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10.

Um Mitternacht schlief Veferl auf dem Heustocke ein. Als der Hahn den Tag zu grüßen anfing, wachte sie mit ihrem Jammer auf.

Sie blieb nun nicht länger auf der tausendspitzigen Schlafstelle. An einem großen Brunnenbecken, das hinter dem Hause auf dem Anger war, wusch sie sich. Dann lief sie dem Teiche zu.

Auf der Schmotzenwiese lag ein weißer Nebelfladen. Als ihn Veferl durchschritt, reichte er ihr kaum bis an die Mitte. Er war aber doch so dicht, dass sie von dem langen Klee nur die roten Dolden sah.

An jeder Dolde hingen schimmernde Tauperlen. Die putzten den Morgenmantel des Feldes gar prächtig auf. Soweit sich der Himmel dem Tale sehen ließ, war er sauber genug. Vom Osten her durchzog ihn ein Schwarm feuerfarbener Wölkchen. Die kündeten es dem Lande, dass es auch bald die Sonne sehen werde. Auf den großen Talbach warfen sie ein Licht, dass er wie ein mit hellem Golde gepflasterter Weg glänzte. Aber den Teich traf ihr Schein noch nicht viel.

Veferl umkreiste den Teich. Dabei sah sie immer scharf auf das Wasser. Dann ging sie wieder heim zu.

»Ist das Bild untergegangen?« fragte sie sich.

»Oder ist es davon geschwommen? Oder ist er nach mir an den Teich gekommen und hat es herausgeholt?« Dann schlug sie sich mit der kleinen, braunen Faust an die weiße Stirne. »Ich dummer Teufel«, murmelte sie. »Jetzt hab' ich es ihm vielleicht erst recht ausgeliefert. Warum hab' ich es denn nicht auf tausend Fetzen zerrissen? Wenn er jetzt will, so kann er es abtetschnen Abtetschnen = abohrfeigen. oder anspucken oder–« Sie zauste sich nun das lichte Haar, zeigte die schönen, weißen Zähne und strampelte mit den nackten Füßen eine Grube in die weiche Wiesenerde.

»Mein Lebtag tu' ich nichts mehr im Zorn«, schwor sie dabei.

Hinter dem Hofe stieg sie auf einen an süßer Frucht schwer tragenden Herzkirschenbaum.

Es war ihr von dem langen Hungern schon übel. Nun pflückte und aß sie fleißig.

Unterdessen ging das Scheunentor auf. Die Schmotzin kam heraus und hielt Umschau. Sie sah bald, dass Veferl auf dem Baume war.

Nun wollte sie einmal gütlich zu ihrem Kinde reden. Zuerst hielt sie ihm allerdings seine ganze Ungeratenheit vor. Dabei weinte sie viele Tränen.

Aber dann bat sie es mit aufgehobenen Händen, dass es doch der Ehre ihres Hauses wegen so lange einige menschliche Art zeigen möchte, als der fremde Mensch hier blieb.

»Wer ist denn der Fremde, und was will er?« fragte Veferl in einem gut geheuchelten Tone des Gleichmutes.

»Seine Herkunft kenn' ich nicht«, sagte die Schmotzin. »Wenn die nicht achtbar wär', so hätt' ihn der Ruhsam nicht bei uns eingestellt. Ein stiller Bub ist es. Er redet nicht gar gern von sich selbst und wahrscheinlich darum nicht, weil er da viel Schönes sagen müsst. Vor dem müsstest du dich wohl groß schämen, wenn du das rechte Ehrgefühl hättest.«

Und dann erzählte sie, dass ihn der Ruhsam dem Thomas gebracht habe.

Veferl erschrak nun mächtig. Sie hätte es gleich sagen mögen, dass sie den Basili hier nicht dulden werde.

Aber sie wollte es nicht verraten, dass sie sich vor der Liebe fürchtete. Ihr Vertrauen zu der Mutter war zu gering. Die Alte sagte nun noch, dass sie bei der Verpflegung Basilis etwas verdienen werde und dass sich Veferl auch deshalb gegen ihn artig stellen müsse. Über diese Zumutung geriet das Mädchen in einen Zorn, der es nicht länger schweigen ließ.

