Friedrich Gerstäcker
Die Flußpiraten des Mississippi
Friedrich Gerstäcker

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Kapitel 23

Tom schritt ungeduldig in der Frontstreet auf und ab. Dem Richter hatte er versprechen müssen, auf ihn zu warten, und der kam jetzt nicht zurück. Seine Jolle befand sich zur Abfahrt bereit, dicht neben dem dort noch immer an der Ankertrosse liegenden Dampfboot Van Buren, das seine Schäden so weit ausgebessert hatte, um am nächsten Morgen um elf Uhr wieder abfahren zu können, und zweimal schon war er die vom Fluß abführende Walnutstreet in aller Ungeduld hinauf- und heruntergelaufen, und immer noch wollte sich der Squire nicht sehen lassen.

Der Abend brach dabei mehr und mehr herein, und Tom blieb plötzlich mitten in seinem Marsch stehen, stampfte ärgerlich mit dem Fuß und rief:

»Ei, so hole ihn der Henker! Ich gehe wieder zum Flusse hinunter, und läßt er dann noch nichts von sich sehen, dann fahre ich ohne seinen Wisch ab. Wetter noch einmal, der Konstabler in Viktoria muß mir überdies beistehen, wenn ich eine gerechte Sache vertrete, und wenn ich die nicht vertrete, kann mir auch die Empfehlung nichts helfen!«

Er schritt die Walnutstreet wieder hinab und bog eben scharf um die Frontstreet-Ecke, als ihm ganz unerwartet ein Mann entgegenkam, der, den Fremden kaum bemerkend, sein Taschentuch schnell vor das Gesicht hielt, als ob er Zahnschmerzen habe, und dann rasch, aber den Kopf gesenkt, an ihm vorbeischritt.

Nebel und Abenddämmerung vergönnten dem scheidenden Tageslicht nur noch einen schwachen Strahl. Dennoch genügte er dem Scharfblicke des jungen Mannes, in dem schnell verhüllten Antlitz des Fremden die Züge eines Mannes zu entdecken, die sich, außer ihren ganzen Eigentümlichkeiten, ihm auch noch mit einer Schärfe in Herz und Gedächtnis eingegraben hatten, die ein Vergessen unmöglich machten.

Es war Eduard Hawes – die blonden, flatternden Locken ließen ihm keinen Zweifel, wenn auch der grobe Farmersrock den für einen Augenblick erweckt haben mochte. – Es war der Mann, der ihn damals, als er in der Nähe der reizenden Marie Morris sein ganzes irdisches Glück zu finden glaubte und wirklich fand, aus all seinen süßen, seligen Träumen riß und wieder in die kalte Welt hinausstieß. Ach, Marie hatte ja nicht einmal geahnt, mit welcher Glut und Leidenschaft der rauhe Jäger an ihr hing! – Wie einen Bruder hatte sie ihn geliebt, und als Hawes mit Reichtum, Schönheit und seinem dem einfachen Kinde imponierenden Geiste dazwischentrat, reichte sie ihm, des Schrittes kaum bewußt, den sie tat, die Hand. Erst als Tom jetzt in Verzweiflung floh und sie beim Abschied seinen tiefen, kaum bezwungenen Schmerz erkannte, mochte ihr eine Ahnung seiner Gefühle dämmern. Da war es aber zu spät; – schon am anderen Tage legte der alte Friedensrichter Morris, der Onkel der Braut, der Tom Barnwell wie einen Sohn liebte und der auch auf dessen Verbindung mit seiner Nichte schon als auf den Trost seines Alters gehofft hatte, die Hände der beiden Verlobten ineinander und drückte dann die weinende, zitternde Braut, selbst mit Tränen im Auge, an sein Herz.

