Theophil Gautier
Kapitän Fracasse. Erster Band
Theophil Gautier

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Degenstöße, Stockschläge und andere Abenteuer

Die Probe war aus. In ihre Logen zurückgekehrt, kleideten die Schauspieler sich aus und legten ihre gewöhnliche Kleidung an. Sigognac tat dasselbe, behielt aber, da er irgendeinen Angriff erwartete, seinen Matamordegen bei. Es war dies eine gute alte spanische Klinge, lang wie ein Tag ohne Brot, mit einem verzierten eisernen Korbe, der die Faust gut deckte. Von einem mutigen Manne geführt, konnte diese Klinge Stöße parieren und austeilen, wenn auch gerade nicht tödliche, denn sie war, wie dies bei Theaterwaffen der Fall zu sein pflegt, stumpf. Für das Bedientengeschmeiß, das der Herzog mit seiner Rache beauftragt hatte, genügte es vollständig.

Herodes, ein stämmiger Geselle mit breiten Schultern, hatte den Stock mitgenommen, mit dem er das Zeichen zum Aufziehen des Vorhangs zu geben pflegte, und mit dieser Art Keule, die er aber handhabte, als wenn es ein Strohhalm gewesen wäre, war er entschlossen, über die Strolche herzufallen, die Sigognac angreifen würden, denn es lag nicht in seinem Charakter, einen Freund in der Gefahr zu verlassen.

»Kapitän,« sagte er zu dem Baron, als sie auf die Straße herauskamen, »lassen wir die Frauenzimmer, die ein großes Gewinsel erheben würden, vorangehen und Leander und Blasius sie begleiten. Der eine ist weiter nichts als ein feiger Geck, der andere so alt, daß seine Kraft seinem Mut untreu werden würde. Scapin dagegen wird bei uns bleiben. Er versteht einem ein Bein zu stellen und würde in weniger als einer Minute einen oder zwei dieser Halunken, wenn sie uns wirklich angreifen, auf den Rücken legen. Auf jeden Fall wird mein Stock Ihrem Rapier treulich zur Seite stehen.«

»Dank, mein wackerer Herodes,« antwortete Sigognac, »ich weise dieses Anerbieten durchaus nicht zurück. Treffen wir jedoch unsere Vorbereitungen für den Fall, daß wir unversehens angegriffen würden. Wir wollen in gewissen Zwischenräumen hintereinander, genau in der Mitte der Straße gehen. Dann müssen diese Schurken, die ohne Zweifel irgendwo im Schatten an die Mauer gedrückt lauern, hervorkommen, um zu uns zu gelangen, und wir werden Zeit haben, sie kommen zu sehen. Ich ziehe dann sofort den Degen, Sie schwingen Ihre Keule, und Scapin wird ebenfalls tun, was nötig ist.«

Sigognac stellte sich an die Spitze der kleinen Kolonne und bog vorsichtig in das Gäßchen ein, das von dem Ballspielhause nach der Herberge »Zum französischen Wappen« führte. Das Gäßchen war finster, krumm und ungleich gepflastert, so daß es sich zu einem Hinterhalt ganz trefflich eignete. Vorspringende Wetterdächer verdoppelten die Dunkelheit des Schattens und liehen den Lauernden ihren Schutz. Kein Licht drang aus den schlafenden Häusern, und Mondschein gab es an diesem Abend ebenfalls nicht.

Basque, Azolan, Labriche und Merindol, die Trabanten des jungen Herzogs, warteten schon seit länger als einer Stunde auf das Vorüberkommen des Kapitäns Fracasse, der auf keinem andern Wege in die Herberge zurückkehren konnte. Azolan und Basque hatten sich in die Vertiefung einer Haustür gedrückt, Merindol und Labriche just gegenüber dicht an der Mauer Posto gefaßt, so daß sie ihre Stöcke gleichzeitig auf Sigognacs Rücken fallen lassen konnten wie Schmiedehämmer auf einen Amboß. Die von Blasius und Leander geführte Gruppe der Damen hatte ihnen verraten, daß Fracasse nun ebenfalls bald kommen müsse, und sie hielten sich bereit und faßten ihre Knüppel fester, um sich ihres Auftrages zu entledigen, wie es guten und gehorsamen Dienern geziemt. Sie ahnten nicht, daß sie auf Gegenwehr stoßen würden, denn die Poeten, Komödianten und Philister, die vornehme Herren durchprügeln zu lassen geruhen, nehmen in der Regel die Sache ganz geduldig hin und begnügen sich den Rücken zu beugen.

Zeichnung Karl M. Schultheiss

Sigognac, dessen Auge sehr scharf war, hatte, obgleich die Nacht sehr finster war, schon seit einigen Augenblicken die vier auf der Lauer liegenden Strolche bemerkt. Er blieb stehen und tat, als wollte er umkehren. Diese List bestimmte die Trabanten, die glaubten, ihre Beute werde ihnen nun entrinnen, sofort ihren Hinterhalt zu verlassen, um sich auf den Kapitän zu stürzen. Azolan war der erste und alle schrien: »Drauf! drauf! drauf auf den Kapitän Fracasse im Namen unseres gnädigsten Herrn, des Herzogs!« Sigognac hatte seinen linken Arm mehrmals mit seinem Mantel umwickelt, so daß dieser, also zusammengerollt, eine Art undurchdringlichen Muff bildete. Mit diesem parierte er den Hieb, den Azolan mit seinem Knüppel nach ihm führte, und versetzte ihm mit seinem Rapier einen so gewaltigen Stoß mitten auf die Brust, daß der Bube, die Sohlen in die Höhe warf, den Hut in den Kot rollen ließ und mitten in den Rinnstein stürzte. Wäre die Spitze des Rapiers nicht stumpf gewesen, so wäre ihm die Klinge durch den Leib gefahren und zwischen den beiden Schultern wieder herausgekommen. Basque drang, trotz des Mißerfolges seines Kameraden, tapfer vor, ein wütender Hieb mit flacher Klinge auf den Kopf zerschmetterte ihm das eiserne Kreuz in seiner Mütze und zeigte ihm in dieser pechschwarzen Nacht sechsunddreißig Lichter. Merindols Stock wurde von der Keule des Tyrannen sofort in Splitter geschlagen, und der arme Strolch ergriff, als er sich entwaffnet sah, die Flucht, aber nicht ohne vorher noch mehrmals das furchtbare Holz auf seinem Rücken gefühlt zu haben.

Die Heldentat Scapins war folgende: Er faßte Labriche mit so rascher und kräftiger Bewegung um den Leib, daß dieser, halb erwürgt, von seinem Knüppel keinen Gebrauch machen konnte; dann hielt er ihm den linken Arm unter, hob ihn, indem er ihm mit dem rechten Arme einen so gewaltigen Stoß versetzte, daß ihm die Rückenwirbel knackten, mit gewaltiger Bewegung in die Höhe und schnellte ihn, wie von der Feder einer Armbrust fortgeschleudert, zehn Schritte weit aufs Pflaster. Labriche schlug mit dem Genick an einen Stein an, und die Erschütterung war eine so fürchterliche, daß der Vollstrecker der Rache des Herzogs von Vallombreuse ohnmächtig und wie tot auf dem Schlachtfelde liegen blieb.

Nun war die Straße frei, und der Sieg blieb den Komödianten. Azolan und Basque versuchten, auf Händen und Knien kriechend, das Weite zu gewinnen. Labriche lag wie ein Betrunkener quer über dem Rinnstein, Merindol, der noch am wenigsten schlecht weggekommen, gab Fersengeld, damit wenigstens einer die Niederlage überleben und davon berichten könne. Als er sich jedoch dem Hotel Vallombreuse näherte, ging er langsamer, denn er sollte nun dem Zorn des jungen Herzogs gegenüberstehen, der nicht weniger furchtbar war als der Knüppel des Tyrannen. Bei diesem Gedanken troff ihm der Schweiß von der Stirn, und er fühlte nicht mehr den Schmerz seiner verrenkten Schulter, von der der Arm untätig und schlaff herabhing wie ein leerer Ärmel.

Kaum war er in dem Palais, als der Herzog, der den Erfolg der von ihm anbefohlenen Expedition zu wissen wünschte, ihn rufen ließ. Merindol erschien mit verlegener, unbeholfener Haltung, denn sein Arm tat ihm sehr weh. Unter seiner braunen Gesichtsfarbe ward allmählich ein grüner Schimmer sichtbar, und dünner Schweiß perlte ihm von der Stirn. Unbeweglich und schweigend blieb er auf der Schwelle des Zimmers stehen und erwartete ein Wort der Ermutigung oder eine Frage von Seiten des Herzogs, der aber schwieg.

»Nun,« sagte der Chevalier von Vidaline, als er sah, daß Vallombreuse den Diener mit wildem Blicke ansah, »was für Nachrichten bringst du? Ohne Zweifel schlechte, denn deine Miene ist nichts weniger als triumphierend.«

»Der Herr Herzog«, antwortete Merindol, »kann nicht zweifeln, daß wir eifrig bemüht gewesen sind, seine Befehle auszuführen, aber diesmal ist unsere Tapferkeit nicht von Glück begleitet gewesen.«

»Wieso?« rief der Herzog mit zorniger Bewegung. »Ihr seid eurer vier nicht imstande gewesen, diesen Komödianten durchzubleuen?«

»Dieser Komödiant«, antwortete Merindol, »übertrifft an Körperstärke und Mut den Herkules der Fabel. Er stürzte sich so wütend auf uns, daß wir nicht mehr die Angreifer, sondern die Angegriffenen waren, und Azolan und Basque, ehe man es sich versah, alle viere von sich streckten. Sie fielen, trotzdem sie sonst tüchtige Kerle sind, unter seinen Streichen wie Kartenhäuser. Labriche wurde von einem zweiten Komödianten durch Anwendung eines sehr netten Kunstgriffes niedergeworfen, und sein Genick weiß jetzt, wie hart das Pflaster von Poitiers ist. Mir selbst wurde mein Knüppel von der Keule des Sieur Herodes zerschlagen und die Schulter so zerprügelt, daß ich wenigstens vierzehn Tage lang meinen Arm nicht gebrauchen kann.«

»Ihr seid elende, ungeschickte Tölpel und feige Memmen!« rief der Herzog von Vallombreuse außer sich vor Wut. »Ein altes Weib würde euch mit ihrem Spinnrocken in die Flucht schlagen. Ich habe sehr unrecht daran getan, euch von Galgen und Galeeren zu retten. Ebensogut könnte man ehrliche Leute in seinen Dienst nehmen, denn die wären weder ungeschickter noch feiger. Da ihr mit den Knüppeln nichts ausrichtet, so hättet ihr zu den Degen greifen sollen.«

»Gnädigster Herr,« entgegnete Merindol, »Sie hatten uns befohlen, den Mann tüchtig durchzuprügeln, aber ihn nicht zu töten, und wir konnten nicht wagen, Ihre Befehle zu übertreten.«

»Das nenne ich einen pünktlichen und gewissenhaften Schurken!« rief Vidaline lachend. »Diese Ehrlichkeit bei einem Überfall gefällt mir. Was meinen Sie dazu, Vallombreuse? Dieses kleine Abenteuer läßt sich ganz romantisch an, und muß Ihnen gefallen, denn Sie können ja nie genug auf Hindernisse stoßen. Für eine Komödiantin scheint mir diese Isabella genügend unnahbar. Doch da kommt auch der übrige Teil unserer geschlagenen Armee.«

In der Tat zeigten sich Azolan, Basque und Labriche, die sich von ihrer Ohnmacht erholt, an der Tür des Salons und streckten bittend die Hände aus. Sie waren bleich, verstört, mit Kot und Blut besudelt, obschon sie keine andern Wunden hatten als Kontusionen. Die Gewalt der Hiebe hatte aber Blutergüsse aus Mund und Nase zur Folge gehabt, und große dunkelrote Flecken tigerten auf unheimliche Weise das gelbe Leder ihrer Jacken.

