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Auf dem Wege war der Ruhsam recht gesprächig. Er erzählte dem Basili das Wesentliche von den Lockerhofleuten. Dann schilderte er die Schmotzin und das Veferl.
Basili erfuhr auch, wie der Ruhsam vorhin mit der Schmotzin handelseins wurde. Und er ward auch überzeugt, dass der Alte recht tat, indem er die Geizige zu einem guten Werke veranlasste.
Hernach fragte Basili, was er der Schmotzin sagen sollte, wenn sie zu wissen begehrte, wer er sei und was er besitze.
»Dann sag ihr die Wahrheit«, antwortete der Ruhsam.
»Wenn ich ihr meine Armut eingestehe, wird sie mich mit dem Veferl nicht einmal reden lassen wollen«, meinte Basili.
»Du bist nicht arm«, sagte der Ruhsam. »Es ist ein stockdummer Weltbrauch, dass man einen nur gerade deswegen arm heißt, weil er kein Geld hat. Tue doch den gedankenlosen Leuten nicht auch so unsinnige Redensarten nachplappern.«
Diese Lehre gedachte der Basili lustig zu befolgen.
Als die beiden aus dem Walde auf das schön gepflegte Land kamen, kochte die Schmotzin schon das Nachtmahl. Aus dem Rauchfange des Hauses stiegen dünne, blaue Rauchwölkchen, die aber der Wind gleich zerriss und förmlich auffraß, denn keines von ihnen gelangte weiter als über den Küchengarten in die klare Luft hinaus.
Auf dem Wiesenpfad kamen die beiden Männer an dem jungen Knechte vorüber. Er lag bäuchlings vor einer Erlenstaude.
Der Ruhsam redete nun so zu dem Burschen, als ob der eifrig am Werke gewesen wäre.
»Mach Feierabend, Lippei«, sagte er. »Die Bäuerin tut schon die sauer' Suppe Sauer' Suppe = gesäuerte Suppe. kochen.«
Der lange, grobknochige Lippei stand schwerfällig auf. »Da muss ich freilich gleich heimgehen«, sagte er. »Von unserer Suppe darf man nicht viel verdunsten lassen, denn die Bäuerin kocht eh so wenig.« Gleich darauf holten die beiden die Durl ein, welche eine schwere Last grünen Klees nach Hause trug. Die von einem langzipfeligen Grastuche zusammengehaltene Bürde war so groß, dass man hinter ihr die Füße der Durl nur bis zu den riesenhaften Wadenansätzen sehen konnte.
»Du könntest einem kleinen Bauer die Zaug Zaug = Fuhrgespann. ersparen«, sagte der Ruhsam zu dem Mädchen. »Weshalb fährst du denn nicht mit den Ochsen um das Futter?«
»Die haben sich vormittags eh schon bei dem Greisetfahren Greiset = Reisig. geplagt«, sagte sie. »Da tun sie mir erbarmen.«
»Du bist auch feiner als du ausschaust«, sagte der Ruhsam.
»Wo bist denn du daheim?«
»Im tuifen Wald. in der enter'n Fruisen«, antwortete sie.
»Ah so«, antwortete er, als ob er nun wüsste, weshalb sie fein sei.
Der Schmotzin kamen die Männer um ein Stündchen zu bald in ihr Haus.
Sie wollte gerade einen vollen Sechter von der Küche nach dem Saustalle tragen, als die beiden durch die Flurtüre eintraten.
Über ihre Achsel sah sie den Basili ziemlich genau an. Hernach stellte sie den Sechter hin. »Gehet in die Stube«, sagte sie recht freundlich zu den zweien. Ich will nur aus meinem Stamperkittla Stamperkittla = kurzer Kittel, Arbeitskittel. in einen anderen schliefen, dann komm' ich zu euch.«
Sie lief zu der Bodenleiter, welche an dem hinteren Flurende war. Oben auf dem Heuboden wollte sie ein gutes Gewand anziehen. Sie wäre aber ohne Weiteres in dem vielgeflickten Kittel geblieben, wenn ihr das Äußere des jungen Mannes nicht gefallen hätte. Nun musste ihr aber der Ruhsam recht kräftig zureden, ehe sie von der Leiter wegging und auf das Umkleiden verzichtete.