»Wir brauchen so einen Klachl nicht im Hause«, sagte es. »Und ehe ich ihn noch einmal in unserem schönsten Bette liegen lass', zünd' ich es ihm unter dem Leibe an.«

Nun erzürnte auch die Schmotzin neuerdings, und sie sagte: »Du verdienst dir das Essen, das ich dir gebe, gar nie. Und da möchtest du mir noch den vertreiben, an dem ich etwas verdienen will. Aber das wirst du nicht zuwege bringen. Wenn du ihn beleidigen willst, so versuch es nur. Ich geb' ihm die Vollmacht, dass er dir gleich eine jede Grobheit gebührend zahlen darf. Jetzt komm mit herein. Helf mir in der Küch'. Sonst kriegst du kein Frühstück.« Sie ging in das Haus.

Veferl folgte ihr des Frühstückes wegen. Als abgekocht war, aß es seinen Teil gleich in der Küche. Das ließ die Alte gelten, denn sie dachte: »Wenn das Dirndl seinen ganzen Hunger am Tisch stillen tät', so müsst' es der Basili für einen Vielfraß halten.« Aber dann sagte sie: »Ess am Tisch auch noch mit.«

Darauf antwortete Veferl nichts.

Nachdem sie satt war, ging sie hinter das Haus und begann Reisig zu hacken.

Sie meinte, dass ihr bei dieser Arbeit einige Bangigkeit vergehen könnte. Aber es wurde ihr dabei kaum leichter.

Ihre Herzensnot war jetzt gar zu groß. Den Basili sah sie über die Felder dem Teiche zulaufen. Er hatte im Teiche ein Bad genommen. Sie meinte, dass er des Bildes wegen aus gewesen war. Er wünschte ihr laut und freundlich einen guten Morgen. Sie stellte sich so, als ob sie seine Worte weder hören noch sonst irgendwie empfinden könnte. Er wollte nun nicht noch vernehmbarer grüßen, weil ihn dann die Dienstboten gehört und ausgelacht hätten. Als er in die Stube kam, schrie die Alte gleich zur Flurtüre heraus: »Veferl! Veferl!« das Mädchen hackte weiter.

»Heut' bringt man sie wieder einmal nicht von der Arbeit weg«, sagte dann während des Essens die Alte zu dem Basili.

»Und sonst bringt man sie nicht dazu«, brummte der Lippei.

Er glaubte, dass Veferl dem Basili einen Arbeitseifer zeigen wollte. Da tat er ihr freilich unrecht.

Basili glaubte, dass ihr seinetwegen die Lust zum Essen verging. Und sie tat ihm deshalb so leid, dass ihm selbst kein Bissen schmeckte. Als er das Haus verließ, sah er sich öfters nach ihr um.

Einmal begegneten sich dann die Blicke der beiden. Aber da sah sie so schnell von ihm weg, als ob er ihrem Geschaue so weh täte, wie augenkranken Leuten ein Blitz.

Basili ging in den Großbauernwald. Dort suchte er Thomas und fand ihn nicht. Dann suchte er den Lockerhof.

Den erkannte er von einer Waldblöße aus, ohne ihn jemals zuvor gesehen zu haben.

Trümmer und Fetzen waren dieser Bauschaft deutliche Schildzeichen. Als Basili zu dem Hause kam, war Cyrill seit einem Weilchen auf dem Wege nach Stiggestal.

Hanni und Thomas hatten den Fortgehenden bis an das Scheunentor begleitet. Dann sagte Thomas zu der Mutter: »Jetzt lauf' ich in den Großbauernwald. Der Basili wird mich dort suchen.«

»Wenn er dich wirklich sucht, so wird er auch hierher kommen«, entgegnete Hanni. »Ihm ist das Laufen heilsamer als dir.«

»Ich will ihm aber das Zu-mir-Kommen nicht erschweren«, sagte Thomas.

Hanni seufzte. Dann sagte sie: »Ja, ich weiß es, dass du dir von niemandem etwas erleichtern lassen willst. Das hätt' der Ehnl auch wissen sollen, dass dir nicht zu helfen ist.

Er tut dir nichts Gutes, wenn er dir einen Freund gibt. Eh' dich ein solcher einer Mühe überheben kann, rantest Ranten = sorgen, härmen, quälen. du dich um ihn krank. Du bist gegen alle zu gut, nur nicht gegen mich, sonst brächtest du dich nicht für andere um – sondern tätest nur für dich selber sorgen.«

Hanni schalt den Thomas fast täglich auf solche Weise aus. Neugierig war sie nun aber doch auf den Basili.

