Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Frau Venus

Zu der Zeit, als der grausame Can Signorio della Scala nach Ermordung seines Bruders Can Grande des Zweiten über Verona herrschte, begab es sich, daß in einem adeligen Schloß, welches unweit des Castelvecchio und der vom Gothenkönig Theodorich erbauten Türme auf der Anhöhe lag, ein junger Edelmann mit Namen Ottaviano Sagramoso seine Vermählung mit der schönen Vergogna Castellani feierte.

Die Geschlechter, denen das Brautpaar angehörte, durften sich eines gleich alten Adels rühmen; beide wurden zu den angesehensten von Verona gerechnet; ihre Güter und Reichtümer mochten einander die Wagschalen halten – Grund genug, um zwischen beiden Stämmen Eifersucht und Neid zu erregen, um jahrhundertwierigen erbitterten Haß und verderbliche Kämpfe zu entzünden. Nie erblickte man die beiden Familien auf Einer Seite. Hatten die Castellani für die Guelfen gestimmt, so traten die Sagramosi zu den Ghibellinen über; fochten die Ersten für den Kaiser, so standen die Zweiten unter den Panieren der Päpstlichgesinnten. Die Schwerter beider Parteien hatten sich bereits unzählige Male, sowohl auf dem offenen Schlachtfelde als in Zweikämpfen, gekreuzt, ihre Dolche sich nur allzu oft schon mit dem Blute der verhaßten Nebenbuhler gefärbt. Jedes Opfer aber heischte seine Sühne, seinen neuen Mord, und so schien die Blutrache mit dem Untergange beider Geschlechter erlöschen zu wollen.

Da geschah es, daß der junge Ottaviano Sagramoso, des Familien-Ältesten Scipione Sohn und dereinstiges Stammhaupt, die Tochter des Gianfilippo Castellani bei einer Prozession in der Kathedrale von San Fermo maggiore erblickte, für die herrliche Vergogna in Liebe entzündet wurde, bald ihre Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, und nach jahrelangen Huldigungen ihr Herz sich geneigt zu machen wüßte. Die Hindernisse, welche sich dem Bunde der Liebenden entgegenstemmten, schienen unübersteigliche. Nur dem inständigen Flehen des jungen Mannes, seinem unerschütterlichen Beharren bei der einmal getroffenen Wahl, der dringenden Fürsprache Can Signorios, welcher nichts sehnlicher wünschte, als die feindlichen Stämme zu versöhnen, um in Frieden über die beruhigte Stadt herrschen zu dürfen, gelang es endlich, die Einwilligung der Väter zu jener Verbindung zu erschmeicheln, beiden Geschlechtern das Gelübde eines ewigen Vergessens der Vergangenheit und der wechselseitig zugefügten Unbilden zu entlocken.

Nachdem die zahlreichen Sippen der Sagramosi und Castellani im Dom gemeinschaftlich das Sakrament zum Zeichen der Einigkeit und Liebe genommen, und der Erzbischof die Trauung des glücklichen Paares vollzogen, waren die Geschlechter, so wie der größte Teil der Veroneser Edlen, welche alle den jetzt verschmolzenen Familien durch Freundschaft oder Blutsverwandtschaft näher oder ferner standen, dem jungen Bräutigam auf sein väterliches Schloß gefolgt. Ein prächtiges Festmahl war dort zur Feier des Tages veranstaltet worden, und Can Signorio selber verschmähte es nicht, daran teil zu nehmen.

Es war ein heller, sonniger Maitag. Einzelne flockige Wölkchen ruderten langsam über das durchsichtige Blau des Himmels; ein kühler Nordwind, der sich von den Alpen herniedersenkte, trieb sie, wie ein Knabe die schillernden Schmetterlinge vor sich her und über die reichen Ebnen der Lombardei; die Kronen der ernsten Cypressen und Stecheichen, welche die Höhe mit ihrem dunkelgrünen Gewand umkleideten, ließen sich wohl kaum von den über sie hinziehenden Luftströmen aus ihrer träumerischen Ruhe stören. Verstummend tauchten die Singvögel in der Blätternacht unter, und nur das Schrillen der Cikaden rauschte aus allen Zweigen und Hecken in seiner betäubenden Einförmigkeit, Zahlreiche Dienerscharen rannten eifrig hin und her, stürzten mit geschäftiger Hast aus dem Schloßthor, und zogen dann wieder, die silbernen Schüsseln und Schwenkkessel, die goldenen, künstlich getriebenen Polale bedächtig in den Händen wägend, über die Steintreppen zu den Gastierenden hinein. Durch die geöffneten Fenster schallten die Wirbel der Pauken, das gelle Schmettern der Zinkenbläser, und verkündete den in dichten Haufen um das Schloß gescharten Dienstleuten, daß wiederum unter lautem Jubel der Gäste ein Trinkspruch zu Ehren der Neuvermählten oder auf die Verzweigung der edlen Stämme ausgebracht werde, bis endlich die Erscheinung festlich geschmückter Ritter und blühender Frauengestalten, welche sich aus den Spitzbogenfenstern herniederbogen oder auf dem steinernen Söller ins Freie traten, das Ende des Mahles verkündete. Bald darauf öffneten sich auch die Flügelthüren; der ganze Schwarm der Geladenen rauschte über die Marmorstufen in den Garten, welcher das Schloß umgab, und verteilte sich, bald vom Zufall, öfter noch von Neigung geleitet in einzelne Gruppen.

