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»Lieber Fritz,« sagte Albine, »ich habe für jetzt eine Verabredung mit meiner Freundin Cäcilie. Sie wohnt nicht weit von hier, drüben über dem Steinbruch, wo Sie die Weide und den Schlehenbusch gesehen haben.«
»Ich könnte mich nicht entsinnen,« sagte Fritz. »Ist denn dort etwas los?«
»Los!« echote Albine ein bißchen ärgerlich. »Los ist überall etwas! Konzert ist natürlich auch. Und Sie lernen da viele nette Leute kennen.«
Fritz war nach den Erlebnissen in dem Einödgasthaus nicht mehr von so rascher Begeisterung für die Vorschläge Albinens. Es schien ihm, als führe sie ihn mit Vorliebe in entlegene Gegenden.
»Es sind reiche Leute dort. Sie tragen silberne Kleider mit goldenen Schleppen und halten ein offenes Haus.« Der Bericht, den Albine nun gab, hatte manches Verlockende. Sie verstand es, sein Herz damit zu bestricken. Auch interessierte ihn die Schwammfabrikation.
Sie flogen also hin. Der Weg führte quer über den Steinbruch. Fritz, der ein wenig zurückgeblieben war, stieg in elegantem Steilflug hinab auf eine weiße Seerose.
Am liebsten wäre er hier geblieben; denn er sah in dem Spiegel des Wassers einen Zitronenfalter, der ihm beglückt entgegenflog. Offenbar war der von unten in die Teichrose eingekehrt. »Wo sind Sie denn, Kamerad?« fragte er und trank einen Schoppen Würzewein. Dagegen konnte selbst der von der Birke nicht aufkommen.
Albine hatte schon eine Zeitlang in den Wind geredet – sie merkte nicht gleich, daß Fritz ihr verlorengegangen war. Nun aber kehrte sie um.
»Fritz! Fritz!« rief sie. Aber Fritz meldete sich nicht; so hingenommen war er von den neuen Bildern am Teich.
»Jagen Sie einem doch nicht solch einen Schreck ein!« sagte sie vorwurfsvoll, als sie ihn endlich gefunden hatte. »Manchmal torkelt eine Fledermaus aus ihrer dunklen Steinkammer – ich dachte schon …«
»Es ist ein Kamerad von der anderen Seite gekommen,« sagte Fritz, »da konnte ich nicht widerstehen und mußte einen Schoppen trinken. Es war der erste meiner Sippe, den ich gesehen habe.«
Albine erschrak noch mehr – es konnte ja auch eine Kameradin sein! Das mit der Fledermaus hatte sie natürlich erfunden. Sie horchte in jedes Wort hinein, das Fritz über das Erlebnis zu ihr sprach. Dann aber geriet sie ins Lachen. »Lieber Fritz, Sie sind ein rechter Kindskopf! Was Sie im Teiche gesehen haben, war ja Ihr Bild!«
»Wie denn?« fragte er erstaunt. Da mußte sie es ihm erklären. Und Fritz, der sonst nicht mißtrauisch war, probierte die Sache. Es stimmte: so oft er von der weißen Blüte sich emporschwang, tat sein Kamerad das gleiche. Aber es gefiel ihm doch. »Ich könnte dies Spiel eine Stunde fortsetzen, so kurzweilig ist es!«
Dabei schaute er immer nach den Wasserjungfern, die über dem Spiegel tanzten. Sie schwangen ihre gläsernen Flügel so zierlich und leicht, und das gab einen herrlichen Klang. Außerdem berückte ihre Eleganz sein Auge. Ihre Sommerkleider waren von verführerischem Reiz: aus grüner und blauer Gaze. Die Blauen mit den dunklen Bändern waren hübsch. Aber auch die Grünen entzückten ihn. Hauchzart war ihr lispelnder Flug, hauchzart ihre graziöse Erscheinung. »Aus Luft und Sonne gesponnen und aus dem grünlichen Glanz, der auf der Flut strahlt!« sagte Fritz begeistert. »Wie sind die hübsch!« Er legte die Hand aufs Herz und schmachtete zu ihnen empor.
