Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
In keinem Jahre waren seit Menschengedenken die jungen Paduaner, und namentlich die Herren Studenten der weltberühmten Universität so gottesfürchtig gewesen, als gerade im Jahre 1808.
Ich will damit bei Leibe nicht gesagt haben, daß die männliche Jugend des alten ehrwürdigen Patavium vor und nach jener Epoche just, was man so nennt, gottlos gewesen sei, sondern nur, daß ihre Frömmigkeit nicht die der andern ehrlichen Menschenkinder, sondern etwas aparter oder wohl mehr unscheinbarer Natur zu sein pflegt. Den Grund dieser Abweichung aber glaube ich allein darin zu finden, daß für Doktoren der Rechtsgelehrsamkeit oder Weltweisheit ein Tag von vierundzwanzig Stunden viel zu kurz ist; denn wie soll ein junger Mann nur zum Beten des Rosenkranzes kommen, wenn er die Hälfte des Tages über Folianten brüten muß, und wie in die Kirche, wenn er die andern zwölf Stunden im Weinhause liegt? Das Jahr 1808 brachte aber, wie bereits gemeldet, eine segensvolle Umwandlung bei allen denjenigen zuwege, welche der Tortur des einmaligen wöchentlichen Rasierens unterworfen waren.
In der elften Morgenstunde stand das alte Collegio del Bo verlassen, und der Bienenschwarm seiner Zöglinge umsummte die Reiterstatue des Generals Gatamelata, auf der Piazza di Sant' Antonio, stopfte die Kirchenthüren, das Haupt- und die Seitenschiffe und drängte sich dermaßen in der Kapelle des Santo, wie bekanntlich die Paduaner ihren Heiligen schlechtweg zu nennen pflegen, daß dort keine Stecknadel zur Erde konnte. Der Grund dieses außerordentlich frequenten Besuches war aber weder in einem allgemeinen Ablaß, oder in einem Jubeljahre zu suchen, nicht einmal in der Furcht vor der Cholera, (welche sonst die Gewissen junger Wüstlinge wunderbar zu schärfen pflegt) indem die Erfindung dieser Eisenbahnkrankheit zwanzig Jahre später fällt, sondern nur in der Hoffnung, die schöne neunzehnjährige Eufemia Pappagalli um jene Stunde in der Messe zu sehen.
Nun sind zwar, Dank dem wundertätigen Schutzpatron, in Padua schöne Mädchen eben keine Seltenheit, wohl aber Mädchen von so seltener Schönheit. Wenn ein Fremder in der Stella d'oro oder im Imperatore romano abstieg und sich beim Lohnbedienten nach den Merkwürdigkeiten der Stadt erkundigte, so war es der Name der reizenden Eufemia Pappagalli, welcher regelmäßig den ersten Platz einnahm; dann erst folgte der Santo, der Prato della Valle, der Palazzo della giustizia, und die anderen Kuriositäten bis auf Petrarchs ausgestopfte Katze in Arqua herab. Und, bei der Seele des heiligen Filippo Neri! diese Ehrenstelle verdiente sie mit vollem Fug und Recht. Es war die reizendste Blondine, die man sich denken konnte. Das Goldgitter der Wimpern fiel von tiefblauen Augen herab; ihr Mund – ihr Wuchs – – doch was schwatze ich! Eine Opera des famosen Maestro Rossini will gehört, ein Mädchen wie Eufemia gesehen werden. Ich könnte Euch erzählen, wie ihre Stirn die der Kapitolinischen Venus, ihr Arm den der Hebe von Canova in Palazzo Albrizzi bei weitem an Schönheit übertroffen habe. Das sind aber nur Worte, frostige, hohle Worte. Jeder meiner verehrten Zuhörer denke sich die erste Geliebte seiner Jugend, wenn er eines Gleichnisses bedarf; jede meiner schönen Zuhörerinnen wolle sich ihr eigenes Spiegelbild vergegenwärtigen – so und nicht anders kann es mir gelingen, Ihnen ein treues Bild von der holden Brenta-Blume, wie Eufemia von allen genannt wurde, zu entwerfen.
Eufemias Vater, Herr Pantaleone Pappagalli, war Barbier – aber kein gewöhnlicher. Nicht nur als Vater einer so ausgezeichneten Schönheit, sondern auch, weil er alle Tugenden und Laster seines Standes zu einem ungewöhnlichen Grade ausgebildet hatte. Sein Barbier-Salon, oder wie er ihn am liebsten nennen hörte, sein Studio, welcher hart an die Casa-Tronto-Pappa-Fava grenzte, war jederzeit von Kunden und Neugierigen überfüllt. Ich weiß wirklich nicht, wer von beiden größere Ursache hatte, mit der Bedienung des Signore Pantaleone zufrieden zu sein. Daß die Hand des Meisters mit dem schärfsten Birminghamer Messer über die Wange der Kunden leicht wie eine Schwalbe über den Teich fliege, und Flaum wie Stoppeln so gründlich vertilge, daß man sich im haarbefreiten Kinn spiegeln konnte – darüber herrschte nur eine Stimme. Zwanzig venetianische Dukaten hatte der Meister in öffentlichen Blättern demjenigen verheißen, welcher eidlich erhärten könne, von ihm geschnitten worden zu sein – das Geld lag aber fester als ein verzauberter Schatz. Adern an Arm und Bein schlug er niemals anders als mit verbundenen Augen, wie dies auch das herrliche Gemälde des Aushängeschildes den Vorübergehenden verkündete. Doch nicht allein am Bart, sondern auch am Haupthaar bekundete er seine Meisterschaft. Niemand außer ihm und seinem Sohn Toma, der schönen Eufemia Zwillingsbruder, – in Parenthese gesagt, ein langer, schlaffer Bengel, – besaß eine gleiche Kunstfertigkeit, der sprödesten Borste jede nur ersinnliche Schwingung zu verleihen, das spießartigste Flachshaar himmelan zu spornen, es mittelst Lucceser und Florentiner Essenzen zu einem ambulanten Orangenhain umzuwandeln.