»Packt euch, Kanaillen«, rief der Herzog beim Anblick dieses kläglichen Aufzuges. »Ich weiß nicht, was mich abhält, euch für eure Dummheit und Feigheit den Steigbügelriemen zu kosten zu geben. Mein Wundarzt wird euch untersuchen und mir sagen, ob die Hiebe, die ihr angeblich bekommen habt, von nachteiligen Folgen begleitet sein werden. Wenn nicht, so lasse ich euch die Haut bei lebendigem Leibe abziehen! Marsch fort!«

Zeichnung Karl M. Schultheiss

Der zerschlagene Trupp ließ sich dies gesagt sein und verschwand schleunigst, so sehr fürchteten sich diese Raufbolde, die doch von Natur nicht eben furchtsam waren, vor dem jungen Herzog.

Als die armen Teufel sich entfernt hatten, warf Vallombreuse sich auf ein Sofa und beobachtete ein Schweigen, das Vidaline respektierte. Stürmische Gedanken jagten sich in seinem Gehirn wie die schwarzen Wolken, die ein wütender Wind an einem Gewitterhimmel hintreibt. Er wollte Meister Bilots Herberge in Brand stecken, Isabella entführen, den Kapitän Fracasse niederstechen und die ganze Schauspielertruppe ins Wasser werfen. Zum ersten Male in seinem Leben stieß er auf Widerstand. Er hatte etwas befohlen, das nicht ausgeführt worden war. Ein Komödiant bot ihm Trotz! Leute, die in seinem Dienst standen, waren von einem Theaterhelden durchgeprügelt und in die Flucht geschlagen worden. Sein Stolz empörte sich bei diesem Gedanken, und er war davon wie betäubt. Es war also möglich, daß ihm jemand die Spitze bot?

Dann bedachte er wieder, daß er, angetan mit einem prachtvollen Kostüm, von Diamanten funkelnd und im ganzen Glanze seiner Schönheit und seines hohen Ranges gleichwohl nicht imstande gewesen war, von einer herumziehenden Schauspielerin, einer Kreatur, die jeden Abend Gefahr lief, von jedem Lumpen ausgepfiffen zu werden, auch nur einen einzigen günstigen Blick zu erhaschen, er, den die Prinzessinnen mit lächelnden Lippen empfingen, für den sich die Herzoginnen in Liebe verzehrten, er, der noch niemals eine Abweisung erfahren hatte. Er knirschte vor Wut mit den Zähnen, und seine Hand zerknitterte krampfhaft das prächtige Wams von weißem Atlas.

Endlich erhob er sich rasch, sagte seinem Freund Vidaline durch eine Handbewegung gute Nacht und zog sich, ohne das ihm aufgetragene Souper zu berühren, in sein Schlafzimmer zurück, wiewohl er hinter den damastenen Vorhängen seines Bettes keinen Augenblick Ruhe zu finden vermochte.

Vidaline, dem der Gedanke an Serafina erheiternde Gesellschaft leistete, bemerkte nicht, daß er allein soupierte und aß mit sehr gutem Appetit. Von wollüstigen Traumgebilden gewiegt, in denen die junge Schauspielerin stets die Hauptfigur war, schlief er ohne Unterbrechung bis zum andern Morgen.

Als Sigognac, Herodes und Scapin in die Herberge zurückkamen, fanden sie die andern Schauspieler in großer Aufregung. Der Ruf: »Drauf! drauf!« und das Getöse des Kampfes war durch das Schweigen der Nacht hindurch bis zu den Ohren Isabellas und ihrer Kollegen gedrungen. Sie war beinahe ohnmächtig geworden, und ohne Blasius, der sie am Arme faßte, wäre sie in die Knie gesunken. Bleich wie Wachs und an allen Gliedern zitternd, wartete sie an der Schwelle ihrer Türe auf Nachricht.

Als sie Sigognac wohlgemut und unversehrt herannahen sah, stieß sie einen schwachen Schrei aus, hob die Arme zum Himmel empor und ließ sie dann um den Hals des jungen Mannes fallen, während sie mit anbetungswürdiger Bewegung ihr Gesicht an seiner Schulter barg.

Es dauerte jedoch nicht lange, so bemeisterte sie ihre Erregung, trat einige Schritte von dem Baron zurück und nahm wieder ihre gewohnte Zurückhaltung an.

»Nicht wahr, Sie sind nicht verwundet?« fragte sie mit ihrer sanftesten Stimme. »Welch ein Kummer wäre es für mich gewesen, wenn Ihnen auch nur das geringste Übel zugestoßen wäre! Aber wie unklug war es auch von Ihnen, um eines armen Mädchens willen wie ich diesem so schönen und so bösen Herzog zu trotzen, der den Blick und den Stolz Lucifers besitzt. Es ist das durchaus nicht recht von Ihnen, Sigognac. Da Sie jetzt Schauspieler sind wie wir, so müssen Sie auch gewisse Zumutungen zu ertragen wissen.«

»Ich werde niemals die anbetungswürdige Isabella in meiner Gegenwart beleidigen lassen,« entgegnete Sigognac, »wenn ich auch eine Theaterlarve auf dem Gesicht trage!«

»Gut gesprochen, Kapitän,« sagte Herodes, »gut gesprochen und noch besser gehandelt. Donnerwetter, das waren Hiebe! Ein Glück für die Halunken, daß der Degen des guten verstorbenen Matamor nicht geschliffen war, denn Sie hätten diese Strolche gespalten vom Wirbel bis zur Sohle.«

»Ihr Stock arbeitet ebensogut wie mein Rapier,« entgegnete Sigognac, indem er Herodes sein Kompliment zurückgab, »und Ihr Gewissen kann ruhig sein, denn diesmal wären es keine unschuldigen Kindlein gewesen, die massakriert worden wären.«

»O nein«, lachte der Tyrann. »Wir hatten es mit der Blüte der Galeeren, mit echten Galgenstricken zu tun.«

»Freilich lassen sich dergleichen Arbeiten auch nicht wohl durch ehrliche Leute verrichten«, sagte Sigognac. »Vergessen wir übrigens nicht die Tapferkeit des heldenmütigen Scapin zu preisen, der ohne andere Waffen als die, womit ihn die Natur ausgerüstet, gekämpft und gesiegt hat.«

Scapin machte einen krummen Rücken, legte die Hand aufs Herz, schlug die Augen nieder und machte eine komisch bescheidene Reverenz.

»Ich hätte euch gern begleitet,« sagte Blasius, »aber ich bin zu alt, um mit der Faust noch viel zu leisten und stelle noch höchstens meinen Mann, wenn es sich um einen Kampf mit Flaschen und Gläsern handelt.«

Die Komödianten zogen sich hierauf, da es schon spät war, jeder in sein Zimmer zurück, mit Ausnahme Sigognacs, der noch einigemal in der Galerie auf und ab ging, als ob er einen Plan durchdachte.

Der Schauspieler war gerächt, der Edelmann aber noch nicht. Sollte er die Maske, die sein Inkognito sicherte, abwerfen, seinen wahren Namen nennen, Aufsehen erregen und vielleicht seinen Kameraden den Zorn des jungen Herzogs zuziehen? Die gewöhnliche Klugheit sagte nein; die Ehre aber sagte ja. Dieser gebieterischen Stimme konnte der Baron nicht widerstehen und er lenkte seine Schritte nach Zerbinens Zimmer.

Er pochte leise an die Tür, die erst ein wenig und dann, als er seinen Namen nannte, ganz geöffnet wurde. Das Zimmer war hell erleuchtet, kostbare Armleuchter mit rosenfarbenen Kerzen standen auf einem sauber gedeckten Tisch, auf dem ein köstliches, in blankem Geschirr aufgetragenes Souper dampfte. Zwei von einer Lage braunen Specks gepanzerte Rebhühner lagen in einem Ringe von Orangeschnitten, und daneben stand eine köstliche Fleischpastete, ein Meisterwerk Bilots. In einer kristallenen Karaffe funkelte ein rubinfarbener Wein. Es waren zwei Kuverts aufgelegt, und als Sigognac eintrat, stieß Zerbine eben mit dem Marquis von Bruyères an, aus dessen Augen ein doppelter Rausch leuchtete, denn niemals war die schelmische Soubrette verführerischer gewesen, und übrigens bekannte sich der Marquis zu der Maxime, daß Venus ohne Ceres und ohne Bachus leicht erkaltet. Zerbine begrüßte Sigognac mit einem Kopfnicken, in dem sich die Vertraulichkeit der Schauspielerin für den Kollegen und der Respekt des Weibes gegen den Edelmann auf geschickte Weise verschmolz.