»Ich finde das gar nicht,« sagte Albine. »Die Männer haben einen verirrten Geschmack. Diese Wasserfeen sind ein sehr zerbrechliches Geschlecht. Und dann: die dünnen unirdischen Leiber, die sie haben! Und diesen stolpernden Gang! Sie machen sich ja lächerlich, lieber Fritz, wenn Sie so etwas hübsch finden! Aber jetzt kommen Sie – bei Goldmanns möchte ich keine Verstimmung gegen uns aufkommen lassen wegen einer Unpünktlichkeit.«
Fritz hatte nicht übel Lust, Albinen allein gehen zu lassen. Die eigenartige ätherische Schönheit der Wasserjungfrauen gefiel ihm außerordentlich. Doch er durfte nicht unhöflich sein. »Ade! Ade!« winkte er den grünen und blauen Freundinnen noch einmal zu. »Auf Wiedersehen!«
Die Wasserjungfrauen sahen ihn mit großen Augen an und verneigten sich kaum merklich zum Abschied. Albine lachte gereizt. »Die halten Sie nicht einmal eines Grußes würdig!« sagte sie.
Fritz schwieg. Er hatte recht gut gesehen, daß er ihnen nicht unwillkommen sein würde, und beschloß, sobald als möglich zurückzukehren.
Dann kamen sie in den Schlehenbusch. Das war die Schwammfabrik von Goldmann u. Co. Die Teilhaber hießen Eierschwamm, Rotschwanz und Dickkopf. Eierschwamm sah Goldmann zum Verwechseln ähnlich. Und Rotschwanz war nicht etwa ein Vogel, sondern ein Dämmerungsfalter, der eifrig Schwämme spann.
Aus Silber waren die Kleider der Goldmanns überhaupt nicht, wie Albine gesagt hatte; sondern sie waren aus weißer Seide und von einem solchen Schimmer der Farbe, daß Albinens Neues dagegen fast vertragen aussah. Die meisten der Goldmanns trugen Schleppen, die glänzten allerdings wie gesponnenes Gold.
Von der Eleganz und feinen Lebensart der Wasserjungfern hatten diese Leute aber keine Ahnung. Sie waren kurz, dick und protzig. Fritz stand mit Goldmann auf dem Balkon. Der erzählte ihm von der großen Bedeutung seiner Fabrik. »Eigentlich wachsen die Schwämme ja,« sagte er, »die sind aber nicht halb so wertvoll wie die von mir fabrizierten. Eigene Erfindung, sag' ich Ihnen! Sehen Sie nur, dieser Glanz der Farbe und diese seidige Weichheit!«
Damit deutete er auf einige Fabrikate, die auf den Zweigen oder am Stamme des Strauches hingen. »Mein Lager!« sagte er.
Fritz wollte etwas über die Herstellung und Verwendung erfahren. Da erzählte Goldmann, die Frauen spännen sie vom Ende ihres Leibes herab und bedeckten damit ihre Eier. »Wir fabrizieren also nur zum Privatgebrauch,« setzte er hinzu.
Albine fragte nach Cäcilien. »Sie ist nicht ganz auf der Höhe heute,« sagte Goldmann.
Aber das war nicht wahr. Es hatte wieder einmal einen häuslichen Streit gegeben. Die Ehe war nicht sehr glücklich. Merkwürdig, auch die anderen Teilhaber der Firma waren nicht gut verheiratet. Die Familien schienen degeneriert zu sein; denn Fritz bemerkte unter den vielen Mitgliedern etliche, die auf der linken Seite die größeren und helleren Flügel der Frauen, auf der rechten die kleineren und dunkleren der Männer hatten. (Natürlich traf das nur für die Dickköpfe und Rotschwänze zu; denn die Goldmänner gingen ja in weißer Seide.) Diese Zwitterbildung erstreckte sich über den ganzen Körper. Es sah aus, als sei der Schmetterlingsleib genau in der Mitte mit scharfem Messer auseinandergeschnitten gewesen und daran aus Versehen die Hälfte eines vom anderen Geschlechte angeheilt worden.
Der Leistungsfähigste war entschieden der Dickkopf. Seine Frauen spannen in ein paar Minuten den herrlichsten Goldschwamm, der sich denken ließ, und dabei so groß wie eine welsche Nuß.