Für Müßiggänger, welche sich zu halben Tagen in Pantaleones Studio herumtrieben, war nicht minder gesorgt. Sie hatten die Auswahl zwischen der Mailänder und Venetianer Zeitung, dem Padovaner Kurier, der Brescianer Plaudertasche, und weiß der Himmel was für Zeitschriften noch. Die Reime und Karrikaturen auf den Pappfähnchen, mit denen die Gäste sich Kühlung zufächern, waren stets die neuesten und witzigsten. An den Wänden hingen einige Guitarren, mit welchen Meister Pappagalli in den spärlichen Frei-Momenten seine jederzeit improvisierten Ritornelle oder Kanzonetten begleitete. Doch nur in seltenen Fällen füllten die Anwesenden ihre müßigen Augenblicke mit Ausübung der edlen Tonkunst, indem sie es fast durchgängig vorzogen, der anziehenden Konversation des Bartkünstlers ein andächtiges Ohr zu leihen. Und wahrhaftig, die genaue Kenntnis des alten Pantaleone von allem, was sich in der Stadt und in der Umgegend zutrug, grenzte an Allwissenheit. Auch Diejenigen, welche es weder mit der Chronique scandaleuse, noch mit Journal-Lektüre hielten, fanden dort ihre Rechnung. Das Nebenstübchen barg nämlich ein vollständiges Assortissement zierlich geschliffener Flaschen, welche allerhand Lüsternheit erweckende Etiketten zur Schau tragen, als da ist Rosoglio, Aqua doppia d'amandorle, Coniac, Marsala u.s.w. Und da die Preise der bicchierini auf das mäßigste gestellt waren, so füllte sich auch das Seitenkabinett mit Verschmachtenden zu jeder Tageszeit.
Daß der Wohlstand des Meisters Pappagalli unter so bewandten Umständen täglich zunehmen mußte, ist leicht begreiflich. Das Haus, welches er bewohnte, war schon seit längerer Zeit sein Eigentum. Nach und nach hatte er noch zwei Vignen und eine allerliebste Villeta vor dem Vicentiner Thor dazu gekauft, und außerdem wollten sonst ganz gut unterrichtete Leute wissen, wie nicht nur auf dem Palast Zaborello eine hübsche runde Summe von ihm stehe, sondern daß er auch in der letzten Zeit nicht unbeträchtliche Fonds in der Kasse des Monte di pietà niedergelegt haben solle. Kurzum Pantaleone war, was man so nennt, ein gemachter Mann.
Wenngleich nun auch der Meister den größten Teil seines Vermögens dem erfreulichen Fortgang seines Gewerbes zu verdanken hatte, so kann man doch nicht verschweigen, daß er schon vor der Zeit, wo er seine Barbierstube eröffnete, einen ganz anständigen Grund dazu legte. Meister Pappagalli war nämlich einige zwanzig Jahre hindurch das Faktotum der Herren Studenten gewesen. Kleider bürstend und Stiefeln putzend fing er an, wußte aber in kurzer Zeit durch die Gewandtheit, mit der er sich der intrikatesten Kommissionen entledigte, seinen Kunden sich unentbehrlich zu machen. War der Wechsel ausgeblieben, so schaffte Pantaleone jederzeit Rat, hatte stets eine mitleidige, geldvorschießende Seele in petto, oder war selber der Helfer – eine Gefälligkeit, der er sich mit klassischer Uneigennützigkeit unterzog, wofür unter anderem schon das spricht, daß er nur ein einzigesmal mehr als 75 Prozent für seine Mühe verlangt haben soll. Galt es einer verliebten Intrigue, so war es wiederum Pantaleone, welcher alle Hindernisse zu beseitigen verstand. Er wußte genau von jedem Vater einer hübschen Tochter, wann er auf das Kaffeehaus, und sie in die Messe gingen, konnte die Namenstage der schönen Paduanerinnen an den Fingern hersagen, sorgte für Konfitüren und Blumensträuße, sekundierte auf der Mandolina, hielt waghalsigen Fensterkletterern die Leiter, drückte Schlüssel in Wachs ab, steckte die Prügel der Rivalen ein – mit einem Wort, er war der Leporello der halben Universität.
In späteren Jahren wollte freilich Meister Pappagalli von jener abenteuerlichen Periode seines Lebens nicht viel mehr wissen. Saß er des Abends mit einigen Altersgenossen im Nebenzimmer allein, wo der Vino di Braganza die Nasen zu röten und die Zungen zu lösen begann, dann mochte es sich wohl treffen, daß er mit heimlichem Lächeln dieses oder jenes Abenteuer zum besten gab. Diese vertraulichen Mitteilungen wurden jedoch um so seltener, je mehr seine Kinder heranwuchsen. Dagegen konnte er stundenlang wie ein Buch gegen die Sittenverderbnis der jetzigen Jugend losziehen, und die gute alte Zeit in den Himmel erheben. Mit spezieller Bitterkeit glossierte er das Treiben der Herren Studenten und die Torturen, welche jeder Vater einer nur halbwege hübschen Tochter von ihnen zu erdulden habe. Und ganz unrecht hatte er nicht. An jedem Morgen fand der Meister, sowie er die Bude aufschloß, sein Haus von oben bis unten mit Sonetten bekleistert, alle zu Ehren der Brenta-Blume; wohin er sah, nichts als Reime wie flore, amore; sospiri, martiri. Cremona konnte für die, nächtlicherweile vor dem Hause gesprengten Mandolinensaiten kaum hinreichenden Ersatz schaffen, Siena ebenso wenig für die von den Rivalen zersplitterten Klingen. Daß vor lauter Musizieren und Rappieren keine Seele von der Nachbarschaft zum Schlafen kommen konnte, versteht sich von selber. Der Podesta erteilte dem vergeblich protestierenden Papa, jenes Unfugs halber, einen Wischer nach dem anderen, und hieß ihn die Tochter verheiraten oder ins Kloster stecken. Der Gescholtene zankte dann seine Frau aus und diese wiederum die Tochter. Ward aber jemals ein Verweis ungerechterweise erteilt, so war es der letztere. Schuldloser war niemand an allem Lärmen als die schöne Eufemia selber. Wenn sie nach der Frühmesse ging, so war ihr holdseliges Antlitz mit dem weißen Schleier verhängt; trat sie in die Kirche, so trippelte sie, ohne die schönen, blauen Augen weder rechts noch links zu wenden, nach dem Grabe des heiligen Antonio, preßte ihre blühenden Lippen andächtig an die Porphyrplatten, kniete zum Gebet oder zur Beichte nieder, und kehrte dann fromm und heilig wieder nach Hause. Sonst aber setzte sie den Fuß nicht über die Schwelle und ließ sich ebenso wenig am Fenster blicken. Noch konnte sich nicht einer der jungen Männer eines freundlichen Blickes von ihr rühmen.