»Unterbrich unseretwegen deine Arbeit nicht«, sagte er. »Und lass deiner Hoffart wegen die Säu' nicht schreien. Auf dein Gewand sind wir nicht neugierig. Ich tät auch nicht warten, bis du dich umgezogen hättest. So viel Ehr' tu ich einer weiblichen Gluftprangsterei Gluftprangsterei = Kleiderprunk. nicht an. Für mich tätest du dich freilich eh nicht putzen. Sooft ich dich heimgesucht hab', bist du allweil geblieben, wie du gerade warst. Und der Basili wird dich ja jetzt öfters schiechlich Schiechlich = hässlich; unordentlich angezogen. sehen. Überhaupt muss ich jetzt heimtrachten, sonst überfällt mich die Nacht mitten im Wald.«
»Solltest du bei meiner Einbegleitung nicht doch noch ein bissl was Schönes sagen?« fragte ihn nun lächelnd der Basili.
»Nein«, antwortete der Ruhsam. »Für derweil hab' ich genug geredet. Zu schöneren Worten hab' ich Zeit, bis ich seh', dass ihr euch da nach meinem Sinn verhaltet. Und wenn du mir nicht noch was Besonderes sagen musst, Basili, so gehe ich.«
Basili wusste nun wirklich nicht gleich etwas zu sagen.
Die Schmotzin hätte zu dem Ruhsam gern viel geredet. Aber er ließ sich von ihr nicht aufhalten und machte sich auf den Weg.
Basili begleitete ihn bis über den Hausgarten. Die Schmotzin sah den beiden aus dem Türrahmen nach.
Als Basili zu ihr zurückging, hätte er dem Ruhsam schon etwas zu sagen gewusst.
»Du bist mir heute sehr lieb geworden«, hätte er ihm gern eingestanden. »Ich hab' mich noch nie so schnell an einen Menschen gewöhnt als wie an dich.«
Basili hatte schon seit Jahren kein so kindliches Abschiedsweh gefühlt wie jetzt.
Dabei freute er sich aber doch auf die kommende Zeit, als er wieder an den Thomas und an das Veferl dachte.
Die Schmotzin empfing ihn nun neuerdings recht freundlich.
Er musste mit ihr in die Stube gehen. Dann setzte sie sich zu ihm, obgleich die Säue schon ein großes Hungergeschrei machten. Sie meinte, dass er ihr sogleich etwas von seinem Herkommen und Vorhaben sagen werde. Aber er war nun zu ernst gestimmt, um zu ihr von sich selbst reden zu wollen.
Es beängstigte ihn auch die Neugier, welche dem Weibe förmlich zu den Augen heraus brannte.
Er hätte von der Alten weglaufen mögen.
Da er ihr aus eigenem Antriebe nicht gleich etwas zu wissen gab, wollte sie ihn befragen.
Dazu kam sie aber nicht, denn er fand plötzlich zum Aufstehen einen schicklichen Grund.
»Die armen Säu!« rief er. »Jetzt müssen sie meinetwegen so lang' auf den Trank warten! Dabei rang er die Hände und schüttelte sich, als ob ihm vor seiner eigenen Schändlichkeit graute.
Er lief in den Flur hinaus. Dort nahm er den vollen Sechter und eilte damit über den Wirtschaftshof zu dem hölzernen Saustalle.
Die Schmotzin lief ihm schreiend nach. Sie war zornig, weil er nicht mit sich reden ließ. Und nebenbei war sie über ihn entzückt. Als sie sah, dass er den Trank recht geschickt in die vier Futterbarren verteilte, winkte sie der Durl, die in der nahen Gsottkammer war und rief: »Da schau her! Von dem könntest du was lernen!«
Die Durl sah den Basili verächtlich an. Es missfiel ihr, dass er Weiberarbeit tat.
»Weiberfeck« Weiberfeck = Weibermann brummte sie.
Der Lippei guckte zum Mouttettürlein Mouttet = der Dachboden des Schuppens. heraus.
»Was soll denn die Durl lernen?« fragte der Alte. »Die Wohldienerei?«
Er glaubte jetzt, der Basili sei ein Knecht, den die Schmotzin für das nächste Jahr aufdingen wolle.
Sie hatte dem Lippei heuer noch kein Drangeld angeboten, obwohl nun schon Johanni vorüber war. Und er hätte auch keines von ihr genommen. Länger als ein Jahr hielt kein Knecht bei ihr aus.
Die geduldige Durl diente ihr nun freilich schon die dritte Dingzeit. Die Schmotzin würdigte den Knecht keiner Antwort.
»Wann wird denn heut' genachtmahlt?« fragte er nun. »Bis ich einen Hunger krieg', den ich mir da nicht stillen kann?«
Und Basili sagte nun zu ihr: »Ich will mir den Garten ansehen, derweil du das Nachtmahl richtest.«
Darauf lief er durch das Scheunentor in den Obstgarten.
Die Schmotzin wäre ihm gern gefolgt, um mit ihm Zwiesprache halten zu können.
Aber weil sie der Lippei scharf beobachtete, ging sie in das Haus. Sie sah in der Stube und in den zwei Kammern nach, ob das Veferl noch immer nicht heimgekehrt sei.
