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23. Mr. Smith

Das kleine Minenstädtchen Golden Bottom, in dem das County Court dieses Distrikts abgehalten wurde, lag nicht sehr weit vom Paradies entfernt. In der Nähe hatten sich zahlreiche Amerikaner niedergelassen. Es gab eigentlich nur einen breiten Bergrücken, der auch die Flüsse Calaveres und Stanislaus schied, dazwischen. Trotzdem gab es keinen richtigen Fahrweg. Die von Stieren gezogenen Lastwagen mußten sich, so gut das ging, ihren Weg selbst durch den Wald suchen. Oft hieben die Treiber sich mit der Axt selbst eine Bahn durch Busch und Strauchwerk. In ziemlich gerader Richtung lief aber ein Reitpfad an einem der Nebenflüsse des Teufelswassers hinauf. An einer niedrigen Stelle des Bergrückens überschritt er ihn, und von dort führte ein grasiger, kaum bewaldeter Hang in das andere Tal hinab. An diesem Nebenflüßchen hatte sich bislang noch kein Goldwäscher niedergelassen. Aber seit zwei Tagen arbeiteten dort zwei Deutsche, gute Bekannte von uns. Es waren der junge Graf Beckdorf und sein Kompagnon Fischer, die die Ufer des kleinen, freundlichen Baches einmal untersuchen wollten, ob sie nicht genauso goldhaltig waren wie die anderen Gewässer. Der Platz lag etwas entfernt vom Lager selbst. Um nicht zuviel Zeit mit Hin- und Hergehen zu verlieren, hatten sie sich ihr Frühstück gleich mitgenommen, um es draußen im freien Wald zu essen.

Es war noch ungewiß, ob sie genug Gold fanden, um ihre Mühe und Arbeit zu bezahlen. Heute morgen wollten sie das im schon gegrabenen Loch ausprobieren. Sie hätten sich für ihre Arbeit kaum ein reizenderes Plätzchen aussuchen können. Rings um sie streckten die herrlichen Zedern und Kiefern die riesigen, vollkommen glatten Schäfte empor. Weit oben bildeten sie einen grünen Dom aus festverschlungenen Zweigen. Nur hier und da gestatten sie einem Sonnenstrahl, sich in dem murmelnden Bach zu spiegeln. Tausend Blumen und Blüten bedeckten trotzdem das ganze Uferbett und schimmerten und blühten in lebendigen, herrlichen Farben. Das Bachufer selbst war mit einer Girlande von grellrotem Löwenmäulchen eingefaßt. Nur hier und da sah ein kleines Bukett hellblauer Vergißmeinnicht dazwischen hervor. Zwischen dem Rot und Blau und Violett der verschiedenartigen Blüten steckten die zierlichen gelben Sternblumen ihre Köpfe hervor. Über dem Wasser wölbten sich schlanke Haselnußstauden, die für den Herbst eine reiche Ernte versprachen. Daneben standen wilde Kirschbäume mit ihren süßen, roten Früchten, und ein feines, zartes Schilfgras streckte überall seine zierlichen Halme hoch empor.

Bei der Verfolgung seines Zieles ist dem Goldwäscher aber nichts heilig, und wenn es von der Natur noch so reizvoll gestaltet wurde. Der Busch, der ihm im Weg steht, kann die schönsten Blüten und süßesten Früchte tragen – er wird umgeschlagen. Die prächtigste Zeder, unter deren Wurzeln er angeschwemmte Körner vermutet, trifft seine Axt. Blumen und Blüten werden durch die erbarmungslose Spitzhacke in den Boden geschlagen oder vom Spaten mit Erde bedeckt. Was bedeuten auch Blumen und Blüten! Ja, sie haben Farbe und Duft, aber kein Gewicht und lassen sich nicht verwerten. Deshalb sollen sie eben duften und blühen, wo sie nicht im Weg sind. Auch unsere beiden Freunde hatten schon eine ziemliche Verwüstung unter den Blumen des Tales angerichtet und einen häßlichen Streifen braunroter Erde aufgerissen. Der früher so klare Bach war durch die gelbrote hineingeworfene Erde trübe und schlammig geworden. Trotzdem waren die beiden sehr vergnügt bei ihrer Arbeit und aßen ihr Frühstück, um dann die am Bach aufgestellte Waschmaschine zu probieren. Dann wollten sie sehen, ob sich die bislang schon geleistete Arbeit lohnen würde. Sie wußten von den Ereignissen in der Flat kein Wort und hätten hier auch nicht einmal einen Schuß gehört. Daß sich die Mexikaner gestern abend aber zusammengerottet hatten, konnte ihnen nicht entgehen. Sie glaubten aber, daß sie gemeinsam die Minen verlassen und andere Plätze aufsuchen wollten, wo sie von den Amerikanern nicht mehr belästigt wurden. Zu ihrem Erstaunen sahen sie die Indianer heute in ungewohnter Bewegung. Mehrere Gruppen waren auch schon durch ihr Tal gekommen, ohne sich jedoch um sie zu kümmern.