Fritzens Teilnahme war natürlich aufs äußerste erregt, namentlich weil Goldmann auch den praktischen Wert dieser Schwammspinnerei ins rechte Licht setzte. Die gutgetrockneten Erzeugnisse ließen keinen Tropfen Feuchtigkeit an die Brut. Weil sie aus Haaren hergestellt wurden, boten sie auch den wirksamsten Schutz gegen Feinde.
Albine war indessen mit Cäcilien zusammen, die sich über die Grobheit ihres Mannes beklagte. Goldmann hinwiederum redete zu Fritz gar nicht lieb von seiner Frau. Sie und ihre Tochter trieben einen unerhörten Kleiderluxus und waren doch immer unzufrieden. Er führte sie jeden Abend aus – einmal zur großen Illumination der Glühkäfer, dann zu den Gartenfesten der Nachtfalter, oder ins Theater, wo jetzt das Zugstück »Ein Sommernachtstraum« gespielt wurde. – Aber das herzliche Einvernehmen wollte nicht kommen.
Fritz, bei seiner anderen Veranlagung und seinem Hochfluge der Gedanken, war sehr enttäuscht von dieser Familie, die an dem schönen Hange wohnte. Die häuslichen Angelegenheiten, von denen hier mit Vorliebe geredet wurde, interessierten ihn auf die Dauer gar nicht. Er lenkte das Gespräch auf den herrlichen Blick, hinaus ins Land.
Goldmann tat, als sei auch dieser sein Werk. Da die Sommerlandschaft so heiter und klingend vor ihnen lag, so wäre das Fröhlichsein für diese Leute wohl doppelt leicht gewesen. Aber dichterische Betrachtungen über all die Schönheiten galten Goldmann nichts. Er schloß sich vor der Begeisterung seines Besuches zu. Seine Augen schauten fast blöde ins Land. Sein Gesicht ward mißmutig. Die Überlegenheit Fritzens, der Flug seiner Gedanken und die Belebtheit seiner Worte waren ihm unbequem.
Dann kam Cäcilie. Die kleine, dicke Person hatte sich sehr hübsch herausgeputzt. Man sah ihr ordentlich an, wie stolz sie auf ihr Kleid mit der Goldschleppe war. Sie hätte von Fritzen gern einige Worte der Anerkennung vernommen. Der aber war ganz bezaubert von der strahlenden Schönheit des Landes. Er sprach vom Sommertraume des Lebens und von der Grobsinnigkeit mancher Leute, die sich an ihrem Glück vorüberleben, weil sie immer nur danach sehen, was die anderen anhaben und wie es jene treiben. Damit verkümmern sie sich ihre Tage.
Fritz sprach schön und belebt. Er hätte eine ganze Versammlung hinreißen können. Manchmal klangen seine Worte wie Musik. In gleichgestimmte Seelen mußten sie eine tiefe Beglückung tragen. Aber diese Schwammspinner konnten sich über ihre goldenen Schleppen nicht hinausfinden. Namentlich Cäcilie ärgerte sich an dem Besuch, der die schlichteste Blume der Umgebung begeisternd fand und für sie selbst kein Wort der Bewunderung hatte. »Sie machen meinen Mann ganz nervös, lieber Herr,« sagte sie (es klang zerknüllt), »und ich habe hernach meine liebe Not mit ihm …«
Ein jäher Schrei zerriß die Luft. Es war Albine. Die hatte sich ein Stück abseits, auf einem Zweige, die Landschaft betrachtet und war von einer Eidechse überfallen worden. Schrecklich! Als Fritz sie endlich gefunden hatte, konnte er gerade noch beobachten, wie die Eidechse mit der Hand das letzte Stück der jungen Witwe in den Mund schob und dabei voller Genugtuung mit den Augendeckeln klappte.
»Das kommt davon, wenn man derartige Gespräche führt,« schalt Cäcilie, »wir halten es mit dem Alltag und brauchen derlei Anregung nicht. Erst verwirren Sie mir meinen Mann und nun verschulden Sie auch noch den Tod meiner liebsten Freundin!«
Fritz wußte nicht, wie ihm geschah. Auf solch einen Vorwurf war er nicht gefaßt gewesen! Er empfahl sich kühl. Aber er war um eine wertvolle Erfahrung reicher geworden.