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Man fuhr anfangs so schnell, als die Kräfte des durch eine gute Nachtruhe im Stall wieder gestärkten alten Gaules und der Zustand der mit dem am Abend vorher gefallenen Schnee bedeckten Straße es erlaubten. Die von Sigognac und dem Tyrannen gezüchtigten Bauern konnten leicht in größerer Anzahl zum Angriff wiederkehren, und es galt daher so rasch als möglich eine Entfernung zu gewinnen, die eine solche Verfolgung unwahrscheinlich machte. Zwei gute Meilen wurden schweigend zurückgelegt, denn das beklagenswerte Ende des Matamor machte die Lage noch betrübender. Jeder dachte daran, daß er eines schönen Tages ebenso am Rande der Straße unter dem Aas verscharrt und fanatischer Entweihung preisgegeben werden könnte. Blasius, den die Zunge juckte, begann mit einer Menge Zitate, Sentenzen und Maximen aus seinen Pedantenrollen über dieses Thema zu philosophieren.
Der Tyrann hörte ihn an, ohne ein Wort darauf zu entgegnen. Seine Gedanken folgten einer andern Richtung, so daß Blasius die zerstreute Miene seines Kameraden endlich bemerkte und ihn fragte, woran er dächte.
»Ich denke«, antwortete der Tyrann, »an Milo von Croton, der einen Stier mit einem Faustschlage erlegte und in einem einzigen Tage auffraß. Diese Leistung gefällt mir, und ich fühle mich imstande, sie nachzuahmen.«
»Unglücklicherweise fehlt nur der Ochse«, meinte Scapin, sich in das Gespräch mischend.
»Ja,« entgegnete der Tyrann, »ich habe weiter nichts als die Faust und den Magen. Oh, wie glücklich sind die Strauße, die sich mit Kieseln, Gamaschenknöpfen, Messerheften, Gürtelschnallen und anderen dergleichen Viktualien, die ein menschlicher Magen nicht zu verdauen vermag, mästen. Die Alten waren klug, denn sie ließen zum größern Ruhm der Toten und zur bessern Gesundheit der Lebenden auf ihre Begräbnisse stets Mahlzeiten folgen, bei denen es Fleisch und Wein in Fülle gab. Wie gern vollzöge ich in diesem Augenblick diesen philosophischen Ritus, der so ungemein geeignet ist, die Tränen zu trocknen.«
»Mit andern Worten,« sagte Blasius, »du möchtest gern etwas essen. O Polyphem, Vielfraß, Gargantua, du ekelst mich an.«
»Und du, du möchtest gern trinken«, entgegnete der Tyrann. »O Sand, Schwamm, Trichter, Tonne, Weinschlauch, du erweckst mein Mitleid!«
»Wie schön und nutzbringend wäre eine Verschmelzung dieser beiden Prinzipien!« rief Scapin in versöhnlichem Tone. »Hier am Rande der Straße sehen wir ein Wäldchen, das mir ganz geeignet zu sein scheint, darin haltzumachen. Man könnte den Wagen hinlenken und, wenn noch einige Mundvorräte da sind, hinter diesem natürlichen Schirm gegen den rauhen Wind geschützt, so gut es geht, frühstücken. Dieser Aufenthalt würde dem Pferde Zeit geben, auszuruhen und uns, während wir unsere Brocken nagen, miteinander zu beraten, welche Entschlüsse wir für die Zukunft unserer Gesellschaft zu fassen haben – eine Zukunft, die mir ganz verteufelt umwölkt erscheint.«
»Du sprichst goldene Worte, Freund Scapin«, sagte der Pedant.
Man lenkte den Wagen von der Straße ab in das Dickicht hinein, und das losgespannte Pferd begann unter dem Schnee die kümmerlichen, seltenen Grashalme zu suchen, die es mit seinen langen gelben Zähnen abriß. Auf einem kleinen freien Platze wurde ein Teppich ausgebreitet. Um dieses improvisierte Tischtuch herum nahmen die Schauspieler nach türkischer Art Platz, und Blasius trug die aus dem Wagen geholten Eßwarenreste sorgfältig und symmetrisch auf, als ob es sich um einen regelrechten Schmaus gehandelt hätte.
»Ha, wie schön!« rief der Tyrann, erfreut über diesen Anblick. »Ein fürstlicher Haushofmeister hätte seine Sache nicht besser machen können. Blasius, obwohl du ein wunderbarer Pedant bist, so wäre doch das Amt eines Küchenchefs dein eigentlicher Beruf gewesen.«
»Danach habe ich allerdings auch getrachtet, das widrige Geschick aber hat mich mein Ziel nicht erreichen lassen«, antwortete der Pedant mit bescheidener Miene. »Vor allen Dingen, liebe Freunde, rate ich, daß ihr euch nicht allzu heißhungrig auf die Delikatessen stürzt. Kauet langsam und andächtig. Übrigens werde ich euch die Rationen vorschneiden, wie dies auf einem Wrack unter Schiffbrüchigen zu geschehen pflegt. Dir, Tyrann, reiche ich hiermit diesen Schinkenknochen, an dem noch ein Fetzen Fleisch hängt. Mit deinen starken Zähnen wirst du ihn zermalmen und ihm philosophisch das Mark aussaugen. Ihnen, meine Damen, gehört dieser in den Ecken noch mit Fülle versehene und inwendig mit einer ziemlich dicken Speckschicht garnierte Pastetenrest. Ihnen, Herr Baron von Sigognac, dieser Wurstzipfel. Hüten Sie sich dabei wohl, den Bindfaden mit zu verschlucken. Heben Sie sich ihn zum Abendbrot auf, denn das Mittagessen ist eine der Verdauung schädliche und überflüssige Mahlzeit, die wir heute übergehen werden. Leander, Scapin und ich werden uns mit diesem ehrwürdigen Stück Käse begnügen. Was das Brot betrifft, so steht denen, die es zu hart finden, frei, es ins Wasser zu tauchen und die Holzspäne herauszuziehen, um sich Zahnstocher daraus zu schnitzen. Vom Wein hat jeder Anspruch auf einen Becher, und als Kellermeister bitte ich euch, die Nagelprobe zu machen, damit nichts von dem edlen Naß vergeudet werde.«
Sigognac war an diese mehr als spanische Mäßigkeit schon längst gewöhnt und hatte in seinem Schlosse der Armut mehr als eine Mahlzeit gehalten, deren Brosamen die Mäuse vergebens gesucht haben würden, denn er war selbst die Maus. Dennoch mußte er den guten Humor und die komische Ader des Pedanten bewundern, der Stoff zum Lachen selbst da fand, wo andere nur geächzt und geweint hätten. Nur Isabella beunruhigte ihn. Marmorne Blässe bedeckte ihre Wangen, und während sie aß, klapperten ihr die Zähne wie Kastagnetten mit einer fieberhaften Bewegung, die sie vergebens zu unterdrücken suchte. Ihre dünnen Kleider schützten sie nur schlecht gegen die bittere Kälte, und Sigognac, der neben ihr saß, warf ihr, obschon sie es nicht wollte, die Hälfte seines Mantels über die Schultern und drückte sie an sich, um ihr ein wenig von seiner Wärme mitzuteilen. Dies blieb auch nicht ohne Wirkung, und eine schwache Röte erschien wieder auf Isabellas schämigem Antlitz.
Während die Komödianten aßen, hatte sich mehrmals ein ziemlich seltsames Geräusch hören lassen, auf das sie anfangs nicht geachtet, weil sie es für eine Wirkung des Windes hielten, der durch die entblätterten Äste des Waldes pfiff. Es dauerte nicht lange, so wurde das Geräusch deutlicher. Es war eine Art heiseres, zugleich dumpfes und zorniges Geröchel, dessen eigentliches Wesen schwer zu erklären gewesen wäre. Die Frauen verrieten einige Furcht.
