Joseph Arthur de Gobineau
Die Renaissance
Joseph Arthur de Gobineau

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Fünfter Teil

Michelangelo

Vor Rom.

Das Lager der kaiserlichen Truppen.

Drei Uhr nachts, lange Feuerreihen bezeichnen den Bereich der Bivouacs, die Feldwachen sind auf den Beinen; die Kompagnien und Bataillone lagern ausgestreckt auf der Erde; die Mannschaften schlafen. Das Schweigen wird augenblickweise unterbrochen; ein Musketenschuß kracht oder Geschrei läßt sich vernehmen. Nur ein Zelt ist aufgerichtet, das des Feldherrn, des Connétable von Bourbon. Ein Tisch von grobem Holz, darauf ein Talglicht. Der Connétable steht vollständig gerüstet bis auf den Helm; er geht auf und ab, von höchster Aufregung gequält. Don Fernando d'Avalos, Marchese von Pescara, Feldherr der Spanier.

Der Connétable. Was bin ich denn, bei alledem? ... Was bin ich angesichts einer so großen Missetat, einer solchen Ungeheuerlichkeit, daß die kommenden Jahrhunderte sie weder begreifen, noch vollends werden verzeihen können? Rom mit Sturm zu nehmen! Rom nehmen, es entehren, es plündern, es schänden! Rom! ... Die brutalsten der Barbaren haben sich dessen erdreistet! Ihnen allein behielt der Himmel diesen Greuel vor; ich, ich soll ihn erneuern? Ja, was bin ich, daß mein Name an einen solchen Schimpf gekettet werden soll? Ich bin der Sprößling des erlauchtesten Stammes, der je war! Der Abkömmling der Könige, der Heiligen, der Eroberer, der Siegreichen, und da soll ich aus dieser Tat hervorgehen triefend von Blut und Schande? ... Aber nein, ich bin mit nichten das, was ich Euch da erzähle, Marchese! ... Glaubt nicht ein Wort von solchen Irrereden ... Ich bin keineswegs der Connétable von Bourbon; ich bin ein hergelaufener Mensch, auf jede Weise beschimpft von Madame von Savoyen, von Herrn de Bonnivet, von den Günstlingen, vom geringsten Höfling, von den Kupplern, den schlechten Weibern, den Lumpen, die der König mit seinem Vertrauen beehrt! Man hat mich verraten, getäuscht, gehöhnt, beraubt, vertrieben; ich habe mich dafür rächen wollen, und, die Wut im Busen, die Röte auf der Stirn, vor mir die Ehre, bin ich eines Morgens im Dienste des Kaisers aufgewacht. Zur Stunde bin ich unter dem Spottnamen eines Befehlshabers, eines Feldherrn weniger als der Bediente einer niedrigen, gewundenen, grausamen, unwürdigen, ja unwürdigen! Staatskunst geworden! ... Ich bin so tief gesunken, daß ich der Spielball einer verhungernden Soldateska bin, die mich vor sich hertreibt, damit ich sie führe, wohin man sie haben will, die mir die Verantwortlichkeit für ihre schlechte Aufführung aufbürdet, und hinter diesem Schwarme her ruft der Kaiser mir zu: marschiert! ... So marschiert doch!

Der Marchese. Es ist wahr, gnädiger Herr. Einen Mann so unglücklich wie Ihr habe ich nie gekannt.

Der Connétable. Was vermochte ich? Was versuchen, um aus der Einzwängung loszukommen, worin ich mich seit Jahren gefangen fühlte? Das bequemste wäre gewesen, mich in die Arme der Madame von Savoyen gleiten zu lassen und von ihrer Gunst zu leben. Man hätte mich mit Gnadenbezeugungen überhäuft; man hätte geruht ... geruht! ... mich für meine Leiden zu entschädigen, indem man mir für ein so verächtliches Leben das Erbteil meines Blutes gewährte! König Franz hätte meine Verdienste aus Rücksicht auf meine Niedrigkeit verziehen ... Ich würde mit seinen Vertrauten mich an dem Verschwendertreiben beteiligt haben, und man hätte mir Glück gewünscht! ... Die Ehre hat nicht gewollt ... Begreift Ihr, Marchese, was für ein böses Tier die Ehre ist? widerspenstig, zügellos, aufrührerisch, feindselig gegen jeden Mann von friedlicher Gemütsart? Ich hätte eingewilligt, mich zurückzuziehen, beiseite zu treten, auf meinen Gütern zu leben, den Dorfjunker zu spielen, zu dämpfen, zu ersticken, was ich an Tatkraft und Verlangen nach dem Guten in mir verspürte ... Kurz, ich ergab mich darein, im Geschlechtsregister meines Hauses nur als einer der braven Herren Müßiggänger zu zählen, die einzig darum Lob verdienen, weil sie die Gattung nicht haben aussterben lassen. Nein! ich zog mir einen Makel zu! Den Hof fliehen? Nicht huldigen, nicht Weihrauch streuen, nicht Amen sagen zu der heiligen Messe, die da ununterbrochen gesungen wird in Verehrung des allerhochheiligsten Königtums? ... Ich sah aus wie ein Unzufriedener! Konnte man mich in meiner Ruhe dulden? Ich wurde gequält, bedroht, gehetzt; ich flüchtete mich, und nach den heutigen Rechtsbegriffen wurde ich alsbald ein Ungeheuer, und jener gute, ehrenwerte Mann, den wir unter unsern Augen haben sterben sehen, Marchese, jener Bayart, glücklich genug, vom Himmel die ausnehmende Vergünstigung eines ganz einfachen und glatten Lebenslaufes erhalten zu haben, hat mir in seinem letzten Augenblicke geflucht. Bei meiner Seele! ich fühle mich versucht, an meinem Teile dem Himmel, den Engeln, Gott zu fluchen, die mich dahin fortgerissen haben, wohin zu gehen mir die Versuchung aus freiem Antriebe nimmermehr gekommen sein würde.

Der Marchese. Eure Prüfungen sind hart, gnädiger Herr. Dennoch, wer kann das Ende voraussagen? Es ist möglich, daß Euch noch Gerechtigkeit zu teil werde.

Der Connétable. Ich, der es seit sehr langen Jahren erprobt hat, sage Euch, daß es keine Gerechtigkeit giebt! Es ist ein hohles Wort, ein verhaßtes Trugbild! Es giebt nur blutdürstige Notwendigkeiten, deren Grund wir nicht begreifen; ihre Quelle wird auf ewig verborgen bleiben. Was ich sehe, ist, daß Gut und Böse hinfort Namen, Gewand und Rolle wechseln. In unseren Tagen giebt es keine Fürsten, keine Edelleute mehr; um alles zu sagen, es giebt keine Männer mehr, denn die Titel Edelmann und Fürst dienten ehemals nur dazu, Männer zu bezeichnen, die mehr Männer waren als die andern. Es giebt Herren, es giebt Lakaien, es giebt Hunde, die man peitscht, und wenn die Lakaien nicht brav, brav, brav vor den Herrn kriechen, so peitscht man sie wie Hunde! So sieht es aus und so wird es künftighin in der Welt aussehen! König Ludwig XI. hat die Methode dafür erfunden; sie wird sich immer mehr vervollkommnen.

Der Marchese. Hat sich Papst Clemens dem Willen des Kaisers unterworfen? Sieht er nicht seine Gefahr? Nichts kann ihn retten außer dem vollkommensten Gehorsam!

Der Connétable. Der Papst giebt seit gestern kein Lebenszeichen. Er muß so mit Schrecken geschlagen sein, daß er weder mehr sich zu raten noch zu handeln weiß, oder auch, er nimmt seine Zuflucht zu der leidigen Arglist jener Insekten, die, wenn bedroht, sich zusammenkugeln, ihre Füße unter ihren Leib und ihren Kopf in ihren Hals einziehen, und sich unbeweglich fallen lassen, sich im übrigen auf das Schicksal verlassend.

Der Marchese. Das Schicksal wird ihm ohne Erbarmen den Gnadenstoß geben; es heißt Karl V., und giebt kein Quartier.

Der Connétable. Es giebt kein Quartier, das ist wahr. Es wird treffen; aber sein Messer bin ich; und der Kaiser wird nicht unterlassen zu sagen, daß er nie die Absicht gehabt habe, so viel Unglück heraufzubeschwören. Das Messer wird mit wohlgeheuchelter Verachtung weggeworfen werden. Man wird mich verleugnen. Ich bin davon so überzeugt, daß ich das Kommando niederlegen wollte. Man hat es vorausgesehen, und Ihr wißt, ob ich frei bin.

Der Marchese. Abgesehen von unseren spanischen Regimentern, die gar wenig zahlreich sind, setzen sich Eure deutschen oder italienischen Truppen sicherlich aus den verwegensten Schurken zusammen, die je waren.

Der Connétable. Ihr kommt eben erst im Lager an, und Ihr beurteilt sie auf den ersten Blick. Ich wußte selbst nicht, ehe ich es erfahren, was der Kaiser mir in die Hand stecken würde. Es ist ein glühendes Eisen. Die lutherischen Landstreicher, von denen man Deutschland glücklich gesäubert hat, sie bilden den Kern meiner Truppen. Man behauptet, daß ehedem Papst Alexander und Julius II. Türken angeworben haben; das mußten Lämmer sein im Vergleich zu meinen Ketzern; für sie ist, einen Priester beschimpfen oder töten, ein frommes Werk. Ich wandele über den Boden des unglückseligen Italiens dahin und hafte für das Tun und Treiben dieser Nichtswürdigen.

Der Marchese. Der Kaiser hat vom Himmel einen tiefeindringenden Geist empfangen; Gott weiß, wer mit dem Blicke bis in die finstern Geheimnisse der Beweggründe, die seine Handlungen bestimmen, hinabzudringen vermöchte!

Der Connétable. Ich vermag es nicht bei dem, was mich nicht berührt. Aber in meiner eigenen Sache sehe ich darüber klar. Nichts schärft die Sinne der Erkenntnis so, wie die Gewohnheit des Unterdrücktseins und des Unglücks. Ich fühle, ich errate, ich ermesse, was wider mich geschieht; ich durchschaue die Motive. Der Kaiser behandelt mich, wie man das Roß mißbraucht, das einem nicht gehört. Seinen spanischen, deutschen, flamländischen Generalen, denen will er nicht niederdrückende Lasten auferlegen, die dem Träger das Rückgrat brechen und die Weichen besudeln; aber meinem Rücken lädt er eine solche auf, mir, den mein böser Stern ihm überliefert hat, und dessen Leben und Ehre ihm vollkommen gleichgültig sind. Er bedarf des Unerhörten! Ohne mir irgend etwas mitzuteilen, wirft er mich an die Spitze seiner Armee, und erst als ich die Sprache wiedergewonnen, als ich um mich geblickt, als ich meine Offiziere und Soldaten betrachtet habe, erst da erkenne ich in den einen Spione, in den andern den Abschaum des menschlichen Geschlechts. Ja, Marchese, ich bin von Cäsars Gnaden ein Hauptmann von Banditen. Das ist das Los und der Stand des Connétable; findet Ihr, daß der Fluch des Ritters Bayart leidlich gute Frucht getragen hat?

Der Marchese. Jedes Eurer Worte preßt mir das Herz zusammen. Ich erkenne die Wahrheit dessen, was Ihr sagt. Der Kaiser hat unter dem falschen Schein eines ihm von seinem Range gebotenen Edelmuts in Eurer Person nur das Unglück des Hauses Frankreich gewollt; er erniedrigt, er demütigt seines Nebenbuhlers Rang, so viel er kann. Ja, gnädiger Herr, Ihr habt Euch gewaltig über den Himmel zu beklagen. Das Geschick hatte kein Recht, Euch so zu behandeln. Ihr habt, indem Ihr Eure Heimat und Euren angestammten Herrn verließt, eben das getan, was ich an Eurer Stelle getan haben würde. Ich weiß, daß in unseren Tagen der Grundsatz sich einzuwurzeln trachtet, daß der Mensch sich allem unterwerfen müsse: der Ungerechtigkeit, der Grausamkeit, der Beschimpfung; alles mit gesenktem Haupte hinnehmen müsse, wenn diese Niederträchtigkeiten von Leuten verhängt werden, die die Macht haben, die Fäden der hohlen und lächerlichen Drahtpuppe, die man das Vaterland nennt, zu bewegen. Es ist dies ein hölzerner Götze. Er bewegt die Arme, die Beine, öffnet und schließt den Mund, und verdreht seine großen Augen. Die ersten besten Marktschreier bringen ihn in Gang. Sie reden für ihn; denn aus sich selbst hat er kein Leben. Trotzdem hat man zum Nutzen dieser Burschen und im Namen dieser künstlichen Maschine, ich weiß nicht wie viele schöne Sentenzen erfunden; aber es sind das Vorschriften für Sklaven, für Heloten, für Elende, die zwei Drittel ihrer Mannheit verloren haben. Ein Mann hat das Recht soviel zu empfangen, als er giebt; wenn das Vaterland und der Herrscher Anspruch auf Achtung erheben, so mögen sie selbst Achtung beweisen; sonst schuldet man ihnen nichts mehr. Euer Herrscher, Euer Vaterland haben Euch ins Gesicht geschlagen, und Ihr habt ihnen den Schlag zurückgegeben; Ihr habt wohl getan und verdientet in nichts die widrige Züchtigung, der Willkür des Kaisers zu verfallen und von diesem Strome gegen die Mauern Roms gerissen zu werden, denen Ihr zu Eurem wahren Unheil den Einsturz bereitet.

Der Connétable. Es ist Zeit für Euch, zu gehen, Marchese. Der Kaiser behandelt Euch mit den Rücksichten, die er mir nicht zu schulden glaubt. Eure Befehle sind ausdrücklich; Ihr sollt das Heer mit Euren Kompagnien verlassen und noch diese Nacht auf Neapel marschieren.

Der Marchese. Mein Herz blutet. Ich möchte bei Euch bleiben und Eure Bemühungen, doch etwas Unglück zu verhüten, unterstützen.

Der Connétable. Ihr könnt nicht, Ihr dürft nicht. Der Kaiser ist Euch ein großmütiger Herr. Gehorcht ihm. Lebt wohl.

Der Marchese. Wir werden uns wiedersehen.

Der Connétable. Ich weiß nicht ... ich wünsche es nicht. Lebt wohl! Wenn Ihr bei der edlen Marchesa weilet, so versichert sie der Ehrerbietung ihres Dieners.

Der Marchese. Donna Vittoria kennt wohl die Größe Eurer Seele, und ich habe oft die Tränen ihr in die Augen treten und sie überströmen sehen, wenn von Euren Leiden erzählt wurde.

Der Connétable. Lebe wohl! Bis an meines Lebens Ende will ich deiner gedenken, edler Fernando d'Avalos. Ich will mich erinnern an deine Freundschaft für den enterbten Mann ... an deinen Mut ohnegleichen im Kampfe, an den Adel deiner Seele, größer noch als der deines Ranges ... Ich will deiner gedenken, Fernando! ... Umarme mich ... Lebe wohl!

Der Marchese. Lebt wohl, gnädiger Herr, und möchte der Himmel es müde werden, Euch mit Kummer zu überschütten, den Ihr nicht verdient!

Der Connétable. Lassen wir das ruhen! ... Lebe wohl ... Geh ... Die ersten lichten Streifen der Morgendämmerung dürfen dich nicht hier erblicken. Zudem höre ich meine Kerkermeister, meine Herren, meine Offiziere ... Sie kommen mir ihren Willen aufzuerlegen, unter dem Vorwande den meinigen auszuführen. Ich will nicht, daß die reinste Ehrenhaftigkeit und die gemeinste Niedrigkeit sich begegnen ... Geh! (Sie drücken sich die Hand; der Marchese geht ab.)

Herein treten Hauptmann Georg von Frundsberg, Befehlshaber der lutherischen Landsknechte, eifriger Anhänger des Reformators, ein echter Soldat und Hauptplünderer; er trägt einen langen weißen Bart, der ihm bis auf den Panzer hängt; Hauptmann Alessandro Vitelli und Piero Maria de' Rossi, Befehlshaber der leichten italienischen Reiter; Don Antonio de Leyva, Befehlshaber der Infanterieregimenter; Alarcon und Lannoy, Feldherrn der Spanier.)

Frundsberg. Euer Gnaden, wir stehen zu Eurem Befehl. Wenn es Euch gefällig ist, wollen wir Rat halten und die letzten Maßregeln verabreden, damit unmittelbar bei Tagesanbruch der Sturm ohne weiteres statthabe.

Der Connétable. Nehmt diese Schemel, meine Herren, und setzt euch. Ich habe euch einen Gedanken vorzulegen.

Don Antonio de Leyva. Wir hören.

Der Connétable. Wenn ihr Hauptleute alle, oder die Mehrzahl unter euch, meinen Rat annehmt, so senden wir noch jetzt dem Papste einen Unterhändler.

Frundsberg. Warum das? Wir gehen alle als Unterhändler, und wenn wir Clemens VII., und Clemens VII. uns gegenübersteht, werden wir uns schneller verständigen.

Der Connétable. Ich glaube nicht, daß es in den Absichten des Kaisers liegt, die Dinge so zu überstürzen und auf die Spitze zu treiben.

Lannoy. Sicher wißt Ihr besser als wir, gnädiger Herr, was Ihr von des Kaisers Absichten denkt; aber was uns anlangt, ich meine meine Kameraden und mich, so sind wir gekommen, um den Sold der Truppen einzukassieren; die Soldaten werden seit mehr als zwei Jahren nicht bezahlt. Ihr hattet uns die Plünderung von Mailand, dann ein gründliches Ausräumen in Florenz, und endlich in Bologna versprochen. Habt Ihr Wort gehalten?