Das Veferl war noch im Walde. Nun fluchte die Alte gar abscheulich.
Damit sie sich aber in ihrem Zorn bei dem Suppeneinrühren und Grieskochschmalzen nicht gröblich vergreife, tat sie sich bald viele Gewalt an.
Einiges redete sie freilich während des Arbeitens vor sich hin.
»Wo das G'frast zum ersten Mal einer sehen möchte', da führt's der Teufel grad am weitesten um«, sagte sie. »Aber sie wird mich doch nicht zu Tod' giften. Wenn der Bub nur so viel hat, dass er mir den Abstand zahlen kann, so soll er sie haben. Wie es ihr hernach geht, das soll mich in meinem Ausgeding nicht bekümmern. Je mehr er sie bluit Blui = Waschprügel., desto besser wird es ihr tun. Aber sobald er sieht, dass sie nicht einmal rechtzeitig zum Nachtmahl heimkommt, kann er sie ja niemals mehr mögen, wenn er ein frutiger Frutig = wohl gedeihen. ist. Und er ist ein frutiger. Das kenn' ich schon. Der will sich erst gut umsehen, eh er sich zum Nesten herbei lasst. Und er kann sich die Beschau was kosten lassen. Wär' er ein lausiger Notvogel, könnt' er nicht zu mir auf die Hürwa gehen. Leider wird er allzubald erkennen, was für ein Ausbund das Dirndl ist. Er läuft mir gewiss davon, eh' ich einen Gulden an ihm verdient hab' – denn des Thomerl wegen ist er ja nicht hergekommen. Und wenn sie ihn vertreibt, dann ermostle ich sie.«
Sie hatte jetzt das Grieskoch zu Ehren des Gastes noch über und über mit Honig belegt.
Dann deckte sie den Tisch. Hernach wollte sie in den Garten zu dem Basili. Aber da kamen der Lippei und die Durl in die Stube.
Sonst rief sie die beiden, wenn das Mahl fertig war. Weil sie aber diesmal den gebräuchlichen Schrei nicht rechtzeitig erschallen ließ, kamen die zwei ungerufen.
»Wartet«, sagte sie ihnen. »Ich muss noch den Basili holen.«
»Den hol' ich schneller als du«, sagte der Lippei.
Sonach hüpfte er durch eines der offenen Stubenfenster hinaus und kam alsbald mit dem Basili zur Stubentür herein.
Die Bäuerin brachte nun das Nachtmahl auf den Tisch. »Das Veferl ist noch nicht daheim«, sagte sie zu dem Basili. »Ich hab' sie um was in den Pfarrort geschickt.«
Da lachte nun der Lippei. Und dann wollte er sagen, dass er das Veferl gegen die Morgenseite hin gehen sah und dass der Pfarrhof südlich vom Schmotzenhause lag.
Aber ehe er die Alte Lügen strafen konnte, fing sie laut das Tischgebet zu sprechen an.
Während des Mahles wurde nach altem Bauernbrauch nichts gesprochen.
Die Durl stand zuerst vom Tische auf. Sie war keine starke Esserin, soviel sie auch wie eine solche aussah.
Ihr war die Riesenhaftigkeit derart angeboren, dass sie gar nicht viel tun musste, um sich so zu erhalten, wie sie war.
»Wenn sie sonst den Tisch verließ, sagte sie zu der Schmotzin »Vergelt's Gott«.
Diesmal sagte sie es aber zu dem Basili. Gleich nach ihr stand der Lippei auf.
»Vergelt's Gott«, sagte auch er zu dem Basili.
»So gut wie heut' hab' ich mich schon lang' nicht an'gessen.«
Darauf gingen die beiden hinaus zu ihrer Stallarbeit.
»Wie sie das Hinikoch Hini = Honig. bracht' hat, hab' ich schon gewusst, dass er ein Örterschauer Örterschauer = Hab und Gut beschauender Freier. ist«, sagte draußen der Lippei zu der Durl.
»Ich weiß nur so viel, dass er ein Leahl Leahl = Tölpel. ist«, sagt die Durl. »Ein G'höriger ist gegen kein Weibsdoan Doan = Ding, Wesen. so höflich, dass er ihm gleich den Sausechter abnimmt.«
Darauf meinte nun der Lippei: »Das Veferl brauchet ja so einen Hausbosel, weil sie doch selbst nicht häuslich ist.«
»Nein«, sagte die Durl. »Die braucht einen, der sie häuslich macht.«
Die Schmotzin wäre nun gerne bei dem Basili sitzen geblieben. Aber sie hatte viel in der Kammer zu tun, welche sie ihm später anweisen wollte.