Gerade eben, als sie behaglich auf dem weichen Gras ausgestreckt lagen, prasselte es plötzlich dicht bei ihnen in den Büschen. Beide fuhren erschrocken auf. Im selben Moment brach ein Indianer daraus hervor. Er hatte einen Bogen und einen Köcher aus Fuchsfell in der Hand. Kaum zwei Schritt von ihnen entfernt lief er vorbei. Er hatte hier keine Weißen vermutet und sprang erschrocken zur Seite, als er sie entdeckte. Mit einem Blick hatte er aber auch erkannt, daß er von den beiden Männern nichts zu befürchten hatte. So rief er ihnen nur flüchtig ›Walle-walle!‹ zu und lief den ziemlich steilen Hang schnell empor. Dann verschwand er kaum drei Minuten später im dichten Wald.

»Was diese Indianer für gute Lungen haben müssen!« sagte lachend Graf Beckdorf und warf die Brechstange ins Gras, die er im ersten Impuls ergriffen hatte. »Ich dachte schon, sonstwas würde da auf uns zukommen!«

»Hol's der Henker, ich dachte, es wäre ein Grizzlybär, der uns einen Besuch abstatten wollte«, lachte Fischer. »Mir ist es eiskalt über den Rücken gelaufen. Mit solchen Bestien ist nicht zu spaßen!«

»Warum der Indianer nur so schnell lief? Er ist übrigens vor uns genauso erschrocken wie wir vor ihm, hahaha, wenn er noch etwas weiter zur Seite gesprungen wäre, wäre er in das Loch gefallen.«

»Ich weiß gar nicht, was die Indianer heute haben. Irgend etwas ist aber los, und ich wollte, wir hätten unsere Gewehre oder wenigstens die Pistolen mitgenommen, um sie uns im Notfall vom Leib zu halten.«

»Ach was!« lachte Beckdorf. »Wir müssen uns nicht vor ihnen fürchten. Ich bin sehr oft ganz allein und unbewaffnet in ihren Lagern gewesen!«

»Aber mit den Amerikanern wollen sie doch nicht viel zu tun haben?«

»Nein, aber sie unterscheiden auch zwischen Amerikanern und Fremden. Mit den ›Alemanes‹ verstehen sie sich sehr gut, weil ihnen von uns selten Unrecht geschieht. Ich glaube nicht, daß es einen gutmütigeren, wilden Volksstamm auf der Welt gibt als diese Indianer.«

»Und doch sollen sie alle Augenblicke Amerikaner überfallen haben.«

»Und wenn sie es tun, wer könnte es ihnen verdenken? Plötzlicher ist noch nie eine indianische Nation seit Cortés und Pizarro vertrieben, mißhandelt und vernichtet worden. In allen anderen Ländern der Welt wurde doch wenigstens noch die Form gewahrt und ihnen das Land, wenn auch für Spielereien, abgekauft. Hier treibt man sie aber rücksichtslos weg, wie man bei uns Spatzen aus einem Feld scheuchen würde.«

»Ja, und wir helfen mit«, lachte Fischer. »Denn an dieser Stelle hätte der Indianer vielleicht einen Hirsch schießen und einen Sonntagsbraten für seine ganze Familie haben können, wenn wir hier nicht seit zwei Tagen gehackt und Lärm gemacht hätten.«

»Wenn er so weiterrennt, fängt er sich vielleicht einen im Laufen«, lachte Beckdorf. »Was können wir tun? Wären wir nicht hergekommen, würden heute oder morgen andere hier sitzen, und das Resultat bleibt immer gleich. Diese Goldgruben fressen sich tiefer und tiefer in das Land hinein, und die Indianer werden mit jedem Tag, mit jeder Stunde höher in die Schneeberge hinaufgetrieben. Ob sie sich da am Leben erhalten können oder nicht, ist den Amerikanern gleichgültig. Sie sollen sterben, wenn sie nichts besseres tun können.«

»Wenn sie das Land bebauen wollten, könnten sie aber in Frieden leben«, meinte Fischer. »Niemand würde sie belästigen. Ich bin sogar überzeugt, daß die Vereinigten Staaten ihnen jede Unterstützung geben würden.«