Dieser Hawes, dessen Bild sich Tom Barnwells Seele mit unauslöschlichen Zügen eingeprägt hatte, stand plötzlich vor ihm, und das ganze Wesen und Benehmen des Mannes mußte in Tom den fast unwillkürlichen Gedanken erwecken, jener wollte nicht gesehen sein. Mit Blitzesschnelle stiegen da all die wirren und fürchterlichen Vermutungen wieder in ihm auf, die er, seit er Marie gefunden, oft hatte fast gewaltsam zurückdrängen müssen. Hawes hier, wo ein Brief an ihn auf das Land hinausgeschickt war, in einem ganz andern Teile der Stadt als der, in dem sich Marie befand! Wollte er wirklich unerkannt sein, oder war diese Bewegung nur Zufall? All diese Gedanken zuckten pfeilschnell durch Tom Barnwells Hirn, als er stehenblieb und der Gestalt des rasch Davoneilenden nachsah. Im Augenblick hatte er sich aber auch wieder genügend gesammelt, um einen festen Entschluß zu fassen; auf keinen Fall durfte er jenen Mann aus den Augen verlieren, denn wußte er wirklich noch nichts von seines Weibes Zustand, so war es nötig, daß er es erfuhr, und wußte er es – Barnwell blieb keine Zeit zu längerem Überlegen; mit flüchtigen Schritten folgte er dem jungen Manne, der gerade um die nächste linke Ecke bog, und wollte ihm, dort angelangt, eben nachrufen. Da sah er ihn, keine zwei Häuser entfernt, vor einer Tür stehen, an die er augenscheinlich eben erst angeklopft haben mußte. – Daß ihm der, dem er begegnete, gefolgt war, hatte Hawes nicht einmal bemerkt.

Die Straße bildete hier eine Art von freiem Platz, denn die linke Reihe der Häuser war, die zwei vordersten abgerechnet, weiter zurückgedrückt und enthielt neben anderen Privatwohnungen auch das etwas alleinstehende Gerichtshaus und die County Jail, das Gefangnis. Schräg diesem gegenüber befand sich aber das Haus, vor welchem der vermeintliche Mr. Hawes jetzt stand, und Tom Barnwell schritt rasch und ohne Zögern auf ihn zu. Jener jedoch, viel zu sehr in sein Klopfen vertieft und vielleicht ungeduldig, daß ihm von innen nicht geöffnet wurde, mußte den sich nahenden Schritt des leichten, mit Mokassins bekleideten Fußes gar nicht gehört haben, denn er bog sich eben zum Schlüsselloch und rief ärgerlich hinein: »Aber, in drei Teufels Namen, Mrs. Breidelford; ich bin es ja, Sander, und muß Euch wichtiger –«

Er schrak empor; – dicht neben sich vernahm er in diesem Augenblick zum ersten Male die Tritte des ihm Folgenden, und als er überrascht auffuhr, blickte er in das ernste, ruhige Antlitz Tom Barnwells. Dieser stutzte allerdings über die eben gehörten Worte, war jedoch zu sehr mit dem Zustande Maries beschäftigt, um ihnen auch nur mehr als flüchtiges Gehör zu schenken. Über den Mann selbst aber, der vor ihm stand, blieb ihm kein Zweifel mehr. Es war Hawes, und Tom, der das Zurückschrecken und den ängstlichen Blick seines einstigen Nebenbuhlers bemerkte, der scheu die Straße hinabsah, als ob er sich dem vermuteten Feinde durch die Flucht entziehen wollte, sagte, ihn mißverstehend, ruhig: »Fürchten Sie nichts, Sir; – ich bin Ihnen nicht in feindlicher Absicht gefolgt und hege in der Tat keinen Groll gegen Sie. Wenn das aber auch wirklich der Fall wäre, so müßte er jetzt ganz anderen Gefühlen weichen. Wissen Sie, daß Mrs. Hawes hier in der Stadt ist?«

»Ich? Ja – ich ich weiß es; ich bin eben auf dem Wege dorthin!« stotterte der sonst so kecke und zuversichtliche Verbrecher, der aber in diesem Augenblick ganz außer Fassung schien. Stieg ihm der Mann, den er da plötzlich vor sich sah, doch fast wie aus dem Boden herauf, und der Gefahr bewußt, in der er sich befand, vielleicht selbst durch den Platz beunruhigt, an dem er angetroffen worden war, konnte er sich kaum zu einer Antwort sammeln.

