Friedrich Gerstäcker
Die Moderatoren
Friedrich Gerstäcker

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3. Der Schilfbruch.

Jenkins hatte geglaubt, den Weg viel rascher zurücklegen zu können, aber sein Pferd war doch über Tag müde geworden, und er selber fühlte sich abgespannt und erschöpft. Er ließ seinem Tier den Zügel, ja er stieg sogar aus dem Sattel und ging eine lange Strecke zu Fuß, um sich nur selber munter zu halten; zuletzt fielen ihm indes die Augen selbst beim Gehen zu, und da er doch jetzt nicht hoffen durfte, sein Haus viel früher als mit der Morgendämmerung zu erreichen, so beschloß er endlich, etwa halbes Wegs, eine Weile auszuruhen und dann erst seinen Marsch fortzusetzen. Ein paar Stunden schlief er so unter einem Baum, während sein Pony mit zusammengebundenen Vorderbeinen um ihn her das Gras abweidete, stieg dann wieder auf und erreichte seine Hütte etwa eine halbe Stunde nach Sonnenaufgang.

Sonderbar, wie ihm dabei zumute war! Hatte es ihn die letzte Strecke denn nicht unaufhaltsam vorwärts getrieben, als ob ihm oder den Seinen eine unbestimmte Gefahr drohe, welcher er keine Form geben konnte oder wollte? Waren es die Erzählungen der Freunde, die Schilderungen der Gewalttaten, die er am vorigen Abend gehört, und ließ es sich denken, daß es die Buben wagen würden – er setzte seinem Pony schärfer die Hacken ein, und ein aus tiefer Brust ausgestoßener Seufzer machte seinem Herzen endlich Luft, als er in Sicht seiner Hütte kam und den blauen Rauch bemerkte, der friedlich und ungestört aus dem Schornstein emporqualmte.

Die Hunde, die vor der Hütte lagen, hatten sein Kommen aber schon bemerkt und schlugen an, und mit einem Jubelruf begrüßte ihn die Frau, als sie seiner ansichtig wurde. Er war ja rascher zurückgekehrt, als sie geglaubt, und sie hatte sich in der Zeit seiner Abwesenheit – weshalb, wußte sie eigentlich selber nicht, doch nicht recht ruhig und behaglich fühlen können. Auch die Fragen, die beide jetzt miteinander tauschten, bewiesen nur zu deutlich, was bis dahin ihre ganze Seele beschäftigt: ob niemand Fremdes am Hause gewesen; ob sie da drüben eine Spur gefunden; wer es gewesen sein könne, und was sie wollten.

Jenkins war übrigens viel zu sehr Backwoodsman, um sich irgendeiner Aufregung lange hinzugeben. Mit dem hell angebrochenen Tage und seiner eigenen Häuslichkeit umher wichen auch alle die trüben Bilder, die ihn die Nacht über vielleicht gequält. Gegen elf Uhr war er neu gestärkt und völlig gerüstet, um hier in seiner Nachbarschaft das zu beginnen, was sie sich gestern da drüben vorgenommen: überall nach Spuren jener Bande von Schuften zu suchen, die bis jetzt noch so erfolgreich im Dunkeln ihr Wesen trieb. Seine Büchse schulternd und die Hunde anrufend, schritt er wieder dem Walde zu.

»Und bist du zum Essen wieder da, John?« rief ihm die Frau nach.

»Zum Essen nicht, es ist ja jetzt schon bald Mittag, aber jedenfalls noch lange vor Dunkelwerden.«

Unten am Creek weidete eine alte Fuchsstute, nach welcher er ausschaute, denn das Pony mußte heute ausruhen. Langsam ritt er auf dieser in den Wald hinein, und zwar derselben Stelle zu, an der er damals die Spuren seines Rappen verloren hatte.

Es hatte in den Tagen nicht geregnet, obgleich es an jenem Abend, an dem er sein Pferd vermißte, mit einem tüchtigen Gewitter gedroht. Die Wolken waren jedoch von dem sich erhebenden heftigen Winde verjagt und deshalb auch die bis dahin eingedrückten Spuren nicht im geringsten gestört worden. In einem Laubwald aber, wo die gelben Blätter Jahr nach Jahr fallen und liegen bleiben, so daß sie den Boden an den meisten Stellen mit einer dicken Schicht bedecken, ist es außerordentlich schwer, einer schon mehrere Tage alten Spur zu folgen. Ist sie ganz frisch, so geht es viel leichter, weil die neu aufgewehten Blätter unterhalb ihre Feuchtigkeit noch bewahrt haben und dann auch eine dunklere Färbung zeigen. Liegen sie aber nur sechs oder acht Stunden in ihrer neuen Lage, so trocknet sie der Luftzug vollständig ab, und sie unterscheiden sich in nichts mehr von den übrigen.