»Der alte Unsinn«, sagte Beckdorf, »den sich die Professoren in den Städten ausbrüten. Es ist genauso, als würde man dem Fuchs Vorwürfe machen, daß er ein Fuchs ist, und von ihm verlangen, daß er bei einem Schäfer als Schäferhund arbeiten soll. Gott hat die Menschen so erschaffen, wie sie sind und ihnen das Land gegeben. Wir können unser Verfahren, sie daraus zu vertreiben, nicht einmal damit entschuldigen, daß wir ihnen das Land nur nehmen, um sie zu zivilisieren. Es hat ja kein Mensch Zeit oder Lust dazu, sich damit abzugeben. Aber das ist eine alte, schon hundertmal besprochene und sehr nutzlose, für die Indianer auch sehr traurige Geschichte. Sie haben nur einen Trost in Kalifornien, daß ihnen das Blut nicht wie in anderen Ländern tropfenweise abgezapft wird, sondern daß ihnen hier kaum so viele Jahre, wie ihren Leidensgefährten Jahrzehnte gegeben werden, um sich zu begraben.«

Fischer hatte eine Weile nachdenklich vor sich hingesehen. Aber seine nächste Frage bewies, wie wenig er sich das Schicksal der Indianer zu Herzen nahm.

»Ich bin doch sehr neugierig, ob wir richtig fündig werden. Der Boden sieht gut aus, und daß schon im oberen Ton ein paar Körner steckten, ist ein gutes Zeichen.«

Beckdorf lächelte still vor sich hin. »Es ist doch ein seltsames Leben, das wir hier führen«, rief er endlich. »Ich würde etwas dafür geben, wenn sie uns zu Hause einmal so sehen könnten, wie wir im Schweiße unseres Angesichts den Boden aufwühlen, um ein paar Körner des gelben Metalls herauszuwaschen. Manchmal kommt es mir so vor, als würde ich nur im Traum so arbeiten.«

»Na, vielen Dank«, sagte Fischer. »Wenn ich auch noch im Traum so hacken und graben müßte, sollte der Teufel dieses Leben holen. Kein Wunder, daß es uns merkwürdig vorkommt, denn wir sind wohl beide von früher etwas anderes gewöhnt gewesen.«

»Aber lustig ist es doch«, rief Beckdorf aus. »Hol's der Böse, nicht um alles in der Welt möchte ich die Zeit rückgängig machen, die ich hier schon oft nutzlos in dem harten Boden herumgehackt und gewühlt habe wie ein wahnsinniger Maulwurf. Der schöne Wald, die freie, herrliche Luft und die Arbeit selbst mit ihrer Anstrengung!«

»Und Muskelschmerzen!«

»Macht nichts, wenn sich der Körper kräftigt, bleibt auch der Geist frisch. Ich hätte mir keine bessere Lehrzeit wünschen können.«

»Na, wenn Sie das als Lehrzeit betrachten«, lachte Fischer, »dann wünsche ich mir, daß Sie heute morgen da Ihr Gesellenstück machen und einen tüchtigen, faustdicken Klumpen herausbuddeln. Gebrauchen könnten wir ihn, denn wenn wir nicht bald etwas Ordentliches finden, sieht es mit unserem Kassenbestand erbärmlich dünn aus.«

»Macht nichts«, lachte Beckdorf. »Unseren Lebensunterhalt gewinnen wir immer.«

»So? Na, vielen Dank, ich bin damit aber nicht zufrieden«, rief sein Kompagnon. »Ich habe die Absicht, hier etwas Kapital zusammenzutragen, um damit etwas beginnen zu können.«

»Dann rate ich Ihnen, gleich etwas zu beginnen ›ohne Kapital‹, und nicht die schöne Zeit durch Lochgraberei zu vergeuden. Glauben Sie ernsthaft, daß wir so viel Gold finden, um unsere Mühe damit zu bezahlen?«

»Glauben Sie das nicht?«

»Nein«, lachte der junge Mann.

»Aber um Gottes willen, warum graben Sie denn?« fragte Fischer erstaunt. »Weshalb sind Sie überhaupt nach Kalifornien gekommen?«

»Mit der festen Überzeugung, hier in kurzer Zeit ein bedeutendes Vermögen herauszuholen«, sagte der Graf. »Und Tausende sind in der gleichen Absicht herübergekommen. Ich wollte von meiner Familie in Deutschland unabhängig werden. Diese schönen Phantasien habe ich aber schon nach den ersten vier Wochen verloren. Jetzt bin ich so weit gebessert, daß ich gar nichts mehr erwarte. Finde ich dann wirklich etwas, um so besser, dann freue ich mich wirklich. Für unseren Tageslohn sollte ich aber eigentlich keine Spitzhacke auch nur aufheben.«

