Friedrich Gerstäcker
Verhängnisse
Friedrich Gerstäcker

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

3. Eine Überraschung.

Als George am andern Morgen – man kann nicht gut sagen erwachte, sondern eher sein Bewußtsein zurückkommen fühlte, blieb er noch eine ganze Weile mit geschlossenen Augen in seinem Bette liegen, denn er machte die höchst unangenehme Entdeckung, daß er seinen Rausch vom vorigen Abend, auf den er sich deutlich erinnerte, noch keineswegs ausgeschlafen habe. Es schaukelte und bewegte sich alles mit ihm, und er dachte mit Schrecken daran, daß er heute morgen gar nicht imstand sein würde, Jenny aufzusuchen – und was mußte sie nachher von ihm denken – für wie lieb- und herzlos ihn halten.

Aber um sich her hörte er fremde Stimmen, und dicht über ihm in der oberen Stube gingen mit schweren Schritten Leute hin und her. – Er schlug die Augen auf, blieb aber still und regungslos liegen, denn alles, was er sah, war ihm fremd, und er hatte keine Ahnung, wo er sich eigentlich befand. –

Wieder schloß er die Augen und überlegte. – War er denn gestern abend nach Hause gekommen? – Er konnte sich nicht darauf besinnen, also jedenfalls nicht – und wohin hatte ihn denn Tom gebracht, oder waren sie etwa gar in der Matrosenkneipe todtrunken liegen geblieben? Heiliger Gott, wenn das Jenny erfuhr, dann durfte er sich nur auf eine Szene gefaßt machen und – das schlimmste dabei – sie hätte recht gehabt.

Er sah umher – richtig nichts als Matrosen – aber da oben – da stieg einer durch eine Luke die Treppe herab – und das – das war ja doch keine Stube, wie man sie am Lande fand – das war ja ein Schiff – und mit beiden Füßen sprang er aus dem engen Kasten, in dem er gelegen, heraus und stand, wild umherstarrend, vor einem paar der Leute.

»Hallo, Mate,« lachten diese, »ausgeschlafen? – alle Wetter, du hast dir vier ›Wachen zur Koje‹ nacheinander weggenommen – mußt gestern abend einen gesunden Rausch gehabt haben. Der wird auch ein gutes Geld gekostet haben, – wie?«

»Wo bin ich denn hier?« rief George ganz verwirrt – »an Bord eines Schiffes?« –

Lautes Gelächter der Wacht zur Koje, die ihren Spaß an dem erstaunten Gesicht des neuen Kameraden hatten, war seine einzige Antwort, und George, der nicht ein einziges bekanntes Gesicht unter ihnen entdeckte, sprang nach der an Deck führenden Stiege und hinauf.

Ringsum, so weit sein Auge reichte, die See – die wilde, unbegrenzte See – nur dort zurück ragten noch die Berge seiner Heimat empor, aber auch schon blau und unbestimmt, und mit einer prachtvollen Brise, alle Segel vollgebläht, und die Flut vorn am Bug emporschäumend, während die nachspringenden Wellen es nur noch immer mehr und eifriger fort vom Lande drängten, schoß das wackere Schiff auf seiner Bahn dahin.

George stand wie in einem Traum – er wollte seinen eigenen Sinnen nicht trauen, aber der Beweis lag zu unantastbar vor seinen Augen, und jetzt erst überkam ihn das Gefühl der Gefahr, in der er sich befand, jetzt gerade, jetzt hinaus in den Ozean entführt zu werden, wo ihn ja alle Bande seines Herzens an das Land, an Neuyork, fesselten.

»Wo ist der Kapitän?« rief er den nächsten Matrosen an, der an Deck stand, ein alter Bursche mit schon grauen fest gelockten, ja fast wie ineinander gedrehten Haaren. Der aber gab ihm keine Antwort. Was kümmerte ihn der »Grüne«! – Es war der Zimmermann an Bord, eine der wichtigsten Personen.

George flog mehr als er ging das Deck entlang und seine Blicke irrten wild und unstet umher – die Masse Volk an Bord – die vielen Boote, die teils an der Seite hingen, teils über dem Quarterdeck, Kiel nach oben – auf einem Gerüst lagen – die eingemauerten Kessel an Deck – das alles verriet ihm wohl rasch, daß er sich auf einem Walfischfänger befand – aber was kümmerte ihn das Schiff – Was hatte er damit weiter zu tun, als daß er so rasch als möglich suchte wieder von hier fortzukommen.

Es war in der Tat ein Walfischfänger, die Betsy-Crow, wie das Fahrzeug, eine ziemlich große und stattliche Bark, hieß, und beim Auslaufen auf eine lange Reise gibt es auf solchen Schiffen, wenn sie auch noch keinen Fang erwarten können, außerordentlich viel zu tun. Der Zimmermann muß die Boote nachsehen, ob sie auch sämtlich gut im Stande sind, und wo das nicht der Fall ist, die nötigen Reparaturen vornehmen; der Böttcher anfangen die Fässer, die noch zusammengeschlagen im Raum liegen, wieder nach und nach herzustellen, damit ein Vorrat davon da ist, wenn sie auf ihren Jagdgrund kommen, oder auch vorher schon, vielleicht zufällig einmal, einen Fisch antreffen. Die Bootsteurer haben ihre Harpunen, Lanzen, Beile und Messer nachzusehen und zu schärfen, ebenso die kleinen Wasserfässer, die in den Booten mitgenommen werden, zu revidieren, ob sie dicht und zum augenblicklichen Gebrauch tüchtig sind; und den Harpunieren, die das Boot so lange führen, bis sie an einen Fisch heran und fest kommen, liegt es ob, ihre kleinen Segel und das Takelwerk derselben zu mustern, ob auch da alles im Stande ist, und überhaupt nachzusehen, daß jeder ihrer Untergebenen seine Schuldigkeit tue.

