmenden Wellen wieder an das Ufer zurückgeworfen. Darüber war den wenigen, die der Reihe nach das Wagnis zu unternehmen versuchten, die Kraft und der Mut geschwunden. Ratlos standen sie umher, während die Mutter des Knaben, eine schlanke, zarte Dame, mit schluchzendem Jammer von einem zum anderen eilte, jeden unter Tränen anflehend, ihr armes Kind zu retten. Über Zäzils Wangen rannen die hellen Tränen beim Anblick der verzweifelten Mutter, deren gelöste Haare im Sturme flatterten und deren dünnes Kleid gepeitscht wurde vom Winde, überspritzt von Schaum und Nässe.
Und während hier diese ergreifende Szene sich abspielte, ließ sich plötzlich aus dem nahen, bis an den See herantretenden Bergwald der fröhliche Gesang einer hell und markig klingenden Männerstimme vernehmen. Das mußte ein Holzknecht sein, der jetzt, am Sonnabend, von der Arbeit zurückkehrte, die ihn eine Woche hoch droben in irgendeinem Waldwinkel der Berge zurückgehalten hatte.
Das war ein Bild des widerspruchsvollen Lebens im Kleinen: hier die schluchzende Verzweiflung und hundert Schritte daneben die jauchzende Freude, die der wehende Sturm noch zu steigern schien, während er draußen auf den empörten Wellen ein junges Menschenleben dem Tod in die Arme schleuderte.
Schon wurde die Gestalt des Sängers zwischen den Bäumen sichtbar, und man konnte die Worte seines Liedes verstehen:
»Ich bin ein frischer Wildbretschütz, juchhe!
Steig auf die Berg mit meiner Büchs, juchhe!
Und wo mir tut ein Gamserl gfalln,
Laß ich mein Stutzen knalln . . . juchhe, juchhe!
Grad sakrisch bin ich bei der Schneid, juchhe!
Ich fürcht kein Teufl, fürcht kein Leut, juchhe!
Ein einzigs grad hat mehrer Gwalt:
Ein Madl, das mir gfallt . . . juchhe, juchhe!«
Nun ging das Lied in einen hallenden, mit hohen Kopftönen verschnörkelten Jodler über, der mit einem gellenden Jauchzer endete.
Unter den Bäumen trat ein etwa dreißigjähriger Bursche hervor, der nach seinem ganzen Äußeren sich ansah wie die menschgewordene Verwegenheit. Schief und trotzig saß der Spitzhut, darauf die Spielhahnfeder gleich einem kleinen schwarzen Fähnlein im Sturme flatterte, über dem struppigen Blondhaar. Lustige Augen blitzten aus dem von der Sonne dunkelgebrannten Gesichte, und über dem lachenden Munde saß ein langgezwirbelter weißblonder Schnurrbart, der sich vom Winde zausen ließ. Die graue Joppe, die kurze Lederhose und die ehemals grünen Strümpfe waren so sehr verwittert, daß sie sich kaum mehr in der Farbe unterschieden. Zwei kleinen, schlecht geteerten Schleppkähnen glichen die plumpen schwergenagelten Schuhe – und dennoch schritt der Bursch in ihnen so frisch und leicht daher, als hätte er dünnes Leder unter den Sohlen. Die Daumen der sehnigen Fäuste staken hinter dem Gürtel, und neben dem Rucksack trug er über den Schultern, wie der Jäger seine Büchse trägt, die langgestielte Axt des Holzknechtes – ein Bild urwüchsiger Kraft.
Aller Augen hatten sich dem Burschen zugewandt, einer der Bauern aber faßte den Arm der jammernden Frau und sagte: »Jetzt, Frauerl, jetzt kommt einer, der 's Fahren vielleicht noch wagen könnt. Der is in die höchsten Wänd daheim wie ein Gams und im Wasser wie ein Fisch.«
»Ja, der Holzersepp«, stimmte ein anderer bei, »das is gar ein Bsonderer!«
Ein Besonderer! Zäzil hatte just daneben gestanden, als dieses Wort gefallen war. Es hatte sie getroffen wie ein Schlag. Die Blässe ihrer Wangen war jäh in flammende Röte verwandelt. Mit scheuem Blick streifte sie den Sprecher, dann sah sie mit großen Augen dem Burschen entgegen, der flinken Schrittes näher kam und neugierig die erregte Gruppe am Ufer betrachtete. Einer aus dem Dorfe war das nicht – Zäzil hatte soeben zum erstenmal seinen Namen gehört. Der Holzersepp! Wohl aber meinte sie, daß sie ihn im Laufe des Sommers schon ein paarmal gesehen hätte. Doch konnte sie sich nicht erinnern, daß er ihr um irgendeines Umstandes willen besonders aufgefallen wäre. Freilich – ein Holzknecht!