Frundsberg. Nein, gewiß, Seine Gnaden haben nicht Wort gehalten, und es ist Zeit, dem ein Ende zu machen. Der Soldat muß zu essen haben.

Lannoy. Unsere Sache ist es also, Rom zu nehmen, und ich schließe damit, daß es nicht mehr an der Zeit ist, sich mit Redensarten bezahlt zu machen! Also Marsch!

Der Connétable. Herr de Lannoy, Ihr redet recht keck zu mir.

Lannoy. Ich bin geradeaus wie ein Schwert; ich halte Euch hoch in Ehren, aber ich werde tun, was sich gehört.

Frundsberg. Und wir ebenso. Vorwärts, sprecht, Lannoy; was Ihr sagt, hat Hand und Fuß.

Die anderen Generäle. Vortrefflich gesagt. Genug des Zauderns!

Lannoy. Also, da ich, wie Ihr seht, die Meinung des Kriegsrats ausdrücke, so entscheidet, Herr! Ich bin entschlossen! und alsobald, wenn der Tag anbricht, ja wahrhaftig, in diesem Augenblicke, denn der Tag bricht an! ... wird er mich an der Spitze meiner Truppen sehen .... Aha! Da sind sie schon! Hört Ihr die Trommeln? Hört Ihr Trompeten und Zinken? Auf, Herr! Zum Sturm! Wenn Ihr nicht mit uns kommt, wenn Ihr zaudert, Euch an unsere Spitze zu stellen ...

Der Connétable. Ich weigere mich nicht ... aber ich sage ...

Frundsderg. Ich sage, daß Ihr marschiert! Vorwärts, Herr! Der Kriegsrat ist aufgehoben! Ich habe meinen Leuten die Befehle übermittelt, die Ihr selbst uns geben werdet! Öffnet das Zelt! Zu Pferde!

(Die Vorhänge des Zeltes werden heftig aufgerissen. Der Tag erscheint; man hört von allen Seiten kriegerische Signale ertönen; die Truppen brechen auf; Reiterei und Fußvolk stürzen sich gegen die Mauern von Rom, Geschützdonner zur Linken, gräßliches Jauchzen mischt sich in die zahlreichen Salven. Lärmende Kompagnien umringen das Zelt.)

Die Soldaten. Zum Sturm! Zum Sturm! Der Connétable! Wo ist er? Er soll sich eilen! Vorwärts! vorwärts, Herr! Herr Connétable von Bourbon! kommt! Tod dem Papste! Tod den Kardinälen! Schlagt alles kurz und klein!

Frundsberg. Heraus mit der Sprache, Herr, was befehlt Ihr? Wenn Ihr zaudert, stehe ich für nichts!

Der Connétable. Ich will mein Pferd!

Die Soldaten. Hier ist es! Aufgesessen! Aufgesessen! Kommt! Hoch Bourbon! Tod dem Papste! Ans Plündern! Ans Plündern!

(Der Connétable, Georg von Frundsberg und alle Hauptleute steigen zu Pferde, die Soldaten umringen sie und ziehen sie mit sich fort.)

Frundsberg (das Schwert in der Hand). Tapfere Kameraden! Schaut auf meinen Sattelbogen! Da sind Stricke! Um den Papst und seine Gehilfen damit zu binden!

Die Soldaten. Ja! Ja! Gefangen sollen sie werden! Gehangen sollen sie werden! Haut sie in die Pfanne! Macht reine Bahn!

Ein Offizier (im Galopp heransprengend). Ich komme von der Porta del Popolo! Der Eingang ist gestürmt! Die Geschütze haben alles zusammengeschossen; trotzdem verteidigen sich die Bürger, und wir bedürfen Verstärkungen.

Frundsberg. Fest, Herr! Ihr werdet den Ruhm haben, zuerst einzuziehen!

(Die Generale brechen im Galopp auf, gefolgt von den schweren Reitern und den Landsknechten, welche unter lautem Geschrei einen lutherischen Choral anstimmen.)

Die Soldaten. Singt mit uns, Connétable! Singt!

Frundsberg. Singt, Herr! Die Burschen da werden dann noch besser draufgehen!

Der Connétable. Ich bin kein Lutheraner!

Frundsberg. Ihr seid unser Feldherr und dürft nichts für einen guten Erfolg versäumen! Auf, mit eingestimmt, Herr!

(Er hebt mit Donnerstimme an zu singen, sein Schwert schwingend, und eilt weiter; die Geschützsalven antworten einander im ganzen Bereich der Verschanzungen, Musketenfeuer mischt sich darunter; die Verteidiger Roms antworten, aber schwach.)


Auf den Wällen.

Einige italienische Schützen und Schweizer, beide in geringer Anzahl; schlecht bewaffnete Bürger.

Erster Bürger (nachdem er mit seiner Büchse Feuer gegeben). Da liegt doch immer einer von ihnen!

Zweiter Bürger. Wart', ich will den hier daneben strecken! (Er schießt.)

Dritter Bürger. Wie wenig Soldaten wir haben! Sapperment! Man will uns abschlachten lassen.

(Ein Trupp junger Leute und Künstler, sämtlich bewaffnet, kommt angerannt.)

Rosso. Feuer auf das Ketzerpack!

(Allgemeine Salve.)

Benvenuto Cellini. Potzkreuz! Schwerenot! Platz! Platz! Ihr sollt einen Schuß von meiner Hand sehen! Meine Büchse hat niemals versagt! (Er zielt und giebt Feuer.)

Ein Künstler. Gefehlt!

Benvenuto Cellini. Schwachkopf! Blick hin! Jetzt, wo der Rauch sich zerstreut, blick doch hin! Ich habe mitten in den Haufen von Leuten mit Helmbüschen und vergoldeten Panzern geschossen! Einer ist gefallen, das weiß ich bestimmt! Ein Pferd flieht mit leerem Sattel!

Ein Bürger. Die Schweizer verlassen uns, und die Schützen auch! weshalb? ... holla! Herr Offizier, wenn Ihr die Soldaten mit fortnehmt, was soll aus uns werden?

Der Offizier. Was euch beliebt! Die Tore sind eingeschlagen! Der Papst hat sich in die Engelsburg zurückgezogen! Ich habe Befehl, unsre Leute zu sammeln, und ich rate euch, nach Hause zu gehen.

Benvenuto Cellini. Wahrhaftig! Er hat recht! Die Deutschen kommen am Straßenende zum Vorschein! Sie schlagen blindlings drein! Rette sich, wer kann! Jetzt heißt es, flink sein!

(Er springt von der Mauer herab; die Anwesenden zerstreuen sich; die letzten werden von den Hellebarden der Landsknechte getroffen.)


In der Engelsburg

Ein Saal. – Papst Clemens VII., Don Hugo de Moncada, kaiserlicher Gesandter.

Der Papst (heftig bewegt.) Es ist ein Verbrechen gegen die Gottheit! Der Kaiser vergreift sich diesmal an Gott selbst, indem er es wagt, unsre Person anzutasten! Er wird mit seiner ewigen Seligkeit dafür haften!

Moncada. Ich zweifle nicht, allerheiligster Vater, daß der Kaiser von Schmerz zerrissen sein wird, wenn er erfährt, was vorgeht. Ihr habt diese schweren Unfälle, diese entsetzliche Katastrophe entfesselt; nicht er hat die Strafe dafür zu tragen.

Der Papst. Wie, nicht er? Wagt Ihr in diesem Augenblicke, in diesem Augenblicke, wo man die Wehrufe meiner hingewürgten Untertanen vernimmt, und wo der Nachfolger Petri vor Euren Augen in seiner letzten Rast umstellt gehalten wird wie ein Stück Wild, wagt Ihr da zu leugnen, daß die Verüber dieser Greueltaten des Kaisers Soldaten sind? Daß diese entsetzlichen Mörder unter seinen Fahnen marschieren? Sind es nicht Eure Generale, die sie führen? Kurz, was wollt Ihr? Wollt Ihr mich töten?

Moncada. Allerheiligster Vater, ich beschwöre Euch auf den Knieen, Euch zu beruhigen ... Beruhigt Euch ... Ihr lauft keinerlei Gefahr ... in diesem Augenblicke wenigstens nicht.

Clemens VII. Wollt Ihr etwa behaupten, daß mehr als nur eine Mauer diese Banden von Tigern, die nach meinem Blute lechzen, von der Verletzung meiner Person abhalte? Sie ist schwach; ich weiß es ... meine Soldaten? Ihr habt sie gezählt; ihrer sind gar wenig. Was wollt Ihr mit mir anfangen, Moncada?

Moncada. Wir haben Euch flehentlich gebeten, das trügerische und kraftlose Bündnis mit Frankreich zurückzuweisen. Wir haben Euch beschworen, nicht gemeinsame Sache mit den Venetianern, den Schweizern, den Florentinern zu machen, diesem Haufen von Leuten ohne Ehre und ohne Macht, gegen das unwandelbare und unbesiegliche Glück des Kaisers angetrieben von der Hand dieses Franz I., der gestern noch unser Gefangener war, eines Mannes ohne Treue und Glauben! Ihr habt auf nichts gehört! Ihr stützet die Bösen! Und während unser einziges Ziel ist, die Religion zu retten, den Frieden wiederherzustellen und Italien zu beruhigen, begünstigt Ihr, allerheiligster Vater, die Zwietracht und haltet die Standarte des Verbrechens hoch, indem Ihr die falschen Irrwege Eurer Vorgänger beschreitet! Und doch hätte die Erfahrung Euch deren Gefahren aufdecken sollen.

Der Papst. Nein! nein! nein! Ich habe getan, was jeder Fürst an meiner Stelle versucht haben würde! Ich habe die Würde des heiligen Stuhles, die Unabhängigkeit des christlichen Staates aufrecht erhalten wollen. Euer kaiserlicher Adler bohrt seine scharfen Klauen dem erschreckten Europa in die Weichen; er will alles verzehren, alles verschlingen! ... Wenn der Kaiser an das Ziel seiner eingestandenen Wünsche gelangte, so würde nichts Freies auf dieser Welt übrigbleiben! Haben wir ihn nicht, ja, haben wir ihn nicht selbst den päpstlichen Stuhl seinem Willen erobern sehen, indem er den Schatten von einem Papst, unsern Vorgänger, darauf setzte, seinen Schulmeister, einen hergelaufenen Menschen, der glücklicherweise nicht lange den ersten Thron des Weltalls dem Gelächter preisgegeben hat!

Moncada. Der Kaiser will das Gute, und nur das Gute; er wird es tun! Wisset, da es scheint, als habet Ihr es vergessen, wisset, es giebt auf dieser Welt nur zwei rechtmäßige Gewalten, von Gott selbst eingesetzt, die Ordnung aufrecht zu erhalten: es ist der Papst und der Kaiser. Der Rest ist des Teufels oder erwächst nur von ungefähr. Kaisertum und Papsttum sind alles, und wenn eines von beiden seiner Sendung untreu wird, so kommt es dem andern zu, die beiden Scepter in seiner Hand zu vereinigen und zu erfüllen, was unsre heilige Religion verlangt. Vor Zeiten wurden fränkische und schwäbische Kaiser zu Verrätern an ihrer Pflicht; sie wollten die Völker dem Schafstalle Jesu Christi abwendig machen; die großen Päpste Gregor VII. und Innocenz III. schlugen sie nach Fug und Recht mit dem mächtigen Hirtenstabe; seit dem Anfang des Jahrhunderts, ja noch länger, sind es nun die Päpste an ihrem Teile, die vom Wege abkommen; sie sind ohne Sitten, sie sind ohne Willen, sie lassen die Gläubigen, lassen ihre Geistlichkeit auf den Triften der Verderbnis, der Ausschweifung, der Ketzerei in den Tag hinein werden; sie selbst, sie sind Heiden! So wird denn der Kaiser das Schwert ziehen und das Werk des Erlösers wiederherstellen!

Der Papst. Etwa, indem er die schmutzigen Fluten der lutherischen Abzucht über die Stadt ergießt?

Moncada. Euch, allerheiligster Vater, Eurem Vorgänger Leo verdanken wir es, daß wir den Krebs im Schoße der Kirche haben entstehen und sich entwickeln sehen! Ihr hattet für den Mann von Wittenberg nur Entgegenkommen und die verhängnisvollste Schwachheit! Ihr ließet die Fürsten des Reichs an den Worten dieses Verräters sich betören, und es ist wohlbekannt, daß, wenn es nur von Euch abgehangen hätte, für ein wenig Geld, mein Gott! für etliche Summen, auf die Ihr Eure Wünsche beschränktet, ein schmachvolles Abkommen Euch mit den Neuerern geeinigt haben würde.

Der Papst. Ihr verleumdet das Andenken Leos!

Moncada. Er dachte nur an Statuen, Bilder, Bücher, Verse, Pracht, Feste und Vergnügungen, und gebt acht! der Ruf wird ihm in der Geschichte bleiben! Damals, da er die Religion auf dem Siechbette der Vergessenheit verenden sah, da sie in ihrem Elende niemanden hatte, den es gejammert hätte, wie ihre heiligen Lippen nach Frömmigkeit dürsteten, da beschloß er, der Kaiser, dem aller Ordnung baren Laufe des Jahrhunderts Einhalt zu tun und die verirrten Gewissen zum Glauben zurückzuführen! Und so wird er auch die Unbotmäßigen jeder Art wieder unter die kaiserliche Zucht bringen, denen es seit dem Beginn der Zeiten der Verwilderung zu ihrem eigenen Unglück gelungen ist, sich davon loszumachen. Der Kaiser redet im Namen Gottes! Er ist der Kaiser, er hat das Recht dazu! Es gilt die Seelen dem Himmel zu retten und das Recht des römischen Kaisers aufrecht zu erhalten! Da kann nicht nach Italiens Grillen gefragt werden, das nur eine Provinz ist; nach den Freiheiten des einen, den tollen Streichen des andern; es gilt, ich wiederhole es Euch, dem Heile aller in dieser Welt und in der andern, und Ihr, der Papst, Ihr werdet, da Ihr nicht mit dem Kaiser habt gehen wollen, als Allererster ihm gehorchen und die Stirn vor ihm beugen!

Der Papst. So haben vor Zeiten die Tyrannen gesprochen, deren Name der Schmach anheim gefallen ist! Ich bin das Haupt der Kirche, und der Hauch der Hölle kann mich nicht umwerfen! Ich kann leiden, meine Person kann verschwinden, aber der Papst stirbt niemals!

Moncada. Wir verehren den Papst! Da sei Gott vor, daß jemals mein Herr sich an dem Statthalter Jesu Christi vergreife! Wir wollen nicht an das geringste seiner Vorrechte rühren! noch weniger an seine geheiligte Würde ... Aber, wenn ich es Euch denn klar heraussagen muß, allerheiligster Vater, wir, deren reiner Glaube in der ganzen Welt wohlbekannt ist, wir, die nicht der leiseste Verdacht von Irrglauben treffen kann, die wir in Spanien, in Flandern, in Indien, überall, jede Spur von Auflehnung gegen die Kirche verfolgen, und zwar mit einer Strenge, deren Ihr niemals fähig gewesen wäret; die wir keinen gefährlichen oder auch nur verdächtigen Gedanken hingehen lassen, die wir unbedenklich und zaglos auf öffentlichen Scheiterhaufen alles Fleisch sterben lassen, das gegen die Überlieferung im Aufruhr ist, ich sage es Euch frei heraus, indem ich Clemens VII. beiseite lasse, wir werden Giulio de' Medici mit gerechter und unerschütterlicher Strenge behandeln; wir werden in seiner Verfolgung so weit gehen ihn absetzen zu lassen, wir werden ihm den päpstlichen Purpur von der Schulter reißen, werden ihn aus dem Lande schaffen, ihn ins Gefängnis werfen, wenn wir alle Hoffnung aufgeben müssen, ihn zu bessern, ihn zur Vernunft zu bringen!

Der Papst. Und während Ihr, Ihr ... Ihr Euch für einen an unsre Person abgesandten Friedensboten ausgebt, wagt Ihr in meiner letzten gebrechlichen Zuflucht eine solche Sprache zu führen, habt den Grad der Entkräftung, dahin Ihr mich gebracht, wohl berechnet! Ihr betrachtet mich mit einem zuversichtlichen Lächeln inmitten der Unterdrückung meines Volkes, der Verheerung der heiligen Stadt, des Brandes meiner Kirchen, inmitten der Flammen und Hilferufe, der Verzweiflung und des Blutvergießens! Und das heißt Cäsar der katholischen Sache dienen!

Moncada. Es heißt ihr dienen, wenn man die Wölfe schlägt, die mit dem entweihten Gewande der Hirten bekleidet sind!

Der Papst. Mit einem Worte, was erwartet Ihr von mir? Laßt mich fort von hier! Gebt mich frei, laßt mich hindurch durch Eure ruchlosen Rotten. Nehmt alles, plündert alles, triumphiert, und laßt mich an irgend einer Stätte eine Zuflucht suchen, wo es mir vergönnt sei, in Frieden die Zahl der Tage hinzubringen, die Ihr mir zuzählen werdet!

Moncada. Meine Befehle sind unumstößlich; ich darf nicht in der allergeringsten Kleinigkeit davon abweichen. Ihr werdet hier solange bleiben, allerheiligster Vater, als Ihr nicht unseren gerechten Forderungen Euch gefügt habt.

Der Papst. Legt sie dar. Was wünscht Ihr?

