Ludwig Ganghofer
Das Gotteslehen
Ludwig Ganghofer

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4

Irimbert war wie ein Träumender zu Tal gestiegen und hatte im sonnigen Buchenwald den Pfad verloren. Wo lag das Heimwesen des Hilpot? Der Jäger spähte nach allen Seiten. Das feurige Herbstlaub, das ihn rings umgab, wollte seinem suchenden Blick keinen Ausweg zeigen. Er stand und lauschte. In der Nähe sprang durch den Wald ein Wildbach hinunter, und sein Rauschen war die einzige Stimme, die sich hören ließ. Eine Weile stieg der Jäger quer über das Berggehänge. Als sich hinter ihm der Lärm des Baches dämpfte, hörte er den Schellenklang einer im Wald zerstreuten Herde, kam zu einem Weg und folgte ihm.

Durch die leuchtenden Buchenwipfel kräuselte sich der Rauch eines Feuers. Er drang aus dem Rindendach einer kleinen Blockhütte, die sich halb unter dem Gezweig der Bäume versteckte. Geschirr und Holzgeräte, wie sie die Sennleute zu ihrer Arbeit brauchen, standen um die Hütte her, und auf dem moosüberwachsenen Strunk einer Baumleiche saß ein grauköpfiger Mann, stark und mit breiten Schultern. Er war besser gekleidet als sonst die Leute im Tal, trug die kurze Berghose und ein Wams, das von Leder war und große Silberstücke als Knöpfe hatte. Seine Waden waren mit Fell umschnürt, und die schwerbenagelten Holzsohlen hatten lederne Bänder. Und kein Höriger des Klosters war er, sondern ein freier Mann; sein Haar war ungeschnitten und fiel ihm wie eine graue Mähne um die Schultern. Mit dem Messer schnitzte er an einem neuen Holzstiel für die Axt, deren Eisen mit der Schneide in den Baum gestoßen war; die Stücke des alten, zerbrochenen Schaftes lagen vor ihm auf der Erde. Als er vom Wege her die Schritte hörte, sah er auf. Verwundert betrachtete er den Jäger, nickte einen stummen Gruß und erhob sich. »Willst du zu mir?«

»Zum Haus des Hilpot will ich.«

»Da hättest du höher droben nach rechts hinüber müssen. Dich kenn ich nit. Wer bist du?«

»Ein Jäger.«

»Lang mußt du nit in der Gegnet sein, weil du deinen Wald nit kennst. Bist du vom Klosterland in der Ebnet draußen?«

»Ja. Und du?«

Der Bauer lächelte. »Meinen Namen wirst du im Kloster wohl schon gehört haben. Sie reden viel von mir.« Es zuckte wie ein leiser Spott um seinen Mund. »Ausschauen tu ich freilich, als ob ich ein Bauer war. Aber ich bin ein fürnehmer Dienstmann, der seinen gnädigen Fürsten sell droben hat, wo die Vögel fliegen. Das ist der einzig, dem ich steuern muß. Erst heut am Morgen hat er von seinen Zinsboten einen geschickt, den Bartgeier, der mir ein Geißkitz davongetragen hat. Was machst du für Augen? Verstehst mich nit? Ich bin der Greimold, der seines Vaters Haus und Eigen vom lieben Gott zu Lehen hat.«

»Der Gotteslechner? Du?«

Der Jäger betrachtete den Bauer.

In seinen Gedanken sah er den Mann mit dem lockigen Braunhaar, mit dem lachenden Gesicht und den lebensfreudigen Augen, wie ihm Jutta den Vater geschildert hatte. Wie anders stand dieser Mann in Wirklichkeit vor ihm: Noch ungebrochen in der Kraft seiner Glieder, doch schon gebeugt, Haar und Bart ergraut, schon durchzogen von weißen Fäden. Das Gesicht war von hundert feinen Linien durchrissen, jede wie mit dem Messer geschnitten. Unter den buschigen Brauen, die wie kleine Dächer aus der Stirne hingen, blickten die graublauen Augen mit jener Ruhe, die ein starker Mensch in dauernden Schmerzen sich erkämpft.