So standen die Sachen bis zum Juli 1808, dem Monat, in welchem bekanntlich der große Markt mit dem Pferderennen auf dem Prato della Valle abgehalten wird. Es ist dies das Hauptvolksfest der Paduaner, und die Fremden strömen meilenweit zu dessen Feier herbei. Ich darf wohl voraussetzen, daß auch die Mehrzahl von Euch, meine hochgeehrten Zuhörer, wenigstens einmal während jener Zeit mit dem Postschiff auf dem Kanal der Brenta nach Padua geschwommen sei, und brauch' Euch demnach weder den prächtigen Platz, noch dessen 80 Marmorstatuen großer Paduaner, welche dort im Schatten der Ulmen stehen, ebenso wenig als die angrenzende Kirche Santa Giustina weitläuftig zu schildern. Solltet Ihr aber das Fest bisher versäumt haben, so kann ich Euch nur raten, das nächste Mal die sechs Lire, welche die Hin- und Herfahrt kostet, nicht zu scheuen – es lohnt der Mühe, sage ich Euch.
In dem erwähnten Jahre 1808 wurde das Fest feierlicher als jemals begangen. Der Zudrang der Menschen war ungeheuer. Von den Balkonen und Fenstern aller Häuser und Paläste, welche im weiten Kreise den Platz umstehen, hingen die reichen, kunstvoll gewebten Teppiche, deren buntschimmernde Farben bald die Wappen der Eigentümer, bald Gegenstände aus der heiligen wie aus der profanen Geschichte darstellten. Längs der Häuser und rings um den Kanal zogen sich in dreifachen Reihen die hölzernen Gerüste für Städter und Landvolk, während der Adel und die Reichen ihre Schaulust von den Söllern und Fenstern ihrer Schlösser aus befriedigten. Die festlich geschmückte Menge gewährte einen zauberischen Anblick. Alle die pittoresken Trachten der Landleute aus dem venetianischen und lombardischen Distrikten fanden sich auf dem Prato della Valle vereinigt. Hunderte von Karossen rollten in zwei Reihen langsam auf und nieder. Händchen und Fächer blieben in einem Winken und Grüßen nach den Fenstern hinauf, nach den Wagen hinab. Alles drängte sich lustig lärmend durcheinander und freudige Erwartung spiegelte sich auf jedem Gesicht. Endlich rückte eine Abteilung Kavallerie gravitätisch über die mit Sand bestreute Straße, um die Menge zu zerteilen und Raum für das Rennen zu schaffen, und Jeder beeilte sich, auf dieses Zeichen einen der noch unbesetzten Plätze auf den Tribünen, welche die Vermieter mit kreischender Stimme austrompeteten, zu erreichen. Die Wagen verloren sich, und die Barberi wurden unterm Geleit der Polizei vorübergeführt. Dreizehn Pferde waren es, welche um den Preis laufen sollten. Große auf ihre Hüften gemalte Nummern bezeichneten sie; Flittern und Rauschgold raschelte glitzernd in den mit Band durchflochtenen Mähnen. Es waren herrliche Tiere, und nur mit Mühe gelang es den Stallknechten, sie zu führen und die mit Stacheln versehenen Riemen, welche die Rennenden spornen sollten, über ihrem Rücken schwebend zu erhalten. Mit lautem Jubel begrüßte das Volk die edlen Rosse, welche unter der Tribüne des Podesta aufgestellt wurden. Endlich gab dieser das Zeichen, der hemmende Strick fiel, und mit Pfeilesschnelle flogen die gestachelten Renner die Bahn entlang – ein Blitz, und sie waren vorüber. Das Volk stürzte von den Tribünen und flutete dem Ziel zu, um den Ausgang des Wettkampfs zu vernehmen.
Auch Eufemia, welche zur Seite ihrer Mutter Santa dem Schauspiel beigewohnt hatte, stieg von ihrem Sitz, aber das Gewühl riß sie mit fort, und drängte sie aus dem mütterlichen Arm. Zu spät bedauerte sie, ihren sichern Standpunkt aufgegeben zu haben und schaute sich ängstlich nach einem Bekannten um, unter dessen Schutz sie sich begeben könne. Da erscholl aus tausend Kehlen der Angstruf: Ein Pferd! Ein Pferd!
Es war einer der Renner, welcher am Ziele nicht aufgefangen worden war und nun wie rasend auf der durchmessenen Bahn zurückstürmte. Mit Schaum und Blut überdeckt brach er durch die dichten Haufen; das tausendstimmige Geschrei machte ihn nur noch wilder. Rechts und links stäubten die Massen mit eigentümlicher Behendigkeit vor dem schnaubenden Rosse auseinander. Eufemia, welche verwirrt und zitternd unter der Menge stand, sah sich plötzlich frei auf der Straße stehen und das Pferd auf sich losjagen. Halb bewußtlos deckte sie die Augen mit der Hand – da sprang ein junger Mann aus dem Gedränge, riß das Mädchen zurück und führte einen gewaltigen Schlag mit dem Rohrstock gegen die Stirn des Rosses. Betäubt prallte dieses zurück und ließ sich von den nachkeuchenden Knechten geduldig einfangen; der junge Mann aber bot der halb Ohnmächtigen den Arm, um sie nach Hause zu geleiten. Während dessen hatte sich auch Signora Pappagalli wieder herangefunden, erschöpfte sich in Danksagungen gegen den rettenden Engel, und forderte ihn im ersten Enthusiasmus der Erkenntlichkeit auf, ihr geringes Haus mit seinem Besuch beehren zu wollen – eine Einladung, welche sich der schnurrbärtige Genius nicht zweimal sagen ließ.
Sein Name war Emidio di Castell-Viscardo ans Vicenza, wo sein Vater als einer der reichsten Kaufleute lebte. Er selber hielt sich der Studien halber in Padua auf, und war unter den Serenadenbringern, Blumenstreuern, Sonettendrechslern, welche der Brenta- Blume huldigten, einer der eifrigsten. Es war ein schöner blasser Mann mit dem schwärzesten Auge und Bart von der Welt, in Hinsicht auf Eleganz des Anzugs ein wandelndes Modejournal, saß mit Anstand zu Pferde, tanzte wie ein Gott, wußte angenehm und witzig zu plaudern, hatte Geld, viel Geld, war freigebig – kurzum, ein Amante, wie er im Buche steht.
