Arthur Graf Gobineau
Asiatische Novellen
Arthur Graf Gobineau

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Der Turkmenenkrieg

Ich heiße Ghulam-Hussein. Aber da dies der Name meines Großvaters war, und natürlich meine Eltern, wenn sie von ihm sprachen, immer sagten »Aga«, das heißt Gnaden, so nannte man mich bloß Aga, aus Hochachtung für das Haupt der Familie, dessen Name sich nicht so obenhin aussprechen läßt; und so heiße ich denn, wie die unzähligen Landsleute, welche ich in der Welt habe und welche auf den Namm Aga hören, aus demselben Grunde, weil ihre Großväter gleich ihnen Ali, Hassan, Mohammed oder Gott weiß wie hießen. So bin ich also Aga. Mit der Zeit, als das Glück mir gelächelt, das heißt, als ich einen ziemlich anständigen Rock und einige Schahis in der Tasche hatte, habe ich es für angemessen befunden, mir den Titel »Beg« beizulegen. Aga-Beg klingt nicht übel. Leider bin ich für gewöhnlich so wenig vom Glücke begünstigt gewesen, daß mein Titel Beg bei manchen Gelegenheiten vor der armseligen Beschaffenheit meines Aufzugs verschwunden ist. In diesem Falle bin ich zu Baba-Aga, Onkel Aga, geworden. Ich habe mich darein ergeben. Seit Umstände, bei denen, ich gestehe es, mein Wille in keiner Weise ins Gewicht fiel, mir erlaubt haben, in der heiligen Stadt Meschhed das Grabmal der Imams zu besuchen und, so oft ich nur konnte, die Suppe der Moschee zu essen, hat es mir vor allem natürlich geschienen, mich mit dem Titel Meschhedi, Pilgrim von Meschhed, zu schmücken. Das gibt das Ansehen eines frommen, ernsten und gesetzten Mannes. So habe ich das Glück, mich, bald unter dem Namen Baba-Meschhedi-Aga, oder auch unter dem, welchen ich vorziehe, Meschhedi-Aga-Beg allgemein bekannt zu sehen. Aber Gott lenkt alles, wie es ihm gefällt!

Ich bin geboren in einem kleinen Dorfe von Khamseh, einer Provinz, welche an Azerbeidschan grenzt. Mein Dorf liegt am Fuße der Berge, in einem reizenden kleinen Tale mit vielen murmelnden Bächen, die durch das hohe Gras dahinfließen, wobei sie vor Freude plätschern und über die glatten Steine wegsetzen. Ihre Ufer sind sozusagen gesperrt von dichten Weiden, deren Laub so grün und frisch ist, daß es ein Vergnügen anzusehen ist, und die Vögel nisten darin in Masse und machen ein Durcheinander darin, daß einem das Herz lacht. Es gibt nichts Ungenehmeres in der Welt, als sich unter dies kühle Obdach zu setzen und einen guten Kalian voll duftender Dampfwolken zu rauchen. Man baute bei uns viel Getreide; wir hatten auch Reisfelder und Zwergbaumwolle, deren zarte Stämmchen durch schachbrettförmig herumgepflanzte Ölnußbäume sorgfältig gegen die Sommerhitze geschützt waren; ihre breiten Blätter bildeten Sonnenschirme über den weißen Flocken ihrer Kameraden. Ein Mustofi, Staatsrat von Teheran, ein reicher und angesehener Mann, namens Abdul Hamid-Khan, bezog die Einkünfte des Dorfes. Er beschützte uns sorgfältig, so daß wir weder vom Statthalter von Khamseh noch von irgend jemand etwas zu fürchten hatten. Wir waren vollkommen glücklich.

Was mich anlangt, so gestehe ich, daß die Feldarbeit mir nicht zusagte, und es machte mir unendlich viel mehr Freude, die Trauben, Wassermelonen, Melonen und Aprikosen zu kosten, als mich mit ihrer Zucht zu befassen. Auch war ich kaum fünfzehn Jahre alt, als ich mich einem Stande gewidmet hatte, welcher mir weit besser gefiel, als das Bauernleben. Ich war Jäger geworden. Ich schoß die Rebhühner, die Birkhühner, die Haselhühner herunter, ich suchte die Gazellen und die Rehe im Gebirge auf; ich tötete hin und wieder einen Hasen, aber es lag mir nicht viel daran, weil dieses Tier die schlechte Gewohnheit hat, sich von Kadavern zu nähren, daher niemand es gern ißt(?); und da es schwer ist, ihn loszuschlagen, so bedeutet auf ihn schießen sein Pulver umsonst verknallen. Allmählich dehnte ich meine Streifzüge sehr weit aus, indem ich bis tief hinein in die Wälder von Ghylan hinabstieg; ich lernte von den gewandten Schützen dieses Landes, nie einen Fehlschuß zu tun, was mir, wie ihnen, das Selbstvertrauen eingab, auf den Anstand nach Tigern und Panthern zu gehen. Das sind tüchtige Tiere, und ihre Felle verkaufen sich gut. So wäre ich denn ein mit seinem Geschick äußerst zufriedener Mann gewesen, indem ich mit meinem Handwerk mir die Zeit vertrieb und Geld genug verdiente, was ich natürlich weder meinem Vater, noch meiner Mutter sagte, wenn ich mich nicht plötzlich verliebt hätte, was alles verdarb. Gott ist der Herr!

Ich hatte eine kleine Base im Alter von vierzehn Jahren, welche Leïla hieß. Ich begegnete ihr sehr gern und begegnete ihr sehr oft. Da wir uns eine Menge Dinge zu sagen hatten und nicht gerne dabei unterbrochen waren, so hatten wir uns unter den Weiden, welche den Hauptbach umsäumten, an der dichtesten Stelle einen köstlichen Schlupfwinkel ausgesucht, und wir blieben dort stundenlang, ohne die Länge der Zeit gewahr zu werden. Anfangs war ich sehr glücklich, aber ich dachte so viel, so über die Maßen viel an Leïla, daß ich, wenn ich sie nicht sah, Ungeduld und Unruhe verspürte, und hierhin und dorthin lief, um sie aufzufinden. So entdeckte ich ein Geheimnis, welches mich in einen Abgrund des Kummers stürzte; ich bemerkte, daß ich nicht der einzige war, dem sie Stelldicheins gab.

Sie war so treuherzig, so nett, so gut, so zärtlich, daß ich sie nicht einen einzigen Augenblick im Verdachte der Untreue hatte. Dieser Gedanke würde mir den Tod gebracht haben. Dennoch war ich sehr aufgebracht, da ich fand, daß andere sie beschäftigen, vergnügen, zum mindesten zerstreuen konnten, und nachdem ich mich lange gefragt, ob ich ihr meinen Kummer anvertrauen dürfe, was mich demütigte, und mir eingestanden hatte, daß ich mich nicht beklagen dürfe, sagte ich ihr alles.

– Siehst du, Tochter meines Oheims, rief ich eines Tages, und weinte heiße Tränen dabei, mein Leben geht dahin, und in einigen Tagen wird man mich auf den Friedhof tragen! Du plauderst mit Hassan, du redest mit Kerim, du lachst mit Suleiman, und ich bin fast gewiß, daß du Abdullah einen Klaps gegeben hast! Ich weiß wohl, daß kein Arg dabei ist, und daß sie alle deine Vettern sind, wie ich, und daß du nicht imstande bist, die Eide zu vergessen, die du mir geschworen hast, nur mich allein zu lieben, und daß du mir keinen Schmerz bereiten willst! Aber bei alledem, ich leide, ich gebe den Geist auf, ich sterbe, ich bin tot, sie haben mich begraben, du wirst mich nicht wiedersehen! O Leïla, meine Liebste, mein Herz, mein Schatz, habe Mitleid mit deinem Sklaven, er ist äußerst unglücklich!

Und indem ich diese Worte aussprach, vergoß ich noch einmal so viele Tränen, brach in Wehrufe aus, warf meine Mütze weg, gab mir Faustschläge auf den Kopf und wälzte mich auf der Erde.

Leïla zeigte sich tief ergriffen beim Anblick meiner Verzweiflung, sie warf sich mir an den Hals, küßte mich auf die Augen und erwiderte mir: vergib mir, mein Licht, ich habe unrecht gehabt, aber ich schwöre dir bei allem, was es Heiligstes gibt, bei Ali, bei den Imams, beim Propheten, bei Gott, bei deinem Haupte, daß ich's nicht wieder tun will, und zum Beweise, daß ich dir Wort halte, sollst du mich sogleich von meinem Vater zur Ehe erbitten! Ich will keinen andern Gebieter als dich, und ich will dir gehören alle Tage meines Lebens!

Und sie fing wieder an mich zu küssen, heftiger als zuvor. Ich für mein Teil wurde sehr unruhig und bekümmert. Gewiß liebte ich sie wohl, aber ich hatte ihr nie gesagt, daß ich Geld hatte, weil ich Angst hatte, sie möchte es haben wollen, und es möchte ihr gelingen, mir es abzunehmen. Sie von meinem Oheim zur Ehe erbitten bedeutete die unvermeidliche Verpflichtung, meinem Vater, meiner Mutter, meiner ganzen Verwandtschaft, ebenso gut wie ihr selbst, das Dasein meines kleinen Schatzes zu gestehen. Was sollte dann aus mir werden? Ich war ein ruinierter Mann! Anderseits hatte ich ein außerordentliches Verlangen, Leïla zu heiraten, was mich mit dem höchsten Glücke, das sich in dieser und in der andern Welt denken läßt, überhäufen mußte. Überdies hatte ich dann von den Dienstbeflissenheiten Hassans, Kerims, Suleimans und Abdullahs, welche mich langsam zu Tode marterten, nichts mehr zu fürchten. Dennoch hatte ich noch keine Lust, mein Geld herzugeben, und ich sah mich in einer so großen Verlegenheit, daß mein Schluchzen zunahm und ich Leïla, von einer unaussprechlichen Angst überwältigt, in meine Arme schloß.

Sie glaubte, daß sie allein die Ursache dieser leidenschaftlichen Aufwallungen wäre, und sie sprach zu mir: mein Leben, warum hast du so großen Kummer in dem Augenblicke, da du weißt, daß du mich besitzen wirst?

Ihre Stimme drang mir so lieblich auf den Herzensgrund, als sie diese Worte aussprach, daß ich anfing, den Kopf zu verlieren, und ich erwiderte: weil ich so arm bin, daß ich selbst den Rock, den ich trage, schuldig bin! Ich schwöre bei deinem Haupte, daß ich nicht imstande gewesen bin, ihn zu bezahlen, obgleich er sicherlich keine fünf Sahabgrans wert ist! Wie soll ich da meinem Oheim die Aussteuer bezahlen, die er von mir verlangen wird? Wenn er sich mit einer Verschreibung begnügen wollte! . . . Glaubst du, daß das unmöglich wäre?

– O! unmöglich! Ganz unmöglich! erwiderte Leïla, den Kopf schüttelnd. Wie sollte mein Vater eine so hübsche Tochter wie mich für nichts dahingehen? Man muß auch vernünftig sein.

Indem sie dies sagte, fing sie an aufs Wasser zu blicken und mit zerstreuter Hand einige kleine Blümchen zu pflücken, welche am Ufer entlang im Grase wuchsen; zu gleicher Zeit zog sie ein so artiges Mäulchen, daß ich mich außer mir fühlte. Indessen antwortete ich klugerweise: das ist ein sehr großes Unglück! Ach! Ich besitze nichts in der Welt!

– Ist das wirklich wahr? sagte sie und warf ihre Arme um meinen Hals, wobei sie mich, das Haupt zur Seite geneigt, mit einer Miene ansah, daß ich, ohne zu wissen wie und völlig den Verstand verlierend, murmelte: ich habe dreißig Goldtomans zwei Schritte von hier vergraben.

Und ich zeigte ihr mit dem Finger den Baumstamm, an dessen Fuße ich meinen Schatz eingescharrt hatte.

Sie fing an zu lachen, während ein kalter Schweiß mir von der Stirne floß. – Lügner! rief sie, indem sie mir einen Kuß auf die Augen gab: wie wenig du mich liebst! Nur durch viele Bitten bringe ich die Wahrheit aus dir heraus! Jetzt suche meinen Vater auf und begehre mich von ihm. Du versprichst ihm sieben, und gibst ihm fünf, indem du ihm schwörst, daß du ihm die beiden andern später bringen werdest. Er soll sie nie zu sehen bekommen. Ich für mein Teil will es schon fertig bringen, ihm zwei davon abzuluchsen, die ich dir dann wieder zurückbringe, und auf diese Weise werde ich dir nur drei Tomans gekostet haben. Siehst du nicht, wie sehr ich dich liebe?

Ich war entzückt von diesem Schlusse und beeilte mich, meinen Oheim aufzusuchen. Nach zweitägigen Verhandlungen, bei welchen meinerseits viele Bitten, Eide und Tränen mit unterliefen, kam ich endlich zum Ziele und heiratete meine vielgeliebte Leïla. Sie war so reizend, sie hatte eine so vollendete Kunst, ihren Willen durchzusetzen (später erfuhr ich, wie sie das anfing und woher diese so unwiderstehliche Macht kam), daß, als mich Leïla einige Tage nach der Hochzeit überredet hatte, mich mit ihr in Zendschan, der Hauptstadt der Provinz niederzulassen, sie es fertig brachte, sich noch einen prächtigen Esel von ihrem Vater geben zu lassen und überdies ihm einen schönen Teppich mit fortzunehmen, ohne ihn um Erlaubnis darum zu fragen. Sie ist unbestreitbar die Perle der Frauen.

Wir waren kaum an unserem neuen Wohnort eingerichtet, wo wir, dank den fünfundzwanzig Tomans, die mir blieben, ein lustiges Leben zu führen begannen, weil Leïla sich amüsieren wollte und ich selbst sehr damit einverstanden war, als wir Kerim eintreffen sahen, einen ihrer Vettern, auf die ich so eifersüchtig gewesen war. Im ersten Augenblick hatte ich einige Anwandlungen, es noch zu sein; aber meine Frau machte sich so gehörig über mich lustig, daß sie mich selbst zum Lachen brachte, und überdies war Kerim ein so guter Junge! Ich faßte eine außerordentliche Freundschaft für ihn, und, offen gestanden, er verdiente es; denn nie habe ich einen solchen Erzschäker gesehen; er hatte uns immer Geschichten zu erzählen, daß ich hätte bersten mögen. Wir brachten ein gutes Teil der Nächte damit zu, Raki zusammen zu trinken, und schließlich war er auf mein Bitten im Hause wohnen geblieben.

Ein Vierteljahr lang gingen die Dinge so recht gut. Dann wurde ich übler Laune. Es kamen Dinge vor, die mir mißfielen.

Was? das kann ich nicht sagen; aber Leïla ärgerte mich, und ich fing an, zu untersuchen, warum ich mir so sehr den Kopf von ihr hatte verdrehen lassen. Ich entdeckte eines Tages den Grund davon, als ich meine Mütze flickte, deren Futter aufgerissen war. Da fand ich mit Erstaunen ein Päckchen, bestehend aus Seiden-, Wollen- und Baumwollengarn von verschiedenen Farben, welchem eine Haarlocke genau in der Farbe derjenigen meiner Frau beigemengt war, und es wurde mir nicht schwer, den Talisman zu erkennen, welcher mich bezaubert hielt. Ich beeilte mich, diese verhängnisvollen Gegenstände zu beseitigen, und als ich meine Mütze wieder auf den Kopf setzte, hatten meine Gedanken einen ganz anderen Lauf genommen; ich kümmerte mich um Leïla nicht mehr, als um die erste beste andere. Dagegen vermißte ich schmerzlich meine dreißig Tomans, von denen mir nicht sonderlich viel übrig geblieben, und das machte mich träumerisch und grämlich. Leïla bemerkte es. Sie wollte mit mir kokettieren, wogegen ich aber vollkommen unempfindlich blieb, wie das ja natürlich war, weil ihre Zauberkünste nichts mehr über mich vermochten; darauf wurde sie böse, Kerim mischte sich hinein, es entstand ein Streit daraus. Ich weiß nicht genau, was ich sagte, noch was mein Vetter antwortete, aber ich zog meinen Gama und wollte ihm einen ordentlichen Stich durch den Leib geben. Er kam mir zuvor und brachte mir mit dem seinigen, den er erhoben hatte, eine Schnittwunde am Kopfe bei, daraus das Blut reichlich zu fließen begann. Auf Leïlas entsetzliches Geschrei eilten die Nachbarn herbei, und mit ihnen die Polizei, so daß man schon an den unglücklichen Kerim Hand anlegen wollte, um ihn ins Gefängnis zu führen, als ich ausrief: o Gott! um Gott! bei Gott! Rührt ihn nicht an! Er ist mein Vetter, er ist der Sohn meiner Tante! Er ist mein Freund und das Licht meiner Augen! mein Blut ist ihm vergönnt!

