Friedrich Gerstäcker
Die Moderatoren
Friedrich Gerstäcker

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

6. Der Marsch.

Unter diesen Vorberatungen, während die Leute an dem mitten auf dem Platz entzündeten mächtigen Feuer ihre Provisionen zubereiteten und Jenkins' große blecherne Kaffeekanne brodelte und zischte, rückte die Zeit des Aufbruchs heran. Billins sammelte die ihm zugeteilten Männer, schüttelte Jenkins und Ashley noch einmal die Hand und rüstete sich zum Marsch.

»Und denkt daran, Billins,« rief ihm der Alte nach, »daß wir die Burschen lebendig haben wollen; spart Euer Blei soviel als möglich, denn eine Kugel ist zu gut für sie!«

»Habt keine Angst, Jenkins,« sagte der junge Mann finster, »nur im äußersten Fall schießen wir; mir liegt selber daran, daß ich die Schufte hängen sehe. Und nun kommt, Kameraden, wir haben noch einen ziemlichen Ritt und wollen machen, daß wir den Platz erreichen.«

Und fort trabten die sieben dunklen Gestalten durch den Wald, während Ashley seine Schar sammelte, um zuerst auf Netleys Haus zu marschieren und von da den Bruch vorzunehmen. Auch diese waren beritten, um den noch ziemlich weiten Weg rasch zurücklegen zu können und dann lieber bis zur Morgendämmerung im Hinterhalt zu bleiben.

Jenkins behielt, da Ashley ebenfalls sechs von den Männern mitgenommen, noch sechs für sich, und mit Sip, der in Ermangelung anderer Waffen nur ein Beil und ein Messer bekam, waren sie jetzt acht Mann; aber sie ließen ihre Pferde bei Jenkins' Haus, da sie kaum mehr als anderthalb englische Meilen zu gehen hatten, bis sie die Slew erreichten und dort mit den Tieren doch nicht gut weiter konnten. Jenkins hätte auch wohl noch eine gute Stunde Zeit gehabt; allein es ließ ihm keine Ruhe, was jeden andern vielleicht ermattet und niedergeworfen, seine körperlichen Schmerzen, trieb ihn nur um so viel rückhaltloser zur Rache an, und er konnte den Moment nicht erwarten, wo er auf die Verbrecher einstürmen und Vergeltung, furchtbar blutige Vergeltung an ihnen üben dürfte.

Nicht weniger eifrig waren seine Bundesgenossen in der Ausführung der ihnen erteilten Weisung, und noch lange vor Tag erreichte Billins »Joes Ferry«, wie der Platz genannt wurde. In Sicht der Häuser schon zügelte der kleine Trupp seine Pferde ein. Am Wasser konnten sie mit den Tieren doch nichts anfangen, und es war besser, sie hier freizulassen, daß sie die Zeit zur Weide benutzten. Rasch und leise wurde der Befehl gegeben, denn der wahre Jäger macht nie gern viel Lärm im Walde. Die Sättel und Decken mit dem Zaumzeug legten die Männer dann zusammen unter einen Baum und schritten zu Fuß den Häusern zu, um Joe zu wecken und Rücksprache mit ihm wegen der Kanoes zu nehmen.

Im Hause schlief noch alles. Lichter waren wenigstens nirgend zu sehen, auch der Schein keines Feuers; aber am Fluß selber, der etwa fünfzig Schritt weiter entfernt lag, hörten sie Stimmen. Billins horchte hoch auf, denn es schien fast, als ob sich dort ein paar Leute miteinander zankten.

Einen Moment horchte er und flüsterte dann leise:

»Da sind Leute an den Booten, beim Himmel, was ist das?«

Der Fluß war ziemlich hoch, da in dieser Jahreszeit das Schneewasser aus den Felsengebirgen herunterkam, die Uferbank aber doch noch zu steil, als daß sie von hier aus die Stelle, wo die Kanoes lagen, hätten erkennen können. Die Stimmen kamen jedoch jedenfalls vom Wasser herauf, und die kleine Schar der Moderatoren glitt jetzt, ohne weiter ein Wort miteinander zu wechseln, rasch und geräuschlos der Landungsstelle zu, an der sie, auf ein Zeichen von Billins, einen Augenblick hielten.