Moncada. Die Mittel, um den Sieg der Vernunft, der Gerechtigkeit, der Wahrheit und des Wohles der Kirche zu sichern.

Der Papst. Das sind Worte. Formuliert Eure Ansprüche. Sagt ausdrücklich, was der Kaiser gebietet. Was ich gestern nicht genehmigt, was ich vor zwei Stunden verweigert haben würde, vielleicht bin ich gedemütigt genug, es jetzt zuzugeben.

Moncada. Wir verlangen, daß Ihr auf das Bündnis mit den Franzosen, den Venetianern, den Florentinern, den Schweizern, mit allen Übelgesinnten verzichtet. Wir verlangen, daß Ihr eins mit uns werdet und für immer, und so eng verbunden, als Fleisch mit Bein und als der Krummstab mit dem Scepter sein soll.

Der Papst. Ach! unglückseliges, hundertmal unglückseliges Italien! So wäre es denn um dich geschehen! Deine Fürsten, deine Völker wären nur noch die Sklaven der Flamländer! So sollten deine glorreichen Mühen, die du seit bald einem Jahrhundert gehäuft hast, auf diesen Schimpf hinauslaufen! Aber sprecht, fahrt fort, ich höre Euch!

Moncada. Ihr gebt uns Ostia, Civita Vecchia, Civita Castellana, Parma, Piacenza, Modena und was Ihr noch besetzt haltet zurück; kaiserliche Besatzungen werden den Bevölkerungen daselbst Verständnis für des Kaisers Willen beibringen. Endlich werden uns 400 000 Dukaten ausgezahlt als Vergütung für die Truppen, die in diesem Augenblicke in Rom zur Verwendung kommen, und die ich von hier abziehen lassen werde. Als letztes: wir besetzen die Engelsburg.

Der Papst (birgt einen Augenblick das Haupt in den Händen und hebt es dann wieder). Ich sage Nein.

Moncada. So habe ich Euch denn nichts mehr zu sagen. Ich werde mich zurückziehen. Aber zuvor wünsche ich dem Kaiser melden zu können, daß Ihr den Stand der Dinge und den Umfang Eurer Verantwortlichkeit wohl kennet. Geruht, allerheiligster Vater, Euch anzusehen, was vorgeht. (Er öffnet ein Fenster, das nach der Stadt geht.) Betrachtet Euer Werk! Schaut hin und sagt, ob Ihr wollt, daß das so fortgehe.

Der Papst. Ja! Ich will hinschauen, ich will Eure Frevel am Heiligen sehen! Alles, was Ihr seit Monaten verfügt, ins Werk gesetzt, im Schilde geführt, angestiftet habt! Ja! ich will hinschauen! Glaubt nicht, daß ich ein zimperliches Weib sei! Ich kann in Muße die ganze Prachtausstellung Eurer Verbrechen sehen! Ich will nicht schwach werden, nicht weinen! Wohlan! ja, ich will hinschauen, ich schaue hin! ... Ein Mann, den man verfolgt! ... sie reißen ihm mit einem Hellebardenstoße den Leib auf! ... Gewiß, ich sehe es! ... Über wessen Haupt wird sein Blut kommen? ... O, mein Gott! Weiber, Kinder, von dem Soldatenpöbel Eurer zügellosen Buben gepeinigt! O, welche Schändlichkeit! ... laßt mich sehen ... es ist entsetzlich! ... Mönche ... geschlagen ... blutüberströmt ... Ach! es ist nicht möglich! es ist nicht möglich! Kardinäle, Greise im Purpurgewande ... in Ketten gelegt, niedergeworfen, über das Pflaster geschleift, geschlagen! ... O, nein ... nein ... ich will nichts mehr sehen... Welch entsetzlicher Traum! ...

(Er wankt und will auf einen Lehnstuhl fallen. Don Hugo de Moncada verneigt sich und geht.)


Eine Straße.

Pikenträger, Schützen, Schweizer.

Erster Pikenträger. Wir brauchen einen Menschen, der uns die Beute nach Hause trägt. Ihr wollt doch diese Kästen nicht auf eure Schultern laden?

Ein Schweizer. Es wäre besser gewesen, den Burschen zu verschonen. Er würde uns als Lasttier gedient haben.

Erster Schütze. Es ist immer ein Vergnügen, eine Kugel in irgend jemandes Kopfe einzuquartieren; ich bedaure meinen Schuß nicht.

Zweiter Pikenträger. Außerdem rächen wir unsern Feldherrn; und da die Römer ihn getötet haben, töten wir die Römer! Hört mal an! Da ist eine Tür, die noch nicht eingeschlagen ist!

Die Schweizer. Schlagen wir sie ein!

(Die Soldaten hauen mit ihren Büchsenkolben und Hellebardenschäften auf die Türe ein. Sie öffnet sich; es erscheint Rosso.)

Die Soldaten (ihn schlagend.) Wie, Halunke, du machst nicht auf, wenn man dich besuchen will? Du verdienst eine Lektion! Räumt das Haus aus!

Rosso. Ihr Herren, ich habe wenig Geld, es ist euer! Aber ich bin Maler und bitte euch, meine Zeichnungen und meine Kunstgegenstände nicht zu zerstören.

Zweiter Ambrustschütze. Du wirst sehen, welch ein Aufhebens wir von deinen Kunstgegenständen und von dir selber machen! Zieht ihn ganz nackend aus! Das giebt einen Spaß, wenn wir ihn als Maultier benutzen, und er fühlt dann den Stock um so besser.

Die Soldaten. Sehr gut! Nackend wie ein Wurm! und tüchtig Fußtritte!

Rosso. Ihr Herren! ich flehe euch!

Dritter Pikenträger. Du sagst, daß du Maler bist?

Rosso. Ja, ich bin Maler.

Dritter Pikenträger. Mir deucht, es war ein Maler, der den Connétable getötet hat. Wir wollen dir's gerade so machen!

Ein Schweizer. Den Teufel nein! Es ist ausgemacht, daß er die Kästen tragen soll! Erst darnach wollen wir ihn töten; aber das Haus auf der Stelle plündern!

Die Soldaten. Wohl gesprochen!

(Während ein Teil der Kriegsleute Rosso seine Kleider abreißt und ihn schlägt, wird das Haus verwüstet, die Gemälde zerrissen, Fetzen von Zeichnungen fliegen mit den Trümmern von Hausgerät und Behängen zu den Fenstern hinaus, dann geht das Haus in Flammen auf. Ein Offizier geht vorüber.)

Der Offizier. Was tut ihr diesem Manne?

Die Soldaten. Nichts. Er hat die Güte uns Kisten zu tragen, die wir eben gekauft haben.

Rosso. Herr, ich beschwöre Euch, rettet mich! Ich bin ein Maler, ich bin Rosso! Da habe ich eben alle meine Werke verloren.

Der Offizier. Laßt diesen Unglücklichen los, gebt ihm seine Kleider wieder! Der Hauptmann Georg Frundsberg befiehlt euch, zu euren Fahnen zurückzukehren. Ihr hört die Trompeten zum Sammeln blasen? Vorwärts! Laßt diesen Mann, sage ich euch!

Ein Landsknecht. Und ich sage dir, daß ich dich ganz und gar nicht kenne, verstehst du? Bist du mein Hauptmann? Nein! Mein Leutnant? Nein! Wer steht mir dafür, daß du nicht der Papst in Verkleidung bist.

Die Soldaten. Das ist wahr! Was quatscht er da?

Der Offizier. Ich habe den Befehl der Generale.

Die Soldaten. Der Teufel soll deine Generale holen und dich dazu, verstehst du, Herr? Mach' dich fort oder du wirst was erleben!

(Der Offizier zieht sich zurück.)

Ein Pikenträger (zu Rosso). Und du, wenn du dich gegen irgend jemand beklagst, so bekommst du meinen Dolch in die Brust; du verstehst hoffentlich? Marsch, du Lump!

(Die Soldaten schleppen Rosso fort und schlagen noch mehr auf ihn ein.)


Florenz.

Ein öffentlicher Platz.

Cellini. Nun! was geht hier vor?

Zahlreiche Stimmen. Wir jagen die Medici wieder weg! Hoch die Freiheit von Florenz!

Cellini. Ich für meinen Teil komme von Rom und habe dort schöne Dinge gesehen!

Das Volk. Ist der Papst befreit?

Cellini. Er ist gefangen wie eine Ratte in der Falle. Sie lassen nichts in die Engelsburg zu ihm hinein; und von was er und die Seinen leben, das mag Gott allein in seiner Allbarmherzigkeit wissen. Kurz, sie sterben Hungers, und während dessen fahren die Kaiserlichen fort, alles zu zerstören.

Das Volk. Ihr habt's mit eigenen Augen gesehen?

Cellini. Ich komme daher. Ich habe auf den verlassenen Plätzen, über die taumelnden Schrittes, in wilder Unordnung betrunkene Soldaten ziehen, Leichenhaufen zur Rechten, Leichenhaufen zur Linken gesehen; an einem Eckstein einen Mann im Verscheiden, an einem andern ein Weib mit matt herabhängenden Armen zusammengesunken. Gesehen habe ich die Türen der Kirchen eingeschlagen, die Chorhemden, Stolen, Meßgewänder wie schmutzige Lumpen über das zerbrochene Estrich der Basiliken hingeschleift, oder in elenden Fetzen an den Gitterspitzen der Seitenkapellen hängend, und die Leuchter zerschlagen, und die Lampen der Altäre erloschen, und die Altäre selbst umgeworfen, voller Glastrümmer, Flaschenscherben, Schinkenknochen – schmutzige Reste der Schmauserei der Freibeuter –; ich habe weiter die Statuen zerbrochen, die kostbarsten Gemälde vom Eisen der Piken zerrissen gesehen; und nun gar die Mißhandlungen, Beschimpfungen, Schläge, womit die erlauchtesten Kardinäle, Erzbischöfe, Bischöfe, Datare, Protonotare heimgesucht worden sind: es verlohnt nicht der Mühe, euch davon zu sprechen. Es ist etwas so Gewöhnliches, daß, wenn an den verödeten Gassenecken einer dieser hochehrwürdigen Herrn von ehedem vorbeikommt, den irgend ein angerissener schlechter Landstreicher von Bogenschützen zaust, und das Echo den Schall der auf eine ehrwürdige Wange gefallenen Ohrfeige zurückwirft, man nicht einmal den Kopf wendet, um Näheres zu erfahren.

Das Volk. Welches Elend! welches Elend! Wir haben der Habsucht und dem Hochmut der päpstlichen Gewalten geflucht! Aber mußte soviel uralte Größe und Wohlfahrt unter so gemeinen Füßen zertreten werden! Was sagt der Kaiser zu diesen Abscheulichkeiten?

Cellini. Der Kaiser, heißt es, weint in seinem Palaste im fernen Spanien und wehklagt über die Schmerzen des Nachfolgers der Apostel; er ordnet Gebete an, damit ein so unerhörtes Ärgernis ein Ende nehme; übrigens aber hütet er sich wohl, ihm ein Ziel zu setzen, und will eben den auf den Knieen sehen, dem der Erdkreis ehrerbietig den Schuh küßt. Ein einziger Mann hat bei dem allen den Ruhm Italiens hochgehalten und sich einen Namen erworben, der nie untergehen wird.

Das Volk. Wer ist der Mann, von dem du redest?

Cellini. Ich bin es selbst, ich allein, der ich Rom im voraus für seine Leiden gerächt habe, denn ich habe mit einem Schusse meiner unfehlbaren Büchse den Connétable von Bourbon getötet, und ihr wißt, daß ich neben Michelangelo der größte Künstler des Jahrhunderts bin. Jetzt, wo ihr vernommen habt, was meine Augen gesehen, gebt nun ihr mir Auskunft, was hier vorgeht.

Das Volk. Florenz ist frei, und wenn es mit Mut und Tugend nicht dahin gekommen ist, daß sie nur noch flüchtige Worte bedeuten, so werden wir nie in die alte Knechtschaft zurückkehren! Savonarola, der heilige, große, erhabene Bruder, hat nicht vergebens unter uns gelebt! Seine geringsten Worte sind lebendig geblieben! Alle seine Grundsätze leben wieder auf, und dieses Mal soll es niemanden wieder möglich sein, uns zu verblenden! Was Savonarola angeordnet hat, wir wollen es ausführen, und nichts soll es fortan zerstören. Wir kennen unsere Feinde genau; ein Medici als Papst will uns nicht wohl; aber was vermag er? Der Kaiser wird sein erzürntes Angesicht gegen uns wenden; aber er blicke nur nach Osten, da wird er sehen, wie die Türken seine kaiserlichen Staaten bedrohen; näherbei breiten die Venetianer sich über die Romagna aus, und wenn er sich nach Norden zu umschaut, so gewahrt er die Franzosen: die kommen zurück, ihren Unstern von Pavia vergessend und von einem brennenderen Eifer erfüllt als zuvor. Das sind unsre Freunde, das unsre Rächer, das unsre Stützen! Für immer soll leben die Freiheit von Florenz!

Cellini. Kinder, zählt auf mich! Ich weihe euch mein Schwert, der Erdkreis weiß, was es gilt! Ohne Zweifel ist euch auch wohl bekannt, wie eifrig Franz I. auf meinen Rat hört! Ich wiederhole es euch, zählt auf mich! Florenz ist für immer sein eigener Herr; kein Fürst, kein Tyrann soll es fortan betreten!

Das Volk. Hoch Florenz!


An einer Straßenecke.

Machiavelli, die Hände auf dem Rücken, sieht die Menge unter Freudengeschrei vorbeiziehn.

Machiavelli. Welch ein Lärm! Wie sie brüllen! Wie sie singen! Wie ihre Augen funkeln! Wie das Wort Freiheit sie berauscht! Man könnte glauben, es wäre das erste Mal in ihrem Leben, daß sie es aussprechen und sich so aufregen! Der Vogel lebt in der Luft, der Fisch im Wasser, und das Pack im Spektakel.

(Eine Bande zieht vorbei, die ein Wappenschild der Medici an einer Schnur durch die Gosse schleift. Trommeln, Trompeten; die Menge läuft singend hinter Benvenuto Cellini her, der eine Fahne schwenkt.)

Cellini (aus Leibeskräften schreiend). Florenz soll leben!

Die gesamte Menge. Florenz soll leben! Tod den Medici!

Cellini. Herr Machiavelli! Ihr seid ein großer Bürger! ein Freund Savonarolas!

Die Menge. Hoch Savonarola! Hoch Machiavelli! Hoch Cellini!

Cellini. Bürger, ihr seid göttlich! Volk von Florenz, du bist ein großes Volk! ... Machiavelli, Ihr kommt mit uns? Wir wollen Euch auf den Händen tragen! Ihr habt in den Kerkern der Tyrannei gelitten!

Die Menge. Ja! ja! Wir wollen ihn auf den Händen tragen! im Triumph!

Machiavelli. Freunde! ich danke euch! Gewiß, mein Herz fließt über von Erkenntlichkeit! Aber ich bin alt! ich bin krank! ich fühle mich zu nichts gut und bitte euch, mich in Frieden zu lassen! Übrigens, hoch Florenz! hoch die Freiheit! hoch das Volk! hoch Herr Cellini! ... Ich weiß nicht, ob ich noch etwas anderes rufen muß.

Cellini. Vorwärts, Kinder! vorwärts mit Mut, mit unbezwinglicher Kraft an die Verfolgung unseres Werks! Feuer ins Ballhaus, wo die Despoten übten.

Die Menge. Ja! stecken wir das Ballhaus in Brand!

Machiavelli. Das ist ein ausgezeichneter Einfall! Steckt das Ballhaus in Brand! Sonst kann die Freiheit nie zu stande kommen! (Cellini schwingt seine Fahne, und die ganze Menge entfernt sich, mit denselben Rufen, demselben Geschrei, Trommelschlägen, Trompetensignalen, und immer ein Wappenschild an einer Schnur schleifend,) Es ist weiser, die Menschen als untätiger Zuschauer zu betrachten, als sich in ihre Händel zu mengen. Ich wundre mich gar nicht über das lebhafte Gefallen vieler Leute an Verschwörungen, Aufständen und Empörungen. Von allen Glücksspielen ist dies unstreitig dasjenige, das die meisten Kräfte in Bewegung setzt. In jeder Minute ein unvorhergesehener Zwischenfall! Man atmet eine unermeßliche Hoffnung auf unbeschreibliche Dinge; man redet, man schreit, man kommt in Wallung, man denkt an nichts in der Welt, man trinkt und trinkt und trinkt ohne anzuhalten aus einem Becher voller Aufregungen, deren Geschmack beständig wechselt! Da seht diesen Benvenuto, diesen ausgesuchten Schwätzer, diesen Prahlhans sondergleichen! Er hat nicht eine Tugend; aber er ist voller Geist; er vergnügt sich in diesem Augenblick wie ein Gott, er glaubt nicht das geringste Wort von dem, was er da brüllt, und kümmert sich um die Freiheit von Florenz gerade soviel wie um die von Abessinien; aber er vergnügt sich, das ist die Hauptsache.

(Michelangelo tritt auf.)

Michelangelo. Ihr da, Meister Niccolo? Ich freue mich Euch zu sehen; seit Jahren war mir dieses Vergnügen nicht vergönnt; Ihr scheint mir bleich und abgezehrt.

Machiavelli. Mein alter Kamerad, ich bin wie ein Musikinstrument, dem der Boden eingeschlagen ist. Sie haben zu oft darauf getreten. Einige Saiten geben noch Töne; die meisten sind zerbrochen; der Rest ist verstimmt. Ich denke mit einiger Freude an die Wahrscheinlichkeit, binnen kurzem diese sterbliche Hülle zu verlassen, die mir so schlecht steht.

