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Seit ungefähr acht Tagen war Vetter Hermann wieder als Gast auf dem Schlosse erschienen und hatte alsbald das einförmig stille Bild in ein lebendiges, fröhliches zu verwandeln gewußt.
Bald nach der heiligen Kommunion war ein Brief seiner Mutter eingetroffen, worin sie in überschwenglichen Worten ihrer Freude Ausdruck verlieh, daß ihr Sohn endlich in die Reihe der Offiziere gerückt und Lieutenant geworden sei, so daß sie nun die schönsten Hoffnungen für seine Zukunft hege, und gleichzeitig erlaubte sie sich, von der ihr und Hermann gewordenen Einladung Gebrauch zu machen und in nächster Zeit wieder mit ihm nach Hohenfeldt zu kommen.
Nachdem die Religionsstunden aufgehört hatten, fand auch Rita keine Veranlassung mehr täglich nach dem Schlosse zu gehen und sahen sich die beiden Mädchen jetzt nur dann und wann, wenn Seraphine im Parke spazieren ging oder sich sonst im Freien aufhielt. Strahlenden Blickes kam alsdann Rita auf sie zugestürzt; sie hatte die ernsten Vorsätze, die sie gelegentlich ihrer Kommunion gefaßt hatte, noch tief im Herzen bewahrt und betrug sich jetzt so musterhaft sittsam und artig gegen jedermann, daß man ihr wirkliches nichts Böses mehr nachreden konnte. Das Haus des Fräulein Scholastika umging sie übrigens stets noch in weiten Bogen, denn so hoch hatte sich ihre moralische Kraft noch nicht erschwungen, um auch hier gar keinen Groll mehr nachzutragen.
Am häufigsten traf sie mit Seraphine am Schloßweiher im Park zusammen. Beide Mädchen liebten diesen Platz und trugen Brotkrümchen und anderes Futter herbei, die frohe Schar der Fische damit zu locken und sich an ihrer Behendigkeit zu ergötzen.
»Welch ein merkwürdiges Leben herrscht doch da unten in solchem Wasser,« sagte Seraphine entzückt zu Rita – es ist hier wahrhaftig der ständige Kampf des Starken mit dem Schwächern zu beobachten; Fische und Käfer, Wasserschlangen, Frösche und Insekten, alles lebt und zehrt vom Wasser, eines frißt das andere auf und morgen schon erstehen wieder Hunderte von neuen Wassertieren als Ersatz für die erschlagenen und hingemordeten Kämpfer. Ich freue mich jedesmal, wenn mir der Lehrer all' diese schönen Dinge aus der Naturgeschichte erzählt. Hast du schon je einmal von einem nestbauenden Fischlein gehört?«
Rita schüttelte den Kopf: »Fische bauen ja doch keine Nester!«
»Doch, doch, da ist eines unsrer heimatlichen Fischlein, ein winzig kleines Tier, der Stichling genannt, der baut sich im Ufergrase oder zwischen dem Schilfe auf dem wiederum viele tausende von glänzenden Käfern und Insekten ihre Wohnung aufgeschlagen haben, aus Pflanzenfasern und Gräsern sein Nest in Form einer Röhre und zwar so fest und sicher, daß kein feindlicher Räuber dort eindringen kann. Wenn er das Nest fertig hat, zieht er, so hat mir der Lehrer erzählt, gleichsam sein Bräutigamskleidchen an, d. h. er wird mit einem Male wunderschön, trägt die buntesten Farben, grün, dunkelblau, schwarz, silber und purpurrot an sich, und sucht sich nun ein Weibchen. Dieses muß ihm Eier in die Röhre legen, dann holt er sich ein zweites und drittes herbei und so viele und so lange fort bis das ganze Nest vollgefüllt ist. Diese Eier bewacht der Stichling mit größter, aufmerksamster Strenge, weh' jedem, der sich nahen oder einbrechen wollte! Der kleine Fisch besitzt in den Stacheln auf seinem Rücken eine so gefährliche Waffe, daß sich sogar der große Hecht nicht in seine Nähe wagt. Wenn die jungen Fischlein ausgekrochen sind, führt er sie anfangs im Sonnenschein spazieren und treibt sie, sobald sich irgend ein Feind erblicken läßt, eilends wieder in's Nest zurück. Wenn sie aber größer sind, überläßt er sie ihrem Schicksale und kümmert sich nicht mehr um sie.«