»Gemmen,« sagte die Stimme des alten Negers Nero, die Billins gut genug kannte, »Massa hat Schlüssel zu Kanoe, muß erst Massa wecken, wenn Sie Kanoe haben wollen, und ist jetzt noch dunkle Nacht, Massa wird schimpfen.«

»Aber ich habe dir ja gesagt, Wollkopf,« rief der eine der Männer, »daß wir nur unser eigenes Kanoe haben wollen, das am andern Ufer liegt; in einer halben Stunde sind wir mit dem zurück.«

»Ach, mach' keine Umstände, Bob,« sagte der andere, »dreh' die verfluchte Kette ab. Die Zeit vergeht, und wir können uns mit dem Nigger nicht die halbe Nacht herumstreiten.«

»Das sind Regulatoren und wollen die Kanoes stehlen,« flüsterte einer der Schar Billins zu.

»Zwei von euch rechts, zwei links die Bank hinunter,« drängte Billins, »daß wir sie in die Mitte bekommen, rasch, sowie sie Wind kriegen, sind sie fort und geben Alarm.«

Wie die Schatten glitten die Jäger rechts und links ab, und von allen drei Seiten zugleich sprangen sie jetzt hinab, daß sie die drei Personen unten am Ufer in die Mitte bekamen.

»Halt! was geht hier vor?«

»Law de Massy,« rief der alte Neger erschreckt, »gar nichts, Gemmen wollen meine Kanoes nehmen.«

»Wer seid ihr und was wollt ihr mit den Fahrzeugen?« rief Billins, indem er, die Büchse in Anschlag, an die Kanoes hinuntersprang.

»Gehören sie Euch?« fragte der eine der Burschen finster.

»Ich will dir etwas sagen, Kamerad,« entgegnete Billins, »komm einmal hier an Land, denn wir möchten deine nähere Bekanntschaft machen. Die erste Bewegung zur Flucht, und ich lasse den Mond durch deinen Schädel scheinen.«

»Was wollt Ihr von uns? wir sind friedliche Ansiedler,« rief der andere, »und wohnen gegenüber am Strom.«

»Gut, wenn das wahr ist, habt ihr auch nichts zu fürchten,« entgegnete ihm Billins, »aber da draußen können wir euch nicht so gut erkennen, also kommt an Land. Bei Gott, ich verstehe keinen Spaß, und mein Finger liegt am Drücker.«

Seine Gefährten hatten indes die Boote umzingelt, Flucht der Fremden war nicht mehr möglich, wenn sie sich nicht durch Schwimmen und Tauchen retten konnten, wozu sie aber keine Lust zu haben schienen. Es blieb ihnen deshalb nichts anderes übrig, als dem Befehl Folge zu leisten, denn nicht einmal mit Feuergewehr versehen, hätten sie sich gar nicht widersetzen können. Mürrisch und mit leisen, zwischen den Zähnen gemurmelten Flüchen verließen sie die dicht nebeneinander hängenden Kanoes, von denen schon jeder eines betreten hatte, und sagten:

»Nun, Sir, was gibt's, daß Sie friedliche Leute in solcher Art überfallen?«

»Das sollt ihr gleich hören, meine Burschen,« sagte Billins, der noch immer mit der Büchse zum Schuß fertig am Ufer stand und jetzt nur ein paar Schritte zurücktrat, um ihnen Raum zu machen. »Ihr seid vorderhand unsere Gefangenen; sträubt euch nicht, denn keiner von uns ist aufgelegt, viel Umstände zu machen.«

»Eure Gefangenen? Weshalb?«

»Steven und Brawny, ihr habt ja wohl die Seile,« fuhr Billins fort, ohne sie einer Antwort zu würdigen, »bindet ihnen einmal die Hände auf den Rücken. Bei dem geringsten Widerstand habt ihr eine Kugel durch den Schädel – halt, rührt euch nicht!«

»O Massa Billins,« rief jetzt der Neger, der den jungen Mann erkannte, »sehr gut, daß Sie gekommen sind. Böse Kerle wollten armen Nero die Kanoes wegnehmen.«

»Sie werden sie dalassen müssen, Nero,« sagte Billins ruhig. »Nun, wird's bald? Glaubt um Gottes willen nicht, daß wir Scherz mit euch treiben; ich zähle drei, und wenn ihr bis dahin nicht gutwillig die Arme ausstreckt, gebe ich Feuer – eins – zwei –«

»Ihr werdet uns Rechenschaft geben müssen, Sir, daß Ihr friedliche Männer so behandelt,« sagte der eine, während er aber doch die Arme ausstreckte, denn zu furchtbar nah und drohend war das tödliche Rohr auf ihn gerichtet, und Widerspruch gegen die sieben Bewaffneten, mit keiner Aussicht zur Flucht, wäre hoffnungslos gewesen.