Ich liebte Kerim sehr, unendlich viel mehr als Leïla, und wäre untröstlich gewesen, wenn ihm wegen einer elenden Geschichte, die uns meines Erachtens völlig freistand untereinander auszumachen, ein Unglück begegnet wäre. Ich sprach mit soviel Beredsamkeit, daß, wiewohl mir das Blut übers Gesicht rann, am Ende doch alles sich beruhigte: man ließ uns allein, Kerim verband meine Wunde, wie auch Leïla, wir umarmten uns alle drei, ich legte mich nieder und schlief ein.

Am folgenden Tage wurde ich vom Ketkhoda oder Beamten des Viertels vorgeladen, welcher mir mitteilte, daß ich unter die Leute, welche ausersehen wären, Soldaten zu werden, mit aufgenommen sei. Ich hätte darauf oder auf etwas Ähnliches gefaßt sein sollen. Niemand kannte mich in Jendschan, wo ich fremd war; ich hatte dort keinen Beschützer. Wie hätte ich nicht mit zu allererst in ein solches Loch fallen sollen, wo jeder natürlich sich beeilt hatte, mich hineinzustoßen, um sich oder die Seinigen zu befreien? Ich wollte schreien und Vorstellungen machen; aber ohne sich weiter aufzuregen, ließ mich der Ketkhoda an den Felekeh festbinden. Man warf mich auf den Rücken; zwei Ferraschs nahmen die Enden des Stockes und hielten mir die Füße in die Höhe, zwei Büttel schwangen mit grimmiger Miene jeder ein Rutenbündel und verabreichten dem Stock, an welchem ich festgebunden war, eine Tracht Prügel, weil ich ihnen im Fallen jedem einen Sahabgran in die flache Hand hatte gleiten lassen.

Freilich begriff ich darum nicht weniger hinfort sehr wohl, auf was ich mich gefaßt zu halten hätte, wenn ich versuchte, mich länger gegen mein Geschick aufzulehnen. Sodann überlegte ich mir, daß ich keinen Groschen besäße, daß ich nicht wüßte, wo ein noch aus; daß es vielleicht langweilig wäre, rechtsum und linksum und die lächerlichen Marschübungen zu machen, welche man die Fußsoldaten auszuführen zwingt, aber daß es schließlich doch auch in diesem Metier vielleicht Tröstungen und Sporteln gäbe, die ich noch nicht kannte. Endlich, und vor allem, machte ich mir klar, daß ich meinem Geschick nicht entrinnen könne, und daß, da mein Geschick sei, Soldat zu werden, ich mich darein ergeben und gute Miene machen müsse.

Als Leïla vernahm, was mir begegnet, erhob sie ein entsetzliches Zetergeschrei, gab sich Faustschläge ins Gesicht und auf die Brust und riß sich was vom Haupte. Ich tröstete sie, so gut ich konnte, und auch Kerim tat sein möglichstes dazu. Sie ließ sich am Ende überreden, und da ich sie in einer ruhigeren Stimmung sah, hielt ich folgende Rede: Licht meiner Augen, alle Propheten, die Imams, die Heiligen, die Engel und Gott selbst sind meine Zeugen, daß ich nur bei dir leben kann, und hätte ich dich nicht, ich schwöre es bei deinem Haupte, so wäre ich wie tot und weit schlimmer! In dieser traurigen Verfassung habe ich mich nur mit deinem Glücke befaßt, und da ich von dannen muß, was soll da aus dir werden? Das Klügste ist, daß du deine Freiheit wiederbekommst und einen Gatten finden mögest, der weniger unglücklich ist als ich!

– Teurer Aga, antwortete sie mir, indem sie mich umarmte, was du an unendlicher Liebe für mich empfindest, das habe ich ebenso in meinem Herzen für einen so teuren und angebeteten Gatten, wie der meine, und da, vermöge einer natürlichen Wirkung der Tatsache, daß die Frauen dem, was sie lieben, weit mehr hingegeben sind als die Männer, ich noch viel geneigter, bin mich aufzuopfern, als du es sein kannst; so denke ich denn, ich werde um jeden Preis besser tun, dir deine Freiheit zurückzugeben. Was mich anlangt, so ist mein Schicksal bestimmt: ich werde hier bleiben, um zu weinen, bis keine einzige Träne mehr in meinem armen Leibe vorhanden ist, und dann werde ich verscheiden.

Bei diesen traurigen Worten fingen Leïla, Kerim und ich in Kompanie an zu seufzen. Man hätte uns alle drei einander gegenüber auf dem Teppich sitzen sehen können, wie wir, mit einem Baggali Raki in blauer Flasche zwischen uns und unseren drei Schalen, unsere Häupter hin und her bewegten und jammervolle Klagerufe ausstießen, unterbrochen von Ausrufungen: Ya Ali! Ya Hassan! Ya Hussein! o mein Auge! o mein Leben! Ich bin des Todes!

Dann nahmen wir uns in den Arm und fingen von neuem an zu schluchzen. Leïla und ich beteten uns wirklich an, und nie hat der allmächtige Gott ein treueres Weib geschaffen, noch wird er es schaffen können. Ach ja! ach ja! das muß wahr sein, und ich kann mich noch der Tränen nicht erwehren, wenn ich daran denke!

Am folgenden Morgen begaben sich meine teure Gattin und ich zu guter Stunde zum Mulla und ließen die Scheidungsurkunde aufsetzen, dann ging sie nach Hause, nachdem sie mir aufs zärtlichste Lebewohl gesagt hatte. Ich meinesteils begab mich ganz geradeswegs zum Bazar, in die Bude eines armenischen Schnapshändlers, wo ich sicher war, Kerim zu treffen. Ich hatte seit drei Tagen einen Gedanken, der inmitten meiner Kümmernisse doch noch immer mich stark beschäftigte.

– Kerim, sagte ich zu ihm, ich habe die Absicht, mich heute vor meinem Sultan, das heißt meinem Kapitän, zu präsentieren. Wie ich höre, soll er ein kritteliger Mann sein, der etwas in der Feinheit sucht. Wenn ich ihm in diesem löcherigen und fleckigen Rocke, den ich anhabe, meine Aufwartung mache, wird er mich sehr übel aufnehmen, und dieser unangenehme Anfang kann dann einen sehr unglücklichen Einfluß auf meine militärische Zukunft haben. Ich bitte dich daher, mir für diese wichtige Gelegenheit deinen neuen Kulidscheh zu leihen.

– Mein guter Aga, antwortete mir Kerim, ich kann dir deinen Wunsch durchaus nicht erfüllen. Ich habe heute etwas Wichtiges vor; ich verheirate mich, und da muß ich, des Ansehens bei meinen Freunden willen, durchaus neue Kleider anhaben. Überdies hänge ich außerordentlich an meinem Kulidscheh; er ist von gelbem, gewalktem Hamadaner Tuch, mit einer hübschen Borte von Kandaharer Seide besetzt; es ist das Werk Baba-Tahers, des Schneiders, der für die größten Herren der Provinz arbeitet, und er hat mir selbst versichert, daß er nie etwas so Vollkommenes verfertigt hat. So bin ich denn entschlossen, nach meiner Hochzeitsfeierlichkeit meinen Kulidscheh zu verpfänden, weil ich, der ich heute kein Geld habe, morgen viele Schulden haben werde, und du begreifst demzufolge, daß ich, selbst um dir zu gefallen, mich meiner einzigen Hilfsquelle nicht würde berauben können.

– Dann, erwiderte ich, indem ich mich der tiefsten Verzweiflung überließ (denn in der Tat, dieser Kulidscheh setzte mich in Entzücken, und ich dachte nur hieran), dann bin ich ein verlorener, ruinierter, von der ganzen Welt verlassener Mann, ohne irgend jemand, der sich im mindesten um meine Leiden kümmerte. Diese schmerzlichen Worte rührten meinen Freund. Er begann mir zuzureden; er sagte mir alles, was er Tröstliches ersinnen konnte, fuhr fort, sich wegen seiner Verheiratung, wegen seiner offenkundigen Armut, und noch wegen tausend anderer Dinge zu entschuldigen, und am Ende, da er mich so verzweifelt sah, ließ er sich erweichen und warf mir folgende trostreiche Worte zu: wenn ich sicher wäre, daß du mir meinen Kulidscheh in einer Stunde wiedergäbest!

– Bei was soll ich es dir schwören? antwortete ich voll Feuer.

– Du gibst ihn mir wieder?

– Sofort! Vor Ablauf einer Stunde! Nur so lange, um mich zu zeigen und wieder zurückzukommen! Bei deinem Haupte! Bei meinen Augen! Bei Leïlas Leben! Bei meinem Heile! Möchte ich während der ganzen Ewigkeit brennen wie ein verdammter Hund, wenn du deinen Rock nicht wiederhast, ehe du sein nur begehrt hast!

– Dann komm.

– Er führte mich in sein Zimmer, und ich sah das prächtige Gewand. Es war gelb! Es war herrlich! Ich war entzückt; ich legte es flink an. Kerim rief aus, es wäre ein Rock, wie man ihn nicht wiedersähe, der Schneider wäre ein bewunderungswürdiger Mann, und sicherlich würde er ihn aus Dankbarkeit eines Tages bezahlen.

– Aber, setzte er hinzu, es ist nicht möglich, ohne Unehre einen solchen Rock zu zerrissenen blauleinenen Hosen zu tragen. Hier meine neuen rotseidenen Schalvars.

– Ich zog sie mit Windeseile an. Ich spazierte zwei Stunden lang in allen Bazaren herum. Die Frauen sahen mich an. Ich war auf dem Gipfel des Glückes. Ich begegnete darauf zwei Burschen, welche gleich mir für das Regiment angeworben waren. Wir gingen zusammen zu einem Juden, uns zu erfrischen. Sie wollten am nämlichen Abend nach Teheran aufbrechen und zur Truppe stoßen. Ich beschloß, mich mit ihnen fortzumachen, und nachdem ich mir von dem einen von ihnen einige Kleidungsstücke, und vom andern das übrige geborgt hatte, legte ich meinen prachtvollen Anzug sorgfältig zusammen; während der Jude den Rücken gewandt hatte, gewannen wir die Tür, dann die Straße, dann den Ausgang der Stadt, und, über allerhand Schnurren, die wir vorbrachten, aus vollem Halse lachend, traten wir in die Wüste ein und marschierten die halbe Nacht.

Unsere Reise war sehr lustig, sehr glücklich, und ich fing an, zu finden, daß das Soldatenleben mir vollkommen gefiel. Einer meiner beiden Gefährten, Rustem-Beg, war Bekyl, Sergeant einer Kompagnie. Er schlug mir vor, unter ihm einzutreten, und ich nahm mit Eifer an.

– Siehst du, Bruder, sagte er mir, die Dummköpfe bilden sich ein, daß es ein großes Unglück sei, Soldat zu sein. Verfalle nicht in diesen Irrtum. Es gibt nichts Unglückliches in dieser Welt als die Tröpfe. Du bist keiner und ich auch nicht, und auch Khurschyd hier nicht. Verstehst du ein Handwerk?

– Ich bin Jäger.

– In Teheran ist das keine Erwerbsquelle. Werde Maurer; er ist Schmied, unser Freund Khurschyd, ich, ich bin Wollkämmer. Du gibst mir ein Viertel deines Soldes; der Sultan bekommt die Hälfte in seiner Eigenschaft als Kapitän; du machst von Zeit zu Zeit dem Nayb oder Leutnant ein kleines Geschenk, der nicht übermäßig fein, aber auch nicht böse ist; der Oberst nimmt natürlich den Rest, und du lebst wie ein König mit dem, was du verdienst.

– So verdienen die Maurer viel in Teheran?

– Sie verdienen etwas. Aber es gibt außerdem eine Menge Mittel, sich das Leben angenehm zu machen, und ich werde sie dich lehren.

Er lehrte mich unterwegs eines, und das war sehr ergötzlich. Da er seine Vollmacht als Bekyl bei sich hatte, so stellten wir uns in einem Dorfe als Steuereinnehmer vor. Die Bauern ließen sich vollständig von uns übertölpeln und machten uns nach vielen Unterhandlungen ein kleines Geschenk, damit wir einwilligen sollten, die Abgaben nicht zu erheben und ihnen eine Frist von vierzehn Tagen zu geben, was wir gerne bewilligten, und so zogen wir, mit Segenswünschen überhäuft, von dannen. Nach einigen anderen Scherzen der nämlichen Art, welche sämtlich zu unserem Vorteil, zu unserer Belustigung und zu unserem Ruhme ausliefen, hielten wir endlich unseren Einzug in die Hauptstadt durch das Schimiraner Tor, und wir gingen eines schönen Morgens uns unserem Serheng, dem Obersten Mehdi-Khan, vorstellen.

Wir verneigten uns tief vor diesem großen Manne, in dem Augenblicke, wo er über den Hof seines Hauses schritt. Der Bekyl, welcher ihn bereits kannte, stellte uns, Khurschyd und mich, vor und lobte in sehr kräftigen Ausdrücken unsere Tapferkeit, unseren Gehorsam und unsere Ergebenheit gegen unseren Vorgesetzten. Der Oberst schien außerordentlich von uns eingenommen und schickte uns mit einigen gütigen Worten zur Kaserne. Von da an fand ich mich dem zweiten Regiment Khamseh einverleibt.

Ich muß jedoch gestehen, daß gewisse Seiten des Militärlebens ganz und gar nicht heiter sind. Es will nichts sagen, daß man um seinen Sold kommt, und im Grunde, da die Veziere die Generäle aussaugen, so gestehe ich, daß es mir natürlich scheint, daß diese die Obersten aussaugen, welche ihrerseits von den Majoren leben, diese von den Kapitäns, und die Kapitäns von den Leutnants und von ihren Soldaten. Es ist Sache dieser letzteren, auf Mittel zu sinnen, um anderwärts ihren Lebensunterhalt zu finden, und Gott sei Dank verbietet ihnen das niemand. Aber das Böse ist, daß es europäische Exerziermeister gibt, und alle Welt weiß, daß nichts so brutal und albern ist als der eine oder der andere dieser Ferynghys (Franken). Sie führen immer die Worte Anstand und Rechtschaffenheit im Munde und behaupten, sie wollten, daß der Sold des Soldaten regelmäßig ausbezahlt werde. Das wäre nun ja an sich nicht übel; aber dafür möchten sie Lasttiere aus uns machen, was abscheulich wäre, und, gerade herausgesagt, wenn ihnen ihre Pläne gelingen sollten, so wären wir dermaßen zu beklagen, daß das Leben nichts mehr wert wäre. Sie möchten uns z. B. zwingen, tatsächlich in den Kasernen zu wohnen, jede Nacht darin zu schlafen, genau zu den Stunden, die ihre Uhr ihnen anzeigt, heimzukommen und auszugehen: so daß man absolut werden würde wie Maschinen, und man hätte nicht einmal die Möglichkeit mehr, anders als nach dem Takt zu atmen: was Gott doch nicht gewollt hat. Dann würden sie uns alle ohne Unterschied auf dem Platze antreten lassen, sommers in der Sonnenhitze, winters im Regen, zu was? Um die Beine zu heben und zu senken, die Arme hin und her zu bewegen, den Kopf rechts oder links zu drehen. Vallah! Billah! Tallah! Nicht einer unter ihnen wäre imstande, zu erklären, zu was diese Narrenspossen dienen mögen! Was mich anlangt, so gestehe ich, wenn ich einen von diesen Leuten vorbeigehen sehe, so gehe ich aus dem Wege, weil man nie wissen kann, welch ein Anfall von Tollwut sie ergreifen werde. Glücklicherweise hat der Himmel, indem er sie sehr roh schuf, sie zum mindesten ebenso dumm gemacht, so daß man ihnen für gewöhnlich alles aufbinden kann, was man will. Gepriesen sei Gott, der den Muselmännern dieses Schutzmittel gegeben hat!