»Jäger? Warum schaust du so?«

»Weil du ein anderer bist als jener Vater, den deine Tochter sieht.«

Betroffen trat der Gotteslechner einen Schritt zurück. »Ein Fremder? Und du kennst mein Kind?«

»Mein Weg hat mich in deinen Hof geführt. Ich will diesen Morgen nie vergessen. Dein blindes Kind hat ein sehendes Herz.«

»Hast du geredet mit ihr?« fragte der Bauer in Unruh. »Hat sie noch lachen können, wie du gegangen bist?«

»Ja, Greimold. Ich verstehe deine Frage. Die Stunde an der Seite deines Kindes ist mir gewesen wie ein Maigeschenk. Wir saßen im grauen Herbstnebel, und dein Kind sah den Frühling. Ich würde die Hand verwünschen, die eine Blume dieses Frühlings zerstören könnte. Wahrheit ist mir das Beste des Lebens. Aber redlicher als jede Wahrheit, die ich noch je einem Menschen ins Gesicht gesprochen, war die freundliche Lüge, die ich an der Seite deines Kindes als Wahrheit gelten ließ.«

Da streckte ihm der Bauer die Hände hin. »Vergelts Gott, Jäger!« In seinem Blick glänzte die Freude.

Irimbert lächelte. »Du hast doch die Augen, die das Herz deines Kindes an dir sieht.«

»So, meinst du?« sagte der Bauer freundlich. »Aber komm, setz dich ein lützel her zu mir! Dein Gesicht schaut müd. Tu rasten!« Sie ließen sich auf dem Baumstamm nieder, und Greimold begann wieder an dem Schaft zu schnitzen. »Mein Mädel sieht mich allweil noch, wie's mich als Kindl in ihrer Lichtzeit gesehen hat. Mich und die Leut und alles. Aber kann's denn bleiben so? Mein Gesind und die Anrainer haben's gelernt, wie sie reden müssen mit dem Kind. Wer weiß, wie einer einmal kommt und reißt ihr die Blumen aus der Seel. Das ist meine Sorg in Tag und Nächten.« Greimold ließ das Messer ruhen. »Wie soll's denn werden mit ihr? Jetzt ist das Kindl bald neunzehn Jahr. Mir liegt schon halb der Winter auf dem Buckel. Die Mutter ist nimmer da. Einen Buben hab ich nit, der hinter mir hausen könnt im Gotteslehen und die Schwester gut halten tät. Einen Fremden suchen? Als Erbbuben in mein Haus?« Der Bauer schüttelte den Kopf. »Freilich, als Herr für mein schönes Heimwesen tät sich leicht einer finden. Aber einer, der meinem Kind ein guter Bruder wäre? Das liebe Ding ist wie ein Kräutl, das einen Gärtner braucht, der linde Hände hat. Jeder, den ich mir anschau drum, hat grobe Faust oder Augen, die was anderes sehen als mein Kind.«

Irimbert legte seine Hand auf die Faust des Bauern, und es leuchtete warm in seinem Blick.

Der alte Mann umschloß die Hand des Jägers. »Bub, dein Gesicht ist streng, als hättst du im Leben nit viel gute Zeiten gesehen. Freilich, Zeiten und Menschen sind allweil schlecht. Nur ein Froher und Starker kann sie gut machen. Du hast Augen, Bub, daß einem leicht wird um die Seel.«

Er lächelte.

»Tu mir's nit verdenken, daß ich dir in der ersten Stund gleich alles zuwirf, was in mir ist. Aber ich seh dir's an: Du weißt, was Schmerzen sind.«

»Ja, Greimold.«

»Von denen, die das Leben grob anpackt, hat jeder auf seiner Stirn einen Merk als Bruder. Da kennt einer den anderen gleich, und einer ist dem anderen gut. Mein Leben ist hart gewesen, und jeder Tag macht's härter. Wär in mir nit die Sorgenlieb für mein Kind und der Stolz, daß ich aus und ein im Tal der einzig bin, der noch als freier Mann den Kopf in der Höh hat – ich wüßt nimmer, für was ich noch leben möcht.«

»Gotteslechner, du bist ein reicher Mann. Stolz und Liebe sind dein Besitz. Ich bin arm, denn Haß und Einsamkeit sind leere Güter.«