»Es ist sehr freundlich von Ihnen,« sagte der Marquis von Bruyères, »daß Sie uns hier in dem Neste unserer Liebe überraschen. Ich hoffe, daß Sie ohne Furcht, uns zu stören, mit uns soupieren werden. Jacques, noch ein Kuvert für den Herrn.«

»Ich nehme Ihre freundliche Einladung an,« sagte Sigognac; »nicht als ob ich großen Hunger hätte, ich will Sie aber bei Ihrem Mahle nicht stören, und nichts ist für den Appetit unangenehmer, als ein Zeuge, der nicht mitißt.«

Der Baron nahm auf dem Stuhle Platz, den ihm Jacques dem Marquis gegenüber neben Zerbine hinsetzte. Der Marquis schnitt ihm einen Flügel Rebhuhn ab und füllte sein Glas, ohne als Mann von feinem Tone, der er wirklich war, eine Frage an ihn zu richten, denn er dachte sich wohl, daß nur eine wichtige Ursache den sonst sehr zurückhaltenden und schüchternen Baron zu dieser Stunde hergeführt haben könne.

»Schmeckt Ihnen dieser Wein, oder trinken Sie lieber weißen?« fragte der Marquis. »Ich trinke von dem einen wie von dem andern, um sie nicht eifersüchtig aufeinander zu machen.«

»Ich bin von Natur und aus Gewohnheit sehr mäßig,« sagte Sigognac, »und halte, wie die Alten zu sagen pflegten, Bacchus durch die Nymphen im Zaume. Der Rotwein genügt mir. Aber nicht um zu zechen, habe ich mich der Indiskretion schuldig gemacht, zu dieser unpassenden Stunde Ihnen lästig zu fallen. Marquis, ich komme, um Sie um einen Dienst zu bitten, den kein Edelmann einem andern verweigert. Mademoiselle Zerbine hat Ihnen ohne Zweifel bereits erzählt, daß in der Garderobe der Schauspielerinnen der Herzog von Vallombreuse die Keckheit gehabt hat, mit seiner Hand Isabellas Brust berühren zu wollen, unter dem Vorwande, ihr ein Schönheitspflästerchen darauf zu kleben. Es war dies ein unwürdiges, unschickliches und rohes Gebaren, das durch keine Koketterie und kein Entgegenkommen von Seiten jener jungen Dame gerechtfertigt war, die ebenso tugendhaft als bescheiden ist und die meine vollkommene Achtung besitzt.«

Zeichnung Karl M. Schultheiss

»Und die verdient sie auch«, sagte Zerbine. »Obschon ich Weib und ihre Kollegin bin, so wüßte ich doch nichts Übles von ihr zu sagen, selbst wenn ich wollte.«

»Ich hielt«, fuhr Sigognac fort, »den Arm des Herzogs fest, dessen Zorn sich in Drohungen und Schmähungen Luft machte. Ich habe, durch meine Maske als Matamor geschützt, darauf mit spöttischer Kaltblütigkeit geantwortet. Er drohte mir, mich durch seine Lakaien durchprügeln zu lassen. Und in der Tat stürzten sich vorhin, als ich in die Herberge zurückkehrte, in einem finstern Gäßchen vier Strolche auf mich. Zwei fertigte ich durch einige flache Hiebe mit der Klinge ab, und Herodes und Scapin gaben den beiden andern ebenfalls so viel, daß sie genug hatten. Obschon der Herzog nur mit einem armen Komödianten zu tun zu haben glaubte, so darf doch, da zufällig in der Haut dieses Komödianten ein Edelmann steckt, eine solche Beleidigung nicht ungestraft bleiben. Sie kennen mich, Marquis. Obschon Sie bis jetzt mein Inkognito respektiert haben, so wissen Sie doch, wer meine Ahnen waren, daß das Blut der Sigognac seit tausend Jahren sich von jeder Mésalliance frei erhalten und daß alle, die diesen Namen getragen, niemals einen Makel auf ihrem Wappenschild geduldet.«

»Baron von Sigognac,« sagte der Marquis von Bruyères, indem er seinen Gast zum erstenmal bei seinem wahren Namen nannte, »ich werde überall, wo Sie es wünschen, das Alter und den Adel Ihres Geschlechtes auf meine Ehre bezeugen. Palamedes von Sigognac verrichtete in dem ersten Kreuzzuge, zu dem er hundert auf seine Kosten ausgerüstete Lanzen führte, Wunder der Tapferkeit. Es geschah dies zu einer Zeit, in der viele Edelleute, die jetzt die Stolzen spielen, noch nicht einmal Knappen waren. Er war ein vertrauter Freund meines Ahns, Hugo von Bruyères, und beide schliefen als Waffenbrüder unter einem und demselben Zelt.«

Bei diesen glorreichen Erinnerungen richtete Sigognac das Haupt empor. Er fühlte in sich die Seele seiner Ahnen erzittern, und Zerbine, die ihn betrachtete, war überrascht durch die seltsame und sozusagen innere Schönheit, die sein gewöhnlich schwermütiges Gesicht wie eine Flamme verklärte.

»Diese Edelleute«, sagte die Soubrette bei sich, »scheinen aus Jupiters Lenden hervorgegangen zu sein. Bei dem geringsten Wort schwillt ihrem Stolz der Kamm, und sie können nicht wie gemeine Leute eine Beleidigung verdauen. Immerhin, wenn der Baron mich mit diesen Augen ansähe, so könnte ich wohl zu seinen Gunsten eine kleine Untreue an dem Marquis begehen.«

»Wohlan, da dies Ihre Meinung über meine Familie ist,« sagte der Baron zu dem Marquis, »so werden Sie sich vielleicht bereit finden, in meinem Namen zu dem Herzog von Vallombreuse zu gehen und ihm eine Herausforderung von mir zu überbringen.«

»Ja, das werde ich tun«, antwortete der Marquis in einem ernsten, gemessenen Ton, der zu seinem in der Regel so heitern und ungezwungenen in seltsamem Gegensatz stand. »Übrigens stelle ich auch als Sekundant meinen Degen zu Ihrer Verfügung. Morgen werde ich in dem Palais Vallombreuse Ihre Herausforderung überreichen. Wenn der junge Herzog auch den Fehler besitzt, unverschämt zu sein, so hat er doch nicht den der Feigheit und wird sich sicherlich nicht hinter seiner Würde verschanzen, sobald er Ihren wahren Stand erfährt. Doch genug nun über diesen Gegenstand. Langweilen wir Zerbine nicht länger mit unseren Männerstreitigkeiten. Ich sehe schon, wie sie trotz ihrer Höflichkeit ihre Purpurlippen zusammenzieht, und nur das Lachen, aber nicht das Gähnen darf uns die Perlen zeigen, deren Schrein ihr Mund ist. Wohlan, Zerbine, werden Sie wieder munter und heiter, und schenken Sie dem Baron ein.«

Die Soubrette gehorchte mit ebensoviel Anmut als Gewandtheit. Die Unterhaltung drehte sich nun während des Soupers um das Spiel Zerbines, das der Baron mit Komplimenten überhäufte. Sigognac konnte die seinigen ohne Schmeichelei anschließen, denn die Soubrette hatte wirklich ein unvergleichliches Talent gezeigt.

Sobald wie möglich nahm Sigognac Abschied, zog sich in sein Zimmer zurück und schob den Riegel vor. Dann zog er aus einem Futterale den alten Degen seines Vaters, den er als treuen Freund mitgenommen. Er zog ihn langsam aus der Scheide und küßte ehrerbietig den Griff. Es war eine schöne Waffe, kostbar, aber ohne überflüssigen Schmuck, eine Waffe zum Kampf, aber nicht zur Parade. Auf der bläulichen Klinge, deren Glanz durch einige dünne Goldfäden gehoben ward, sah man den Stempel eines der berühmtesten Waffenschmiede von Toledo aufgedrückt. Sigognac nahm einen wollenen Lappen und fuhr damit mehrmals über das Eisen, um ihm seinen ganzen Glanz wiederzugeben. Er betastete mit dem Finger Spitze und Schneide, stemmte erstere gegen die Tür, und bog die Klinge beinahe bis zum Griffe, um ihre Geschmeidigkeit zu erproben. Der edle Stahl hielt diese Proben wacker aus und zeigte, daß er seinem Mann auf dem Kampfplatze nicht untreu werden würde. Angefeuert durch den Glanz des Stahles und den Griff in der Hand fühlend, begann Sigognac einige Stöße gegen die Wand zu führen und sah, daß er von den Lektionen, die Pierre, ehemaliger Fechtmeister, ihm während seiner langen Muße in dem Schlosse der Armut erteilt, noch nichts verlernt hatte.

Diese Übungen, denen er sich mit seinem alten Diener gewidmet, da er einmal nicht die Mittel besaß, regelmäßig die Akademie zu besuchen, wie es sich für einen jungen Edelmann geschickt hätte, hatten seine Kraft entwickelt, seine Muskeln gekräftigt, und seine angeborne Geschmeidigkeit und Gewandtheit erhöht. Da er weiter nichts zu tun hatte, so hatte er für die Fechtkunst eine förmliche Leidenschaft gefaßt, und diese edle Kunst gründlich studiert. Obschon er noch Schüler zu sein glaubte, so war er doch schon längst Meister, und es geschah oft, daß er bei den Übungskämpfen, die sie miteinander anstellten, dem Büffellederküraß, womit Pierre sich die Brust bedeckte, einen bläulichen Punkt zufügte. Diese Niederlagen, die einen gewöhnlichen Fechtmeister geärgert hätten, erfreuten das Herz des braven Dieners und erfüllten es mit Stolz. Dennoch verhehlte er seine Freude, aus Furcht, daß der Baron in der Meinung, er habe schon das Ziel erreicht, in seinem Eifer, sich zu üben, erkalten möge. So kam es, daß in jenem Zeitalter der Renommisten und Duellanten, die die Säle spanischer und neapolitanischer Fechtmeister besuchten, um die geheimen Stöße und Finten kennenzulernen, unser junger Baron, der sein Schloß niemals verlassen, als höchstens, um einen magern Hasen auf der Heide zu jagen, ohne es zu wissen, eine der feinsten Klingen seiner Zeit führte und recht wohl imstande war, sich mit den berühmtesten Degen zu messen.

Zufrieden mit sich und seinem Degen, den er neben sein Bett legte, schlief Sigognac bald darauf in vollkommener Sicherheit ein, als ob er den Marquis von Bruyères gar nicht beauftragt hätte, den mächtigen Herzog von Vallombreuse zum Zweikampf herauszufordern.

Isabella dagegen konnte kein Auge zutun, sie verstand, daß Sigognac bei dem, was geschehen, nicht stehenbleiben würde, und sie fürchtete um ihres Freundes willen die Folgen des Zwistes.

Gegen neun Uhr erschien der Marquis in voller Pracht bei Sigognac, um sich mit ihm über die Bedingungen des Kampfes zu besprechen. Der Baron verlangte, daß er für den Fall des Zweifels oder der Weigerung von Seiten des Herzogs die alten Pergamente, die mit vergilbten königlichen Unterschriften versehenen Diplome, den weitverzweigten Stammbaum, mit einem Wort alle jene Diplome mitnehme, durch die der alte Adel der Sigognac außer allen Zweifel stand.