Michelangelo. Ich begreife Euren Ekel. Aber reden wir nicht von einem solchen Thema; wir würden uns nur zu gut verstehen. Was soll denn aber aus Italien werden? Wohin steuert es? Ich habe Rom verlassen, um nicht in die Hände der kaiserlichen Vandalen zu fallen; ich komme nach Florenz und finde dort alles in Verwirrung, und eine neue Umwälzung nach unzähligen andern. Die Franzosen, die den Papst nicht zu verteidigen noch irgend etwas Ersprießliches für uns und für sich selber zu tun wissen, haben eben Pavia mit Feuer und Schwert heimgesucht; überall tötet man und tötet und tötet ... Ich weiß, daß man in unsern jungen Jahren ebenso tötete ...

Machiavelli. Mit einem großen Unterschied: damals erstand das Leben aus dem Tode, und heute ist, was aus dem Tode ersteht, ein anderer Tod. Versteht Ihr mich?

Michelangelo. Ja ... so ziemlich.

Machiavelli. Nun, so hört! Zur Zeit, da wir jung waren, Ihr und ich, hinderten die Plünderungen, die Blutbäder, die Gewalttaten jeder Art Italien, das gleich uns jung war, mit Nichten groß zu werden und mit neuen Kräften neue Reize zu gewinnen. Dem ist nicht mehr so. Beachtet Ihr wohl, daß die Angelegenheiten der Italiener damals von Italienern besorgt wurden? Jetzt sind es die Franzosen, die Kaiserlichen, die leiten, säen, pflügen und ernten. Ehedem rief man die Barbaren zu Hilfe, sehr mit Unrecht ohne Zweifel! aber man betrachtete sie als Hilfstruppen, von denen man sich über kurz oder lang, nach der Niederlage und dem Untergange des feindlichen Landsmanns, zu befreien gedachte. So haben die Sforza, der Papst, die Venetianer der Reihe nach die Könige Karl VIII., Ludwig XII. und Ferdinand von Aragon herbeigerufen. Der Valentino hatte keinen andern Gedanken. Gegner, die noch so widerstreitenden Ansichten und Bestrebungen huldigten, kamen in diesem Punkte überein, und das konnte man ihnen zur Ehre anrechnen. Jetzt sind der Papst, die Mailänder, die Florentiner, die Leute in Neapel, nur Gliedermänner, deren Fäden Franz I. und Karl bewegen, und unser Wert ist nur Scheidemünze, welche den der beiden großen Monarchen vollmacht.

Michelangelo. Wir sind Provinzialen geworden, die man unterworfen hat oder unterwerfen wird.

Machiavelli. Schlimmer als das. Wir sind Greise, die vom unmäßigen Wüten aller Leidenschaften erschöpft sind; reich, daher man uns plündert; gewandt, daher man uns arbeiten läßt; gefeiert, daher man uns unseren Ruhm stiehlt; gelehrt, daher man unsere Wissenschaft einsaugt, um sie anders wohin zu verpflanzen. Wir sind verlorene Leute; und keine Schmach, die die Tiefen der unsrigen erschöpfte.

Michelangelo. Erinnert Ihr Euch, was Ihr uns eines Tages in der Sixtina sagtet, Francesco Granacci und mir?

Machiavelli. Ich urteilte damals nach den Wahrscheinlichkeiten und glaubte den heiligen Stuhl dazu bestimmt, alle Erbschaften in seiner Hand zu vereinigen. Ich ahnte nicht, daß Karl V. gelten werde, was er gilt, noch selbst Franz I.; jener ist der wahre Papst! Er will weder Reform, noch Verbesserung, noch Veränderung. Er will den Fortbestand der alten Welt mit ihren erstorbenen Verdiensten, ihrer geschäftigen Abgelebtheit, und während er den unfähigen Papst und den ohnmächtigen Hof von Rom mit Füßen tritt, ist es doch gerade die Erhaltung und der Sieg dieser Unfähigkeit und dieser Erniedrigung, die er zu sichern beschlossen hat. Aber glaubt mir, Michelangelo, glaubt mir: wir werden unzweifelhaft unter seinen Schlägen zu Grunde gehen, denn er hat einen starken Arm; aber er wird zu Grunde gehen wie wir; er wird weder die Ketzerei, noch den Geist der Zuchtlosigkeit, noch ihre Folgen ersticken; der unerbittlichste Wille kann die Wasser der Ströme nicht über die Abhänge zurücktreiben, von denen sie schon herabgestürzt sind.

Michelangelo. Trotzdem seht! Was Florenz angeht, so giebt der Stand der Dinge Euch nicht recht! Noch einmal sind die Medici fortgeschickt, und die Stadt kehrt zu ihrem alten republikanischen Glaubensbekenntnis zurück! Das Andenken des Bruders Girolamo leuchtet wieder auf wie die heilige Lampe, die vor den Tabernakeln brennt. Man beruft sich auf die Weisungen des Reformators; man erinnert sich seiner Worte, man stellt seine Verordnungen wieder her, und heute wird der Papst nicht, wie vor Zeiten Alexander, den Tod unsrer Lehren über uns verhängen. Er hat viel zuviel zu tun! Wie will er sich selbst retten? Können wir uns nicht mit dem Kaiser verständigen und ihm die für ihn so wenig bedrohliche Erhaltung der Vergangenheit, die wir wieder lebendig werden lassen, verdanken?

Machiavelli. Ich sage Euch, daß das Vergangene nie wieder lebendig wird. Der Papst wird gewiß weidlich vom Kaiser gequält; der Kaiser hält ihn gefangen, hungert ihn aus, geißelt ihn aus Leibeskräften ... Aber seht Ihr nicht, weshalb? Weil sie alle beide derselben Sache dienen, und weil der Kaiser seinen Gefährten mangelhaft und träge findet. Wenn er ihn seinem Willen gefügig gemacht hat, wird er diesem armen Papste nur Gutes wünschen; des armen Papstes Sache ist genau die seinige! Er würde lieber an seiner Stelle Hadrian VI. sehen, den er hatte wählen lassen, einen unwissenden Priester, fanatisch wie er selbst, gierig nach Despotismus in jeder Gestalt; aber er hat ihn nicht mehr, und wohl oder übel wird er sich mit dem Medici abfinden müssen. Deshalb wird er euch eines Tages die Verwandten Clemens' VII. zurückführen und sie, damit sie nicht wieder fallen, mit einer Gewalt bekleiden, deren Lorenzo der Prächtige sich nie erfreut hat, und dann werdet ihr, arm, schlecht, erbärmlich, unwissend, verdorben, verächtliche Wetterfahnen, die ihr seid, traurige Marionetten der Freiheit, die Untertanen eines fürstlichen Bedienten werden, und folglich die elendesten unter den Verworfenen.

Michelangelo. Ihr sprecht herb, Meister Niccolo; Ihr selbst werdet unter den Leuten sein, die Ihr so sehr verachtet.

Machiavelli. Ich werde nicht darunter sein. Der Tod hält mich beim Kragen. Er wird mich mit dahin nehmen, wo es nichts zu erröten giebt. Möchte ich in der künftigen Welt niemals einem Florentiner begegnen! Hört sie schreien, diese Elenden, so reich an Stimme und so arm an Hirn! Seht sie vorbeiziehn! ... Nicht ein einziger hat in den Kreislauf der Blutteilchen, die in seinen Adern fließen, jemals einen ernsthaften Gedanken sich mischen gefühlt, hat jemals beherzt an das geglaubt, was er tat! Ihnen geht es nur um die Aufregung und um die geschwätzige Nichtigkeit!

Michelangelo. Was Ihr sagt, ist übel, Niccolo. Ihr leidet an Leib und Seele; das ist eine Entschuldigung; aber, ich bin dessen gewiß, Ihr liebt trotzdem Euer Vaterland, dies durch die Schuld seiner Kinder so unglückliche Florenz, das darum doch nicht weniger eine große, eine edle, ruhmgekrönte Stadt ist, Mutter vieler Helden, Mutter unsterblicher Künstler, und das seine dereinstigen Heimsuchungen, wenn Ihr wirklich wahr in der Zukunft läset, Euch nur noch teurer machen müssen.

Machiavelli. Ich hasse diese schönen Sätze, deren Lügenhaftigkeit noch größer ist als ihr Wohlklang. Wenn es wahr ist, daß Florenz aus seinem Schoße Helden hat hervorgehen sehen, so ist es eine Rabenmutter; es hat das Unmögliche getan, sie zu zertreten; wenn es das nicht gekonnt hat alsobald, nachdem ihr Wert sich seinen Blicken enthüllt hatte, so hat es sie gequält, geplündert, verjagt ... Denkt an Dante und viele andere ... Und ich will zu ihr sprechen, zu dieser Schamlosen: verflucht seist du, Florenz, im Namen der Helden, die du aus deinem Schoße geboren und verschlungen hast wie ein Tier der Wildnis! Ich Florenz lieben! Ich hasse es! Und auch Ihr solltet das tun, denn nicht nur einmal hat es Euch gezwungen, aus seinen Mauern zu fliehen! Wenn Ihr nur Florenz gehabt hättet, um für Euch zu sorgen, es würde Euch in Eurem eigenen Genie erstickt haben!

Michelangelo. Und dennoch liebe ich es und werde ihm dienen.

Machiavelli. Ihr werdet nichts dabei gewinnen, so wenig wie es selbst; aber übrigens ist es möglich, daß Ihr auch nicht sonderlich viel dabei verliert! Ihr seid Michelangelo! Ihr liebt Florenz, das ist eine noble Passion; Ihr habt Florenz nicht nötig. Euer Aufenthalt ist in Rom, und wenn Rom noch ferner für Euch wegfiele, so wäre er in Venedig, in Mailand, in Paris! Der Kaiser würde Euch, um seine Staaten zu ehren, eine breite Siegesstraße auftun! Ich sage es Euch: Ihr seid Michelangelo. Unterhaltet Euch hier, solange Ihr Lust habt; Ihr werdet Eure Zeit dabei vergeuden und würdet besser tun, Euch mit Euren Meisterwerken zu beschäftigen; aber man wird sagen: wie hat er sein Vaterland geliebt! Das wird von guter Wirkung in den Blättern Eurer Geschichte sein! Was mich angeht, ich bin kein Künstler, dessen wahres Vaterland die Welt ist; ich bin kein Gelehrter, der allerwärts Ehre und Unterhalt finden kann; ich bin ein elender Beamter des elendesten der Staaten, und ich hasse diesen Staat und hasse Florenz.

Michelangelo. Ihr seid sehr unglücklich gewesen, und man hat Euch nicht nach Eurem Verdienst behandelt.

Machiavelli. Ich habe ein Weib, ich habe Kinder; ich bin vom ältesten Blute in Toscana, Ihr wißt es. Ich zähle seit lange mit ... Es ist kein Brot im Hause.

Michelangelo. Wahr ... wahr ... Es ist eine Schmach!

Machiavelli. Ich hatte viel gelernt; meine Jugend ist in den Büchern vergraben gewesen; ich habe sozusagen mit der Kindermilch die Weisheit des Altertums eingesogen, so eilig hatte ich's, zu lernen ... Was ist aus mir geworden? ... ein armer Schreiber, nichts weiter.

Michelangelo. Meister Niccolo, man ist sehr ungerecht gegen Euch verfahren, und ich begreife die Bitterkeit Eures Herzens.

Machiavelli. Nein, Ihr begreift sie nicht. Während ich in den untersten Stellungen verblieb und das Ziel der berechtigtsten Hoffnungen beständig hinausgerückt sah, fühlte ich mir jeden Augenblick die Schulter wund gequetscht: man warf mich zur Seite ... Es war der erste beste Bursche, ein Schelm, ein Erztölpel, ein Mensch ohne Talent, ohne Gewissen, ohne Geburt, der's eilig hatte und vorging. Inzwischen überhäufte man mich mit Verbindlichkeiten; ich erfüllte Aufträge, die bald schwer, bald gefährlich waren; ich erfüllte sie gut, das nahm nicht Wunder; aber der Strom der Lakaien zog immer fort an mir vorbei, und andre Lakaien sagten zu mir: bleibt, wo Ihr seid! Ich bin mein ganzes Leben da geblieben, und ich glaube, daß die Demütigung, der Ekel, der Verdruß, die Empörung, die sich in alle Winkel meines Herzens eingekrallt haben, mir noch empfindlicher gewesen sind als die Armut.

Michelangelo. Ach! ach! das Leben ist düster und arg; und wenn ich gedenke, was auch ich vom Aberwitz und der frechen Unwissenheit auszustehen gehabt habe, so begreife ich, was Ihr leidet!

Machiavelli. Nein, Ihr begreift es nicht. Als Bruder Girolamo Savonarola seine Lehre predigte, war ich ein junger Mann; ich liebte die Menschen, ich liebte mein Vaterland; ich liebte Italien; ich glaubte an die Möglichkeit der Vernunft und an die der Tugend. Ich habe alle meine Kräfte erschöpft, um ihnen ein Nest zu bauen. Was war der Ausgang dieser Hoffnungen? Reden wir nicht davon. Da ich trotzdem noch einen gewissen Vorrat von Leichtgläubigkeit besaß, so bildete ich mir ein, daß ein fähiger Mensch, so wie der Valentino, ein edles Königreich würde schaffen, weise Gesetze und gute Ordnungen darin einrichten, die Fremden nach Hause schicken können, und kurz, daß dies noch etwas Ersehnenswertes wäre. Der Valentino ist gescheitert. Heutzutage ist es Sitte, ihn als das entsetzlichste aller Ungeheuer zu behandeln, obwohl er, was besondere wie allgemeine Grausamkeiten betrifft, niemals die Hälfte der blutigen Nutzlosigkeiten sich hat träumen lassen, die Karl V. ausgeführt hat, die Plünderung Roms unter anderen und die neuerliche Einrichtung der Inquisition; aber der Sinn der Menschen ist so beschaffen, daß er einer gewissen Anzahl Sündenböcke bedarf, die die Verbrechen eines Zeitalters tragen müssen; natürlich wählt er nicht die schlimmsten der Wölfe. Er greift diejenigen heraus, die sich am wenigsten wehren können, diejenigen, die die Hunde schon zerstückt und erwürgt haben, weil vor allem er selbst feige ist.

Michelangelo. Ihr seid zu bitter; freilich habt Ihr das Herz voller Tränen.

Machiavelli. Nicht eine Träne steht mir zu Gebote. Ich weide mich vielmehr nach Herzenslust an dem Anblick, wie diese Welt von Elenden, von Narren, von Tröpfen, von Egoisten, die mich in der Stellung eines verhungerten Unterbeamten belassen haben, so gut für sich selbst gearbeitet hat, daß die schmachvollste Knechtschaft an ihrem Leibe bald nur noch der Lumpen sein wird, der das unheilbarste Elend deckt! Gott sei gepriesen! Diese Leute da, sage ich, sind noch mehr zu beklagen als ich! Ich sterbe, und die italienische Welt wird leben, aber vollkommen entehrt. Ihr freilich seid große Männer, ich meine Euch und Eure Freunde; aber wenn Ihr verschwunden seid, was bald der Fall sein wird, so bleiben nur Eure Kopisten, die Euch schlecht kopieren werden; und dann kommen die Affen; die werden Euer Himmelsstürmen in lächerliche Bockssprünge verwandeln, und was Ihr gewirkt, wird damit abgetan sein ... Gehn wir nach Hause.

Michelangelo. Ja, gehn wir. Ich will Euch den Arm geben und Euch heimgeleiten. Unter den großen Männern, von denen Ihr sprecht, habt Ihr Eure Stelle, Niccolo.

Machiavelli. Mitnichten! Ich bin nur ein Gedankensichter, und der Tatbestand lehrt, daß ich nur ein Träumer gewesen bin. Es ist ein weiter Weg vom Erkennen des Rechten zum Schaffen des Wahren. Aus der Häßlichkeit selbst macht Ihr die unsterbliche Schönheit, wie es Euch gegeben ist, mit dem gemeinsten Ton bezaubernde Formen zu bilden; Eure Welt kann untergehn. Ihr bleibt Gott und lebet. Aber ich? ich habe begriffen, was man ins Leben zu rufen hätte versuchen müssen; ich habe gezeigt, was wünschenswert war. Hat man es ausführen lassen? Nein! Was bleibt von mir? Ein armer tiefgebeugter Mann, der verschwinden wird, und damit abgetan! Um so besser! Gehn wir nach Hause.

Michelangelo. Ja, gehn wir. Ich an meinem Teile muß Euch bekennen, daß ich, mit oder ohne Hoffnung, dem Vaterlande dienen werde; ich denke, was ich kann, zu seiner Verteidigung aufzubieten, und wenn es unterliegen soll, so werde ich wenigstens eine Pflicht, oder was mir eine solche scheint, erfüllt haben.

Machiavelli. Scheut Euch selbst nicht. Euer Blut herzugeben; was Ihr bei dieser, wie bei anderen Gelegenheiten, vollführt, wird Euch von der Nachwelt wohl gelohnt werden. Sie wird sagen: Michelangelo, der große Künstler, hatte Florenz ganz und gar nicht nötig, und doch hat er dies und das dafür geopfert!... Geht hin! Eure Kränze sind bereit; aber ich, wenn ich ein Dummkopf wäre und mich in das mengen wollte, was vorgeht, so würde man mich dazu anstellen, den großen Männern, die jede Revolution aus ihrem Schlamme hervorzieht, die Kleider zu bürsten, und am Tage der Niederlage würde man zu mir sagen: alter Narr! Was kanntet Ihr Eure Genossen nicht besser? Man würde recht haben. Lebt wohl, Michelangelo. Ich hoffe Euch in dieser Welt nicht mehr wiederzusehen.