Als sie von der Heimat fortgegangen war, hatte er der Arbeit noch nicht abgeschworen. Später war es ihr erzählt worden, wie er sich in der Welt verändert hatte.

Und gestern sagte ihr Thomas, dass er den Basili arbeitslustig gemacht habe. Sie wollte das Wesen Basilis gründlich beschauen. Thomas sagte nun: »Ich möchte' ihm doch entgegengehen. Ich gehe viel leichter, als ich warte.«

Die Freude verschönte nun dem Thomas derart das Gesicht, dass ihn Basili anstaunen musste. Zu einem anderen Grüßen kam es nun nicht zwischen den zweien. Sie sahen einander nur in die Augen.

Hanni beobachtete die beiden recht scharf. Sie sah, dass Thomas glücklich war. Ob es der Basili auch war, das konnte sie nicht erraten. Er grüßte sie höflich. Sie sagte dann zu ihm: »Schau, was mein Bub jetzt für eine Freude hat. Wenn du ihm die grün erhalten könntest, das wär' schön. Aber das geht nicht, denn da müsstest du ja grad so sein wie er. Was du anders empfindest als er, das wird für ihn zu lauter Leid werden.«

Da sah nun Basili wohl, wie viel sie von ihm für ihren Buben verlangte.

Ihre Worte trafen ihn fast auch so, als ob sie gesagt hätte: »Wenn du ein Minderer bis als er, so geh gleich wieder.«

Er glaubte, dass er ein Minderer sei. Aber er fühlte, dass er bei dem Thomas ein besserer werden könnte. Und das wurde ihm nun für sein Bleiben wieder derart der Hauptgrund, dass er für eine Weile ganz auf das Veferl vergaß.

Er sagte zu dem Thomas: »Ich will halt von dir empfinden lernen.«

Hanni sah, dass er das im Ernst sagte. Und das gefiel ihr nun.

»Es ist wohl das Gotteswunder möglich, dass ihr zusammenpasst«, sagte sie. »Aber dann ist es der Cyrill nicht wert, dass ihr euch für ihn verbindet.«

»Es wär' kein Gotteswunder, dass Basili und ich zusammenpassen, wenn wir nicht auch den Cyrill unser wert machen wollten«, sagte Thomas.

Hanni wollte nun den Basili in die Stube führen.

Aber er sagte: »Ich bin nicht in die Zaal Zaal = Besuch. hergekommen. Und den Thomas fragte er: »Was arbeiten wir heut'?«

Darauf antwortete nun zunächst die Hanni: »Nichts. Heut' sollt ihr feiern.«

»Nein«, sagte Thomas. »Wir stechen ein Stück von dem brachen Pflanzsteig Pflanzsteig = Gartenfeld, Pflanzgarten. um. Wenn Cyrill Geld bringt, kaufen wir Wasserrübensamen und –«

Hanni unterbrach seine Rede. »Wartet doch, bis ihr den Samen wirklich habt«, sagte sie. »Sonst stecht ihr vielleicht nur um, damit die Krähen Würmer finden.«

Aber sie machten sich doch an die Arbeit. Basili ließ den Thomas freilich nicht viel tun.

Ihm selbst war nun das Arbeiten ein lustvoller Genuss. Thomas sah ihm bewundernd und andächtig zu.

Hanni kochte indessen trotz aller Armut und Not nichts Minderes als ein Schmalzkoch Schmalzkoch = ein Gemisch aus Eiern, Milch und Gries, das, damit es sich nicht anlegt, in einem gut ausgeschmierten Topf gebacken und hernach mit kaltem Rindschmalz geschmalzt wird.. Sie hoffte, dass Basili bei ihr mittagmahlen würde.

Aber als sie zum Essen rief, küsste Basili den Thomas auf die Stirne und sagte: »Nachmittags komm' ich wieder.«

Dann lief er dem Schmotzenhofe zu. Veferl hatte indessen immerfort neu gehackt.

Und die Schmotzin war im Innern des Hauses fleißig gewesen. Das Fehlen des Bildes hatte die Alte bisher nicht bemerkt.

