Johann Wolfgang von Goethe
Briefwechsel mit seiner Frau. Band 2
Johann Wolfgang von Goethe

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1813

540. Goethe

[Naumburg, 17. April 1813.]

Denen lieben Personen, die uns von Weimar weggetrieben haben, sind wir schon einen sehr angenehmen Morgen schuldig geworden. Vor Seebachsburg begegnete uns ein Regiment Husaren, ihre Hütten und Zelte fanden wir leer; es sah aus, als wenn der Krieg für immer von uns Abschied nehmen wollte. Die Jenaischen Boten brachten Blumen und Paquete vor wie nach, und als wir nach Roßla zu einlenkten, fanden wir alles im tiefsten Frieden; freilich stiller als im Frieden, denn wir vermißten die Fuhrleute, die sonst um diese Zeit auf die Leipziger Messe zogen. Das Wetter bewölkte und entwölkte sich, zum Regen konnte es nicht kommen. Die Luft war warm und angenehm. Mein Begleiter erzählte mir eine alte Geisterlegende, die ich sogleich, als wir in Eckartsberge still hielten, rhythmisch ausbildete. Sie wird Herrn Riemer gesendet werden mit der Bitte, solche vorzulesen, aber nicht aus Händen zu geben. Auf immer gleich ruhigem Wege kamen wir vor der Mittagsstunde im ›Scheffel‹ an, wo uns ein alter Kellner mit großer Gemüthsruhe in den bekannten alten Zimmern empfing, uns jedoch nachher mit Gemüthlichkeit, als er merkte, daß wir gemüthlich seien, die neusten Kriegsereignisse erzählte. Die Pässe wollten ihm gar nicht ernsthaft vorkommen; doch versprach er, wenn wir es verlangten, sie vidiren zu lassen.

Da es Morgens früh gar zu sehr gestaubt hatte, gingen wir nach dem Dom, um Regen zu erbitten; allein der Himmel erhörte uns zu früh, und wir wären beinah tüchtig durchgenetzt worden. Wir gelangten jedoch glücklich in das altheilige, nunmehr vermodernde Gebäude, woraus wir gern einiges durch Kauf, Tausch oder Plünderung an uns gebracht hätten. Unter den Schnitzwerken der Chorstühle sind sehr hübsche Gedanken. Ein ganz dürrer, rebenartiger Stab schlängelt sich und wird durch mitumschlungene, akanthartige Blätter belebt. Noch sehr schöne gemalte Fensterscheiben sind übrig; ein Teppich, von dem die Theile der Figuren und des Grundes einzeln verfertigt und hernach mehr zusammengestrickt, als -genäht sind. Manches Größere und Kleinere von Bronze. Das Bild einer heiligen Schusterstochter, die zum Wahrzeichen den Schuh noch auf der Hand trägt. Ein Graf hatte sie wegen ihrer großen Schönheit geehelicht. Er starb früh, und sie nahm den Schleier. Sie muß sehr hübsch gewesen sein, da sie, nicht zum besten gemalt, etwas aufgefrischt und noch ein wenig lackirt, doch immer noch reizend genug aussieht. Was aber besonders Freund Meyern zu erzählen bitte, ist Folgendes. Das steinerne Bild eines Bischofs, Gerhard von Goch, hat mich in Erstaunen gesetzt; das heißt, das Gesicht. Er ward 1414 installirt, zog aufs Concilium zu Costnitz 1416 und ist derjenige, dem die Naumburger ihre Angst und wir das vortreffliche Schauspiel ›Die Hussiten‹ verdanken. Er starb 1422. Nun aber kommt die Hauptsache. Das Gesicht nämlich ist so individuell, charakteristisch, in allen seinen Theilen übereinstimmend, bedeutend und ganz vortrefflich. Die übrige Figur ist stumpf und deutet auf keinen sonderlichen Künstler. Nun erkläre ich mir dieses Wunder daraus, daß man sein Gesicht nach dem Tode abgegossen und ein nachahmungsfähiger Künstler diesen Abguß genau wiedergegeben habe. Dieses wird mir um so wahrscheinlicher, weil in den Augen eine Art von falscher Bewegung erscheint, und auch die Züge des untern Gesichts, bei sehr großer Natürlichkeit, doch nicht lebendig sind. Uralte Hautreliefs, gleichzeitig mit dem Kirchenbau. Sie stellen in einem Fries die Passion vor, sind höchst merkwürdig. Ich erinnere mich keiner ähnlichen. Doch konnte ich sie nicht scharf genug sehn und wüßte nichts weiter darüber zu sagen: denn wir eilten freilich wieder aus dem Heiligthume, wo es aus mehr als Einer Ursache feucht, kalt und unfreundlich war. Solche Räume, wenn sie nicht durch Meßopfer erwärmt werden, sind höchst unerfreulich. An sehr schönen und eleganten, zwischen die katholischen Pfeiler eingeschobenen, protestantischen Glasstühlen ist kein Mangel, so daß die Honoratioren sich nicht zu beschweren haben. Auf mein Befragen versicherte mir der Küster, der Prediger habe sich in diesem weiten und wunderlich durchbrochenen Raum gar nicht anzugreifen, wenn er nur deutlich articulire und das letzte Wort so genau ausspreche wie das erste. Das ist also ohngefähr, wie auf dem Weimarischen Theater und wie überall, und hieraus kann man sehen, was reisen für einen großen Nutzen bringt. Übrigens sind die Merkwürdigkeiten unerschöpflich. Das Wichtigste, ein sonst höchst bewallfahrtetes, wunderthätiges Marienbild steht nun in einer protestantischen Ecke, und der Küster versicherte, der Kopf sei hohl, mit Wasser gefüllt hätten muthwillige Fischlein dem Bilde sonst Thränen ausgepreßt. Ich habe Sünder gekannt mit hohlen Köpfen, denen auch solche Fischlein, im Gehirn schwimmen[d], zu gelegener und ungelegener Zeit Thränen auspreßten. Ich übergehe einige andere Hauptnebenpuncte, als die Bestien am Gesims, welche Wasser spieen, wenns regnete, zur Ergetzung der Christenheit, und was dem sonst mehr sein mag.