Michelangelo (ihm die Hand drückend). Lebt wohl! (Machiavelli tritt ins Haus und schließt die Türe wieder.) Der arme Niccolo blickt nur allzu klar. Gleichviel; ich habe in der Tat die Schwingen noch frei, das ist gewiß; ich kann gehen, wohin mir's gefällt. Das Schicksal hat, wenn es auch in anderem hart mit mir verfuhr, mich wenigstens dem Willen keines Menschen unterworfen. Ich will Florenz verteidigen, und hat es unrecht, dies Florenz, so werde ich darum nicht weniger einem Triebe meines Herzens genug getan haben.


Parma.

Das Franziskanerkloster.

Die Kuppel der Kirche; der Pater Guardian; Mönche, ein Kirchenältester von der Domkirche, Correggio.

Der Pater Guardian. Ich habe Euch etwas zu sagen, Allegri. Ihr werdet hoffentlich nicht böse werden; ich will nur väterliche Worte an Euch richten, und ganz und gar in guter Absicht.

Correggio. Seid meiner Achtung versichert, ehrwürdiger Vater; ich weiß, daß ich in vieler Hinsicht Anlaß zum Tadel gebe.

Der Kirchenälteste. Ich will zu ihm sprechen, um so mehr, da meine Kenntnisse in der Malerei sehr bedeutend sind, und es schwer ist, mir in dieser Beziehung etwas weis zu machen.

Der Pater Guardian. Ihr seid ein Kenner, ein ächter Kenner.

Der Kirchenälteste. Ja, aber besonders in der Malerei; und ich will Euch also sagen, Meister ... wie ist Euer Name? ...

Correggio. Ich heiße Antonio Allegri, und da ich aus dem Dorfe Correggio, einige Meilen von hier, gebürtig bin und dort wohne, so giebt man mir gewöhnlich den Namen meines Aufenthaltsortes.

Der Kirchenälteste. Ihr müßt also wissen, Meister Correggio, daß Ihr kein Maler seid. Ich brauche zum Beweise dafür nur dieses Farbendurcheinander, womit Ihr die Kuppel dieser Kirche bedecken zu sollen geglaubt habt.

Correggio. Ich möchte mir erlauben, Euch darauf aufmerksam zu machen, Herr ...

Der Kirchenälteste. Ich verstehe mich auf Malerei, gebt nur die Hoffnung auf, mir etwas aufzubinden! Da sind Arme, die zu kurz, Beine, die zu lang sind und Nasen, von denen ich lieber nichts sagen will. Was die Farbe anbelangt ...

Der Prior. Hört aufmerksam zu, Allegri; Ihr habt es mit einem sehr unterrichteten Manne zu tun.

Correggio. Ich höre aufmerksam zu, ehrwürdiger Vater.

Der Kirchenälteste. Was die Farbe anbelangt, so könnte man denken, daß Ihr die Absicht gehabt hättet, uns eine Schüssel Frösche aufzutischen.

(Die Mönche brechen in Gelächter ans; Correggio errötet.)

Der Prior. Ich will auf jeden Fall hoffen, daß seine Gottesfurcht ihm nicht erlaubt haben würde, einen solchen Gedanken zu hegen.

Correggio. Erlaubt mir mich zurückzuziehen.

Der Kirchenälteste. Solltet Ihr etwa unzufrieden über meine Freimütigkeit sein?

Correggio. Da ich nach Eurer Meinung kein Maler bin, Herr, so ist es besser, daß ich meine Arbeit nicht fortsetze, und folglich verzichte ich darauf.

Der Prior. Ihr wollt Eure Arbeit nicht fortsetzen?

Correggio. Nein, ehrwürdiger Vater, Ihr könnt sie geben, wem es Euch beliebt.

Der Prior. Das ist ein unerhörtes Benehmen!

Der Kirchenälteste. Wißt Ihr, daß man Euch durch die Gewalt der Gerichte zwingen könnte, Eure unpassenden Drohungen zurückzunehmen?

Correggio. Ihr könnt den Gerichten sagen, was Ihr wollt, aber sie besitzen kein Mittel, mir den Pinsel in die Hand zu stecken.

Der Prior und die Mönche (alle zugleich). Dann wird man Euch nicht bezahlen!

Correggio. Gott ist mein Zeuge, daß ich Geld nötig habe, denn der Mangel ist groß im Hause; einerlei! Ich will trotzdem lieber alles verlieren und meiner Wege gehn. Nur will ich Euch daran erinnern, daß Ihr mir den Preis für mein Gemälde, Christus am Ölberge, noch schuldig seid.

Der Kirchenälteste. Meine Meinung, ehrwürdige Väter, ist, daß ihr diesen habsüchtigen Menschen, dessen Liebe zum Gewinn ganz und gar keinen Künstler verrät, kurzer Hand befriedigtet.

Der Prior. Meister Allegri, dieser Auftritt geht mir im höchsten Grade nahe. Nie, nein nie, hätte ich bei Euch soviel Stolz und einen so wenig ehrenhaften Charakter vorausgesetzt. Wir wollen Euch vier Taler für Euer Gemälde geben, um keinerlei Auseinandersetzung mit Euch zu haben.

Der Kirchenälteste. Der Mann ist glänzend belohnt.

Correggio. Gebt mir die vier Taler, daß ich meiner Wege gehe.

Der Prior. Bruder Onorato, nehmt ihn mit Euch, und zahlt ihm, in Kupfermünze, wohlverstanden, die Summe aus, die er fordert. Ich bin bekümmert, mein Sohn, tief bekümmert, und offen gestanden, das Herz blutet mir ob Eures Benehmens.

Correggio. Ehrwürdige Väter, und Ihr, Herr, ich grüße euch und bedaure, daß meine Malerei euch nicht ansteht.

(Er geht mit Bruder Onorato ab.)

Der Kirchenälteste. Ihr dürft euch über dieses Ärgernis nicht wundern, ehrwürdige Väter. Diese Leute von Talent sind heftige, cholerische, tolle Wesen, mit denen in Berührung zu kommen äußerst unangenehm ist. Aus dem scheinbaren Grunde, daß sie den andern überlegen sind, glauben sie sich über sie gestellt; es ist nicht auszuhalten! und wenn man ihnen nur im geringsten Wahrheiten zu hören giebt, die ihnen nicht gefallen, so seht ihr, was daraus entsteht.

Der Prior. Ich habe in der Tat immer gedacht, daß die gewöhnlicheren Menschen in vielen Beziehungen den Vorzug vor den ...

Der Kirchenälteste. Ungewöhnlichen verdienten ... Das ist auch meine Meinung. In allen Dingen begünstigt man die Künstler viel zuviel. Wir werden ohne jede Mühe für die Vollendung der Gemälde eurer Kirche irgend einen braven, bescheidenen, ehrbaren Burschen finden, den man ohne soviel Umstände behandeln kann. Laßt das meine Sorge sein, ich stehe dafür, daß eure Kuppel nur um so gefälliger sein wird, wenn sie nach meinen Ideen ausgeführt ist, denn ich male zwar nicht, verstehe mich aber vollkommen auf diese Art Dinge.


Bologna.

Eine Straße.

Traurige, flüsternde Bürger und Handwerker sind vor einem Hause versammelt. – Zwei Reisende reiten vorüber.

Erster Reisender. Was will die Menge? Warum diese betrübten Gesichter? Was geht hier vor?

Zweiter Reisender. Ein Unfall, ohne Zweifel. Ihr Herren, laßt uns gefälligst vorbei!

Erster Reisender. Da sind Frauen in Tränen. Laßt uns nach dem Grunde fragen.

Zweiter Reisender. Meine Neugier ist ebenso erregt wie die Eurige. Dieser Schreinermeister sieht aus, als ob er ein gefälliger Mann wäre. Sprecht ihn an!

Erster Reisender (sein Pferd anhaltend und sich über den Hals desselben herabbeugend). Herr, verzeiht!

Der Schreiner (inmitten einer Gruppe). Was steht zu Diensten, Herr?

Erster Reisender. Möchtet Ihr uns wohl, wenn die Frage erlaubt ist, die Ursache dieses Auflaufs mitteilen, und warum so viele Menschen in tiefster Betrübnis?

Der Schreiner. Ihr kennt ohne Zweifel den Namen der Properzia de' Rossi?

Erster Reisender. Meint Ihr damit die junge wunderbare Frau, die so viele schöne Statuen gemeißelt hat, darunter die beiden marmornen Engel, die Zierde der Hauptkirche von San Petronio?

Der Schreiner. Eben die! Ihr Ruhm erfüllt Italien. Properzia liegt im Sterben.

Zweiter Reisender. Mein Gott! Was sagt Ihr? So jung?

Erster Reisender. Wir sind Lombarden und begreifen den gerechten Schmerz der Bologneser.

Zweiter Reisender. Mein Gott! woran will denn ein Weib, so schön, so vollkommen, sterben? Sie, so glänzend, so bewundert, so glücklich?

Eine Frau (sich heftig mit beiden Händen die Stirne schlagend). So glücklich! so glücklich! ... Gerade weil sie nicht glücklich ist, will sie sterben! Der Mann, den sie liebte, verläßt sie!


Im Hause der Properzia.

Ein sehr großes Zimmer. – Die Fenstervorhänge sind herabgelassen. – Es ist finster. – Properzia liegt auf einem von dem Dunkel, das das Gemach erfüllt, halb verhüllten Bette; sie ist sehr blaß; ihr schwarzes Haar bedeckt das Kopfkissen; ihre Arme hängen außerhalb des Bettes über die Decken herab; die Vorhänge von weißem und grünem Damast sind zurückgeschlagen und um Säulen geknüpft. Auf einem Tische Arzneifläschchen, ein silbernes Wassergefäß, eine vergoldete Schale, nasse und blutige Tücher. – Der Vater, die Mutter, der Gatte der Properzia. Ein Arzt.

Der Gatte. Sprich zu mir. Teure! ... Du leidest? ...

Der Vater. Wie! willst du uns nicht ein einziges Wort sagen! ... Blicke, blick' auf deine unglückliche Mutter ... Sie ist da, siehst du? Der Kummer wird sie töten ... Du weißt das wohl, nicht wahr?

Der Gatte (zum Arzte). Kommt ... in dies Fenster ... ich habe Euch etwas zu sagen ... Kommt dahin ... sprechen wir leise ... daß niemand uns hört ... Gesteht mir ganz offen die Wahrheit. Ich bin ein Mann ... ich kann alles hören ... Ihr wißt, daß ich Mut habe ... O! ich habe viel Mut! (Er schluchzt.)

Der Arzt. Nun! nun! beruhigt Euch, Herr Luigi, mein Freund!

Der Gatte. Ja! Euer Freund! ... Ach! gewiß! ich habe Freunde nötig. Sprecht unumwunden zu mir ... Wie viel Tage werden nötig sein, bis ich sie wiederhergestellt sehe; ja, sie, da ... Properzia ... meine Properzia! ... Ihr wißt, von wem ich sprechen will? ...

Der Arzt. Ach! armer Herr Luigi ... ich habe es Euch vorhergesagt ... ich habe mein Möglichstes getan ... Ihr wißt, daß Bruder Bento benachrichtigt ist, und ich höre ihn auf der Treppe, er bringt das heilige Abendmahl.

Der Gatte. Aber, nicht wahr. Ihr wollt doch nicht sagen, daß ...?

Der Arzt. Herr Luigi, armer Mann! ... nehmt Abschied von Eurem Weibe. (Der Gatte kehrt zum Bette zurück.)

Properzia (mit sehr schwacher Stimme). Warum sterbe ich nicht?

Der Vater. Ich verstehe nicht, was du mir sagst, mein Herzblatt ... Fühlst du dich besser? ...

Properzia (teilnahmlos). Ja.

Der Gatte (sich über sie beugend). Ich bitte dich nur um eines ... mich nicht zu verlassen ... Verstehst du mich?

Properzia. Ja.

Der Gatte. Du sollst mich dich lieben lassen ... Willst du, so sollst du mich nicht lieben.

(Properzia blickt ihn an, blickt auf ihre Eltern und das Zimmer, und wendet sich halb nach der Wand um. Bruder Bento tritt herein. Er setzt sich an das Kopfende des Bettes.)

Bruder Bento. Properzia, ich habe Euch zur Welt kommen sehen. Ich hege die zärtlichste Zuneigung für Euch ... Besinnt Ihr Euch darauf?

Properzia. Nein.

Bruder Bento (zu den Anwesenden). Entfernt euch, ich bitte euch; haltet euch am anderen Ende des Gemachs. Ich muß allein mit meinem Beichtkinde sein.

Der Arzt. Macht schnell, Bruder Bento, sie stirbt.

Bruder Bento. Tochter, liebe Tochter ... ruhmreiche Tochter! Du hast viel gelitten ... Sage mir, daß du bereuest ... und alles wird dir vergeben sein! Sprich schnell, sprich, um deiner ewigen Seligkeit willen ... ich beschwöre dich darum! ... Ach! allerheiligste Jungfrau! Sie wird keine Zeit haben ... ihre Augen werden trübe! (Properzia wird unruhig, und ihre ausgestreckten Hände scheinen etwas zu suchen,) Properzia, mein Kind, nicht wahr, du bereust ... du bereust? ...

Properzia. Ich weiß nicht! ... (Sie stirbt.)


Venedig.

Die Werkstatt Tizians.

Gemälde, vollendet oder im Entwurf. Tizian, alt, mit langem, weißem Bart, ein Käppchen von schwarzem Sammet auf dem Haupte, in ein Gewand von rotem Taffet gekleidet, eine goldene Ritterkette um den Hals; er sitzt in einem Lehnstuhl; neben ihm Aretino, das Gesicht voll Feuer, lebhaft, geistvoll, vornehm; große Beweglichkeit der Gebärden.

Aretino. Mein Freund, ich habe Euch in meiner letzten Epistel an den Kaiser genannt. Vor einem Monat habe ich Euch brav gelobt in den Versen, die ich an den Papst gerichtet, und die mir, beiläufig, nicht genügend bezahlt worden sind, so daß ich Euch noch braver in denen loben werde, die ich an den König von England schicken will, was Paul III. immer verdrießt, wie auch Clemens VII. jedesmal böse wurde, wenn ich eine Lobrede auf diesen ketzerischen Monarchen veröffentlichte ... Aber warum knausert der Hof von Rom mit mir? Kurz, Ihr werdet mich verbinden, wenn Ihr mir ein' zwanzig Goldtaler gebt.

Tizian. Ihr habt da ein wunderbares Gewerbe erfunden, Meister Pietro. Mit drei Blättern Papier, auf die Ihr in Eurem Stile einige plumpe Schmeicheleien hinwerft, unterstützt von einem halben Dutzend Lügen an die Adresse von Hinz oder Kunz, gewinnt Ihr mehr Geld als irgend ein Dichter, Gelehrter oder Doktor jemals in dreißig Jahren voller Nachtwachen und schwerer Arbeit hat aufsammeln können.

Aretino. Wißt Ihr warum?

Tizian. Weil die Menschen das Lob lieben.

Aretino. Und die Beleidigung fürchten. Ich kratze ebensogut als ich liebkose, und niemand ist sonderlich erbaut davon, wenn er seinem Namen, Dank meinen fliegenden Blättern, die ganz Europa begierig aufnimmt, in einem Morasthaufen kleiner Lästerungen, an deren Wahrheit mir wenig gelegen ist, begegnet. Wer bezahlt, wird gelobt; wer nicht bezahlt, wird lustig heruntergerissen, und die Leser glauben ohne Unterschied, was ich drucke. Aber was wollt Ihr mir für meine letzten Briefe geben?

Tizian. Zehn Goldtaler.

Aretino. Ihr werdet mir zwanzig geben, Herr und Freund, und nicht noch obendrein die Stirn runzeln. Was Teufel! mir scheint, daß ich Euch genug hübsche Aufträge, genug Porträts einbringe! Ich komme Euch nicht teuer.

Tizian. Meinetwegen! Aber Ihr tut mir den Gefallen, auch von Zeit zu Zeit zu sagen, daß alle die Spitzbuben, die heutzutage in Venedig in Malerei machen, nicht das wert sind, was die Dummköpfe nachsprechen.

Aretino. Ich nehme an, daß die Namen Veroneses, Tintorettos, Bassanos bei dieser Gelegenheit von mir in die Feder genommen werden sollen, und zwar mit Beiwörtern, die ihnen kein Vergnügen machen werden?

Tizian. Gewiß! Es sind das Leute, die aus meiner Werkstatt hervorgegangen sind. Sie haben sich gegen mich auf das Unanständigste betragen, und ich finde es miserabel, daß ich sie, wie das vorkommt, ihre Arbeiten zum Schaden der meinigen verkaufen sehen soll, einzig weil sie mir gewisse Kenntnisse gestohlen haben, die ich nicht die Absicht hatte ihnen mitzuteilen. Jedoch handelt sichs nicht in erster Linie um diese Ignoranten.

Aretino. Ich will Euch nicht verhehlen, daß nach meiner Meinung diese Ignoranten doch recht hübsche Sachen machen; aber dessenungeachtet will ich alles Üble, was Ihr wollt, von ihnen sagen, wie auch von dem andern, dessen Namen Ihr mich wissen lassen müßt.

Tizian. Der andere ist Paris Bordone. Ich bin von diesem Landstreicher tatsächlich beschimpft worden.

Aretino. Beschimpft? Wie meint Ihr das?