Ein Kranz lieblicher Frauenbilder lagerte sich, umdrängt von jungen Edeln, im Schatten der dichtbelaubten Eichen, und Scherze und anmutige Erwiderungen, täuschende Rätsel und sinnreiche Lösungen flatterten, farbigen Schmetterlingen gleich, in der Runde. Dann ergriff auch wohl einer der Jünglinge die Zither und stimmte ein keckes, herausforderndes Liedchen an, bis ihm aus schönem Munde die zarte, gesänftigte Antwort zurückklang, und die fröhlichen Stimmen der Übrigen beim Rundreim einfielen. Ein anderer Kreis reihte sich um einen sinnigen Erzähler und lauschte den wundersamen Abenteuern zweier durch unerhörte Unglücksfälle von einander gerissener, nach langjährigen Prüfungen endlich vereinigter Liebenden. In einiger Entfernung von den Zuhörern gaukelte ein zierlich tanzendes Paar und begleitete die leichten, anmutigen Bewegungen mit dem Takt der klappernden Kastagnetten und dem dumpfen Wirbel des Tamburins. Edelfalken, welche auf den Händen der zuschauenden Frauen ruhten, klingelten, die Flügel schüttelnd, mit den silbernen Glöcklein der Kappe lustig dazwischen, und junge Männer strebten in dem fröhlichen Wirrwarr manch zärtliches Wort in ein achtsames Ohr zu flüstern, seltener in der Umgebung, als in der flugs erglühenden Stirn der Hörerin einen Verräter findend. Andere erstiegen die freie Anhöhe, und schauten in das weite, sonnige Thal hinab, auf die goldene Schlange des Adige, welche sich durch die Stadt ringelte, strebten, von den Spitzen der altersgrauen Türme geleitet, die Giebel der eigenen Wohnungen auszuforschen, überflogen die blauen Spitzen der Voralpen, oder ließen ihre Blicke über die grüne, üppige Ebene bis nach den fernen Kuppeln von Mantua streifen. Einzelne Paare durchzogen die schattigen Gänge, Liebende bei traulichem Geflüster, junge Mädchen im eifrigen Austausch ihrer Geheimnisse, ergraute Krieger unter weitschweifiger Berichterstattung von Feldlagern und Reitergefechten und Belagerungen. Mehrere junge Männer vereinigten sich beim Spiel, die Kugeln in kunstvoller Schwingung über den Rasen und dem Ziele zuzurollen; Andere wieder erprobten ihre Gewandtheit und Ausdauer im Scheinkampf mit abgestumpften Klingen; ein dritter Haufe stand sich gegenüber, um mit kraftvollem Schlage den ledernen Ballon in die Luft zu schnellen und zurück zu treiben.

Unter den letzteren befand sich auch Filippino Castellani, der Bruder der Braut, ein schöner Jüngling, welcher die gesamten Mitspieler an Stärke und Behendigkeit bei weitem übertraf. Lauter Jubel und Bravoruf der Umstehenden begleitete jeden seiner Schläge und es war eine herrliche Lust, den schlanken, kräftigen Filippino zu sehen, wie er, des fesselnden Obergewandes bar, die Brust und den nervigen Arm entblößt, das blühende, erhitzte Gesicht nach oben gewandt, den herabsinkenden Ball mit blitzenden Augen verfolgte, die geschmeidigen Glieder nach der Richtung des fallenden dehnte, und mit mächtigem Schlage ihn im schönen Bogen die eben durchlaufene Bahn zurückfliegen ließ.

»Brav gegeben, Filippino!« rief ihm Tebaldo Sagramoso von der Gegenpartei zu. »Du bist der König der Veroneser Ballonschläger, zum mindesten ihr Vizekönig, denn mein Vetter Ottaviano möchte wohl so ziemlich der einzige sein, der es mit Dir aufnehmen darf.«

»Das gälte wohl noch die Frage,« erwiderte Filippino leicht hin. »Noch sind wir uns zeither in so friedlichem Kampfe nicht begegnet. Gern will ich jedoch in meinem Schwager den Meister erkennen, aber nur nicht auf das Wort eines Dritten hin. Er möge mich zuvor aus dem Felde schlagen, ehe ich ihm den Kranz zugestehe.«

»Nun dazu könnte wohl Rat werden,« lachte Tebaldo, »Sieh' nur, dort tritt er just zur rechten Zeit, Dein reizendes Schwesterlein am Arm, hinter dem Springbrunnen hervor. Den Arm um die schlanke Hüfte schlingend, predigt er der andächtigen Zuhörerin ganz leise das Evangelium von ewiger Liebe und Treue ins Ohr. O San Zeno! Jetzt absolviert er das fromme Kind von der Sünde, seinen Worten Glauben geschenkt zu haben, mit einem heiligen Kuß! Scheint es doch, als könne der Beichtvater nach so süßer Beichte es kaum erwarten, das Abendmahl auszuteilen. Geduld, Vetter, Geduld! Siehst Du denn nicht die Schatten der Pappeln als riesige Herolde der kürzesten Nacht voraustraben?«

Der Scherz des Vetters fand seinen tosenden Wiederhall im Gelächter der ausgelassenen Jünglinge. Ihr einstimmiger Jubel begrüßte den stolz einherschreitenden Bräutigam, die beschämt zur Erde blickende Braut.

»Nur näher heran, Ottaviano!« rief ihm Filippino von weitem zu. »Es gilt, den parteiischen Tebaldo Lügen zu strafen, Dir die angemaßte Krone vom Haupte zu reißen. Tritt in die Schranken mit mir, wenn Du es wagst, oder bekenne Dich überwunden.«

Ottaviano erhob die Hand seiner Braut und rief: »Wer so herrlichen Preis schon gewonnen, der mag wohl der andern leicht entraten.«

»Ei, das nenne ich mir noch einen zärtlichen Gatten,« erwiderte Filippino scherzend, »der dem Bruder den Sieg einräumt, seit er über die Schwester triumphierte, der über die Braut völlig die Hochzeitsgäste vergißt. Du magst immerhin Deinem frommen Edelfalken auf ein Viertelstündchen die Kappe lüften, Schwesterchen. Wir bringen ihn Dir fröhlich und wohlbehalten zurück und werden dafür Sorge tragen, daß er auf kein anderes Wild stoße. Auch wir verlangen des Gastgebers Gegenwart.«

Ein Schwarm junger Frauen, welcher zu gleicher Zeit nahte, umringte und entführte die Neuvermählte, Ottaviano leistete der Aufforderung, wenn auch mit widerstrebendem Herzen, Folge, warf das Obergewand von sich, schob den breiten, hölzernen, mit Stacheln umdornten Ring an den Unterarm, und schleuderte, von dem abschüssigen Brett herablaufend, den ihm zugeworfenen Ball hoch in die Luft.