Ich für mein Teil habe alsobald eingesehen, was es um die europäischen Exerziermeister war, und mich ihnen so fern wie möglich gehalten; da der Vekyl, mein Freund, Sorge getragen hatte, mich dem Sultan zu empfehlen, so ging ich nie zu dem sogenannten Exerzieren, und mein Leben war recht erträglich. Unser Regiment war gekommen, um das Regiment Suleimanyeh, das nach Schiras gesandt worden, zu ersetzen; so gehörte ich denn einem Detachement an, das einen der Wachtposten innehatte. Diese Hunde von Europäern, welche Gott verdammen möge! behaupteten, daß man alle Tage die Posten ablösen und die Leute in die Kaserne zurückschicken müsse. Sie wissen nicht, was sie ersinnen sollen, um den armen Soldaten zu quälen. Glücklicherweise war es dem Obersten nicht darum zu tun, sich beständig ärgern und stören zu lassen, so daß man, einmal auf Wache, sich dort häuslich einrichtet, sich's bequem macht, und nicht für vierundzwanzig Stunden, sondern für zwei oder drei Jahre, kurzum manchmal für die Zelt, daß das Regiment in der Stadt in Garnison liegt, sich daselbst einquartiert.

Unser Posten war ziemlich angenehm. Er nahm die Ecke zweier Alleen des Bazars ein. Es war ein Gebäude, das aus einem Zimmer für den Nayb und aus einem großen Saale für die Soldaten bestand. Es waren keine Fenster darin, sondern nur eine Tür, welche auf eine längs der Straße sich hinziehende Holzgalerie führte, und das ganze war drei Fuß hoch über der Erde. In der Umgebung unseres Bauwerks boten uns viele Läden ihre Reize dar. Da war erstlich ein Obsthändler, welcher seine Trauben, seine Melonen und Wassermelonen in Pyramiden aufgestellt hatte oder sie Gewinde über den Köpfen der Kunden bilden ließ. In einer Ecke des Standes machte sich eine Kiste mit getrockneten Feigen breit, daraus der würdige Kaufmann uns immer etwas zu nehmen erlaubte, wenn wir des Abends mit ihm ins Plaudern über alle Arten von interessanten Gegenständen kamen. Ein wenig weiter wohnte ein Fleischer, welcher uns ausgezeichneten Hammel verkaufte; aber auf ein Viertel, das ihm davon bezahlt wurde, kamen freilich deren vier, deren Verschwinden ein unergründliches Geheimnis für ihn blieb. Er erzählte uns jeden Tag voll Verzweiflung die Entwendungen, deren Opfer er war, und da wir ihm von Zeit zu Zeit einen Dieb brachten, der den Betrug anerkannte, den gestohlenen Gegenstand erstattete und sich Verzeihung erwirkte, so tat er uns nie das Unrecht an, Verdacht gegen uns zu fassen. Ich erinnere mich noch mit Rührung eines Garkochs, dessen Ofen Düfte, würdig eines Paradieses, aushauchten. Er verstand sich auf eine Manier, Kebabs zuzubereiten, welche einfach unnachahmlich war. Jedes Stück Fleisch wurde so gerade richtig geröstet und so gehörig mit den Säften von Lorbeerblättern und Thymian gesättigt, daß man die ganze himmlische Glückseligkeit im Munde zu haben glaubte. Aber einer der Hauptreize unserer Nachbarschaft war vor allem der Märchenerzähler, der sich im Hofe eines verfallenen Hauses niedergelassen hatte; er trug jeden Tag vor einer von Bewunderung durchdrungenen, vor Neugier atemlosen Zuhörerschaft Geschichten von Feen, von Genien, von Prinzen und Prinzessinnen, von gewaltigen Helden vor, das Ganze untermischt mit Stücken in Versen, die so lieblich anzuhören waren, daß man halb närrisch davon schied. Ich habe da viele Stunden verbracht, welche mir unbeschreibliche Wonnen verursacht haben. Mit einem Worte, es ist vollkommen wahr, daß das Leben auf Wache ein äußerst angenehmes ist. Unser Nayb, ein hübscher Bursche, erschien niemals. Nicht allein überließ er seinen gesamten Sold seinen Vorgesetzten, sondern er machte ihnen auch noch artige Geschenke, so daß es mir gestattet war, Pischkedmet, Kammerdiener in einem großen Hause zu sein, was mehr eintrug als seine Leutnantschaft. Der Vekyl, mein Freund, ging jeden Morgen aus, und ich sehe ihn noch in seinen großen Beinkleidern, welche ehedem weiß gewesen waren, in seinem Kamisol von rotem Tuch, das an den Ellenbogen durchlöchert war, seinem Wehrgehänge von ungewisser Farbe, seiner eingetriebenen Mütze, seinen großen Stock in der Hand. Er ging seiner Wege, um sein Handwerk als Wollkämmer zu betreiben und kam oft acht Tage lang nicht nach Hause. Wir andern, die wir nicht wußten, wo übernachten, wir kamen gewöhnlich zwischen Mitternacht und zwei Uhr morgens auf Posten zurück; aber durchgängig waren wir alle um acht oder neun Uhr auf und davon, bis auf einen oder zwei, die aus irgendeinem Grunde einwilligten, das Haus zu hüten. Es ist wohl bekannt, daß die Soldaten auf Wache absolut nur dazu da sind, vor den vornehmen Persönlichkeiten, die vorübergehen, das Gewehr zu präsentieren. Das taten wir denn auch sehr regelmäßig. Wenn sich ein Herr zu Pferde, von Dienern umringt, aus weitester Ferne in einer der Alleen zeigte, die auf unsere Wache mündeten, setzten uns alle Labenbesitzer mit lautem Zuruf davon in Kenntnis. Unsere Abteilung, die aus etwa zwanzig Leuten bestand, hatte nie mehr als vier oder fünf Vertreter, welche natürlich mit Plaudern oder mit Schlafen beschäftigt waren; oft war sogar niemand da. Dann stürzten aus allen Läden Hilfstruppen hervor, welche unsere Flinten aus den Ecken, darein wir sie geworfen, hervorholten, in prächtiger Ordnung in Reih und Glied traten, einer von ihnen machte den Vekyl, einer den Nayb, und alle präsentierten das Gewehr mit der martialischen Gravität der grimmigsten Europäer. Der vornehme Mann verbeugte sich voll Güte, und alles war in Ordnung. Ich erinnere mich mit Vergnügen an diese vortreffliche Wachmannschaft, diese wackeren Nachbarn, an das reizende Leben, das ich damals geführt habe, und ich wünsche lebhaft, daß ich in meinen alten Tagen eine ähnliche Lage wiederfinden möchte. Inschallah! Inschallah!

Nicht daß ich ein viel größerer Stubenhocker gewesen wäre als meine Kameraden. Nach dem Rate des Bekyls war ich Maurer geworden und verdiente in der Tat einiges Geld; was mir aber weit besser gelang, war, solches zu verleihen. Kerims kostbares Gewand, das ich nicht gesäumt hatte, einem Trödler zu verkaufen, hatte mir ein Stammkapital verschafft, und ich fing an, Vorschüsse zu machen, sei es meinen Kameraden, sei es Bekannten, welche ich alsbald mir von allen Seiten zuströmen sah. Ich gewährte nur sehr kleine Darlehen und verlangte sehr rasche Rückzahlung. Solch große Vorsicht war durchaus notwendig, sie hatte auch ziemlichen Erfolg. Indessen begegnete es mir auch, daß ich's mit Schuldnern zu tun hatte, von denen ich nichts erhalten konnte. Um diesen Übelständen die Wage zu halten, entlieh ich selbst und zahlte nicht immer zurück; so daß ich schließlich der Meinung bin, daß ich niemals sonderlich starke Verluste erlitten habe. Inzwischen ließ ich mir's angelegen sein, mich meinen Vorgesetzten angenehm zu machen; ich präsentierte mich manchmal beim Obersten; ich zeigte mich voll Eifer beim Major; ich war, ich darf es wohl sagen, der Freund des Sultans; der Nayb zog mich in sein Vertrauen; ich suchte mir andauernd das Wohlwollen des Bekyls zu erhalten, welchem ich oft kleine Geschenke darbrachte; dies alles gestattete mir, nie einen Fuß in die Kaserne zu setzen; ebensowenig hat man mich beim Exerzieren gesehen, und ich verwandte den Rest meiner Zeit teils auf meine Geschäfte, teils auf meine Vergnügungen, ohne daß jemand etwas dagegen einzuwenden gefunden hätte. Ich gestehe, daß ich gern die Kneipen der Armenier und der Juden besuchte; eines Tages aber, als ich vor dem königlichen Kollegium vorüberging, kam mir die Lust an, dort einzutreten, und ich wohnte im Garten einer Vorlesung des gelehrten Mulla-Aga-Teherany bei. Ich war davon bezaubert. Von diesem Tage an fand ich Gefallen an der Metaphysik, und man sah mich oft unter den Zuhörern dieses famosen Professors. Es war dort übrigens eine auserlesene und zahlreiche Gesellschaft: Studenten, Soldaten wie ich, Nomadenreiter, Herren und Bürger. Wir diskutierten über die Natur der Seele und über das Verhältnis Gottes zum Menschen. Es gab nichts Hinreißenderes. Ich begann damals die Gesellschaft gelehrter und tugendhafter Leute aufzusuchen. Ich verschaffte mir die Bekanntschaft einiger stiller Personen, welche mir gewisse Lehren von großer Tragweite beibrachten, und ich begann zu begreifen, was ich bis dahin nicht getan hatte, daß alles in der Welt quer geht. Es ist unbestreitbar, daß die Reiche von schauderhaften Schurken regiert werden, und wenn man allen diesen Leuten eine Kugel in den Kopf jagte, so ließe man ihnen nur Gerechtigkeit widerfahren; aber zu was? Die, welche nach ihnen kämen, würden schlimmer sein. Gepriesen sei Gott, der – aus Gründen, die wir nicht kennen – gewollt hat, daß Bosheit und Dummheit das Weltall regieren!

Es begegnete mir auch ziemlich oft, daß ich an meine teure Leïla und an meinen vielgeliebten Kerim dachte. Dann fühlte ich, daß die Tränen mir in die Augen stiegen; aber es war nicht von langer Dauer. Ich kehrte zu meinen Schuldnern, zu meinen Gläubigern, zu meiner Maurerarbeit, zu meinen Kneipen, zu meinen Zechbrüdern, zur Philosophie Mulla-Aga-Teheranys zurück, und ich gab mich ganz und gar dem höchsten Willen hin, welcher alles nach seinen Absichten geordnet hat.

Ein Jahr lang ging alles in dieser Weise, das heißt sehr gut. Ich bin ein alter Soldat, und ich kann sagen, daß man nie eine bessere Einrichtung gesehen hat. Eines Abends, nachdem ich drei Tage fortgeblieben, kam ich gegen zehn Uhr auf die Wache zurück und war äußerst erstaunt, dort fast alle meine Kameraden und selbst den Nayb anzutreffen. Sie saßen im Kreise auf der Erde; eine blaue Lampe beleuchtete sie notdürftig, und alle zerflossen in Tränen. Wer aber am heftigsten weinte, war der Nayb.

– Heil sei Euch, Exzellenz! sagte ich zu ihm; was gibt es denn?

– Das Unglück ist über das Regiment hereingebrochen, erwiderte mir der Offizier mit einem Schluchzen. Die erlauchte Regierung hat beschlossen, das Turkmenenvolk zu vertilgen, und wir haben den Befehl, morgen nach Meschhed aufzubrechen!

Bei dieser Nachricht fühlte ich mein Herz sich zusammenpressen, und ich machte es wie die andern: ich setzte mich hin und weinte.

Die Turkmenen sind, wie jedermann weiß, ein furchtbares Volk. Sie machen beständig Einfälle, welche sie »Tjapaô« nennen, in die Provinzen des wohlbehüteten Iran, welche ihren Grenzen benachbart sind, und sie nehmen die armen Bauern zu Hunderten mit. Sie verkaufen diese dann den Uzbeken von Khiwa und Bokhara. Ich finde es natürlich, daß die erlauchte Regierung den Entschluß gefaßt hat, auch den letzten dieser Plünderer auszurotten, aber es war im höchsten Grade verkehrt, unser Regiment dorthin zu schicken. So brachten wir denn einen Teil der Nacht damit hin, uns zu betrüben; da uns jedoch alle diese Verzweiflung nichts nützte, so fingen wir schließlich an zu lachen und waren in bester Laune, als bei Tagesanbruch Mannschaften vom Regiment Damghan kamen, um uns abzulösen. Wir nahmen unsere Gewehre, und nachdem wir eine gute Stunde darauf verwandt hatten, unseren Freunden im Viertel Lebewohl zu sagen, zogen wir aus der Stadt und stießen zum übrigen Regiment, welches vor dem Douleter Tore in Schlachtordnung aufgestellt war. Ich erfuhr damals, daß der König in Person uns Revue passieren lassen würde. Es waren dort vier Regimenter; jedes sollte sich auf tausend Mann belaufen, zählte aber tatsächlich nicht viel mehr als drei- oder vierhundert. Es war das unsrige, das zweite Kamseher, ein Regiment Ispahan, ein anderes von Gum, und das erste Ardebyler; sodann zwei Batterien Artillerie und nahezu tausend Reiter, Sylsupurs, Kakewends und Alawends. Der Anblick war prachtvoll. Unsere rot und weißen Uniformen machten einen prächtigen Eindruck neben den weiß und blauen Anzügen der übrigen Truppenteile; unsere Offiziere hatten enge Beinkleider mit goldenen Streifen und orangefarbene, himmelblaue oder rosa Kulidschehs; dann langten nacheinander an der Myrpendi, Divisionsgeneral, mit seiner Suite; der Emir Tuman, welcher zweimal so viel Mannschaft befehligt, mit einem starken Trupp Reiter; der Sypeh-Salar, noch reicher an Gefolge, und endlich der König der Könige selbst, die Minister, alle die Säulen des Reichs, eine Menge Diener; es war prächtig. Die Trommeln wirbelten mit einem entsetzlichen Spektakel; die europäische Musik spielte im Takt, die Leute mit ihren seltsamen Instrumenten wiegten sich auf der Stelle hin und her, um nicht auseinander zu kommen, die Pfeifen und Tamburins der Kamelartillerie pfiffen und schnarrten; die Menge von Männern, Frauen und Kindern, die uns von allen Seiten umringten, war trunken von Freude, und wir teilten voll Stolz die allgemeine Zufriedenheit.

Plötzlich, nachdem der König mit den großen Herren auf einer Anhöhe Platz genommen, wurde der Befehl gegeben, die Tamaschaoffiziere hierhin und dorthin sprengen zu lassen.