Der Bauer lächelte ein wenig. »Geh, Bub, gar so arm wirst du nit sein. Hast ja deine Jugnet!«

»Meine Jugend? Die ist wie ein Haus ohne Fenster. Durch Mauern geht die Sonne nicht.«

Greimold schwieg. Und plötzlich fragte er: »Bist du ein Eigenmann des Klosters?«

»Ich? Nein.«

»Warum trägst du nit das Haar wie ein Freier?«

»In der Klosterschule haben sie mir den Schopf geschoren.«

»In der frommen Schul? Jetzt weiß ich auch, woher du das herrenmäßige Reden hast. Gelt, sie hätten gern einen Kuttenbruder aus dir gemacht? Bist ihnen ausgesprungen? Hast recht! Waldluft und Bergwind sind gesunder als Kirchendampf.«

Ein Lächeln irrte um den Mund des Jägers.

»Schau, Bub, ich steh mich gut mit meinem Lehensherren über dem blauen Dach da droben. Hab ich ein Anliegen, so red ich mit ihm. Das eine Mal hört er mich, das andermal ist er taub. Er ist der Starke, ich bin der Schwache, und wie ein fügsamer Dienstmann laß ich auf meinen Buckel fallen, was kommt, das Linde und das Harte. Ich weiß so viel von ihm, wie ein Ritter von seinem Fürsten, den er nie gesehen hat. Weiter frag ich nit. Aber was die da drunten predigen von ihm, von seinem Zorn und seinen Ruten, mit denen er loshaut auf die Kinder, die er am liebsten hat, das will mir nit eingehen. Das ist für Herzwunden wie Salz. Ihr Reden schwimmt wie ein trüber Abend zwischen Finsternis und Licht. Entweder sie haben ihren guten Grund, daß sie nit sagen, wie alles ist, oder sie wissen es selber nit!«

Der Jäger lachte. »Da könntest du recht haben, Greimold! Du hast sie erkannt.«

»Ruf den Wolf, und er kommt gelaufen.« Der Gotteslechner stand auf und spähte durch den Wald hinunter. »Da kommt der Bruder Medardus, der Zinsmeister, und zwei Fronboten mit ihm. Wo die nur hinsteigen heut? Den Michelzins von den hörigen Albleuten haben sie doch schon eingestrichen. Was suchen denn die da heroben?« Er trat, das Messer in der Hand, ein paar Schritte gegen den Weg, um besser in die Tiefe sehen zu können.

Auch Irimbert hatte sich erhoben und blickte heiter durch den Wald hinunter, als sollten ihm die drei Menschen, die da kamen, eine fröhliche Stunde bringen.

»Jäger?« Ein wenig verlegen wandte sich der Bauer zu ihm. »Ich mein, bis die drei da vorbei sind, solltest du hinein ins Hüttl gehen. Sie verdenken's dem Hilpot lang schon, daß er dem Gotteslechner ein guter Kamerad ist. Und dem Reinold müssen sie den Weg zu mir verboten haben. So lang ist er nimmer bei uns gewesen. Wenn sie dich finden bei mir, das nehmen deine Herrenleut dir übel.«

Irimbert lächelte: »So will ich's tragen.«

»Mich plagen sie drum und sagen, ich tät ihre Leut verschwatzen.«

Der Jäger zögerte mit der Antwort. »Wenn es dir eine Sorge nimmt, will ich mich bergen. Fragen sie nach einem, den sie suchen, dann sollst du mich nicht verleugnen. Dann will ich dem guten Medardus einen Weg ersparen. Er ist beleibt und schwitzt nicht gerne.«

Irimbert trat in die Hütte.

Der Bauer sah ihm befremdet nach, als wüßte er nicht, was er zu diesen Worten denken sollte. Hatte der Jäger ein Verschulden in seinem Dienst begangen? Dann käme doch nicht der Zinsmeister, um ihn zu suchen!