»Ich glaube nicht,« sagte der Marquis, »daß es in dem vorliegenden Falle notwendig ist, Ihren Adel nachzuweisen wie vor einem Wappenherold. Mein Wort, an dem noch nie jemand gezweifelt, wird genügen. Dennoch, da es wohl möglich wäre, daß der Herzog von Vallombreuse aus übertriebenem Dünkel und törichter Überhebung sich stellte, als sähe er in Ihnen bloß den Kapitän Fracasse, den im Solde des Sieur Herodes stehenden Komödianten, so will ich diese Dokumente, die mein Diener tragen wird, immer mitnehmen, um sie im Notfall vorzulegen.«

»Sie werden tun, was Ihnen gut dünkt«, antwortete Sigognac. »Ich vertraue Ihrer Klugheit und lege meine Ehre in Ihre Hände.«

»Sie wird dort gut aufgehoben sein, darauf verlassen Sie sich«, antwortete Herr von Bruyères. »Wir werden mit diesem übermütigen Herzog, dessen Gebaren mir ohnehin schon längst anstößig gewesen ist, schon fertig werden. Doch nun genug der Worte. Jetzt gilt es zu handeln. Worte gebühren den Weibern, den Männern aber nur Taten, und die Reinwaschung der Ehre wird nur mit Blut vollzogen, wie die Spanier sagen.«

Der Marquis rief hierauf seinen Diener, übergab ihm das Bündel Papiere und verließ die Herberge, um sich nach dem Palais Vallombreuse zu begeben und sich hier seines Auftrages zu entledigen.

Bei dem Herzog, der, aufgeregt und wütend über die Ereignisse des Abends, erst sehr spät eingeschlafen, war es noch nicht Tag. Als daher der Marquis von Bruyères den Kammerdiener des Herzogs aufforderte, ihn bei seinem Herrn zu melden, riß der Diener, ganz entsetzt über ein solches Verlangen, die Augen weit auf. Er sollte den Herzog wecken! Er sollte in sein Schlafzimmer treten, ehe er durch die Klingel gerufen würde! Ebensogut hätte er in den Käfig eines Löwen oder Tigers treten können, denn der Herzog war selbst, wenn er sich bei guter Laune niedergelegt, beim Erwachen in der Regel sehr ungnädig.

»Sie werden besser tun, wenn Sie warten oder später wiederkommen«, sagte der Lakai, zitternd bei dem Gedanken an das ihm zugemutete Wagstück. »Monseigneur hat noch nicht gerufen, und ich wage nicht, auf eigene Faust –«

»Melde den Marquis von Bruyères,« rief Zerbinens Gönner mit einer Stimme, in der der Zorn zu zittern begann, »oder ich schlage die Tür ein. Ich muß sofort deinen Herrn sprechen, denn es handelt sich um Dinge, die wichtig sind und die Ehre betreffen.«

»Ah, Sie kommen wegen eines Duells, Herr Marquis!« sagte der Kammerdiener in plötzlich freundlichem Tone. »Warum sagten Sie das nicht gleich? Ich werde Sie sofort bei Monseigneur melden. Er ging gestern abend in so grimmiger Laune zu Bett, daß er entzückt sein wird, durch einen Zwist geweckt zu werden und einen Vorwand zu haben, sich zu schlagen.«

Und der Lakai ging mit entschlossener Miene in das Schlafzimmer seines Herrn, nachdem er den Marquis ersucht, sich einige Minuten zu gedulden.

Bei dem Geräusch, das die Türe beim Öffnen und Schließen machte, erwachte Vallombreuse, der nur mit einem Auge schlief, vollständig, richtete sich so plötzlich in die Höhe, daß die Bettstätte knackte, und suchte nach irgendeinem Gegenstand, um ihn dem Kammerdiener an den Kopf zu werfen.

Zeichnung Karl M. Schultheiss

»Der Teufel durchbohre mit seinem Horn den dreifachen Esel, der meinen Schlaf unterbricht!« rief er in gereiztem Tone. »Hatte ich dir nicht befohlen, nicht eher hereinzukommen, als bis ich dich rufen würde? Ich werde dir wegen Ungehorsams hundert Hiebe aufzählen lassen. Wie soll ich nun wieder einschlafen? Einen Augenblick fürchtete ich, es sei die allzu zärtliche Corisande.«

»Monseigneur,« antwortete der Lakai im Tone tiefster Ehrerbietung, »Sie können mich, wenn es Ihnen beliebt, zu Tode peitschen lassen. Wenn ich aber die mir erteilten Befehle übertreten habe, so ist es nicht ohne guten Grund geschehen. Der Herr Marquis von Bruyères ist da und wünscht, wie ich verstanden, mit dem Herrn Herzog wegen einer Ehrensache zu sprechen. Der Herr Herzog verbirgt sich bei solchen Gelegenheiten nicht, sondern empfängt dergleichen Besuche zu jeder Stunde.«

»Der Marquis von Bruyères!« rief der Herzog. »Hatte ich denn einen Zwist mit diesem? Ich kann mich nicht entsinnen. Übrigens ist es auch sehr lange, daß ich ihn nicht gesprochen. Vielleicht glaubt er, ich wolle ihm seine Zerbine abspenstig machen, denn die Verliebten bilden sich fortwährend ein, man habe es auf den Gegenstand ihrer Wahl abgesehen. Wohlan, Picard, gib mir meinen Schlafrock und ziehe die Vorhänge des Bettes zu, damit man die Unordnung nicht sieht. Diesen wackeren Marquis darf ich nicht warten lassen.« Picard brachte dem Herzog einen prächtigen venezianischen Schlafrock von Goldstoff. Vallombreuse zog die Schnüre um die Hüften herum fest, so daß dadurch seine schlanke Taille hervorgehoben wurde, setzte sich in einen Lehnstuhl, nahm eine sorglose und unbefangene Miene an und sagte:

»Jetzt laß eintreten.«

»Der Herr Marquis von Bruyères«, sagte Picard, indem er die Flügeltür öffnete:

»Guten Morgen, Marquis«, sagte der junge Herzog von Vallombreuse, indem er sich halb von seinem Sessel erhob. »Seien Sie willkommen, was auch der Grund Ihres Besuches sein möge. Picard, bringe dem Herrn Marquis einen Stuhl. Entschuldigen Sie, daß ich Sie in diesem noch nicht in Ordnung gebrachten Zimmer und in diesem Morgennegligé empfange. Betrachten Sie dies nicht als einen Mangel an Höflichkeit, sondern als einen Beweis meines Eifers, Ihren Wünschen zu entsprechen.«

»Verzeihen Sie,« entgegnete der Marquis, »daß ich auf so zudringliche Weise Sie in Ihrem Schlafe und vielleicht in einem angenehmen Traume gestört habe; ich bin aber mit einer Mission an Sie beauftragt, die zwischen Edelleuten keinen Aufschub duldet.«

»Sie reizen meine Neugier aufs lebhafteste«, antwortete Vallombreuse. »Ich errate nicht, worin diese dringende Angelegenheit bestehen kann.«

»Ohne Zweifel, Herr Herzog,« hob der Marquis von Bruyères wieder an, »haben Sie gewisse Vorgänge vergessen, die sich gestern abend ereignet haben. Dergleichen geringfügige Dinge sind nicht geschaffen, um sich Ihrer Erinnerung einzuprägen. Ich werde deshalb, wenn Sie mir erlauben, Ihrer Erinnerung ein wenig zu Hilfe kommen. Sie haben im Ankleidezimmer der Schauspielerinnen eine junge Dame, die die Naiven spielt und, wie ich glaube, Isabella heißt, einer ganz besonderen Aufmerksamkeit zu würdigen geruht. In einer Anwandlung von Mutwillen, die ich für meine Person durchaus nicht tadelnswert finde, wollten Sie ihr ein Schönpflästerchen auf den Busen kleben. Dieses Verfahren, worüber ich mich weiter nicht aussprechen will, erbitterte einen der Komödianten, den Kapitän Fracasse, und dieser hatte die Dreistigkeit, Ihnen in den Arm zu fallen.«

»Marquis, Sie sind der treueste und gewissenhafteste aller Geschichtschreiber«, unterbrach Vallombreuse. »Alles dies ist von Punkt zu Punkt wahr, und um die Geschichte zu Ende zu erzählen, ich versprach diesem unverschämten Lümmel eine Tracht Hiebe, wie sie ihm nicht anders gebührte.«

»Einen Komödianten oder einen Schriftsteller, mit dem man nicht zufrieden ist, ein wenig durchprügeln zu lassen, kann niemals viel schaden,« sagte der Marquis mit der Miene vollkommener Unbefangenheit, »aber hier liegt der Fall anders. Hinter dem Kapitän Fracasse, der übrigens Ihre Leute nicht schlecht ausgezahlt hat, steckt der Baron von Sigognac, ein Edelmann von alter Abkunft und von dem besten Adel, den es in der Gascogne gibt. Kein Mensch kann ihm etwas nachsagen.«

»Aber was zum Teufel machte er unter diesen Komödianten?« antwortete der junge Herzog von Vallombreuse, indem er mit den Schnüren seines Schlafrockes spielte. »Konnte ich wohl hinter dieser grotesken Gestalt und unter dieser mit Zinnober beschmierten falschen Nase einen Sigognac vermuten?«

»Ihre erste Frage«, sagte der Marquis, »werde ich durch ein Wort erledigen. Ich glaube, unter uns gesagt, daß der Baron sterblich in Isabella verliebt ist. Da er sie nicht in seinem Schloß zurückhalten konnte, so hat er sich selbst bei dieser Truppe engagieren lassen, um seinen Liebeshandel weiter zu spinnen. Sie werden diese galante Handlungsweise ganz gewiß nicht unangemessen finden, da ja die fragliche Dame auch auf Sie keinen ungewöhnlichen Eindruck gemacht zu haben scheint.«

»Nein, dies gebe ich alles zu. Sie werden mir aber ebenso einräumen, daß ich diesen Roman nicht erraten konnte, und daß das Verfahren des Kapitäns Fracasse ein impertinentes war.«

»Impertinent allerdings von Seiten eines Komödianten,« entgegnete Herr von Bruyères, »von Seiten eines auf seine Geliebte eifersüchtigen Edelmannes aber ganz natürlich. Der Kapitän Fracasse wirft daher auch die Maske ab und kommt als Baron von Sigognac, um durch meine Vermittlung von Ihnen Genugtuung für die ihm zugefügte Beleidigung zu verlangen.«