»Das haben wir Menschenkinder doch so viel schöner und besser,« meinte Rita, »unsere Eltern bleiben liebevoll um uns besorgt, so lange wir leben und würden uns niemals verstoßen, wenn wir ihrer Hilfe bedürftig wären. Das war übrigens reizend, was du da von dem Stichling erzählt hast.«
»Du sollst noch mehr dergleichen zu hören bekommen, Schatz,« entgegnete Seraphine, »komm bald wieder hierher. Es ist so ein lauschiges Plätzchen hier und ich liebe diese stille Einsamkeit.«
»Mit dir fühle ich mich nicht einsam,« erwiederte Rita, »im übrigen möchte ich nicht ohne Ansprache hier sitzen, denn das spiegelklare Wasser und leise Rauschen der Bäume dazu, das eintönige Schnalzen der Fischlein, das Quacken der Frösche und Summen der Insekten könnte mich wirklich einschläfern. Ich muß etwas hören, muß selber singen und schwatzen und lachen können und Menschen sehen, wenn ich froh sein will. Zur Einsiedlerin bin ich nicht geboren.« –
»Nein, wahrhaftig nicht,« lachte die junge Gräfin.
Nach etlichen Tagen fanden sich die Mädchen abermals zusammen, Seraphinens Fahrstuhl stand leer im Schatten einer alten Linde, sie selbst ging langsam am Ufer hin und wieder. Katrine unterstützte sie ein klein wenig beim Gehen, wurde aber mit freundlichem Danke entlassen, als Rita auf sie zusprang und sofort Seraphinens Arm auf den ihrigen legend die Führung übernahm.
Sie war um mehr als ein Jahr älter als die kleine Gräfin und neben dieser eine bedeutend größere, kräftige Erscheinung; besonders in der letzten Zeit hatte sie sich sehr vorteilhaft entwickelt und stand schlank wie eine junge Tanne neben dem zarten, gebrechlichem Elfenkinde.
Katrine hatte ihre kleine Abneigung gegen Rita noch immer nicht ganz überwinden können; sie hätte gewiß nicht das schlimmste und unartigste Kind im Dorfe ausersehen, als Gefährtin für ihr Herzblatt und konnte in dieser Hinsicht die Gräfin Mechtild nicht begreifen. Seraphine aber schien den jungen Kobold wirklich innig zu lieben und die Zärtlichkeit Ritas für ihre vornehme Gönnerin und Freundin trat so dankbar und so sichtlich bei jeder Gelegenheit zu tage, daß sie um dessentwillen jene Abneigung zu bekämpfen und Rita freundlich zu begegnen suchte.
Auch in Baron Hermann besaß Rita einigermaßen einen Gegner; nicht als ob er sie gemieden oder unartig behandelt hätte, nein, im Gegenteile, er hatte eher versucht, sich ein bischen an sie heranzudrängen, sie hielt sich jedoch so ferne von ihm und gab ihm so bestimmte, nicht immer die höflichsten Antworten auf seine Schmeicheleien, daß er beschämt schwieg oder ärgerlich die Zähne zusammenbiß und die Faust ballte über die Kühnheit des Bettelkindes, dem wohl die Freundschaft mit der Gräfin zu Kopf gestiegen war und das sich deshalb ein Ansehen gab, als stünden beide auf gleicher Stufe.
Merkwürdigerweise schien aber Gräfin Mechtild die Haltung Ritas nur zu billigen, denn sie lachte freundlich, wenn sich die beiden mitsammen zankten und stellte sich immer auf Ritas Seite, wenn es galt, sie zu verteidigen.