»Wenn das eine Schlange wäre!« rief Serafina. »Ich wäre sofort des Todes, so sehr entsetze ich mich vor diesen abscheulichen Tieren.«
»Bei der gegenwärtigen Temperatur«, entgegnete Leander, »sind die Schlangen erstarrt und liegen in ihren Schlupfwinkeln versteckt in tiefem Winterschlafe.«
»Leander hat recht«, sagte der Pedant. »Es muß etwas anderes sein – irgendeine wilde Bestie, die durch unsere Gegenwart geschreckt oder gestört wird. Lassen wir uns deshalb in unserem Schmause nicht stören.« Scapin hatte, als er das Zischen oder Röcheln vernahm, sein Fuchsohr gespitzt, das, wenn auch rot vor Kälte, aber darum nicht weniger fein war, und schaute mit aufmerksamem Auge nach der Seite, woher das Geräusch kam. Es raschelte im Grase, als ob ein Tier sich näherte. Scapin bedeutete seinen Kollegen durch eine Handbewegung sich still zu verhalten, und es dauerte nicht lange, so kam mit ausgestrecktem Hals und sich mit majestätischer Dummheit auf seinen breiten Schwimmpfoten wiegend ein prächtiger Gänserich aus dem Dickicht heraus. Zwei Gänse, seine Weiber, folgten ihm in naiver Zuversicht.
»Da kommt ein Braten, der freiwillig in den Spieß läuft«, sagte Scapin in gedämpftem Tone. »Der durch unsern Hunger gerührte Himmel schickt ihn uns gerade zur rechten Zeit.«
Der schlaue Scapin erhob sich bei diesen Worten und entfernte sich von der übrigen Gesellschaft, indem er einen Halbkreis beschrieb, so leichtfüßig, daß der Schnee nicht das leiseste Knarren seiner Füße hören ließ. Die Aufmerksamkeit des Gänserichs wurde durch die Gruppe der Schauspieler gefesselt, die er mit einem Gemisch von Neugier und Mißtrauen betrachtete und deren Anwesenheit an diesem gewöhnlich menschenleeren Orte er sich in seinem obskuren Gänsegehirn nicht erklären konnte. Scapin, der in dergleichen Dingen viel Übung und Erfahrung zu besitzen schien, näherte sich mittlerweile dem Gänserich von hinten und warf ihm mit rascher und gewandter Bewegung seinen Mantel über den Kopf. Dies geschah in weit kürzerer Zeit, als man braucht, um es zu beschreiben.
Unverweilt stürzte er sich nun auf das Tier und packte es am Halse unter dem Mantel, den die Flügelbewegungen des armen erstickenden Tieres sehr bald fortgeschleudert haben würden. Bald hörte der erwürgte Gänserich auf, sich zu sträuben. Sein Kopf fiel auf Scapins Faust herab, die Flügel hoben sich nicht mehr krampfhaft. Seine orangefarbenen Schwimmpfoten streckten sich nur noch leise zitternd aus. Er war tot.
»Bravo, Scapin, du hast deine Rolle gut gespielt!« rief der Tyrann.
Der Gänserich wurde von der alten Leonarda kunstgerecht geschlachtet und gerupft. Während sie mit dieser Arbeit beschäftigt war, lasen Blasius, der Tyrann und Leander, die sich in dem Walde zerstreut hatten, dürres Holz auf, schüttelten den Schnee davon ab und legten es an einer trockenen Stelle auf einen Haufen. Scapin schnitzte mit seinem Messer einen Stab, von dem er die Rinde ablöste und der die Stelle des Bratspießes vertreten sollte. Zwei oberhalb des Knotens abgeschnittene Gabeläste wurden als Träger und Feuerböcke in die Erde gesteckt. Mit Hilfe einer aus dem Wagen geholten Handvoll Stroh wurde schnell ein Feuer angezündet, das rasch emporloderte und mit seiner Flamme den angespießten Gänserich beleuchtete, während es zugleich durch seine Wärme die in einem Kreise um den Herd herumsitzende Gesellschaft wieder neu belebte.
Scapin saß mit bescheidener Miene und, wie es dem Helden der Situation geziemt, mit gesenktem Auge da und drehte von Zeit zu Zeit die Gans, die durch die Einwirkung der Glut allmählich eine schöne goldene, appetitlich anzusehende Farbe gewann und einen saftigen Geruch verbreitete, der den verwöhntesten Feinschmecker in Ekstase versetzen konnte. Blasius war zum Wagen gegangen und holte aus einer Kiste eine große zinnerne Schüssel, die bei Festgelagen mit auf dem Theater figurierte. In diese Schüssel legte man feierlich die Gans, die beim Tranchieren einen blutigen, aber köstlich duftenden Saft um sich her verbreitete.
Der Braten wurde in gleiche Teile zerlegt, und das Frühstück begann nun von neuem. Diesmal handelte es sich nicht mehr um eine vorgetäuschte, trügerische Nahrung.
»Jetzt, da wir gesättigt sind,« sagte der Tyrann, indem er sich mit der Hand den Bart wischte, »wäre es sehr angemessen, ein wenig über das zu sprechen, was wir zu tun gedenken. Ich habe kaum noch drei oder vier Pistolen in der Kasse und ich werde als Schatzmeister bald in den Ruhestand treten. Unsere Truppe hat zwei wertvolle Mitglieder, Zerbine und Matamor, verloren, und übrigens können wir auch nicht unter freiem Himmel zum Ergötzen der Raben, der Wachteln und der Elstern Komödie spielen. Mit dem Pferd, das zwischen der Gabeldeichsel unseres Wagens seinen Todeskampf zu kämpfen scheint, ist es unmöglich, vor zwei Tagen nach Poitiers zu kommen. Das ist sehr tragisch, denn wir laufen binnen dieser Zeit Gefahr, vor Hunger oder Kälte am Rande eines Grabens liegen zu bleiben. Gebratene Gänse kommen nicht alle Tage aus dem Gebüsch.«
»Du setzest das Übel sehr gut auseinander,« entgegnete der Pedant, »aber du gibst uns nicht das Mittel dagegen an.«
»Mein Rat ist,« fuhr der Tyrann fort, »in dem ersten Dorfe, das wir erreichen, haltzumachen. Die Feldarbeiten sind jetzt beendet. Wir haben lange Abende. Gern wird man uns eine Scheune oder einen Stall vermieten. Scapin schlägt dann vor der Tür die Trommel und verspricht den erstaunten Dorflümmeln ein außerordentliches und wunderbares Schauspiel mit der Vergünstigung, das Eintrittsgeld in Naturprodukten zu bezahlen. Ein Huhn, ein Schinken, eine Hammelkeule berechtigen den Geber, auf den ersten Bänken Platz zu nehmen. Die zweiten bezahlt man mit ein paar Tauben, einem Dutzend Eier, einem Korb Gemüse, einem hausbackenen Brot oder etwas Ähnlichem. Die Bauern, die mit dem Geld sehr geizig sind, pflegen es nicht mit den Lebensmitteln zu sein, die sie vorrätig haben und die sie nichts kosten. Später wird es uns weniger schwer werden, Poitiers zu erreichen, wo ich einen Gastwirt kenne, der uns auf Borg beherbergt und beköstigt.«
»Aber,« fragte Scapin, »was für ein Stück sollen wir spielen, selbst wenn wir ein Dorf fänden, wo man geneigt wäre, unsere Vorstellungen zu besuchen. Unser Repertoire ist jetzt ein sehr beschränktes. Tragödien und tragische Komödien wären böhmische Dörfer für diese Tölpel, die weder von der Geschichte noch von der Fabel unterrichtet sind und nicht einmal die reine französische Sprache verstehen. Man müßte ihnen eine lustige Posse vorführen, die nicht sowohl mit attischem Salze, sondern mit kräftigen Späßen, Fußtritten, Nasenstübern und andern dergleichen Handgreiflichkeiten nach italienischer Art gewürzt wäre. Die ›Rodomontaden des Kapitäns Matamor‹ hätten sich ganz vorzüglich dazu geeignet, unglücklicherweise aber hat Matamor gelebt, und er wird seine Tiraden nun höchstens noch den Würmern zum besten geben.«
Als Scapin ausgeredet hatte, gab Sigognac durch eine Gebärde zu verstehen, daß er sprechen wolle. Eine leichte Röte, die letzte, die ihm der Adelsstolz in die Wangen trieb, färbte sein in der Regel selbst im frischen Windhauche bleiches Gesicht. Die Komödianten schwiegen und warteten.