Während Basili aus der nun schon finsteren Stube in die Abenddämmerung sah, kam das Veferl durch die hintere Flurtüre in den Küchenraum.
Sie öffnete die Bratröhre, in der sie sonst wenigstens ein Töpfchen Suppe fand. Diesmal hatte ihr die Alte von dem Nachtmahle nichts übriggelassen.
Das Veferl ging in den Flur. Dort hoffte sie in der Allmer Allmer = großer Vorratsschrank. den angeschnittenen Brotlaib zu finden. Aber die Allmer war diesmal gesperrt.
Das Veferl wollte nun lieber hungern als die Alte anbetteln.
Sie ging nach ihrer Kammer. Dort wollte sie sich ins Bett legen. Aber sie fand ihre Pölster und Tuchenten vor der Türe. Sie lagen auf einem großen, alten Säetuche, denn die Schmotzin wollte sie in das kleine Zimmer bringen, welches über der Stube war.
In der Kammer überzog die Alte soeben ein großes Heiratsbett, welches sie zuvor vom Boden herab gebracht hatte, mit frischen Linnen.
Da staunte nun das Veferl gar sehr.
»Was machst du denn da?« fragte sie zu einer Türspalte hinein.
Die Alte nahm nun schnell einen dickgefüllten Polster und wollte ihn dem Veferl so stark als möglich um den Kopf schlagen.
Aber das Mädchen wich flink zurück.
»Bleib stehen!« zischte die Schmotzin.
Sie wollte nicht laut reden, damit sie der Basili nicht höre.
Er hörte sie wirklich nicht, weil der Abendwind ziemlich laut an den Stubenfenstern vorüberpfiff.
»Strähl dich!« befahl die Alte dem Mädchen.
»Zieh auf dem Boden oben das blaugedruckte G'wandl an! Es ist einer in der Stube, der dich sehen will.«
Das Veferl staunte nun noch viel mehr.
Bisher hatte ihr die Alte noch niemals gesagt, dass sie sich für jemanden schön anziehen solle.
»Wer ist denn der?« fragte sie.
Darauf gab ihr die Schmotzin keine Antwort. Das Veferl wurde nun auf den, der in der Stube war, so neugierig, dass sie in die Küche lief und ein wenig auf ihn hineinguckte.
Er sah noch immer in den Abend hinaus.
Sein Gesicht hob sich gegen das Licht des Fensters scharf ab. Das Veferl erkannte ihn augenblicklich.
Da befiel sie ein Schrecken, der sie ganz schwindelig machte.
Aber sie schlich doch wieder so leise zurück, dass sie der Basili nicht hörte.
Vom Hofe kletterte sie über eine Leiter zu dem Heuboden empor. Dort verkroch sie sich wie ein Wiesel, das soeben einen Fuchs oder gar einen Menschen gesehen hat.
Dann glaubte sie zunächst, dass der Basili deshalb gekommen sein könnte, um sie wegen des zerbissenen Ohrläppchens bei der Mutter zu verklagen.
»Wenn er so kindisch wär', dann brauchet mir nichts an ihm zu liegen«, sagte sie sich.
Vorläufig lag ihr noch viel an ihm.
Und das machte ihr großen Ärger.
Sie hätte gerne gar keine Achtung vor ihm gehabt.
Nach längerem Nachdenken hielt sie es für möglich, dass er darauf ausging, sie noch öfters zu küssen.
Da geriet sie erst recht in Aufregung. Und sie bekam solche Angst, dass sie betete:
»Mein' liebe Himmelmutter! Ich bitt' dich gar schön, hilf mir! Wann mir der Bub' manns werden will, so lass mich gewinnen und nicht ihn. Gib's nicht zu, dass er mich erbändigt und dass ich ihn nachher für die Grobheit noch gern haben muss. Das wär' für mich die größte Gall' und Schand'. Ein spottvoller's Unglück könnt' mir gar nimmer widerfahren.
Wenn ich dir nicht brav genug bin, so straf' mich anderswie. Nur kein Mannerts lass mir zu Leib' kommen. Ich bitt' dich recht gar schön.«
Hernach flüsterte sie erlernte Gebete. Aber dabei gab sie doch das eigene Denken nicht auf. So sagte sie denn gar fromme Worte und wünschte sich gleichzeitig nichts Holderes als eine Leibeskraft, mittels welcher Basili leicht zu werfen gewesen wäre.
Veferl glaubte wirklich, dass sie, um ihn gar nicht fürchten und achten zu müssen, nur einer Stärke bedurfte, mit welcher derjenigen leicht zu begegnen war, welche er ihr ihm Walde gezeigt hatte.