Es mochte dem wohl auch eine kleine, versteckte Eifersucht zu Grunde liegen; Hermanns Mutter namentlich hätte es gerne gesehen, wenn ihr Sohn die erste Stelle in Seraphinens Herzen eingenommen hätte, diese aber vertändelte ihre besten Gefühle mit dem schrecklichen Geschöpfe, das erst durch den Umgang mit ihr etwas Manier und Formen angenommen hatte, und noch weit entfernt war, vollberechtigt an Seraphinens Seite aufzutreten. Sie ließ sich übrigens ihre Abneigung nicht merken, weil sie beinahe kriechend höflich jede, auch die kleinste Vorliebe ihrer leidenden Nichte beachtete und sich immer und in allem ihrem Willen anzupassen suchte. Die oberflächliche, habsüchtige Frau kannte nur das eine Luftschloß ihrer Träume und das hieß: Hermann, Gutsherr auf Schloß Hohenfeldt etc. Wie lange noch. –
Georgie, der hübsche Groom stand in vollster Wichs im Hofe neben der zierlichen Equipage, die damals, als man sie gebracht und ausgepackt hatte, das Entzücken aller kleinen und großen, jungen und alten Ortsbewohner gewesen war. Die munteren Pferdchen mit langen Mähnen scharrten ungeduldig die Erde. Sie waren lange nicht mehr eingespannt gewesen, denn Zuleika hatte einige Zeit gelahmt und mußte geschont bleiben, mit Armide war aber ohne die Gefährtin absolut nichts zu wollen. Eine einzige von Georgie unternommene Spazierfahrt war ihm schlecht genug bekommen, und so blieb nichts anderes übrig, als das gesunde Tier täglich auszuführen und die völlige Genesung des andern abzuwarten.
Heute standen endlich wieder einmal die Pferde frisch gebürstet und gestriegelt vor ihrem hocheleganten Wagen und harrten der jugendlichen Gebieterin, die an der Seite ihres Vetters eine Spazierfahrt unternehmen wollte. Kathrine half Seraphine zum Sitze, legte ihr die Kissen und richtete sie so bequem als möglich für die Lustfahrt ein.
»Ist's so recht, mein Herzchen? und bist du auch gut untergebracht?« frug sie Seraphine, während sie ihr den Schleier vor das Gesichtchen legte, um sie vor jeder direkten Berührung bewegter Luft zu schützen.
»Gewiß, ich danke dir, gute Kathrine.« –
»Mama und Tante stehen am Fenster und winken uns zu, grüße doch hinauf zu ihnen, Hermann, und dann komm und setze dich zu mir.«
Dieser that nach ihrem Wunsche. Er nahm die Zügel und Peitsche aus Georgies Hand.
»Fahren der Herr Baron allein?« frug dieser in höchstem Erstaunen und offenbar unangenehm überrascht, denn er hatte sich schon gefreut, heute wieder einmal im vollsten Schmucke eines Grooms zu erscheinen und sich dem ganzen Orte, namentlich der Jugend zeigen zu dürfen. »Du bleibst getrost zu hause, Georgie,« gab der Lieutenant zurück, »ich kutschiere allein.«
»Wagst du das, Hermann?« ließ sich die Stimme des jungen Mädchens vernehmen, sie klang ängstlich und erschrocken.
»Fürchtest du dich? Meinst du, Cousinchen, du könntest mir dein kostbares Leben nicht anvertrauen? Würde ich dich auch nur der geringsten Gefahr aussetzen, wenn ich selbst nur entfernt an eine solche dächte?«
Seraphine schwieg, sie schämte sich ihrer Angst und zugleich that es ihr leid, Hermann durch Mißtrauen vielleicht gekränkt zu haben.
»Nein, lieber Vetter, verzeihe, ich fürchte mich nicht.«
»Also vorwärts denn!« Nochmals lächelte ihr Blick hinauf zur Mutter in der Fensternische, nochmals senkte ihr Begleiter grüßend die Peitsche, berührte mit dieser zart den Rücken Zuleikas, nahm die Zügel an sich, Georgie trat zurück und an ihm vorüber, durch den weiten Hofraum zum Parktor hinaus flogen die schönen Pferdchen so rasch, so leicht, daß ihre kleinen Hufe kaum den Boden zu berühren schienen. Ein milder, herbstlicher Zauber lag in der Luft; die Bäume trugen noch ihr sommerliches Kleid, nur hie und da wieder untermischt mit goldgelb oder purpur, gleich dem bunten Ausputzen an monotoner Farbe; auf fernen Feldern und Äckern sah man fleißige Menschen beschäftigt noch die letzten Früchte einzubringen, ehe der Frost zerstörend eingriff. Es lag da noch genug draußen. Kartoffel und Kraut, Rüben u. a., was Vorrat schaffen mußte für die kalte Zeit des Jahres, heute aber mochte man kaum daran denken, so wonnig wärmte die Sonne, so freundlich nickten die späten Blümlein der Wiesen.