»Darauf könnt ihr euch verlassen,« lächelte Billins ingrimmig in sich hinein, »so ist's recht, bindet sie nur fest und gut. Wenn ihr zu der Gesellschaft gehört, der wir jetzt auf den Fersen sitzen, sollt ihr auf die Rechenschaft nicht lange zu warten brauchen. Sie wird vielleicht früher kommen, als euch lieb ist.«

»Zu der Gesellschaft?« sagte der zweite erschreckt, »wir wissen von keiner Gesellschaft.«

»Gut, das findet sich alles, ich habe aber keine Lust, hier noch länger mit euch zu verhandeln. Führt sie hinauf zum Haus, Leute. Tut mir leid, daß wir den alten Joe so früh im Schlaf stören müssen, läßt sich aber einmal nicht ändern.«

Joe schlief indes nicht mehr, sondern hatte die lauten Worte schon, wach in seinem Bett liegend, gehört und kam jetzt heraus, um zu sehen, was es gäbe. Billins, der ihn beiseite nahm, teilte ihm mit kurzen Worten das Vorgefallene und ihre jetzige Absicht mit, und der Alte ließ sich denn auch nicht lange bitten, von der Partie zu sein, ja, wollte nicht einmal davon hören, selber am Hause zu bleiben und auf die beiden Gefangenen achtzugeben, und erst als ihm der junge Backwoodsman die Gefahr vorstellte, der sie alle ausgesetzt sein könnten, wenn die beiden Gefangenen entsprängen und vorzeitig Alarm gäben, verstand er sich dazu. Aber seine vier Neger mußten mit, alle miteinander, sie konnten die Kanoes rudern, und Nero sollte als Pilot dienen.

Die Kanoes waren eigentlich sogenannte Pirogen, wohl gearbeitet wie ein Kanoe und aus einem einzigen Baumstamm ausgeschlagen, aber aus großen Zypressen, deren Holz sich ganz vortrefflich dazu eignet, und groß genug, jede von ihnen zehn Personen mit Leichtigkeit zu tragen. Die Neger wußten außerdem vortrefflich mit ihnen umzugehen, und Billins fühlte sich jetzt überzeugt, daß sie mit diesen Fahrzeugen ihren Auftrag genügend ausführen konnten. Wenn die Männer im Wald drin ebenso ihre Schuldigkeit taten, so waren die Verbrecher verloren. Allerdings versuchte er jetzt, von den Gefangenen etwas über die Stärke des Trupps zu erfahren, fand das aber bald vergebene Mühe, denn die Burschen leugneten beide standhaft, das geringste von einer im Schilf versteckten Schar zu wissen, und blieben bei ihrer Behauptung, daß sie friedliche Ansiedler von der andern Seite des Stromes wären. Es war nichts weiter aus ihnen herauszubringen; verdächtig machte sie aber, daß sie sich in der Angabe der Gegend, wo ihre Hütten stehen sollten, verwirrten, und Joe, der fast jeden Fußbreit Raum am andern Ufer kannte, hatte sie bald so festgefahren, daß sie endlich erklärten, sie wären erst seit drei Tagen in der Nachbarschaft und wüßten noch nicht recht Bescheid im Walde. Das Kanoe eines vorbeikommenden Flachbootes habe sie übergesetzt, weil sie sich hier einmal umsehen wollten.

Das alles war viel zu unwahrscheinlich, als daß es den schon gefaßten Verdacht nicht noch hätte verstärken sollen. Joe versprach deshalb auch, gute Wacht über sie zu halten, bis die Boote zurückkehren würden; daß ihm keiner entwische, dafür stand er ein, und als die Nachbarn erst noch einen Becher Kaffee getrunken, den ihnen die alten Dame schnell bereitete, wie sie sich auch dagegen sträubten, sie zu belästigen, machten sie sich zum Einschiffen fertig. Die Whip-poor-wills sangen schon ihren monotonen Ruf im Walde, ein sicheres Zeichen, daß der Morgen nicht mehr fern, und über die Wipfel der Bäume im Osten trat die Venus und sandte ihr blitzendes Licht herüber.