 

Dresden, den 21. April.

Vorstehendes war gleich den 17., Abends, in Naumburg geschrieben und sollte, zum Beweis meines Wohlbefindens, sogleich abgehn; allein der Postcurs war gehemmt, und wir mußten das Blättchen mit uns nehmen. Am Ostertage hatten wir auf dem Wege nach Leipzig trübes und stürmisches Wetter, fortdauernd vortrefflichen Weg, aber so menschenleer, daß man in der Wüste zu fahren glaubte. Der Himmel heiterte sich auf, und schon um 12 Uhr zogen wir in Leipzig im Hôtel de Saxe ein. In Markranstädt hatten wir einige Russen gesehn, die sich mit irgend einer Art von Spiel divertirten. Ein sehr gutes Essen stellte uns wieder her, wir durchzogen die Stadt, die gerade wegen des schneidenden Windes nicht erfreulich war. Abends gingen wir ins Declamatorium des Herrn Solbrig. Hohler, geist- und geschmackloser ist mir nicht leicht etwas vorgekommen; das Publicum aber hat mir gefallen. Es mochten gewißDavor gestrichen ihm an 200 Thaler eingekommenVon Goethe geändert aus ingekommen sein, sie applaudirten aber nur ein einzig Mal, als er den Kaiser Alexander hoch leben ließ. Hätte der arme Schlucker sein Handwerk verstanden, so hätte er gleich »Wohl auf, Cameraden! aufs Pferd, aufs Pferd!«Von Goethe nachträglich unterstrichen angestimmt, und hätte gewiß große Sensation erregt. Dagegen fing er mit jämmerlichem Ton das elendeste aller jammervollen deutschen Lieder zu recitiren an: »Ich habe geliebet, nun lieb ich nicht mehr.« Es rührte sich aber hierauf, so wie nach andern ähnlichen Dingen keine Hand weiter, und wir machten uns in Zeiten davon. Dagegen schrieben wir zu unserer Lust die von August erzählte Todtentanzlegende inDavor gestrichen und in hastigen paßlichen Reimen auf. Sie soll dem Prinzen Bernhard dedicirt und übersendet werden. An Spargel und an sonstigem Guten hat es auch nicht gefehlt.