»Lebst du gerne in Hohenfeldt, liebe Seraphine und gefällt es dir hier?« frug ihr Vetter nach den hohen, kahlen Bergen deutend, die so stolz und mächtig aber auch so sturmzerklüftet über den grünen Vorbergen emporragten; »sieh nur welch' herrliche Beleuchtung, welche Farbenschönheit!«
»Ich liebe die Natur, wo immer sie mir entgegentritt,« erwiderte die junge Gräfin, »und ich bete in ihr die Allmacht ihres Schöpfers an, am allergroßartigsten ist und bleibt sie aber doch, wie mir scheinen will in drei Dingen, nämlich in der Unendlichkeit des Meeres, in der Pracht ihres Sternenhimmels und in dem gewaltigen Riesenbau ihrer Berge. Meinst du nicht auch? Ich habe die Berge unaussprechlich lieb, wennschon ich nur zu ihnen empor zu blicken vermag, ohne sie besteigen zu können.«
»Wir müssen leider an gar vielen schönen, wunderbaren Dingen vorübergehen, ohne sie näher in Augenschein nehmen zu können, auch uns Gesunden passiert das, liebes Phinchen.«
»O ja gewiß, ich weiß das, ich wollte auch damit keine Klage aussprechen.«
»Du klagst wohl nie?«
Sie lächelte; »hältst du mich für so vollkommen, daß ich klagelos durch's Leben käme? Aber um Gotteswillen, Hermann,« sie umklammerte seine Arme, »was ist's mit den Pferden?«
Sie hatten soeben das Ende des Parkes, den sie zuerst in Kreisen umfahren hatten, erreicht und wollten nach der offenen Landstraße einlenken, als ihnen ein großer, leerer Wagen mit zwei Pferden bespannt, offenbar vom Acker her, mit ziemlichem Gepolter und Gerassel entgegen kam, hart an der Equipage vorüber.
Das eine Pferd sprang erschreckt seitwärts und riß das andere mit sich. Leider war Hermann mit der Eigenart dieser beiden ungemein feinfühligen Tiere nicht genügend bekannt, wohl hatte er schon manches Pferd in der Manege zugeritten und eingefahren, wohl war es ihm schon öfters gelungen, störrische Pferde zur Vernunft zu zwingen, so daß sie schließlich wie die Lämmer gehorchten – aber hier ließ ihn seine doch noch junge Erfahrung im Stiche. Auch die Angst, daß Seraphine etwas zustoßen konnte, mochte dabei in's Gewicht fallen, er versuchte erst gute und sanfte, dann strenge Worte, er zog die Zügel strammer an, er machte zuletzt von der Peitsche Gebrauch, und das war wohl das schlimmste von allem – die Pferde hatten ihm vollends jede Spur von Gehorsam gekündet und rasten auf der breiten Landstraße dahin, wie auf Windesflügeln, über alles hinwegsetzend, alles hinter sich zurücklassend, widerspenstig, unaufhaltsam.
Seraphine hatte anfangs mehr Mut und Entschlossenheit bewiesen, als man von dem zarten Wesen hätte voraussetzen mögen. Sie ermutigte sogar ihren Vetter, dem der Angstschweiß auf der Stirne perlte, mit ruhigen Worten »er möge nicht allzuschwer besorgt sein, hier auf flacher Straße könne ihnen ja nichts geschehen,« – dennoch wurden ihre Wangen immer bleicher, ihre Augen immer starrer, die Hände legten sich krampfhaft auf dem Schoße zusammen, wie zum Gebete. Sie sah sich einer großen, geheimnisvollen Gefahr gegenüber, sah dieselbe näher und näher kommen ohne Hilfe, ohne Ausweg.
Die Pferde rasten dahin, dem Dorfe zu, jenseits des Parkes, an einzelnen Häusern vorüber – und jetzt direkt dem Wasser entgegen!
Mit aller Gewalt suchte Hermann die ungestümen Tiere zu bändigen, es gelang ihm nicht; bisher hatte er alles aufgeboten, Seraphine zum Sitzenbleiben zu bewegen und sie hatte willig gefolgt, aber nun wurden sie in anderer Weise bedroht.