Als Veferl den Basili aus dem Walde treten sah, lief sie in die Küche und aß dort etwas von der nun schon wohl bereiteten alten Henne. Die Schmotzin wusste, wie fleißig das Mädchen heute gewesen war, und sie meinte, dass es sich nun mit guten Vorsätzen trüge.

»Du darfst essen so viel du willst«, sagte sie.

»Aber zu Mittag sei am Tisch.«

Veferl antwortete darauf nichts.

Als sie den Basili die Stubentüre aufmachen hörte, lief sie zum Flure hinaus und über den Katzenbuckelberg zu dem Lockerhofe.

Thomas stand vor einer Kiesgrube, die das Regenwasser zu einem Tümpel gemacht hatte, und er sann nach, wie die wieder auszuebnen wäre, als Veferl über das Brachland daher kam.

Bei dem tollen Laufe hatte sich ihr prächtiges Haar entfesselt.

Und nun flog es ihr wie ein lichter Brand um den schlanken Leib. Thomas erschrak mächtig, als er ihre Aufregung sah.

Er meinte, ein Unglück sei geschehen. Sie stand vor ihm stille. Ihr Atem ging so schnell, dass sie nicht gleich sprechen konnte. Aber sie faltete ihre Hände vor dem Thomas und sah ihn flehentlich an.

Hernach sagte sie: »Ich bitt' dich gar schön, Thomas, begeb' Begeb' = duld', leid'. den Basili nicht bei dir. Wenn du ihn nicht begibst, dann hat er keinen Grund, aus dem er bei uns bleiben kann. Lass ihn nimmer bei dir. Ich bitt' dich, Thomas.«

Sie erbarmte dem Jungen. Das Herz tat ihm wahrhaftig so weh, als ob es ihm zerschnitten würde.

Und dabei war er von ihrem Begehren ungeheuer entsetzt. Sein zarter Leib zitterte.

»Sei doch nicht so feindselig gegen ihn«, bat er sie. »Du hast ihn für das, was er dir getan hat, schon viel zu viel gehasst. Ganz und gar geirrt hast du dich an ihm. Ich kenn' ihn jetzt. Er ist herzensgut. Viel besser, als du dir es vorstellen kannst, ist er. Ich hab' ihn schon so lieb wie zuvor noch gar niemanden. Und du musst ihn auch lieb haben, weil er gut ist. Das ist deine heilige Pflicht. Und wenn du es nicht könntest, so wär'st du schlecht.«

»Ich hab' ihn eh' schon bald lieb«, sagte Veferl. »Aber nicht nächstenliebartig, wie du es willst – sondern ganz anders. Und weil ich seh', wie schlecht mich die Lieb' machen tät', die da in mich kommen will, so mag ich sie nicht leiden. Die möcht' mich gerad um das bringen, was mir an mir selber am besten gefällt. Schau Thomas, ich will mich nicht selber loben, aber so viel kann ich dir schon sagen: Es war bisher mein schönster Stolz, dass ich noch nie vor einem Mannsbild so hingebig dogetzt Dogetzt = gezittert. hab' wie andere Dirndln. Und ich hab' mir alleweil denkt, wenn ich nur einmal vor einem so schmählich erlähnen Erlähnen = erweichen. müsst, da könnt' ich nachher an mir mein Lebtag die rechte Freud' nimmer haben. Und jetzt ist richtig die grausliche Gefahr da, dass ich mir selber derart zur Schand' und zum Grausen werden könnt'. Aber ich will mich von dieser Lieb' rein halten, und wenn ich mir das Beuschel beim Maul herausreißen muss. Damit ich mir aber nichts antun muss, so helf' mir du, Thomas.

Schaff den Basili fort! Wenn ich ihn nicht wieder seh', wird er mir aus dem Sinn' kommen.«

Thomas war richtig erregt. Aber er konnte dabei doch noch tief nachdenken.

»Du weißt nicht, was du von mir verlangst«, sagte er. »Mir ist der Basili das erste große Glück. Gestern ist mir das aufgeblüht. Heute soll ich es dir opfern. Nun, es ist vielleicht besser, wenn du von deinem Gelüst' frei wirst, als wenn ich glücklich bleib'. Aber dem Basili könnt' es wohl gar zu arg schaden, wenn er nun wieder gehen müsst.