Jetzt verhielt der Bursch seine Schritte und rückte verlegen den mürben Hut. Die Mutter des Knaben stand vor ihm, die schöne Stadtfrau, mit zitternden Lippen, die keine Sprache fanden, mit angstvollen Augen, aus denen die Zähren rannen, und während das gelöste Haar um ihre zarten Schultern flatterte, hob sie in stummer, verzweiflungsvoller Bitte die verkrampften Hände zu dem Burschen auf.
»Frauerl, was is denn? Was möchten S' denn von mir?« fragte der Holzknecht, halb lachend, halb erschrocken.
Die Leute, die sich um die beiden zu einer Gruppe drängten, erklärten ihm rasch, um was es sich handle.
Da warf er einen wägenden Blick über den weiß schäumenden See. »Und ich soll eini fahren? Jetzt?«
»Ja, Sepp, du!« schrie ein alter Bauer. »Wenn du dich nimmer traust . . . ein anderer fahrt eh nimmer.«
Das Gesicht des Burschen verzog sich zu breitem Lachen, und in geschmeicheltem Stolze legte er den Kopf zurück. Eine Sekunde schwieg er – und während dieser Sekunde hing die verzweifelte Mutter mit Blicken voll verzehrender Angst an seinem Munde – dann schleuderte er den Hut in die Luft und rief: »No also! Ihr Hasenlöffel übereinander!« Mit groben Armen stieß er die Umstehenden beiseite, sprang dem Ufer zu und hatte im Hui die Axt, den Rucksack und die Joppe abgeworfen. Der Sturmwind fuhr in die Löcher des zerrissenen Hemdes und blähte die graue Leinwand gleich einer Kugel auf. In sprudelnden Worten erzählten die Männer dem Burschen, was sie schon unternommen und wie sie sich vergebens geplagt hätten, den Kahn ins freie Wasser zu bringen. »Natürlich, so hat's freilich net gehn können! Der Wasserschlag muß ein ja wieder zruckwerfen, vor's Ruder Kraft kriegt!« schnauzte er sie an, spuckte in die Hände und packte den Kahn, der halb am Ufer lag und unter den anstürmenden Wellen schwankte. Mit gewaltigem Ruck stülpte er den schwerfälligen Nachen um, so daß das Wasser, das ihn fast zur Hälfte füllte, gurgelnd ausfloß. Dann stemmte er der Reihe nach jedes der drei Ruder, die zur Hand waren, mit der Schaufel gegen die Erde, prüfte jedes mit grobem Druck auf seine Festigkeit und warf es in den Kahn. Unter schreienden Ratschlägen umdrängten ihn dabei die anderen; die Mutter des Knaben, schluchzend und stammelnd, wich keinen Schritt von seiner Seite – nur Zäzil stand allein, aber ihre Wangen brannten, und mit blitzenden Augen verfolgte sie jede Bewegung des Burschen.