Nach jahrelangem, vergeblichem Schmachten vor der Schwelle seiner Schönen wähnte Emidio sich in den siebenten Himmel versetzt, als er zum erstenmal zur Seite der lieblich errötenden Eufemia saß, und aus ihrem Munde die verwirrt gestammelten Danksagungen vernahm. Edlen weiblichen Seelen ist es aber die süßeste Pflicht, ihre Dankbarkeit an den Tag zu legen, namentlich wenn der Verpflichtende ein hübscher junger Mann ist, und fast schien es, als übertreibe die Schöne selber um ein weniges sowohl die Gefahr als die bewiesene Geistesgegenwart, nur um ihre Erkenntlichkeit in gleichem Maße steigern zu dürfen. Er war leidenschaft verliebt, sie blieb nicht gleichgiltig, die Eltern waren die Freundlichkeit und Schmiegsamkeit selber – was wunder, wenn das junge Paar schon nach Wochenfrist das Geständnis zärtlicher Zuneigung, die Schwüre ewiger Treue austauschte. Ob die alten Pappagalli jene bisher unerhörte Nachsicht und Willfährigkeit nur als gerechte Vergeltung des geleisteten Dienstes betrachteten, ob ihnen ein Vicentiner Vöglein ein herzensgewinnendes Lied von den Geldsäcken des alten Castell-Viscardo vorgesungen, bleibe dahingestellt. Den jungen Leuten blieb das Motiv gleichgiltig.
Liebende sind blind, um so blinder, weil sie wähnen, daß die Mitwelt es ebenfalls sei. Diesen allgemeinen Irrtum teilte denn auch unser seliges Paar, und war über die Maßen verwundert, als es vernahm, daß die Kunde von ihrer Liebe und Verlobung schon seit Wochenfrist der Gegenstand des Stadtgespräches sei: als ob es nicht vielmehr mit einem Wunder hatte zugehen müssen, wenn es dem Scharfblick der Tausende von jugendlichen verliebten Müßiggängern entgangen wäre, wie Eufemia ausschließlich von dem jungen Castell-Viscardo das Weihwasser annahm, wie sie genau die Minute, wo er vorüberreite, kannte, und seine Guitarre unter Hunderten zu unterscheiden wußte.
So kam denn auch die Nachricht von der ihm bevorstehenden Schwiegertochter zu den Ohren des Papa Vicente Viscardo um vieles früher, als das verliebte Söhnlein es gerade gewünscht haben mochte. Da nun aber dergleichen Botschaften häufiger von Raben als von Tauben überbracht werden, oder doch durch so viele Hände laufen, ehe sie an die Adresse gelangen, daß sie nie anders als gehörig angeschwärzt einpassieren, so war es auch eben nicht befremdend, daß der Bankier sich auf das entschiedenste den Heiratsplänen seines einzigen Erben opponierte. Die väterliche Epistel war eine Bouillontafel von Gift und Galle, Er begreife nicht, schrieb der Alte, wie ein Vicentiner Nobile (dort ist nämlich Jedermann Graf oder wenigstens von Adel), wie ein Glied eines so erlauchten Stammes als der seinige, so niedrig denken könne, daß er sich um die Tochter eines Bartkratzers bewerbe – eine Schmach, über welche die drei tanzenden Meerkatzen seines Wappens vor Scham erblaßten. Hierauf folgten noch diverse Androhungen von Fluch und Enterbung nebst homogenen Floskeln, mit denen unholde Väter höchst spendabel zu sein pflegen, und zum Schluß der gemessene Befehl, angesichts dieses nach Vicenza zurückzukehren.
Begreiflich wär' es gewesen, wenn der leidenschaftliche Liebhaber in Padua den Bannstrahlen seines ungnädigen Papstes Trotz geboten und es vorgezogen hätte, in den Fesseln seiner Armida zu schmachten, anstatt im Vaterlande sich von dem Feuer und Flamme speienden Drachen anschnauben zu lassen. Es bleibt aber nur verdrießlich, daß letztere einen unwiderstehlichen Zauber besitzen, mittels dessen sie widersetzliche, in der Fremde herumvagierende Söhne an sich zu ziehen und die Sehnsucht nach der Heimat so mächtig anzuregen wissen, daß die dezidiertesten Opponenten über Hals und Kopf zurückrennen müssen – jener wundersame Bann besteht im festen Zuschnüren des Geldbeutels, im Vorenthalten der benötigten Subsidien. Emidio vermochte ihm so wenig als ein ander Sterblicher zu widerstehen.
Über alle die weiteren Folgen jenes fulminanten Briefes schlüpfe ich leise hinweg, schweige von der Bosheit des Meisters Pantaleone gegen den Kaufmann, der ihm den Scherbeutel aufmußte, über die Galle der Mama Santa wegen Vereitlung ihres Lieblingsplanes, und will weder den Thränentau im Auge der Brenta-Blume, noch die Liebesschwüre des verzweifelnden Emidio herzählen, und, statt den ganzen gewöhnlichen Romanenjammer auseinander zu zerren, nur kurz und bündig berichten, wie an einem schönen Morgen der trostlose Emidio mit der Vettura nach Vicenza zurückkutschierte, und sehr weit entfernt war, die Herzensfreudigkeit seines, mit lustigem Gebell vorantanzenden Schafpudels zu teilen.
Ein freudloses Jahr war den unglücklich Liebenden seit ihrer Trennung verstrichen. Emidio saß den Tag über in dem Büreau eines Advokaten und langweilte sich nach besten Kräften bei Institutionen und Pandekten. Seine Briefe an Eufemia waren unbeantwortet geblieben, vielleicht auch durch seinen argwöhnischen Vater aufgefangen worden. Außer dem Gerücht, daß seine Geliebte seit Monaten kränkele, war ihm keine Kunde von ihr zu Ohren gekommen.