Wenn sie betete, so erhoffte sie dafür auch immer ein Wunder. Anders als in Gefahren betete sie nicht. In solche kam sie freilich nicht selten.
Sie machte ja auf den Wässern und Felsen der Gegend den Fitzerveichtlbuben alle Wagestücke nach.
Und weil sie trotzdem noch heute ihre geraden Glieder hatte, so war es nicht wenig begründet, dass sie an Wunder glaubte. Aber mehr als von dem wurde sie von ihrer Neugier gebrannt. Sie hätte wenigstens wissen mögen, ob der Basili in dem Malerstübchen und in dem Heiratsbette übernachten würde. Ein Stündchen lang wollte sie auf dem finsteren Heuboden bleiben, ehe sie hinabstieg, um etwas zu erspähen.
Die Schmotzin machte indessen das Stübchen für den Basili bereit, dann stieg sie nach dem Schüttkasten empor. Dort wollte sie nachsehen, ob sich ihre Tochter auch wirklich hübsch anzog. Sie wollte ihr auch manches zu Gemüte reden. Als sie das Mädchen auf dem Schüttkasten nicht fand, wusste sie schon, dass es heute den Gehorsam durchaus nicht im Sinne führte.
Dann versuchte sie es auch nicht lange. Sie war bald überzeugt, dass es schwerer zu finden und zu ergreifen sein würde als das Eichhorn im finsteren Walde.
Nun verbiss sie aber ihren Zorn, ging in die Stube und sagte zu dem Basili: »Unser Dirndl wird heute wohl im Pfarrdorfe bei der Muhm' übernachten, sonst wär' es schon daheim.« Basili dachte nun schon seit einer Weile daran, dass sich Veferl in ihrer Wut seinetwegen etwas angetan haben könnte.
Und dabei hatte ihm die Angst bereits den Schweiß auf die Stirn getrieben. Auf die Worte der Schmotzin sagte er nichts.
Sie wollte jetzt, um ihn genauer sehen zu können, das Stubenlämpchen anzünden. Aber Basili wollte ihr seinen Angstschweiß nicht bemerken lassen. Deshalb gab er es nicht zu, dass sie Licht machte.
»Sei nicht so uraßig Uraßig = verschwenderisch.«, sagte er. »Im Heuget darf man zum Feiern kein Licht brauchen.«
Die Rede gefiel ihr nun als Zeichen großer Sparsamkeit gar wohl.
»Du hast recht«, sagte sie. »Zum Reden sehen wir ja auch im Finstern.«
Aber er war nicht gesonnen, sich jetzt, wo ihn ein so großer Kummer quälte, auch noch verhören zu lassen.
Er sagte, dass er, weil ihn der Kopf schmerze, noch ein wenig in das Freie gehen werde. Dann lief er hinaus.
Am liebsten hätte er nun das Veferl laut schreiend und bittend im Walde suchen mögen. Aber er glaubte, dass sie sich nicht in arger Not auf sein flehentliches Rufen gemeldet hätte.
Er getraute sich nicht einmal aus dem Hausschatten in das Mondlicht, denn er meinte, dass sie von irgendwo aus dem Waldrunde auf ihn sehen und dann erst recht nicht heimkehren könnte.
Als er seufzend und stöhnend an verschiedenen Stellen der Scheunenwand gelehnt hatte, ging er wieder in das Haus und bat die Schmotzin um ein Nachtlager. Er wollte aber nicht schlafen, sondern an dem offenen Kammerfenster, das ja dem Großbauernwalde zugewendet war, spähen und horchen.
Und wenn dann sein Warten lange vergeblich blieb, wollte er die Schmotzin, den Knecht und die Durl wecken und mit diesen dreien das Veferl suchen gehen.
Was er dann der Schmotzin von seiner und des Veferls Begegnung sagen sollte, das stellte er sich jetzt in seinem Kopfe noch nicht zurecht. Er war überzeugt, dass ihm eine passende Lüge während des Mundaufmachens einfallen würde. Die Schmotzin bedrängte ihn jetzt mit keinem Fragen. Sie wusste, dass ihm das lästig gewesen wäre. Und sie wollte sich ihm bis auf Weiteres angenehm machen.
So führte sie ihn denn in das Malerstübel. Dort zündete sie eine Kerze an. Dabei sagte sie ihm, dass er sie zu jeder Weile der Nacht rufen könne, falls sich sein Unwohlsein verschlimmern sollte.
Hernach ließ sie ihn allein.
Er war nun von seinem Jammer so verstört, dass er das gar reich eingerichtete Stübchen kaum besah.
Aber dann betrachtete er doch ein Bild, welches an der Hinterwand über drei aufeinander gestellten, vollen Leinwandtruhen hing. Es stellte ein wunderschönes, von lichten Haarwellen umgebenes Jungfrauenantlitz dar.