So geübt aber das Auge des alten Mannes auch in dieser Hinsicht war, er konnte nichts Neues entdecken. In dem Wasser selber schienen die letzten Spuren verschwunden, und wenn der Bach auch hier, an der Furt, kaum einen Fuß tief sein mochte, so lag weiter aufwärts, nach Süden zu, doch eine Masse hineingestürztes Holz darin, über das sich kein Pferd hinarbeiten konnte, und gleich unterhalb befanden sich tiefe Löcher, durch welche es nie geschwommen wäre. Noch weiter abwärts aber lief das kleine Wasser, wo das niedere Land begann, in eine Art von Bayou ein, die etwa tausend Schritt mehr nördlich in die Auszweigungen des Schilfbruchs mündete und sich endlich in diesem verlor. Dort begann nachher ein Gewirr von Dornranken, Schilf und Sumpf, mit ineinander gebrochenen Bäumen, und dorthin brauchte er eigentlich gar nicht zu suchen, aber er suchte doch, denn wohin anders sollte er sich wenden? An die Sabine? Da hinüber führte ein Weg, den sein Pferd aber nicht betreten hatte, und dann war er auch noch nie in den Schilfbruch selber ordentlich hineingekommen.

An dem kleinen Wasserlauf ritt er langsam hinab, weiter und weiter, bis das Schilf so dicht wurde, daß er kaum vorwärts konnte. Sechs oder acht Aasraben strichen über ihn hin, stiegen hoch in die Luft, kreisten dort eine Weile und stiegen dann, mehr links von ihm in der Richtung, wo der Redriver lag, in den Schilfbruch nieder. Hatten sie dort etwas gefunden? Vielleicht die Überreste eines Stückes Wild, das ein Wolf oder Panther zerrissen? Von dem Raubzeug gab es dort herum genug, und man konnte ihr Geheul jede Nacht hören, wenn man ihrer am hellen Tage auch nur sehr selten ansichtig wurde. Was kümmerte ihn das auch! Aber die greenbriars – eine dornige Schlingpflanze mit grünen, stacheligen Ranken – wuchsen hier so dicht, daß sein Fuchs nur mit großer Schwierigkeit hindurch konnte. Das beste war, er hobbelte ihn hier an irgendeiner lichten Stelle aus und nahm ihn dann auf dem Rückweg wieder mit. Unfern vom Ufer der Slew fand er einen solchen Platz, stieg aus dem Sattel, nahm ihm den Zaum ab, band ihm die beiden Vorderbeine so zusammen, daß das Tier nur noch ganz kurze Schritte machen konnte, und wandte sich dann ab.

Mit einem Male fiel sein Blick auf eine abgebröckelte Uferbank und hier auf etwas, das ihn stutzen machte. Was war das? Ein Eindruck in die Erde! Wo kam der her? Unwillkürlich läßt ja ein Jäger nichts Derartiges unbeobachtet, und er schob deshalb sein Bowiemesser, mit dem er sich durch das dichte Geschling Bahn gehauen hatte, in die Scheide und bog sich näher zu der befremdlichen Spur nieder.

»Hol' mich der Böse,« murmelte er dabei, »das sieht ja wahrhaftig so aus, als ob hier ein Kanoe gegen das Ufer angestoßen hätte! Aber wie kommt denn hier in die Slew ein Kanoe, und wer hat es da gebraucht und wozu?«

Er nahm seinen Hut ab, legte ihn neben sich, um sich noch weiter vorbiegen zu können, und brachte seinen Kopf dicht über den Platz, aber es wurde nicht anders. Der Eindruck in der Uferbank hier mußte von irgendeinem Gegenstand herrühren, der vom Wasser aus dagegen gepreßt war, und das konnte in aller Welt nichts als ein Kanoe gewesen sein. Das war aber die Slew nicht, an der jener Netley wohnen sollte. Die lag wenigstens anderthalb englische Meilen mehr westlich.

Jenkins wußte nicht, was er aus dem allem machen sollte, aber er war doch entschlossen, der Sache noch etwas weiter nachzuspüren. Er stand auf, holte seine Büchse wieder, die er neben dem Pferd gelassen, und arbeitete sich langsam und geräuschlos immer mehr an dem breiter werdenden sumpfigen Wasser hinab, ohne jedoch auf irgendeinen Fußpfad oder eine andere Fährte zu treffen als die, welche hier und da ein Wolf dem weichen Boden eingedrückt. Weiter oben machte die Slew eine Biegung nach links, und er wollte hier schon wieder umdrehen, als er, dicht am Wasser durch das Dickicht kriechend, überhängendes Schilf bemerkte, das weit draußen, in der Slew selbst, abgehackt war. Das konnte nur durch ein vorbeipassierendes Fahrzeug geschehen sein, dem die Wipfel im Weg gewesen, und wer war das jetzt, der hier, in dem furchtbarsten Dickicht drin, sein Wesen so geheim und versteckt trieb, daß selbst Jenkins, als nächster Nachbar dazu, noch nicht einmal etwas davon gemerkt hatte?