»Mit diesem Grundsatz müssen Sie ein äußerst glückliches Leben in Kalifornien führen«, lachte Fischer. »Aber genaugenommen geht es mir auch so gut. Wir müssen zwar unseren Zwieback und Käse vom Boden essen, Kleider haben wir auch nur notdürftig, und nachts schlafen wir auf einer sehr mittelmäßigen Matratze, von einer Legion Flöhe gequält. Aber weiß jemand in diesen Bergen eigentlich, was Sorgen sind? Kümmert man sich auch nur so viel um den nächsten Tag, ausgenommen, man hofft einen Schatz zu finden? Nein, solange der Goldwäscher gesund bleibt, und in dieser Luft kann keiner krank werden, so lange ist er auch glücklich. Ich glaube zwar, daß ich dieses Leben einmal satt haben könnte, aber die Erinnerung wird mir immer angenehm bleiben. Jetzt aber wieder an die Arbeit. Donnerwetter, wir liegen hier, als ob wir vornehme Herren sind und uns nur eben überlegen, womit wir die Zeit totschlagen könnten.«

»Sind wir das nicht?« lachte Beckdorf. »Wer will uns etwas befehlen? Wer uns was vorschreiben? Wir sind freie Menschen, und bei Gott, lieber Fischer, die sogenannten vornehmen Herren können das meistens nicht von sich sagen. Je weniger der Mensch von seinen Mitmenschen abhängig ist, desto freier und vornehmer oder aus der Masse herausgenommen ist er. Wenn man das als Norm aufstellt, sind wir beide souveräne Fürsten. Aber jetzt wieder an die Arbeit, Sie haben recht. Es drängt mich selbst, was wir in der Grube finden werden.«

Die beiden Leute stiegen wieder an ihren Arbeitsplatz herunter. Fischer setzte sich an die Maschine, während Beckdorf vom Grubenrand Erde in einige Eimer füllte und sie hinüber zum Bach trug.

»Was lachen Sie, Fischer?« fragte er, als er seinen Kameraden in äußerst guter Laune bei der Maschine sitzen sah.

»Hm«, sagte der, »ich dachte eben an die beiden komischen Käuze im Paradies, den Justizrat und den Assessor, diese zwei Auswüchse unserer deutschen Jurisprudenz, die das launige Schicksal zusammen an diese Küste geworfen hat.«

»Ja, das sind wirklich ein paar herrliche Exemplare, und der Tenor paßt gut dazu, um das Kleeblatt zu vervollständigen.«

»Schade, daß der Komet durchgebrannt ist«, sagte Fischer. »Der Komet hatte aber immer noch mehr Lebensfähigkeit, denn er verstand zu borgen. Wie diese drei Biedermänner aber hier in den Minen existieren wollen, wenn sie sich das Essen nicht abgewöhnen können, ist mir ein Rätsel.«

»Der Justizrat soll Geld haben«, meinte Beckdorf. »Damit hält er wohl sich und seinen Partner eine Weile über Wasser...« Er sprang auf und sah aufmerksam zum Hang hinüber.

»War da etwas?«

»Ich hörte ein Geräusch, und als ich aufsah, war es mir, als ob ich einen Schatten beim umgefallenen Baum da drüben beim Pfad gesehen hätte.«

»Vielleicht der Schatten eines Raubvogels, der über den Wald strich.«

»Vielleicht«, sagte Beckdorf, ohne den Blick von der Stelle zu nehmen. »Aber es sah auch wieder anders aus. Wenn uns die Indianer vielleicht einen Besuch machen wollen...«

»Ach was, darauf gebe ich nichts. Schütten Sie nur die Erde hinein, so der eine Eimer genügt. Jetzt fahren wir mit dem Wechselwagen. Während sie einen anderen holen, bin ich mit diesem fertig, und die Maschine bleibt in Gang.«

»Da kommt ein Reiter den Pfad herauf«, sagte Beckdorf, der scharf nach allen Seiten gespäht hatte.

»Hm, das ist ein Amerikaner«, sagte Fischer, der der Richtung mit den Augen folgte. »Vielleicht sogar der neue Kollektor, der die Bäche absucht, um von uns armen Teufeln noch die zwanzig Dollar einzukassieren. Bei mir kommt er aber schlecht an, ich gebe mich für einen Bürger der Vereinigten Staaten aus und schicke ihn nach San Francisco, um meine Papiere zu untersuchen.«

»Das ist kein Fremder«, sagte aber Beckdorf, der den Mann im Auge behalten hatte. »Die Gestalt habe ich schon gesehen.«

»Donnerschlag, das ist ja der Spieler, dieser Mr. Smith, wie er wohl heißt!« rief Fischer. »Der hatte doch damals diese Geschichte mit den Indianern! Das wäre auch kein Verlust für das Paradies, wenn er sich woanders seine Residenz sucht. Der Kerl ist durch und durch ein Lump.«

»Er biegt hierher ab.«

»Lassen Sie sich nicht mit ihm ein«, meinte Fischer. »Er kann zum Teufel gehen und sich da seine Unterhaltung suchen.«