Bisili hielt es für ein Muttergottesbild. Und es fiel ihm deshalb auf, weil es dem Gesichte Veferls ähnlich war.
Aber dann meinte er, an diese Ähnlichkeit nicht glauben zu dürfen, und er redete sich ein, dass ihn seine Angst irre sehen mache. Der Ruhsam hatte ihm heute manches von dem alten Maler Gabriel erzählt. Und deshalb fragte sich nun Basili auch alsbald, ob es denn möglich sein könnte, dass dem alten Künstler bei dem Muttergottesmalen das Veferl ein Vorbild gewesen war. Und er dachte: »Wenn ich ein Maler wär', so tät' ich die lieb' Himmelmutter gewiss nicht anders malen, als wie sie mir in meinem Geiste erschiene. Und erschiene sie mir darin nicht, so ließe ich das Muttergottesmalen bleiben. Ein jedes Weib wär' mir zu so einem Werk als Vorbild zu schlecht. Und wenn ein Weiberts nur halbwegs fromm und vernünftig ist, so gibt es auch gewiss zu einer solchen Verunehrung unserer lieben Frau kein Mittel ab.«
Basili mochte nun weder den Gabriel noch das Veferl im Verdachte haben.
Und er wollte die höchste Heilige bitten, sie möchte ihn nicht länger so falsch sehen und so abscheulich denken lassen und ihn auch gleich von seiner jetzigen Furcht und Sorge befreien.
Er kniete sich vor die Truhen hin, sah zu dem Bilde empor und betete.
Der alte Gabriel hatte dieses Bild wirklich gemacht. Aber er hatte nicht gewollt, dass es für ein Muttergottesbild betrachte werden solle. Es war ihm unversehens wie ein solches geworden.
Das Bild war von seinen Kunstwerken das zuletzt entstandene. Er machte es, als er schon recht krank und zum Dreschen und Erdäpfelgraben untauglich war.
Und Veferl gab ihm zu dieser Schöpfung den Anlass.
Sie hätte zu jener Zeit seine Pflegerin sein sollen. Er konnte freilich noch in seinen letzten Tagen außerhalb des Bettes sein und manche leichte Stubenarbeit tun.
Aber zuweilen hätte er Veferl doch recht nötig gebraucht. Und sie ließ ihn immer wieder im Stiche und lief im Walde herum. Er gab ihr niemals einen scharfen Verweis. Dazu war er zu gut und zu redefaul. Er wollte es ihr aber trotzdem zeigen, wie sie von Rechts wegen hätte sein sollen. Und deshalb malte er sie während seines Leidens.
Und er legte dem Bilde den Ausdruck aller jenen guten Eigenschaften in das Gesicht, welche er dem Veferl wünschte.
Als ein überaus sanftmütiges, aller unholden Eigenheit lediges Wesen stellte er sie dar. Im Vergleiche zu diesem Bilde sah Veferl beinahe bösartig aus, so schön sie sonst auch war und so wenig ihr auch die Wildheit im Gesichte geschrieben stand.
So stellte er sie gewissermaßen zuschanden, indem er sie verherrlichte.
Er sagte sich: »Sie wird sich vor dem Bilde schämen. Und sie wird es achten müssen. Und deshalb wird ihr dessen Anschauung frommen.« Bisher übte sein Werk auf Veferl keine heilsame Wirkung.
Sie verhöhnte es so, wie das übermütige junge Leute guten Lehren und Beispielen machen. Und sie war so eitel, dass sie es auch keineswegs für so schön schätzte als wie sich selbst.
Einem Liebfrauenbilde fand sie es wohl etwas ähnlich.
Aber das leugnete sie sich selbst ab, damit sie es nur ja nicht verehren müsse.
Die Schmotzin sagte, dass auf dem Bilde zu dessen richtiger Vollendung nur ein Heiligenschein fehle und dass es dem Veferl nicht anders ähnlich sehe, als wie ein himmlischer Engel einem gestürzten.
Basili hatte zuerst wirklich gemeint, dass ein Heiligenschein auf dem Bilde sei.
Dem Veferl strebte nämlich von der schweren Haarmenge immer viel loses, zartes Gekräusel ab. Und das um schwebte ihr manchmal wirklich den Kopf derart, dass es einem goldigen Wölkchen glich.
Der Alte hatte dieses Flughaar gemalt. Und er wusste, dass es bei näherem Draufschauen niemand für einen Heiligenschein halten würde.
Basili sah nun auch, dass es keiner war, obwohl die Unschlittkerze in dem Zimmerchen mehr Rauch als Licht verbreitete.