Es ist recht merkwürdig, daß die Europäer, deren Sprachen ebenso abgeschmackt sind wie ihr Sinn, den Vorteil gehabt haben, dieses Wort, das die Sache vollkommen wiedergibt, von uns zu entlehnen. Nur sagen diese Schwachköpfe in ihrer Unfähigkeit, ordentlich auszusprechen, »Etat-Major«. »Tamascha« ist bekanntlich alles, was dazu dient, ein schönes Schauspiel zu geben, und es ist die einzige nützliche Sache, die ich je in der europäischen Taktik bemerkt habe. Aber man muß auch gestehen, daß es allerliebst ist. Sehr hübsche junge Leute, so fein wie nur möglich gekleidet, auf schönen Pferden, setzen sich von allen Seiten her in Bewegung, kommen und gehen, machen kehrt in gestrecktem Galopp; es ist hinreißend anzusehen; sie dürfen nicht im Schritt reiten, das würde den Spaß verderben, es ist eine wunderhübsche Erfindung, Gott sei gepriesen dafür!

Als der König sich eine Zeitlang damit unterhalten hatte, diesen Tamascha anzusehen, wollte man ihm zeigen, wie man die Turkmenen behandeln würde, und zu dem Zwecke hatte man eine Mine bereitet, welche man in die Luft sprengte. Nur nahm man sich nicht die Zeit, zu warten, bis die Soldaten in der Umgegend aufgefordert wären, sich zurückzuziehen, so daß man ihrer drei oder vier tötete; bis auf diesen Zwischenfall verlief alles sehr gut, und es gab viel Spaß. Sodann ließ man drei Ballons aufsteigen, was lautes Händeklatschen hervorrief, und zum Schluß defilierten Infanterie, Kavallerie und Artillerie vor dem Könige vorbei, und am Abend wurde der Befehl gegeben, sich unmittelbar in Marsch zu setzen, was zwei Tage später auch geschah.

Die erste Woche unserer Fahrt verlief gut. Das Regiment rückte am Fuße der Berge entlang in der Richtung nach Nordosten vor. Wir sollten unseren General, unseren Obersten, den Major, den größeren Teil der Kapitäns, nach zweimonatlichem Marsche in Meschhed oder sonstwo antreffen. Wir waren lauter gemeine Soldaten, mit drei oder vier Sultans, den Naybs und unseren Vekyls. Wir marschierten mit gutem Mute. Jeden Tag gegen zwei Uhr morgens begaben wir uns auf den Weg, kamen gegen Mittag an irgendeinem Orte an, wo es Wasser gab, und richteten uns dort ein. Die Kolonne rückte in kleinen Gruppen vor, indem ein jeder sich mit seinen Freunden zusammentat, wie es ihm paßte. Wenn man müde war, hielt man im Marsche inne, schlief sein gehörig Teil, dann stieß man wieder zur Truppe. Wir hatten, nach der Sitte aller Regimenter, eine lange Reihe Esel bei uns, welche unser Gepäck, die Vorräte derjenigen, die solche besaßen, und unsere Gewehre mitsamt unseren Patronentaschen trugen, denn Ihr könnt wohl denken, daß niemand so dumm war, sich unterwegs mit seinen Waffen zu beschweren; zu was auch? Einige Offiziere besaßen für sich allein zehn oder zwölf Esel, aber zwei Soldaten von unserer Kompanie besaßen deren zwanzig, die sie zu Teheran im Augenblick des Abmarsches gekauft hatten, und ich hatte mich mit ihnen verbunden, denn sie hatten da einen guten Einfall gehabt.

Diese zwanzig Esel waren mit Reis und Butter beladen. Wenn wir am Menzil, das heißt am Halteplatz, anlangten, packten wir unseren Reis, unsere Butter und sogar Tombaky aus und verkauften zu ziemlich hohem Preise. Aber es wurde gekauft, und unsere Spekulation war sehr glücklich, denn man mußte wohl zu uns seine Zuflucht nehmen, sonst hätte man sich gleich von den ersten Tagen an in einer großen Not befunden. Jedermann weiß, daß in den großen Tälern Irans, gerade in denjenigen, durch welche die Straßen führen, sehr wenig Dörfer sind; die Bauern sind nicht so verrückt, daß sie herkämen und sich gerade bei den Soldaten am Wege niederließen. Sie würden weder Rast noch Ruhe haben und am Ende Hungers sterben, ohne die Unannehmlichkeiten aller Art zu rechnen, welche ihnen unbedingt zustoßen würden. So setzen sie sich denn im Gegenteil fernab von den Straßen und so, daß es nicht immer leicht ist, bis zu ihnen zu gelangen. Aber auch die Soldaten sind nicht unfindig; wenn wir am Menzil anlangten, unterwiesen uns diejenigen unter uns, welche das Land kannten. Die am wenigsten vom Marsche Ermüdeten fingen an zu suchen; es waren manchmal noch drei oder vier Meilen hin und ebensoviel zurück zu machen. Aber die Hoffnung, unsere Vorräte zu vermehren, hielt uns aufrecht. Ein Dorf mußte überrascht werden. Das war nicht immer leicht. Diese Bauern, die verfluchten Hunde, haben eine solche Schlauheit! Hatte man uns von ferne bemerkt, dann lief alle Welt, Männer, Weiber, Kinder, davon, und nahmen auch das letzte Titelchen ihrer Habe mit. Alsdann fanden wir nur die vier Wände jedes Hauses vor und nichts mitzunehmen, und wir mußten noch einmal so müde zum Rastplatze zurück, um die schlechten Witze unserer Kameraden über uns ergehen zu lassen. Wenn wir glücklicher waren und die Dörfer zu fassen kriegten, bei Gott! dann hauste der Prügel gar arg, wir schlugen blindlings drauf los und kehrten dann mit Getreide, Reis, Hammeln und Hühnern heim. Aber das war nicht oft, es begegnete uns auch, daß wir auf grausame und tückische Völker trafen, welche, in größerer Zahl als wir, uns mit Flintenschüssen empfingen, und dann mußten wir die Flucht ergreifen, heilfroh, wenn wir ohne einen schlimmeren Unfall heimkamen. Wer bei solchen Gelegenheiten keine tüchtigen Beine besitzt, ist wirklich nur ein armer Teufel!

Es wäre ungerecht, ein Hehl daraus zu machen, daß die erlauchte Regierung uns angekündigt hatte, wir würden während des ganzen Feldzugs sehr gut verpflegt werden. Aber niemand hatte daran geglaubt. Diese Dinge gehören zu denen, welche die erlauchten Regierungen alle sagen, die aber auszuführen ihnen unmöglich ist. Der Höchstkommandierende wird sich hüten, sein Geld, das er in der Tasche behalten kann, dafür auszugeben, um den Soldaten gute Kost zu verschaffen. Tatsächlich machten auch meine Kameraden und ich nach Verlauf von vierzehn Tagen, da wir keinen Reis mehr zu verkaufen hatten, die Bude zu; man hätte im ganzen Regiment keine zwei armseligen Brote mehr aufgefunden, und wir fingen an, die Esel aufzuessen. Ich habe nie wildere Bauern gesehen als die in Khorassan. Sie wohnen in befestigten Dörfern; wenn ein armer Soldat herannaht, schließen sie ihre Türen, steigen auf ihre Mauern, und wenn man nicht so vorsichtig ist, sich in aller Eile davonzumachen, so bekommt man eine Kugelsalve, die euch nicht fehlt. Möchten die Väter und die Großväter dieser entsetzlichen Mordgesellen auf ewig im tiefsten Abgrunde der Hölle brennen und nimmer Linderung finden! Inschallah! Inschallah! Inschallah!

Wir fingen also an, die Esel aufzuessen. Die Unglücklichen! ich habe vergessen, euch zu sagen, daß ihrer nicht viele übrig waren. Da sie selbst nichts zu beißen hatten, so hatten sie sich einer nach dem andern dafür entschieden zu sterben, und ihre Kadaver bezeichneten unseren Weg. Die wenigen, welche wir mit unendlich vieler Mühe davon behielten, waren schlecht ernährt; wir hatten jedesmal, wenn wir am Halteplatz anlangten, die Mühe, noch weitab in den Bergen Gras für sie zu holen. Außerdem waren sie von Müdigkeit erschöpft. Freilich hatten wir ziemlich beizeiten angefangen, sie von unseren Flinten und unserem Lederzeug, das wir in die Wüste warfen, zu befreien, aber wir hatten solange wie möglich Wert darauf gelegt, unser Gepäck zu behalten. Kurzum, wir mußten das, was wir als das wertvollste ansahen, uns selber auf den Buckel packen. Was schrecklich war, es fehlte an Wasser. Wir mußten mehr als den halben Tag damit zubringen, Löcher in die Erde zu machen, um ein wenig zu entdecken. Wenn es uns noch am besten erging, gelang es uns, einen salzig schmeckenden Schlamm zu Tage zu fördern, der, so gut es gehen wollte, zur Klärung durch Lappen durchgetrieben wurde. Am Ende hatten wir nichts mehr zu essen als Kraut, ein wenig Kraut. Viele unserer Kameraden machten es wie unsere Esel, sie starben. Das hinderte uns nicht zu singen; denn wenn man über die vom Leben unzertrennlichen Übel in Verzweiflung geraten sollte, dann wäre es besser, nicht in der Welt zu sein, und übrigens kommt mit Geduld alles wieder in Ordnung. Der Beweis dafür ist, daß es den Überresten des Regimentes gelang, Meschhed zu gewinnen.

Freilich, sehr stolz sahen wir nicht aus, als wir in die heilige Stadt einrückten. Der Major war uns mit einigen Kapitäns und einer Anzahl Händlern in Lebensmitteln aller Art entgegen gekommen. Wir bezahlten ziemlich teuer, was sie uns gaben; wir hatten solchen Hunger, daß wir uns nicht die Mühe gaben, sonderlich zu feilschen. Man weiß es nicht, wenn man derartige Unfälle nicht erlebt hat, man weiß es nicht, was es heißt, mit einem Male mit seinen zwei Augen einen gesottenen Hammelskopf zu schauen, der einem angeboten wird. Das gute Mahl, welches wir dort hielten, brachte uns wieder Freude ins Herz, der Major nannte uns Hundesöhne, weil wir unsere Flinten verloren hatten; aber er ließ eine gewisse Zahl anderer an uns verteilen, welche bei dieser Gelegenheit vom Regiment Khosrova entliehen wurden, und nachdem wir zusammengeschossen hatten, um ihm ein kleines Geschenk zu machen, war das gute Vernehmen zwischen ihm und uns wiederhergestellt. Wir kamen überein, daß er einen günstigen Bericht über unsere Führung an den Obersten erstatten sollte, für welchen wir gleichfalls ein Geschenk, das sich auf zehn Tomans belief, vorbereiteten. Als diese Anordnungen getroffen waren, wurde unser Einzug in Meschhed auf den folgenden Tag festgesetzt.

Zur bestimmten Stunde setzten sich die Trommler der übrigen bereits in der Stadt angelangten Regimenter an unsere Spitze. Das war unerläßlich, denn wir hatten unsere Trommeln so gut wie unsere Flinten weggeworfen. Ein großer Trupp Offiziere nahmen auf den Pferden, welche man hatte finden können, hinter den Trommlern Aufstellung, und alsdann rückten wir vor, in so guter Ordnung, als nur möglich war. Wir mochten ungefähr zwei- bis dreihundert sein. Die Leute in der Stadt nahmen uns ziemlich gleichgültig auf, denn seit einem Monat erfreute man sie oft mit dem Schauspiel derartiger Einzüge, welche nichts sonderlich Anziehendes für sie hatten. Man wies uns sodann einen Platz an, um daselbst zu lagern; aber da der Boden sumpfig war, so zerstreute sich alles in der Hoffnung, in der Stadt Obdach und Versorgung zu finden.

Ich meinesteils lenkte meine Schritte alsbald nach der Moschee der heiligen Imams. Die Frömmigkeit zog mich dorthin, aber auch der Gedanke, daß ich eine der Suppenportionen abbekommen könnte, die man dort für gewöhnlich an die Unglücklichen verteilt; und unglücklich, wohl war ich berechtigt, mich dafür auszugeben. Das ganze Weltall kennt nichts Schöneres als die ehrwürdige Moschee von Meschhed. Ihre große Kuppel, ihr prachtvolles, herrliches Tor, die zierlichen Glockentürme an ihren Seiten, das ganze von oben bis unten mit blau, gelb und schwarz emaillierten Ziegeln bekleidet, und ihr prächtiger Hof mit dem großen Bassin, das für die Waschungen bestimmt ist, das Schauspiel reißt einen zur Bewunderung hin. Von Morgen bis Abend bringen Massen von Pilgern, welche aus Iran, aus Turkestan, aus den entlegensten Teilen Indiens und aus den fernen Ländern von Rum kommen, dem Imam Riza (gepriesen sei sein Name!) einen unaufhörlichen Tribut von Kniebeugungen, Gebeten, Geschenken und Almosen dar. Der heilige Raum ist immer von einer lärmenden Menge angefüllt; Scharen von Armen kommen, sich die Nahrung zu holen, welche die Mullas ihnen täglich bereiten. Auch würden sie sich mit Freuden für die Privilegien der Moschee töten lassen. Ich schritt voll Ehrerbietung und Rührung durch die Gruppen nach vorwärts, und als ich bescheidentlich an einen der Pförtner, dessen Haupt mit einem großen, gelehrten weißen Turban bebeckt war, die Frage richtete, wohin ich mich begeben müsse, um meinen Part bei der Verteilung zu bekommen, zeigte mir dieser würdige und respektable Turban, oder vielmehr das Haupt, das damit beladen war, ein überraschtes und dann vergnügtes Gesicht, und ein breiter Mund, der sich inmitten eines großen, schwarzen Bartes öffnete, während zwei kohlschwarze Augen vor Lust erglänzten, begann Freudenrufe auszustoßen.

– Die heiligen Imams seien gesegnet! Du bist es, du bist es selbst, Baba Aga?

– Ich selber! antwortete ich, indem ich den, der mit mir sprach, fest anblickte, und nach einem Moment des Schwankens, nachdem ich ihn völlig erkannt hatte, rief ich aus: Vallah! Billah! Tallah! Du bist's, Vetter Suleiman?

– Ich selber, Freund und Vetter, Licht meiner Augen! Was hast du mit unserer Leïla angefangen?

– Ach! sprach ich zu ihm, sie ist tot!

– O mein Gott! welch ein Unglück!

– Sie ist tot, fuhr ich mit trostloser Miene fort, denn wäre ich sonst hier? Ich bin Kapitän im zweiten Regiment Khamseh und äußerst glücklich, dich wiederzusehen.

Mir war der Einfall gekommen, Suleiman zu sagen, daß Leïla tot wäre, weil ich nicht gerne mit ihm von ihr sprechen und möglichst schnell zu einem anderen Gesprächsthema übergehen wollte; aber er tat das nicht mit.

– Barmherziger Gott! rief er aus, tot! Leïla ist tot! Und du hast sie sterben lassen. Elender, der du bist? Wußtest du denn nicht, daß ich nur sie allein in der Welt liebe, und daß sie von je nur mich geliebt hat?

– Oho! nur dich, antwortete ich ihm zornig, nur dich, das ist ein wenig kühn, was du mir da behauptest! Warum hast du sie in dem Falle nicht geheiratet?

– Weil ich absolut nichts besaß! Aber gerade an deinem Hochzeitstage hat sie mir geschworen, daß sie sich von dir scheiden lassen würde, um mich aufzusuchen, sobald ich ihr ein anständiges Haus bieten könnte! Darum habe ich mich aufgemacht, bin hierher gekommen und einer der Pförtner der Moschee geworden, und ich wollte ihr meine gegenwärtigen Glücksumstände kundtun, da kommst du und wirfst mich durch diesen unerwarteten Schlag darnieder!

Und damit fing er an zu weinen und zu schreien und bewegte den Kopf dabei hin und her. Ich hatte große Lust, ihm einen tüchtigen Faustschlag übers Gesicht zu versetzen, denn ich war ganz und gar nicht erbaut von dem, was er mir eben offenbart hatte; zum Glück erinnerte ich mich plötzlich, daß dies hinfort weit mehr Kerims Sache als die meine wäre, und so beschränkte ich mich darauf, auszurufen: arme Leïla! Sie hat uns wohl alle beide geliebt! Ach! welch ein Unglück, daß sie tot ist!