Montag, den 19., fuhren wir ohne irgend ein Ereigniß, bei guten und leeren Straßen auf Wurzen, wo wir neben der Fähre eine ganz neue Militarbrücke fanden. In Oschatz fanden wir einen leidlichen Gasthof zum ›Löwen‹ und schrieben daselbst eine Parodie des Solbrigschen Lieds, sie beginnt: »Ich habe geliebt, nun lieb ich erst recht!« und so geht es denn weiter. Von Leipzig heraus war die Gegend beschneit und bereift, das thauete aber weg und verlor sich; vonÜber gestrichenem bei einer gar freundlichen Abendsonne beleuchtet sahen wir das schöne Elbthal vor uns und gelangten zu rechter Zeit nach Meißen in den ›Ring‹. Ein großes Fourage-Magazin gegenüber versorgtenVon Goethe geändert aus versorgte unzählige Fuhren, weßhalb die Wagen den ganzen Platz einnahmen. Eine Wittwe mit zwei Töchtern versorgte den Gasthof in dieser schweren Zeit, die jüngste erinnerte mich an euere glückliche Art, zu sein. Sie erzählte die Verbrennung der Brücke mit großer Gemüthsruhe, und wie die Flamme in der Nacht sehr schön ausgesehn habe. Die zusammenstürzende Brücke schwomm brennend fort und landete am Holzhof; weil aber nicht das mindeste Lüftchen wehte, so erlosch alles nach und nach. In anderthalb Stunden war das ganze Feuerwerk vorbei. Ferner erzählte sie von den Kranken und Gefangenen, die sie gespeiset hätte, von der Einquartirung in den letzten Zeiten, wie die Kosaken ihre Pferde abgesattelt, sich in Kähne gesetzt und die Pferde nachschwimmen lassen. Das war alles vorübergegangen, und Meißen befand sich vor wie nach. Dieß ists, was am meisten aufheitert, wenn man an Orte kommt, wo der Krieg wirklich getobt hat, und doch noch alles auf den Füßen findet.

Dienstag, der 20., war ein sehr angenehmer und unterrichtender Tag. Vor allen Dingen bestiegen wir das Schloß und besahen uns zuerst die Porcellainfabrik. Die Vorrathssäle nämlich. Es ist eigen und beinah unglaublich, daß man wenig darin findet, was man in seiner Haushaltung besitzen möchte. Das Übel liegt nämlich darin. Weil man zu viel Arbeiter hatte (es waren vor 20 Jahren über 700), so wollte man sie beschäftigen und ließ immer von allem, was gerade Mode war, sehr viel in Vorrath arbeiten. Die Mode veränderte sich, der Vorrath blieb stehn. Man wagte nicht, diese Dinge zu verauctioniren oder in weite Weltgegenden um ein Geringes zu versenden, und so blieb alles beisammen. Es ist die tollste Ausstellung von allem, was nicht mehr gefällt und nicht mehr gefallen kann, und das nicht etwa eins, sondern in ganzen Massen zu hunderten, ja zu tausenden. Jetzt sind der Arbeiter etwa über 300. Hauptmann von Wedel, ein Bruder unsers guten Oberforstmeisters, hat die Direction, freute sich sehr, einen Weimaraner zu sehn, und war äußerst gefällig. Hinter den wohlgeputzten Scheiben einer Wohnung auf dem Schloßplatze sahen wir eine von den lieblichsten Erscheinungen. Ein schönes Mädchen, von etwa 4 Jahren, wurde eben zum 3. Feiertage von der Mutter angezogen und stand auf dem dunkeln Grunde wie ein Porträtchen, das van Dyk und Rubens nicht schöner hätten malen können. Die Schönheit des Kindes, die günstige Beleuchtung, der dunkle Grund, der Firnis des Glases, alles trug dazu bei, daß man sich nicht satt sehen konnte; und als ihr nun die Mutter das Halskräuschen umlegte, war das Bildchen völlig fertig. Während der ganzen Zeit sah sie uns an und schien beinah zu empfinden, daß es was Artiges sei, so aufmerksam angesehn zu werden. Der Dom, der auf demselben Platze steht, hat aus mehreren Ursachen äußerlich nichts Anziehendes, inwendig aber ist es das schlankste, schönste aller Gebäude jener Zeit, die ich kenne; durch keine Monumente verdüstert, durch keine Emporkirche verderbt, gelblich angestrichen, durch weiße Glasscheiben erhellt, nur das einzige Mittelfenster des Chors hat sich bunt erhalten. In ebenIn eben aus Die neben dem Chor waren mir auffallend und neu die aus Stein gehauenen Baldachine über den Sitzen der Domherrn. Es sind Capellen und Burgen, die in der Luft schweben, und das Geistliche mit dem Ritterlichen wechselt immer ab. Ein höchst schickliche Verzierung, wenn man denkt, daß die Domherren altritterlichen Geschlechts waren und die CapellenVon Goethe geändert aus Capelle ihren Thürmen verdankten. Ich habe mir gleich eine Zeichnung davon gemacht, die den ganzen Begriff gibt, den man durchDavor gestrichen sich Beschreibung niemandem geben kann.