In den tyrolischen Nachbarlanden ging es zu jener Zeit gar blutig her. Andreas Hofer war aus der Höhle im Passeyr-Thal wieder hervorgetreten, und hatte die Fahne für seinen alten Herrscher und die Befreiung seines Vaterlandes geschwungen. Das Volk hatte ihm zugestanden und die fremden Eindringlinge verjagt. Die Rüstungen zur Fortsetzung des Kampfes wurden von beiden Teilen mit unermüdlichem Eifer betrieben. Allein in dem Königreich Italien wurden 15000 neue Streiter ausgehoben. Das Los traf, den Wehklagen des alten Castell-Viscardo und den drei Meerkatzen seines Wappens zum Trotz, auch unseren Emidio. Überglücklich, der dumpfigen Schreibstube und ihren vermoderten Akten entschlüpfen zu können, warf er das Tintenfaß an die Wand und die Büchse über die Schulter und zog jubelnd mit dem ersten Rekruten-Transport zu seinem Voltigeur-Regimente.
Es fehlte viel, daß die Kunde von der bevorstehenden Aushebung in dem Studio des Meister Pappagalli mit demselben freudigen Enthusiasmus aufgenommen worden wäre, als in dem des Vicentiner Juristen. Auch Toma, der Zwillingsbruder Eufemias, traf, dem Alter gemäß, die Reihe, sich zur Konskription zu stellen, und es bleibt unerörtert, wessen Herzblut bei dem Gedanken, daß er die fatale schwarze Kugel ziehen könne, mehr gerann, das eigene oder das der Mama Santa, deren Augapfel der fromme Jüngling war. Toma hatte sich mit lobenswertem Eifer in das Geschäft seines Vaters hineingearbeitet, wußte Schere und Seifpinsel mit gleicher Fertigkeit zu handhaben, war fast ebenso reich an Klatschereien und Lügen als jener, und bestimmt, nach zurückgelegtem vierundzwanzigsten Jahre die ganze Wirtschaft für eigene Rechnung zu führen. Der alte Pantaleone gedachte sich dann auf seine Villeta zurückzuziehen, um als Rentier seine Tage zu beschließen.
Man begreift demnach leicht, welches entsetzliche Loch die Wahlkugel in die gemütlichen Familienpläne reißen mußte. Mutter Santa hatte ihrem blassen Liebling, eh' er nach dem Rathaus zur Ziehung abging, ein Stück von den wahren Unterbeinkleidern des heiligen Rochus in den rechten Ärmel genäht, drei Messen für seine Erlösung lesen, und ihn von dem Pater Eusebio reichlich mit Weihwasser besprengen lassen.
Ich habe bereits zu Anfang Toma einen langen, schlaffen Bengel genannt, und kann es nicht zurücknehmen, obwohl seine Ähnlichkeit mit der holden Zwillingsschwester unverkennbar war. Was aber bei Frauen schön ist, kann oft bei Männern höchst widerwärtig erscheinen, und so fand sich denn die zarte Weiblichkeit des Mädchens in fade Weibischkeit bei dem Bruder verkehrt – der ganze Junge sah aus wie eine schlechte Parodie seiner Schwester. Übrigens war er einer von denjenigen, welche das Küchenfeuer dem Kartätschenfeuer bei weitem vorziehen, und jede Verwendung des Stahls, außer zu Rasiermessern und Brenneisen, für sündlichen Mißbrauch erklären.
Mit leichenfahlem Gesicht stand Toma in dem großen Saale des Justizpalastes, wo die Losung vorgenommen wurde, und vernahm in der Todesangst weder die Seufzer der Gepreßten, noch den Jubel der Glücklichen, welche die weiße Kugel gezogen hatten und an ihm vorüberstürmten. Als sein Name aufgerufen wurde, glaubte er in den Boden versinken zu müssen, griff mit der zitternden Linken in die Urne und zog sie mit der schönsten pechschwarzen Kugel wieder heraus. Entsetzt spreizte er die Finger auf, nicht anders, als ob er eine giftige Spinne gepackt habe, und wollte in Ohnmacht sinken – da fiel ihm ein, daß er ja mit der linken Hand statt mit der rechten, an welcher die schützende Reliquie hing, gezogen habe. »Noch einmal! Noch einmal!« schrie er verzweiflungsvoll. »Ich habe mich vergriffen, Padroni! Bei den Wundern der Heiligen flehe ich Euch an, laßt mich noch einmal ziehen. Es gilt nicht!« – Der Kommissario und die Gensdarmen lachten ihm ins Gesicht und hießen ihn einen Pinsel. Wie er nach Hause gekommen, wußte er nicht.
Schade, daß der Kaiser Napoleon nicht Augenzeuge von dem Elend war, in welches die Familie Pappagalli durch jenen unseligen Fehlgriff gestürzt wurde. Hätte er die Wehklagen der Mutter Santa, die Verwünschungen des Vaters Pantaleone, das Ächzen des angehenden Kriegsgottes vernommen – so zweifle ich keinen Augenblick, daß er nicht die ganze Konskription aufgehoben, wenn nicht gar auf ewige Zeiten Frieden geschlossen haben würde. So aber saß er in Paris oder Fontainebleau, oder Gott weiß wo, und ließ sich von dem Jammer, den er angerichtet, nichts träumen. Einen Stellvertreter herbeizuschaffen, Wie es Papa Pappagalli nur gar zu gern wollte, ging nicht mehr an, theils weil die remplaçans schon zu jener Zeit übermäßig im Preise gestiegen waren und die Militär-Behörden sich nur ungern zur Annahme eines solchen bewegen ließen, teils weil auch die Zeit dazu viel zu kurz war, und Toma schon am folgenden Tage abmarschieren mußte. Auf dem Thränenstrome seiner Eltern schwamm er aus Padua. Ein Dutzend Gensdarmen mit blanken Pallaschen umzingelte den Trupp Konskribierter, um erforderlichen Falls jede Regung der Reue in der jungen Heldenbrust mit Energie und ohne Verzug ersticken zu können.
Der erste Tagemarsch der Kolonne ging bis Vicenza. Ein weitläuftiges, seit dem Frieden von Campo-Formio leerstehendes Kloster war dem Rekruten-Transport als Quartier angewiesen worden. Gleich nach dem Einrücken der Vaterlandsverteidiger wurden die Thore gesperrt und zwei Mann mit scharfgeladenen Karabinern davor gestellt. Innerhalb der Ringmauern dagegen genossen die Konskribierten eine um so uneingeschränktere Freiheit, und jeder durfte nach Belieben sein Quartier in der Kirche, der Sakristei oder in einer der leerstehenden Zellen aufschlagen.