»Aber«, entgegnete Vallombreuse, »wer bürgt mir dafür, daß dieser vorgebliche Sigognac, der unter einer Gesellschaft von Possenreißern die Matamors spielt, nicht ein gemeiner Intrigant sei, der sich einen ehrenwerten Namen beilegt, um die Ehre zu genießen, seine Harlekinpritsche durch meinen Degen berührt zu sehen?«

»Herzog,« entgegnete der Marquis von Bruyères in würdevollem Tone, »einem Manne ohne Geburt würde ich nicht als Zeuge und Sekundant dienen. Ich kenne den Baron von Sigognac, dessen Schloß nur wenige Meilen von meinen Gütern entfernt liegt, persönlich. Ich bürge für ihn. Wenn Sie übrigens immer noch an seinem Range zweifeln, so habe ich alle Beweise mitgebracht, deren es bedarf, um Ihre Zweifel zu beseitigen. Wollen Sie mir erlauben, meinen Lakaien zu rufen, der in dem Vorzimmer wartet und Ihnen die Pergamente vorlegen wird?«

»Das ist nicht nötig,« antwortete Vallombreuse, »Ihr Wort genügt mir. Ich nehme die Herausforderung an. Der Herr Chevalier von Vidaline, mein Freund, wird mein Sekundant sein. Haben Sie die Güte, sich mit ihm zu verständigen. Alle Waffen und alle Bedingungen sind mir recht. Ich würde mich freuen, zu sehen, daß der Baron von Sigognac die Degenstöße ebensogut zu parieren versteht wie der Kapitän Fracasse die Stockhiebe. Die liebenswürdige Isabella wird den Sieger krönen wie in den schönen Zeiten des Rittertums. Gestatten Sie jedoch, daß ich mich zurückziehe. Herr von Vidaline, der ein Zimmer in meinem Schlosse bewohnt, wird sogleich herunterkommen, und Sie können sich dann mit ihm über Zeit, Ort und Waffen verständigen. Und somit beso a vuestra merced la mano, caballero.«

Bei diesen Worten grüßte der Herzog von Vallombreuse den Marquis von Bruyères mit erkünstelter Höflichkeit, hob einen schweren Türvorhang und verschwand.

Einige Augenblicke später fand der Chevalier von Vidaline sich bei dem Marquis ein. Die Bedingungen wurden sehr bald geregelt. Man wählte den Degen, die natürliche Waffe der Edelleute, und der Kampf wurde auf den nächstfolgenden Tag festgesetzt. Zum Kampfplatz wählte man einen bestimmten Ort außerhalb der Mauern auf einer Wiese, die bei den Duellanten von Poitiers wegen ihrer Einsamkeit, Abgeschlossenheit und natürlichen Bequemlichkeit sehr beliebt war.

Der Marquis von Bruyères kehrte in die Herberge »Zum französischen Wappen« zurück und erstattete Sigognac Bericht über seine Mission. Der Baron dankte ihm herzlich, daß er die Sache so gut geordnet, denn er konnte die unverschämten und lüsternen Blicke des jungen Herzogs noch immer nicht vergessen. Die Vorstellung sollte um drei Uhr beginnen, und seit dem frühen Morgen durchzog der Ausrufer die Stadt, indem er die Trommel rührte und, sobald sich ein Kreis von Neugierigen um ihn versammelt hatte, das Schauspiel verkündete.

An den Mauern des Ballspielhauses und am Tore des »französischen Wappens« konnte man große Anschlagzettel sehen, auf denen mit großen rot und schwarz gemalten Anfangsbuchstaben die Worte »Lygdamon und Lydias« und »Die Rodomontaden des Kapitäns Fracasse« figurierten.

Ein Hausknecht des Gasthofes, den man als Türhüter der Komödie ausstaffiert, in einem halb grünen, halb gelben Wams mit einem breiten Wehrgehänge, an dem fast wagrecht ein kleiner Degen hing, mit einem breitkrempigen, bis in die Augen hereingezogenen Hute mit einer Feder, so lang, daß sie die Spinnweben von der Decke kehren konnte, sperrte das Eingangstor mit einer Art Partisane und ließ niemand passieren, der nicht den Eintrittspreis in ein silbernes, auf einem Tischchen stehendes Becken warf, oder ein bereits gelöstes Billet vorzeigte.

Die Damen kamen in Sänften. Einige Herren, die zu Pferde oder zu Maultiere gekommen waren, warfen die Zügel ihrer Tiere Lakaien zu. Zwei oder drei Karossen mit rotgewordener Vergoldung und verschossener Malerei kamen, von schwerfälligen Pferden im Schritt gezogen, und spien wie die Arche Noah alle Arten von Provinzialbewohnern aus. Wie unscheinbar aber diese Karossen auch waren, so machten sie doch einen ziemlich respektablen Eindruck auf die gaffende Menge, die herbeigekommen war, um die Leute in die Komödie gehen zu sehen.

Bald war der Saal so voll, daß kaum noch ein Zahnstocher hineingekonnt hätte. Zu beiden Seiten der Bühne hatte man Sessel für die Standespersonen aufgestellt. Es war dieses Arrangement der theatralischen Illusion allerdings ebenso nachteilig als dem Spiele der Darsteller, aber die Gewohnheit ließ das Lächerliche dieser Einrichtung nicht fühlbar werden. Der junge Herzog von Vallombreuse war dort in einem Kostüme von schwarzem Samt, mit den feinsten Spitzen besetzt, neben seinem Freunde, dem Chevalier von Vidaline, zu sehen, der sehr hübsch in braunen Atlas mit Goldstickerei gekleidet war. Der Marquis von Bruyères hatte, um Zerbine ungenierter applaudieren zu können, ohne sich allzusehr herauszustellen, in dem Orchester hinter den Violinen Platz genommen.

Eine Art Logen von Tannenbrettern, mit gewebtem Stoff und alten Tapeten ausgeschlagen, waren zu beiden Seiten des Saales hergerichtet, dessen Mitte das Parterre bildete, in dem die kleinen Bürger, Ladenkrämer, Advokatenschreiber, Lehrlinge, Schüler, Lakaien und anderes Volk stand.

In den Logen saßen die Frauen so stolz geputzt als ihre Provinzialgarderobe es erlaubte. Bei vielen ersetzte jedoch der Reichtum die Eleganz auf vorteilhafte Weise. Es gab hier schöne große Familiendiamanten, wenn auch in alten, unscheinbar gewordenen Fassungen, alte, allerdings ein wenig vergilbte Spitzen von großem Wert, lange Ketten von vierundzwanzigkarätigem Gold, obschon von altväterischer Fasson, von den Großmüttern ererbte Brokat- und Seidenkleider, wie man sie weder in Venedig noch in Lyon mehr webt. Einige dieser Damen, die ohne Zweifel nicht erkannt sein wollten, trugen kleine Gesichtsmasken, die nur Stirn und Nase bedeckten, was aber die Witzbolde des Parterres nicht abhielt, sie mit ihren Namen zu nennen und ihre mehr oder weniger skandalösen Abenteuer zu erzählen.

Zeichnung Karl M. Schultheiss

Eine dieser Damen, die sorgfältiger maskiert war als die andern und mit einer Person, die ihre Zofe zu sein schien, in einer Loge ganz allein saß und sich überdies so viel als möglich im Hintergrunde hielt, so daß das Licht nicht auf sie fiel, spottete jedoch des Scharfsinns der Neugierigen. Ein unter dem Kinn zusammengeknüpfter Schleier von schwarzen Spitzen bedeckte ihren Kopf und gestattete nicht einmal die Farbe ihres Haares zu unterscheiden. Zuweilen hob sie noch obendrein einen Fächer von schwarzen Federn, in dessen Mitte ein kleiner Spiegel angebracht war, den sie aber nicht zu Rate zog, bis an die Augen empor, wie um sie gegen den allzu grellen Lichterglanz zu schützen.

Die Violinen lenkten, indem sie ein Ritornell spielten, die allgemeine Aufmerksamkeit auf das Theater, und niemand achtete mehr auf jene geheimnisvolle Schönheit. Man begann mit »Lygdamon und Lydias«. Die Dekoration, die eine in der Ferne von blauen Bergen begrenzte Waldlandschaft darstellte, brachte durch ihren angenehmen Anblick das Publikum in günstige Stimmung.

Leander, der den Lygdamon spielte, trug einen grünen Rock mit Stickereien nach Art der Schäfer. Sein Haar hing ihm in Locken bis in den Nacken hinab. Der umgeschlagene Kragen ließ den Hals bloß, der so weiß war wie der eines Mädchens. Sein glattrasierter Bart gab seiner Wange und seinem Kinn eine fast unbemerkbare bläuliche Färbung und seiner Haut den samtenen Schimmer eines Pfirsichs. Die durch den Karmin der Lippen um so weißer hervortretenden Zähne funkelten wie Perlen. Ein Strich mit chinesischer Tusche um die Augenlider verlieh dem Weißen des Auges einen außerordentlichen Glanz.

Ein Murmeln der Befriedigung ging durch die Versammlung, die Frauen neigten sich flüsternd eine zu der andern, und ein erst kürzlich aus dem Kloster gekommenes junges Mädchen konnte sich nicht enthalten mit einer Naivität, die ihr eine tüchtige Strafpredigt von ihrer Mutter eintrug, zu sagen: »Ach, wie hübsch er ist!«

Das kleine Mädchen drückte in seiner Unschuld den geheimen Gedanken der älteren, erfahreneren Frauen, ja vielleicht seiner eigenen Mutter, aus.

Die bewegteste von allen Zuschauerinnen aber war ohne Zweifel die maskierte Dame. Das leichte Zittern des Fächers in ihrer Hand, die vorwärtsgeneigte Haltung, die sie auf der Logenbrüstung eingenommen hatte, um von dem Schauspiele nichts zu verlieren, würde das Interesse verraten haben, das sie an Leander nahm, wenn sich nämlich jemand Zeit gegönnt hätte, sie zu beobachten. Zum Glück waren aller Augen auf die Bühne gerichtet, so daß sie Zeit bekam, sich wieder zu fassen.

Lygdamon eröffnet den Akt durch einen sehr rührenden Monolog, in dem der abgewiesene Anbeter Sylvias die wichtige Frage erörtert, wie er einem Leben, das die Grausamkeit seiner Schönen ihm unerträglich macht, ein Ziel setzen soll. Soll er, um seine traurigen Tage zu beenden, den Strick oder den Degen wählen? Soll er sich von einem Felsen oder in einen Fluß stürzen, um das Feuer seiner Liebe in den Fluten zu löschen?