Langsam kamen die drei durch den Wald heraufgestiegen, Frater Medardus voran, eine derbe Gestalt, deren wohlgenährte Rundung an der weißen Kutte keine Falte mehr bestehen ließ. Der Kopf war klein, aber das Gesicht verbreiterte sich nach unten zu dick hängenden Hamsterbacken, die von der Anstrengung des steilen Weges glühten. Dieser runde Glanz um den lächelnden Mund herum hatte was Gemütliches. Dennoch sahen die hörigen Albleute, wenn Zins und Steuer fällig waren, den Bruder nicht gern erscheinen. Er pflegte als Zinsmeister des Klosters seine Geschäfte mit Behaglichkeit zu erledigen und machte harmlose Scherze. Aber hinter seinen Späßen standen mit Strick und Knittel die beiden Fronboten, die unerbittlich zugriffen, wenn ihnen Bruder Medardus einen Wink mit den kleinen Augen gab, die so wohlwollend unter den gepolsterten Lidern hervorblinzelten.

Während die beiden Knechte auf dem Waldweg stehenblieben und den Bauer prüfend betrachteten, als hätten sie Ursach, seine Kraft zu schätzen, ging Bruder Medardus, mit dem Kuttenärmel den Schweiß vom Gesichte wischend, auf den Gotteslechner zu. »So? So? Seh ich dich auch wieder einmal? Der Weg zu dir da herauf ist wie der Weg zum Himmel, mühsam und steil!« Ein paar schnappende Atemzüge, und segnend machte er das Zeichen des Kreuzes. »Pax tecum Domini, mein lieber Sohn!« Alle Herzlichkeit eines guten Menschen klang aus seiner Stimme. »Und Gottes besten Gruß!«

»Gottes Dank!« erwiderte Greimold, der forschend den lachenden Bruder und seine Geleitschaft musterte.

Medardus schielte nach dem Messer in der Hand des Bauern. »Gott? Redest du von Gott? Und hast den Teufel in der Hand. Bin ich nit der gutherzige Medardus, den alle liebhaben, die er heimsucht? Schau, das ist der Unterschied zwischen mir und Gott, der alle heimsucht, die er liebhat.« Freundliche Heiterkeit zwinkerte in dem glänzenden Gesicht. »Im Namen Gottes, deines guten Lehensherren, komme ich zu dir, bin sein gefeiter Sendbot, und du stehst da mit dem Messer in der Hand, als hättst du Mörder und Dieb von dir abzuwehren?«

Greimold stieß das Messer in einen Baum. Die Knechte schmunzelten.

»Leut, ihr könnet rasten«, rief Medardus zu den beiden hinüber, »da liegt ein Baum, der ist wie eine gute Bank. Ich will derweil meinen sündigen Leib kasteien und setz mich auf harten Stein!« Dem Baum gegenüber, auf dem sich die Knechte niederließen, wählte er als Sitz einen Felsblock, der mit Moos überwachsen war. Da saß er wie in einem Lehnstuhl und spreitete die Beine, daß die weiße Kutte unter seinem runden Bauch einen tiefen Sack machte. »Soooo, da wären wir jetzt!«

»Wohin denn heut noch?« fragte der Gotteslechner.

»Nimmer weit! Komm, setz dich her zu mir und laß uns plauschen, derweil ich rast. Wenn verstandsame Männer miteinander reden, macht der Weltkarren ein Schübl vorwärts. Schau, da steht ein Baumstock, da können wir uns vertraulich in die Augen schauen.«

Der Bauer ließ sich nieder, und Medardus, der von Wetter und Jahreszeit zu schwatzen begann, tauschte einen Blick mit den Knechten, die der Gotteslechner hinter dem Rücken hatte.

Und dann wollte der Bruder wissen, wie Greimold sein Vieh von den Hochalmen heimgebracht hätte, wie es in Hof und Haus stünde, ob er mit seinem Gesind zufrieden wäre und ob er nicht etwa gegen die hörigen Almleute des Klosters eine Klage hätte.