Meisterhafte Schläge wechselten auf beiden Seiten – der Sieg blieb unentschieden. »Und doch behaupte ich,« rief Tebaldo, »daß mein Vetter heut seine früheren Leistungen nicht erreicht. Seine Gedanken sind allzufern vom Spiele.«

»Ich mag es nicht leugnen,« versetzte Ottaviano. »Aber die etwaige Zerstreutheit ist es nicht allein, welche mir diesen Vorwurf zuzieht – ich will's Euch nur sagen: die Hand schwoll von der raschen Bewegung, und nun preßt der ungewohnte Trauring. Dies sind aber Unbequemlichkeiten des Ehestandes, von denen Ihr Gelbschnäbel freilich Euch nichts träumen laßt.« –

»Ei, so lege doch den fatalen Trauring ab,« antwortete der fröhliche Tebaldo. Versuch's einmal wieder als Junggesell. Gieb mir den Goldreifen während des Spiels zum Aufbewahren, und Du wirst Dich wundern, mit welchem Anstande ich die Fessel zu tragen weiß, welches grämliche Großpapagesicht ich mit dem Ringe am Finger schneiden will.«

»Bewahre der Himmel!« versetzte der Bräutigam; »keinem Sterblichen vertraue ich das köstliche Pfand. Soll es ja auf Augenblicke von meinem Finger weichen, so sei die Frau Venus dort in der Halle seine Wächterin, und die einzige Schöne, welche sich rühmen könne, es aus meiner Hand empfangen zu haben.«

Mit behendem Schritt eilte der junge Mann dem Tempel zu. Schlanke, ionische, von Rosen und Jelängerjelieber-Ranken umflochtene Säulen, die noch der Meißel der Alten glättete, trugen die leichte, von breitästigen Bäumen überschattete Kuppel. Auf dem Piedestal in der Mitte stand die Göttin der Schönheit und Liebe, ein altes griechisches Meisterbild. Sie schien soeben dem Meere entstiegen zu sein, hob mit der Rechten das faltige Gewand vom Boden, um die schwellenden Hüften, den in süßer Scham in sich geschmiegten Leib zu verschleiern, wahrend ihre linke Hand sich vergeblich öffnete, um den Anblick des jungfräulichen Busens Lauschenden zu entziehen. Kaum merklich den Kopf senkend, schien die Göttin in die Ferne zu spähen, mit dem Verhüllen ihrer Reize zu zögern. Während die Hände der ersten Bewegung aufgeschreckter Weiblichkeit gehorchten, verriet der träumerische Blick, die zum Lächeln sich rundende Lippe, den zunächst aufkeimenden Gedanken – heimliches Schmachten, verstohlenes Herbeisehnen der Gefahr.

Wohl oftmals hatte Ottaviano in früheren Jahren vor dem wunderbaren Bilde im Anschauen der überirdischen Schönheit verloren gestanden, hatte sich schmeichelnden Träumereien des sehnsüchtigen liebeahnenden Herzens hingegeben, und die einstige Geliebte und Gattin mit dem Liebreiz des wonnigen Gebildes begabt. Mit der Erscheinung Vergognas waren die Ausgeburten einer jugendlich regen Einbildungskraft in ihr Nichts zurückversunken. Lächelnd gedachte er jetzt der einstigen Thorheit, und nur die keusche Holdseligkeit des geliebten, endlich errungenen Weibes stand in aller ihrer Glorie vor seiner Seele.

»Jetzt darf ich es ja wohl wagen,« sprach er, »mich mit Dir, Du schönes, starres Bild, zu verloben, den Ring der Trene an Deinen zarten Finger zu stecken. Bewahre ihn treulich, Du kaltes Liebchen meiner Jugend – bald fordre ich ihn mir zurück.«

Fröhlich kehrte er zu den Genossen und dem Spiel zurück, und nur zu bald mußte Filippino dem frohlockenden Tebaldo zugestehen, daß das von ihm gespendete Lob ein wohlbegründetes sei, daß er in seinem Schwager den Meister anerkenne.

Von neuem schmetterten die Trompeten vom Schlosse durch das Gewimmel – sie riefen zum Nachtmahl. Hastig eilte Ottaiviano, nicht ohne heimliche Vorwürfe, zu lange Zeit den Gefährten geopfert zu haben, nach dem Tempel der Venus, um das anvertraute Pfand zu lösen – aber der Finger des Marmorbildes, welcher den Goldring trug, war gekrümmt, die Steinhand fest geschlossen.

Entsetzt bebte der Jüngling zurück und verdeckte die Augen – er wollte den stürmisch erregten Blutwellen Frist gönnen, sich zu ebnen, den Nebelgestalten der aufgeschreckten Einbildungskraft zu verfließen. Und zum zweitenmale streckte er den Arm aus, um den Ring abzustreifen – aber der Finger blieb gebogen und die Hand der Venus schien sich nur noch fester an den Busen zu schmiegen, gleich als ob sie den begangenen Raub sichern wolle.

Die vollen Strahlen der untergehenden Sonne fielen in die Halle und übergossen das Bild der Göttin mit einem wundersamen Glanz. Ein zauberhafter Lebensschimmer überflog den Stein; in den weißen Armen schien das Blut zu wallen, der Busen sich leise, atmend zu heben, zu senken, die Lippe sich zum wollüstigen Kuß erschließen zu wollen, im Tau des zärtlichen Verlangens zu zittern. Der wiederholte Ruf der Trompeten, welcher mahnend von dem Söller herabklang, riß Ottaviano aus seiner Erstarrung; mit bebender Hast stürzte er zu den Seinigen zurück und flüchtete sich an die Seite seiner Braut, als suche er in der Nähe des blühenden Lebens Schutz gegen den unheimlichen Spuk, welcher sein helles Glück zu verdüstern drohte.

Zu mächtig aber hatten die Schrecken der Geisterwelt das Gemüt des jungen Sagramoso ergriffen, als daß seine Züge nicht das Gepräge der tiefsten Erschütterung hätten tragen sollen. Schweigend, bleich und verstört saß er zur Seite seiner Gattin, hatte nur flüchtige kalte Worte der Beruhigung für ihr besorgliches Fragen, nur ein frostiges, erzwungenes Lächeln für die mutwilligen Scherze der Freunde, welche die Verstimmung des Bräutigams zärtlicher Ungeduld zurechnen wollten. In raschen Zügen schlürfte er den feurigen Wein – er wollte sich betäuben, die Erscheinung bannen, sich ermutigen, dem Grauen der Unterwelt die Stirn zu bieten. –

Das Mahl war beendet. Ottaviano hieß die vertrautesten unter seinen Dienern sich mit Fackeln und Hämmern versehen, und stürmte ihnen mit der Hast des Verzweifelnden voran, entschlossen, dem zauberischen Bilde den Ring zu entreißen, und wenn er es auch vorher zertrümmern müsse. Die rote Glut der Kienbrände erhellte die Rotunde – regungslos stand die Statue auf ihrem Sockel, starrte unbeweglich vor sich hin – die linke Hand war wiederum zum Schirm des Busens entfaltet – der Ring spurlos verschwunden.