Toma saß auf einem der Steinsitze des offnen Kreuzganges, leise vor sich hin weinend, und ohne an dem wüsten Treiben seiner Kameraden Anteil zu nehmen. Der Wein war reichlich verteilt worden. Ein halbes Dutzend ultra-liberal denkender Jungfrauen hatte sich hochherzig entschlossen, das Gefängnis der Rekruten zu teilen und sie über den Verlust ihrer Freiheit nach Kräften zu trösten. Das Kreuzgewölbe hallte vom Gesang der trunkenen Soldaten, von den gellenden Tönen der Querpfeifen, vom Gelächter der ausgelassenen Dirnen. Die geleerten Flaschen flogen klirrend an die Mauer und an die Bilder verstorbener Mönche, welche zürnend über die sündliche Entweihung des Heiligtums aus den Rahmen herniederschauten. Dem Steinbild eines Märtyrers war mit frevelhaftem Spott eine Voltigeur-Mütze aufgesetzt, eine leere Bottiglia in die Arme gelegt worden. An der wieder angeglommenen ewigen Lampe zündeten die schnell Verwilderten ihre Tabakspfeifen an. Ein schauriger Wind pfiff durch die Gänge, bewegte flitternd an den Zellenthüren die zerfetzten Holzschnitte, welche die Wunder der Heiligen darstellten, und drückte den Rauch eines mächtigen Kochfeuers, welches im innern Raum des Kreuzganges loderte und an dem Fuß der einsamen hundertjährigen Cypressen leckte, zu Boden. Die ganze Szene war eine recht unheimliche.
»Voltigeur Pappagalli!« rief eine rauhe Stimme, welche das zügellose Treiben übertönte. »Voltigeur Toma Pappagalli! Wo steckt er?« – »Sitzt im Winkel,« schallte eine Antwort, »und beweint den Verlust des mütterlichen Zuckerbreis.« Ein wieherndes Gelächter lohnte dem Spötter. Toma fuhr aus seinen elegischen Träumen auf und beantwortete den Ruf mit einem kläglichen: hier!
Ein bärtiger Sergeant, welcher eine dicht verschleierte Dame ehrerbietig am Arme führte, trat auf ihn zu: »Pappagalli, die Signorina wünscht Dich zu sprechen.« – Mit einer tiefen Verbeugung gegen die Begleitete trat er zurück.
»Toma, erkenne mich,« flüsterte das Mädchen, »ich bin's,« – »Maria und Josef! Eufemia, Du?« – »Schweige und folge mir. Ich habe Dir wichtiges zu vertrauen.« – Toma gehorchte seiner schönen Schwester und entführte sie den Blicken der Neugierigen in eine der verlassenen Zellen.
»Den Jammer der trostlosen Eltern,« hob sie an, »kann ich nicht langer ertragen. Die unüberwindliche Begierde, Dich noch einmal zu sehen, Dir Geld und so manche in der Eile des Abmarsches vergessene Bequemlichkeit nachzubringen, dies waren die Vorwände, unter welchen ich heute Mittag Padua verließ – der wahre Grund meines Ankommens aber ist, um mit Dir zu tauschen. Laß uns rasch die Kleider wechseln, kehre zurück zu den Eltern, die Dich im Geschäft nicht entbehren können – ich will statt Deiner in den Krieg ziehen. Ich ähnle Dir, bin von Deiner Größe und stark genug, um die Beschwerden ertragen zu können. Entschließe Dich rasch, Bruder, die Zeit drängt. An der Klosterpforte steht das Kabriolett, welches mich hierher brachte. Aber eile, in kurzem werden die Thore geschlossen.«
Der ehrliche Toma rieb sich verlegen die Hände, schlenkerte bald mit dem rechten, bald mit dem linken Fuß in der Luft und schämte sich etwas Weniges, sich von einem Mädchen an Mut übertroffen zu sehen. Das ungeduldige Drängen der Schwester beschleunigte jedoch den Ausgang des Kampfes zwischen Scham und Lebenslust – die letztere behielt die Oberhand. In wenigen Sekunden war die Umwandlung bewerkstelligt und Toma verließ dicht verschleiert und das Taschentuch wie heftig schluchzend vor die Augen haltend, die Zelle. Der galante Sergeant bot ihm den Arm, führte ihn unter kernigen Trostsprüchen aus dem Thore und hob ihn selber in das Kabriolett. Ohne Unfall langte er um Mitternacht in Padua an.
Die Überraschung raubte den alten Pappagallis die Sprache. Anfänglich wußten sie nicht, ob sie den Kindertausch für Gewinn oder für Verlust halten, ob sie sich freuen oder beklagen sollten. Klug genug, um einzusehen, daß Geschehenes nicht mehr zu ändern sei, machten sie jedoch gute Miene zu bösem Spiel, priesen den Heiligen, daß er ihnen wenigstens den Liebling mit heiler Haut zurückgebracht, und stifteten zum leiblichen und Seelenheil ihrer martialischen Tochter eine ewige Lampe vor dem Altare der heiligen Eufemia.
In Padua wunderte sich jedermann, am folgenden Morgen den verlegen lächelnden Konskribierten wiederum in der Barbierstube mit vorgebundener weißer Schürze, den Kamm in den Haaren und dem Schermesser in der Hand wieder zu sehen. Man wünschte dem Alten Glück, wenn er es Jedem, der es hören wollte, erzählte, wie er für schweres Sündengeld einen Stellvertreter aufgetrieben und dem Transport nachgeschickt habe, und zuckte betrübt die Achseln, wenn man zugleich vernahm, daß die schöne Blume der Brenta, aus Verzweiflung über den Verlust ihres Zwillingsbruders, in dem Kloster Santa Annunziata zu Ferrara den Schleier genommen.