Tizian. Wie ich das meine? Ihr setzt mich in Erstaunen! Hat er nicht, der Taugenichts, der Bettler, durch Ränke die Kapelle von San Niccolo dei Frari zu malen bekommen? Denkt Ihr, daß ich eine solche Unverschämtheit ertragen werde? Ein elender Handlanger, der keine achtzehn Jahre alt ist, sich eine Kapelle geben lassen, wenn ich, ein Alter, ein Mann, ich darf wohl sagen, vollendet in seiner Kunst, da bin? Ich will die Kapelle malen, und ich will nicht, daß irgend jemand in Venedig mir ins Gehege kommt.

Aretino. Die andern Künstler müssen aber doch einige Gelegenheit haben, sich bekannt zu machen und ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Ich finde Euch nicht vernünftig, Herr Tizian. Paris Bordone ist freilich ein junger Mann, ja sogar ein sehr junger Mann; Ihr seid der erste Maler der Welt, niemand bestreitet es; aber wenn ich sehe, daß, Dank Gott, Eurem Talente und ein wenig meinen Empfehlungen und Lobsprüchen, Ihr bei weitem der reichste Künstler Italiens seid, der die Bildnisse aller Potentaten anfertigt und wieder anfertigt und der bei allen Unternehmungen dabei ist, so finde ich Euch ein wenig hart, wenn Ihr nicht wollt, daß die andern Maler ihre Virtuosität neben der Eurigen versuchen.

Tizian. Das sind Redensarten. Wenn ich nicht auf der Hut wäre, so würden diese schamlosen Ränkeschmiede, die alle Augenblicke mit schlechten Pinseln ankommen und versuchen, sich ans Tageslicht zu drängen, mich schnell vergessen gemacht haben, und dann würde ich Hungers sterben. Laßt diese Reden, mit denen Ihr mir lästig werdet, und wisset, daß ich Zeit meines Lebens, wenn ich es vermag, keinen Mitbewerber, keinen Nebenbuhler dulden werde. Wollt Ihr mir helfen, ja oder nein?

Aretino. Gesteht nur, daß Ihr ein schrecklicher und wahrhaft unbarmherziger Mensch seid. Wieviel Kummer habt Ihr Giorgione nicht verursacht! Er ist daran gestorben! Während Eures glücklicherweise sehr langen Lebens seid Ihr der Urheber vieler Meisterwerke, aber nicht minder vieler böser Streiche, die Ihr Euren Gegnern gespielt habt, geworden. Und wer sind Eure Gegner? Ihr habt es soeben ausgesprochen: alle diejenigen, die in Venedig einen Pinsel führen.

Tizian. Ich will Euch zwei Rotstiftzeichnungen geben; sie sind da, in dieser Mappe, und jede ist zum mindesten vierzig Goldtaler wert. Ich will sie Euch geben, sage ich, aber Ihr seid mir dann in dieser Geschichte mit Paris Bordone nach meinem Gefallen behilflich. Ich will, daß man ihm die Minoritenkapelle wieder abnimmt.

Aretino. Ihr gebt mir die beiden Zeichnungen?

Tizian. Ich gebe sie Euch, und ich meine, daß das ein ansehnliches Geschenk ist.

Aretino. Schließlich liegt mir wenig daran, ob dieser Bordone sein Glück macht oder nicht. Das ist nicht meine Sache. Ich werde gegen ihn schreiben, und überdies mit den Vorstehern sprechen.

Tizian. Der Handel ist abgemacht. Gebt Euch gleich ans Werk. Ich werde mich meinerseits an den Dogen wenden, und wenn ich diesen kleinen Vermessenen fortjagen lassen kann, so wird es ein ausgezeichnetes Geschäft werden.

Aretino. Es gefällt mir an Euch, daß Ihr in Eurem Alter ebenso herzhaft, ebenso ungestüm seid wie ein junger Mann. Es ist nicht gut Euch mißfallen, und ich habe schon daran gedacht, eine Parallele, die Euch zum Gegenstande hat, in der Weise des Plutarch zu schreiben.

Tizian. Mit wem wollt ihr mich vergleichen, bitte?

Aretino. Mit Michelangelo.

Tizian. Das ist ein guter Einfall; Ihr müßt das zu Papier bringen, sei es in Versen oder in Prosa, und es in ganz Europa herumschicken; außerdem, daß mein Ruf dadurch steigen muß, bin ich gewiß, daß ich auch einige Gemälde mehr verkaufen werde.

Aretino. Ich weiß nicht, ob mein Vorhaben einzig und allein zu Eurem Vorteile ist. In dem Maße, als Ihr alt werdet, werdet Ihr hitziger und bitterer. Es ist nicht gut. Euch nahe zu kommen, Herr und Freund; Euch Wahrheiten zu sagen ist das Allerkühnste, das ich mir erlauben kann, ich, vor dem jeder sich fürchtet, Ihr selbst so gut wie die andern. Michelangelo hingegen, den ich noch vor wenigen Jahren mit der düstersten Gemütsart und der sprödesten Laune gekannt habe, wird jeden Tag milder, und in dem Maße, als er im Alter vorrückt, wird er fast zum Heiligen. Ein anderes noch fällt mir auf: ich kenne Michelangelo genau, aber ich habe auch Raffael gekannt; ich habe Bramante, Sansovino, Andrea del Sarto gekannt und vielfach das Leben und die Taten des großen Lionardo erzählen hören. Alle diese Männer hatten, und diejenigen unter ihnen, die noch leben, haben noch immer eine von wahrhaft erhabenen Lehren erleuchtete Phantasie. Sie sind bewunderungswürdige Maler, aber auch Weltweise; sie lieben es, den dunkelsten Fragen auf den Grund zu blicken, und sprechen von der Schönheit wie Liebhaber, die beglückt genug darin sind, daß sie sie ohne Schleier im Schoße des reinen Himmelsblaus geschaut haben. Was Euch angeht, so habe ich Euch niemals in irgend welcher Entzückung gesehen. Ihr seid gewiß der bewundernswürdigste Maler, den die Welt jemals hervorgebracht hat, und Michelangelo weigert Euch einen Platz neben sich nur unter Berufung auf gewisse Schwächen in Eurer Zeichnung: aber Ihr seid ein Maler, der, nachdem er zur Beherrschung dessen gelangt, was die wahre und lebendige Natur Auserlesenstes in sich birgt, niemals an das gedacht zu haben scheint, was über sie hinaus liegt, und seinen Geist niemals auf die Suche nach einem Ideal hat ausfliegen lassen.

Tizian. Ich habe mich wohl davor gehütet. Ich ehre das Verdienst der großen Künstler, deren Namen Ihr eben ausgesprochen habt, wie sich's gebührt. Sie haben bewundernswürdige Sachen ausgeführt; sie würden noch mehr gemacht haben, wenn sie nicht einen beträchtlichen Teil ihrer Zeit mit gegenstandslosen Träumereien verloren hätten. Ein Maler soll malen und nicht abschweifen wie ein Professor in seinem Lehrstuhl. Er soll Leiber, Arme, Beine malen, in die Gesichter, die er nachbildet, die gewünschte Beseelung legen, der Farbe mit einem glänzenden Lichtstrahl schmeicheln, sie geschickt mit den lebhaften Schatten umgeben, die sie hervortreten lassen, und er hat, um zum glücklichsten Erfolge zu gelangen, nicht nötig zu wissen, was Aristoteles gesagt hat, sondern nur, was ein Modell darstellt, dem er dann einige Stücke Kupfergeld bezahlt; und er braucht eine Werkstatt, wo das Licht passend hineinfällt.

Aretino. Raffael zog es vor, die Urbilder seiner Madonnen in sich selbst aufzufinden, und sein Geist, durch das Nachdenken verfeinert und voll wunderbarer Bilder, Linien, Reliefs, unter denen er wählte, schien ihm der beste der Führer.

Tizian. Ich für mein Teil ziehe es vor, meine Madonnen auf der Straße zu finden, und sie auf der Leinwand, wohin ich ihre Ebenbilder übertrage, den ganzen Stolz des wirklichen Lebens atmen zu lassen. Ich gebe den Geschöpfen Gottes ein zweites Dasein, denn ich stelle sie, so wie sie sind, mit ihren Bewegungen, mit ihrer Wahrheit, in die Welt der Farben und in das Licht, womit die wirkliche Sonne sie belebt; ich gebe sie so wieder, wie ich sie sehe, und das gerade ist mein Triumph, daß ich sie sehe, daß ich sie wiedergebe, und es giebt nichts Höheres.

Aretino. Vergebt mir. Ihr irret Euch ein wenig. Ich bewundere Euch ohne Zweifel, Herr Tizian, wie sich's geziemt Euch zu bewundern, aber ich bin trotzdem nicht geneigt, den Künstlern von Florenz und Rom die Achtung zu versagen, die ihnen nicht weniger gebührt. Ihr wißt es selbst, sie klagen Euch an, und Michelangelo ist ihr Wortführer! Sie klagen Euch an, in Euren jungen Jahren, ehe Ihr zu malen begannt, nicht genügend studiert zu haben, und daher, sagen sie, die geringe Gründlichkeit der Zeichnung, die die Werke Eures Genius im Werte herabsetzt.

Tizian. Ich spotte dieser lächerlichen Verleumdung, und ich zeichne ebensogut wie die Natur selbst.

Aretino. Gerade das machen die Meister Euch zum Vorwurf; Ihr zeichnet ebensogut wie die Natur, und Ihr zeichnet nicht besser. Die Natur deutet vollkommen an, was man wiedergeben muß, um die Schönheit auszudrücken. Aber sie giebt es nicht immer; sie ist voller à peu près; sie hat Überfluß an Gedankenfehlgeburten; ihre Schöpfungen sind von irgend einer Seite mangelhaft, und wäre es auch nur durch das Merkmal von Gewöhnlichkeit, wovon sie nichts, auch nicht ihre herrlichsten Meisterwerke, frei erhält; sie ist nicht abzuschreiben in dem, was sie hervorbringt, sondern nur zu hören in dem, was sie vorschlägt. Darum sind die Maler von Florenz und Rom groß, weil sie immer das Ideal, das die Natur anrät, und nicht die Wirklichkeit, die sie liefert, vor sich haben.

Tizian. Zweifelt nicht, daß ich Eure Maximen begreife, Herr Pietro. Ich habe sie selbst geprüft und nach vielen Seiten hin betrachtet. Aber wißt Ihr, daß es eine gefährliche Anmaßung ist, die Hand des einzigen Führers, dem der Künstler sich anvertrauen kann, loslassen zu wollen, um in den Räumen der Phantasie Pfade zu suchen, auf denen dieser Führer Euch nicht folgt? Ich bewundere Raffael, ich bewundere Michelangelo; aber wie leicht ist es, abzuirren, wenn man dem Anspruch Gehör giebt, zu tun wie sie! Betrachtet ihre Schüler! Diese sogenannten Anbeter des Ideals beginnen heutzutage im Dunkeln zu tappen, und ihre Werke zeigen schon das Ergebnis ihres Übermutes. Indem sie besser als die Natur, über die Natur hinaus schaffen wollen, geben sie uns Mißgeburten und verzerrte Wesen, denen der Atem des Lebens fehlt. Zweifelt nicht daran, daß dies Übel immer zunehmen wird; ich für meine Person halte dafür, daß keine Möglichkeit ist, sich zu irren, wenn man tut, wie ich, und ich bin nicht gesonnen, mich verführen zu lassen. Der größte Porträtmaler, den die Welt je gekannt hat, bin ich! Meine Nachfolger werden nur in meiner Bahn zu wandeln haben, um des Lobes würdig zu sein.

Aretino. Ich habe nicht gesagt, daß Ihr nicht bewundernswert wäret.

Tizian. Ihr gebt mir zu verstehen, daß ich von geringerem Werte sei. Ihr täuscht Euch. Ich stehe hinter niemanden zurück, und sehr mit Recht decken der Kaiser, und mit ihm alle Könige der Welt, alle große Herren, meine Gemälde mit wohlverdientem Golde zu. Im Grunde, Herr Pietro, ist doch das Maß des Verdienstes nirgend anders zu suchen, als darin: was man an Gemälden verkauft, und um welchen Preis man sie verkauft. Das ist auch so ziemlich die Mode der Zeit; und sie ist gut. In meiner Jugend hatte man wenig acht auf diese Wahrheit, und zumal Eure Lieblingskünstler verlangten von sich Uneigennützigkeit. Ihre Schüler und ihre Nachfolger kommen von dieser Narrheit zurück. Sie hängen sehr an den Dukaten und arbeiten für die Dukaten, wie Ihr, wie ich, und ich lobe sie darum.

Aretino. Die Dukaten sind schön und gut; in großer Zahl in einer Börse vereinigt, geben sie die lieblichste Musik, die das Ohr umschmeicheln kann. Aber es ist auch angenehm, den Gründen der Dinge nachzugehen. Im ganzen genommen sind freilich mehr Leute in der Welt imstande, Eure Methode zu schätzen, als derjenigen Eurer Nebenbuhler Geschmack abzugewinnen.

Tizian. Der Ruhm macht sich bemerklich nur durch die Zahl der Beifallsstimmen.

Aretino. Michelangelo würde nicht Eurer Ansicht sein.

Tizian. Michelangelo ist auch ein finsterer Mann, der die Wonnen des Daseins nie gekannt hat ... Lassen wir das, und versäumt nicht mir Wort zu halten, indem Ihr die Unverschämtheit des Paris Bordone und meiner andern Feinde züchtigt.

Aretino. Ich werde mich sofort ans Werk machen. Gebt mir dieses Blatt Papier; durch einige Krähenfüße, mit denen ich es bedecke, verleihe ich Erfolg oder Verderben, Ruhm oder Schande, Leben oder Tod, ganz wie es mir gefällt; ich bedürfte nicht einmal des Talentes; ich habe mit der Wahrheit nichts zu schaffen, ich brauche nur die Eselsohren der menschlichen Maulafferei; Ihr seht dies Blatt Papier da? es wird, bedruckt, gleich zwei Dukaten wert sein!


Brüssel.

1555.

Der Palast.

Das Kabinett des Kaisers. Karl V., der Infant Don Philipp, König von England und Neapel, vor seinem Vater stehend; dieser sitzt in einem Lehnstuhl von schwarzem Leder.

Karl V. Für das, was ich Euch zu sagen habe, Infant Don Philipp, setzt Euch und bedeckt Euch. (Der Infant gehorcht.) Da gewisse Gedanken, die ich seit etwa einem Jahre in mir bewegte, zur Reife gediehen sind, so ist der Augenblick gekommen, Euch davon Mitteilung zu machen. Ich gedenke die Macht, die der Himmel meinen Händen anvertraut hat, niederzulegen und Euch meine Kronen zu übergeben.

Don Philipp. Euere Majestät hat ohne Zweifel triftige Gründe für eine so schwerwiegende Entschließung.

Karl V. Ich bin krank, entkräftet; ich bin müde. Wenn ich die Weise betrachte, wie so viele Monarchen regieren oder regiert haben, so finde ich die Aufgabe, die mir auferlegt wurde, hart. Zudem reden die Tatsachen für sich selbst. Um einen Begriff von dem zu geben, was mein Leben war, genügt es, Euch daran zu erinnern, welche Staaten in diesem Augenblicke unter dem Scepter unseres Hauses vereinigt sind. Mit Neapel, Mailand und Sardinien sind das Reich, Flandern, Burgund, Artois und die Königreiche Spaniens wie zu einem Gebinde verschlungen; durch Eure Vermählung mit der Königin Maria habe ich England mit dieser gewaltigen Beute vereinigt; meine Flagge weht auf den Festungen Afrikas, und das unbegrenzte Festland Neu-Indiens gehorcht ohne Widerstand meinen Gesetzen. Um ein so ungeheures Triebwerk zu erhalten, zu befestigen, vorwärts zu bringen, ist mein Leben nur eine immerwährende Reise gewesen. Ich bin neunmal nach Deutschland, sechsmal in meine spanischen Erblande, viermal nach Frankreich, siebenmal nach Italien, zehnmal in die Niederlande, zweimal nach England, ebenso oft nach Afrika gegangen, und elfmal haben mich meine Fahrzeuge über die Weiten des Meeres getragen, das doch weniger stürmisch war als die Wogen der Händel ohne Ende, die ich beständig überwachen mußte. Ich wiederhole es Euch, ich bin müde, und Ihr sollt meine Stelle einnehmen.

Don Philipp. Gott wolle nicht, daß ich von meinem Gehorsam auch nur rede! Ich bin von der Festigkeit der kaiserlichen Willensäußerungen zu sehr überzeugt, um den leisesten Einwand vorzubringen.