»Nein!« sagte Greimold. »Versucht haben sie's freilich und hätten ihr schlechtes Vieh auf meine guten Alben getrieben. Aber ich hab ihnen gezeigt, wo der Zaun ist.«

»Freilich, du bist von den Starken einer!« Medardus schmunzelte. »Aber solltest du einmal zu kurz kommen mit deiner eigenen Kraft, so hast du eine Hilf am Kloster, das dir allweil dein Recht verschafft.«

»Allweil, ja, wenn's ihm selber taugt. Mag der Imm, so tragt er Honig. Stechen kann er auch.«

Scherzend drohte der Bruder mit dem Finger. »Ein Glück, daß ich ein guter Kerl bin, der keinem ein grades Wörtl übelnimmt! Aber vor den Knechten solltest du Vorsicht üben.«

Wieder begann er zu plaudern und berichtete von einem Wunder, das vor dem Reliquienschrein des heiligen Martin geschehen wäre. Und zu Schellenberg hätte man einen Juden geschunden, der einen Brunnen vergiften wollte. Und dem Erzbischof von Salzburg, diesem Klosterfeind und Kirchenräuber, wäre in der Michelsnacht der Teufel erschienen und hätte ihm die grausamsten Höllenstrafen angedroht, wenn er den Berchtesgadener Salzbau nicht ungeschoren ließe.

Greimold lächelte. »Daß der Salzburger Herr viel Unrecht tut an eurem Kloster, das ist wahr. Euer Gut ist aus einem Kind ein starker Mann geworden. Das macht ihn neidisch und feindselig. Aber daß für euer gutes Recht der Teufel fechten muß, das will mir nit gefallen, Bruder! Ich glaub's auch nit.«

»Bauer, Bauer«, sagte Medardus im Tone freundlicher Warnung, »das ist eine unchristliche Red.«

»So? Und ich mein, daß sie christlicher war als die deinig.«

Medardus lachte. »Schau nur, schau, das Kindl im Glauben will klüger sein als die Mutter!«

»Laß gut sein, Bruder! Daß du mir von Jud und Teufel erzählen kannst, deswegen bist du doch nit den weiten Weg bis darauf gestiegen. Sag's lieber gleich, was willst du von mir?«

Lustig blinzelte der Bruder mit den kleinen Augen. »Was ich will von dir? Den Michelzins.«

Dem Gotteslechner schoß das Blut in die Stirn. Ruhig sagte er: »Zinsmeister, mir scheint, du hast einen großen Krug über den Durst getrunken.«

Medardus hob drei Finger wie zum Schwur. »Seit dem Morgen trank nit ein einzigs Tröpfl!« Er seufzte. »Der Kellermeister im Kloster hat sparsam gemessen. Ich bin nüchtern, lieber Greimold, nüchtern wie ein Saibling, den der Fischer zum Dörren in die Sonn gehangen.«

»So mußt du vergessen haben, wer ich bin.« Dem Bauer zitterten die Fäuste, die er auf den Knien liegen hatte. »Am Michelstag und an Lichtmeß zinsen die hörigen Leut. Ich bin der freie Bauer im Gotteslehen. Weißt du das nit? Und keinem anderen muß ich steuern als nach freiem Willen meinem Lehensherren im Himmel.«

»Aber schau, mein lieber Sohn, Gottvater kann doch nit selber kommen und deine Steuer holen.« Der Bruder sprach so herzlich, wie ein erfahrener Pädagog mit einem widerspenstigen Schüler redet. »Drum amtet an Gottes Stell das Kloster in seinem Land und muß für deinen himmlischen Lehensherren von dir die Steuer heben.«

Der Bauer blieb ruhig, nur seine Stimme wurde rauh. »Hab ich nit am Ostertag in die Kirch getragen, was ich aus freiem Willen geb?«

»Ja, das ist wahr.«

»Es ist mehr gewesen, als ich früher gegeben hab. Das Kloster könnt zufrieden sein.«

»Das Kloster? Was geht es das Kloster an, wenn du dem heiligen Osterlamm ein frommes Angebind ins Krippl legst? Dafür hast du reichen Ostersegen für Haus und Vieh mit heimgetragen. Was hat das mit Zins und Steuer zu tun? Ordnung muß sein im Land. Vierzig Rinder hast du auf die Alben getrieben. Die grasen im Klosterwald.«

»Wie's mein Recht ist von alter Zeit her.«

»Ja, lieber Sohn, und dein Recht, das bleibt. Aber dem Kloster mußt du sein Recht doch auch vergönnen. Von vierzig Stück Vieh macht der Holdenzins am Michelstag vier schlachtbare Kalben. Das ist so von alter Zeit her.«

»So? Der Holdenzins?«

»Ja, lieber Greimold, das ist leicht gerechnet.«

»Und daß ich von heut an Zinsen sollt wie die hörigen Grundholden –«

»Von heut an?« warf Medardus verwundert ein.