Er mußte jetzt mehr erfahren; die Sonne stand ja überdies noch hoch am Himmel, und da er nun doch einmal so weit gekommen war, wollte er auch seine Nachforschungen noch weiter fortsetzen. Es zeigte sich aber wahrlich als keine Kleinigkeit, durch dieses Dickicht eine Bahn zu brechen, und als er jetzt plötzlich einen alten Schilfbrand erreichte – das heißt eine Stelle, wo das Schilf einmal in früheren Jahren, wer weiß ob durch einen Blitz oder durch Menschenhand, in Brand geraten – wurde es fast zur Unmöglichkeit, hindurchzukommen. Die langen starken Stangen des zähen Rohrs waren dort abgestorben, viele zuletzt an der Wurzel gefault und querüber gebrochen, und mit den frisch hindurchgewachsenen dornigen Ranken bildeten sie an manchen Stellen solche unzerreißbare Massen, daß sich kein Wolf hätte hindurchwinden können. Das Schlimmste blieb dabei, daß sich das verdorrte Schilf gar nicht mehr mit dem Messer zerhauen ließ, um eine Bahn zu bekommen, denn es war, als ob man mit der scharfen Klinge auf Kieselsteine schlug. Aber Jenkins hatte einmal seinen Kopf darauf gesetzt, und hier die Stangen emporhebend, dort darunter wegkriechend, setzte er seinen beschwerlichen Weg unverdrossen fort, bis er plötzlich fast erschreckt halten blieb, denn vor seinen Füßen öffnete sich ein ebener, frei gehauener Pfad, und nicht von den Fährten menschlicher Wesen, nein, von Pferdespuren war er gefüllt.

Pferde – nie im Leben hätte ein Pferd hierher den Weg zu Lande gefunden; die mußten durch das Wasser hierher geschafft sein, und was machten sie hier im Schilf? Aber Jenkins war ein zu alter Bewohner des Waldes, um nicht zu wissen, daß er hier an der Schwelle eines gefährlichen Geheimnisses stand. Allein konnte er darin gar nichts ausrichten; trieben die Raubgesellen, wie es kaum anders möglich war, wirklich ihr Wesen hier, und wurde er hier von ihnen entdeckt, so lag es auch auf der Hand, daß er mit seinem eigenen Leben ihre Sicherheit erkaufen mußte. Dem durfte er sich nicht aussetzen, denn an seiner eigenen Sicherheit hing jetzt die Entdeckung der Übeltäter, die ihre Familien bedrohten und Elend und Verderben über die ganze Ansiedelung brachten. Rasch entschlossen kroch er deshalb den Weg zurück, den er gekommen, aber viel vorsichtiger als vorher, denn er konnte nicht wissen, ob nicht irgendwo auf dem Wasser draußen ein Verräter lauere. Er hieb keine Schilfstangen mehr durch, sondern bog sie nur aus dem Weg, bis er endlich die Stelle wieder erreichte, wo er sein Pferd zurückgelassen hatte.

So rasch als möglich legte Jenkins seinem Fuchse, den er noch auf dem nämlichen Platze antraf, wo er ihn gelassen hatte, den Zaum wieder an und machte dessen Füße frei. Dann stieg er in den Sattel, setzte dem Gaul die Hacken ein und galoppierte in das offene Holz hinein.

Am liebsten wäre er nun allerdings gleich nach Brownsville hinübergeritten, um dorthin die Kunde seiner Entdeckung zu bringen und mit den Freunden zu beraten, was jetzt am besten zu tun sei, um das dort jedenfalls versteckte saubere Nest auszunehmen; aber was hätte es ihm heute geholfen, wo die Nachbarn alle selber den Wald nach den verschiedensten Richtungen hin durchstöberten? Er würde keinen dort angetroffen haben, denn ihr Zusammenkommen war ja erst auf morgen abend festgestellt. So blieb ihm denn nichts übrig, als seine Zeit ruhig abzuwarten. Vor morgen konnte nun einmal nichts geschehen.