Fischer begann, die Maschine zu schaukeln, und Beckdorf ging mit dem leeren Eimer zur Grube zurück, um frische Erde einzufüllen. Als er sie zur Maschine brachte, kam der Reiter eben am Bach herauf und hielt neben den beiden an. Mr. Smith hielt es für geratener, den Botenweg nach Golden Bottom zu reiten, als sein kostbares Leben und sein erbeutetes Gold den Zufällen eines tollkühnen Angriffs auszusetzen. Allerdings war ihm nicht entgangen, daß eine ziemlich große Anzahl Indianer in den Bergen herumzog. Sie hatten sich aber an dem Morgen alle weit östlich gelagert, zu der Stelle, an der die Mexikaner lagerten. Außerdem fürchtete er sie nicht, denn er war mit einem guten Revolver bewaffnet. Sowie er dann den Hügelrücken erreichte, befand er sich schon fast im Bereich von Golden Bottom, in dessen Nähe viele Amerikaner arbeiteten. Ungeniert saß Mr. Smith auf seinem Pferd. Das rechte Bein hatte er nach Damenart über den Sattelknauf geschlagen und pfiff sehr vergnügt und sehr falsch den Yankee-doodle – oder vielleicht Washingtons Marsch, es konnte sehr gut beides sein. So bog er vom Pfad ab, der durch einen umgebrochenen Baumstamm versperrt war. Dicht kam er bei den Deutschen vorbei, neben deren Maschine er sein Pferd zügelte. Er schien keine besondere Eile zu haben, um seine Landsleute zu Hilfe zu holen.

»Na, Gentlemen, wird Ihre Arbeit gut bezahlt?« sagte er sehr freundlich.

Beckdorf sah ihn von der Seite an, nahm den leeren Eimer in die Hand und ging langsam wieder zur Grube. Fischer fing an zu schaukeln und antwortete ebenfalls nicht.

Mr. Smith klemmte seine schon dünnen Lippen noch etwas fester zusammen und rief dann:

»Meiner Meinung nach, Sir, gehört unter Gentlemen auf eine höfliche Frage auch eine höfliche Antwort.«

»Unter Gentlemen, ja«, sagte Fischer trocken. »Mein Kamerad und ich haben aber, soviel ich weiß, nicht miteinander gesprochen.«

»Halten Sie mich nicht für einen Gentleman, Sir?« rief der Amerikaner, und die kleinen, boshaften Augen verschwanden fast unter den zusammengezogenen Brauen.

»Ich will Ihnen etwas sagen, Mr. Smith«, erwiderte der Deutsche. »Hier arbeiten wir und müssen keinem Menschen Rede stehen oder Rechenschaft geben, es sei denn, vielleicht einem Beamten der Vereinigten Staaten. Zu denen zähle ich aber nicht das Spielergesindel, das sich in den Minen herumtreibt. Sollte einer von denen zu uns kommen und unverschämt werden, dann gebe ich Ihnen mein Wort, daß wir ihm alle Knochen im Leib zerschlagen.«

Der Amerikaner griff langsam mit der Hand in seine Brusttasche, wo er seinen Revolver verborgen hatte. Schon kam aber der andere Deutsche wieder heran, und da Mr. Smith es nicht für möglich hielt, daß jemand im Land herumgehen konnte, ohne eine Schußwaffe bei sich zu tragen, zog er die Hand wieder zurück. Er war sich auch nicht sicher, inwieweit er die Leute einschüchtern konnte. So griff er wieder den Zügel des Pferdes und murmelte etwas, was wie ›Damned dutchmen‹ klang. Dann bog er langsam wieder in den Pfad ein. Die beiden Deutschen lachten hinter ihm her. Bei diesem Geräusch sah es fast so aus, als wollte er noch einmal sein Tier zügeln. Aber dann besann er sich doch anders und verfolgte den eingeschlagenen Weg.

»Das sind die Pestbeulen der menschlichen Gesellschaft«, sagte Fischer, als sie dem Reiter nachsahen. »Wer die Amerikaner nach diesem Gesindel beurteilt, würde ein trauriges Urteil fällen müssen. Zum Glück denkt aber der Durchschnittsamerikaner genauso wie wir über sie, und nur hier in Kalifornien und den wildesten westlichen Staaten der Union dürfen sie ihr Unwesen treiben.«

»Was wollte denn der Bursche?«

»Ganz herablassend ein Gespräch mit uns anknüpfen«, lachte Fischer. »Vielleicht sogar eine kleine Spielpartie aus freier Hand arrangieren. Es wäre nicht das erste Mal, daß sie einen Goldwäscher gleich um seinen Ertrag aus der Maschine heraus betrogen hätten. Ich ließ ihn aber auflaufen. Er soll zum Teufel gehen, und kommt uns hoffentlich nicht mehr in die Quere.«