Vernichtet wankte Ottaviano nach dem Schlosse zurück, trat, das wüste Gewirr und Tosen der Gäste meidend, in ein entlegenes Gemach und blickte in dumpfer Betäubung hinaus in die Nacht. Der Sturm hatte sich erhoben, rauschte wild durch die Äste der alten Eichen und bog die Kronen der Pappeln. Ottaviano wähnte allerhand seltsame Stimmen in den Gängen des Gartens schrillen und pfeifen zu hören, mochte aber nicht unterscheiden, ob sie nicht vom Gekreisch der Nachtvögel herrührten, oder vom Knarren der windgedrehten Wetterfahnen. Dann däuchte es ihm wieder, als gleite eine weibliche Gestalt über den Rasen, winkte ihm mit weißer Hand und verschwinde wieder in den Taxushecken.

Die Entfernung des Bräutigams war den Gästen das Zeichen zum Aufbruch gewesen. Der lärmende Abschied, der Ruf nach den Dienern, das Schnauben der ungeduldig harrenden Rosse, der rasche Hufschlag der Davonsprengenden dröhnte von dem Schloßhof herauf. Flackernde Windlichter, deren Funken der Wind versprühte, beleuchteten das bunte Gedränge. Bald verhallten die Stimmen im Thal, die Fackeln blitzten, irrenden Sternen gleich, aus den Krümmungen des Weges ferner und ferner, und verschwanden zuletzt im Dunkel. Auf dem Schlosse ward alles still.

Keines bestimmten Gedankens bewußt, hatte Ottaviano lange Zeit am Fenster gestanden, bald in das schlummernde Thal hinunter starrend, bald wieder zum Himmel auf, an welchem schwere Wolken vorübersausten. Endlich raffte er sich auf und eilte mit unstäten Schritten, mit seltsam beklommenem Herzen dem Schlafgemach zu. Wer sein starres Auge, die bleiche Wange, die unsichere Hast seiner Bewegungen beobachtete, hätte wohl eher einen mit Blutschuld belasteten Flüchtling, als den beglückten Gatten, welcher der Brautkammer zufliegt, in ihm zu erblicken vermeint. –

Ein dämmerndes Lampenlicht verstreute seine zitternden Strahlen durch das enge Gemach. Vergogna lag bereits schlummernd auf dem Pfühl, den feinen Arm über dem matt gesenkten Haupte, von welchem die glänzenden, schwarzen Locken in reicher Fülle herniederrollten. Eine leichte Seidendecke verhüllte die Züchtige, und nur die Umrisse der zarten Glieder schimmerten verräterisch aus den weichen Falten. Regungslos blieb Ottaviano auf der Schwelle stehen, ohne das Auge von dem teuern Bilde verwenden zu können. Alle die Schrecken, welche sein Herz zugeschnürt hatten, waren bei dem Anblick des schönen, zärtlich geliebten Weibes, die er nun ganz die Seine nennen durfte, verweht.

Vergogna erwachte, schlug die langen Wimpern auf, und schloß sie wiederum, von süßer bräutlicher Scham durchschauert. Da stürzte Ottaviano in leidenschaftlicher Bewegung vor dem Lager auf das Knie, ergriff die weiße Hand, preßte sie an seine Lippen, an sein Herz: »Nein, nein, Du über alles Geliebte, nichts vermag uns fortan zu scheiden. Du bist, Du bleibst die Meinige. Keine höllische Macht soll Dich aus meinen Armen reißen können.« –

»Was ist es, das Euch so seltsam bewegt und verwirrt, mein teurer Herr und gemahl?« entgegnete leise die Braut. »Wer könnte an dem Tage unserer heiligen Verbindung daran denken, sie wieder zu lösen? Wohl bin ich Euer demütig ergebenes Weib und will es bleiben bis an meinen Tod.« –

Schmeichelnd strichen ihre Finger über die dunklen Locken des Knieenden – er sank in ihre Arme, er drückte sie mit sehnsüchtigem Verlangen an seine Brust, und die Augenlider schlossen sich vor unsäglicher Wonne – da fühlte er ein loses, unsicheres Abdrängen, fühlte, wie seine umschlingenden Arme leise gelöst wurden. – »Vergogna,« flehte er schmachtend, »meine Vergogna, Du entziehst Dich mir, und jetzt?« – Bittend schlug er die Augen auf. Ein duftiger, milchweißer Nebel lagerte sich zwischen ihn und seine Braut, verdichtete sich mehr und mehr, verkörperte sich in die Gestalt des Venusbildes, umschloß den jungen Mann mit kalten Armen und flüsterte leise: »Nicht Vergogna ist Deine Braut. Mir hast Du Dich verlobt. Der Göttin der Liebe hast Du den Ring geschenkt, hast Dich der Venus eigen gegeben. An Deiner Brust, Du Schöner, will sie erwarmen.«

Entsetzt riß Ottaviano sich vom Lager auf, und stürzte mit dumpfem Schrei, mit brechenden Knieen an die Wand, das Auge stier auf die gespenstische Erscheinung gerichtet.

»Um Gottes und aller Heiligen willen,« rief Vergogna ängstlich, »was ergreift Dich? Brich dies furchtbare Schweigen. Was ist Dir begegnet?«

Sprachlos wies Ottaviano mit zitternder Hand auf die Kissen.

»Mein Gemahl, mein teuerer Gatte, ich fasse Dich nicht. Was treibt Dich von meiner Seite? Woher dieser Abscheu gegen Deine Vergogna?«

»Dort – dort!« stammelte der Jüngling schaudernd. »Hart an Deiner Seite – Vergogna, Du siehst nichts?«

»Nichts. Was sollte ich sehen? Wir sind allein. Du träumst. An meiner Seite? Luft, ringsum Luft« –

»Luft? Die Ausgeburt der Hölle ist es – sie, die Liebesgöttin – das gespenstische Marmorbild. Der Goldreifen blinkt an ihrem Finger, sie breitet die Arme nach mir aus – ihr – ihr bin ich verfallen.«

Gell aufschreiend wand sich Vergogna aus den Teppichen, und wollte sich in die Arme des Gatten werfen.

»Fort von mir, Vergogna! Um der Madonna willen – bleib mir fern – das Gespenst drängt sich Dir vor – drohend steht es jetzt zwischen uns – es naht zugleich mit Dir. – Siehst Du es nicht, das üppige Weib mit der verzehrenden Glut im Blick, hörst Du nicht ihr heimliches Flüstern, ihre sinnverwirrenden Verheißungen? Vergogna, bete, daß die Entsetzliche weiche, daß die Hölle von mir ablasse.«

Totenblaß und an allen Gliedern zitternd, sank die Braut auf den Gebetschemel zu Häupten des Bettes, umklammerte das Kruzifix und flehte die himmlischen Helfer um Beistand in ihrer Not.