Nach Neros, des alten Negers, Aussage mochten sie etwa eine gute Viertelstunde brauchen, um mit der ziemlich raschen Strömung des Redriver niedertreibend jenen Platz zu erreichen, auf dem unfern voneinander zwei dieser Slews oder Bayous ausmündeten. Die obere war die, an welcher Netley sein Haus hatte, die untere die nämliche, an der Jenkins die Spuren entdeckt, und zwischen den beiden sollte Neros Beschreibung nach die Stelle liegen, auf der eine alte Shanty oder Hütte stand, und wo sich also auch jetzt wahrscheinlich diese sogenannte Regulatorenbande festgesetzt hatte. Dicht über der oberen Bayou lief aber eine kleine Landzunge aus, unter deren Schutz sie liegen bleiben und, selber unbeachtet, alles überwachen konnten, was an jener Stelle im Wasser vorging. Dorthin ruderten sie auch, um mit vollem Tagesanbruch gleich am Orte zu sein und keine Zeit zu versäumen.

Ashley hatte indessen ebenfalls sein Ziel erreicht und Netleys Hütte vorsichtig und geräuschlos umzingeln lassen; aber der Vogel war nicht allein ausgeflogen, sondern sie fanden auch in der Hütte, in der sie rasch ein Feuer anzündeten, keine Spur, dass dieselbe in den letzten Tagen überhaupt bewohnt gewesen. Die Überreste von angebrannten Holzstücken im Kamin waren jedenfalls mehrere Tage alt, und sonst schien der frühere Besitzer auch nicht das geringste von seinem Eigentum zurückgelassen zu haben.

Ashley hatte das übrigens kaum anders erwartet, denn daß sich der Mann bei einem Überfall, wie der bei Jenkins, beteiligen und dann noch in einem nahe gelegenen Hause geblieben sein sollte, war zu unwahrscheinlich. Jedenfalls hatten sie die Vorsicht brauchen müssen, sich darüber vorher Gewißheit zu verschaffen, und jetzt konnten sie hier im Hause in aller Bequemlichkeit die Morgendämmerung abwarten, da gerade von hier aus auch der Pfad in den Schilfbruch einmündete.

Nicht so geduldig erwartete der alte Jenkins mit seinem Trupp diesen Augenblick; ihm brannte der Loden unter den Füßen. Noch war es finstere Nacht, als er mit den Seinen die Slew erreichte, und da hier das Schilf schon begann, mußten sie sich Schritt für Schritt den mühsamen Weg hineinbahnen, der dadurch gefährlich wurde, daß sie ihre Augen kaum genug vor den überall vorstehenden Rohrstümpfen hüten konnten. Aber er ließ deshalb nicht nach, und mit dem Wasser zur Rechten, das ein Verirren in der Dunkelheit unmöglich machte, rückten sie, wenn auch langsam, doch stetig vor, bis sie die Stelle erreichten, wo die Slew jene Biegung machte.

Hier half nun kein weiteres Beeilen ihres Marsches, denn erreichten sie noch in der Dunkelheit ihr Ziel, so konnten sie eher den gut angelegten Plan verderben als fördern. Wohl oder übel, sie mußten hier liegen bleiben und durften dabei auch nicht einmal ein Feuer anzünden, weil sie gar nicht wissen konnten, wie nah' vielleicht die Shanty lag, und der Morgenwind, der sich jetzt erhob, strich scharf nach jener Richtung zu und schüttelte das Schilf, daß es wogte und rauschte, kein lautes Wort wurde darum noch gesprochen, die Männer verkehrten flüsternd miteinander und kauerten sich endlich, jeder in seine Decke gewickelt, die sie bis dahin zusammengerollt auf dem Rücken getragen, hinter irgendeinen Busch oder Baum, um den Morgen zu erwarten.

Länger war ihnen freilich noch keine Stunde ihres Lebens vorgekommen als die, welche sie hier, dicht vor der Entscheidung, tatenlos und ruhig verträumen mußten. Und wie kalt dabei der Wind durch den Wald zog! Dem alten, zerschlagenen Mann zitterte es mit Fieberfrost durch die Glieder, und wirre, blutige Bilder tauchten auf in seinem Hirn und flimmerten und blitzten ihm vor den geschlossenen Augen. Aber das Bewußtsein, bald, sehr bald Vergeltung an denen üben zu können, die ihn und sein Weib mißhandelt und sein Eigentum geraubt, ließ kein Gefühl der Schwäche in ihm aufkommen. Ingrimmig biß er die Zähne aufeinander und fühlte an seinem Puls die Sekunden, die ihn noch von seiner Rache trennten.