Mit Blitzesschnelle verbreitete sich diese letztere Kunde in Padua, und zwar zur größten Freude Derjenigen, welche in der Nähe des Palastes Tronto-Pappa-Fava wohnten, denn von nun an wurde ihre nächtliche Ruhe weder durch das Schwirren der Guitarren, noch durch das Klirren der Raufdegen gestört, Blumen, Saiten und Klingen fielen im Preise – aber auch in demselben Verhältnis die Frömmigkeit der Studierenden, welche wiederum, statt vor der Kirche des Santo zu antichambrieren, in den dunkeln, mit Wappenschilden geschmückten Hallen des Bo, oder in den noch dunkleren, mit Bottiglien ausstaffierten der Fiaschatterien saßen. Häufiger denn je durfte Vater Pantaleone die Zither von der Wand langen, um sich die Grillen hinwegzusummen, denn die Augenblicke der Muße häuften sich mehr, als es ihm just erwünscht war. Nur allzu schmerzlich erkannte er, daß der Hauptmagnet, welcher seine Barbierstube bisher gefüllt hatte, weder die Gelenkigkeit seiner Hand, noch die Rosoglioflaschen im Nebenzimmer, wohl aber die holdselige Brenta-Blume gewesen sei. Ein neuer Beweis, daß der Nimbus, welcher die Schädel der Väter schöner Töchter umzirkelt, nur ein erborgter, eine Art Mondglanz ist, welcher mit dem Versinken der Tochter-Sonne spurlos erblindet. Jetzt hätte der Meister den Tausch gern rückgängig gemacht, wenn's nur angegangen wäre. In Abwesenheit seiner Frau nannte er das Söhnlein einen coglione – war die Signora zugegen, so durfte er's freilich nicht wagen. Er war schon recht malkontent.
Als die Konskribierten am folgenden Tage Vicenza verließen, klopfte der Sergeant dem falschen Toma Pappagalli auf die Schulter, und versicherte diesen, seiner hübschen Schwester halber, fortan seiner speziellen Protektion. »Aber nur keck und unverzagt mußt Du sein,« fuhr er fort, »an Vater und Mutter zu denken, ist nicht mehr Zeit; jetzt heißt's der Kaiser und die Ehre. Meiner Treu, will es mich doch fast bedünken, als ob Du schon halb getröstet wärest. Siehst noch einmal so frisch und keck als gestern aus, noch einmal so hübsch. Mort de ma vie! Nur vier Wochen Kampagne, und Du bist der fixeste Voltigeur in der Kompagnie, Hab's nicht besser gemacht, als ich ausgehoben wurde, und nun sieh mich an. Drei Chevrons und das Kreuz! – Und nun laß uns einen Schluck nehmen, das gehört mit zum Soldaten.«
Wenn jedoch das Trinken allein den guten Soldaten gemacht hätte, so wäre Eufemia zweifelsohne der kläglichste in dem ganzen Regiment gewesen. Zum Glück wogen ihre übrigen guten Eigenschaften, – die Leichtigkeit, mit der sie den Dienst erlernte, die Willfährigkeit, mit welcher sie sich ihm unterzog, die unermüdliche Dienstfertigkeit gegen ihre Kameraden, – jenes böse Verschmähen der Flasche auf. Die Offiziere waren ihr alle gewogen und zeichneten sie bei jeder Gelegenheit aus. Die Voltigeurs hatten ihr wegen ihres scheuen, zurückhaltenden Wesens den Spitznamen »Prinzessin Pappagalli« gegeben. Vier Wochen waren im Depot zu Bassano unter steten Übungen in den Waffen verstrichen. Daß Eufemia anfänglich beim Abdrücken ihres Karabiners die Äuglein zugekniffen, läßt sich nicht in Abrede stellen; bald jedoch wurde sie beherzter, und schoß ihre Kugel so gut wie ein anderer ins Schwarze. So viel wenigstens stand fest, daß sie sich beim Abdrücken des Gewehres den Schnurrbart nicht versengen konnte; behaupteten doch die aus ihrer Heimat gebürtigen Soldaten gerade zu: der Vater Pappagalli hätte seinem Söhnlein vor dem Ausmarsch den Bart gleich auf die ganze Kapitulations-Zeit im voraus abgenommen.
Eufemia war es nicht unbekannt geblieben, daß Emidio Castell- Viscardo in dem nämlichen Regiment diene. Wie sie aber zu dieser Kunde gelangt, und ob sie nicht vielleicht ein Hauptmotiv zum Stellentausch gewesen sein möge – dies sind zwei Fragen, die ich unbeantwortet lassen muß. Ihr Freund war ihr bisher unsichtbar geblieben. Die Voltigeurs marschierten und fochten in einzelnen Kompanieen, wurden bald dieser, bald jener Abteilung beigegeben, und stießen selten anders als nach Beendigung des Feldzugs wieder zusammen. Keine wußte eben viel von der anderen. In Napoleons Armee war das Korrespondieren nicht an der Tagesordnung. Es ging ein dumpfes Gerücht, daß die Vicentiner Kompagnie schon längst in Tyrol eingerückt und schon ein paarmal tüchtig im Feuer gewesen sei. Die Blume der Brenta ließ das Köpfchen tief hängen. Endlich bekam denn doch auch ihr Detachement den Befehl zum Aufbruch.
Es verstummte aber doch so mancher von den fröhlich trällernden Voltigeurs, als sie die Höhe mit der Schanze Cavallo erklommen hatten und nun den Scheideblick auf das schöne Italien warfen. Jeder mochte sich wohl fragen, ob er nicht auf immer von seinem Heimatlande Abschied nahm, von den Olivenhainen, von den mit Weinranken umflochtenen Ulmen, von dem ewig blauen Himmel; denn der Krieg, in welchen sie zogen, war der verderblichste, der seit Menschengedenken geführt worden war. Es galt nicht Heer gegen Heer, wohl aber Volk gegen Volk, Vertilgung der Fremden oder der Eingeborenen, morden oder gemordet werden. Wenn die Kolonnen sich schweigend durch die engen Felsenpässe, durch die düstern Tannenwälder wanden, dann knallten die Büchsen aus den Schluchten, und die Felsen schüttelten ihre grauen Häupter, und Blöcke und Baumstämme donnerten von der Höhe und zermalmten diejenigen, welche die Kugel verschont hatte. Die Glocken, deren Klänge über die Wiese zogen, geleiteten nicht den stilldemütigen Zug der Kirchgänger, ihr ängstliches Gewimmer mahnte den Landmann, den Stutzen von der Wand zu reißen, mit Weib und Kind in die Wildnis zu flüchten und den Brand in die eigene Hütte zu werfen.