Karl V. Ihr habt recht, den Gehorsam, den heiligen, großen, allmächtigen Gehorsam zu Eurer Richtschnur zu nehmen. Ihr werdet ihn fortan von den andern verlangen, und so ist es nur recht und zu loben, daß ich ihn in diesem Augenblicke von Euch anrufen höre. Ihr habt die beiden wahrhaften Angeln recht erkannt, um die die Welt sich drehen muß, und wenn ich irgend ein Verdienst bei dem ewigen Richter zu beanspruchen habe, wenn ich vor seinem Richterstuhle erscheinen werde, so ist es das, ihre Bewegungen erleichtert zu haben; alles muß fortan sein: Befehl und Unterwerfung. Es bleibt noch unermeßlich viel zu arbeiten, um die Herrschaft dieser beiden Grundkräfte aufzurichten und ringsum das vollkommenste Stillschweigen walten zu lassen; aber ich habe schon viel gewonnen. Als ich die Leitung der Völker übernommen, da war – die Geschichte muß es Euch sagen – alles Verwirrung, und unsinnige Sitten, Gesetze, Bevorzugungen, Vorrechte breiteten ihre Anarchie über die christlichen Lande aus: die Adligen verordneten, die Bürger verweigerten, die Bauern, sogar die Bauern in ihren Dörfern, redeten und wollten ihre Meinung abgeben und behaupten! Italien, zuchtloser als die übrige Welt, betört von seiner Wissenschaft und der Schönheit seiner Arbeiten, eiferte, machte einen Höllenlärm, und, die abgeschmacktesten Narrheiten mit den tönendsten Namen belegend, redete es von Wahrheit, Gerechtigkeit, Freiheit und bedrohte selbst den Bau der heiligen Kirche. Deutschland, plumper, störrisch als seine verderbte, glänzende Schwester, überholte es noch; durch die abscheulichen Flugschriften seiner Gelehrten bereitete es die Ungeheuerlichkeit des Luthertumes vor. Zu solcher Zeit, Don Philipp, hatte die Christenheit naturgemäß ihren Halt bei den Nachfolgern des heiligen Petrus suchen müssen. Aber gerade da breitete sich unglückseligerweise mehr denn irgendwo das Übel in seiner ganzen Größe aus. Das Papsttum wandte sich selbst vom Glauben ab; es gefiel sich in den gefährlichsten Erfindungen des modernen Geistes. Wundert Euch also nicht, daß Franz I. wie Heinrich VIII. die calvinistischen und lutherischen Greuel bei sich haben ausbrechen sehen; sie haben, wie Leo X., wie Clemens VII., deren verpestende Einwirkung erfahren; sie haben sich, wenigstens einen Augenblick lang, durch scheinbar nützliche, in Wirklichkeit aber für die Monarchien nicht weniger als für die Religion tödliche Gedanken betören lassen. Als sie die Gefahr begriffen, haben sie, zu spät, sich rückwärts geworfen; in ihre Staaten war eingebrochen. Ich für mein Teil bin nicht einen Tag verführt worden, und von der ersten Minute an, wo das Übel sich kundtat, habe ich es verdammt, habe es mit den kräftigsten Gegengiften bekämpft. Ihr wißt, wie ich anfangs, die schnellsten Heilmittel versuchend, die Kirche durch sich selbst habe retten wollen. Ich habe Hadrian auf den Stuhl der Apostel gesetzt. Er ist fast in dem Augenblicke seiner Einsetzung gestorben, und die Kardinäle, die sich an jederlei Rausche der wollüstigen Hölle, die Italien beherrschte, satt getrunken, wollten es nicht mehr mit einer unentbehrlichen Zucht versuchen. Sie warfen mir wider meine Anstrengungen Clemens VII. entgegen, der schlimmer war als sein Vetter. In dieser so ernsten Lage hielt ich vor keiner Rücksicht inne; ich zwang den Papst, Papst zu sein und in seiner Bahn zu wandeln; ich hob das Schwert des Reiches gegen den Krummstab und schlug Clemens VII. auf das Haupt. Ich nahm Rom. Ich setzte zu Florenz einen Herrn ein. Ich verjagte Frankreich für immer aus dem Mailändischen; schließlich, ich tötete Italien. Beachtet dies wohl, Don Philipp, und Ihr werdet sehen, daß ich durch diese letzte Tat Eure Aufgabe besonders erleichtert habe. Jetzt herrscht Schweigen auf der ganzen Halbinsel. Setzt mein Werk fort. Erinnert Euch, daß, dessen Eigenart ändern, zugleich die Sicherheit Eurer Kronen und das Heil Eurer Seele gefährden heißt.

Don Philipp. Ich habe Euere Majestät mit der andächtigsten Aufmerksamkeit angehört. Ich kann Ihr erwidern, daß ich in dem Hauptpunkte, der unbeugsamen Aufrechterhaltung des Gehorsams, mir am Ende meines Lebens nur wenig Vorwürfe zu machen haben werde. Ihr übergebt mir ohne Zweifel eine durch die Unterwerfung Italiens erleichterte Aufgabe; aber was ich über alles schätze, sind die beiden Hauptschöpfungen Eurer Regierung: die Hebung der Inquisition und die Bildung der Gesellschaft Jesu. Mittels dieser im starrsten Geiste des Gehorsams gehärteten Werkzeuge, deren ich mich viel zu bedienen beabsichtige, wird es mir möglich sein, nach Euch an der Rettung der Kirche ohne die Kirche fortzuarbeiten, und die politische Ketzerei ganz ebenso wie die religiöse zu vernichten. Fortan ist Italien nichts, Spanien ist alles. Es hat keinen andern Nebenbuhler als Frankreich, und da der Zweikampf, den Ihr gegen diese Macht geführt, von Tag zu Tage erbitterter wird, so wird Spanien oder Frankreich erliegen müssen. Ich werde kein angenehmeres Fürstenleben haben, als das Eure war.

Karl V. Die Arbeit wird Eure Tage verschlingen, wie sie die meinigen verschlungen hat. Aber Ihr und ich, wir sind nur die Diener des Kreuzes und des Scepters, und in vielem Betracht Mönche, Brüder eines Ordens, dessen Glieder wenig zahlreich sind; aber da das Ziel besonders groß ist, so muß die Regel ausnehmend schwer sein. Die Mönche, Ihr wie ich, deren Kloster ein Palast, deren Zelle ein in Gold und Malereien erschimmerndes Gemach, deren Kutte bald eine Stahlrüstung, bald ein Sammetmantel ist, diese Mönche leben und werden leben inmitten ihres vermeintlichen Prunkes, wie ihre armen Brüder aus den Klöstern auf dem Stroh. Was uns umgiebt, ist nur Stroh für Euch und für mich, und die Weltstüchtigkeit unsrer Gedanken führt die scheinbaren Freuden der Erde auf die tiefste Stufe des Nichts zurück. Diese Freuden, diese elenden Freuden, diesen Glanz, diesen schmachvollen Glanz, diese Feinheiten, diese schändlichen Feinheiten, Italien hatte sie zu höherer Vollendung gebracht, als irgend ein Land, irgend eine Zeit sie gesehen hatte. Ich habe den Fuß auf Italien gesetzt; noch einmal. Ihr werdet es ebenso machen mit allem, was ihm gleicht oder gleichen möchte. Die Welt lebt nicht so sehr von Brot als von Zucht. Laßt Eure Untertanen diese Wahrheit niemals vergessen.

Don Philipp (mit einem traurigen Lächeln). Die schuldvolle Fröhlichkeit liegt nicht in meiner Pflicht, aber, wie ich glaube, ebensowenig in meiner Natur. Ich bitte Euere Majestät, Zutrauen zu meinem festen Vorsatze zu fassen, alles was einer leichten Ergetzung meines Geistes gleichen könnte, auf die Zeit des ewigen Lebens zu vertagen, das es zu verdienen gilt.

Karl V. Laßt mich allein. Ich bedarf der Sammlung. Die Stände Flanderns treten morgen zusammen, und vor ihnen habe ich beschlossen meine Absichten bekannt zu machen. Geht, Don Philipp.

(Don Philipp verneigt sich und zieht sich zurück.)


Rom.

1559

Die Werkstatt der Zuccheri.

Taddeo und Federigo Zucchero; Girolamo Siciolante, Orazio Sammacchini, andere junge Maler. Alle arbeiten mit äußerster Geschäftigkeit, die einen ungeheure Bilder bepinselnd, die anderen auf Gerüsten aufgestellte Dekorationen malend oder Gemälde von verschiedenen Größen vollendend.

Federigo. Ich frage weder nach der Natur noch nach dem Ideal; wenn man damit seine Zeit verliert, stirbt man Hungers. Worauf es ankommt, ist, sich eine Manier zu schaffen; und wenn Ihr diese Manier erst habt, so malt schnell und viel! Dann erwerbt Ihr Geld und Ruf.

Taddeo. Nehmt dies Bildnis mit, es ist fertig! Dabei fällt mir ein, wißt Ihr, wie weit Baroccio und Durante del Nero mit der Palastfassade sind, die ihnen der Kardinal Farnese in Auftrag gegeben hat?

Sammacchini. Mindestens schon sehr weit, wenn nicht zu Ende. Sie arbeiten daran wie Sklaven, und in acht Tagen haben sie vier nackte Figuren von fünfundzwanzig Fuß Höhe fertiggebracht.

Federigo. Das sind brave Künstler. Viel und schnell, in diesem Grundsatze liegt alles beschlossen! Wie glänzend ist die Rolle geworden, die tapfere Maler, geschickte Bildhauer, unverdrossene Baumeister in der Welt spielen können! Man achtet nur noch uns, man kümmert sich nicht wie ehedem um die Politik noch um die Religion; nur von den Künsten ist die Rede! Ich habe von meinem Vater gehört, daß zu seiner Zeit Italien immer in Flammen war; man schlug sich um eine Lappalie; jedermann hatte tausend Interessen zu verfechten. Heutzutage lebt man ruhig, Dank dem Kaiser, Dank der wundervollen Ordnung, die seine Armeen hergestellt haben, man verdient Geld und hat nichts mehr zu wünschen!

Taddeo. Wahrhaftig, ich hatte viel zu wünschen, als ich von Giovampiero von Calabrien angestellt war, ihm seine Farben zu reiben, und seine Frau mich breiweich schlug, während sie mich Hungers sterben ließ.

Federigo. Man muß mit ein wenig Quälerei anfangen, aber das darf einen großen Künstler nicht entmutigen. Es giebt heutzutage tausend ehedem unbekannte Weisen sich aus der Not zu helfen. Da tritt der eine bei einem Kardinal oder einem großen Herrn als Hausmaler ein und wird gut gekleidet und an der Tafel der Edelknaben verpflegt; ein anderer macht sich nach Frankreich, nach Deutschland, nach Spanien und führt für die Barbaren Arbeiten aus, für die man ihm unsinnige Preise bezahlt; schließlich, wenn man sich ein wenig Namen verschafft hat, so giebt es keinen biedern Bürger, der sich nicht verpflichtet glaubt, vor Euch auf die Kniee zu fallen, um ein Meisterwerk zu erhalten. Zeuge unser braver Postmeister, Mattiuolo, der dich, Taddeo, die Front seines neuen Hauses in Helldunkel hat malen lassen, und Gott weiß, daß du ihm die drei Darstellungen aus der Geschichte des Merkur nicht billig gegeben hast!

Siciolante. Was Ihr sagt, ist vollkommen wahr, Meister; aber laßt auch gewisse leidige Dinge nicht außer acht, die man vor wenigen Jahren nicht kannte.

Federigo. Was denn, bitte?

Siciolante. Ehedem kauften uns die Fremden unsre Gemälde ab und nahmen uns mit, um ihre Gebäude zu zieren. Jetzt haben diese Wilden malen gelernt, und Ihr seht auf dem Pflaster Roms Franzosen, Flamländer, Spanier, die uns unsre Kniffe rauben.

Sammacchini. Man reguliert sie sogar manchmal mit Messerstichen, diese Eindringlinge; aber trotzdem nimmt ihre Zahl zu, und wir werden am Ende darunter leiden, das ist wahr.

Taddeo. Der Fehler liegt am Papste und an den großen Herren. Sie vergessen die Achtung, die man dem großen Stile schuldet und wollen Neuheiten. Ein Kardinal sagt Euch ganz gelassen: kommt doch zu mir, da sollt Ihr ein unvergleichliches Bild sehen; wundervolles Sujet! Ausführung voller Feuer! Es ist ein Affe, der auf einem Einhorn reitet und in einen Fisch beißt! Der Schöpfer ist ein jüngst angekommener Flamländer! Darauf laufen die Schwachköpfe zum Flamländer, und sechs Monate lang will man nichts mehr als Affen, Einhörner und Fische!

(Der Baumeister Francesco da San Gallo tritt auf.)

San Gallo. Guten Tag, Meister Taddeo; Federigo, ich grüße dich.

Taddeo. Guten Tag, Meister. Ihr seht wohl aus, das freut mich.

Federigo. Was hast du denn? Du runzelst die Stirn. Bist du schlecht gelaunt?

San Gallo. Man sollte es wenigstens sein. Dieser alte Buonarroti läßt mir keinen Tag Ruhe. Weil der Narr einstmals Talent gehabt hat, will man nicht merken, daß es mit ihm nicht richtig ist, und daß er nur noch Dummheiten macht.

Federigo. Es ist eine Schmach, daß man ihn in seinem Alter noch den jungen Künstlern das Feld streitig machen sieht. Er sollte sich begraben lassen, dieser Michelangelo.

San Gallo. Er wird Zeit haben, die Kuppel der Peterskirche von oben bis unten zu ruinieren. Vergebens warne ich den Papst und die Kardinäle davor, ich finde nicht einen Menschen, der Mut genug hätte, um dieser veralteten Berühmtheit in Lumpen die Stirn zu bieten.

Federigo. Man fürchtet sich vor ihm! Solch ein Zwingherr und Grobian ist er! Und was für ein beschränkter und stumpfer Geist! Ich habe ihm meine neue Zeichenmethode begreiflich machen wollen, die die Kunst allen verstandbegabten Wesen zugänglich machen soll: er hat getan, als lachte er darüber. Die Wahrheit ist, daß er nicht imstande ist, irgend etwas davon zu begreifen.

Siciolante. Man sollte uns von diesen Alten befreien. Es kann ja sein, daß sie zu ihrer Zeit etwas haben machen können. Aber die wahre Größe, die wahre Delikatesse, das Feine und Harmonische an den Sachen, davon haben sie nie eine Ahnung gehabt!

San Gallo. Das ist unbestreitbar; dieser abscheuliche Buonarroti ist ein Tyrann, ich bleibe dabei! Er wiederholt in einem fort, daß er seit siebzehn Jahren an der Kuppel der Peterskirche arbeite! Als ob das ein Grund wäre!

Federigo. Es ist ein Grund, ihn schleunigst an die Luft zu setzen! Er soll den jungen Leuten Platz machen, die's eilig haben, sich ein Vermögen und einen Ruf zu machen! Man sollte ihm für zukünftig verbieten, einen Pinsel, einen Meißel, einen Zirkel anzurühren!

(Pirro Ligorio, Baumeister, tritt auf.)

Pirro Ligorio. Ihr habt recht! Der Buonarroti ist kindisch geworden! Wir werden wohl am Ende alle Welt davon überzeugen, trotz Vasari, trotz Salviati, trotz der paar alten Armensünder, die uns von seiner alten Sekte noch übrig sind! Ich habe euch ein Geschäft vorzuschlagen. Der Kardinal sendet nach Federigo, um ihm flamländische Gemälde zu zeigen, die er zu kaufen beabsichtigt.

Siciolame. Ihr hört's? Welche Dummheit! Der Teufel soll Euren Kardinal holen! Fehlt es Italien an Künstlern?

Pirro Ligorio. Lieber Gott! Das ist die Krankheit der Zeit. Es handelt sich um vier Gemälde von Willem Key, drei von Antonis Moor von Utrecht, und um eine Wandfüllung von Martin de Bos von Antwerpen. Ich will Euch zum Troste sagen, daß ein deutscher Herr seinen Haushofmeister hierher geschickt hat; ich habe den würdigen Mann gesehen; er hat den Auftrag, seinem Herrn vierzig Gemälde in allen Größen zu verschaffen. Er wird gut bezahlen. Seid ihr dabei?

Alle Künstler. Bravo, Ligorio! Gewiß, wir sind dabei!

Pirro Ligorio. Auf, Federigo; ich werde für euch alle spätestens heut Abend das Geschäft mit dem biederen Deutschen abschließen!


1560.

Ein Saal im Palazzo Colonna.

Donna Vittoria, Marchesa von Pescara, schwarz gekleidet, liest an einem kleinen Tische von Ebenholz, auf welchem eine silberne Lampe steht. Zwei Ehrendamen und eine Hofmeisterin in großen Hauben sind im Hintergrunde mit Handarbeit beschäftigt. Das Feuer ist im Kamin angezündet, und die Scheite knistern laut in der Flamme.

(Ein diensttuender Edelmann tritt auf.)

Der Edelmann. Herrin, der Herr Michelangelo kommt in diesem Augenblicke die Treppe herauf.

Die Marchesa. Es ist gut, leuchtet ihm! (Sie erhebt sich und wendet sich Michelangelo entgegen; dieser erscheint oben im Flur, vor ihm her gehen Edelknaben, in der Diensttracht des Hauses Avalos, mit Fackeln.) Guten Abend, mein Freund. Wie befindet Ihr Euch an diesem kühlen Abend?

Michelangelo. Ich küsse Euerer Excellenz die Hand. Ich befinde mich besser, als ein Greis erwarten dürfte.

Die Marchesa. Ihr seid hoffentlich nicht allein gekommen?

Michelangelo. Nein; seitdem Ihr mir verboten habt, nach Belieben und ohne Gefährten auszugehen, tue ich es nicht mehr. Antonio hat mir mit seiner Laterne bis an das Tor des Palastes geleuchtet, und da habe ich Eure Leute gefunden, die mich wie einen großen Herrn behandelt haben.

Die Marchesa. Kommt, setzt Euch da, neben dem Kamin. Hier ... in diesen Lehnstuhl ... Caterina, keinen Schritt; ich will Michelangelo bedienen ... Schön! Haltet Eure Füße näher ans Feuer.

Michelangelo (der sich gesetzt hat). Ich lasse Euch gewähren, Frau Marchesa, ich lasse Euch gewähren ... Ein Herz wie das Eure steht auf dem Gipfel der Größe, und dieser Gipfel ist die Güte.