»Wenn ich«, hob der Baron an, »auch nicht das Talent des armen Matamor besitze, so besitze ich doch beinahe seine Magerkeit. Deshalb werde ich sein Rollenfach übernehmen und ihn, so gut ich es vermag, zu ersetzen suchen. Ich bin euer Kamerad, und will es ganz sein. Übrigens müßte ich mich auch schämen, wenn ich bloß von euren glücklichen Tagen Nutzen ziehe und euch nicht während eures widrigen Geschicks zu nützen suchen wollte. Wer auf der ganzen Welt kümmert sich um das Geschlecht der Sigognacs? Mein Schloß fällt über der Gruft meiner Ahnen in Trümmer. Vergessenheit deckt meinen ehemals ruhmreichen Namen, und der Efeu verhüllt mein Wappenschild über meinem verlassenen Tore. Vielleicht kommt einmal der Tag, an dem die drei Störche freudig ihre silbernen Flügel schütteln und das Leben zugleich mit dem Glück wieder in jene öden Räume einzieht, in denen meine Jugend sich hoffnungslos verzehrte. Mittlerweile nehmet mich, die ihr mir die Hand geboten, um mich aus jener Höhle zu erlösen, frei und offen als einen der euren an. Ich heiße nicht mehr Sigognac.«
Isabella legte ihre Hand auf den Arm des Barons, wie um ihn zu unterbrechen. Sigognac aber achtete nicht auf ihre bittende Miene, sondern fuhr fort:
»Ich falte meinen Baronstitel zusammen und lege ihn auf den Boden meines Mantelsackes wie ein Kleid, das nicht mehr getragen wird. Geben Sie mir ihn daher nicht mehr. Wir werden sehen, ob ich, auf diese Weise verkleidet, von dem Unglück erkannt werden werde. Ich trete also an Matamors Stelle und führe hinfort als Schauspieler den Namen: Kapitän Fracasse.«
»Es lebe der Kapitän Fracasse!« rief die ganze Gesellschaft zum Zeichen des Einverständnisses. »Möge der Beifall ihm überall folgen!«
Dieser Entschluß, der die Schauspieler anfangs überraschte, war nicht so plötzlich gefaßt worden, wie es den Anschein hatte. Sigognac war schon lange mit dem Gedanken daran umgegangen. Er schämte sich, der Schmarotzer dieser wackeren Leute zu sein, die ihre eigene geringe Habe so freigebig mit ihm teilten, ohne ihn jemals fühlen zu lassen, daß er ihnen zur Last sei, und er hielt es für eines Edelmannes weniger unwürdig, die Bretter zu betreten, um sein Brot redlich zu verdienen, als es wie ein Almosen oder einen Tribut anzunehmen, ohne etwas dafür zu leisten.
Nachdem die Sache auf diese Weise besprochen war, spannte man das Pferd an den Wagen und setzte die Reise weiter fort. Die gute Mahlzeit hatte der Gesellschaft wieder neues Leben gegeben, und alle, mit Ausnahme der komischen Alten und Serafinas, die nicht gern marschierten, folgten dem Wagen zu Fuße und erleichterten um so viel dem armen Gaul seine Last. Isabella stützte sich auf den Arm des jungen Barons, auf den sie zuweilen zärtliche Blicke richtete, denn sie zweifelte nicht, daß er nur aus Liebe zu ihr den Entschluß gefaßt habe, Schauspieler zu werden, was doch dem Stolz eines Mannes von Stand und Geburt gewaltig widerstreben mußte. Sie hätte ihm darüber Vorwürfe machen wollen, aber sie hatte nicht die Kraft, ihn wegen dieses Beweises von Anhänglichkeit zu tadeln, den sie gleichwohl verhindert hätte, wenn sie ihn hätte voraussehen können. Denn sie gehörte zu jenen Frauen, die, wenn sie lieben, sich selbst vergessen, und nur das Interesse des Geliebten sehen. Als sie nach Verlauf einiger Zeit sich ein wenig müde fühlte, stieg sie wieder in den Wagen und nahm unter einer Decke neben der komischen Alten Platz.
Zu beiden Seiten des Weges erstreckte sich das schneebedeckte Gefilde in unabsehbarer Ferne. Nirgends eine Spur eines Fleckens, eines Dorfes oder eines Weilers.
»Die Aussichten für unsere beabsichtigte Vorstellung sind nicht die günstigsten«, sagte der Pedant, nachdem er seine Blicke über den Horizont hin hatte gehen lassen. »Es sieht aus, als ob die Zuschauer nicht in großer Zahl herbeiströmten. Soweit mein Auge reicht, läßt nirgends ein Kirchturm seinen Wetterhahn blicken.«
»Nur Geduld, lieber Blasius«, antwortete der Tyrann. »Zu dicht nebeneinander gebaute Wohnungen verderben die Luft, und es ist der Gesundheit bloß zuträglich, die Dörfer so weit als möglich auseinander zu rücken.«
»Dann haben die Bewohner dieser Gegend von Epidemien, schwarzer Pest und bösen Fiebern nichts zu fürchten. Wenn das so fortgeht, so fürchte ich, daß das Debüt unseres Kapitäns Fracasse noch nicht so bald stattfinden wird.«
Während dieses Gespräches neigte sich der Tag, und kaum unterschied man hinter einem dichten Vorhang bläulicher Wolken einen schwachen rötlichen Lichtschein, der die Stelle bezeichnete, wo die Sonne unterging, als ob sie es müde wäre, diese eintönige, traurige, nur mit Raben schwarz punktierte Landschaft zu beleuchten.
Ein eisig kalter Wind hatte den Schnee so hart gemacht, daß er spiegelte. Das arme alte Pferd kam nur noch mit äußerster Mühe vorwärts. Bei der mindesten Abschüssigkeit des Bodens glitten seine Hufe aus, wie sehr es auch seine steifen Beine einstemmen und seine magere Kruppe krümmen mochte. Die Last des Wagens schob es doch vorwärts, obschon Scapin neben ihm herging und es am Zügel führte. Trotz der Kälte rieselte ihm der Schweiß an den fleischlosen Flanken herab und wurde von der Reibung des Geschirres zu Schaum. Sein Stündlein hatte geschlagen, aber noch stehend kämpfte es, als wackeres Pferd, das es stets gewesen, seinen Todeskampf. Endlich stürzte es, schlug noch einmal, wie um sich gegen den Tod zu verteidigen, matt mit den Hinterfüßen aus und streckte sich dann lang, um nicht wieder aufzustehen.
Erschrocken über dieses neue Unglück, begannen die Frauen einen Hilferuf auszustoßen. Die Männer kamen ihnen zu Hilfe und hatten sie bald aus dem Wagen, der beim Stürzen des Pferdes umgeschlagen war, befreit. Leonarda und Serafina hatten keine Verletzung davongetragen, Isabella aber war infolge der plötzlichen Erschütterung und des Schreckens ohnmächtig geworden. Sigognac hob sie in seinen Armen auf, während Scapin sich bückte und die Ohren des Pferdes betastete, das, wie von Papier ausgeschnitten, flach und glatt auf dem Boden lag.