Mr. Smith hatte inzwischen in nicht besonders guter Laune den Baumstamm erreicht, über dem der Graf vorhin den Schatten bemerkt hatte. Als er eben mit dem leeren Eimer zur Grube zurückging, blickte er fast unwillkürlich zum Hang hinauf. Da scheute das Pferd plötzlich, und Beckdorf sah, wie eine dunkle Gestalt gerade vor dem Reiter aufsprang. Smith auf seinem bequemen, aber unsicheren Sitz verlor das Gleichgewicht und rollte an der rechten Seite des Pferdes aus dem Sattel. Er hatte zwar dabei die Zügel losgelassen, aber ehe er auf die Füße kam oder seine Lage richtig erkannte, kamen überall aus den Büschen Indianer. Der Weiße war machtlos in ihrer Gewalt, ehe er eine Waffe greifen konnte.

Fischer wurde durch den plötzlichen Lärm ebenfalls aufmerksam und sprang auf, als der gellende Hilfeschrei des Überraschten zu ihnen drang.

»Teufel auch!« rief Beckdorf und ergriff fast unwillkürlich die Brechstange. »Wenn er auch ein Spieler ist, können wir nicht zusehen, wie ihn die Rotfelle da oben abschlachten.«

»Schade wäre es nicht gerade um ihn, aber Sie haben recht«, meinte Fischer. »Wenn wir ihm helfen können, dürfen wir hier nicht herumstehen. Wollen sie ihn aber umbringen, schneiden sie ihm sechsmal den Hals ab, ehe wir hinaufkommen.« Mit diesen Worten hob er den scharfkantigen Spaten auf, und die beiden Männer liefen rasch den steilen Hügel hinauf. Als sie den Reitweg erreichten, kamen sie rascher vorwärts. Während das wilde Geschrei des Amerikaners noch immer durch die Berge drang, hatten sich wohl etwa fünfzig Indianer um ihn versammelt und seine Hände mit Bast fest auf dem Rücken zusammengeschnürt. So war er nicht in der Lage, auch nur die geringste Bewegung zu machen. Aber er hatte die Deutschen entdeckt und rief ihnen flehend zu, sie aus den Händen dieser Mörder zu befreien.

Beckdorf war schneller und Fischer etwa zwanzig Schritt voraus. Mit der erhobenen Brechstange wollte er mitten zwischen die Wilden springen, als sie sich zu ihm wandten und plötzlich fünfzig Pfeile auf der gespannten Sehne seine Brust bedrohten.

»Schnell, Fischer«, rief er, keineswegs eingeschüchtert. »Hol die Pfeile der Henker, wenn wir einem halben Dutzend unser Eisen zu schmecken geben, werden sie schon Vernunft annehmen.«

Fischer hatte von diesen Pfeilen eine ganz andere Meinung, denn aus so großer Nähe wären sie tödlich gewesen, denn die schlecht befestigten Steinspitzen mit Widerhaken bleiben fast immer in der Wunde stecken.

»Halt, Beckdorf!« rief er ihm erschrocken zu. »Setzen Sie sich keiner größeren Gefahr aus, als unbedingt nötig ist. Wir wollen erst versuchen, was sich mit Überredung ausrichten läßt.«

»Hilfe, um Gottes Jesu willen helft mir!« schrie da wieder der Gefangene, als er sah, daß die Weißen zögerten. Vergeblich versuchte er, sich von den Fesseln zu befreien. »Schießt die Hunde ab, ah, wenn ich nur meine Arme frei hätte!«

»Heda, Leute!« rief Fischer, der jetzt keuchend herankam, die Indianer spanisch an. Einige von ihnen verstanden diese Sprache immer, weil sie sie früher durch Missionare gelernt hatten. »Ihr dürft den Mann nicht umbringen!«

Ein wildes Stimmengeschrei antwortete ihm. Wieder gellte der Angstschrei des Gefangenen durch die Luft. Eine Anzahl Indianer hatte ihn gefaßt, um ihn den Berg hinaufzuschleifen.