Da horchte er empor. Der Whip-poor-will lockte im Busch, rasch richtete er sich auf. Schilf und Holz verbargen wohl die Aussicht, standen aber nicht so dicht, um den mattgrauen Schimmer zu verdecken, der sich schon im Osten zeigte, und wie hoch war der Morgenstern gestiegen, ohne daß er ihn bis jetzt bemerkte. Der Tag graute, die Dämmerung in diesen Breiten ist kurz, und bald durften sie hoffen, den Pfad erkennen zu können, der sie dem Feind entgegenführen sollte.

Leise und vorsichtig weckte er seine Leute, die nur den Schlaf von den Wimpern schüttelten und dann ebenso lautlos wieder ihre Decken zusammenschnürten, um im Marsch nicht von ihnen behindert zu werden. Der graue Streifen im Osten wurde heller und breiter, schon goß sich ein mattes Dämmerlicht über den Wald, und die Leute öffneten die Pfannen ihrer Büchsen, das durch die Nachtluft vielleicht feucht gewordene Pulver durch frisches zu ersetzen, denn ihrer Waffen mußten sie sicher sein. – Jetzt graute der Tag, der alte Jenkins hatte den richtigen Platz getroffen, kaum zehn Schritte vor ihnen lief der braune Pfad durch den Bruch, den er gestern morgen hier zuerst gefunden, und nun war auch keine Zeit zu verlieren, denn möglicherweise mußten sie ja noch diesem eine lange Strecke folgen.

Jenkins hob den Arm – kein Laut sollte mehr gesprochen werden, und die Büchse, den Lauf nach vorn, in der Hand, um sie augenblicklich zum Gebrauch bereit zu haben, drängte er sich durch das Schilf, das ihn noch von dem Pfad schied, und schritt rasch auf diesem hin, während die Seinen ihm in indianischer Reihe – einer hinter dem andern – folgten.

Eine Viertelstunde und vielleicht nicht so lange mochten sie so marschiert sein, als Jenkins plötzlich überrascht stehen blieb, denn vor seinen Füßen teilte sich der Pfad, und während eine Abzweigung mehr rechts dem Strom zulief (und auf dieser waren die Pferde transportiert worden), lenkte der andere mehr links ab oder zog sich vielmehr gerade in den Bruch hinein.

Welchem sollten sie folgen? Denn er durfte nicht daran denken, seine überdies schon schwache Schar zu teilen. Sie wären verloren gewesen, wenn sie auf den ihnen jedenfalls weit überlegenen Feind trafen. Schon wollte er sich zurück zu den ihm Folgenden wenden, um einen kurzen Kriegsrat zu halten, als ein trockenes Schilf knickte – jetzt noch eins – als ob jemand durch das Rohr schlüpfe. Hatten sie ein Stück Wild aus seinem Lager aufgescheucht, oder war es einer der Feinde, der ihnen hier in den Weg lief? Der alte Mann hob unwillkürlich die Büchse und lag im Anschlag, lebend hätte jener den Platz nicht wieder verlassen. Ha – dort erkannte er eine dunkle Gestalt, die durch das Dickicht glitt – gerade auf sie zu – warnend hob er die linke Hand, sie alle hatten das Geräusch ebenfalls gehört, aber keiner rührte sich, wie aus Stein gehauen standen die dunklen Gestalten, und näher und näher kam der Flüchtige.

Noch war es nicht heller Tag; die Sonnenscheibe berührte allerdings schon den Horizont, aber im Walde selber lag noch Dämmerung, wenn sich die nächsten Gegenstände auch deutlich erkennen ließen. Jedenfalls hatten die Moderatoren schon, was man »Büchsenlicht« nennt; es war so hell, daß der Jäger das Korn an seiner Büchse im Visier unterscheiden kann, allein die Gestalt schien keine Ahnung der nahen Feinde zu haben, die mit ihren waldfarbenen Jagdhemden auch allerdings in nichts von dem sie umgebenden Dickicht abstachen. Jetzt war sie auf kaum zehn Schritt herangekommen und erkannte den Pfad, als Jenkins plötzlich mit erstaunter, aber vorsichtig gedämpfter Stimme rief: »Nelly!«

Die Flüchtige stutzte und erschrak, einen Moment stand sie wie unschlüssig, wohin sie sich wenden solle, doch im nächsten erkannte sie ihren alten Herrn, stürzte mit einem Freudenschrei auf ihn zu, warf sich vor ihm nieder und umklammerte seine Knie.