Er zögert am Rande des Selbstmordes, und weiß nicht, wozu er sich entschließen soll. Eine unbestimmte Hoffnung hält ihn noch am Leben fest. Vielleicht wird die Grausame milder, und läßt sich durch eine so standhafte Anbetung erweichen.

Leander führte diese Tirade als vollendeter Schauspieler durch und wußte seinem Schmachten und seiner Verzweiflung den rührendsten Ausdruck zu geben. Er ließ seine Stimme erzittern wie ein Mensch, den der Schmerz erstickt, und der nur mit Mühe sein Schluchzen und seine Tränen unterdrückt. Wenn er einen Seufzer ausstieß, schien er ihn vom Grunde seiner Seele zu holen und er beklagte sich über die Härte seiner Geliebten in so sanftem, so zärtlichem und so leiderfülltem Tone, daß alle Frauen im Saale sich über diese boshafte, barbarische Sylvia erbosten und sich im stillen sagten, daß sie an ihrer Stelle keineswegs so grausam gewesen wären, einen so zärtlichen Schäfer zur Verzweiflung, ja vielleicht zum Selbstmord zu treiben.

Am Ende dieser Tirade, während man applaudierte, daß die Bänke krachten, ließ Leander seinen Blick über die Frauen im Zuschauerraum schweifen und auf denen verweilen, die ihm von vornehmem Stand zu sein schienen, denn trotz der erfahrenen Täuschungen gab er seinen Traum, um seiner Schönheit und seines Schauspielertalentes willen von einer vornehmen Dame geliebt zu werden, immer noch nicht auf. Er sah auch mehr als ein strahlendes Auge, in dem eine Träne zitterte, mehr als einen weißen Busen, der vor innerer Bewegung wogte. Seine Eitelkeit war dadurch zufriedengestellt, wunderte sich aber nicht darüber. Der Erfolg überrascht einen Schauspieler niemals, wohl aber wurde seine Neugier in lebhaftem Grade durch die geheimnisvolle Dame erweckt, die sich wieder in ihre Loge zurückbog. Dieses Geheimnis roch nach einem Abenteuer. Leander erriet sofort unter dieser Maske eine Leidenschaft, die nur durch die Etikette im Zaume gehalten wurde, und er sandte der Unbekannten einen glühenden Blick zu, um ihr zu zeigen, daß sie verstanden worden sei.

Der abgeschossene Pfeil traf, und die Dame gab Leander ein fast unbemerkbares Zeichen mit dem Kopfe, wie um ihm für seinen Scharfsinn zu danken. Die Wechselwirkung war nun hergestellt, und es wurden fortan, so oft die Handlung des Stückes es erlaubte, zwischen der Loge und der Bühne Blicke gewechselt.

Zeichnung Karl M. Schultheiss

Leander war in derartigen Künsten sehr geübt und er wußte seine Stimme so zu lenken und eine verliebte Tirade auf eine Weise loszulassen, daß eine Zuschauerin glauben konnte, er sage sie allein für sie. Beim Auftreten Sylvias, die von Serafina gegeben wurde, ermangelte der Chevalier von Vidaline nicht zu applaudieren, und der Herzog von Vallombreuse, der die Liebschaft seines Freundes begünstigen wollte, ließ sich herab, die Flächen seiner weißen Hände drei- oder viermal einander zu nähern. Serafina begrüßte den Chevalier und den Herzog mit einer halben Verbeugung und schickte sich an mit Lygdamon jenen allerliebsten Dialog zu beginnen, den Kenner für eine der besten Stellen des Stückes erklären. Der Rolle Sylvias gemäß tat sie mit nachdenklicher, träumerischer Miene einige Schritte auf der Bühne, um Lygdamons Frage, weshalb sie so in Gedanken versunken sei, zu motivieren. Sie hatte in dieser ruhigen Haltung sehr viel Anmut.

Ihr Kleid war von hellgrüner Farbe, mit Schleifen von schwarzem Samt verziert. Im Haar trug sie einige Feldblumen. Dieser Kopfputz stand ihr wunderschön und besser als Diamanten, obwohl sie ihn nicht freiwillig gewählt, sondern nur durch die Armut ihres Schmuckkästchens gezwungen war, guten Geschmack zu zeigen und eine Schäferin nicht zu schmücken wie eine Prinzessin. Sie deklamierte in allerliebster Weise alle jene poetischen und blühenden Phrasen über die Rosen, über den Zephyr, über den Duft des Waldes, über den Gesang der Vögel, wodurch sie boshafterweise Lygdamon verhindert, ihr von seiner Flamme vorzureden, obschon dieser in jedem Gleichnis, dessen sich die Schöne bedient, ein Symbol der Liebe und einen Übergang findet, um wieder auf die Idee zurückzukommen, die ihn fortwährend beherrscht.

Während dieses ganzen Auftritts und allemal, wenn Sylvia sprach, wußte Leander einige Seufzer nach der geheimnisvollen Loge zu entsenden, und so machte er es fort bis zum Schluß des Stückes, das unter lautem Beifall zu Ende ging. Leanders Erfolg war vollkommen, und jeder wunderte sich, daß ein Schauspieler von diesem Talente noch nicht vor dem Hofe gespielt hätte. Serafina hatte auch ihre Anhänger, und ihre verletzte Eitelkeit tröstete sich durch die Eroberung des Chevaliers von Vidaline, der, wenn auch nicht so reich wie der Marquis von Bruyères, doch jung, elegant war.

Nach »Lygdamon und Lydias« spielte man »Die Rotomontaden des Kapitäns Fracasse«, die ihre gewohnte Wirkung äußerten und ungeheuere Lachstürme erweckten. Sigognac, von Blasius gut unterrichtet und durch seine angeborene Intelligenz unterstützt, spielte die Rolle des Kapitäns mit der ergötzlichsten Übertreibung. Zerbine schien förmlich mit Licht eingerieben zu sein, so funkelte sie, und der Marquis applaudierte wie ein Besessener. Der Lärm, den er machte, erweckte sogar die Aufmerksamkeit der maskierten Dame. Sie zuckte leicht die Achsel, und ein ironisches Lächeln zog ihre Mundwinkel empor. Isabella empfand infolge der Anwesenheit des Herzogs von Vallombreuse, der rechts von der Bühne saß, eine gewisse Befangenheit, die das Publikum sicherlich bemerkt hätte, wenn sie eine weniger geübte Schauspielerin gewesen wäre. Sie fürchtete von Seiten des Herzogs irgendeinen rohen, beleidigenden Beweis von Mißfallen; ihre Furcht verwirklichte sich jedoch nicht. Der Herzog suchte nicht sie durch einen zu starren oder zu freien Blick aus der Fassung zu bringen, ja er applaudierte ihr sogar, wenn sie es verdiente, mit Anstand und Mäßigung. Nur wenn die Situation des Stückes für den Kapitän Fracasse Nasenstüber, Ohrfeigen und Stockschläge mit sich brachte, malte sich ein eigentümlicher Ausdruck von Verachtung in den Zügen des jungen Herzogs. Seine Lippe zog sich hochmütig auf, als ob er leise spräche: »Pfui Teufel!« Er verriet jedoch nichts von den Gefühlen, die sein Inneres bewegten, und bewahrte während der ganzen Dauer der Vorstellung seine nachlässige stolze Haltung. Obwohl von Natur heftig, war er doch, nachdem seine Wut verraucht war, zu sehr Edelmann, um sich wider einen Gegner, mit dem er sich den nächstfolgenden Tag schlagen sollte, einen Verstoß gegen die Gesetze der Höflichkeit zu gestatten. Bis dahin waren die Feindseligkeiten eingestellt.

Die maskierte Dame hatte sich kurz vor Beendigung des zweiten Stückes entfernt, um nicht in das allgemeine Gedränge zu geraten und die Sänfte, die in der Entfernung von einigen Schritten von dem Ballspielhause ihrer harrte, ungesehen erreichen zu können. Ihr Verschwinden machte Leander sehr neugierig, denn er überwachte den Zuschauerraum hinter einer Kulisse und folgte allen Bewegungen der geheimnisvollen Dame aufs Genaueste. Schnell warf er einen Mantel über sein Schäferkostüm und eilte nach der Ausgangstür der Schauspieler, um der Unbekannten zu folgen. Die Dame, die einen Augenblick aus dem Dunkel hervorgetreten war, trat für immer ins Dunkel zurück, und die kaum begonnene Intrige scheiterte. Obschon Leander sich so beeilte, daß er ganz außer Atem war, so gewahrte er doch, als er hinauskam, um sich herum weiter nichts als die schwarzen Häuser und die tiefen Gäßchen, in denen einige von Dienern, die ihre Herrschaft begleiteten, getragene Laternen zitterten, deren Schein sich in den Regenpfützen spiegelte. Die Sänfte war schon um die Ecke einer Straße gebogen, die sie den Blicken des leidenschaftlichen Leander entzog.