»Das ist eine verdammte Geschichte«, sagte Fischer. »Wir zwei können nichts anfangen ohne Waffen. Wenn einer von uns Hilfe holen würde, kämen wir doch zu spät.«

»Was haben sie gegen den Amerikaner, wenn sie uns in Ruhe lassen? Wir können dem Mord nicht zusehen!«

»Das ist derselbe Lump, der neulich einen von ihnen erstochen hat«, sagte Fischer. »Wahrscheinlich wollen sie sich jetzt an ihm rächen. Sie sind dabei im Recht, das steht fest, aber wir müssen doch versuchen, ihn frei zu bekommen. Mich kennen auch die meisten von ihnen. Ich will mal zwischen sie gehen, bleiben Sie mit dem Stück Eisen in der Nähe. Wenn sie so gereizt sind, möchte ich ihnen nicht zu sehr trauen.«

Fischer schulterte seinen Spaten und stieg jetzt rasch den Hügel hinauf und versuchte, zu dem Gefangenen durchzukommen. Einige wollten ihn daran hindern, andere wehrten diese wieder ab, und so überholte er bald die Burschen, die den Unglücklichen bergauf schleppten. Die Bewaffneten wichen aber nicht von seiner Seite, wenn auch keiner Miene machte, ihm selbst etwas anzutun. Aber sie drängten sich zwischen ihn und den Gefangenen und ließen ihn nicht näher. Beckdorf befürchtete, daß sein Kamerad zwischen den Indianern leicht überwältigt werden konnte, ohne daß er ihm hätte helfen können. Deswegen lief er in raschen Sätzen den Hang hinauf, schnitt den Indianern den Weg ab und blieb dann stehen. Fischer bemerkte das und folgte seinem Beispiel. Die beiden Männer wollten die Indianer unter keiner Bedingung weiterziehen lassen.

Als sie dicht herangekommen waren, rief ihnen Fischer zu: »Ich will euch etwas sagen, und ich weiß, daß ihr mich versteht. Wenn ihr den Mann da jetzt nicht laufenlaßt, schlage ich dem ersten, der näherkommt, den Schädel auseinander.«

Oben in den Büschen raschelte und brach es, und als sich die beiden Deutschen umsahen, erkannten sie eine neue Gruppe Indianer, die von dort herunterkämen.

»Na ja, jetzt wird die Geschichte peinlich«, sagte Beckdorf leise. »Ich denke, wir springen einfach los und schneiden die Fesseln durch, dann sind wir drei.«

»Kesos!« rief Fischer laut anstatt einer Antwort. »Gott sei Dank, da kommt der Häuptling gerade rechtzeitig. Das ist der vernünftigste Indianer im Distrikt. Er wird nicht erlauben, daß sie den Burschen da ermorden. Er weiß zu gut, daß ihm die Amerikaner dafür auf den Hacken sitzen würden.«

Es war wirklich der Häuptling, der, von etwa zwanzig anderen Indianern gefolgt, mit langen Sätzen den Hang herunterkam. Er hielt erst an, als er die Weißen sah. Fischer eilte ihm gleich entgegen und bat ihn, um Gottes willen seine Leute von einem Mord abzuhalten. Auch Mr. Smith hatte zu seinem Entsetzen den Häuptling erkannt und wußte, was er von dem zu erwarten hatte. Von dem Augenblick an rief er auch nicht mehr um Hilfe. Aber die Kraft, mit der er vergeblich an den Fesseln riß, verriet nur zu deutlich die Todesangst, die ihn ergriffen hatte. Wenn ihm Recht geschah, dann war er verloren, das fühlte er.

Als die Indianer ihren Häuptling sahen, hielten sie sofort an. Kesos trat zu dem Gefangenen, blieb vor ihm stehen und betrachtete ihn finster, ohne auf Fischers Bitten zu achten. Er war heute wieder ganz Indianer und nur mit dem Lendenschurz bekleidet, der mit Muscheln und Kernschalen verziert war. Ein buntes Tuch war um sein langes Haar gewickelt, in dem die Adlerfedern, das Zeichen seiner Würde, prangten. Über der Schulter trug er die lange, einläufige Flinte. Pulverhorn und Kugeltasche hingen über der rechten Achsel an dem nackten, bemalten Oberkörper. Langsam hob er schließlich den rechten, nackten Fuß und setzte ihn leicht auf die Brust des vor ihm liegenden Mannes, der ihn mit stieren Blicken anstarrte, wobei die Augen fast aus den Höhlen drängten.

»Wer könnte mich daran hindern, diesen Kerl wie einen Wurm zu zertreten?« sagte er dabei in spanischer Sprache.

»Du wirst sein Blut nicht vergießen, Kesos«, unterbrach ihn Fischer in halb warnendem, halb bittendem Ton,

»Und woher weißt du das?« rief der Indianer finster, »Hat er es nicht verdient?«

»Aber du kannst und darfst den Mann nicht kaltblütig ermorden!« rief der Deutsche wieder.