Raschen Griffes prüfte Sepp noch den geflochtenen Weidenring, in dem das Steuerruder zu führen war, dann rief er: »So! Und jetzt kann's losgehen!« Er stieß die schweren Schuhe von den nackten Füßen, packte die lange, eiserne Kette, die am Schnabel des Schiffes befestigt war – und da schrien sie nun alle auf – mit einem weiten Satz war Sepp in den See gesprungen. Eine hohe Welle rauschte über ihn weg, aber er tauchte schon wieder auf, und lachend, mit triefendem Kopfe, stand er wie angepfählt im Wasser, das ihm, zwischen Welle und Welle, kaum über die Hüfte reichte. Mit beiden Händen zog er an der Kette, knirschend glitt der Kahn vom sandigen Ufer ins Wasser – und da erkannte man seine Absicht: Er wollte den Nachen auf solche Weise in den offenen See hinausschleppen, da das Ruder gegen den gesteigerten Wellenschlag am Ufer machtlos war und der Sturm den Nachen immer wieder platt an die Lände drücken mußte, bevor noch die Wirkung des Ruders zur Geltung kam. Alle riefen ihm Beifall zu, und dann wieder schrien sie wirr durcheinander: »Jesus Maria! Zäzil, Madl! Was machst denn? Bist denn narrisch?«
Sepp hatte ein Poltern im Kahn gehört, hatte gefühlt, wie sich die Kette straff gezogen – er wandte das Gesicht, und da sah er das Mädel im Schiffe stehen, schon mit dem Ruder in der Hand.
»Sakra! Madl!« staunte der Holzknecht. »Du bist aber eine Schneidige!«
Und Zäzil erwiderte mit bebender Stimme: »Wenn keiner's Kurasch net hat . . . ich hab's . . . daß ich dich net allein fahren laß!« Nun saß sie schon auf der Bank und schob das Ruder in den Weidenring.
»Na also, da kann's ja nimmer fehlen, wenn ich ein solchen Beistand hab!« lachte Sepp. Und als hätte er nun doppelte Ursache, seine Kraft und Unerschrockenheit zu zeigen, so schwang er die eiserne Kette über die Schultern und tauchte keuchend gegen die rauschenden Wellen an, den Nachen Schritt um Schritt hinter sich herschleppend, wobei ihm Zäzil mit kräftigen Ruderschlägen zu Hilfe kam. Und immer wieder wandte sie mit flüchtigem Blick das Gesicht nach dem Burschen, der immer häufiger unter den Wellen verschwand und dem das Wasser schon bis zum Halse reichte. Und endlich rief sie ihm in Sorge zu: »Laß's gut sein jetzt . . . und komm . . . steig eini!«
Er nickte mit seinem triefenden Kopf, warf, als hätte er nur auf diese Mahnung gewartet, die Kette von sich, packte den Nachen am Rand und schob ihn mit kräftigem Ruck an sich vorüber. Am Steuerende hielt er sich fest, wartete eine hohe Welle ab, und als sie vorüberrauschte und das Hinterteil des Schiffes tief niedersank, warf er sich mit raschem Schwung hinauf, erhaschte mit beiden Knien die Wand des Schiffes und schob, vollends in den Nachen kletternd, schon das lange Steuerruder in den Weidenring. Nun schüttelte er den Kopf, daß ihm die dicken Tropfen aus den Haaren flogen, richtete sich, das Ruder fassend, hoch auf und lachte das Mädel an, das staunend zu ihm aufsah. In dünnen Fäden rann das Wasser von ihm nieder, der Sturmwind klatschte ihm das nasse Hemd und das triefende Leder der Hose platt an den Leib – ihn aber schienen weder Nässe noch Sturm zu kümmern und zu hindern. Seine Hände waren gleich eisernen Klammern um den Schaft des Ruders gespannt, und er arbeitete mit der ganzen Wucht seines geschmeidigen Körpers, jeden seiner weit ausholenden Ruderschläge mit einem taktmäßigen Tritt und jenem keuchenden ›Heßß‹ begleitend, das man von Holzknechten, wenn sie einen Baum fällen, bei jedem Axtschlag hören kann. Und Zäzil saß vor ihm, mit Anstrengung aller Kräfte ihr Ruder führend. Ihre Röcke bauschten sich auf, ihre Schürze flatterte, und die losgegangenen Zöpfe ringelten sich wie rote Schlangen um ihren Nacken. Der wilde Sturm umrauschte die beiden, das Wasser umflutete sie, und die anrollenden Wellen klatschten gegen den springenden Kahn und übersprühten ihn mit Schaum und Tropfen. Dabei hörten sie hinter sich das laute Beten der Leute und im See die gellenden Hilferufe des Knaben, die näher klangen und immer näher.