»Ja, sie weicht,« keuchte Ottaviano matt aufatmend, »sie verschwebt – sie ist fort.« –- Halb ohnmächtig sank er in die Kniee – seine Gattin flog herbei und trocknete den kalten Schweiß, der von seiner Stirn troff. Langsam schlug er die Augen auf, lallte mit gebrochener Stimme Worte des Dankes – riß sich jäh aus dem Arm des treuen Weibes, und taumelte mit sträubendem Haar in die entfernteste Ecke des Zimmers. »Ha! schon wieder, schreckliches Wesen! Fort, fort! Du hast keinen Teil an mir! Vergogna, hilf!« – Von Schrecken überwältigt, wandte er das Haupt, und wehrte, die gespreizten Hände vorhaltend, das Nebelbild von sich ab.–

Die ersten Strahlen der Frühsonne blitzten neugierig durch die runden Scheiben der Bogenfenster in das Brautgemach. Auf dem Vorsaal ward es allmählich laut. Hin- und herschleifende Schritte, dumpfes Geflüster und das Stimmen der Saiteninstrumente ließ sich auf dem Gange undeutlich vernehmen. Da hoben die jungen Mädchen mit heller, fröhlicher Stimme ein Lied als frischen Morgengruß an, und die Jünglinge sangen den zweiten Vers, während das Schwirren der Geigen, das Geklingel der Triangel lustig die Melodie begleiteten. Der Gesang der Jungfrauen beklagte scherzend, daß nunmehr die Schönste aus ihrer Mitte geschieden sei, die jungen Männer priesen und neideten das Glück des Bräutigams. In der Brautkammer aber regte sich Nichts. Die mutwilligen Jünglinge hießen Ottaviano einen Langschläfer, einen Unersättlichen, und drohten in das Gemach einzubrechen. Lauter als Alle rief Filippino Castellani bald den Schwager, bald die Schwester bei Namen, riß, als keine Antwort erfolgte, ungeduldig die Thür auf – da sah er Vergogna, wie sie mit blassem, verweintem Gesicht leise und eifrig betend vor dem Kruzifix kniete, wie fern von ihr, mit verstörten Zügen, der Gatte stand, nicht wagend der Geliebten zu nahen, um nicht die furchtbare Erscheinung von neuem heraufzubeschwören, scheu jedes Wort der Liebe zurückdrängend.

Erschrocken starrten die Hereinstürmenden auf das Paar; die Stimmen der Sänger erstarben, die Klänge der Instrumente vertönten.

»Wie deute ich das?« rief Filippino betroffen. »Das sind keine bräutlichen Gesichter, die ich hier erblicke. Meine Schwester in Thränen – Ottaviano fern von ihr, mit finsterer, grimmiger Geberde? Hat es ein Sagramoso gewagt, um eine Tochter unseres Stammes zu freien, nur um ihr Schimpf anzuthun? Freunde, Brüder, sollen wir diese Schmach dulden?« –

Ein dumpfes Murren erhob sich von seiten der Castellani, während die Sagramosi sich stürmisch um ihren Verwandten drängten, um ihn vor den Ausbrüchen der ersten Wut zu schirmen, und Gewalt mit Gewalt zu vertreiben. Schon blitzten die blanken Klingen, als sich Vergogna in die Arme ihres Bruders warf, und ihn beschwor, des schuldlosen Gatten zu schonen, als ihr inständiges Flehen die gereizten Gemüter wieder beschwichtigte und sie, bebend den ängstlichen Blick nach der Ecke des Zimmers gerichtet, den Ungläubigen, Kopfschüttelnden die Erscheinung ihrer gespenstischen Nebenbuhlerin vertraute.

Die Kunde von jenem furchtbaren Rätsel flog in kurzer Zeit von Mund zu Mund, denn die Verwandten des Brautpaares hatten sich allmählich wieder auf dem Schloß zu den Festlichkeiten, deren Dauer auf eine volle Woche angesetzt war, eingefunden. Da drängte sich denn ein Jeder mit gutem Rat, was hierbei zu thun, hervor, und Jeder pries sein Mittel als das allein untrügliche. Der eine schlug vor, das Bett der Neuvermählten mit Weihwasser zu besprengen, und im Brautgemach eine Messe lesen zu lassen. Der zweite wollte, daß geweihte Kerzen über Nacht angezündet würden, der dritte eine Reliquie von San Zeno an der Bettsponde, oder doch wenigstens über den Thürpfosten aufgehängt wissen. Die Mehrzahl riet, die Trauung noch einmal zu vollziehen, wobei sie darauf drangen, daß die Trauringe mit den Namen der drei Könige des Morgenlandes bezeichnet würden. Einige alte Jungfern von den Castellani kreuzigten und segneten sich, und behaupteten geradezu, daß eine Ehe, welche unter so unheimlichen Vorbedeutungen beginne, und in welcher der Teufel so frank und frei schalten dürfe, nun und nimmer zum guten führen könne. Hier bleibe nichts übrig, als daß die Braut ins Kloster gehe, und die Sünde, sich mit einem teuflischen Amanten verlobt zu haben, durch ein der Buße geweihtes Leben sühne.