Suleiman sank mir bei diesem Worte in die Arme und sprach zu mir: Freund und Vetter, nimmer werden wir einander trösten! Komm in mein Haus; ich will, daß du mein Gast seist, und während der ganzen Zeit, die du in Meschhed bleibst, soll alles, was ich besitze, dein sein!

Ich war tief gerührt durch diesen Beweis von Güte des teuren Suleiman, welchen ich immer aus Herzensgrunde gellebt hatte, und da ich ihn so betrübt sah, nahm ich den aufrichtigsten Anteil an seinem Kummer und mischte meine Tränen mit den seinigen. Wir gingen durch den Hof von dannen, und unterwegs stellte er mich den Mullas vor, denen wir begegneten. – Dies, sprach er zu ihnen, mein Vetter Aga-Khan, Major im Regiment Khamseh, ein Held aus alten Zeiten! nicht Rustem, noch Afrasyâb sind ihm an Tapferkeit gleichgekommen! Wenn ihr eine Tasse Tee mit uns nehmen wollt, werdet ihr meinem armen Hause eine ganz besondere Ehre antun.

Ich brachte vierzehn Tage bei Mulla Suleiman zu. Es war ein Augenblick, ein recht kurzer Augenblick der Wonne. Während dieser Zeit wurden die Trümmer der Regimenter wieder gesammelt, welche meist in keiner besseren Verfassung als das unsrige waren, was nach einem langen Marsche wohl erklärlich ist. Man gab uns – einigen wenigstens – Schuhe; man händigte uns Flinten oder wenigstens Geräte, welche Flinten glichen, ein. Ich werde davon später reden. Als wir so ziemlich ausgerüstet waren, erfuhren wir eines schönen Morgens, daß die Marschordre gegeben wäre, und daß das Regiment nach Merv zu aufbrechen würde. Ich war nicht übermäßig zufrieden. Das hieß diesmal mitten in die Turkmenenhorden hineinmarschieren, und Gott weiß, was passieren konnte! Ich verbrachte einen sehr traurigen Abend mit Mulla Suleiman; er versuchte mich zu trösten, so gut er konnte, der brave Mensch, und goß mir eine Menge Tee mit gehörig viel Zucker ein; wir tranken auch ein wenig Raki. Er kam auf Leïlas Geschichte zurück und ließ mich vielleicht zum zehnten Male die näheren Umstände beim Tode des armen Kindes erzählen. Es kam mir wohl der Gedanke, ihn aus seinem Irrtum zu reißen, aber da ich ihm einmal die Dinge auf die eine Art erzählt hatte, erschien es mir natürlicher, dabei zu bleiben und ihn nicht in neue Verlegenheiten zu stürzen. Der arme Freund! Er war so gut gegen mich gewesen, daß ich mir in der Stimmung, in welcher ich mich befand, ein trauriges Vergnügen daraus machte, mir zahlreiche Einzelheiten ins Gedächtnis zurückzurufen, welchen ich diesmal Erinnerungen beimischte, die mir bis dahin entgangen waren, und aus denen sich ergab, daß das liebe Kind, welches wir alle beide betrauerten, bevor sie den Geist aufgegeben, seiner mit großer Liebe gedacht habe. Ich kann nicht eigentlich behaupten, daß meine Berichte lügenhaft gewesen wären: denn ich hatte so sehr das Bedürfnis, von mir selbst und von anderen gerührt zu werden, daß es mir ganz leicht fiel, von traurigen und ergreifenden Dingen zu reden, und wahrlich, ich kann versichern, daß ich ihm mein Herz ordentlich ausschüttete. Suleiman und ich weinten nochmals zusammen, und als ich ihn gegen Morgen verließ, schwur ich ihm aus tiefstem Herzensgrunde, ihn niemals zu vergessen, und wie man sieht, habe ich Wort gehalten. Er umarmte mich seinerseits mit wahrer Liebe. Ich stieß darauf wieder zu meinen Kameraden: das Regiment trat den Marsch an, ich mit ihm, in Reih und Glied, meinem Bekyl zur Seite.

Wir waren sehr zahlreich. Ich sah Kavallerie vorbeireiten; es waren Mannschaften von den südlichen und westlichen Stämmen. Sie sahen ziemlich gut aus, besser als wir; aber ihre schlecht genährten Pferde taugten nicht viel. Die Generäle waren in Meschhed geblieben. Es scheint, das ist durchaus nötig so; weil sich's aus der Ferne besser dirigiert als aus der Nähe. Die Obersten hatten es den Generälen nachgemacht, ohne Zweifel aus dem nämlichen Grunde. Kurz, wir hatten wenig Offiziere mit höherem als Hauptmannsrang, und das ist sehr in der Ordnung, weil die Offiziere nicht dazu da sind, um sich zu schlagen, sondern um die Löhnung der Soldaten einzukassieren. Fast alle Führer waren reisige Nomaden: diese waren mit uns gekommen; aber bekanntlich ist diese Art Menschen sehr wenig gebildet, roh, und hat nur die Schlacht im Kopfe. Die Artillerie hatte man vorausgeschickt.

Wir marschierten seit drei Tagen. Es regnete wie mit Gießkannen und war sehr kalt. Wir marschierten mit großer Mühe auf einem schlammigen Boden, in welchem diejenigen, die nicht ausglitten, bisweilen bis an die Waden einsanken; jeden Augenblick mußten wir über breite Erdeinschnitte voller Morastwasser setzen; es war keine Kleinigkeit. Ich hatte bereits meine Schuhe verloren und war, wie meine Kameraden, vom vielen in den Morast fallen, bis an den Gurt ins Wasser geraten und auf allen Vieren an steilen Rändern hinklettern über und über mit Kot bedeckt und dermaßen naß geworden, daß ich vor Kälte bebte. Vom Tage vorher bis zum Abend hatte ich nichts gegessen. Mit einem Male hörten wir Geschützfeuer. Unsere Rotten machten plötzlich Halt.

Wir hörten Geschützfeuer. Es gab mehrere Salven; dann hörten wir auf einmal nichts mehr. Ein Augenblick des Schweigens trat ein; plötzlich sahen wir ein Gespann mit Artilleristen mitten in unsere Reihen einfallen, welche auf Tod und Leben auf ihre Pferde lospeitschten und sich auf uns warfen. Einige Leute wurden zermalmt; die es konnten, machten sich aus dem Wege. Die Geschütze rumpelten, flogen in die Luft, blieben still stehen und fielen am Ende die einen in den Dreck, die anderen ins Wasser; die Kanoniere schnitten die Zugriemen der Bespannung ab und suchten schnell wie der Wind das Weite. Es war ein Tumult, ein Wirbelwind, ein Getümmel, ein Wetterstrahl; zum Begreifen hatten wir keine Zelt, und fast alsobald bemerkten die, welche im ersten Gliede standen, eine Kavalleriewolke, welche sich reißend schnell auf uns zu bewegte. Ein allgemeiner Ruf erhob sich: die Turkmenen! die Turkmenen! gebt Feuer!

Ich unterschied absolut nichts, ich sah einige Leute, die, anstatt ihr Gewehr herunterzukriegen, sich hinter den Kanonieren herstürzten. Ich wollte es gerade ebenso machen, als der Bekyl, mich am Arme festhaltend, mir mitten in dem Spektakel ins Ohr rief: halt Stand, Aga-Beg! Die heute ausreißen, sind verlorene Leute!

Er hatte recht, vollkommen recht, der brave Bekyl, und meine Augen erbrachten mir unmittelbar den Beweis dafür. Ich sah, wie ich euch da sehe, die Kavalleriemasse, von der ich eben sprach, wie durch Zauber sich in unzählige Rotten teilen, welche die Ebene durchsprengten, die Hindernisse mit der Geschicklichkeit von Leuten, die im Lande Bescheid wissen, vermieden, kehrt machten, die Flüchtlinge umringten und packten, sie mit Schlägen zu Boden warfen, ihnen die Waffen abnahmen und zu Hunderten Gefangene machten.

– Da seht ihr's! da seht ihr's, Kinder! rief von neuem der Bekyl, da habt ihr das Los, das euer wartet, das unser wartet, wenn wir's nicht verstehen, beisammen zu bleiben! Vorwärts! Mut! Fest! Feuer!

Wir waren da unser fast fünfzig. Das entsetzliche Schauspiel, das sich vor unseren Augen entfaltete, gab den Ermahnungen des Sergeanten eine solche Gewalt, daß, als ein Haufe dieser verfluchten Raubgesellen gegen uns vorrückte, unser Trupp sich eilends in Rotten zusammenschloß, und wir gaben in der Tat Feuer und luden wieder und gaben ein zweites und ein drittes und ein viertes Mal Feuer. Bei den heiligen Imams! wir sahen einige von diesen Ketzern, diesen verdammten Hunden, diesen Parteigängern Abubekrs, Omars und Osmans, fallen; möchten diese Ungeheuer auf ewig in der Hölle brennen! wir sahen sie fallen, sage ich euch, und das brachte uns so in Zug, daß wir auf das Kommando des Bekyls, ohne uns zu trennen, alle wie ein Mann vormarschierten, um den Feind aufzusuchen, der stehengeblieben war und nicht zu uns kam. Nach einem Augenblick des Schwankens wich er zurück und machte sich davon. Während dieser Zeit machten die übrigen Turkmenenbanden noch weiter Jagd auf die Fliehenden, gabelten sie auf, töteten ihrer einige, schlugen auf die anderen los und nahmen mit sich fort, was Beine hatte. Wir stießen ein Triumphgeschrei aus: Allah, Allah! Ya Ali! Ya Hassan! Ya Hussein! Wir waren außer uns vor Freude; wir waren frei und fürchteten uns vor nichts.

Im Grunde waren wir vollkommen glücklich. Unser fünfzig ungefähr, die wir waren, hatten die Probe gemacht, daß dreißig unserer Flinten in brauchbarem Zustande waren. Mit meiner war es freilich eine andere Sache; erstens hatte sie keinen Hahn, und dann war der Lauf gesprungen. Aber es war trotzdem ein tüchtiges Gewehr, wie ich es in der Folge erprobte; ich hatte das Bajonett, das keine Dille hatte, mit einer starken Schnur befestigt; dies Bajonett hielt wundervoll, und ich wartete nur auf eine Gelegenheit, mich seiner zu bedienen.

Ich will euch noch erzählen, daß unser Beispiel Nachahmer gefunden hatte. Wir gewahrten in einer kleinen Entfernung drei oder vier Gruppen von Soldaten, die Feuer gaben, und die Turkmenen wagten nicht näher zu kommen. Außerdem hatte ein Trupp von nahezu drei- bis vierhundert Reitern den Feind behende angegriffen und ihm Gefangene und eine Kanone wieder abgenommen. Unglücklicherweise wußte niemand, was aus den Kanonieren und ihren Munitionswagen geworden war. Wir warfen das Geschütz in einen Graben. Eine Stunde lang sahen wir, wie die Turkmenen in der Ferne noch weitere Mannschaften gefangennahmen; dann verschwanden sie mit ihren Gefangenen am Horizont. Darauf näherten sich unsere verschiedenen Haufen einander, wir sahen, daß wir alles in allem beinahe sieben- bis achthundert an Zahl sein mochten. Das war nicht viel gegen die sechs- bis siebentausend, welche von Meschhed ausgezogen waren. Aber schließlich, es war doch etwas, und als wir uns wiederfanden, zweifelten wir, in Erwägung, welch furchtbare Löwen wir wären, nicht einen Augenblick daran, daß wir imstande sein würden, ein Terrain zurückzuerobern, wo die Turkmenen uns nicht fangen könnten. Wir waren so zufrieden, daß nichts uns schwierig dünkte.

Es fügte sich, daß unser Führer der Yuz-Baschi der Reiter war. Es war ein Kurde namens Rezy-Khan, ein großer, schöner Mann, mit kurzem Barte, feurigen Augen und prächtig ausgerüstet. Er war so voller Freude, daß sein Glück sogar sein Pferd zu begeistern schien, und Roß und Reiter sprühten Feuer in jeder Bewegung. Auch war da ein gewisser Abdulrahim von den Bakhtyarys, ein großer Bruder Lustig mit Elefantenschultern. Er rief uns zu: Kinder! Kinder! Ihr seid wahre Rustems und Iskenders! Wir wollen dies Turkmenenpack bis auf den letzten Mann vertilgen!

Wir waren entzückt. Es wurde ein Lied angestimmt. Die Infanterie hatte zwei Führer: einen Leutnant, den ich nicht kenne, und unseren Bekyl. Der brave Mann rief: jetzt brauchen wir Lebensmittel und Pulver!

Da bemerkten wir, daß wir Hungers sterben wollten. Doch gab es Mittel dagegen. Wir fingen allesamt an, Kräuter in der Ebene auszureißen. Ein Teil wurde für die Pferde aufbewahrt. Von den übrigen beschlossen wir Suppe zu machen. Aber der Regen fiel fort und fort in Strömen, und es war um so schwieriger, Feuer anzumachen, als kein Holz da war. Man hätte mit dürrem Gras welches anmachen können, dessen hatten wir, soviel wir begehrten; nur war es feucht. So ergaben wir uns denn darein, das Gras zu essen, wie es war. Das schmeckte nicht gut, aber der Magen war gefüllt und schrie nicht mehr. Was das Pulver anlangte, so blieb die Frage schwierig. Beim Auszuge von Meschhed hatte man uns so gut wie keines gegeben. Die Generäle hatten es verkauft. Galt es nun, sich welches zu verschaffen, so war das diesmal mühsam. Wir hoben einige Patronen von den Toten auf. Wir hatten ungefähr dreihundert Flinten, die imstande waren loszugehen, und alles in allem für jede Flinte drei Ladungen. Rezy-Khan empfahl jedem wohl an, nicht zu schießen, ehe er Befehl dazu gäbe. Aber es herrschte eine solche Freude, daß einige ihre Ladungen noch am Abend zur Feier des Sieges abfeuerten; übrigens machte das wenig aus; wir hatten gute Bajonette.

Durch einen sehr günstigen Zufall wurde in der Umgegend eine Art verschanztes Lager entdeckt, ein Bau der alten Heiden, mit vier steinernen Wällen und einer Art Lache in der Mitte. Wir bargen uns dort, um die Nacht darin zuzubringen; wir taten wohl daran: denn mit dem Morgengrauen kamen die Turkmenen wieder, und da sie zahlreicher waren als wir, so würden wir ziemliche Last gehabt haben, wenn sie uns abermals im freien Felde angegriffen hätten.

Hinter unseren Mauern her gaben wir Feuer auf die Feinde und töteten ihrer einige. Voller Wut saßen sie ab und kletterten wie Ameisen an unseren Steinwällen empor; da gingen wir ihnen mit dem Bajonett zu Leibe, Rezy-Khan an der Spitze; wir richteten sie so übel zu, daß sie nach zehn Minuten langer Anstrengung kehrtmachten und das Weite suchten. Zum Unglück wurden Rezy-Khan und der große Bakhtyary, welche wie die Tiger kämpften, alle beide getötet. Ich erhielt einen Messerstich in den Arm; aber Gott ist groß! es war nur eine Schramme.

Nun sehe aber einer, was für Bösewichter die Turkmenen sind! Sie flohen, aber nicht sehr weit. Sie kamen fast augenblicks wieder und begannen einen Ritt um unsere Mauern zu machen. Sie hatten anscheinend bemerkt, daß wir nicht viel geschossen hatten. Sie wurden leicht gewahr, daß wir ganz und gar nicht mehr schossen. Das hatte seinen guten Grund: Pulver gab's nicht mehr! Kein Körnchen, kein Atom! Gott weiß ganz genau, was er tut!