Nur manchmal schaute Sepp über den wogenden See hinaus, um nach dem bedrohten Nachen zu spähen. Zwischen diesen Blicken hingen seine kecken, blitzenden Augen fast unablässig an dem Gesicht des Mädchens. Und auch Zäzil verwandte kaum einen Blick von ihm. Wenn sie auf die stürmenden Wellen sah, konnte sie sich eines geheimen Grauens nicht erwehren – aber sie brauchte nur zu ihrem Gefährten aufzublicken, um angesichts seiner ausdauernden Kraft und seiner behenden Unerschrockenheit sich beruhigt zu fühlen, im taumelnden Kahn so sicher wie auf festem Boden. Dieses Gefühl der Sicherheit, das von ihm überging in ihre Seele, wich freilich wieder einem zitternden Bangen, als sie dem gefährdeten Schifflein sich näherten, das gleich einer Nußschale von den schäumenden Wellen umhergeworfen wurde.
Es war auch höchste Zeit, daß sie kamen. Der Kahn, an dessen Bretter der schreiende Knabe in Todesangst sich klammerte, war über die Hälfte schon mit Wasser gefüllt und drohte jeden Augenblick zu sinken. Der Breite nach trieb er vor dem Sturme, vor jeder ansteigenden Welle neigte er sich auf die Seite; die Hälfte des Wassers, das ihn füllte, rauschte über die Planke hinaus, und im nächsten Augenblick übergoß ihn die gebrochene Welle mit einer neuen Sturzflut.
Als Zäzil das Gesicht wandte und den kreischenden Knaben sah, dessen Körper in dem geschüttelten Nachen von Planke zu Planke taumelte, wurde sie bleich und stammelte: »Jesus Maria!«
Aber da rief ihr Sepp schon zu: »Net fürchten, Madl! Grad Obacht geben! 's Ruder laß aus und halt dich am Brettl an mit alle zwei Händ.«
Wortlos folgte sie seiner Anweisung. Da holte er zu einem letzten, kraftvollen Ruderschlag aus, und einem springenden Fische gleich schoß der Kahn über die anrollende Welle empor, um im nächsten Augenblick mit seinem Schnabel krachend gegen den führerlos treibenden Nachen zu stoßen. Zäzil wankte auf ihrem Sitz, während drüben im anderen Kahn der Knabe zu Boden geschleudert und von Wasser überschüttet wurde, so daß sein angstvolles Geschrei in gurgelnden Lauten erstickte. Sepp aber stand hochaufgerichtet am Steuer, mit lauerndem Blick den anderen Nachen verfolgend, der sich unter dem Zusammenstoß jählings drehte. Jetzt lagen die beiden Schiffe Seite an Seite, nun drohten sie aneinander vorüber zu treiben – Zäzil schrie vor Sorge um den Knaben – Sepp aber hatte schon mit der Linken das Ruder aus dem Wasser gedrückt und mit der Rechten hinübergegriffen, um das Bürschlein am Kragen zu haschen. Der Griff gelang – so leicht wie ein Ball schwang Sepp den triefenden Knaben in den Kahn herüber und stieß ihn dem Mädchen zu, das ihn mit beiden Armen fing. Ein wuchtiger Ruderschlag, ein Rauschen und Aufwirbeln des Wassers, und wie ein Kreisel flog das Boot herum, den Schnabel nach dem Ufer kehrend.
Gewonnen!
Einen gellenden Jauchzer schickte Sepp in das Tosen des Sturmes; schreiender Jubel antwortete vom Lande, und vor dem Sturme trieb der sicher geführte Kahn mit rauschender Eile dem Ufer zu.
Mit beiden Armen hielt der gerettete Junge Zäzils Hüften umschlungen und drückte wimmernd sein Gesicht in ihren Schoß. Auch ihr rannen die Tränen über die Wangen, während sie dem heftig Zitternden mit herzlichen Worten zusprach. Sie wollte wieder zum Ruder greifen, Sepp aber rief ihr lachend zu: »Laß's gut sein, Madl! Brauchst dich nimmer z'plagen! Heimzu geht's von selber!« Er hatte recht – er brauchte ja selbst kaum das Ruder zu rühren; als lebendiges Segel stand er im Schiff und hatte nur manchmal die Schaufel steuernd zu drehen, damit der Nachen nicht aus der geraden Richtung kam. Dazu lachte und jauchzte er, und wenn der Nachen über den schäumenden Wellen hoch aufstieg und spritzend niederklatschte, wiegte er sich in den Knien wie bei lustigem Tanz. Und da hub er nun gar zu singen an, jenes gleiche Lied, das er gesungen hatte, als er unter den Bäumen hervorgetreten war.