Messer Scipione Sagramoso, ein erfahrener, weltkluger, Mann, welcher sich in seiner Jugend vielfach versucht, nach Jerusalem gepilgert, und längere Zeit sich im Morgenlande aufgehalten hatte, schüttelte zu allen diesen Ratschlägen den Kopf; dann erhob er seine Stimme und sprach: »Ihr lieben Verwandten und Freunde, schenkt mir ein kurzes Gehör, und ich will Euch sagen, was ich von dem Handel denke. Wofern mein Sohn mutwilligerweise den Bösen versucht hätte, oder sich wohl gar in fremden Umgang mit den Geistern der Hölle eingelassen, und sich ihres Beistandes zu verruchten Zwecken bedient – dann möchte ich wohl nicht lange anstehen, ihn von mir zu stoßen, und ihn dem heiligen Gerichte zu wohlverdienter Strafe zu überantworten. So aber hat Ottaviano sich jederzeit betragen, wie es einem guten Christen und dem Sprossen eines alten adeligen Geschlechts ziemt, wie denn auch keiner auftreten kann, der das Gegenteil bezeuge. Die Schuld, die er auf sich geladen, beging er arglosen Sinns, und wir sollen ihn deshalb nicht allzu streng richten. Der Erbfeind aber ist voller Arglist und Tücke, und stellt den Menschenkindern gar seine Schlingen; wer ihnen entrinnen mag, der preise die Heiligen und seinen günstigen Stern in Demut, und überhebe sich nicht trotzig seines Verdienstes halber, denn es giebt der Stunden, wo den Geistern der Verdammnis gestattet ist, ans Erden zu wandeln, uns schwache Sterbliche zu verlocken, und die Willfährigen zu verderben; in einer solchen steckte Ottaniano aber dem Zauberbilde den Ring an. Hier gilt es zuvörderst, den Versucher mit seinen eigenen Waffen zu bekämpfen, und nur wenn diese nicht ausreichen, wollen wir die Hilfe unserer heiligen Kirche anrufen. Hört denn. Mir ist in der Nähe von Verona ein in seltenen Heimlichkeiten wohl bewanderter Mann mit Namen Palumbo bekannt. Er ist seiner Wissenschaft ein Arzt, und gar manches Wunderbare von seiner Kunst und seinem Wissen kam mir bereits zu Ohren. Die Rede geht, er sei ein Maure, und aus dem fernen Königreiche Granada eingewandert. Ihm möge mein Sohn sich anvertrauen, und bei ihm sich Rath erholen. Versagt er uns seinen Beistand, oder sollte dieser sich als ungenügend beweisen, dann geschehe nach Euerem Willen, und keins der vorgeschlagenen Mittel, um den Zauber zu lösen und den verwirkten Ring wieder zu erlangen, soll unversucht bleiben,« – Hiermit waren denn Alle wohlzufrieden, vornehmlich aber Ottaviano, welcher sich alsbald voller Hoffnung aufmachte, um den Schwarzkünstler aufzusuchen.

Auf dem Schlosse ward es immer öder und stiller. Die Geladenen, welche sich mit fröhlichen Erwartungen eingefunden hatten, begriffen wohl, daß weder Ort noch Zeit zu hochzeitlicher Lust und Scherz günstig seien, und zerstreuten sich, nachdenklich die Köpfe schüttelnd. Bergogna hatte sich in ihre Gemächer geflüchtet und harrte unter andächtigen Gebeten der Entscheidung. Nur allein Herr Scipione war guten Muts, und gab jedem der Abgehenden die Versicherung: wie er zu der Weisheit und Willfährigkeit des Palumbo ein festes Vertrauen hege, daß sich alles noch freudiglich lösen werde, und wie sie dann die gestörte Lust doppelt und dreifach einbringen wollten.

Während dessen war Ottaniano Sagramoso über den Ponte bei Navi geritten, den bezeichneten Weg zum Zauberer verfolgend. Die Häuser der Vorstadt lagen schon hinter ihm, als er sich von der großen, nach Picenza führenden Heerstraße abwandte, und einen schmalen, von hohen weißen Mauern begrenzten Weg, der nach den Bergen zu leitete, einschlug. Bald hörten auch die Steinwände zu beiden Seiten auf, und nun irrte er unschlüssig auf engem Fußpfade zwischen Gräben und blühenden Hecken von Jelängerjelieber und Hartriegel, von Grundstück zu Grundstück umher. Durch das Laub der Maulbeerbäume und hohen Ulmen, deren Gezweig durch volle Weinranken untereinander verflochten war, schimmerte dann und wann das blaue duftige Gebirge, die Zinne eines alten Schlosses oder die Kuppel einer fernliegenden Kirche. Leiser Glockenklang wehte aus den Thälern herauf und ein schwacher Windatem spielte mit den silbergrauen Blättern der Olivenbäume, schaukelte die glänzenden Maisstauden hin und her, und hob und senkte die hochaufgeschossenen Halme der Saat, so daß sie wie ein wogendes, schimmerndes Meer anzuschauen waren. Über der ganzen Gegend schwebte ein milder, seliger Friede. Ottaviano fühlte sich seltsam bewegt; er vermochte zum erstenmale wieder recht freudig aufzuatmen und sich der auf ihm lastenden Beklemmung zu entschlagen.

Da gewahrte er einen ältlichen Mann in ärmlicher Bauerntracht, welcher beschäftigt war, die überwuchernden Blätter der Weinreben zwischen den Bäumen abzuknicken. Diesen befragte er nach der Wohnung des weltberühmten maurischen Arztes Palumbo, von welcher ihm gesagt, daß sie hier herum sein müsse. Der Alte maß den jungen Edelmann mit prüfendem Blick, deutete dann vorwärts auf ein kleines, weißes Häuschen, welches aus dem Grün der Hecken hervorlauschte, band das Roß des Fremden an das Spalier, und zog ihm schweigend voran.

»Hier also haust der gerühmte Nekromant!« rief Ottaviano und schaute sich verwundert um in der einfachen Wohnung, deren Gerät mehr an das Gewerbe eines schlichten Winzers, als an die Werkstätte eines Gelehrten und Magiers erinnerte. »Wohlan denn, guter Freund, geht hinein und meldet dem weisen Palumbo, wie ein junger Veroneser Nobile seiner harre und seines Beistandes begehre.«

»Er erwartet Euch bereits, Herr Ottaviano Sagramoso,« war die Erwiderung.

»Mich erwartet er?« fragte der Jüngling staunend; »und woher wäre mein Anliegen dem Meister bekannt? Und auch Ihr kennt meinen Namen, guter Alter?«

»Was sollte ich nicht,« entgegnete der Greis mit trübem Lächeln, »bin ich doch selber der Palumbo, den Ihr aufsucht.«

Befremdet trat Ottaviano zurück und maß den armen Weinbauer stumm mit starrem Blick, als erwarte er, wie der geheimnisvolle Maure seine Gestalt verändern und sich ihm als mächtiger Herrscher der Geisterwelt enthüllen solle. Er irrte. Der Greis verharrte in seiner unscheinbaren Kleidung, behielt den gebeugten Nacken, die gefurchte Stirn, die bleiche Wange, das erloschene Auge. Ein tiefer Kummer schien ihn niederzudrücken.