Er tät' dann gewiss wieder seine neue Arbeitslust und die Freud' am Guttun verlieren und schlecht werden. Und es wär' doch um ihn mehr schad' als um dich, denn so weit hab' ich ihn schon erkannt, dass er besser ist als du.

Was soll ich also? Soll ich ihn selbst entscheiden lassen? Das wird dir gewiss nicht recht sein.«

»Wenn du ihm ein Wort von dem verrat'st, was ich dir da anvertraut hab', so erwürg' ich dich«, sagte sie darauf. »Und mich erschieß' ich hernach.«

Ihre Augen funkelten ihn dabei derart an, dass er sich wirklich vor ihr fürchtete.

Er glaubte wohl daran, dass sie ihre Drohung erfüllen könnte.

»Was soll ich also?« fragte er wieder.

»Fortjagen sollst du ihn«, antwortete sie. »Und er braucht nicht wissen, weshalb du es tust.«

Er schüttelte den Kopf. Dann antwortete er: »Ich hab' es dir schon gesagt: du weißt nicht, was du verlangst. Dein neues Gelüst' solltest du wohl selber in dir abtöten können; denn schau: etwas Schönes soll der Mensch doch in sich haben. Du bist so ein wetterischer Unband, wie es weit und breit keinen wilderen gibt. Aber wenigstens verliebt bist du bisher nicht gewesen. Das war deine beste Eigenschaft. Meine Mutter hat einmal gesagt: »Das ist das schönste an dem Veferl, dass es nicht mannsnarrisch ist. Und jetzt wirst du das auch noch. Schäm dich.« Er war ehrlich empört.

Veferl sah, dass sie nun bei ihm nichts ausrichten würde. Da fühlte sie sich eine Weile kläglich hilflos. Aber dann fasste sie einen neuen Entschluss.

»Du willst deinen Basili nicht lassen«, sagte sie zu dem Thomas. »Halt' ihn so fest du kannst! Ich bring' ihn doch von hier fort. Solang' ich ihn zwischen unseren Bergen weiß, ist da für mich die Luft eitel Gift und Feuer. Jetzt weiß ich schon einen, der ihn vertreiben kann. Hab' freilich nie geglaubt, dass ich dem werd' einmal kommen müssen. Aber jetzt geh' ich zu ihm. Ja. Ich geh' zu dem Cyrill. Gelt, den habt ihr seit gestern gewiss schon recht viel gezähmt. Passt auf, wie ich ihn das vergessen mach'. Wo ist er?«

»In Stiggestal«, antwortete Thomas. »Geh' nur zu ihm. Versuch's, ob du ihn zur Schlechtigkeit aufdingen kannst. Wenn er dir folgt, dann ist es wohl möglich, dass der Basili von hier fortgeht. Und ich geh' dann mit ihm.«

Ehe er diese Worte ausgeredet hatte, lief Veferl schon neben dem Bächlein talab. In der Schlucht brach sie einen festen Ast von einem Haselstrauche. Unbewaffnet wollte sie dem Cyrill nicht entgegentreten.

Sie kam bis auf die lange Berglehne. Dann sah sie ihn von Weitem.

Nun setzte sie sich auf einen Baumstrunk, der neben dem schmalen Waldsteige das Farrengrün überragte.

Der Cyrill bemerkte sie erst, als er ihr schon ziemlich nahe war, denn seine Augen suchten heute nicht so raubvogelartig die Runde ab wie sonst. Er staunte, weil sie ihm nicht auswich.

Und der Anblick ihrer Schönheit machte ihn mehr heiß als das lange Bergsteigen. Er wollte sie nicht anreden, weil er meinte, dass sie dann davon laufen könnte.

»Manches wilde Waldtier scheut einem ja auch erst dann, wenn man es anspricht«, dachte er.

So wollte er nun langsam an ihr vorübergehen und sie dabei immerfort anschauen.

Aber da sagte sie in einem spöttisch teilnahmsvollen Tone: »Gewiss ist dir die Kuh krank.«

Er blieb stehen und sagte: »Nein. Es ist ihr besser denn je.«

»Das ist schön«, sagte sie. »Weil ich seh', dass du zu Fuß im Tal gewesen bist, hab' ich geglaubt, es müsst ihr was fehlen. Sonst fährst du ja immer so lustig bergan. Nun weiß ich schon, weshalb du gehen musst, und es geschieht mir recht leid um dich. Sie haben dir das Fuhrmannsgeschäft gelegt. Die Kuh hat ihnen erbarmt. Gelt? Und du erbarmst ihnen nicht. Was willst du denn jetzt tun? Betteln gehen? Das sollst du nicht. Ich will dir etwas zu verdienen geben.«

Cyrill war jetzt schon neugierig genug. Dabei ahnte er freilich schon, dass sie ihn gegen den Basili aufhetzen wollte.