Die Schlacht am Berge Isel war am 13. August geschlagen worden. Das Gebirgsvolk hatte gesiegt, aber die Lücken in den Gliedern der Franken wurden durch die, von allen Seiten hinzuströmenden Kämpfer schnell ergänzt. Die Kampfeswut der Eindringlinge wuchs mit der Verzweiflung der Landesbewohner.
Eine französische Heeresabteilung schickte sich mit Sonnenaufgang an, das Biwak zu verlassen und auf die Straße nach Insbruck vorzurücken. Der Befehlshaber hatte die in der Umgegend vereinzelten Detachements und die Reserve herangezogen – über Nacht waren sie eingetroffen. Die Feuer erloschen allmählich. Noch war das Zeichen zum Aufbruch nicht gegeben; die Soldaten irrten in wildem Gewirr von Fahne zu Fahne, um ihre Landsleute aufzusuchen, zu begrüßen, oder reinigten beim trüben Schein der Brände ihre Waffen vom Nachttau.
Unter den Ankömmlingen befand sich auch Emidio, Eufemia hatte es vernommen. Mit hochklopfendem Herzen weilte sie bei ihrer Abteilung: es war ihr unmöglich, dem geliebten Freund auch nur einen Schritt entgegen zu gehen. Jetzt, wo ihr heimliches, so lang genährtes Sehnen in Erfüllung gehen sollte, jetzt wünschte sie sich wieder meilenweit hinweg. Wie sollte sie ihm, der keine Ahnung von ihrem Wagnis hatte, unter die Augen treten? Was sollte er von ihr denken? Frei atmete sie erst wieder auf, als die Wirbel der Trommel, der Ruf der Hörner die verstreuten Soldaten zu ihren Fahnen rief und die Kolonne sich schwerfällig in Marsch setzte.
Es war ein trüber Septembermorgen. Aus den Schluchten und Tannenwäldern wälzten sich dichte Nebelsäulen himmelwärts: dann und wann riß der Wolkenschleier, und einer der Schneegipfel streckte sein glänzendes Silberhaupt aus den Nebelfalten. Der Sturm sauste durch die Föhrenwälder, und über die Felsblöcke rauschte zur Seite des Weges in wilder Flucht ein hochgeschwollener Gießbach. Die Truppen rückten lautlos vor, machten Halt, bis die vorangesandten Plänkler die Wälder und Hohlwege durchstreift hatten, und zogen dann wieder vorsichtig weiter. So betraten sie ein von schroffen Felsen umstelltes Thal. Einzelne Häuser lagen am Bach verstreut. Aus ihrem hölzernen Giebel schlug die Lohe himmelan. Sie konnten nur eben erst von den Bewohnern verlassen worden sein. Da prasselte das kleine Gewehrfeuer von den Höhen.Von allen Seiten schlugen die Kugeln in die dichtgedrängte Heerschar. Aus den Schluchten tauchten einzelne Gestalten auf, kecke Jäger, mit grünen, federgeschmückten Hüten, zielend, treffend, spurlos verschwindend. Das Blei der Franzosen prallte von den steinernen Schilden ab, welche die Tyroler schirmten; sie sahen sich geopfert, ohne Rache nehmen zu können, wehrlos hingeschlachtet – ihre Reihen begannen zu schwanken.
Da heißt der französische General sämtliche Voltigeur-Kompanieen die Anhöhe erstürmen, die schroffen Zacken erklimmen, den Feind aus seinem Verstecke zu verjagen. Der Befehl ist gewisser Tod, Eufemia befindet sich unter den vorrückenden Tirailleurs. Mit schallendem »Vive l'Empereur!« werfen die Tapferen sich gegen die steinernen Wälle, klettern von Zacke zu Zacke, von Vorsprung zu Vorsprung, stürzen durchbohrt von Kugeln, zermalmt von Steinen in die Abgründe zurück. Neue Stürmer drängen sich jauchzend in den Tod, allen voran ein jugendlich schöner Offizier – es ist Emidio, Eufemia erkennt ihn, sieht ihn in demselben Augenblicke mit der geballten Faust wider die Brust schlagen, getroffen hinstürzen, schleudert das Gewehr von sich, fliegt laut aufschreiend durch den Kugelregen auf ihren Freund zu, hebt ihn vom Boden auf und trägt die teure Last aus dem Feuer. Eine Kugel ereilt die Rettende und streift ihr den Arm, sie aber läßt nicht von dem Geliebten, bis sie ihn im Schutz der befreundeten Scharen weiß, bis sie ihn zu Füßen des steinernen Muttergottesbildes mit den sieben Schwertern im Herzen niederlegt – dann erst schwinden ihre Kräfte und der lähmende Hauch der Ohnmacht löst ihre Glieder.
Etwa drei Monate später war an einem Sonntagmorgen ganz Padua auf dem Beinen und scharte sich Kopf an Kopf gedrängt auf den Platz vor der Kirche des heiligen Antonius. Die Neugierde der Paduaner war in diesem Falle eine sehr verzeihliche, denn daß ein Leutnant einen gemeinen Voltigeur heiratet, ist zweifelsohne ein Fall, der in den Annalen der Kriegsgeschichte zu den seltensten gehört. Der Leutnant war der seiner Wunde halber entlassene Emidio und der bräutliche Soldat die schöne Blume der Brenta. Jene Ohnmacht war an ihr zur Verräterin geworden und hatte ihr den ehrenvollsten Abschied ausgewirkt. Jetzt zog sie zur Seite ihres glücklichen Bräutigams mit der Myrtenkrone im Haar durch die Evviva! rufende Menge. Die Väter Vicente und Pantaleone folgten Arm in Arm; das Blut des Heldenmädchens hatte die drei tanzenden Meerkatzen des Wappens mit dem Scherbeutel ausgesöhnt.
Eufemia verließ bald darauf ihre Vaterstadt, um dem Gatten in die seinige zu folgen. Ihr Gedächtnis wird aber dem Herzen eines jeden Paduaners unvergeßlich bleiben, und meines Erachtens verdient sie nach dem Tode eine Statue auf dem Prato della Valle so gut als Antenor, Titus Livius und sonst einer der achtzig Berühmten. Vor der Hand aber ist sie auf jene Ehre nicht im mindesten begierig und wünscht nichts weiter, als die möglichst lange Dauer ihrer gesegneten Ehe.