Aber er blieb davon überzeugt, dass er vor einem Liebfrauenbilde knie.
Veferl verließ mittlerweile ihr Versteck. Sie hüpfte durch die Heuluke Heuluke = Ausschnitt im Dache, durch welche das Heu eingeheimst wird. auf den Anger.
Dann umschlich sie den Hof. Drinnen war jetzt alles stille.
Der Lippei hatte sich im Ochsenstalle zur Ruhe begeben und die Durl bei ihren Kühen. Und die Schmotzin saß im Mondenlichte vor der inneren Flurtüre auf dem Steinstaffel und rupfte eine alte Henne ab.
Sie wollte morgen etwas von ihrer Kochkunst zeigen.
Als Veferl den Lichtstreifen sah, welcher durch das offene Fenster des Malerstübels in den Garten fiel, wusste sie, wo der Basili war. Um sich völlig zu überzeugen, wollte sie in das Stübchen gucken. Sie ging neben dem Lichtstreifen hin.
Nachdem sie so weit war, dass man sie von dem Fenster aus kaum mit einer Wurfschlinge hätte fangen können, spähte sie in den kleinen Raum.
Sie hatte sich nur ein kurzes Hinsehen vorgenommen. Aber dann vergaß sie diesen Vorsatz. Sie sah den Basili vor ihrem Abbilde knien. Da wusste sie, dass er meinte, es sei ein Muttergottesbild. Sie entsetzte sich nun wirklich so viel wie bisher noch nie und betrachtete den Irrtum Basilis für über alle Maßen unheilvoll. Einem großen Verbrechen hätte sie leichter zusehen können als dieser Andacht des jungen Menschen.
Es ward ihr auch gleich so zumute, als ob sie an dem Hierknien des Basili die alleinige Schuld trüge. Sie glaubte, auf keine himmlische Hilfe mehr hoffen zu dürfen, wenn sie es zuließ, dass er das Bild noch länger so ungebührlich verehrte.
Und diesmal lag ihr ja an himmlischer Hilfe mehr als je. Ob sie ebenso viel erregt worden wäre als wie jetzt, wenn sie einen anderen Menschen vor dem Bilde knien gesehen hätte, drüber befragte sie sich nun nicht. Sie rannte zu dem Fenster. Dann schrie sie in das Stübel hinein: »Dummer Kerl, du betest ja mich an!«
Basili schnellte in die Höhe.
In ihm war jetzt aller Jammer auf einmal tot und alle Freude lebendig.
»Wenn ich gewusst hätt', dass das richtig dein Bild ist, hätt' ich davor kein Knie gebogen«, sagte er. »Aber die lieb' Himmelmutter hat doch meinen rechten Willen für ein rechtes Werk hingenommen. Das kann ich klar erkennen. Ich habe sie um dich gebeten« –.
Veferl verstand ihn nun nicht ganz gut.
»Und ich hab' sie wider dich aufgerufen«, sagte wie. Dabei funkelten ihre Augen schon recht kampfesmutig.
Da lächelte er ein wenig. Sie hatte ihm nun mehr verraten, als sie wollte.
»Und sie hat meine Bitt' erhört«, redete Basili weiter. »Mein Gebet war noch nicht aus, da bist du schon dagestanden und –«
»Und hab' verhütet, dass du dich noch länger so unsinnig verkennst«, fiel ihm Veferl in das Wort. »Sie hat mich wohl hergeschickt, damit ich dir deine eigene Dummheit vorstell'. Du könntest dich an dem schlechten Bildl nicht so unerhört verschaut haben, wenn du wie ein vernünftiger Mensch um dich sehen tätest.«
»Das Bildl ist nicht schlecht«, sagte Basili. »Ich werd's allweil gern anschauen. Besonders, wenn du recht streitig bist.«
»Du sollst es nicht anschauen«, sagte sie. »Und es soll kein Ärgernis mehr geben. Ich verbrenn's. Geb' es mir heraus.«
»Nein«, antwortete er. »Ich glaub', das Bild sollte dich eher gut beraten als ärgern können. Und mich macht es auch eher andächtig als sonstwie. Ich will ihm für so lang', als ich hier bleibe, auch einen besseren Platz in dem Stübel geben. An der Hinterwand sieht man es zu wenig.«
»Wie lange willst du denn hier bleiben?« fragte nun Veferl hastig.
»Bis ich dich so sanft und fromm gemacht hab', als wie du da auf dem Bilde aussiehst«, antwortete er.
Veferl hüpfte durch das Fenster in das Stübchen, dann stürmte sie an dem Basili vorüber und riss das Bild von der Wand.