»Kann und darf ich nicht?« sagte der Wilde und lächelte höhnisch. »Willst du mich daran hindern?«

»Kesos«, sagte da Fischer ernst. »Du weißt, wie freundlich ich immer zu dir war, weißt auch, daß ich bei dieser Angelegenheit deine Partei ergriffen hatte. Aber um euer Wohl – vergießt nicht das Blut dieses Mannes. Denk daran, wieviel Unschuldige von deinem Stamm wieder dafür büßen müssen.«

»Ich weiß es«, sagte der Häuptling finster. »Die Amerikaner machen keinen Unterschied zwischen Schuldigen und Unschuldigen. Wären die Mexikaner heute, statt sich wie Hasen zu verkriechen, wie die Wölfe über ihre Feinde hergefallen, dann wäre manche alte Rechnung jetzt beglichen. Aber allein können wir nicht gegen die Feuerwaffen der Weißen kämpfen, wenigstens jetzt noch nicht, bis ich unsere Stämme erst in der Handhabung unterrichtet habe.«

»Und der Amerikaner?«

»Ungestraft verläßt er diese Berge nicht wieder«, sagte der Häuptling. »Er soll uns, solange er lebt, in Erinnerung behalten.«

»Was hast damit ihm vor?«

Der Häuptling antwortete nicht, zog den Fuß zurück und öffnete die Jacke des Mannes. Er fand den Revolver und zog sein Messer, mit dem er den Hahn abschraubte. Dann schleuderte er ihn in dichtes Dornengestrüpp. Die jetzt wertlose Waffe schob er wieder an die alte Stelle und rief einen alten Indianer, dem er etwas in seiner Sprache sagte. Der alte Bursche sah wild und finster genug aus. Haßvoll hingen seine Blicke an dem Gefangenen. Es war der Bruder des Ermordeten. Trotz seines Auftrages schien er mit seiner Rache nicht zufrieden zu sein und antwortete heftig, aber der Häuptling bestand auf dem erteilten Befehl. Der Alte warf die Schnur herum, an der er das Messer lose auf dem Rücken trug. Er knüpfte es los und sprang auf den Gefangenen zu. Mr. Smith hatte mit Zittern die Vorbereitungen beobachtet. Auch wenn er genug Spanisch verstand, um das Gespräch zwischen dem Häuptling und dem Deutschen zu verstehen, schien jetzt alle Hoffnung wieder zusammenzubrechen.

»Wir sollten uns den Häuptling schnappen!« rief Beckdorf auf deutsch seinem Kameraden zu. »Dann hätten wir eine Geisel, und sie müssen den armen Teufel freigeben.«

Ehe Fischer aber etwas erwidern konnte, war Kesos einen Schritt zurückgetreten und hielt die gespannte Flinte im Anschlag. Er hatte wohl schon etwas geahnt. Ein Überfall war so nicht möglich und hätte auch die verhängte Strafe nicht mehr verhindern können.

»Hilfe! Hilfe! Erbarmen!« schrie der Gefangene in Tönen, die nicht mehr aus einer menschlichen Brust zu kommen schienen. Blitzschnell warf sich der alte Indianer über ihn, während die anderen die Bogen gegen die Weißen spannten. Mit zwei Schnitten hatte er ihm glatt beide Ohren abgetrennt. Dann spie er Smith ins Gesicht und warf die abgeschnittenen Ohren einer Gruppe kleiner, dünner Hunde hin, die sich gierig darauf stürzten.

Auf den Befehl des Häuptlings lösten sie die Fesseln. Das Blut strömte Smith über die Schultern. Kesos sagte den Deutschen, sie sollten dem Mann sagen, daß er frei wäre und in sein Lager zurückkehren könnte. Er solle sich aber hüten, dem Stamm noch einmal in die Hände zu fallen. Die Männer hätten jetzt sein Blut gesehen, und er selbst wäre dann nicht wieder in der Nähe, um sein Leben zu retten.

Als Smith sich frei fühlte, sprang er auf. Er sah leichenblaß aus, und das herablaufende Blut in seinem weißen Gesicht machte ihn zu einem Schreckensbild. Er schien nicht glauben zu können, den Händen der Indianer lebend zu entkommen. Ängstlich hafteten seine stieren Blicke noch immer auf den drohenden Bogen der Feinde. Erst als ihm Fischer versicherte, er habe jetzt nichts weiter zu befürchten, schien er neue Hoffnung zu schöpfen. Sein Pferd graste noch an der Stelle, wo es ihn abgeworfen hatte, und taumelnd lief er jetzt zu ihm. Er achtete nicht auf das höhnische Lachen der Indianer oder auf das Blut. In der Satteltasche seines Pferdes befand sich sein Gold. Das und sein Leben wollte er in Sicherheit bringen und lief deshalb, so schnell es ging, den Hang hinunter. Dann ergriff er den Zügel, schwang sich in den Sattel und hielt sich am Kopf, um nicht erneut herabzufallen. So schnell ihn sein schnaubendes Tier trug, eilte er in das verlassene Lager zurück, von Rachegedanken erfüllt.


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