Nur der Kapitän scheint der einzige Müßige an Bord, und hat auch in der Tat beim ersten Auslaufen, sobald er nur erst einmal den Kurs angegeben, gar nichts zu tun, als mittags seine Berechnung zu machen – und selbst dazu befindet sich noch auf manchen Walfischfängern ein besonderer Offizier.

Kapitän Rogers ging denn auch jetzt, seine Zigarre rauchend, die Hände in den Taschen seines großen Peajacketts, zu Steuerbord auf seinem Quarterdeck auf und ab und warf nur manchmal einen Blick nach seinen oberen und leichten Segeln hinauf, denn die Brise wehte in der Tat so frisch und schien außerdem im Wachsen, daß man sie im Auge behalten mußte.

George – noch im bloßen Kopf, wie er aus der Koje gesprungen, und mit etwas verwildertem und übernächtigem Aussehen dazu – sprang die wenigen Stufen auf das erhöhte Quarterdeck hinauf. Der Mann dort oben mußte der Kapitän sein, und rasch auf ihn zugehend, sagte er mit angstgepreßter Stimme:

»Kapitän, ich bitte Sie um Gottes willen, setzen Sie mich so rasch als irgend möglich an Land oder auf eines der zurückgehenden Schiffe ab – durch ein rätselhaftes Mißverständnis bin ich auf Ihr Schiff gekommen –«

»Rätselhaftes Missverständnis, mein Bursche?« sagte Kapitän Rogers, der stehen blieb und ihn von oben bis unten betrachtete – »auf welches andere Schiff wolltest du denn sonst?«

»Ich bin gar kein Seemann,« rief George – »mein Vater, dessen Name ich führe, ist George Halay in Neuyork.«

»Wahrscheinlich!« nickte der Kapitän mit einem spöttischen Lächeln – »natürlich der reiche Halay in Broadway –«

»Derselbe – ich bin sein Sohn und auf morgen ist meine Hochzeit mit James Woods Tochter angesetzt.«

»Auch natürlich James Wood aus Wallstreet –«

»Der nämliche – Sie können sich denken – daß ich –«

»Und warum nicht gleich Kaiser von Frankreich oder China – Damn it, mein Bursche, wenn du einmal lügst, weshalb nicht gleich ordentlich –«

»Aber Kapitän, ich gebe Ihnen mein Ehrenwort –«

»Marsch nach vorn, wohin du gehörst,« rief aber der Seemann barsch – »aus Versehen ist niemand zu mir an Bord gekommen, mein Bursch, denn alle Leute – und dich habe ich heute nacht dabei ganz besonders gesehen – hat Euer Schlafbaas gebracht und sein Geld dafür bekommen.«

»Sein Geld? – der Schlafbaas?« rief George ganz verwirrt. »Kapitän, ich begreife das alles nicht; aber es ist eine Betrügerei vorgegangen. Welche Summe Sie auch ausgelegt haben, sie soll Ihnen zurückerstattet werden – jetzt aber muß ich augenblicklich an Land zurück.«

»Das nächste Land, das du wieder zu sehen kriegst,« sagte Kapitän Rogers mit einem sarkastischen Lächeln – »werden wahrscheinlich die Sandwichs-Inseln sein, und das hat noch einige Zeit. Marsch nach vorn, sag' ich, – an Land setzen? lächerlich, mit der Brise, wo wir elf Knoten laufen.«

»Kapitän!« rief George in der furchtbarsten Aufregung – »ich mache Sie für die Folgen verantwortlich – Sie können, Sie dürfen mich nicht mit in See schleppen –«

»Mr. Howes,« rief der Kapitän seinen zweiten Harpunier an, »lassen Sie mir einmal den Mann da nach vorn schaffen, und wenn er sich widersetzt, legen Sie ihn nur in Eisen. Ich denke, wir werden ihn schon zahm kriegen.«

»Und wenn ich Ihnen nun Beweise bringe, Kapitän,« rief George in äußerster Verzweiflung, indem er in die Brusttasche griff, um dort nach seiner kleinen Tasche zu suchen; der Harpunier aber, der wohl glauben mochte, daß er nach einer verborgenen Waffe griff, warf sich auf ihn. Zwei dort an einer der Pardunen beschäftigte Leute sprangen auf einen Wink des Kapitäns ebenfalls hinzu, und wenn sich George auch jetzt mit aller Kraft der Verzweiflung zur Wehr setzte, die drei baumstarken Burschen ließen in ihrem Griff nicht nach, und der Unglückliche fand sich kaum zehn Minuten später mit Handschellen an den Händen unten in dem jetzt noch leeren und sogenannten »blubber« Raum, d. h. dem Teil des Zwischendecks, wo hinab später nach dem Fang eines Walfisches der eingeschnittene Blubber oder Speck des Fisches geworfen wurde, bis er ausgekocht und in Fässer gefüllt werden konnte. Die Luke wurde dann zugeworfen, und George Halay, aus dem Vaterhause, der Heimat, von der Seite der Geliebten gerissen und allem entführt, was ein Mensch nur in seinen kühnsten Träumen vom Glück erhoffen kann, lag in Eisen und Dunkelheit auf den harten Planken des Zwischendecks, und weiter, immer weiter hinaus in See, in das offene öde Meer schoß das Fahrzeug, das ihn dem Vaterland entführte, auf seiner Bahn.

 


 << zurück weiter >>