Und Zäzil saß, hielt den weinenden Knaben mit beiden Armen umschlungen, lauschte dem Rauschen der Wellen, dem Tosen des Sturmes, dem jauchzenden Gesang und schaute lächelnd, mit leuchtenden Augen zu dem kecken Sänger auf.
Und wie die Wellen im See, so wirbelten Gedanken und Empfindungen in ihrem Kopf und Herzen durcheinander. Sie konnte träumen, sie hatte ja nichts zu fürchten – es war ja er im Kahne. Ihre Wangen brannten – unwillkürlich übersann sie noch einmal, was in diesen Minuten geschehen – und da überkam sie wie ein Rausch der Gedanke, daß sie teilhatte an dieser schönen Tat, die er begonnen mit beispiellosem Mute. Alles verklärte sich vor ihren Augen; sie fühlte nicht, daß er diese gewagte Fahrt nicht unternommen hatte wie ein ernstes Werk der Rettung, sondern wie einen tollen Streich; sie sah in ihm nur den Unerschrockenen, den mutigen Retter, der es einer verzweifelten Mutter zulieb allen anderen zuvorgetan. Allen war der Mut gesunken vor dem stürmenden See, keiner hatte die böse Fahrt gewagt, an der eines Kindes Leben hing – nur er allein, der eben anders war als all die anderen, er, dieser Besondere. Und was in ihr vorging, was sie sann und fühlte, das leuchtete in deutlicher Sprache aus ihren Augen . . .
Da war das Ufer! Die ganze Lände von schreienden Menschen besetzt; allen voran die schluchzende Mutter des Knaben, die schon die Arme nach ihrem Liebling streckte, an ihrer Seite der Vater, der inzwischen herbeigekommen, nachdem er seinen Buben im ganzen Dorfe vergebens gesucht.
»Jetzt, Madl, gib Obacht«, lachte Sepp, »jetzt kann's ein Rumpler setzen!«
Da fuhr der Nachen auch schon mit krachendem Stoß ans Land, ein schäumender Wasserguß schlug über ihn her, die drei im Kahne wankten und stürzten, aber zwanzig Hände waren schon bereit, ihnen aufzuhelfen und das Boot festzurammen. Lachend und weinend riß die Mutter ihr wiedergewonnenes Kind ans Herz, während der Vater einen Lodenmantel um den nassen Körper des Buben legte.
»Sakra, das hat Schwitzen kostet!« kreischte Sepp, als er auf festem Boden stand, und fuhr sich mit den Armen über die Stirn. Dann trat er auf Zäzil zu, die in einer Gruppe von schwatzenden Leuten stand, die Hände an ihre Schläfen pressend, mit halb geschlossenen Augen, als läg es über ihr wie eine Betäubung.
»Brav hast dich ghalten, Madl! Grad loben muß ich dich!« sagte er.
Sie blickte nicht auf zu ihm; doch brennende Röte flog über ihr Gesicht.
»Aber weißt . . . ein richtigen Dank, mein' ich, hätt ich mir wohl verdient . . . und schau, da därfst net harb sein, wenn du die erste bist, von der ich zahlt sein möcht.«
Noch ehe sie den Sinn seiner Worte zu verstehen wußte, hatte er sie mit beiden Armen umschlungen und einen Kuß auf ihren Mund gedrückt.
Die Umstehenden johlten vor Vergnügen. Zäzil aber riß sich zornig los, schlug die Hände vor das glühende Gesicht und rannte davon, der Straße zu, unter deren wogenden Bäumen man schon die Dämmerung des Abends merkte.
Lachend blickte Sepp ihr nach und streckte dann die offenen Hände, in die der Vater des geretteten Knaben seine Börse leerte.