Und wie sah die Unglückliche aus! Ihr Antlitz war aschfahl geworden, die dünnen Kleider hingen ihr, von dem Rohr zerrissen, nur noch in Streifen um die Glieder, und scheu und entsetzt flog ihr Blick zurück, als ob sie die Verfolger noch immer auf ihren Fährten fürchte. Des alten Jenkins' Frage brachte sie aber bald wieder zu sich selber, »Wo sind sie?« flüsterte er leise.

»Dort,« sagte das Mädchen und zeigte entsetzt mit dem Arm zurück.

»Wie weit?«

»Gar nicht weit mehr, dicht am Fluß.«

»Wieviel?«

»Elf Mann, zwei wurden heute nacht fortgeschickt, um Master Joes Kanoes zu holen, sind aber noch nicht zurück.«

»Haben sie kein Kanoe im Fluß?«

»Ich habe keins gesehen, aber ein Floß haben sie gebaut und die Pferde heute morgen hinaufgeschafft, und fünf Neger sind auf dem Floß. Sie wollen fort, sie warten nur auf die Kanoes.«

»Aber in der Slew ist ein Kanoe?«

»Ja, aber ein kleines, das nur zwei Mann tragen kann. Sie haben es vorhin in den Fluß hinübergeschleppt.«

Der alte Jenkins warf, während sich der kleine Trupp schweigend und gespannt um ihn scharte, den Blick umher. Mit jenem Instinkt, der allen diesen Leuten eigen ist, die ihre Lebenszeit im Walde verbracht, hatte er sich jetzt in dem ihm fremden Terrain zurecht gefunden. Er hob die Hand, um den Zug des Windes zu fühlen, derselbe kam genau von Osten und trieb in den Busch schräg hinein und nach dem Fluß zu.

»Schlag' einer von euch Feuer; rasch, wir dürfen keine Zeit versäumen!«

Im Nu hatten zwei ihren Stahl und Schwamm herausgeholt.

»Ihr andern sammelt trockenes Rohr – dahinein beginnt der alte Rohrbrand; wenn wir den Haufen dort zur Flamme bringen, läuft die Glut in wenigen Minuten auf dieser Seite hin.«

»Aber dann jagen wir's Ashley gerade entgegen,« warf einer der Leute ein.

»So rasch geht es nicht,« sagte Jenkins, »und der hat immer den Pfad zurück und kann im schlimmsten Fall die Slew zwischen sich und das Feuer bringen – brennt es noch nicht?«

Sip hatte am schnellsten Feuer bekommen, und aus einem hohlen Baum trockenes, dort hineingewehtes Laub raffend, tat er den Schwamm dazwischen, schwenkte es durch die Luft und blies es bald zur hellen Flamme an.

»So – dort hinein – der Wind weht vortrefflich, wenn das Feuer in Gang kommt, machen wir den oberen Pfad unpassierbar, auf dem andern müssen sie uns dann in die Büchse laufen.«

Es bedurfte für diese Männer keiner weiteren Anordnung. Im Nu hatten sie begriffen, was ihr Führer bezweckte, und der hier beginnende alte Rohrbrand, durch den das noch stehengebliebene Rohr abgestorben und trocken geworden, kam ihnen dabei wacker zu Hilfe. Rasch hatte auch jeder von ihnen eine kleine Fackel aus trockenen Rohrstücken gemacht und entzündet; mit denen verteilten sie sich, und kaum zehn Minuten später schlug die Flamme züngelnd empor und verwandelte sich mit fabelhafter Schnelle in eine Feuersäule, die querüber nach dem Flusse zu fraß und ein Durchdringen derselben, da man in dem zusammengebrochenen Rohr nicht rasch vorwärts konnte, zur Unmöglichkeit oder doch äußerst gefährlich machte.

Jenkins' Augen leuchteten von wilder Freude, als er den Erfolg sah, den sein neuer Angriffsplan hatte. Aber er hielt sich nicht lange auf, um die Wirkung ihrer List zu betrachten.

»Du gehst hier am Wasser hinauf,« rief er Nelly zu, »und hältst dich dort irgendwo im Dickicht versteckt, bis wir dich abrufen, und nun vorwärts, Jungen, mir nach, jetzt haben wir die Hunde!«



 << zurück weiter >>