»Von heut an, ja! Hat Herr Friedrich, der Propst, das so geboten?«

»Der Propst? Nein, lieber Greimold! Der hat wichtigere Sachen im Kopf als Zins und Steuer.«

Der Bauer atmete erleichtert auf. »So weiß ich, wie ich dran bin. Herr Friedrich hätt wohl lieber mein freies Lehen als Holdengut seines Klosters. Aber noch allweil ist er gerecht zu mir gewesen. Geh heim, Bruder, und sag, daß ich ihn grüßen laß mit schuldiger Ehr!«

»Ja, lieber Sohn, ich will's ausrichten.« Freundlich tätschelte Medardus den Gotteslechner auf die Faust. »Aber was sag ich unserem Dekan, dem gestrengen Herrn Wernherus, der mich geschickt hat um den Michelzins?«

»Dem sag, daß ich der freie Bauer im Gotteslehen bin.«

»Ich sag's ihm, gut! Aber die vier schlachtbaren Kalben, gelt, die gibst du mir mit?«

»Bruder, jetzt hat der Spaß ein End!« Greimold wollte sich erheben.

Medardus faßte ihn am Arm und zog ihn lachend wieder auf den Baumstock nieder. »Hitzköpfl, du! Laß doch in Ruh ein Wörtl mit dir reden! Was bist du auf einmal so bockbeinig? Warum willst du grad heuer den Michelzins nit zahlen? Du hast ihn doch allweil noch bezahlt, wie's Brauch und Ordnung ist.«

»Ich?« Der Bauer machte große Augen. »Wann hätt ich je im Leben dem Kloster gezinset wie ein höriger Mann?«

»Wie's sonst einmal gewesen ist, das weiß ich nimmer! Aber an Lichtmeß hast du deine Kuh und dreißig süße Käs gezinset, und am Michelstag im vorigen Herbst drei jährige Rinder und ein sömmeriges Kalb.«

»Zinsmeister«, fuhr Greimold auf, »das ist gelogen!«

Medardus warf schnell einen Blick zu den Knechten hinüber, während er gegen den Bauer beschwichtigend die Hände erhob.

»Greimold! Lieber Mann! Wie magst du so ein böses Wörtl brauchen? Wenn ich das meinem Herren sag –«

»Sag's! Meinethalben!« Man sah es dem Gotteslechner an, wie schwer es ihm wurde, seine Ruhe zu bewahren. »Aber sag ihm auch, was du voraus geredet hast!«

»Ich tät doch so was nie und nimmer sagen, wenn's anders wär. Such dir einen schriftkundigen Mann und laß ihn nachschauen, ob's nit klar und richtig im Holdenbuch verzeichnet steht: An Lichtmeß, Greimold der Vorderecker, hat gezinset dreißig Käslein und eine Kuh – am Michelstag, Greimold der Vorderecker, hat gezinset ein Kalb und drei jährige Rinder!«

»Das steht im Holdenbuch?«

»Ja, lieber Sohn, das steht!«

Greimold erhob sich. »So hat der sell, der das geschrieben hat, wie ein Meineidiger getan und das Buch gefälscht.«

Erschrocken schlug Bruder Medardus die Hände zusammen. »O Mensch! Du unglückseliger Mensch! Wie kannst du einen solchen Schimpf erheben gegen einen so frommen und gerechten Herren wie unser Dekan Wernherus?« Er preßte die Hände über die Ohren. »Das will ich nit gehört haben. Das tät ein Unglück geben.«

Der Bauer wollte sprechen. Da stand ein Fronbot neben ihm und sagte: »Der Zinsmeister kann tun, wie er mag, kann hören oder kann sich taub stellen in seiner Gutheit. Mein Gesell und ich, wir stehen mit Eid in Pflicht und Amt. Du hast dem Kloster den Zins verweigert und hast meinem Herren gegen die Ehr geredet.« Er faßte den Bauer am Arm. »Du gehst mit uns!«