»Es ist wirklich tot«, sagte Scapin, indem er sich mit dem Ausdruck der Entmutigung aufrichtete. »Das Ohr ist kalt, und die Pulsader schlägt nicht mehr.«
»Nun«, rief Leander in kläglichem Tone, »werden wir also genötigt sein, uns selbst anzuspannen wie Zugtiere oder wie Schiffzieher. Oh, warum bin ich jemals auf den unglücklichen Gedanken gekommen, Schauspieler zu werden!«
»Jetzt ist nicht Zeit zu klagen und zu ächzen!« schrie der über diese unzeitigen Klagen ärgerliche Tyrann. »Zeigen wir uns lieber als Männer und sehen wir vor allen Dingen, ob die gute Isabella ernstlich erkrankt ist. Doch nein; da schlägt sie wieder die Augen auf. Unsere Gesellschaft muß sich nun in zwei Trupps teilen. Der eine bleibt mit den Frauen bei dem Wagen, der andere zerstreut sich, um Hilfe herbeizuholen. Wir sind keine Russen, daß wir hier, mit dem Hintern im Schnee sitzend, überwintern könnten bis morgen früh. Wir haben nicht die dazu erforderlichen Pelze, und die Morgenröte würde uns gefroren und verglast finden wie eingemachte verzuckerte Früchte. Wohlan, Kapitän Fracasse, Leander und du, Scapin, ihr seid leichtfüßig wie Achill. Macht euch auf, rennt wie magere Katzen und bringt uns bald Verstärkung. Blasius und ich wir werden mittlerweile bei der Bagage Wache stehen.«
Die drei Genannten schickten sich an aufzubrechen, obschon sie sich von ihrer Expedition keinen großen Erfolg versprachen, denn die Nacht war schwarz wie das Loch eines Backofens, und nur der Widerschein des Schnees konnte einigermaßen die Richtung erkennen lassen. Wenn aber die Dunkelheit die Gegenstände erlöschen läßt, so läßt sie doch auch dagegen die Lichter hervortreten, und es dauerte nicht lange, so begann am Fuße eines Hügels, in ziemlich großer Entfernung von der Straße, ein kleiner rötlicher Stern zu funkeln.
»Schaut,« sagte der Pedant, »das ist das rettende Gestirn, das den verirrten Reisenden ebenso angenehm ist als der Polarstern den Seefahrern in periculo maris. Dieser Stern mit den wohltätigen Strahlen ist eine Lampe oder ein Licht hinter einer Fensterscheibe, was auf ein gut verwahrtes, warmes Zimmer schließen läßt, das zu einem von zivilisierten Wesen bewohnten Hause gehört. Ohne Zweifel brennt dort in dem Kamin ein munteres Feuer, und über diesem Feuer hängt ein Kessel, in welchem eine fette Suppe kocht. O angenehmes Bild, nach dem meine Phantasie den Bart leckt. Und in Gedanken begieße ich es mit zwei oder drei Flaschen Wein, die ich, mit Spinnweben bedeckt, hinter den Reisbündeln hervorziehe.«
»Du faselst, mein lieber guter alter Blasius,« sagte der Tyrann, »und der Frost, der dir unter deinem kahlen Schädel das Gehirn zusammenzieht, läßt Trugbilder vor deinen Augen tanzen. Dennoch liegt in deinem Delirium wenigstens das Wahre, daß dieses Licht auf ein bewohntes Haus schließen läßt. Dies ändert unsern Feldzugsplan. Wir werden sofort sämtlich die Richtung nach diesem rettenden Leuchtturme einschlagen. Es ist nicht wahrscheinlich, daß in dieser Nacht auf dieser öden Straße Räuber vorüberkommen, die unsern Wald, unsern Marktplatz und unsern Saal stehlen. Nehmen wir ein jeder seine Sachen. Es wird keiner sehr schwer zu tragen haben. Morgen kommen wir dann wieder hierher, um den Wagen zu holen. In der Tat, ich beginne schon zu erstarren, und die Spitze meiner Nase fühle ich bereits nicht mehr.«
Die Schauspieler setzten sich in Bewegung. Isabella stützte sich auf Sigognacs Arm, Leander führte Serafina, Scapin schleppte die komische Alte, Blasius und der Tyrann bildeten den Vortrab. Sie schlugen sich querfeldein, gerade auf das Licht zu, zuweilen durch Gebüsche oder Gräben gehindert, zuweilen bis an die Knie in Schnee sinkend. Endlich, nachdem dieser oder jener mehr als einmal gefallen war, gelangte man an ein großes, von langen Mauern umgebenes und mit einem Torweg versehenes Gebäude, das, soviel man im Dunkeln urteilen konnte, das Ansehen eines Meierhofes hatte. Die Lampe machte in der schwarzen Mauer ein leuchtendes Viereck und ließ die Glasscheiben eines kleinen Fensters sehen, dessen Laden noch nicht geschlossen war. Die Wachhunde, die die Annäherung von Fremden witterten, begannen unruhig zu werden und anzuschlagen. Man hörte sie in dem nächtlichen Schweigen hin und her rennen und an der Mauer in die Höhe springen. Tritte und Männerstimmen mischten sich in das Gebell. Es dauerte nicht lange, so war der ganze Meierhof wach.
»Bleibt in einiger Entfernung«, sagte der Pedant zu seinen Gefährten. »Unsere Zahl würde diese guten Leute erschrecken, die uns dann für eine Bande Räuber ansehen könnten. Da ich alt bin und ein väterliches, gutmütiges Gesicht habe, so will ich allein an den Torweg pochen und die Unterhandlungen anknüpfen. Vor mir wird man sich nicht fürchten.«
Dieser Rat war klug und wurde befolgt. Blasius pochte an das Tor, das erst ein wenig und dann völlig geöffnet wurde. Nun sahen die Komödianten von der Stelle aus, wo sie mit den Füßen im Schnee standen, ein ganz unerklärliches und überraschendes Schauspiel. Der Pedant und der Bauer, der seine Lampe hob, um dem Manne, der ihn auf diese Weise störte, ins Gesicht zu leuchten, begannen, nachdem sie einige Worte gewechselt, die die Wartenden nicht verstehen konnten, auf seltsame Weise zu gestikulieren und stürzten dann einander in die Arme, wie man es auf dem Theater bei Erkennungsszenen zu sehen pflegt.
Ermutigt durch diesen Empfang, den sie nicht begriffen, den sie aber nach dieser Pantomime für einen günstigen und herzlichen hielten, näherten sich die Schauspieler schüchtern mit kläglicher und bescheidener Miene.