Die Tiere näherten sich nämlich einer schmalen Holzbrücke, neben der es bergabwärts ging, hinab in die nasse, schaurige Tiefe. In einem der naheliegenden Häuser hatte man die große Gefahr bemerkt und lief eilends zur Hilfe herbei, ob rechtzeitig genug? Nur wenige Schritte noch und Pferde und Wagen mußten samt ihren Insassen in's Wasser stürzen.
Da führte eine göttliche Fügung, so sagte sie später, und ließ dabei keinen Zufall gelten, Rita gerade dieses Weges nach hause, als sie in dem eilenden, herbeisausenden Gefährte den gräflichen Wagen, noch dazu den ihrer heißgeliebten Komtesse erkannte und zugleich die größte Gefahr, in der dieselbe schwebte. Ihr nächster Gedanke war, sie um jeden Preis zu retten.
Man hatte schon oft gesagt, sie habe Muskeln von Stahl, und mochte sie diese den vielen Turn- und Kletterübungen ihrer Kindheit, überhaupt der unbeschränkten Freiheit ihrer Bewegungen verdanken, woran sie gewöhnt war; niemals war sie beim Raufen dem Gegner gleichen Alters unterlegen, im Gegenteile nahm sie es keck mit jedem auf, selbst mit solchen, die größer und älter waren, als sie.
Die furchtbare Angst und Erregung dieses Augenblicks aber verlieh ihr fast übermenschliche Kräfte. Sie wußte von ihrem Großvater, daß man scheue Pferde sowohl, als Haustiere am besten beruhige, wenn man ihnen etwas über den Kopf werfe, das sie am Sehen hindert. In ihrer Herzensangst riß sie ihre Schürze ab, warf sie dem ihr nächsten Ponny über, erfaßte aber zugleich den niederhängenden Zügel und zog ihn gewaltsam gegen sich. Zwar wurde sie selbst dabei zu Boden geworfen und noch einige Schritte weit mit fortgeschleift, aber schon dieser kleine Zwischenfall hatte genügt, daß Hermann abspringen und die Zügel packen konnte, auch erreichten die zu Hilfe Eilenden wirklich die Unfallstätte, und es gelang ihrer vereinten Anstrengung, die Pferde zu besänftigen. Der Wagen stand jetzt quer über dem Wege, dicht am Uferabhange, die zitternden Tiere hielten schweiß- und schaumbedeckt inne, unter ihnen jedoch lag bleich und regungslos eine weibliche Gestalt, die aus einer Wunde im Gesichte blutete.
Als sich Hermann bückte, um sie aufzurichten, erkannte er in ihr – Rita, die Enkelin des alten Klaus.
Von allen Seiten liefen nun die Leute zusammen, ein verlässiger Bote wurde nach den gräflichen Stallungen geschickt, Pferde und Wagen zu holen. Rita trug ein kräftiger Bursche auf seinen Armen zu den Großeltern in deren nahe gelegene Wohnung, die junge Gräfin aber brachte man zunächst im besten Bauernhause unter, damit sie hier bis zur Ankunft eines Wagens von ihrem großen Schrecken ausruhen möge. Sie war nicht bewußtlos geworden, sondern hatte sich mit äußerster Willenskraft aufrecht gehalten, doch war sie von dem überstandenen Schrecken furchtbar angegriffen, und vermochte sich nicht auf den Füßen zu halten.
Hermann übernahm es selbst, ihren Eltern genauen Bericht über den ganzen Vorfall abzustatten, und diese waren in Kathrinens Begleitung mit einem bequemen Wagen wiedergekommen, um sie heimzuholen.
Die Gräfin zitterte an allen Gliedern, als sie ihr totblasses Kind erblickte und brach in Thränen aus: »Seraphine, meine heißgeliebte Seraphine! um Gott welch' eine entsetzliche Gefahr!«
»Er hat sie glücklich abgewendet, liebe Mutter! und unsere arme Rita,« erwiderte die Komtesse mit schwacher Stimme, dann aber verließ sie die bisher so mutig bewahrte Kraft, und sie sank in tiefe Ohnmacht. So ward sie nach dem Schlosse zurückgebracht.