Greimold stand mit erblaßtem Gesicht. »Jetzt merk ich, wo's hinaus will. Ich denk an mein liebes Mädel daheim und zwing mich zu einem letzten Wörtl in Ruh. Hab ich gegen euren Herren einen Fehl begangen, so soll er mich als freien Mann, der ich bin und bleib, am Gedingtag vor den Richter rufen. Aber du, Scherg? Tu deine Hand von meinem Arm! Oder –«

»Oder was?« klang es hinter ihm mit lachender Frage. Ehe der Bauer sich wenden konnte, hatte ihn schon der zweite Fronknecht am anderen Arm gepackt.

»Oder das!« keuchte Greimold und schleuderte den Knecht mit wuchtigem Armschwung von sich weg. Er wollte zu dem Baum, in dem sein Messer stak. Da traf ihn von rückwärts ein Knüppelschlag in die Kniekehlen. Er stürzte zu Boden. Bevor er sich wieder aufzurichten vermochte, war ihm schon eine Seilschlinge über den Leib geworfen, und die Fronboten lagen mit den Knien über ihm. Der eine schnürte dem Bauer die Arme zusammen, der andere preßte ihm den Knebel zwischen die Zähne.

Bruder Medardus zischelte den Knechten zu: »Flink! Im Wald da drüben seh ich ein Weibsbild kommen. Fort, ehe sie zu lärmen anhebt und die Sennleut ruft!«

Schon klang es im Wald mit gellender Stimme: »Leut! Leut! Mordio! Leut! Sie schlagen den Hauswirt tot! Mordio, Mordio!«

Hastig rissen die Knechte den Gefesselten vom Boden auf und suchten ihn fortzuzerren. Da taumelte einer der Fronboten zur Erde, von einem Faustschlag ins Genick getroffen. Und während der andere Knecht erschrocken den Jäger anstarrte, der diesen Schlag geführt hatte und jetzt mit dem Weidmesser die Stricke zerschnitt, die dem Bauer die Arme fesselten, kam ein Mädel aus dem Wald gerannt, das bleiche vergrämte Gesicht vom offenen Schwarzhaar umflattert. Mit einem langen Buchenast, den sie aufgerafft, begann sie wie eine Wahnsinnige auf den erschrockenen Fronboten loszuschlagen, der sich im ersten Augenblick keine Hilfe wußte und die Hiebe wehrlos auf seinen Rücken fallen ließ.

Greimold, als ihm die Stricke von den Händen fielen, zerrte den Knebel aus seinem Mund, sprang auf den Baum zu, in den er das Messer gestoßen, und riß die Waffe an sich. »Vergelts Gott, Jäger! Und du, Ruglind, laß ihn laufen, den Schandbuben! Jetzt hab ich ein Eisen in der Hand. Sie sollen nur kommen!«

Die Magd warf den Stecken zu Boden und wischte an ihrem Rock die Hände ab, als hätte sie schmutzige Arbeit getan. »Der Lump, der gottvergessene!« sagte sie halb atemlos. »Mich hat er ins Elend gebracht, mein Kindl hat verdursten müssen, derweil ich am Schandpfahl gestanden bin, und jetzt tät er mir noch den guten Hauswirt packen!« Sie spuckte aus und ging auf die Hütte zu, als wäre die Sache für sie erledigt. »So ein Saukerl, so ein ehrloser!«

Man hörte Stimmen im Wald, und Greimold rief den Fronboten zu: »Ist euch der Mut vergangen? Ja? So traget nur flink euren Buckel heim! Da kommen meine Sennbuben. Die haben grobe Fäust.« Mit rauhem Lachen stieß er das Messer in die Scheide, die an seinem Gürtel hing.

Die beiden Knechte standen ratlos, der eine mit bleichem Gesicht, der andere, den die Magd geprügelt hatte, mit rotem Kopf. Bald musterten sie scheu den Jäger, bald wieder schielten sie zu Bruder Medardus hinüber. Der schien die Sprache verloren zu haben. Seine Hamsterbacken schlotterten, und während er am Gurt seiner Kutte nestelte, starrte er den Jäger an, als stünde ein Gespenst vor ihm, an das er nicht glauben wollte.