»Ihr mögt wohl noch immer zweifeln, Messer Ottaviano,« hob er nach einer Pause an, »ob ich auch wirklich der Rechte sei, und ob ein Mann wie ich, der so wenig der irdischen Schätze besitzt, und bedarf, imstande sei, Euch mit Rat und That beizustehen. Es gilt ja den Versuch. Setzt Euch, und blättert einstweilen in jenem Buch, während ich für Euch arbeiten will.«

Der Veroneser that, wie ihm geheißen, und schlug den dargereichten Folianten auf. Jedes Blatt trug als Überschrift den Namen eines Menschen, bekannter, wie fremder, darunter aber war ihr Lebenslauf mit enger feiner Schrift verzeichnet. Auch den eigenen Namen fand er auf, las mit Staunen, wie alles, was ihm bisher begegnet, sogar die Abenteuer der verwichnen Nacht bereits eingetragen waren, und wie er jetzt auf der Vigne des Palumbo sitze, und im Lebensbuche blättere. Er las auch die Namen des Scipione Sagramoso, Vergognas und aller seiner Sippen – sobald er aber einen Blick in ihre Begebnisse that, begannen die Buchstaben auf eine seltsame Art zu zittern und durcheinander zu wirren, wie wenn ein leiser Wind über den Spiegel des Sees streift und die stille Fläche rieselt – er konnte keine Zeile entziffern.

Die Singvögel gaukelten draußen in den sonnedurchglänzten Zweigen, oder pickten die Körner auf, welche für sie auf das Fenster gestreut waren. Palumbo zeichnete emsig fremdartige Zeichen mit bunten Farben auf ein Pergamentblatt, ohne von seiner Arbeit aufzuschauen, Ottaviano blickte abwechselnd auf das allwissende Buch und auf die bäurische Tracht des Alten, auf das ärmliche Gemach und die rohen Gerätschaften, er konnte sich in dem Gemisch von gewöhnlichem und wunderbarem gar nicht zurecht finden. Bald darauf erhob sich der Meister und reichte dem Jüngling einen mit sieben grünen Siegeln petschierten Brief.

»Sobald von Euern Türmen die Abendglocken geläutet werden,« sprach er, »machst Du Dich ohne Begleitung auf den Weg nach Brescia und besteigst in dem Fischerdorf Peschiera einen leichten Kahn. Du selber mußt ihn lenken, und bis auf die Mitte des Gardasees rudern. Gegenüber der Landspitze von Sermione, auf welcher die alten Ruinen aus der Römerzeit ruhen, hältst Du an. Es sind jene Trümmer, von denen die Sage geht, daß sie von einer Villa herrühren, in welcher der heidnische Dichter Catullus ein wüstes, schwelgerisches Leben geführt, und die Göttin Venus vor allen anderen mit Festen und Gesängen verehrte. Dort harrest Du der mitternächtlichen Stunde. Dann wird sich seltsames begeben. Du wirst einen nebelhaften gespenstischen Zug vorüberwallen sehen, unheimliche, oft erschreckliche Gestalten. Laß Dich nichts anfechten, denn du bist auf guten Wegen – aber schweig. Harre, bis der Fürst und Herr der Geisterschar vorüberzieht. – Du wirst ihn an seinem funkelnden Stirnbande erkennen. – Dem Reiche schweigend diesen Brief. Steh' keiner Frage Red' und Antwort – jedes Wort würde Dein Verderben nach sich ziehen. Und nun geh', mein Sohn, und der Gott Deiner Väter möge Dich bei Deinem Gange geleiten.« –

Die Glockenklänge, welche die Stunde vor der mitternächtlichen von den Kirchen der Stadt Lazise verkündigt hatten, waren bereits verhallt, als auch Messer Ottaviano schon im schwankenden Fischerkahn, dem bezeichneten Vorgebirge gegenüber, auf dem Lago di Garda schaukelte. Jetzt hob er die Ruder aus der Flut und griff nur mit seltenen Schlägen wieder ein, so oft der leise Zug der Strömung die Barke an das Ufer zurückzutreiben versuchte. Der Himmel war unbewölkt; kein Luftzug kräuselte die weite Fläche des Sees und die silbernen Sterne schwammen ruhig träumend auf dem feuchten Spiegel. Am Stande irrten noch einzelne sprühende Lichter umher, verstreuten ihre roten Streifen über das Wasser und verschwanden. Kein Laut unterbrach das nächtliche Schweigen, wenn nicht in den Gehöften am Ufer ein Hund anschlug, oder ein silberner Fisch sich aus der Tiefe aufschnellte und plätschernd wieder versank. Da wälzten sich von dem Gipfel des Monte Baldo, der wie ein schwarzes Riesenhaupt in den Kessel herniederschaute, finstere Gewölke herab, entrollten ihre undurchsichtigen Schleier, und verhingen die Ampeln des Himmelszeltes. Aus den Tyroler Schluchten schnob ein eisiger Wind über das Wasser, wiegelte die Wellen auf, und schaukelte den Nachen des unter bangem Herzklopfen harrenden Ottaviano. Die Glocken riefen seufzend den Beginn der Geisterstunde aus, und ein langer weißer Nebelstreif zog von der Mündung des Mincio langsam und gerade dem mehr und mehr wachsenden Sturme entgegen über den Lago nach dem Promontorio von Sermione zu. Einzelne schneeweiße Möven schossen wie leuchtende Funken dem neblichten Duft voraus, zogen krächzend ihre Kreise über den Wellen, schwangen sich zu dem näher herangleitenden Gewölk zurück, und stoben dann im hastigen Fluge wieder vorwärts. Bald hatte der befremdlich leuchtende Nebelzug die Höhe des Nachens erreicht, und sonderte sich allmählich in fabelhafte, unerhört seltsame Gestalten, welche sämtlich von dem ihnen entströmenden falben Lichte umflossen wurden. Es war der Geisterzug, welchen der maurische Arzt verkündigt hatte.