Und deshalb glaubte er sich um seiner neuen Tugend willen gegen Veferl vorsehen zu müssen.

Es freute ihn unsäglich, dass sie ihn ansprach.

Aber er wollte seines jetzigen Wertes bewusst bleiben und sich keineswegs zu etwas Unrechtem verleiten lassen.

»Mir geht es nicht so schlecht, wie du glaubst«, sagte er, um ihr von sich eine größere Achtung beizubringen. »Aber lass hören, was du mir zu verdienen geben willst.«

Darauf antwortete sie: »Elf schöne Marderfell' will ich dir geben, fünf gute Perlen, die ich im Bach' gefunden habe, und meine siebensträhnige Halskette – wenn du den Basili so davonjagst, dass er nie wieder in unseren Bergbereich kommt.«

»Das tue ich nicht«, sagte Cyrill in einem sanften Tone. Dazu machte er, ohne dass er sich im Mindesten verstellte, eine fromme Miene, die seinem Gesichte einen ganz neuen Reiz gab.

Veferl riss die Augen weit auf und starrte ihn an. Sie glaubte wahrhaftig, dass er sich durch ein Wunder innen und außen verwandelt hatte.

»Bist du nicht mehr der Cyrill?« schrie sie. »Was ist dir geschehen?«

»Das Rechte«, antwortete er, wieder so sanft wie vorhin. Und die Verklärung seines Gesichtes nahm noch zu.

Dabei weidete er sich freilich mit Vergnügen an der maßlosen Verwunderung des Mädchens.

»Ich will den Basili lieb haben«, redete er dann weiter.

»Gelt, so wie es der Thomas will?« fragte sie.

Er nickte wirklich ernsthaft. »Ja«, antwortete er. »Das ist das Rechte. Und das will ich.«

Da lachte sie krampfhaft. Und aus ihrem Lachen wurde alsbald ein leidenschaftliches Weinen.

Sie meinte, dass ihr schon allein deshalb das Dasein verdorben bleiben würde, weil nun sogar der Cyrill um so viel braver war als sie.

Während des Weinens schrie sie wie eine Wütende: »Sogar du willst jetzt auf mich wie ein Heiliger herabsehen? Sogar du?! Und willst wohl sagen, dass ich dich zum Bösen verleiten wollte?!«

»Nein«, sagte er milde. »Das will ich verschweigen.«

Dann zwang ihn die Neugier zu der Frage: »Was hast du gegen den Basili?«

»Das brauchst du nicht zu wissen«, antwortete sie.

»Du hilfst mir ja nicht gegen ihn. Geh!«

»Ich kann dich doch jetzt nicht allein lassen«, sagte er in einem Tone der zärtlichen Besorgnis. »Du bist ja jetzt gar nicht bei dir selber.«

»Du auch nicht!« rief sie. »Geh!« Nun warf sie ihm einen großen Fichtenzapfen in das Gesicht.

Die raue Frucht ritzte ihm das Kinn, dass es gleich zu bluten anfing. Aber er blieb trotzdem noch stehen. Da erhob Veferl den Haselstock und ging auf den Burschen los.

Und weil er nun noch immer zum Bravbleiben entschlossen war, lief er vor ihr davon.

Sie zerbrach den Haselstock an einem Baume. Dann ging sie langsam heim zu. Sie wusste nun nicht mehr, was sie gegen den Basili ins Werk setzen sollte. In irgendeiner friedsamen Weise glaubte sie sich der gefürchteten Liebe nimmer verschließen zu können.

Und es war ihr nun schon so, als ob sie gleich ihren besseren Teil verlieren müsste, wenn sie sich ihrem eigenen Fühlen hingab.

In dieser großen Not weinte sie wirklich so wie einer, dem sein Teuerstes im Sterben liegt.

Sie wusch sich an allen Brunnen des Waldes und kam doch mit verweinten Augen heim.