»Was? Sie wissen es? Und sind auf dem Wege dorthin?« fragte Tom erstaunt. »Mr. Hawes, ich begreife nicht; wer wohnt in diesem Hause?«

»Nun, Squire Dayton doch!« rief Sander, der kaum wußte, was er sagte, und noch nicht einmal gesammelt genug war, selbst nur dem fest auf ihm haftenden Blick des jungen Bootsmannes zu begegnen.

»Squire Dayton?« wiederholte Tom langsam und zum ersten Male mit wirklichem Mißtrauen. »Sie nannten eben einen anderen Namen, sie riefen eine Dame an, der Sie Wichtiges mitzuteilen hatten; – nicht so?«

»Ich sage Ihnen, ich bin eben im Begriff, Squire Daytons Haus aufzusuchen!« rief da Sander, jetzt zum ersten Male seine verlorene Fassung wiedergewinnend. »Die Dame, die hier wohnt, wollte ich nur – sie sollte Krankenwärterin meiner Frau werden, aber sie sie scheint nicht zu Hause zu sein «

»Nein, so scheint es«, erwiderte Tom kalt und war jetzt fest entschlossen, dem Manne nicht von der Seite zu weichen, bis ihm dessen sonderbares Benehmen erklärt sei; »kennen Sie Squire Daytons Haus?«

»Ja – jawohl; – es liegt an der oberen Grenze der Stadt. – Ich bitte Sie, mich dort anzumelden. – Ich werde gleich nachkommen, Mr. Barnwell, ich hoffe, dort das Vergnügen zu haben –« Er lüftete den Hut und wollte sich von dem jungen Mann abwenden.

»Halt, Sir!« sagte Tom aber und ergriff seinen Arm. – »Ich kann Sie nicht so fortlassen. – Marie, Mrs. Hawes, liegt ihrer Sinne nicht mächtig, nur wenige Straßen von hier entfernt, – und Sie – wie ich jetzt kaum anders glauben kann, Sie wissen darum und wandern in diesen Kleidern, offenbar nicht Ihren eigenen, in einem fremden Teil der Stadt umher.«

»Sie nennen Ursache und Wirkung in einem Atem, Sir, –« erwiderte Sander mit einiger Ungeduld und jetzt wieder vollkommen gefaßt. »Ich kann Ihnen aber unmöglich hier auf der Straße erzählen, wie ich zu diesen Kleidern gekommen bin oder was mich gezwungen hat, sie anzulegen. – Sollte Sie das interessieren, so können Sie es morgen von Mr. Lively erfahren; – jetzt aber bin ich eben, um diese Lumpen loszuwerden, im Begriff, mir andere zu kaufen, damit ich mich vor den Ladies in Mr. Daytons Hause in anständiger Weise sehen lassen kann. Übrigens fühle ich mich Ihnen für den Anteil, den Sie an Mrs. Hawes nehmen, sehr verpflichtet, möchte aber zugleich bemerken, daß ich jetzt, da ich zurückgekehrt und selber imstande bin, für meine Frau zu sorgen, Sie dieses Dienstes oder dieser Gefälligkeit, wie Sie es nun auch nennen wollen, vollkommen entbinde.« Sander hatte sich nach und nach wieder ganz in seinen alten Trotz hineingearbeitet, und Tom würde wohl auch bei jeder anderen Gelegenheit durch seine jetzige Ruhe und Sicherheit getäuscht worden sein. Seine erste augenscheinliche Verlegenheit aber, die groben Kleider des sonst in dieser Hinsicht förmlich stutzerhaften Gecken, ja, sogar die Worte, die er von ihm, als jener sich unbeobachtet glaubte, vernahm, das alles hatte einen Verdacht in ihm erweckt, den einfache Unbefangenheit von Hawes' Seite nicht allein besiegen konnte. Nur den Arm des Mannes gab er frei, da aus einigen der nächsten Türen die Köpfe Neugieriger hervorsahen, um die Ursache des etwas lebhafter werdenden Gesprächs zu erfahren.