Basili sah ihr zu. Ein Reden schien ihm da vergeblich. Und entreißen wollte er ihr das Bild nicht. Ein gewaltsames Einschränken ihres Handelns hielt er für durchaus unstatthaft.
Veferl war freilich auf eine Balgerei gefasst. Und sie gedachte ihm gar grob zu kommen, wenn er sie anrührte.
Sie warf das Bild zum Fenster hinaus. Dann schwang sie sich flink über die Brüstung. Draußen hob sie das Bild wieder auf und lief damit dem Teiche zu.
Sie meinte, dass sie der Basili verfolgen werde.
Manchmal bildete sie sich wirklich ein, dass sie seine Tritte höre und seinen Atem fühle.
Für seine Tritte hielt sie das Schlagen ihrer eigenen Schläfe und für seinen Atem den Wind.
Vom Ufer lief sie noch ein Stückchen weit in den Teich hinein.
Sie dachte, dass ihr Basili dorthin nicht so bald nachkommen würde, weil er in Schuhen und in schönen Hosen war.
Wo sich das Wasser vertiefte, blieb sie stehen. Dann schleuderte sie das Bild auf die dunkle Wasserfläche hinaus.
An dem platt auffallenden Rahmen spritzte das Wasser empor.
Und das sah dann im Mondlichte einem wahren Perlenkranze gleich.
Hernach umzog das Bild ein leuchtender Wellenkreis, der das Veferl an einen Heiligenschein gemahnte.
Sie blickte nun aber schnell nach dem Ufer zurück.
Als sie den Basili nicht sah, erschauerte sie fast ein wenig.
Auf Umwegen lief sie dem Hofe zu. Als sie schon ziemlich weit von dem Teiche war, sah sie sich scheu um.
Der von dem Bilde ausgehende Kreis schimmerte noch mehr als zuvor.
Da wurde dem Veferl beinahe so wie nach einer Untat zumute.
Aber sie redete sich ein, dass sie doch recht getan habe.
Dann wäre sie gerne in die warme Stube gegangen.
Aber sie traute der Mutter zu wenig. So stieg sie denn wieder durch die Dachluke ein und verkroch sich in das Heu.
Es behagte ihr nicht in diesem Lager. Das Heu stach, kratzte und kitzelte sie. Der Hunger tat ihr auch mächtig weh.
Dabei stellte sie sich es vor, wie weich und wohl der Basili in dem schönen, warmen Heiratsbette liegen werde.
Trotz der jämmerlichen Not weinte sie nicht. Es kam ihr ein Zorn, der ihr den Tränenquell auszutrocknen schien.
Sie flehte in ihrem Nachtgebete nicht um eine gute Liegestätte und um Brot, sondern nur um ein Zuschandenwerden des jungen Mannes.
Riesenkräfte wünschte sie sich, um ihn aus dem Bette reißen und über mindestens sieben Berge hinwegschleudern zu können. Dabei ließ sie ihre Zähne aneinander knarren und fauchte.
Die auf dem Boden hausenden Mäuse mochten wohl meinen, dass eine grimmige Katze in der Nähe sei.
Basili stand nun an dem Fenster des Malerstübels.
Er war vorhin dem Veferl gar nicht in das Freie gefolgt.
Von dem Fenster aus konnte er die Stelle nicht sehen, an welcher Veferl das Bild dem Wasser übergab, denn es blinkte nur ein Endchen des Teiches über die Wiesenstauden dem Schmotzerhofe zu. Er war nun davon überzeugt, dass sie das Bild gerade deshalb vernichten wird, weil es ihm gefiel.
Dann dachte er: »Dass sie jetzt mir etwas zuleide tun will, ist mindestens ein so großer Liebesbeweis, als es einer gewesen wäre, wenn sie sich draußen im Walde selbst etwas zuleide getan hätte.«
Und er nahm es ihr nun gar nicht übel, dass sie so wild in das Stübchen eingefallen war.
Sein Nachtgebet verrichtete er dann auch an dem Fenster.
Der Himmel sah jetzt so aus, wie manches Mal, wenn ihn die Dorfkinder den Mantel der Himmelmutter nennen. Sein blauer Grund war unten herum mit silbern glänzenden Wolken verbrämt, und von jedem größeren Stern sah man seine Strahlen ausgehen. Und es war ihm die ewige Weite besser als dem hellsten Tageshimmel anzusehen.
Vorhin hatte sich Basili bei seinem Beten bescheidener gezeigt als wie jetzt.
In seiner Angst wäre er schon recht gerne mit einer heilen Rückkehr Veferls zufrieden gewesen.
Jetzt wünschte er schon wieder viel mehr. »Schenk mir das Dirndl, liebe Frau«, betete er. »Ich will's wirklich braver machen!«