»Heda, Kameraden!« rief der Pedant mit freudiger Stimme, »kommt heran und fürchtet euch nicht. Wir sind bei einem Kunstgenossen, einem Lieblinge der Thalia, mit einem Worte bei dem berühmten Bellombre, der früher bei Hofe und in Paris ebenso wie in der Provinz so großen Beifall fand. Euch allen ist sein glänzender Ruhm bekannt. Segnet den Zufall, der uns in dieses philosophische Asyl geführt hat, in dem dieser Held des Theaters auf seinen Lorbeern ausruht.«
»Treten Sie ein, meine Damen und Herren«, sagte Bellombre, indem er mit anmutiger Courtoisie auf die Schauspieler zukam und den Mann verriet, der unter seiner bäuerischen Kleidung die guten Manieren nicht vergessen hat. »Der kalte Nachtwind könnte Ihren kostbaren Stimmorganen schaden, und wie bescheiden auch meine Wohnung sein mag, so werden Sie sich doch in ihr wohler befinden, als unter freiem Himmel.«
Man kann sich leicht denken, daß die Komödianten sich nicht lange bitten ließen und in die Meierei eintraten, sehr erfreut über dieses Abenteuer, an dem übrigens nur die Vorgeschichte des Zusammentreffens außerordentlich war. Blasius hatte nämlich früher einer Truppe angehört, bei der sich auch Bellombre befand, und da sie einander in ihrem Rollenfach keine Konkurrenz machten, so schätzten sie einander gegenseitig und waren infolge einer gemeinsamen Neigung zu der göttlichen Flasche sehr gute Freunde geworden. Bellombre, den ein sehr bewegtes Leben dem Theater zugeführt, hatte sich, nachdem er von seinem Vater diesen Meierhof mit Zubehör geerbt, wieder von der Bühne zurückgezogen. Die Rollen, die er spielte, verlangten einen jugendlichen Darsteller, und er war daher froh gewesen, abtreten zu können, ehe ihm noch die Falten seinen Abschiedsbrief auf die Stirn schrieben.
Das Zimmer, in das die Schauspieler traten, war ziemlich groß und diente, wie dies bei den meisten solchen Gehöften der Fall ist, gleichzeitig als Schlafzimmer und als Küche. Ein Kamin, dessen Mantel durch einen Vorhang von vergilbtem grünem Stoffe drapiert war, nahm eine der Wände ein. Ein roter Bogen von Backsteinen in der geschwärzten Wand verriet die in diesem Augenblick mit einem blechernen Schieber geschlossene Öffnung des Backofens. Auf ungeheuren eisernen Feuerböcken brannten lustig knisternd vier oder fünf ungeheure Holzscheite oder vielmehr Baumstämme. Der Schein dieses schönen Feuers erleuchtete das Zimmer so lebhaft, daß das Licht der Lampe eigentlich überflüssig war.
In dem Winkel am Fenster verrieten zwei oder drei auf einem holzgeschnitzten Tische liegende Bücher, daß der Herr des Hauses nicht gänzlich Bauer geworden war, sondern sich in den langen Winterabenden die Zeit mit Lektüre und den Erinnerungen an seine frühere Wirksamkeit vertrieb.
Erwärmt durch diese Atmosphäre und diesen gastfreundlichen Empfang, empfand die ganze Truppe ein inniges Gefühl des Behagens. Die rosige Farbe des Lebens kam auf den bleichen Gesichtern und den von Kälte aufgesprungenen Lippen wieder zum Vorschein. Heiterkeit funkelte aus den soeben noch fast erloschenen Augen, und die Hoffnung erhob wieder das Haupt. Jener schielende, hinkende, heimtückische Gott, den man das Unglück nennt, war es endlich müde, die wandernde Gesellschaft zu verfolgen und schien, ohne Zweifel durch den Tod des armen Matamor beschwichtigt, sich mit dieser magern Beute begnügen zu wollen.
Bellombre hatte seine Knechte herbeigerufen, und diese bedeckten den Tisch mit Schüsseln, Tellern und dickbäuchigen Krügen, zur großen Freude des Pedanten, dessen Durst selbst zur Nachtzeit stets wach war.
»Du siehst,« sagte er zu dem Tyrannen, »wie logisch ich meine Schlüsse von dem kleinen roten Licht abgeleitet habe. Es handelt sich hier weder um Trugbilder noch Gespenster. Ein fetter Dampf steigt wirbelnd von der reichlich mit Kohl, Rüben und andern Gemüsen gewürzten Suppe auf. Der frisch abgezogene rote helle Wein glänzt in den mit rosenfarbenem Schaum gekrönten Krügen. Das Feuer lodert um so heller, als es draußen kalt ist. Und übrigens haben wir zu unserem Wirt den großen, berühmten, nie genugsam gepriesenen Bellombre, die Blüte aller vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Schauspieler, obschon ich, indem ich dies sage, niemandes Talent zu nahe treten will.«
»Unser Glück wäre vollkommen, wenn nur der arme Matamor noch da wäre«, seufzte Isabella.
»Was ist ihm denn Schlimmes zugestoßen?« fragte Bellombre, der den Matamor dem Namen nach kannte.
Der Tyrann erzählte ihm das tragische Geschick des im Schnee gebliebenen Kapitäns.
»Ohne das glückliche Zusammentreffen mit einem wackern alten Kameraden hätte uns diese Nacht vielleicht etwas Ähnliches bevorgestanden«, sagte Blasius. Während man aß, erzählte er seinem Freunde Bellombre von dem Zustand, in dem sich die Truppe befand. Der ehemalige Schauspieler schien darüber durchaus nicht verwundert zu sein.
»Das Glück des Theaters ist noch weit launenhafter als das der Welt im allgemeinen«, antwortete er. »Sein Rad dreht sich so schnell, daß es kaum einen Augenblick stehenbleibt. Wenn es aber auch oft fällt, so steigt es doch auch und findet sein Gleichgewicht bald wieder. Morgen werde ich mit meinen Ackerpferden euren Wagen holen lassen, und dann schlagen wir in meiner Scheune ein Theater auf. Gar nicht weit von hier liegt ein ziemlich großer Flecken, der uns genug Zuschauer liefern wird. Trägt die Vorstellung nicht genug ein, nun, so liegen auf dem Boden meiner alten ledernen Börse noch einige Pistolen von besserem Schrot und Korn als die Spielmarken, die auf der Bühne die Goldmünzen vorstellen, und beim Apollo, ich werde meinen alten Blasius und seine Freunde nicht in der Patsche stecken lassen.«
»Ich sehe schon,« sagte der Pedant, »du bist immer noch der freigebige Bellombre, und dein Herz ist bei den ländlichen Beschäftigungen nicht verrostet.«
»Nein«, antwortete Bellombre. »Ich bebaue zwar meine Felder, aber ich lasse mein Gehirn nicht brachliegen. Im Winkel dieses Kamins, mit den Füßen auf den Feuerböcken, lese ich wieder die alten Schriftsteller und blättere in den Stücken der Schöngeister des Tages, insoweit ich sie mir in dieser abgelegenen Einöde verschaffen kann. Ich studiere zum Zeitvertreib die Rollen nach meinem Belieben und ich sehe ein, daß ich zu der Zeit, in der man mir auf den Brettern Beifall schenkte, weil ich eine sonore Stimme, eine zierliche Haltung und ein gut geformtes Bein hatte, weiter nichts als ein großer Geck war. Damals zweifelte ich nicht an meiner Kunst und ging ohne Überlegung auf alles los, wie eine Elster, die die Nüsse vom Baume pickt. Die Dummheit des Publikums war mein Erfolg.«
»Nur der große Bellombre kann so von sich selbst sprechen«, sagte der Tyrann höflich.
»Die Kunst ist lang, das Leben ist kurz«, fuhr der ehemalige Schauspieler fort. »Ganz besonders ist dies der Fall bei dem Bühnenkünstler, der seine Idee durch seine Person zur Anschauung bringen soll. Ich hatte mir einige Ausbildung erworben, aber unglücklicherweise wurde ich korpulent, was bei meinem Rollenfache als tragischer Liebhaber einen geradezu lächerlichen Effekt machte. Ich wollte nicht warten, bis zwei Theaterdiener mich aufheben mußten, wenn die Situation mich zwang, mich vor der Prinzessin auf die Knie niederzuwerfen, um ihr mit engbrüstigem Schlucken und kläglichem Augenverdrehen meine Liebe zu erklären. Ich ergriff die Gelegenheit, die diese Erbschaft mir darbot, und zog mich in meinem Ruhme zurück, denn ich hatte nicht Lust, jenen Hartnäckigen nachzuahmen, die sich nur mit faulen Äpfeln und Orangenschalen von den Brettern verjagen lassen.«
»Du tatest wohl daran, Bellombre,« entgegnete Blasius, »obschon dein Rücktritt allzu früh war, und du wohl noch zehn Jahre beim Theater hättest bleiben können.«
In der Tat sah Bellombre, von der Landluft zwar gebräunt, immer noch sehr gut aus. Seine an den Ausdruck der Leidenschaften gewöhnten Augen erglänzten bei dem Feuer der Unterhaltung. Das üppige Haar, in dem nur erst wenig Silberfäden sichtbar waren, fiel in dichten Locken bis auf die Schultern herab. Bellombre war mit einem Worte noch ein sehr schöner Mann.