Auch in Mrs. Breidelfords Hause ließ sich oben mit äußerster Vorsicht die Spitze einer Haube blicken, der dann und wann jedoch rasch niedertauchend, sobald sich einer der beiden Männer gegen ihr Haus wandte, eine rotglänzende Stirn und ein Paar große, graue Augen folgten.

»Sie haben recht, Sir«, sagte Tom; – »die Straße hier ist nicht der Platz zu langen Erklärungen. Ich begleite Sie aber jetzt zu Daytons Haus, dort werden Sie hoffentlich den Damen Ihrer Frau solche nicht verweigern. Folgen Sie mir! –«

»Ich sehe nicht ein, Sir, welches Recht Sie haben, mich hier auf öffentlicher Straße aufzugreifen«, sagte jetzt Sander mit ärgerlicher, doch unterdrückter Stimme. »Ihre Gesellschaft ist mir überdies nicht angenehm genug, sie bis dorthin zu beanspruchen. Wie ich Ihnen schon einmal gesagt habe, bin ich eben im Begriff, Toilette zu machen, und ehe das nicht geschehen ist, bringen Sie mich nicht einmal in die Nähe jener Damen, viel weniger in ihre eigene Wohnung. Ich denke, Sie haben mich jetzt verstanden!«

»Vollkommen!« sagte Tom; seine Züge nahmen aber einen ernsten, finsteren Ausdruck an, und er flüsterte, während er sich zu dem halb von ihm abgewandten Mann niederbog: »Sie wollen nicht mit mir gehen; ich aber schwöre es hier bei meiner rechten Hand – und den Schwur breche ich nicht, Sir –, daß ich Sie zwingen will, mir zu folgen; – ein Geheimnis liegt hier zugrunde, und ich will es enthüllen.«

»Mein Herr!«

»Ha, dort kommt der Squire! – So, Sir; Widerstand wäre jetzt nutzlos. Um Ihrer selbst willen vermeiden Sie jedes Aufsehen und folgen Sie uns gutwillig.«

Sander war in peinlicher Verlegenheit. – Wie sollte er die Umstände jener Nacht erklären, die Marie doch jedenfalls schon entdeckt hatte! Sollte er versuchen, in den Wald zu entkommen? Kaum hundert Schritt von dort, wo sie standen, begannen die Büsche. Er war dabei schnellfüßig wie der Wind und fürchtete kaum, von seinem Feinde eingeholt zu werden. Wenn es aber doch geschah, – dann hatte er alles auf eine Karte gesetzt – und verloren. Nein, noch blieb ihm ein anderer Ausweg; Flucht sollte das letzte sein, denn er wußte recht gut, daß ihn der Kerker von Helena nicht hätte daran hindern können, die Insel wieder zu erreichen.

»So kommen Sie, Sir«, erwiderte er nach sekundenlangem Nachdenken, »kommen Sie, ich will jetzt Ihrem sonderbaren Willen Folge leisten, später aber werden auch Sie sich nicht weigern, mir für ein Betragen Rede zu stehen, das ich in diesem Augenblick nur in Ihrer ungeheuren Frechheit begründet sehen kann.«

»Genug der Worte«, sagte Tom mürrisch und wandte sich an des jungen Verbrechers Seite rasch zum Gehen, »es sind deren schon zu viel gewechselt. Squire Dayton, ich habe das Vergnügen, Ihnen hier Mr. Hawes vorzustellen.«

»Oh, wahrhaftig, Sir, – das ist ein glücklicher Zufall, daß Sie jetzt schon eintreffen! Der Brief hat Sie wahrscheinlich unterwegs erreicht. Aber, Mr. Barnwell, ich suchte Sie unten vergebens an Ihrem Boot und wurde erst von ein paar Dampfbootleuten heraufgewiesen.«

»Ein glücklicher Zufall ließ mich Mr. Hawes treffen«, sagte Tom hier, mit einem ernsten Blick auf den jungen Mann.