Die Schmotzin ging ihr auf der Hauswiese entgegen und sagte: »Krank bin ich schon vor lauter Gall und Scham. Heut' zu Mittag hab' ich nimmer gewusst, wie ich den Basili anlügen soll, weil du wieder nicht zu Tisch gekommen bist. Und ich sehe jetzt, dass du weder auf mein bestes noch auf mein schlechtestes Zureden hin deinen Flug geraten willst.«

Nun bemerkte sie, dass Veferl nicht so wie sonst aussah. Und da gab ihr der Schrecken einen förmlichen Riss.

»Was ist dir?« rief sie. »Du schaust ja aus wie ein Fieberkrankes! Und geflennt hast du! Was ist dir?«

Dabei ahnte sie nun freilich schon, dass die Liebe über das Mädchen kommen wollte. Sie nahm es bei der Hand und führte es in das Stubenkammerl. Diesmal ließ sich Veferl führen. Sie sah, dass sie der Alten erbarmte. Und sie wollte dieses Erbarmen ausnützen. In dem Kammerl fiel sie auf das Bett und fing laut zu weinen an.

»Jag ihn fort!« rief sie dabei. »Jag ihn fort!«

Dabei freute sich nun die Schmotzin. Und sie lachte.

»Jetzt schreist du: ‚Jag ihn fort!'« sagte sie. »Wenn ich ihn aber wirklich fortjag', so wirst du schreien: ‚Bring ihn wieder!' Das kennt man schon. Darum lassen wir ihn lieber da. Ich glaub', der ist schon der Rechte für dich.«

Veferl fuhr von dem Bette empor und wollte der Alten böse Worte sagen.

Aber dann fiel sie wieder, von großer Verzweiflung übermannt, in die Kissen zurück und schluchzte weiter.

Die Schmotzin lächelte aber immerfort. Nach einer Weile sagte sie: »Im Malerstübel fehlt dein Bild. Weshalb hast du es dort weggenommen?«

Veferl antwortete darauf nicht. Da wiederholte die Schmotzin ihre Frage.

»In den Teich hab' ich es geworfen«, sagte nun Veferl in einem zornigen Tone. »Hätt' ich vielleicht dem Kerl zur Beschau in dem Stübel hängen sollen?«

»Wann hast du das getan?« fragte die Alte.

»Doch nicht, nachdem er das Bild schon gesehen hat?«

»Vor seinen Augen hab' ich es weggenommen!« rief Veferl. »Gestern in der Nacht! Entsetz dich nur! Es geschieht dir schon recht! Du hättest ihn nicht aufnehmen sollen. Behalt ihn nur hier! Du stiftest nichts Gutes damit.«

Sie meinte nun der Alten gegen das Hierbleiben Basilis doch wieder Bedenken machen zu können. Aber da hatte sie sich neuerdings verrechnet.

»Da seid ihr zwei schon bekannter, als ich geahnt hab'«, sagte die Schmotzin. »Und da wird er ja schon schlecht genug von dir denken, du abscheulicher Absag du.«

»Nun freilich, schön denkt er nicht von mir«, entgegnete Veferl. »Aber er will mich schon brav machen, hat er gesagt.«

»So, hat er das schon gesagt?« rief die Alte. »Da will ich bald sehen, ob er wirklich derart ist, dass er dich brav machen kann. Morgen geh' ich in sein' Heimat zu meiner Muhm'. Dort werd' ich schon das erfahren, was er mir bisher verschwiegen hat. Und dann wird es sich gleich entscheiden, ob er bleibt oder geht.

Ob er auch ein zweites Paar Hosen hat, das ist mir jetzt schon Nebensach'. Wenn er dir nur der richtige Herr werden kann.

Und jetzt zieh dich aus und leg' dich gehörig zu Bett. Du hitzest Hietzest = fieberst.. Dem muss man begegnen.«

Veferl gehorchte gerne, denn sie war müde. Aber sie fieberte nicht anders als von ihrer Angst. Die Schmotzin legte ihr scharfen Krenteig auf das Genick und die Fußsohlen. Dann kochte sie aus Zwetschgen, Manna und Hollerrinde einen sehr wirksamen, aber abscheulich schmeckenden Reinigungstee. Den wollte Veferl nicht trinken. Aber sie musste. Sie würde ihn freilich gerne genommen haben, wenn er gegen die Liebe geholfen hätte.


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