Blasius und der Tyrann fuhren fort in Bellombres Gesellschaft zu zechen. Die Damen zogen sich in ein Zimmer zurück, in dem die Knechte ein tüchtiges Feuer angezündet hatten. Sigognac, Leander und Scapin betteten sich in einem Winkel des Stalles auf einem Haufen frisches Stroh, wo sie überdies durch den Atem der Tiere und warme Pferdedecken vor aller Kälte geschützt waren.
Während so die Gesellschaft teils trank, teils schlief, lag vor dem verlassenen Wagen das Pferd immer noch zwischen seiner Gabeldeichsel. Der Morgen begann zu grauen. Auf dem weißen Schnee hüpften einige Raben umher, die, durch die Witterung angelockt, sich vorsichtig dem toten Tiere näherten. Einer, der kühner war als die andern, flog auf und ließ sich dann auf den Kopf des Pferdes nieder. Schon senkte er den Schnabel, um dem Kadaver die Augen auszuhacken, als er plötzlich innehielt, sein Gefieder sträubte und zu horchen schien.
Ein schwerer Tritt ließ weithin auf der Straße den Schnee knirschen. Der Tritt kam näher, und es dauerte nicht lange, so wurde die unklare Gestalt eines Mannes, der etwas trug, durch den Morgennebel hindurch sichtbar.
Der Rabe hielt es für rätlich sich zurückzuziehen und flog auf, indem er ein langes Krächzen ausstieß. Der ganze Schwarm flatterte mit rauhem, gellendem Geschrei nach den benachbarten Bäumen. Der Mann war in der Nähe des Wagens angelangt und überrascht, mitten auf der Straße einen herrenlosen Wagen mit einem Tier bespannt zu finden, das tot war, blieb er stehen und warf einen verstohlenen, vorsichtigen Blick um sich.
Um die Sache besser zu untersuchen, stellte er seine Bürde auf den Boden. Diese Bürde stand von selbst gerade und begann zu gehen, denn es war ein kleines Mädchen von etwa zwölf Jahren. Der lange Mantel, der es vom Kopf bis auf die Füße einhüllte, gab ihm, wenn es über die Schulter seines Begleiters gebogen lag, beinahe das Aussehen eines Felleisens oder Quersackes. Schwarze, fieberhaft glänzende Augen leuchteten mit unheimlichem Feuer unter den Falten der Kopfbedeckung, Augen, die vollkommen denen Chiquitas glichen. Eine Perlenschnur brachte einige glänzende Punkte in den gelben Schatten ihres Halses, und die Lumpen, die sie um ihre nackten Beine gewickelt trug, bildeten zu diesem Luxus einen seltsamen Kontrast.
Es war in der Tat Chiquita selbst, und ihr Begleiter kein anderer als Agostin, der Räuber mit den Strohmännern. Er war es überdrüssig geworden, sein edles Handwerk noch länger auf unbesuchten Straßen auszuüben und war im Begriff, sich nach Paris zu begeben, wo alle Talente Verwendung finden. Des Nachts marschierte er, und am Tage hielt er sich versteckt, wie alle Raubtiere zu tun pflegen. Die Kleine hatte trotz ihres Mutes vor Frost und Ermüdung nicht weiter gekonnt, und Agostin trug sie, ein Obdach suchend.
»Was soll das bedeuten?« sagte Agostin zu Chiquita. »Gewöhnlich halten wir die Wagen an, aber jetzt hält ein Wagen uns an. Hüten wir uns, daß er nicht etwa voll Reisender steckt, die uns die Börse oder das Leben abverlangen.«
»Es ist niemand darin«, antwortete Chiquita, die ihren Kopf unter das Leinwanddach des Wagens gesteckt hatte.
»Vielleicht ist dann etwas anderes darin«, fuhr der Bandit fort. »Wir wollen die Sache wenigstens näher untersuchen.«
Mit diesen Worten suchte er in den Falten seines Gürtels und nahm Stahl, Stein und Schwamm heraus. Nachdem er auf diese Weise Licht angeschlagen, zündete er eine Blendlaterne an, die er für seine nächtlichen Entdeckungsreisen stets bei sich trug, denn das Tageslicht erhellte noch nicht das dunkle Innere des Wagens. Chiquita, die in der Hoffnung auf Beute ihre Müdigkeit sofort vergaß, kroch in den Wagen und ließ den Schein der Blendlaterne auf die darin enthaltenen Gegenstände fallen. Sie sah aber weiter nichts, als alte gemalte Leinwandkulissen, pappene Dekorationen und einige Lumpen ohne Wert. »Suche nur ordentlich, meine gute Chiquita,« sagte der Bandit, während er Schildwache stand, »suche in den Taschen der Vorhänge.«
»Es ist nichts darin, gar nichts, was der Mühe verlohnte, mitgenommen zu werden. Ah, da kommt doch etwas. Es ist ein Beutel, in dem etwas Metallenes klirrt.«
»Gib ihn schnell her,« sagte Agostin, »und leuchte mir mit der Laterne, damit ich den Fund näher untersuche. Bei Lucifers Hörnern und Schwanz! wir sind doch zum Unglück geboren. Ich hoffte, gutes Geld in diesem Beutel zu finden, und siehe da, es sind weiter nichts als Spielmarken von Messing und vergoldetem Blei. Na, wenigstens wollen wir von dieser Begegnung den Nutzen ziehen, daß wir, durch das Leinwanddach des Wagens vor dem Winde geschützt, ein wenig ausruhen. Deine armen blutenden Füße können dich nicht mehr tragen, so rauh ist der Weg und so lang die Reise. Unter dieser Leinwand kannst du ein paar Stunden schlafen. Während dieser Zeit werde ich wachen, und wenn wir vielleicht aufgeschreckt werden, so sind wir dann schnell bereit.«
Chiquita kroch, soweit sie konnte, in den Hintergrund des Wagens, zog, um sich ein wenig zu erwärmen, die alten Dekorationen über sich hinweg und schlief sehr bald ein. Agostin blieb in dem Vorderteile des Wagens sitzen, und hielt sein geöffnetes Messer bereit, während er mit jenem langen Blicke des Banditen, dem kein verdächtiger Gegenstand entgeht, die Umgebung beobachtete. Das tiefste Schweigen herrschte über dem einsamen Gefilde. Auf den Abhängen der fernen Hügel glänzten einzelne mit Schnee bedeckte Stellen im bleichen Schimmer des Morgens wie weiße Gespenster oder Marmorsteine eines Kirchhofes. Aber alles bewahrte ganz beruhigende Unbeweglichkeit. Agostin fühlte, wie ihn trotz seines eisernen Willens und seiner abgehärteten Leibesbeschaffenheit der Schlaf übermannte. Schon mehrmals hatten sich seine Augenlider gesenkt, und er hatte sie mit raschem Entschlusse wieder emporgehoben. Die Gegenstände begannen zwischen seinen Augenlidern zu verschwimmen, allmählich verlor er das Bewußtsein, als ihm mitten in einem unzusammenhängenden Traume vorkam, als ob ein feuchter, warmer Hauch sein Gesicht berührte. Er erwachte, und seine Augen begegneten, als sie sich öffneten, zwei anderen, die dunkel erglühten.