Zum Frühmahl ward ein Karpfen mit polnischer Sauce genossen, wie er uns den Abend vorher schon trefflich geschmeckt hatte. Ich besah noch die Pfeiler der abgebrannten Brücke und fuhr um halb 1 ab. Bei halb bedeckten Himmel war die Luft kühl, und doch Sonnenblicke so reichlich, daß wir die vergnüglichste Fahrt hatten. Wir zogen über die neugeschlagene Schiffbrücke und dann an dem rechten Ufer der Elbe hin, das über alle Begriffe cultivirt und mit Häusern bebaut ist, die erst einzeln, dann mehrere Stunden lang zusammenhängend, eine unendliche Vorstadt bilden. In der Neustadt fanden wir alles auf dem alten Fleck, der metallne König galoppirte nach wie vor auf derselben Stelle unversehrt. In Weimar hatten sie ihm schon durch die Explosion der Brückenbogen einen Arm weggeschlagen. Schon ½ Stunde vor der Stadt begegneten uns reichliche Spaziergänger, sogar eine lesende Dame; auf der Brücke aber erschien der 3. Feiertag in seinem völligen Glanze, unzählige Herren und Damen spazierten hin und wieder. Die beiden gesprengten Bogen sind durch Holzgerippe wieder hergestellt, aber nicht bis zur Höhe der steinernen Brücke, weßwegen man hinunter- und wieder hinauffahren muß. Was diesen Mißstand veranlaßt, erfuhren wir nicht. Auch die Stadt war sehr belebt. In der Moritzstraße hielten Russen, erwartend eine selige Bequartierung. Uns aber gings wunderlich: denn als ich an der Wohnung des Prinzen Bernhard anfuhr, begegnete mir Hauptmann Verlohren und erzählte, daß er eben das Haus geräumt und für die Hoheit eingerichtet habe. Ich bewunderte die gute Austheilung und anständige Einrichtung, fand auch Körners und andere Damen daselbst, welche diese Anstalten beurtheilen wollten und billigten. Hauptmann Verlohren verschaffte uns sogleich ein ander Quartier in der 1. Etage seiner Wohnung, bei Herrn Hofrath von Burgsdorf. Wir sind auf das allerbequemste eingerichtet, finden gute Bedienung, herrliches und nicht zu theures Essen in einem nahen Traiteurhause; unser Wein hat bis heute gehalten, der Rack natürlich auch. Herrn von Ende besuchte ich heute früh, sodann Körners, wo ich Herrn ArndtVon Goethe nachträglich unterstrichen antraf, der sich als Patriot durch Schriften bekannt gemacht. Und so weit wären wir gekommen, bis zu halb 3 nach Tische den 21. April. Leider ist nun der Wein ausgegangen, und der doppelt so theure schmeckt nicht. Nun wünscht man recht wohl zu leben und hofft auf die Fortsetzung.

G.

 

[Dresden, 22./25. April 1813.]