Aber auch zu Hause litt es ihn nicht lange; sowie er nur erst gegessen hatte, sattelte er sich sein Pferd wieder, um heute noch vor allen Dingen das Terrain ein wenig zu sondieren, um das er sich bis jetzt wenig mehr gekümmert, als vielleicht den Rand des Schilfbruchs einmal auf dem Pirschgang abzusuchen.

Gegen Abend ritt er deshalb noch einmal der Slew zu. Er wollte nur etwa die Entfernung wissen, in der sie sich von jenem Platz, den er heute morgen gefunden, befand, und wie weit es von dort bis zum Ufer des Redriver sei. Etwa eine Meile westlich war übrigens ein Weg durch den Wald geschlagen, der direkt auf den Fluß zuführte. Dort hatte ein Bekannter von ihm, Joe, eine Farm und hielt zugleich eine Fähre über den breiten und tiefen Strom.

Joe selber war nicht zu Hause; nur seine Familie und der alte Neger, der gewöhnlich die Überfahrt besorgte. Mit dem unterhielt er sich eine Weile über die Beschaffenheit des Ufers an dieser Seite, und zwar den Strom hinab, das der Bursche, der das Geschäft schon seit drei Jahren trieb, genau kennen mußte. Natürlich durfte er dem Neger nicht sagen, um was es sich hier handle, sondern fragte ihn nur, ob er es für möglich halte, daß er von seinem Platz aus ein Stück im Land drin, vielleicht durch irgendeine der Slews oder Bayous, mit dem Redriver selber in Verbindung treten könne. Er wolle jetzt, wie er meinte, noch zehn Acker Land urbar machen und recht viel Mais bauen, und da wär' es denn natürlich sehr bequem, wenn er den gleich, anstatt zu Wagen in einem Kanoe in den Strom schaffen könne.

»Gott segne Ihre Seele, Massa,« sagte der alte Wollkopf, »das geht nicht. Sieben Meilen stromab, von hier weg, liegt nichts als ein blutiger Schilfbruch, und die Slews, die hindurchlaufen, sind, wo sie mit dem Strom zusammentreffen, so von eingebrochenen Bäumen ausgefüllt, daß ein Mann ein volles Jahr arbeiten könnte, ehe er sich durch diese irgendeine freie Bahn hauen könnte – geht durchaus nicht.«

»Und ist gar keine Landung an der ganzen Strecke?« fragte ihn Jenkins.

Der alte Neger schüttelte den Kopf.

»Keine,« erwiderte er, »ein paar falsche Bayous laufen wohl ins Land und stehen mit den anderen auch vielleicht in Verbindung, aber kaum fünfzig Schritt drin liegen die alten Stämme toll und bunt durcheinander, und kaum ein Alligator kann hindurch. Nein, da ist's nichts – wie ich mit Massa Joe hierher kam, hab' ich die Stellen alle selber abgesucht, weil Massa dort im Anfang sein Haus hinbauen wollte, aber 's war nichts, und da setzte er es lieber hierher, wo er doch einen trockenen Landweg in die Hügel hatte.«

Das war alles, was Jenkins wissen wollte, und mit dem Charakter solcher Plätze genau vertraut, konnte er sich jetzt auch allenfalls denken, wie das mit jener Kolonie oder Ansiedelung im Schilfbruch zusammenhing. Daß die Slew keinen Ausweg nach dem Strom zu hatte, bestätigte schon der Pfad, den er im Schilfbruch gefunden – der verband jedenfalls das faule Wasser der Sümpfe mit dem Aufenthaltsort irgendeines der Verbrecher, der hier als Hehler diente. Wie weit dieser nachher über Mittel verfügte, mit dem Redriver selber in Verbindung zu treten, wußte er allerdings nicht; mit Hilfe der übrigen Ansiedler wollten sie aber bald dahinterkommen, und dazu waren auch Joes Boote vortrefflich. Jetzt galt es also vor allen Dingen, die Verbündeten mit den gesammelten Tatsachen bekanntzumachen; über all das übrige würden sie sich bald verständigen.

Jenkins ritt jetzt auch ohne weiteres direkt nach Haus; er hatte seinen Auftrag vollständig erfüllt. Mit seiner Frau sprach er aber kein Wort darüber; er wollte sie nicht unnötigerweise mit einer so gefährlichen Nachbarschaft ängstigen, und bereitete sich nur heute, wo er doch nichts anderes mehr unternehmen konnte, auf die nächsten Tage vor, indem er Kugeln goß, sein Messer schärfte, dem er in den trockenen Schilfstangen bös mitgespielt, und erst als der Abend heranrückte, ging er noch einmal hinaus in den Wald pirschen, um wo möglich einen Hirsch zu erlegen und den Seinen, falls er gezwungen würde, ein paar Tage abwesend zu bleiben, genügende Lebensmittel zu hinterlassen.



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