»Die Wölfe fressen einander nicht, mein Kleiner«, murmelte der Bandit. »Dein Gebiß ist noch ein wenig zu schwach, um mich zu zerreißen.«
Und mit einer Bewegung, rascher als der Gedanke, packte er das Tier mit der linken Faust an der Gurgel, faßte mit der rechten sein großes Messer und stieß es ihm bis ans Heft ins Herz. Dennoch hielt Agostin trotz seines Sieges den Platz für nicht mehr sicher und weckte Chiquita, die bei dem Anblicke des auf der Straße ausgestreckt liegenden toten Wolfes keine Furcht verriet.
»Es wird besser sein,« sagte der Bandit, »wenn wir uns wieder aufmachen. Dieses Aas lockt die Wölfe an, die ganz besonders zur Zeit des Schnees, wo sie nichts zu fressen finden, vor Hunger wie toll sind. Ich könnte allerdings einige erlegen, wie ich mit diesem hier getan, aber sie könnten auch leicht zu Dutzenden kommen, und wenn ich einschliefe, so wäre es mir sehr unangenehm, in einem Raubtiermagen zu erwachen. Bin ich gefressen, so machen sie aus dir, meine kleine Lerche mit den zarten Knochen, nur einen Bissen. Vorwärts denn, solange noch dieser Kadaver unsere Feinde beschäftigt. Du kannst wohl nun wieder gehen, nicht wahr?«
»Ja,« antwortete Chiquita, die kein in Watte aufgezogenes, verhätscheltes Kind war; »dieser kurze Schlaf hat mir neue Kräfte gegeben. Armer Agostin, du brauchst mich nicht mehr zu schleppen wie ein beschwerliches Paket.«
Der Bandit mit den Strohmännern und die Kleine entfernten sich mit raschem Schritt und verloren sich nach wenigen Minuten im Dunkel des Nebels.
Durch ihre Entfernung wieder sicher gemacht, kamen die Raben von den benachbarten Bäumen herabgeflattert, setzten sich auf den gefallenen Gaul und begannen in dem Aas zu schwelgen. Es dauerte nicht lange, so fanden sich auch zwei, drei Wölfe ein, um ihren Anteil an diesem leckern Mahle zu beanspruchen, ohne sich durch die Flügelschläge, das Krächzen und die Schnabelhiebe ihrer schwarzen Tischgenossen stören zu lassen. Vierfüßler und Vögel arbeiteten so eifrig und ununterbrochen, daß in kurzer Zeit das bis auf die Knochen abgenagte Pferd im Morgenschimmer wie ein von einem Tierarzt präpariertes Skelett aussah. Außer den Knochen blieben nur noch der Schwanz und die Hufe übrig.
Als es völlig Tag war, kam der Tyrann mit einem Knecht, um den Wagen zu holen. Er stieß mit dem Fuß an den halb aufgefressenen Wolf und sah zwischen der Gabeldeichsel unter dem Geschirr, das weder die Zähne der Wölfe noch die Schnäbel der Raben beschädigt hatten, das Gerippe des armen Tieres. Die in dem Spielmarkensack befindlich gewesenen falschen Münzen waren über die Straße gestreut, und der Schnee zeigte deutlich große und kleine Fußspuren, die nach dem Wagen und von diesem wieder hinwegführten.
»Wie es scheint,« sagte der Tyrann, »hat der Thespiskarren in dieser Nacht Besuche von mehr als einer Art erhalten. O glücklicher Zufall, der uns zwang, unsere komische Odyssee zu unterbrechen, wie soll ich dich genug preisen! Durch dich sind wir den vierbeinigen und den nicht weniger gefährlichen zweibeinigen Wölfen entronnen.«
Während der Tyrann auf diese Weise mit sich selbst sprach, machte Bellombres Knecht den Wagen frei und spannte das mitgebrachte Pferd vor.
Der Wagen wurde auf dem Meierhofe in einen Schuppen geschoben. Von dem Inhalte fehlte nichts, ja man fand darin sogar etwas mehr, nämlich ein kleines Messer, wie man deren in Albaceita fertigt. Es war Chiquita während ihres kurzen Schlafes aus der Tasche gefallen, und auf der spitzigen Klinge stand in spanischer Sprache die drohende Devise:
Cuando esta vivora pica
No hay remedia en la botica.
(Wenn diese Natter sticht, gibt es in der Apotheke kein Heilmittel.)
Dieser geheimnisvolle Fund reizte die Neugier des Tyrannen gewaltig und machte Isabella, die ein wenig abergläubisch war und auf Vorbedeutungen viel gab, sehr nachdenklich. Sie verstand und redete spanisch, wie dies zu jener Zeit bei allen ein wenig unterrichteten Leuten der Fall war, und der beunruhigende Sinn der Inschrift war ihr daher vollkommen verständlich.
Scapin war, bekleidet mit seinem schönen rosenfarben und weißgestreiften Kostüm, seiner großen, frisch gefältelten und gestärkten Halskrause, mit dem Barett auf dem Ohr, dem schief auf der Schulter hängenden Mantel und mit stolzer, triumphierender Miene nach dem Dorfe gegangen. Als er den Platz vor der Kirche erreicht hatte, wohin ihm bereits einige über sein seltsames Kostüm verwunderte Gassenjungen folgten, rückte er sein Barett zurecht, stellte sich fest und schlug einen Wirbel, der die Toten hätte erwecken können. Man denke sich hiernach die Wirkung auf die Lebenden. Alle Fenster und Türen öffneten sich wie auf einen Zauberschlag. Die Augen der sichtbar werdenden Köpfe richteten sich neugierig und erschrocken auf den Platz. Ein zweiter Wirbel, knatternd wie eine Musketensalve und schwer wie ein Donnerschlag, leerte die Häuser, in denen nur Kranke und Säuglinge zurückblieben. Binnen wenigen Minuten bildete das ganze zusammengelaufene Dorf einen weiten Kreis um Scapin. Um sein Publikum noch mehr zu fesseln, führte der gewandte Schlaukopf auf seiner Trommel mehrere Kunststückchen aus, bei denen die Schlägel sich so schnell bewegten, daß man ihnen nicht mit den Augen zu folgen vermochte, während doch die Hände sich nicht von der Stelle zu rühren schienen. Als er sah, daß die offenen Mäuler der guten Dorfbewohner jene Form angenommen hatten, die wie ein O aussieht, und auf Zeichnungen und Gemälden in der Regel den höchsten Grad von Erstaunen ausdrückt, hörte er plötzlich auf zu trommeln und begann dann nach kurzem Schweigen mit kläffender, durchdringender Stimme, deren Ton er in phantastischer Weise wechselte, folgende pathetische und komische Rede:
»Heute abend großes Schauspiel! Außerordentliche Vorstellung! Da die berühmten Schauspieler der unter der Direktion des Seigneur Herodes stehenden Truppe, die die Ehre gehabt hat, vor gekrönten Häuptern und Prinzen von Geblüt zu spielen, sich auf der Durchreise hier befinden, so werden sie bloß dieses eine Mal – denn man erwartet sie in Paris, wohin der Hof sie berufen – ein wunderbar amüsantes und komisches Stück unter dem Titel: ›Die Rodomontaden des Kapitäns Fracasse‹ mit neuen Kostümen und hier noch nicht gesehenen ergötzlichen Pantomimen und Zwischenspielen geben. Zum Schlusse der Vorstellung wird Mademoiselle Serafina die Moriska tanzen und sich dabei auf der baskischen Trommel begleiten, die sie besser schlägt als eine spanische Gitana. Dies alles wird sehr hübsch anzusehen sein. Die Vorstellung findet in der zu diesem Zwecke hergerichteten, bequem mit Bänken versehenen und brillant erleuchteten Scheune bei Meister Bellombre statt. Da wir mehr um des Ruhmes als um des Gewinnes willen arbeiten, so nehmen wir für den Eintritt in unser Theater nicht bloß Geld, sondern mit Rücksicht auf die, die keines haben, Waren und Mundvorräte. Bitte das zu beachten!«
Nachdem Scapin seine Rede beendet, schlug er wieder einen so fürchterlichen Wirbel, daß die runden Glasscheiben der Kirche in ihrem bleiernen Netz zitterten und mehrere Hunde heulend und entsetzt die Flucht ergriffen.