Unsere Feinde wollten es darauf mit einem neuen Sturme versuchen, und ein Teil von ihnen verwandelte sich noch einmal in Infanterie. Da fingen sie an wie Ameisen auf die Böschung des Forts zu klettern! Den Bekyl an der Spitze, kamen wir hervor; wir werfen sie abermals durcheinander, töten ihrer ein Dutzend, sie suchen das Weite, die Kavallerie attackiert uns, wir haben nur eben Zeit, in unser Loch zurückzukehren, und sehen von weitem das Haupt des Vekyl auf einer Lanzenspitze zwischen den Turkmenen unterwegs.

Ich darf nicht vergessen, euch zu sagen, daß wir die Nacht sehr gefroren hatten. Kein Fädchen an unserem armen Leibe war trocken. Dabei regnete es immer noch. Ein wenig nasses Gras im Magen hielt uns schlecht aufrecht. Ich für meine Person litt sehr, und es waren uns an sechzig Leute gestorben, ohne daß man sich erklären konnte, warum und wie. Der allerhöchste, barmherzige Gott hatte es so gewollt!

Die Nacht war wieder sehr schlimm; wir hatten nur das einzige Mittel, uns gegeneinander zu pressen, um uns versuchsweise ein wenig ins Gedächtnis zurückzurufen, was Wärme sei. Gegen Morgen jedoch klärte sich der Himmel auf. Es war kalt. Wir waren darauf gefaßt, angegriffen zu werden. Der Leutnant wurde tot gefunden.

Erst gegen Mittag erschienen die Turkmenen, aber sie blieben in ziemlicher Entfernung; am Abend faßten sie sich ein Herz und umkreisten auf Schußweite die Verschanzung. Dann zogen sie sich zurück.

Die Nacht raubte uns abermals Mannschaft. Schließlich waren wir nur noch vierhundert, und niemand befehligte uns. Aber wir wußten, was wir zu tun hatten, und im Falle eines Angriffes würden wir nochmals mit dem Bajonett über die Gottlosen hergefallen sein. Jedoch waren wir alle sehr entkräftet.

Es war nahezu um die Stunde des Asrgebetes, und die Sonne neigte sich gegen den Horizont, als wir in der Ferne die Turkmenenscharen in größerer Zahl als an den vorhergehenden Tagen herankommen sahen. Männiglich erhob sich, so gut er konnte, und nahm sein Gewehr. Aber zu unserem großen Erstaunen machte der ganze Haufe in weiter Entfernung von uns halt, und nur vier oder fünf Reiter trennten sich von dem Gros ihrer Kameraden und näherten sich uns, wobei sie uns freundschaftlich zuwinkten und, so gut sie konnten, zu erkennen gaben, daß sie uns zu sprechen wünschten.

Mehrere der unsrigen waren der Meinung, wir sollten plötzlich hervorbrechen und ihnen die Köpfe abschneiden; aber wozu? Darauf machte ich, wie auch andere Kameraden, aufmerksam, und nach einer kurzen Erörterung pflichtete mir alles bei. Wir gingen denn also diesen Hundesöhnen entgegen, und nachdem wir ihnen tiefe Verbeugungen gemacht, führten wir sie in unsere Umwallung. Jedermann setzte sich auf die Erde, so daß wir einen Kreis um die Ankömmlinge bildeten, welche wir auf den Pferdedecken Platz nehmen hießen.

Vallah! Billah! Tallah! War das ein großer Unterschied zwischen ihnen und uns! Wir, wir sahen aus wie Gespenster, die sich im Drecke herumgewälzt haben, triefend von Elend; sie trugen gute Kleider mit Pelzwerk, glänzende Waffen und prächtige Mützen.

Als sie Platz genommen hatten, und mir der Auftrag geworden war, das Wort zu führen, da sprach ich zu diesem Verfluchten: Heil über euch!

– Über euch gleichermaßen! antworteten sie.

– Wir hoffen, versetzte ich, daß Euerer Exzellenzen Gesundheit nichts zu wünschen übrig läßt, und mögen euer aller Herzen beglückt sein in dieser Welt und in der anderen!

– Eure Exzellenz ist unendlich gütig, erwiderte der älteste der Turkmenen. Es war ein hoher Greis mit platter Nase, einem Gesicht, rund wie eine Wassermelone, hier und da einigen Barthaaren und Augen wie ein umgekehrter Halbmond.

– Welche Befehle wollen Euere Exzellenzen uns überbringen? fuhr ich fort.

– Wir, sagte der alte Turkmene, kommen, Eueren Hoheiten eine Bitte vorzutragen. Ihr wißt, daß wir unglückliche Familienväter sind, arme Landleute, Sklaven des Königs der Könige und Diener des wohlbehüteten Iran! Seit Jahrhunderten bemühen wir uns mit allen Mitteln, die in unserer Macht stehen, der erlauchten Regierung unsere über alle Maßen große Zuneigung zu beweisen. Unglücklicherweise sind wir sehr arm; unsere Frauen und Kinder schreien nach Brot; die Felder, die wir bebauen, bringen nicht genug, um sie zu ernähren, und wenn wir nicht einige Gelegenheit hätten, ein bißchen Sklavenhandel mit Glück zu betreiben, was niemand Schaden zufügt, so müßten wir vor Elend umkommen, wir und die unsrigen. Warum uns verfolgen?

– Alles, was Eure Exzellenz uns soeben auseinandergesetzt hat, ist ganz genau die Wahrheit, erwiderte ich. Was uns anlangt, so sind wir ganz gemeine Soldaten; wenn man uns hierhergeschickt hat, so wissen wir nicht warum, und jetzt, da Eurer Exzellenzen Güte uns schon überglücklich gemacht hat, wagen wir euch um die Erlaubnis zu bitten, in die heilige Stadt Meschhed zurückzukehren, von wo wir gekommen sind.

Der Turkmene verbeugte sich auf die liebenswürdigste Weise und antwortete mir: wollte der Himmel, daß dies möglich wäre! Meine Kameraden und ich sind ganz bereit, euch unsere Pferde anzubieten und euch zu bitten, tausend Beweise unserer Freundschaft anzunehmen. Aber urteilet selbst über unsere traurige Lage! Die erlauchte Regierung hat uns ohne Grund angegriffen, uns, die wir niemand etwas zuleide taten, und außerdem sind die Lebensmittel rar. Ihr habt nichts zu essen; wir, wir haben seit einer Woche fast nichts gegessen. Kommt mit uns. Ihr sollt gut behandelt werden. Wir wollen euch weder nach Bokhara noch nach Khiwa verkaufen. Wir wollen euch bei uns behalten, und wenn eure Freunde euch auslösen wollen, werden wir ganz geneigt sein, die billigsten Lösegelder zu akzeptieren. Ist es nicht besser, unter unseren Zelten an einem guten Feuer ruhig eure Befreiung abzuwarten, als euch der Gefahr auszusetzen, unterwegs vor Elend umzukommen?

Der alte Turkmene sah aus wie ein ehrlicher Mann. Seine Kameraden huben an, uns von frischem Brote, dicker Milch und Hammelbraten zu reden. Da entstand eine große Bewegung unter uns. Plötzlich warf männiglich sein Gewehr weg, und nachdem die Gesandten sich erhoben hatten, folgten wir ihnen aus freiem Antriebe.

Als wir mit ihnen bei den Reitern anlangten, fanden wir eine vortreffliche Aufnahme; wir erhielten unseren Platz mitten in dem Trupp, und während wir marschierten, plauderten wir mit unseren Gebietern, die uns brave Leute schienen; von Zeit zu Zeit allerdings erhielt einer von uns einen tüchtigen Peitschenhieb, aber das war, weil er nicht schnell genug marschierte: im übrigen verlief alles sehr gut, außer daß es für so müde Leute, wie wir, ein wenig hart war, einen Weg von acht Stunden durch das Ackerland machen zu müssen, ehe wir das Lager, zu dem man uns führte, erreicht hatten.

Die Frauen und Kinder waren uns entgegengekommen. Dies war der schwerste Augenblick, den wir durchzumachen hatten. Anscheinend waren in dieser Menge Witwen von einigen Tagen, deren Gatten wir getötet hatten, und Mütter, welche erzürnt über das waren, was wir ihren Söhnen angetan hatten. Die Frauen sind schlimm in allen Ländern der Welt; diese hier waren fürchterlich. Das mindeste, was sie uns hätten antun mögen, wenn man sie hätte gewähren lassen, wäre gewesen, uns mit ihren Nägeln zu zerreißen. Die Kinder waren sehr damit einverstanden, uns so schlecht zu behandeln, und für den Anfang empfingen sie uns mit Geheul und einem Hagel Steine. Zum Glück zeigten sich die Männer ganz und gar nicht geneigt, uns verderben zu lassen, und halb brummend, halb lachend, ab und zu auch diesen Furien einige Kopfnüsse gebend, brachten sie uns glücklich in das Lager und setzten unsere Feindinnen und ihre kleinen Hilfsmannschaften, wenn auch nicht außer stand, uns zu schimpfen, was uns keinen Schmerz verursachte, aber wenigstens außer stand, uns blutig zu schlagen. Als wir alle auf dem Platze versammelt waren, wurden wir gezählt und davon in Kenntnis gesetzt, daß diejenigen, welche zu entfliehen versuchten, auf der Stelle getötet werden würden. Nach dieser Erklärung wurden wir unter die verschiedenen Reiter verteilt, die uns gefangen genommen hatten und deren Sklaven wir wurden. Der und der gewann so zehn Kriegsgefangene, ein anderer fünf und dieser zwei. Ich für meine Person wurde einem noch sehr jungen Burschen zugesprochen, der mich alsbald mit nach Hause nahm.

Mein Herr war nicht arm; ich bemerkte das, da ich unter sein Zelt trat. Dies Zelt war von der Art derer, die man Alatyk nennt, nämlich mit Verschlägen und Wänden von Weidengeflecht, die mit dichtem Filzwerke bebeckt waren; der Fußboden war von Holz, mit Teppichen belegt; drei oder vier Kisten, in Farben aller Art bemalt, ein großes Bett mit Kissen, und inmitten des Zeltes ein Ofen, von welchem eine angenehme Wärme ausströmte. In dieser allerliebsten Wohnung gewahrte ich eine junge Frau; sie stillte einen Säugling. Ich begrüßte sie ehrerbietig, sicherlich war es meine Gebieterin, aber sie schlug die Augen nicht nach mir auf, kaum daß sie ihren Mann anblickte. Ich will euch gleich erzählen, was die Turkmeninnen eigentlich für Frauen sind. Nichts sonderlich Anziehendes.

Sie sind so häßlich, daß sie den Teufel in die Flucht jagen könnten; Zeugin dessen die junge Dame aus dem Zelte, in das ich geführt wurde, welche übrigens, wie ich nachher erfuhr, eine der Schönheiten des Landes war. Das hätte ich mir anfangs schwerlich träumen lassen. Sie glich einem Tebryzer Packträger. Sie hatte breite, flache Schultern, einen dicken Kopf, kleine Augen, vorspringende Wangen, einen Mund wie ein Scheunentor, eine platte Stirn und auf der Brust zwei Berge. Ich habe noch schlimmere gesehen. Diese Frauen sind dumm, boshaft, roh und verstehen sich nur auf die Arbeit, aber man läßt sie auch arbeiten wie Maultiere, und man tut recht daran.

Der Hausherr sagte zu der Frau: tu das Kind auf die Seite und richte mir das Abendessen.

Die Frau gehorchte sogleich. Sie fing an, mit Schüsseln und Tellern herumzuwirtschaften und gab mir ein Zeichen, ihr aus dem Zelte hinauszufolgen; ich gehorchte unverzüglich, da ich den Gedanken gefaßt hatte, sie durch meinen Eifer zu erweichen. Sie führte mich in eine Art Hütte, welche als Küche diente, wo ein gewisses Etwas in einem Kessel kochte. Sie gab mir ein Zeichen, das ich nicht recht verstand; ohne mir etwas zu erklären, langte sie einen Stock und versetzte mir damit einen Schlag über den Kopf.

– Das wäre, dachte ich, eine Art Ungeheuer, das mir das Leben nicht leicht machen wird.

Ich täuschte mich. Sie war ein braves Weib. Sie schlug mich oft, sie war pünktlich, wollte, daß alles auf ihre Weise geschähe; aber sie nährte mich gut, und als sie sich ein wenig an mich gewöhnt hatte, sprach sie mehr mit mir, und es gelang mir mehr als einmal, sie zu hintergehen, ohne daß sie es je gemerkt hätte. Wenn sie guter Laune war, sagte sie zu mir, aus vollem Halse lachend: nicht wahr, ihr Leute aus Iran, ihr seid dümmer als unsere Pferde?

– Ja, Herrin, antwortete ich demütig, das ist wohl wahr. Gott hat es so gewollt!

– Die Turkmenen, fuhr sie fort, plündern euch aus, bestehlen euch, führen euch selber mit fort und verkaufen euch an wen sie wollen, und ihr wißt kein Mittel zu finden, sie daran zu hindern.

– Es ist wahr, Herrin, antwortete ich abermals; aber das macht, weil die Turkmenen geistreiche Leute sind, und wir, wir sind Esel.

Darauf fing sie wieder an, laut aufzulachen, und bemerkte nie, daß ihre Milch und ihre Butter zu meinen Gunsten abnahmen. Ich habe immer beobachtet, daß die stärksten Leute immer die wenigst gescheiten sind. Da seht zum Beispiel die Europäer! Man hintergeht sie, so viel man will, und überall, wo sie hinkommen, bilden sie sich ein, daß sie uns überlegen wären, weil sie die Herren sind; sie wissen die Wahrheit nicht zu schätzen – und werden es nimmer lernen –, daß der Geist hoch über der Materie steht. Die Turkmenen zeigen sich genau ebenso. Sie sind Tölpel wie sie.

Ich wurde von meinen Eigentümern dazu angestellt, Holz zu spalten, Wasser zu tragen, die Hammel auf die Weide zu treiben. Wenn ich nichts zu tun hatte, ging ich über Land spazieren. Ich hatte mir einige Freunde gemacht und sang Lieder. Ich verstand auch Fallen für den Mäusefang anzufertigen und brachte einigen Frauen die Bereitung persischer Gerichte bei, die die Männer wundervoll fanden. Meine Belohnung war Tee mit Butterbrot und Kuchen. Ziemlich oft gab es auch Hochzeiten, und ich tanzte dabei, was allen Anwesenden viel zu lachen gab, die übrigens sehr guter Laune waren, und man kann wohl begreifen, warum. Unser Lager, die Nachbarlager und das gesamte Volk waren in einem Zustande der Begeisterung aus Anlaß des Sieges. Gefangene gab's im Überfluß, und man rechnete darauf, viel mit ihnen zu verdienen. Sodann waren, nachdem einmal die erste Regung von Mißstimmung vorüber war, sämtliche Witwen von ihrer Lage entzückt, und es konnte gar nicht anders sein, denn ein junges Turkmenenmädchen ist keine fünf Goldtomans wert, und es bedarf besonderer Umstände, damit man eine aufsuche, wenn man sich verheiraten will. Hingegen hat eine Witwe großen Wert und wird oft sehr hoch geschätzt. Das kommt von der Erfahrung, die sie sich in der Führung eines Haushalts erworben hat, von ihrem Ruf als sparsame Wirtschafterin, und von ihrer Gewohnheit, alles um sich her zu leiten. Und außerdem weiß man bestimmt, ob sie ihrem Manne Kinder schenken kann oder nicht. Was die Liebe angeht, so könnt ihr euch wohl denken, daß bei dem Aussehen dieser Damen davon nicht die Rede ist, niemand denkt daran oder begreift auch nur, was das sein mag. Ich versuchte einmal, meiner Herrin von der so rührenden, so schönen Liebe zu erzählen, welche Medjinun für Leïla empfand und welche mir meine eigene Leïla ins Gedächtnis zurückrief und mich in eine Flut von Weh stürzte. Meine Herrin prügelte mich schmählich, weil ich es gewagt hatte, ihr mit derartigen Albernheiten beschwerlich zu fallen. Sie war noch sehr jung; aber sie hatte bereits zwei Männer gehabt vor dem, den sie für den Augenblick besaß, und drei Kinder obendrein. Auch genoß sie eines über die Maßen großen Ansehens, und es war eine Ehre für mich, die ich zu würdigen wußte, einer solchen Dame anzugehören.