»Das Glückliche ist dann ganz auf Ihrer Seite gewesen, Sir«, entgegnete mürrisch der so wider seinen Willen ans Licht Gezogene; »ich habe Ihre Gesellschaft wahrhaftig nicht gesucht. «

»Aber Gentlemen«, sagte Dayton erstaunt, »ich begreife nicht «

»Das ist er, Mr. Nickleton«, rief da plötzlich eine fremde Stimme von der Mitte der Straße aus, und zwei Männer, die eben an ihnen hatten vorbeigehen wollen, wandten sich jetzt, des Richters Rede unterbrechend, scharf gegen diesen und seine beiden Begleiter um.

»Welcher? Der mit dem Wachshut?« sagte der mit Nickleton Bezeichnete, der Konstabler von Helena.

»Ja, bei Gott, – das trifft sich prächtig!« – jubelte der andere. »Packen Sie ihn, mein wackerer Haltefest, – bringen Sie ihn auf Numero Sicher!«

»Sir, Ihr seid mein Gefangener«, sagte der Konstabler und legte seine Hand auf Toms Schulter, – »im Namen des Gesetzes!« Tom blickte ihn erstaunt an, und wirklich kam das Ganze so schnell und unerwartet, und er selbst war mit dem aufgefundenen Gatten Maries so ganz und gar beschäftigt gewesen, daß er die Gegenwart der übrigen erst bemerkte, als sie ihn anredeten. Jetzt aber, mit dem gefürchteten Bannspruch im Ohr, richtete er sich rasch auf und sagte lachend: »Hallo, Sir! – Der Waschbär wird auf dem andern Baume sitzen. – Diesmal habt Ihr Eure Zauberformel wohl an den Unrechten verschwendet; das muß ein Irrtum sein.«

»Seid Ihr nicht gestern den Fluß hinab und dann ganz plötzlich wieder mit einem Dampfschiff aufwärts gefahren?« sagte der Fremde.

»Allerdings bin ich das!« erwiderte Tom. »Und was weiter?«

»Ich wußte es ich wußte es!« rief jener. »Tut Eure Pflicht, Konstabler, und laßt den Burschen nicht wieder entspringen!«

»Das muß auf jeden Fall ein Irrtum sein, Sir«, unterbrach ihn hier der Richter und legte seine Hand auf den Arm des Konstablers, der Tom noch immer an der Schulter hielt. – »Dieser Gentleman ist ein gewisser Mr. Barnwell aus Indiana, mit meinem Hause befreundet und gewiß nicht der –«

»Tut mir leid, Squire, – hier hört die Freundschaft auf. Ihr habt mir übrigens selber den Haftbefehl ausgestellt –«

»Ja, auf den, der bei diesem Manne eingebrochen war und seinen Geldkasten gewaltsam aufgerissen hatte«, sagte Dayton, – »aber nicht auf –«

»Und das ist der hier!« rief der Kläger und deutete mit grimmigem Blick auf Tom Barnwell. – »Das ist der niederträchtige Bursche, der sich heimlicherweise vom Flußufer aus an einzelngelegene Häuser anschleicht und dort, wenn man draußen im Walde an der Arbeit ist, raubt und plündert. Das ist die Kanaille, und ich bin fest überzeugt, er wird schon gestehen, wohin er meine silberne Uhr gebracht hat, wenn er sie nicht etwa gar bei sich trägt.«