Die Marchesa (lächelnd). Was Ihr sagt, würde wahr sein, wenn es sich darum handelte, sich den Armen nützlich zu erweisen und, wie unser göttlicher Erlöser, einigen Bettlern die staubigen Füße zu waschen. Aber Michelangelo bedienen? Das heißt nicht sich sonderlich erniedrigen.

Michelangelo. Wer sollte nicht, wenn er Euch hörte, alles andre eher glauben, als was wirklich ist? Tut Eure Augen auf, Marchesa; was seht Ihr? ein Wesen, durch die Jahre gebeugt, über das alle Schwächen des Alters hereingebrochen sind, das nicht ohne Mühe seine abgezehrten, zitternden Finger nach der wärmenden Flamme ausstreckt ... Was seht Ihr weiter? Spärliches Haar, weißes Haar auf einer Stirn, die die Farbe des Elfenbeins annimmt, welke und eingefallne Wangen ... Augen, die nicht mehr sagen, was das Herz empfindet ... Ihr seht eine Ruine, Marchesa, eine menschliche Ruine, die jammervollste, unheilbarste aller Ruinen.

Die Marchesa. Indem Ihr so sprecht, entwerft Ihr ein Gemälde und macht dies ebenso ergreifend wie Eure Gedanken. Der Greis, den Ihr vor meinen Augen in das ganze Nichts seiner Schwachheit erniedrigen wollt, schwingt sich im Gegenteil empor, erhebt sich gerade durch die schaffende Kraft Eures Geistes. Doch nein, Ihr irrt Euch; nicht ein Gemälde ist, was ich beschaue, es ist die Wirklichkeit, und ich kann mir nichts denken, das mit ihr an Hoheit und Reiz wetteifern könnte.

Michelangelo. Ja! Ihr betrachtet die zwiefache Auflösung der zerfallenden Materie und der unsterblichen Seele, die sie bald von sich stoßen und sich in den Schoß der göttlichen Unendlichkeit flüchten wird.

Die Marchesa. Mir scheint, ich sehe neben mir, mir gegenüber, in dem Kreise, den meine Blicke beherrschen, einen jener Sterne, die Dante in so kleiner Zahl bis in die auserlesene Sphäre seines schimmernden Paradieses aufsteigen läßt, einen jener Sterne mit dem lebendigen Funkeln, die, die nächsten dem ewigen Dreieck, seinem Lichte ihren Glanz entleihen. Ihr seid nicht alt, Michelangelo; Ihr lebt und werdet immer leben, wie jener reinste, taten- und wirkungsreichste Teil der menschlichen Geisteswesen, die sichere und unverwerfliche Führerschaft der Welt, nie aufhören wird zu sein.

Michelangelo. Ich werde die Erde bald verlassen, ja! Der Saft gärt in meinem Innern und bricht des Baumes abgenutzte Rinde; der Keim spaltet die Hülse, die ihn umschließt; das Samenkorn, zu seiner Reife gediehen, schwillt an, um aus dem absterbenden Fleische hervorzudringen. Ich habe lange genug hienieden gelebt, und ich bitte meinen Herrn, seinen Knecht zurückzurufen.

Die Marchesa. Ihr seid müde zu leben?

Michelangelo. Ich bin begierig darauf, im Gegenteil. Weitab von den Gliedern meines wahren Wesens möchte ich die Fleischesbande schütteln, die sie beengen. Mich dürstet nach der vollen Freiheit meines Seins; mich hungert nach dem, was ich errate; mich drängt es, das zu schauen, was ich begreife. Wenn ich während meines Aufenthaltes hienieden etwas erfaßt und einen Teil der Wahrheiten, die ich fühle, habe ausdrücken können, was wird mir nicht gelingen zu vollbringen, wenn einmal die öden Felswände, die mich umgeben, für immer in die Tiefen der Vergangenheit gesunken sind? Nein, nein! nicht der Tod ist es, was ich kommen fühle, es ist das Leben, das Leben, davon man hienieden nur den Schatten gewahren kann, und das ich bald ganz und gar besitzen werde!

Die Marchesa. Ich denke wie Ihr. Wir sind zwei sehr verschiedene Wesen, mein Freund. Ihr seid Michelangelo; ich bin nur ein begreifendes Weib, genug begreifend, um den Abstand zu ermessen, der mein Mitfühlen von Eurem unbezähmbaren Tatendrange trennt. Ihr habt viel für die Welt getan, und während Ihr den Ton Eurer Statuen zu kneten glaubtet, habt Ihr in der Tat der allgemeinen Erkenntnis neue Formen und Ausdrucksweisen, die sie niemals gehabt hatte, vorgeschrieben. Ich, was habe ich getan? Ich habe viel geliebt den, der nicht mehr ist ... Ich habe Euch selbst viel geliebt, und das ist alles.

Michelangelo. So habt Ihr denn ebensoviel als ich, genau ebensoviel gewirkt. Solange Don Fernando d'Avalos unter uns geweilt und Italien, den Kriegern, den Gelehrten, den Völkern die edle und stolze Haltung gezeigt hat, die da hell erstrahlte in der Größe seines Namens, dem Glanze seiner Geburt, der Lichtheit seiner Tugenden, den Blitzen seines kriegerischen Genies ... solange der Himmel uns diesen Fernando d'Avalos, den unvergleichlichen Marchese von Pescara, Euren edlen Gatten, gelassen hat, habt Ihr ihn geliebt und seid in seiner Liebe so glorreich beglückt gewesen, als es einem Weibe, vom Weibe geboren, gegeben ist, sich beglückt zu fühlen, zu wissen. Glaubet mir: es war das ein edles Tun, und die Tugenden, die die Wonneschauer einer solchen Liebe allmählich in Euch entwickelten, wurden gewißlich zum Meisterwerke menschlichen Wertes.

Die Marchesa. Ich habe darüber nachgedacht, und ich glaube, daß Ihr Euch täuscht. So edel die Aufopferung, so rein die Zuneigung, so unerschütterlich die Liebe sein mag, solange das Herz befriedigt ist, zieht es sich auf sich selbst zurück, genießt sich selbst und atmet eigentlich nur in einem Kreise und in einer Atmosphäre, die eng und für das, was ihm nicht angehört, wenig zugänglich ist. Ich begreife, seit ich allein geblieben bin, bis zu welchem Grade das Glück klein macht. Muß ich es gestehen? vielleicht ist es das Bewußtsein von dieser Wahrheit, das den meisten Trost in meinen Schmerz gießt. Ich habe den, den ich liebte, nicht weniger geliebt, seit ich ihn nicht mehr besitze, aber der Kummer und die Einsamkeit haben mir Überwindungen eingegeben, die ich schöner gefunden habe, als die leichten Verdienste, deren Bildern nachzuhängen mir so bequem war; und gerade die Schwierigkeiten, die ich da durchgemacht, haben, indem sie mich nötigten meine Kräfte zu verdoppeln, vielleicht das aus mir gemacht, was das wolkenlose Glück niemals aus mir gemacht haben würde.

Michelangelo. Ob der Mensch einzig an sich arbeite oder, seine Tätigkeit über die tote Materie ausbreitend, dieser Bewegung und Leben einhauche, in beiden Fällen ist sein Werk dasselbe: er stellt seinesgleichen Beispiele hin, und man kann wahrheitsgemäß sagen, wenn man über diese Gleichheit der Ergebnisse nachdenkt, daß die tugendhaftesten der Menschen Polygnote, Zeuxisse, Polyklete, Phidiasse sind, während die vollkommensten der Künstler ebenso große Bekehrer sind als die Philosophen und die Heiligen. Wenn es also mir an meinem Teile gelungen ist, einiges Gute in dieser Welt hervorzubringen, und der Weltgeist mir neue Errungenschaften verdankt, so weigert mir, Marchesa, den Ruhm nicht, mich mit Euch zu vergleichen, und laßt mich hoffen, daß wir im Leben der Ewigkeit uns ebenbürtigen Fluges zu vollkommen gleichen Belohnungen werden emporschwingen können.

Die Marchesa. So sei es, Michelangelo, und möge ich niemals von einem Wesen getrennt werden, das mich während schon so langer Jahre so viele große und ehrwürdige Wahrheiten mit sichererem Blicke hat betrachten lassen; das ist gewiß die unermeßlichste Gunst, die ich vom Himmel erbitten könnte. Eine gewaltige und gar teure Offenbarung vor allem hat mich seit langem an Euch ergriffen. Soll ich sie Euch sagen?

Michelangelo. Redet, bitte.

Die Marchesa. Man versichert gemeiniglich, daß das Alter mürrisch und mißvergnügt sei; daß in seinen Augen alles sich mit finsterem Gewölk bedecke, und daß die sanfteste Gemütsart mit den Jahren verbittert werde. Genau das Gegenteil ist bei Euch eingetreten. Ich habe Euch grämlich, ungeduldig, reizbar gekannt. Ihr waret so von Eurem eigenen Denken eingenommen, daß der Genius anderer Euch ein toter Buchstabe blieb. Ich habe Euch nur Euch selbst begreifen sehen ... In dem Maße als der Schnee des Alters sich um Euer geistiges Wesen gelagert hat, hat sich alles geändert; es scheint, daß umgekehrt wie die andern Menschen Ihr sehr spät die Fülle, die Frische des Lebens, die Reinheit, die Bestimmtheit, die Weite des Blicks und die wahre Kenntnis Eurer selbst und der andern errungen habet.

Michelangelo. Es ist so, in der Tat. Der Himmel hatte mich – ich will es gestehen – bei der Geburt mit einer Tatkraft ausgestattet, die zu meiner Leibesbeschaffenheit in keinem Verhältnisse stand. Ich erriet mehr als ich imstande war zu sehen, und ich sah weiter als ich reichen konnte. Alles was um mich her auftrat, erschreckte mich; ich hatte Angst, daß meine zu beschränkten Kräfte noch zersplittert werden könnten, und ich zwang mich mit Wut und einer ingrimmigen Hartnäckigkeit, meine Blicke auf das geheiligte Ziel zu sammeln, das ich zu verfehlen fürchtete. Indessen fühlte ich sowohl meine Hoffnung, zum Siege zu gelangen, als meine Furcht, ihn mir entgehen zu lassen, sich verdoppeln, während ich gewahrte, daß jeder Schritt, so hart, so mühselig, so beschwerlich er auch sein mochte, mich ihm doch näherte. Ich lebte dahin unter Arbeiten und Anstrengungen, die mich außer mir brachten; ich wollte die Natur in all ihren labyrinthischen Windungen auf einmal ergreifen, und ich erkletterte ihre Gipfel, indem ich mich mit den Händen, mit den Fingern, mit den Füßen, mit den Knieen, mit dem ganzen Körper an das anklammerte, was sie mir an Stützpunkten darboten. Ich bin Bildhauer, Maler, Dichter, Baumeister, Ingenieur, Anatom gewesen; ich habe Kolosse in Stein ausgehauen und Figurinen in Elfenbein ciseliert; ich habe die Wälle von Florenz und Rom entworfen, Bastionen errichtet, Fronten defiliert, Glacis ausgemessen, und nicht fern von dem Gebäude, dessen Wand ich mit der Offenbarung des jüngsten Gerichtes gezeichnet habe, ist es mir gelungen, die ungeheure Kuppel des Fürsten der Apostel bis in die höchsten Höhen der Atmosphäre emporzuführen. Kurz, wenn ich nicht alles vollendet, was ich gewollt, so ist es doch gewiß, daß ich einiges wenige vollbracht habe. Eines Tages habe ich mich an einem so hohen, einem höheren Platze gesehen, als ich hatte träumen oder wünschen können. Die Päpste, die Könige, der Kaiser, die Fürsten haben mich geehrt. Die Künstler haben mich zu ihrem Ersten ausgerufen, und ich habe nichts mehr weder von mir selbst zu verlangen gehabt, der ich wußte, was ich zu leisten vermöge, noch von der Welt, die mir mehr gab, als ich von ihr erwartet hatte. Da, immer noch im Arbeiten, ist mein Herz zur Ruhe gekommen; der Zweifel, die Furcht, den Weg zu verlieren, sind von mir gewichen. Ich habe mir Muße ausgefunden, zu betrachten, zu schätzen, zu loben, zu lieben. Die Aufregung und die Ungeduld haben aufgehört, mich dem Sturm der Ungewißheit preiszugeben, und ich bin, wohl oder übel, der Mann geworden, der ich heute bin und der, um geboren zu werden, der Jahre bedurfte und sich nun im Alter jung findet.

Die Marchesa. Es thut mir wohl an Euch, Michelangelo, daß, wiewohl Ihr immerfort dem elenden Gang, den der Geist unsrer Zeitgenossen für die Zukunft genommen, Eure Aufmerksamkeit zuwendet, der Grad des Verfalles, worin Ihr ihn seht, Euch doch weder Ärgernis noch Widerwillen mehr verursacht.

Michelangelo. Er flößt mir ein tiefes und inniges Mitleid ein. Diese Welt, die ich betrachte, ist ein Genoß, mit dem ich eine lange Reise zurückgelegt habe, und, umgekehrt wie ich, ist er müde geworden, er hat seine Kraft verloren, er strauchelt und will am Wegesrande niederfallen, während mich die Erwartung des Lebens, in das ich eintreten soll, anfeuert und mit der himmlischsten Hoffnung berauscht! Am Morgen des Jahrhunderts, als wir zusammen auszogen, war mein Genoß blühend an Jugend, üppig von Gesundheit, und Hoffnungen jeder Art schürten die Flammen der stolzen Blicke, die er über den Horizont schweifen ließ. Während ich zweifelte, zweifelte mein Genoß an nichts; ich schulde ihm diese Gerechtigkeit; jung, ungestüm, verwöhnt durch die wilden, verderbten Jahrhunderte, deren Händen er entschlüpfte, war sein erster Gedanke, ihre Beispiele zu verschmähen, und war er auch ganz eingenommen für die Kunst, deren Reize er dunkel erkannte, so galt doch sein Sinnen zuvörderst der Religion und der Tugend. Ich habe den Bruder Savonarola gekannt, edle Frau, und niemals ist der Anblick dieser ehrwürdigen Gestalt aus meinem Gedächtnisse entschwunden. Ich habe von seinen Lehren gelebt. Sei es, daß er zuviel von uns verlangt, sei es, daß das arme Italien seine Kräfte zu sehr überschätzt hat, und die Phantasie bei ihm in keinem Verhältnis zu seiner Rechtschaffenheit stand, Italien entwand sich seinen Händen und blieb in denen des Lasters. Aber dennoch fühlte es sich; es hatte das Bewußtsein seiner Überlegenheit über die übrige Welt. Es verachtete die andern Länder und brauchte deren Hilfsquellen zu seinen Zwecken; es war ihnen ein Gegenstand der Bewunderung und wußte es. Es kannte sich als groß und träumte nichts anderes, als noch größer zu werden. Seine Künstler ... Ihr wißt, was sie gewesen sind! Jetzt ist alles vorbei. Das Feuer ist erloschen. Es giebt kein Italien mehr. Diejenigen, die wir verachteten, werden unsere Meister. Die Künstler sind dahin. Ich bin der letzte Überlebende aus der heiligen Phalanx; was man mit demselben hehren Namen benennt, den wir getragen haben, sind nur noch Krämer, denen es nicht an Unverschämtheit fehlt. Da sollte man wohl sterben! Wir sterben übel, traurig. Was tut's? Es hat schöne Seelen, glorreiche Seelen in diesem Italien gegeben, das hinfort geknechtet und niedergeworfen ist. Ich bedaure es nicht, gelebt zu haben.

Die Marchesa. Ach! Ich bin minder entrückt als Ihr. Ich leide um diese glorreichen Dinge, die uns verlassen haben oder uns Lebewohl sagen. Mir scheint, daß, nachdem wir mit Licht überströmt gewesen, unsere wankenden Schritte in die Finsternis führen.

Michelangelo. Wir lassen große Dinge hinter uns und große Beispiele ... Die Erde ist reicher, als sie war, ehe denn wir kamen ... Was verschwindet, wird nicht ganz und gar verschwinden ... Die Felder können ruhen und eine Zeit brach liegen; das Samenkorn ist in den Fluren. Der Nebel kann sich ausbreiten, und der Himmel grau und trüb sich mit Dunst und Regen bedecken, die Sonne steht dort droben ... Wer weiß, was wiederkommen wird?

Die Marchesa. Ihr scheint erschöpft, mein Freund. Euer Haupt neigt sich ...

Michelangelo. Ja, ich bin müde ... ich will Euch verlassen ... Ich bin neunundachtzig Jahre, Marchesa, und jede Bewegung greift mich ein wenig an; wir haben diesen Abend von gar ernsten Dingen gesprochen. Lebt wohl!

Die Marchesa. Auf morgen, nicht wahr?

Michelangelo. Auf morgen ... ja ... wenn ich noch von dieser Welt bin ... und wenn ich nicht mehr darin bin, auf Wiedersehen, edle Frau!

(Er erhebt sich, die Marchesa stützt ihn und drückt ihm die Hand.)

Die Marchesa. Lehnt Euch auf meinen Arm ... ich will Euch bis unten an die Treppe geleiten.

Michelangelo. Ich willige in die Ehre ... Ich nehme den Liebesdienst an ... Mir scheint, heute darf ich ihn wollen. Ich will Euch ein letztes Wort sagen ...

Die Marchesa. Und was, mein Freund?

Michelangelo. Euch, die ich so liebe, Euch segne ich aus meines Herzens Grunde ... Lebt wohl!

(Er läßt der Marchesa die Hand und entfernt sich.)

 

Ende.


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