Ungefähr drei Monate lebte ich dort ziemlich friedlich, und ich begann mich an mein Los zu gewöhnen (in der Tat war es, wie ich gesagt habe, nicht sehr hart), als ich eines Morgens, da ich müßig im Lager herumspazierte, von zwei anderen Sklaven, Persern gleich mir, Soldaten des Regimentes Gum, angeredet wurde, die mir sagten, sie wüßten bestimmt, ja, die mir bei ihren Häuptern schwuren, daß wir noch selbigen Tages befreit und nach Meschhed zurückgeschickt werden würden.

Man hatte dieses Gerücht schon so oft in Umlauf gesetzt, und so oft hatte es sich als falsch herausgestellt, daß ich anfing zu lachen und meinen Kameraden den Rat gab, dem, was man ihnen verheißen hatte, nicht zu viel Glauben zu schenken und auch fernerhin sich mit einer gehörigen Portion Geduld zu versehen. Indessen, als ich sie verließ, fühlte ich mich, wie jedesmal, wenn ich derartige Neuigkeiten hörte, ziemlich beunruhigt und aufgeregt. Ich weiß wohl, daß genug garstige Dinge in Iran vorkommen und daß man dort viel Übles findet; und doch ist es Iran, und ist das beste, das heiligste Land der Erde. Nirgends in der Welt empfindet man soviel Lust und soviel Freude. Wenn man dort gelebt hat, will man dahin zurück: und wenn man dort ist, will man da sterben. Ich glaubte ganz und gar nicht an das, was meine beiden Kameraden mir gesagt hatten, und doch schug mir das Herz, und ich fühlte mich traurig, so traurig, daß ich, anstatt meinen Spaziergang fortzusetzen, zu meinem Herrn zurückkehrte.

Er war eben vom Pferde gestiegen, und ich sah ihn mit seiner Frau plaudern. Als er mich bemerkte, rief er mich.

– Aga, sagte er zu mir, du bist nicht mehr mein Sklave, du bist ausgelöst; du bist mein Gast und wirst nach Meschhed abmarschieren.

Ich erschrak, da ich diese Worte vernahm, dermaßen, daß ich mich im Begriffe glaubte zu ersticken, und mir schien, als sähe ich das Zelt sich um mich drehen.

– Was diese Iranier dumm sind! sagte die Frau lachend; was ist denn dabei Außergewöhnliches? Deine Regierung hat ihre Soldaten um den Preis von zehn Tomans den Kopf losgekauft. Man hätte sie ihr weniger billig verkaufen können, aber da diese Dummheit einmal gemacht ist und wir unser Geld eingestrichen haben, so mach dich heim und spiele nicht den Dummkopf.

Kaum hörte ich, was das Geschöpf sagte. Vor meinen Augen zog's vorüber wie ein Gesicht. Ich sah, ja ich sah das liebliche Tal von Khamseh, wo ich geboren bin, ich gewahrte genau den Bach, die Weiden, das Grasdickicht, die Blumen, den Baum, an dessen Fuß ich mein Geld eingegraben hatte, meine schöne, angebetete Leïla in meinen Armen, meine Jagden, meine Gazellen, meine Tiger, meinen teuren Kerim, meinen trefflichen Suleiman, meinen erzbraven Abdullah, alle meine Vettern, den Bazar von Teheran, die Bude des Krämers und die des Garkochs, die Gesichter der Leute, die ich kannte; ja, ja, ja, mein ganzes Leben erschien mir in diesem Augenblicke, und eine Stimme rief in mir: du wirst es wieder anfangen! Ich fühlte mich trunken von Glück! Ich hätte singen, tanzen, weinen, alle, die sich meinem Geiste zeigten, umarmen mögen in diesem Augenblicke höchster Seligkeit, und ich fing an Angstrufe auszustoßen.

– Tropf! sagte die Frau zu mir, du hast gestern abend und vielleicht noch heute morgen Raki getrunken. Wenn ich dich je wieder dabei erwische! . . .

Der Mann fing an zu lachen.

– Du wirst ihn nie wieber dabei erwischen, denn er geht noch heute, und von diesem Augenblicke an, ich wiederhole dir's, Aga, bist du frei!

Ich war frei! Ich stürzte aus dem Zelt und lenkte den eilenden Schritt nach dem Hauptplatze in der Mitte des Lagers. Aus allen Wohnungen kamen meine armen Kameraden hervor, ebenso begeistert wie ich. Wir umarmten uns, wir unterließen nicht, Gott und den Imams zu danken; wir riefen aus vollem Herzen: Iran! geliebtes Iran! Licht meiner Augen! Und dann erfuhr ich allmählich, wie es zuging, daß wir plötzlich der Finsternis enttauchten, um in ein so schönes taghelles Licht einzugehen.

Anscheinend war seit dem Untergange unserer Armee und dem Beginne unserer Gefangenschaft sehr vieles vorgegangen. Als der König der Könige vernahm, was geschehen, war er in gewaltigen Zorn gegen seine Generäle geraten und klagte sie an, daß sie ihre armen Soldaten ganz allein gegen den Feind hätten ziehen lassen, ohne sie zu begleiten; er hatte sie auch angeklagt, daß sie die für sie bestimmten Lebensmittel, Pulvervorräte, Waffen und Kleidungsstücke verkauft hätten, und schließlich seinen festen Entschluß erklärt, allen Schuldigen den Hals abschneiden zu lassen.

Er hätte vielleicht wohl daran getan, wenn er diese Drohung ausgeführt hätte. Aber wozu schließlich? Nach diesen Generälen wären ganz ähnliche wiedergekommen; das ist der Lauf der Welt. Daran ist nichts zu ändern. Und so verfuhr Seine Majestät weit weiser, indem sie ihren Zorn beschwichtigte. Es kam nur dazu, daß die Minister und die Säulen des Reiches eine tüchtige Menge Geschenke von den Angeklagten erhielten; einer oder zwei von diesen wurden auf einige Monate zurückberufen; der König bekam prachtvolle Präsente, und es wurde beschlossen, daß die Führer alle gefangenen Soldaten von den Turkmenen loskaufen, und zwar auf ihre Kosten loskaufen sollten, weil sie die Ursache des Unglücks wären, das diesen armen Teufeln zugestoßen war.

Nachdem die Frage also geordnet, hatten sich die Generäle natürlich an die Obersten und die Majore gehalten, welche es genau so gemacht hatten wie sie. Sie drohten ihnen mit Stockprügeln, mit Absetzung, ja sogar mit Kopfabschneiden, und ruhten nicht, bis schließlich auch nach dieser Seite eine Verständigung erzielt war. Die Obersten und Majore gaben ihren Vorgesetzten Geschenke, und diese kamen ein wenig wieder auf die Kosten, welche die Sorge um ihre Sicherheit ihnen in Teheran auferlegt hatte.

Inzwischen hatten sie Abgesandte unter die Turkmenenstämme ausgeschickt, um über den Rückkauf der Gefangenen zu verhandeln.

Es hatte einige Schwierigkeit gekostet, sich zu verständigen. Doch aber war man einig geworden, und so kam es denn, daß wir, nachdem wir in eine unglaubliche Aufregung, in eine Art Verzückung versetzt worden, und von unseren ehemaligen turkmenischen Herren und Freunden Abschied genommen hatten, uns auf den Weg nach Meschhed machten, wobei wir ein Tempo anschlugen, dafür stehe ich euch, wie der Vogel, der davonfliegt.

Das Wetter war prächtig; bei Nacht glänzten die Sterne am Himmel wie Diamanten; tagsüber bedeckte schönes, helles Sonnenlicht Himmel und Erde mit Goldflittern, welche seinem Flammenkreise entfluteten. Das ganze Weltall lachte uns an, uns arme, unglückliche Soldaten, ja die unglücklichsten, verlassensten, schlechtestbehandelten aller Wesen, die wir der übergroßen Not entrannen, um wenigstens wieder aufs neue zu hoffen, und wir marschierten munter und sangen aus voller Kehle, und so kamen wir bis zwei Stunden vor Meschhed. Wir sahen deutlich vor uns am blauen Himmel die Kuppeln und Minarets und emaillierten Mauern der heiligen Moschee und die unzähligen Häuserreihen der Stadt herankommen; und wie wir daran dachten, was wir alsbald Gutes im Innern dieser himmlischen Erscheinung für uns finden würden, fanden wir uns plötzlich durch zwei quer über den Weg aufgestellte Regimenter angehalten, vor denen sich ein Trupp Offiziere befand. Wir machten halt und grüßten tief.

Ein Mulla schritt aus der Gruppe der Offiziere hervor und kam auf unseren Trupp zu. Als er in Hörweite war, erhob er beide Hände in die Luft und richtete folgende Anrede an uns: Kinder! Gelobt sei Gott, der mächtige, barmherzige Herr der Welten, der den Propheten Jonas aus dem Bauche des Walfisches und euch aus den Händen der grimmigen Turkmenen errettet hat!

– Amen! rief unser ganzer Trupp.

– Ihr müßt ihm dafür danken, indem ihr demütig in Meschhed einzieht, demütig, sage ich euch, und wie es sich für unglückliche Gefangene geziemt!

– Wir sind bereit! wir sind bereit!

– So sollt ihr denn alle, Kinder, als gottselige Männer und gläubige Muselmannen, Fesseln an eure Hände anlegen, und die gesamte Bevölkerung, von diesem Beweise eures Unglücks gerührt, wird euch mit Segenswünschen und Almosen überhäufen.

Wir fanden diesen Einfall ausgezeichnet und waren entzückt davon. Darauf näherten sich Soldaten aus den Reihen der beiden Regimenter. Sie legten uns Halseisen um den Hals und Handschellen um die Hände, und so wurden Rotten von acht bis zehn Gefesselten aus uns gebildet. Das gab uns viel zu lachen, und wir befanden uns sehr wohl so, wiewohl das Metallgewicht ein wenig beschwerlich war; aber es hieß ja nur, es während einiger Stunden tragen, und das war eine Lappalie.

Als unser Anzug beendet war, setzten sich die Trommeln, die Musik, die Offiziere und ein Regiment an der Spitze in Bewegung; dann kamen wir in unserem kläglichen Aufzuge, aber äußerst zufrieden, und das andere Regiment folgte uns auf dem Fuße nach. Bald gewahrten wir die Menge der Meschhedis, welche uns entgegenkamen. Wir begrüßten sie und hatten die Freude, uns mit Segenswünschen überschütten zu hören. Inzwischen wirbelten die Trommeln, die Musik spielte und einige Geschütze gaben uns zu Ehren Salven ab.

Als wir erst in der Stadt waren, wurden wir getrennt; die einen schlugen diese, die anderen eine andere Straße ein, und Soldaten geleiteten uns. Ich wurde mit den sieben gefesselten Kameraden der nämlichen Rotte, die Handschellen an der Faust und das Halseisen am Halse, auf eine Wache geführt, und es wurde uns erlaubt, uns auf die Terrasse zu setzen. Dort forderte uns der Sergeant, welcher unseren Geleitstrupp befehligte, auf, die Vorübergehenden um milde Gaben anzugehen. Dieser Einfall war vorzüglich; wir brachten ihn augenblicklich mit wunderbarem Erfolge zur Ausführung.

Männer, Weiber und Kinder brachten uns um die Wette Reis, Fleisch und selbst Leckereien; Geld gab man uns wenig. Ich glaube, die braven Leut', die uns zu Hilfe kamen, hatten selbst nicht viel.

Abends kam ein Offizier. Wir baten ihn, uns losbinden und einen jeden von uns seine Geschäfte besorgen zu lassen. Ich für meinen Teil dachte nur daran, eine gute Nacht, deren ich sehr bedurfte, bei meinem Freund und Vetter, Mulla Suleiman, zuzubringen. Der Offizier sagte uns: Kinder, ihr müßt vernünftig sein. Ihr seid durch die unvergleichliche, übermenschliche Großmut meines Oheims, des Generals Ali-Khan, befreit worden. Er hat euren Herren für jeden von euch zehn Tomans gegeben. Wäre es da billig, daß er eine so beträchtliche Summe verlöre? Nein, das wäre nicht billig, das müßt ihr zugeben. Anderweitig wieder, ließe er euch ziehen, so seid ihr zwar große Ehrenmänner, und es ist euch nicht zuzutrauen, daß ihr eure Schulden nicht anerkennen würdet, aber das Unglück will, daß ihr hier keine Hilfsquellen habt. Wo sollten arme Soldaten Geld finden? In diesem Gedanken will mein Oheim, die Güte selbst, euch dazu verhelfen. Indem er euch die Kette am Halse läßt, bis ihr jeder fünfzehn Tomans zusammengebracht habt, die ihr ihm dann getreulich einhändigt, verschafft er euch ein Mittel, das Herz der Muselmänner zu rühren und die öffentliche Wohltätigkeit in Betrieb zu setzen. Betrübt euch nicht! Erzählt euer Unglück, bittet weiter bei denen, die euch nahen. Ruft sie alle herbei, die wackeren Leute, die da vorbeigehen! Sie werden kommen! Ihr seht, daß sie euch sehr gut nähren. Allmählich wird das Mitleid sie noch mehr ergreifen, und ihre Börsen werden sich auftun. Ich hintergehe euch nicht. In einigen Tagen, wenn ihr keine Hoffnung mehr habt, hier etwas zusammen zu bekommen, wird man euch weiterbefördern. Ihr kehrt so nach Teheran zurück; von da geht ihr nach Ispahan, nach Schiras, nach Kermanscha, und so durch alle Städte des wohlbehüteten Iran, und am Ende bezahlt ihr eure Schuld.

Der Offizier schwieg, wir aber gerieten in Zorn; Verzweiflung erfaßte uns, wir fingen an, ihn Hundesohn zu nennen, und waren auf dem besten Wege, auch seinen Oheim, die Frauen, die Mutter, die Töchter seines Oheims (vielleicht hatte er gar keine) ebensowenig zu schonen, als auf ein Zeichen unseres Peinigers unsere Wächter über uns herfielen und wir geprügelt, zu Boden geworfen und mit Füßen getreten wurden. Mir wurde beinahe eine Rippe eingeschlagen, und mein Kopf war ganz geschwollen von zwei dicken Beulen. So mußten wir denn wohl Vernunft annehmen. Ein jeder unterwarf sich, und nachdem ich für mein Teil in einem Winkel eine gute halbe Stunde geweint, faßte ich mich und begann von neuem mit kläglicher Stimme die Vorübergehenden um Almosen zu bitten.

Es fehlte nicht an wohltätigen Menschen, und alle Welt weiß, daß, dank dem allmächtigen Gotte! im Islam große Bereitwilligkeit vorhanden ist, den Unglücklichen zu Hilfe zu kommen. Die Frauen zumal drängten sich in großer Zahl um uns her; sie betrachteten uns, sie weinten; sie baten uns um den Bericht unserer Unglücksfälle. Diese waren groß, und wie man sich denken kann, suchten wir sie nicht zu verkleinern; im Gegenteil, wir verfehlten nie, unseren Erzählungen hinzuzufügen, daß unsere Frauen, unsere fünf, sechs, sieben, acht kleinen unmündigen Kinder uns zu Hause erwarteten und vor Hunger umkämen. Wir nahmen so eine gehörige Menge kleines Geld und zuweilen auch Silberstücke ein. Übrigens hatten einige unter uns mehr Glück als die anderen.