»Ich bin dumm,« sagte er bei sich selbst mit jenem Freimut, den man zuweilen in verzweifelten Augenblicken gegen sich selbst übt. »Ich hätte gleich nach dem ersten Stück das Theater verlassen, mich umkleiden, und meine Unbekannte an der Tür des Theaters erwarten sollen, mochte sie nun bleiben, um die ›Rodomontaden des Kapitäns Fracasse‹ zu sehen oder nicht, Dummkopf! Eine vornehme Dame – denn das war sie bestimmt – wirft dir verliebte Blicke zu, und fällt hinter ihrer Maske bei deinem Spiel in Krämpfe, und du besitzest nicht einmal die Geistesgegenwart, ihr nachzulaufen. Du verdientest, dein ganzes Leben lang keine Liebschaften weiter zu haben als mit Marktweibern, Köchinnen und Stallmägden.«

So weit war Leander in seinem stummen Monolog gekommen, als ein kleiner Page in brauner Livree plötzlich vor ihm stand wie eine Geistererscheinung, und mit einer kindlich klingenden Stimme zu ihm sagte:

»Sind Sie Herr Leander, der soeben in dem Stücke des Herrn von Scudéry den Schäfer Lygdamon gespielt hat?«

»Ja, das bin ich,« antwortete Leander; »was wollen Sie von mir, und was kann ich für Sie tun?«

Zeichnung Karl M. Schultheiss

»O ich danke,« sagte der Page, »ich wünsche nichts von Ihnen. Ich bin bloß beauftragt, Ihnen ein paar Worte zu sagen, wenn Sie nämlich geneigt sind, sie zu hören – ein paar Worte von einer maskierten Dame!«

»Von einer maskierten Dame!« rief Leander. »O sprechen Sie sofort! Ich sterbe vor Ungeduld!«

»Diese Worte«, hub der Page wieder an, »lauten: Wenn Lygdamon ebenso mutig als galant ist, so braucht er sich bloß um Mitternacht bei der Kirche einzufinden. Ein Wagen wird ihn dort erwarten. Er möge einsteigen, und die Fahrt gehen lassen, wohin sie will.«

Ehe noch der erstaunte Leander Zeit zur Antwort fand, war der Page schon wieder verschwunden, und Leander stand da, und wußte nicht, was er tun sollte. Wenn ihm bei dem Gedanken an ein glückliches Liebesabenteuer das Herz vor Freuden hüpfte, so juckten ihn doch auch die Schultern bei der Erinnerung an die in einem gewissen Park am Fuße der Statue des verschwiegenen Amor empfangenen Schläge. War dies vielleicht wieder eine Schlinge, die ein auf seine Reize eifersüchtiger Ehemann seiner Eitelkeit legte, um sich dann mit dem Degen in der Faust auf ihn zu stürzen und ihm die Kehle abzuschneiden? Diese Gedanken kühlten seine Begeisterung bedeutend ab, denn Leander fürchtete, wie wir schon einmal gesagt haben, nichts als Prügel und den Tod. Indessen, wenn er diese Gelegenheit, die sich auf so günstige und so romantische Weise darbot, nicht benützte, so kehrte sie vielleicht niemals wieder, und mit ihr entschwand dann der Traum seines Lebens. Überdies mußte die schöne Unbekannte, wenn er nicht kam, ihn im Verdacht der Feigheit haben. Dies war ein zu schrecklicher Gedanke, der selbst dem Furchtsamsten Mut einflößen mußte. Dieser unerträgliche Gedanke bestimmte Leander. »Aber,« sagte er bei sich selbst, »wenn diese Schöne, für die ich mich der Gefahr aussetzen will, mir die Knochen zerschlagen und mich in ein Verlies werfen zu lassen, nun eine mit Zinnober und Bleiweiß bemalte alte Witwe mit falschem Haar und falschen Zähnen wäre! Es fehlt nicht an dergleichen lüsternen alten Weibern, an solchen verliebten Vampyren, die, von denen der Kirchhöfe verschieden, sich nicht mit Blut, sondern mit frischem Fleisch mästen. Doch nein, sie ist jung und reizend, davon bin ich überzeugt. Das, was ich von ihrem Hals und Busen sehen konnte, war weiß, rund, verführerisch und ließ, was das übrige anlangt, Wunder ahnen. Ja, ich gehe!«

Nachdem Leander diesen Entschluß gefaßt, kehrte er in das »französische Wappen« zurück, genoß bei der Abendmahlzeit der Schauspieler nur wenig und zog sich in sein Zimmer zurück, wo er sich nach Kräften zum schönen Mann machte, ohne an feiner Wäsche mit durchbrochener Stickerei, oder an Irispulver, noch an Moschus zu sparen. Auch versah er sich mit einem Dolch und einem Degen, obschon er nicht sonderlich fähig war, sich dessen im Notfall zu bedienen. Ein bewaffneter Liebhaber flößt aber immer eifersüchtigen Übelwollenden mehr Respekt ein.

Dann zog er den Hut über die Augen herab, hüllte sich nach spanischer Art in einen Mantel von dunkler Farbe und verließ den Gasthof mit leisem, verstohlenem Tritt.

Die Straßen waren schon seit langer Zeit leer und öde, denn in Poitiers ging man früh schlafen. Leander begegnete keinem lebenden Wesen, ausgenommen einigen halbverhungerten Katzen.

Unser Held trat aus der letzten Gasse auf den Platz der Kirche heraus, als eben der letzte Schlag der Mitternachtsstunde dröhnte. Der unheimliche Klang der Glocke mitten im Schweigen der Nacht erfüllte Leanders nicht sehr mutiges Herz mit geheimer frommer Scheu. Es war ihm, als hörte er sein letztes Stündlein schlagen. Einen Augenblick lang stand er im Begriff wieder umzukehren und sich klüglich in sein Bett zu strecken, anstatt nächtlichen Abenteuern nachzulaufen. Er sah aber die Karosse, die ihn auf dem bezeichneten Platze erwartete, und den kleinen Pagen, den Boten der maskierten Dame, der, auf dem Tritte des Wagens stehend, den Schlag offenhielt. Es gab keinen Rückzug mehr, denn wenig Menschen haben den Mut, in Gegenwart von Zeugen feige zu sein. Der Knabe und der Kutscher hatten Leander bereits bemerkt. Er näherte sich daher mit einer gelassenen Miene, die innerlich durch ein starkes Herzklopfen Lügen gestraft wurde, und stieg mit anscheinender Unerschrockenheit in den Wagen.

Kaum hatte er Platz genommen, so berührte der Kutscher seine Pferde, die sich sofort in Trab setzten. Tiefes Dunkel herrschte in dem Wagen. Abgesehen davon, daß es Nacht war, waren auch lederne Vorhänge vor die Wagenfenster gezogen, so daß man keinen Blick hinauswerfen konnte. Unser Komödiant betastete die Kissen, die von Samt und mit Quasten durchnäht waren. Unter seinen Füßen fühlte er einen dichten Teppich und atmete ein schwaches Parfüm von Ambra, das der Stoff der inneren Wagenbekleidung ausströmte. Ganz gewiß brachte diese Karosse ihn zu einer Person von hohem Stande und luxuriöser Lebensweise. Er versuchte sich zu orientieren, aber er kannte Poitiers wenig. Dennoch war es ihm nach einiger Zeit, als ob das Gerassel der Räder nicht mehr von Mauern widerhallte und als ob der Wagen nicht mehr über Rinnsteine hinwegpolterte. »Ich befinde mich also außerhalb der Stadt, im Freien, und rolle irgendeinem für Liebschaft und Meuchelmord günstigen Schlupfwinkel entgegen«, dachte Leander mit leichtem Schauder, indem er die Hand an seinen Dolch legte, als ob ein blutdürstiger Ehemann oder grimmiger Bruder im Dunkel vor ihm säße.

Endlich machte der Wagen halt. Der kleine Page öffnete den Schlag, Leander stieg aus. »Geben Sie mir die Hand,« sagte der Page zu Leander, »damit ich Sie führen kann. Es ist zu finster, als daß Sie mir durch dieses Labyrinth von Bäumen folgen könnten.«

Leander gehorchte, und beide gingen einige Minuten lang durch ein Wäldchen, dessen dürre Blätter unter ihren Füßen knisterten. Auf das Wäldchen folgte ein mit Buchsbaumstreifen eingeteilter Blumengarten, der mit pyramidenförmig gestutzten Taxusbäumen verziert war. Diese hatten in dem Dunkel das Ansehen von Gespenstern oder – was für den furchtsamen Komödianten noch schrecklicher war – von Schildwacht stehenden Männern. Als der Garten durchschritten war, stiegen Leander und sein Führer die Rampe einer Terrasse hinauf, über der sich ein ländlicher Pavillon mit einer Kuppel erhob. Dieser Pavillon hätte unbewohnt geschienen, wenn nicht ein schwacher, durch einen dichten Damastvorhang hindurch bemerkbarer rötlicher Lichtschimmer sich an einem der Fenster gezeigt hätte, das so aus dem dunklen Hintergrunde der Masse hervortrat.

Leander aber empfand in diesem Augenblick keine Furcht mehr. Die Befriedigung seiner Eitelkeit verbarg ihm die Gefahr. Die Karosse, der Page, der Garten, der Pavillon, alles dies verriet die vornehme Dame, und die Intrige schürzte sich auf eine Weise, die nichts Spießbürgerliches hatte. Er schwebte im siebenten Himmel, und seine Füße berührten kaum noch den Boden. Er hätte nur gewünscht, daß der boshafte Spötter von Scapin ihn in diesem Glanz und Triumph sähe.

Der Page stieß eine große Glastür auf und entfernte sich dann, während Leander allein in dem Pavillon zurückblieb, der mit viel Geschmack und Pracht ausgestaltet war.

Das durch die Kuppel gebildete Gewölbe stellte einen blauen Himmel vor, an dem rosenfarbige Wölkchen schwammen und Amoretten in anmutigen Stellungen hin und her flatterten. Mit Florentiner Steinen eingelegte Schränke, mit rotem Samt überzogene Sessel, ein mit einem türkischen Teppich bedeckter Tisch, chinesische Vasen, die trotz der Jahreszeit mit Blumen gefüllt waren, ließen erkennen, daß die Herrin dieses Ortes reich und von vornehmer Herkunft war. Negerarme aus schwarzem Marmor, die aus einem vergoldeten Ärmel hervorragten, bildeten Kandelaber und warfen den hellen Schein ihrer Kerzen auf diese Pracht. Geblendet von diesem Glanz bemerkte Leander nicht sogleich, daß niemand in diesem Salon war. Er entledigte sich seines Mantels, den er samt seinem Hut auf einen Klappstuhl legte, gab vor einem venetianischen Spiegel einer seiner Locken eine bessere Lage, nahm die anmutvollste Stellung seines Repertoirs an und sagte, indem er die Augen im Kreis herumschweifen ließ:

»Nun? Und wo ist die Gottheit dieser Räume? Ich sehe wohl den Tempel, aber nicht die Göttin? Wann wird sie aus ihrer Wolke hervortreten?«

So weit war Leander in seinem stummen galanten Monolog gekommen, als die Falten eines dunkelroten Türvorhanges sich bewegten und die maskierte Dame, die Bewunderin Lygdamons, dahinter hervortrat. Sie trug noch ihre schwarzsamtene Gesichtsmaske, was unseren Helden ein wenig beunruhigte. »Sollte sie häßlich sein?« dachte er. »Diese Liebe zum Maskiertsein beunruhigt mich.«

Seine Besorgnis dauerte nicht lange, denn die Dame nahm, indem sie sich der Mitte des Salons näherte, wo Leander in ehrerbietiger Haltung stand, ihre Maske ab, warf sie auf den Tisch und zeigte beim Schimmer der Kerzen ein regelmäßiges und angenehmes Gesicht, in dem zwei schöne braune, von Leidenschaft flammende Augen glänzten.