Voran schwammen dichte Haufen überaus großer und fremdartig gebildeter Fische. Einigen von ihnen wuchsen lange, mit Zacken versehene Schwerter aus dem Kopfe, und diese zogen wie Hellebardiere, gleichsam um den Weg zu bahnen, voraus. Dann wimmelte eine wüste Menge hinterdrein, mit breiten Häuptern und häßlichen, fast menschlichen Gesichtern, welche den Ottaviano mit ihren hervorquellenden grasgrünen Augen weit anstarrten, und mit den langen roten Flossen wie mit Armen wunderlich hantierten. Oft, wenn sie einige Schritte vorwärts geschwommen, richteten sie sich auf, und schritten, mit den Schweifen schlenkernd, in sonderbaren, unbeholfenen Bewegungen über die Fläche hin, stülpten dann wieder um, tauchten mit dem Kopf unter und segelten vorüber. Ungeheure Hummern griffen mit breiter Schere zur Linken weit aus, krallten sich in die Wellen ein, und schleppten sich dann, mit der winzigen Rechten nachstemmend, über das Wasser. Bunte Muscheln strichen wie leichte Kähne einher, und gräuliche Meerspinnen schoben, die langen rauhen Beine weit von sich gestreckt, blitzschnell über den See. Dann zogen paarweise Delphine mit hoher, kluger Stirn vorüber, und sprudelten aus den Nasenlöchern helles Wasser auf. Ihnen schloß sich ein langbärtiger Mann, dessen Leib in einem mit Schuppen überdeckten, geringelten Schweif endete, an; er blies aus voller Macht in eine gewundene Muschel, und obwohl kein Laut vernehmbar wurde, so däuchte es dennoch dem Ottaviano, als tönten die gespenstischen Klänge in sein Ohr, und betäubten es mit ihrem wilden Gekreisch. Jetzt folgte ein Schwarm gar feiner Mädchen mit langen, von der Nässe triefenden Haaren, hoben bald ein weißes Ärmchen, bald eine blendende Schulter aus den Wellen, schlüpften dann wieder wie verschämt in den feuchten Krystall zurück, und tauchten neugierig und lüstern lächelnd wieder auf. Manche, in losen, flatternden Gewändern, ritten auf Meerwundern, begrüßten mit Winken der zarten Hand den staunenden Jüngling und lockten ihn, sich dem wallenden Zuge anzureihen, während andere Nixen die Arme um bleiche, aus gläsernen Augen vor sich hinstarrende Knaben schlangen, und die kalt und frostig nebenher Schwimmenden vergeblich mit süßen Küssen zu erwärmen strebten. Ottaviano ahnte in den jungen Männern die ertrunkenen Fischer, die den Geistern des Sees verfallen waren, zu erblicken, und so war er denn auch zu seiner eigenen Verwunderung mit allen den gespenstigen Erscheinungen bekannt und vertraut, und alle ihre Namen waren ihm geläufig, ohne daß er sich recht besinnen konnte, ob er dieselben irgendwo schon gehört oder nur von ihnen geträumt habe. Er wußte auch, jetzt müsse der Herrscher über jenes spukhafte Gesindel erscheinen, und das grausige Rätsel sei seiner Lösung nahe. Dabei wurde er immer ruhiger und kälter, obwohl es ihn zu gleicher Zeit befremdete, baß ihn die Schauer der Geisterwelt nicht zu überwältigen vermochten.

Kaum daß er diesen Gedanken ausgedacht, als auch ein zweirädriger Wagen, mit breiten Schaufeln starr der Speichen, durch die Wellen rauschte. Vier grüne, glänzende Seerosse schwammen schnaubend vor ihm her, und wo sie die Wellen zerstampften und die Räder das Wasser aufwühlten, dort verstäubten die Tropfen wie flüssiges Feuer. Im Wagen aber stand der Herrscher mit funkelndem Stirnband, eine riesengroße, furchtbar schöne Gestalt.

»Ottaviano Sagramoso,« rief er dumpf, »was schaffst Du in meinem Reiche? Weshalb stellst Du Dich mir in den Weg? Nenne mir Dein Begehren!«

Der junge Edelmann zog den Brief aus dem Busen und hielt ihn, ohne ein Wort zu erwidern, hin. Daraus plätscherte ein Triton bis an den Kahn, nahm das Schreiben in Empfang und überreichte es seinem Fürsten. Als dieser die sieben Siegel gelöst und den Inhalt überschaut, hob er die Arme gen Himmel und rief mit lauter Stimme: »O Palumbo, Palumbo! Wirst Du denn nimmer von Deiner Bosheit lassen? Hast Du denn ganz vergessen, daß Deine Frist schier abgelaufen?« – Damit gab er tief aufseufzend einen Wink und stürmte wild vorüber, so daß die den Gewässern entsprühenden Funken ihm wie ein Feuerregen nachstoben. Der Triton aber schwamm zu einer hinterdrein gleitenden, von Schwänen gezogenen Muschel. Dort thronte Frau Venus, das reiche Haar mit Perlenschnüren durchflochten, sonst aber ganz wie das Bildwerk im Garten sie darstellte, mit der Rechten das luftige, durchsichtige Gewand erhebend, mit der Linken den Busen verdeckend, den zärtlich schmachtenden Blick auf den Jüngling gerichtet. Als sie das Geheiß ihres Herrn und Gebieters vernahm, begann sie laut zu klagen und bitterlich zu weinen; dann beschwor sie den jungen Mann flehentlich, seiner irdischen Liebe zu entsagen und ihr zu folgen, wo sie ihm dann ewige Freude und Wonne verhieß. Als aber Ottaviano von allen Bitten und Lockungen ungerührt blieb, und nur schweigend den Kopf schüttelte, rang sie verzweifelnd die schneezarten Hände, ward immer bleicher und nebelartiger, und streifte endlich schluchzend den Goldreifen vom Finger, mit welchem auch der Meermann unverzüglich zu dessen früherem Eigentümer zurückruderte.

Kaum hatte Ottaviano den Trauring wieder aufgesteckt, als die ganze Erscheinung verstob, und er sich wieder einsam auf dem Lago di Garda befand. Der Sturmwind legte sich, die Wellen zitterten leise aus und die Gestirne tauchten wiederum aus den Wolken und spiegelten sich in der geglätteten Fläche. Frohen Mutes ruderte der junge Mann auf Peschiera zurück.

Als er am folgenden Tage den Zauberer Palumbo von dem glücklichen Erfolge seiner Fahrt und den Worten, die der Höllenfürst gesprochen, in Kenntnis setzte, ward jener sehr traurig, denn er merkte wohl, daß nunmehr sein Stündlein geschlagen habe. Kurz darauf stand auch die Vigne leer, und der Maure war spurlos verschwunden. Der Frau Venus Steinbild aber war über Nacht vom Gestell herabgestürzt und lag in unkenntlichen Trümmern auf dem Boden.

Seitdem hat sich das Gespenst nicht wieder unterfangen, die Ruhe der jungen Eheleute zu verstören. Manches Jahrzehnt hindurch haben sie noch in einer reichgesegneten Ehe gelebt, und ihre Nachkommen werden in Verona noch bis auf diese Stunde zu den angesehensten und reichsten Edelleuten der Stadt gezählt.


 << zurück weiter >>