Auf dem Meierhofe waren mittlerweile die Schauspieler nicht untätig und wurden dabei von Bellombre und seinen Knechten auf die wirksamste Weise unterstützt. Im Hintergrunde der Scheune bildeten auf eine Anzahl Fässer gelegte Bretter die Bühne. Vor ihr waren drei bis vier aus dem Wirtshause entlehnte Bänke aufgestellt. Die Ochsen und Kühe, deren Streu man aus Reinlichkeitsrücksichten erneuert hatte, wunderten sich über diesen ungewohnten Tumult und wendeten oft die Köpfe von ihrer Krippe herum, um lange, neugierige Blicke auf das Theater zu werfen, auf dem die Schauspieler schon Probe hielten, um Sigognac so schnell als möglich in seinen neuen Beruf einzuweihen. »Mein erstes Erscheinen auf den Brettern«, sagte der Baron lachend, »hat Kälber und Hornvieh zu Zuschauern. Wäre ich eingebildet, so wäre dies keine kleine Demütigung für mich.«
»Und,« antwortete Bellombre, »es wird dies nicht das letztemal sein, daß Sie ein solches Publikum haben, denn Schafsköpfe und Hornochsen gibt es in jedem Theater.«
Für einen Anfänger spielte Sigognac gar nicht übel, und man sah, daß er sich bald »machen« würde. Er hatte ein wohlklingendes Organ, ein sicheres Gedächtnis und hinreichende Phantasie, um zu seiner Rolle jene Zusätze zu machen, die Frucht augenblicklicher Eingebung sind und dem Spiele Lebendigkeit verleihen. Die Pantomime machte ihm mehr zu schaffen, weil sie sehr mit Stockhieben gemischt war, die seinen angebornen Stolz empörten, obschon sie nur mit Würsten von bemalter Leinwand und Werg ausgeteilt wurden. Seine Kollegen verfuhren natürlich mit ihm so glimpflich als möglich, aber dennoch geriet er unwillkürlich in Wut und machte die fürchterlichsten Grimassen, bis er sich plötzlich auf den Geist seiner Rolle besann und wieder eine feige und furchtsame Haltung annahm.
Bellombre, der ihm mit der Aufmerksamkeit und dem Scharfblicke eines alten, erfahrenen Schauspielers zusah, rief ihm von seinem Platze aus zu:
»Behalten Sie diese Ihnen von der Natur eingegebenen Bewegungen nur bei! Die sind sehr gut und bringen etwas Neues in die Rolle des Matamor. Wenn Sie diese zornigen Aufwallungen nach einiger Zeit nicht mehr fühlen, so heucheln Sie sie. Fracasse – diese Rolle, die Sie schaffen müssen, denn wer hinter den andern kommt, ist allemal nur der zweite – möchte gern tapfer sein. Er liebt den Mut, die Tapfern gefallen ihm, und er ärgert sich über sich selbst, daß er so feig ist. Der Gefahr fern, träumt er nur von Heldentaten und übermenschlichen, riesigen Unternehmungen. Wenn aber die Gefahr kommt, so zeigt ihm seine allzu lebhafte Phantasie, der Schmerz der Wunden, das bleiche Antlitz des Todes, und der Mut entsinkt ihm. Er sträubt sich wohl anfangs gegen den Gedanken, sich schlagen zu lassen, und er nimmt sich vor, sich zu wehren, der erste Schlag aber wirft seinen Entschluß über den Haufen. Diese Auffassung der Rolle ist viel besser als jenes Zittern der Beine, jenes Augenverdrehen und andere mehr affenartige als menschliche Grimassen, durch die schlechte Schauspieler die Lachlust des Publikums reizen und dabei die Kunst zugrunde richten.«
Sigognac befolgte Bellombres Ratschläge und richtete sein Spiel so gut nach diesen Andeutungen, daß seine Kollegen ihm lauten Beifall schenkten und einen großen Erfolg prophezeiten.
Der Beginn der Vorstellung war auf vier Uhr abends festgesetzt. Eine Stunde vorher legte Sigognac das Kostüm des Matamor an, das Leonarda weiter gemacht, indem sie die durch die zunehmende Magerkeit des Verstorbenen nötig gemachten Falten wieder auftrennte. Als der Baron dieses Kostüm anlegte, sagte er sich allerdings, daß es für ihn ehrenvoller gewesen wäre, sich mit Büffelleder und Eisen zu umgürten wie seine Ahnen, als sich für so eine Theatervorstellung zu kostümieren, um einen Maulhelden darzustellen. Das Schicksal zwang ihn aber leider nun einmal dazu.
Schon strömte das schaulustige Publikum herbei und drängte sich in die Scheune. Einige von den Dachbalken herabhängende Laternen warfen einen rötlichen Schein auf alle diese braunen, blonden und grauen Köpfe, unter denen sich einige weiße Frauenhauben hervorhoben. Andere Laternen standen als Lichter auf dem Rande des Theaters, denn man mußte mit Vorsicht zu Werke gehen, damit das in der Nähe liegende Stroh und Heu nicht Feuer finge.
Das Stück begann und wurde aufmerksam angehört. Einige Kühe, die der Lärm am Schlafen hinderte, betrachteten den ganzen Vorgang mit jenen großen Augen, von denen Homer, der griechische Dichter, ein lobendes Prädikat für die Schönheit der Göttin Juno herleitet, und ein Kalb ließ sogar gerade in einem der interessantesten Momente ein klägliches Ächzen hören, das zwar die kräftige Einbildungskraft der wackern Dorfbewohner nicht störte, aber den Schauspielern auf den Brettern beinahe ein lautes Gelächter entlockt hätte.
Der Kapitän Fracasse erhielt wiederholt Beifall, denn er spielte seine Rolle sehr gut, weil er vor diesem Publikum nicht die Erregung empfand, die er vor verwöhnten und gebildeteren Zuschauern gefühlt haben würde. Übrigens war er auch sicher, daß niemand unter diesen Landleuten ihn kannte. Den andern Schauspielern wurde ebenfalls kräftiger Beifall von diesen schwieligen Händen zugeklatscht, die nicht gewohnt waren, sich zu schonen.
Mittlerweile nahmen in dem verfallenen Schlosse Sigognacs die alten Ahnenbildnisse an den Wänden eine finsterere Miene als gewöhnlich an. Die Krieger stießen Seufzer aus, die ihren eisernen Harnisch hoben, und schüttelten wehmütig ihre Köpfe. Die Damen zogen über den steifstehenden gefältelten Krausen den Mund zu einem verächtlichen Ausdruck und erstarrten in ihren Fischbeinschnürleibern. Eine tiefe, langsame, klanglose Stimme, eine Schattenstimme entrang sich ihren gemalten Lippen und murmelte:
»Ach, der Letzte der Sigognac verleugnet seine Abstammung!«
In der Küche saß Pierre traurig zwischen Beelzebub und Miraut, die lange, fragende Blicke auf ihn hefteten. Er war in Betrachtungen versunken und sagte bei sich selbst: »Wo ist jetzt mein armer Herr?«
Und eine Träne rann die braune Wange des alten Dieners herab und wurde von der Zunge des alten Hundes getrocknet.
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