»Die Frau Marquise von Bruyères!« rief Leander im höchsten Grade erstaunt und ein wenig unruhig, denn er dachte an die empfangenen Stockprügel. »Ist es möglich? Bin ich das Spielzeug eines Traumes? Darf ich an dieses unverhoffte Glück glauben?«

»Sie irren sich nicht, mein Freund«, sagte die Marquise. »Ich bin in der Tat Frau von Bruyères und hoffe, daß Ihr Herz mich ebenso wiedererkennt wie Ihre Augen.«

»Oh, Ihr Bild ist hier mit Flammenzügen eingegraben«, antwortete Leander in feurigem Tone. »Ich brauche bloß in mich hineinzuschauen, um es mit aller Anmut und Vollkommenheit geschmückt zu sehen.«

»Ich danke Ihnen für das mir bewahrte gute Andenken«, sagte die Marquise. »Es beweist einen edelmütigen Sinn. Sie haben mich vielleicht für grausam, undankbar und falsch gehalten. Ihr Brief, den Sie einer verräterischen Zofe gegeben, war in die Hände des Marquis gefallen. Er gab darauf die Antwort, die Sie empfingen und durch die Ihnen so große Schmach angetan wurde. Später gab der Marquis, indem er über diesen guten Scherz, wie er es nannte, lachte, mir Ihren Brief, aus dem die lebhafteste und reinste Liebe sprach, zu lesen, als ob es sich um etwas höchst Lächerliches handelte. Er erreichte die dadurch beabsichtigte Wirkung nicht. Das Gefühl, das ich schon für Sie empfand, wurde dadurch nur um so stärker, und ich nahm mir vor, Sie für die Leiden, die Sie meinetwegen erduldet haben, zu belohnen. Da ich meinen Mann jetzt mit seiner neuen Eroberung beschäftigt weiß, bin ich nach Poitiers gekommen. Unter dieser Maske verborgen, hörte ich Sie die erkünstelte Liebe so gut ausdrücken, daß ich sehen wollte, ob Sie, wenn Sie für sich selbst sprächen, ebenso beredt wären.«

Zeichnung Karl M. Schultheiss

»Madame,« sagte Leander, indem er auf ein Polsterkissen zu den Füßen der Marquise niederkniete, die wie erschöpft von der Überwindung, die das eben ausgesprochene Geständnis ihrer Schamhaftigkeit gekostet zu haben schien, in einen Lehnsessel niedergesunken war, »Madame, oder vielmehr Königin und Gottheit, was können geschminkte Worte, künstliche Leidenschaften, von Nägel kauenden Dichtern kalt erdachte Redensarten, erheuchelte Seufzer, die zu Füßen einer mit Zinnober beschmierten Komödiantin ausgestoßen werden, deren zerstreute Blicke unter dem Publikum umherirren, gegen Worte sein, die unmittelbar aus der Seele hervorquellen, gegen das Feuer, das das Mark verzehrt, gegen den Ausdruck einer Leidenschaft, der das ganze Weltall keine Bilder verleiht, die glänzend genug wären, um ihr Idol zu schmücken, und gegen die Ergüsse eines Herzens, das die Brust sprengen möchte, in die es eingeschlossen ist, um den Füßen des angebeteten Gegenstandes als Fußkissen zu dienen! Sie geruhen zu finden, himmlische Marquise, daß ich die Worte der Liebe in einem Theaterstück mit Feuer zu sprechen verstehe. Dies hat seinen Grund darin, daß ich noch niemals eine Schauspielerin angesehen habe, daß mein Gedanke stets darüber hinaus auf ein vollkommenes Ideal, auf eine schöne, edle und geistreiche Dame gerichtet ist wie Sie. Diese allein liebe ich unter den Namen Sylvia, Doralice und Isabella, die ihr nur als Symbole oder Phantome dienen.«

Indem Leander dies sagte, neigte er – denn er war ein zu guter Schauspieler, um zu vergessen, daß die Worte stets von entsprechenden Gesten begleitet sein müssen – sich über die Hand, die die Marquise ihm überließ und bedeckte sie mit glühenden Küssen. Die Marquise ließ ihre weißen, langen mit Ringen beladenen Finger durch das seidenweiche parfümierte Haar des Komödianten gleiten und betrachtete, ohne zu sehen und halb in ihren Sessel zurückgelehnt, die geflügelten Amoretten an der blauen Decke.

Plötzlich drängte sie den ungestümen Leander mit sanfter Gewalt vor sich.

»Oh, hören Sie auf,« sagte sie mit kurz abgebrochener, keuchender Stimme, »hören Sie auf, Leander, Ihre Küsse brennen mich und rauben mir den Verstand!«

Sie stützte sich mit der Hand an die Wand, bewegte sich nach der Tür, durch die sie eingetreten, und hob den Vorhang, dessen Falten hinter ihr und Leander, der ihr folgte, um sie zu stützen, herabfielen . . .

Die Morgenröte des Winters blies sich in die roten Finger, als Leander, in seinen Mantel gehüllt und halb in der Ecke des Wagens schlafend, wieder nach Poitiers zurückgebracht wurde. Als er den Zipfel des Fenstervorhanges emporhob, um die Straße zu rekognoszieren, gewahrte er den Marquis von Bruyères, der an Sigognacs Seite einherschritt und sich zu dem für den Zweikampf bestimmten Platz begab. Leander zog den Ledervorhang wieder herab, um nicht von dem Marquis, den der Wagen beinahe streifte, gesehen zu werden. Ein Lächeln befriedigter Rache umspielte seine Lippen. Die Stockstreiche waren vergolten – – –

Der gewählte Ort war vor dem Winde durch eine lange Mauer geschützt, die zugleich den Vorteil hatte, die Kämpfenden den Reisenden auf der Landstraße zu verbergen. Der Boden war fest, ohne Steine, Erdschollen oder Gestrüpp, die den Füßen hätten hinderlich sein können, und bot daher alle Bequemlichkeit, damit Leute von Ehre einander schulgerecht die Kehlen abschneiden konnten.

Es dauerte nicht lange, so fanden sich der Herzog von Vallombreuse und der Chevalier Vidaline in Begleitung eines Wundarztes ein. Die vier Edelleute begrüßten sich mit kalter Höflichkeit. Auf dem Gesicht des jungen Herzogs, der sehr mutig und tapfer und übrigens seiner Geschicklichkeit sicher war, lag vollkommene Sorglosigkeit. Sigognac zeigte eine nicht weniger zuversichtliche Haltung, obwohl dies sein erstes Duell war. Vallombreuse warf seinen Mantel und Hut ab und heftete sein Oberkleid auf, was alles von Sigognac treulich nachgeahmt wurde. Der Marquis und der Chevalier maßen die Degen der beiden Kämpfer. Sie waren gleich lang.

Jeder stellte sich nun auf seinen Platz, nahm seinen Degen und fiel in die Auslagestellung.

»Drauf, meine Herren, zeigen Sie, daß Sie Herz haben!« sagte der Marquis.

»Diese Mahnung ist überflüssig,« sagte der Chevalier von Vidaline, »sie werden sich schlagen wie Löwen. Es wird ein famoses Duell.«

Vallombreuse, der in seinem Innern nicht umhin konnte, Sigognac ein wenig zu verachten und in ihm auf einen nur schwachen Gegner zu stoßen erwartete, war, nach kurzer Probe am Eisen des Barons, nicht wenig überrascht, eine geschmeidige und feste Klinge zu finden, die der seinigen mit wunderbarer Leichtigkeit Widerstand leistete. Er wurde aufmerksamer und versuchte dann einige Finten, die aber sofort erraten wurden. Bei der geringsten Lücke, die er ließ, drang Sigognacs Spitze vor und machte eine rasche Parade notwendig. Er wagte einen Angriff, sein durch einen kunstreichen Gegenstoß auf die Seite gedrängter Degen ließ ihn ungedeckt, und wenn er sich nicht rasch zurückgebogen hätte, so wäre er mitten in die Brust getroffen worden. Der Kampf nahm auf diese Weise für den Herzog eine ganz andere Gestalt an. Er hatte geglaubt, ihn nach seinem Gefallen lenken und nach einigen Gängen mittels eines Stoßes, der ihm bis jetzt stets gelungen war, Sigognac verwunden zu können. Es stand aber nicht nur nicht mehr in seiner Macht, nach Belieben anzugreifen, sondern er bedurfte auch seiner ganzen Gewandtheit, um sich zu verteidigen. Was er auch tat, um kaltblütig zu bleiben, so wurde er doch allmählich hitziger und fieberhaft erregt, während Sigognac ganz ruhig blieb und es sich zum Vergnügen zu machen schien, ihn durch seine tadellose Fechtkunst zu reizen.

Der durch den Baron bedrängte Herzog war schon um mehrere Fuß zurückgewichen. Er wurde müde, und sein Atemzug fing an zu keuchen. Von Zeit zu Zeit sprühte aus den zusammenklirrenden Klingen ein bläulicher Funke, aber der Gegenstoß wurde immer matter. Nachdem Sigognac seinen Gegner auf diese Weise ermüdet, hatte, begann er kräftiger anzugreifen und trieb den Herzog immer weiter zurück. Der Chevalier von Vidaline war sehr bleich und begann für seinen Freund zu fürchten. Es war für jeden Kenner augenscheinlich, daß der ganze Vorteil auf Sigognacs Seite war.

»Aber auch zum Teufel,« sagte Vidaline bei sich selbst, »warum versucht Vallombreuse nicht den Stoß, den ihn Girolamo von Neapel gelehrt, und den dieser Gascogner ganz gewiß nicht kennt?«

Gerade als ob der junge Herzog in der Seele seines Freundes gelesen hätte, versuchte er in diesem Augenblicke den berühmten Stoß. Sigognac aber, der diesen recht wohl kannte, kam ihm zuvor und versetzte seinem Gegner einen so kräftigen Stich, daß er ihm den Vorderarm ganz durchbohrte. Der Schmerz dieser Wunde zwang den Herzog, die Finger zu öffnen, und der Degen entfiel ihm.

Sigognac hielt mit vollendeter Höflichkeit augenblicklich inne. Er stemmte die Spitze seiner Klinge auf die Erde, stützte die linke Hand auf die Hüfte und schien den Willen seines Gegners zu erwarten. Aber Vallombreuse, dem Vidaline den Degen wieder in die Hand legte, konnte ihn nicht halten und gab zu verstehen, daß er genug habe.

Zeichnung Karl M. Schultheiss

Sigognac und der Marquis von Bruyères grüßten hierauf den Herzog von Vallombreuse und den Chevalier von Vidaline, und machten sich wieder auf den Weg nach der Stadt.

 

Ende des ersten Bandes

 


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