Es ist bekannt, daß unsere Regimenter unter den Armen angeworben werden, die sich dem Soldatenleben nicht entziehen können, weil sie weder Freunde noch Beschützer haben. Wenn man Soldaten will, liest man auf den Straßen und in den Schenken der Städte und in den Bauernhäusern alles auf, was keinen Einspruch beibringen kann. So waren wir da in unseren Ketten erwachsene Männer, Kinder von fünfzehn Jahren und Greise von siebzig, weil man, einmal Soldat, es für sein ganzes Leben ist, es sei denn, daß man es fertig bringe, sich befreien zu lassen oder zu entfliehen.

Die, welche die meisten Almosen unter uns empfingen, waren die jüngsten. Einer war da, ein hübscher Junge von sechzehn Jahren, in Zendschan geboren, der wurde nach vierzehn Tagen erlöst, so überhäufte man ihn von allen Seiten. Freilich hatte er auch ein Engelsgesicht. Mir für meine Person gelang es, Mulla Suleiman von meinem traurigen Los benachrichtigen zu lassen. Der brave Junge eilte herbei, warf sich mir um den Hals und gab mir im Namen unserer teuren Leïla einen Toman. Das war viel. Ich dankte ihm sehr. Vielleicht hätte ich noch mehr von ihm bekommen; aber am nächsten Tage hieß man uns von Meschhed aufbrechen, um uns nach Teheran zu führen.

Meine Kameraden und ich machten ein Lied, das unsere Unfälle erzählte, und wir gaben es den lieben langen Weg den Bauern zum besten. Das brachte uns immer ein wenig ein. Übrigens verpflegte die Nächstenliebe der Muselmänner die armen Gefangenen besser, als sie es ehedem für die Soldaten des Königs getan hatte, und unsere Wächter machten sich das zunutze wie wir. Nur mußte jeder von uns wohl auf seine kleinen Einnahmen acht haben, denn wir selbst wie unsere Soldaten dachten natürlich nur daran, uns dessen zu bemächtigen, was nicht unser war. Ich hielt mein Geld in einem Stück blauen Kattun verwahrt; ich zeigte es niemand und hatte es mit einer Schnur unter meinen Kleidern befestigt. Als wir in der Hauptstadt ankamen, besaß ich – ich kann es ja jetzt wohl gestehen – mit dem Goldtoman, welchen mein Vetter mir gegeben hatte, einigen Sahabgrans in Silber und einer tüchtigen Partie Kupferschahis ungefähr drei und ein halb Tomans. Einige meiner Kameraden waren, dessen bin ich gewiß, reicher als ich; aber andere waren auch wieder ärmer; denn ein alter Kanonier namens Ibrahim, welcher mein Kettennachbar war, erhielt niemals etwas, so häßlich war er.

In Teheran angekommen, führte man uns just auf meine alte Wache und stellte uns auf der Terrasse aus. Die Leute des Viertels, die mich wiedererkannten, eilten herbei; ich berichtete von unseren Unfällen, und alles war im Begriffe, uns ordentlich etwas zu geben, als sich ein wahres Wunder begab. Gott sei gelobt! Die heiligen Imams seien gesegnet und ihre geheiligten Namen gepriesen! Amen! Amen! Ehre sei Gott, dem Herrn der Welten! Ehre sei Gott! Ehre sei Gott!

Ein Wunder, sage ich, begab sich, und das war dieses. Wie immer, hatten sich viele Frauen um uns versammelt. Sie drängten sich aufeinander und näherten sich, so weit sie konnten, um uns gut zu betrachten, so daß ich, der ich dem Publikum unser Mißgeschick erzählte, sozusagen eine Wand von blauen und weißen Schleiern mir gegenüber fand, die schnurgerade vor mir aufgeführt war.

Ich war gerade bei diesem Satze, den ich oft salbungsvoll und verzweiflungsvoll wiederholte: o Muselmänner! o Muselmänner! Es gibt keinen Islam mehr! Die Religion ist verloren! Ich bin aus Khamseh! Ach! ach! ich bin aus der Gegend von Zendschan! Ich habe eine arme blinde Mutter, meines Vaters beide Schwestern sind verkrüppelt, meine Frau ist gelähmt, und meine acht Kinder kommen vor Elend um! Ach, Muselmänner! wenn eure Nächstenliebe sich nicht beeilt, mich zu befreien, so stirbt das alles Hungers, und ich, ich sterbe vor Verzweiflung!

In diesem selben Augenblicke vernahm ich neben mir einen durchdringenden Schrei, und eine Stimme, die ich im Nu erkannte, und die mir wie ein Feuerpfeil durchs Herz ging, rief: o Gott! bei Gott! um Gott! es ist Aga!

Ich zauderte nicht eine Sekunde: Leïla! rief ich aus.

Was half es ihr, daß sie mit ihrem dichten Schleier bedeckt war, ihr Gesicht erstrahlte förmlich vor meinen Blicken! Ich fühlte mich von der Freude in die höchste Höhe des siebenten Himmels emporgerissen.

– Halt dich ruhig, sagte sie mir, du wirst noch heute oder spätestens morgen befreit!

Damit wandte sie sich ab und verschwand mit zwei anderen Frauen, die sie begleiteten, und am Abend, da ich vor Ungeduld vergehen wollte, kam ein Offizier mit einem Vekyl; meine Kette wurde gelöst, und der Offizier sagte zu mir: geh, wohin du willst, du bist frei!

Als er diese Worte aussprach, fühlte ich mich in die Arme, ja in die Arme wessen wohl geschlossen? Meines Vetters Abdullah!

Gott! was freute ich mich, da ich ihn sah!

– Ach! mein Freund, mein Bruder, mein Liebling, sagte er zu mir, welch ein Glück! Welch ein Wiederbegegnen! Als ich von unserem Vetter Kerim erfuhr, daß sie dich mit zu den Soldaten genommen hätten, welchem über alle Maßen großen Kummer hätte ich mich da nicht hingeben mögen!

– Der gute Kerim ! rief ich aus. Wir haben uns immer zärtlich geliebt, er und ich! Wenn mir auch zuweilen, wie ich gestehe, Suleiman lieber gewesen ist. Dabei fällt mir ein, weißt du, daß Suleiman . . .

Damit erzählte ich ihm, was aus unserem würdigen Vetter geworden, und wie er im Begriffe war, ein sehr gelehrter Mulla und ein großer Mann in Meschhed zu werden. Dieser Bericht gefiel Abdullah sehr.

– Ich bedaure, sagte er mir, daß unser anderer Vetter sich nicht ein so schönes Los hat gewinnen können. Es ist das ein wenig seine Schuld. Du weißt, daß er die bedauernswerte Gewohnheit hatte, den kalten Tee im Übermaß zu lieben.

Dieser Ausdruck: »der kalte Tee« bezeichnet, wie jedermann weiß, unter Leuten, die auf sich halten, das schauderhafte Getränk, das man Raki nennt. Ich schüttelte mit zugleich tiefbetrübter und unwilliger Miene den Kopf: Kerim, antwortete ich, trank kalten Tee, ich weiß das nur zu gut; ich habe lange Zeit außerordentliche Anstrengungen gemacht, um ihn dieser schmählichen Gewohnheit zu entreißen; es ist mir nie gelungen.

– Und doch, fuhr Abdullah fort, könnte seine Lage schlimmer sein. Ich beschäftige ihn als Maultiertreiber, und er transportiert Waren auf dem Wege von Tebriz nach Trebizond. Er verdient sich sein Brot ganz ordentlich.

Was höre ich? rief ich aus, solltest du Kaufmann geworden sein?

– Ja, mein Bruder! erwiderte Abdullah mit bescheidener Miene. Ich habe einiges Vermögen erworben, und das hat mir heute erlaubt, dir zu Hilfe zu kommen, als die unglückliche Lage, in der du dich befandest, mir von meiner Frau offenbart worden ist.

– Von deiner Frau! Ich war außer mir vor Erstaunen.

– Gewiß, da Kerim nicht die Mittel hatte, sie zu unterhalten, wie dies himmlische Geschöpf es verdiente, so hat er eingewilligt, sich von ihr scheiden zu lassen, und ich habe sie geheiratet.

Ich war nicht sonderlich zufrieden. Aber was konnte ich machen? Mich meinem Geschick unterwerfen. Dem entrinnt man nicht. Sehr oft hatte ich Gelegenheit gehabt, diese Wahrheit zu erkennen. Sie war mir soeben noch einmal schlagend zum Bewußtsein gekommen, und ich gestehe, in einer Weise, die mir empfindlich war. Ich sagte kein Sterbenswörtchen. Indessen folgte ich Abdullah. Als wir beim neuen Tore angekommen waren, brachte er mich in ein sehr hübsches Haus und geleitete mich ins Enderun.

Dort fand ich Leïla auf dem Teppich sitzend. Sie nahm mich sehr gut auf. Zu meinem Unglück fand ich sie hübscher, verführerischer als je, und die Tränen kamm mir und schwellten mir das Herz. Sie bemerkte es, und als nach dem Tee Abdullah, der Geschäfte hatte, uns allein gelassen, sagte sie zu mir: mein guter Aga, ich sehe, daß du ein wenig unglücklich bist.

– Ich bin es sehr, erwiderte ich, indem ich den Kopf senkte.

– Man muß vernünftig sein, fuhr sie fort, und ich will dir nichts verbergen. Ich gestehe, daß ich dich sehr geliebt habe und dich noch liebe, aber ich bin auch nicht unempfindlich gegen die guten Eigenschaften Suleimans gewesen, Kerims Heiterkeit und Frohsinn haben mich entzückt und Abdullahs Verdienste mir die größte Achtung und Rührung eingeflößt. Wenn man eine Erklärung von mir verlangte, welchem meiner vier Vettern ich den Vorzug gäbe, so würde ich den Wunsch äußern, daß man aus den vieren einen einzigen Mann machen könnte, und diesen, dessen bin ich ganz gewiß, würde ich leidenschaftlich und für immer lieben. Aber ist es möglich? Das frage ich dich. Weine nicht. Sei überzeugt, daß du für immer in meinem Herzen lebst. Ich konnte Suleiman nicht heiraten, der nichts besaß. So habe ich mich denn dir zugewandt. Du bist ein wenig leichtfertig gewesen; aber ich verzeihe dir. Ich weiß, daß du mir zärtlich ergeben bist. Kerim brachte mich auf die Heerstraße des Elends. Abdullah hat mich reich gemacht. Ich muß nun auch meinerseits verständig sein und werde ihm treu sein bis zum Tod, wobei ich immer an euch drei als an Männer denken kann . . . . Kurz, ich habe dir nun genug hiervon gesagt. Abdullah ist dein Vetter; hab ihn lieb; mache dich ihm nützlich, und er wird alles für dich tun, was möglich ist. Du kannst dir wohl denken, daß ich dabei nicht hinderlich sein werde.

Sie sagte mir noch viele liebreiche Worte, welche im ersten Augenblicke mir meine Traurigkeit vermehrten. Indessen, da hier keine Hoffnung war, und das begriff ich nur zu wohl, so ergab ich mich darein, für Leïla nur noch der Sohn ihres Oheims zu sein.

Abdullah hatte in seiner Eigenschaft als Kaufmann oft mit bedeutenden Persönlichkeiten zu tun. Er erwies ihnen Gefälligkeiten und hatte Einfluß bei ihnen. Ihm habe ich es zu danken, daß ich zum Sultan im Regiment Khasseh oder Leibregiment ernannt wurde, welches ständig in Teheran im Palaste garnisoniert, die Wache bezieht, Wasser trägt, Holz spaltet und Maurerarbeiten verrichtet. So bin ich denn also Kapitän und fing an, die Soldaten auszusaugen, wie man mich selbst ausgesogen hatte, was mir eine sehr ehrenvolle Stellung verschaffte, und worüber ich mich nicht zu beklagen habe.

Wir sind des Königs Garden; oft ist die Rede davon gewesen, daß wir eine prächtige Uniform bekommen sollten, ja man spricht noch immer davon. Ich glaube, man wird bis an der Welt Ende davon sprechen. Manchmal besteht der Vorsatz, uns zu kleiden wie die Mannschaften, welche über das Leben des Kaisers aller Reußen wachen, nämlich grün mit Goldtressen und -stickereien. Andere Male sollen wir rot gekleidet werden, immer mit Tressen, Stickereien und Goldfransen. Aber wie könnten die Soldaten, wenn sie so angezogen wären, sich nützlich machen? Und wer sollte diese schönen Trachten bezahlen? So lange nun, bis man da einen Ausweg gefunden, haben unsere Leute zerrissene Hosen und oft nichts auf dem Kopfe.

Als ich Offizier war, wollte ich mit meinesgleichen leben und machte viele Bekanntschaften. Unter ihnen aber schloß ich mich ganz besonders an einen Sultan an, einen Burschen von ausgezeichnetem Charakter. Er hat lange Zeit bei den Ferynghys gelebt, wohin man ihn zu seiner Ausbildung geschickt hatte. Er hat mir sehr sonderbare Dinge erzählt. Eines Abends, wo wir ein wenig mehr kalten Tee als gewöhnlich getrunken hatten, brachte er Ansichten gegen mich zur Sprache, die ich vollkommen verständig fand.

– Siehst du, Bruder, sagte er zu mir, alle Iranier sind Tölpel, und die Europäer sind Dummköpfe. Ich bin bei ihnen erzogen worden. Erst hat man mich aufs Gymnasium geschickt, und dann, als ich gerade so gut wie diese verwünschten Kerle das Nötige gelernt hatte, um durch die Examina zu kommen, trat ich in ihre Militärschule, die sie Saint-Cyr nennen, ein. Da blieb ich zwei Jahre, wie sie selbst es tun, dann, nachdem ich Offizier geworden, bin ich hierher zurückgekehrt. Man wollte mich anstellen; man frug mich um meine Meinung, was ich für empfehlenswert hielte. Ich habe es gesagt, da hat man mich verlacht, hat einen wahren Haß auf mich geworfen, mich als Ungläubigen, als Unverschämten behandelt und die Prügelstrafe über mich verhängt. Im ersten Augenblicke wollte ich mir das Leben nehmen, weil die Europäer einen derartigen Unfall wie eine Schande betrachten.

– Die Tröpfe! rief ich aus, indem ich mein Glas leerte.

– Ja, sie sind Tröpfe, sie begreifen nicht, daß alles bei uns, die Gewohnheiten, die Sitten, die Interessen, das Klima, die Luft, der Boden, unsere Vergangenheit, unsere Gegenwart das, was bei ihnen das allereinfachste ist, radikal unmöglich machen. Als ich sah, daß mein Tod ganz und gar nichts nützen würde, arbeitete ich meine Erziehung um. Ich hörte auf, Meinungen zu haben, reformieren zu wollen, zu tadeln, zu widersprechen, und ich wurde wie ihr alle: ich küßte den Säulen der Macht die Hand und sagte ja, ja, gewiß! zu den größten Abgeschmacktheiten! Da hörte man allmählich auf, mich zu verfolgen; aber da man mir nach wie vor nicht traut, so werde ich immer nur Kapitän bleiben. Wir kennen alle beide Generäle von fünfzehn Jahren und Marschälle von achtzehn. Wir kennen auch brave Krieger, die nicht wissen, wie man ein Gewehr lädt; ich, ich habe fünfzehn Jahre hinter mir und werde im Elend und unter dem Drucke eines unheilbaren Verdachtes umkommen, weil ich weiß, wie man Truppen führt, und was man tun müßte, um in drei Monaten mit den Turkmenen an der Grenze fertig zu werden. Verflucht seien die Bösewichter von Europäern, die schuld an meinem Unglück sind!

Diese Nacht tranken wir so gehörig, daß ich erst am nächsten Abend von dem Teppich, auf den ich gefallen war, aufstehen konnte, und meinen Kameraden ließ ich dort.

Dank Abdullahs Protektion werde ich wohl, glaube ich, dies Jahr Major werden, wenn man mich nicht gar zum Obersten macht. Inschallah! Inschallah!


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