Blitzenden Zorn in den Augen, trat Irimbert auf ihn zu. »Medardus! Das war ein häßliches Spiel, das du mit diesem redlichen Mann getrieben hast. Geh heim, du frommer Bruder! Du siehst wohl, dein Geschäft ist aus.«

Erst diese Stimme schien dem Zinsmeister zu sagen, wer vor ihm stand. Wie staunend schlug er die Hände zusammen und rief mit krächzendem Lachen: »Ja, schau nur, schau! Portento simile miraculoque! Schau, da hab ich gar einen kostbaren Fund getan! Da steht's ja vor mir, das irrende Schäflein, das dem strengen Hirten Wernherus schon mangelt einen Tag und eine Nacht. Und hat sich verwandelt in einen reißenden Wolf, der wider die eigenen Brüder beißt.«

Ein Lächeln der Verachtung zuckte um den Mund des Jägers. »Meinst du mit den Brüdern die Schafe oder die Wölfe?«

Fünf Männer kamen mit Geschrei gelaufen, ein alter Weißkopf und vier stämmige Burschen, der Altsenn und die Sennbuben des Gotteslechners.

Als Medardus so viele Fäuste gewahrte, sprang er, sich bekreuzend, auf die Fronboten zu und kreischte: »Kommet, Leut, nur schnell! Ich weiß eine Botschaft, die will flinke Füß zum Kloster haben!« Er eilte den Knechten voran über den Weg hinunten, daß seine Kutte flatterte wie ein Weiberrock.

Ruglind war den Sennleuten entgegengelaufen, und als die Männer zur Hütte kamen, wußten sie schon, was geschehen war. Mit Stöcken und Äxten drohend, schalten sie hinter den Fronboten her, umringten ihren Hauswirt und bestürmten ihn mit Fragen.

»Haltet Ruh, Leut!« sagte der Gotteslechner. »Meine Arm sind frei, und ich hab mein Leben. Aber mit der Waldhut hat's ein End. Wir treiben heim, noch vor Abend. Scharet derweil das Vieh! Ich hab noch einen Weg zum Hilpot hinüber. Ein Stündl, und ich bin wieder da. Dann treiben wir heim, der Wald ist nimmer sicher. Gotts Gruß, meine Leut!«

»Gotts Dank, Hauswirt!« sagten die Männer und kehrten unter erregtem Schwatzen in den Wald zurück.

Greimold ging auf den Jäger zu und streckte ihm die beiden Hände hin. »Bub! Du hast mir einen Dienst getan, den ich dir danken muß mein Leben lang. Aber du? Ich fürcht, du hast dir um meinetwillen bei deinem Herrn eine böse Schüssel eingekocht. Da wirst du ein hartes Essen haben.«

Irimbert schüttelte dem Bauer die Hände. »Weil du nur heil und frei bist! Um mich hab keine Sorg! Wernherus hat große Macht im Kloster. Aber bei Herrn Friedrich steh ich in Gunst.«

Forschend sah ihm Greimold ins Gesicht. »Das sagst du mit Lachen. Aber deine Augen schauen ernst. Sagst du es bloß, daß ich deinetwegen ruhig bin?«

»Ich hab dir gesagt, was wahr ist. Aber es ist an der Zeit, daß ich heimkehre. Leb wohl, Greimold!« Der Jäger umschloß mit festem Druck die Hand des Bauern. »Grüß mir dein liebes Kind! Und gib mir einen Buben, der mich führen soll.«

»Ist dir's recht, so geh ich selber mit dir.«

»Komm!«

Sie schritten in den leuchtenden Wald hinein. Ein müder Windhauch lispelte um die Bäume, die welken Blätter fielen und raschelten.

Da wandte sich Greimold, der vorangegangen. »Schau, Bub, jetzt ist mein Leben ans deinig festgebunden, und ich weiß noch gar nit, wie du heißt?«

Der Jäger lächelte. »Irmi heiß ich.«

»Irmi! Dein Nam ist jetzt in mir wie das Mark im Baum, wie die Wurzel im Grund. Das kannst du glauben!«

Sie schritten weiter.

 


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