Der Abend hatte indessen mehr und mehr gedunkelt; dennoch versammelte sich, durch das laute Gespräch herbeigezogen, eine Menge neugieriger Menschen um Konstabler und Richter und umgaben so die kleine Gruppe. Sander, der es jetzt für das beste hielt, sich leise zu entfernen, suchte unbemerkt hinter den Bootsmann zu treten; Tom aber ließ ihn trotz dieser plötzlich gegen ihn auftauchenden Klage keine Sekunde aus den Augen, und jener sah wohl, daß er, wenn er nicht ebenfalls Aufsehen erregen wollte, die Flucht auf gelegenere Zeit verschieben müsse. Tom Barnwell wandte sich jetzt im Bewußtsein seiner Unschuld ruhig an den Richter und sagte lächelnd: »Dem Manne hier ist wahrscheinlich etwas aus seiner Hütte entwendet worden, und er hat nun, Gott weiß aus welchem Irrtum, auf mich einen falschen Verdacht geworfen; ich kann mich auch deshalb nicht durch seine Reden beleidigt fühlen. So unangenehm mir das übrigens in diesem Augenblick sein mag, so soll es und darf es doch auf keinen Fal1 die Aufklärung eines gräßlichen Geheimnisses verhindern, die uns Mr. Hawes hier wahrscheinlich zu geben imstande ist. Fürchten die Herren hier, daß ich ihnen entspringe, so mögen sie mit uns gehen; Ihre Gegenwart, Squire, wird hinlängliche Bürgschaft dabei sein. Meine Anklage kann sich nachher bald beseitigen lassen.«

»Was ist denn vorgefallen?« fragte der Konstabler.

»Auf jeden Fall etwas, das mich ganz und gar nichts angeht!« rief der Kläger unwillig. – »Ich bin keineswegs gesonnen, mit dem Burschen hier in der Stadt herumzulaufen, bis er irgendeine Gelegenheit findet zu entspringen. Konstabler, tut Eure Schuldigkeit! Richter Dayton, Ihr müßt mir in dieser Sache beistehen; – wenn der Mann entkommt, halte ich mich wegen allem, was mir abhanden gekommen ist, an Euch!«

»Könnt Ihr denn aber beweisen, daß dieser Mann auch wirklich der ist, für den Ihr ihn haltet?« fragte der Richter.

»Kommt nur mit zum Flusse hinunter«, erwiderte jener; »zwei von meinen Leuten haben ihn gesehen und wollen auf ihn schwören!«

Tom Barnwell, dem das, was er erst für ein tolles Mißverständnis gehalten hatte, doch jetzt anfing zu ernst zu werden, noch dazu, da es wirklich drohte, ihn in seinen freien Bewegungen zu hindern, tat jetzt ernsthaften Einspruch und rief den Richter zum Beistande an. Dieser aber zuckte mit den Schultern und erklärte, »nicht selber gegen das Gesetz handeln zu können«; Mr. Nickleton wisse hier ebensogut wie er, was er zu tun habe, und eine Einrede von ihm würde nicht einmal von Nutzen sein. Tom sah bald, daß er sich den Umständen fügen müsse; denn ein dichter Menschenhaufen umstand schon die Redenden, aus dem ein Entrinnen zur Unmöglichkeit wurde. Nichtsdestoweniger ließ er Sander nicht aus den Augen und bat nun den Richter, da er selber nicht imstande sei, es zu tun, jenen Mr. Hawes mit sich nach Hause zu nehmen und dort Aufklärung über das Geschehene zu verlangen. Mr. Dayton versprach ihm das auch und schritt gleich darauf durch die ihm Bahn machende Menge, mit Sander an seiner Seite, dem eigenen Hause zu, während der Konstabler, von einem großen Teile Müßiggänger gefolgt, den jungen Bootsmann in das County Gefängnis brachte und ihn dort seinen eigenen Betrachtungen überließ.


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