Mittwoch, den 21., Nachmittag gingen wir zu den Mengsischen Gypsen, waren mehrere Stunden vollkommen vergnügt und belehrten uns aufs beste. Viele Russen gingen auf und ab und ließen sich von dem Inspector was vorerzählen. Ein junger, hübscher Officier hielt sich in der Gegend, wo ich war, und als ich es bemerkte, redete ich ihn an. Er nannte sich einen Herrn von Nolten, der Mann war mir bekannt. Einer seiner Verwandten hat eine Zeit lang in Jena, Weimar und Rudolstadt gelebt. Vielleicht erinnert ihr euch dessen. Ich sagte, wenn er nach Weimar kam, solle er mein Haus besuchen; es ist gar nicht unmöglich, und wer weiß, was so eine Bekanntschaft für Nutzen bringen kann.

Regierungsrath Graff von Königsberg, dessen sich August erinnern wird, ist hier bei der Verwaltungscommission angestellt. Er hatte sehr große Freude, mich zu sehn. Abends gingen wir ins Schauspiel. ›Cosi fan tutte‹, italienisch, war angekündigt. Nein! so ein Schreckniß ist mir niemals vorgekommen. Alte, vermagerte, ja lahme Frauen, statt der lustigen Dirnen, Liebhaber, steif und stockig über alle Begriffe, der Buffo nicht der Rede werth; der Gesang gerade nicht schlecht, aber unerfreulich. Mir ward so angst, daß ich mich flüchtete, wie die Officiere ins Schiff stiegen. Auf dem Rückwege begegnete mir ein großer Volksauflauf, über den weg ein schöner Postzug hervorragte, eine treffliche Reisechaise mit VacheWasche und auf dem Bocke der Hofmockel. Der Wagen hielt vor einem Hause, ich drängte mich durchs Volk und sah Schwebeln aussteigen; den 4. April hatte er in Weimar von mir Abschied genommen. Welch ein wunderliches Wiederantreffen. Herr von Ende und Verlohren haben sich seiner angenommen, er hat einen Arzt und gute Wartung.

Des Nachts gegen 11 weckte mich eine fürchterliche Erscheinung. Die Straße war von Fackellicht erhellt, und ein wildes Kriegsgetöse hatte mich aus dem Schlafe geschreckt. Eine Colonne hatte in der Straße Halt gemacht. Es war eine unangesagte Einquartierung. Ganz verwünscht sah es aus, wenn sich die Thore der großen Häuser aufthaten und 10, 20, 30 bei Fackelschein in ein Gebäude hineinstürzten. Doch sind die Wirthe das nun schon gewohnt, sie haben Stuben und Lager, wie sie konnten, eingerichtet. Essen halten sie schon gekocht parat und wärmen es nur. Dicke Grütze, Rindfleisch und Sauerkraut, Kartoffelsalat mit viel Zwiebeln und Knoblauch, Brandtewein sind die Hauptingredienzien des Gastmahls. Donnerstag, den 22., gingen wir nach dem Kupferstichcabinet, wo wir uns an großen Bänden nach Raphael gar trefflich ergötzten, alte Bekanntschaften erneuerten und neue ganz unvermuthet machten. Nach Tisch auf die Galerie. Die besten Sachen sind auf Königstein geflüchtet, aber an dem, was zurückblieb, hätte man ein Jahr zu sehn; doch war das Erste, was uns der Inspector Demiany verkündigte, daß Director Riedel auf dem Königstein sei, um alles wieder herbeizuholen. Das wollen wir denn auch abwarten und als ein Glückszeichen ansehn.

Dresden ist freilich jetzt sehr lebhaft; wenn man denkt, daß es schon für sich im Gewissen 40 000 Einwohner hat, was dieses schon in Friedenszeiten für eine Bewegung gibt, und was für Bedürfnisse für eine solche Menge müssen zusammengeschafft werden. Nächstens soll eine Übersicht des WochenmarktsWochenmarks folgen, insofern es möglich ist.

Auffallend war folgende Erscheinung: Chorschüler, aber nicht etwa in langen Mänteln wie sonst, sondern in knappen, schwarzen Fracks und überhaupt schwarz gekleidet, etwa 30 an der Zahl, gingen, 4 Mann hoch, Arm in Arm mit großen Stürmern auf den Köpfen, der Präfect voraus, durch die Straßen. Sie marschirten nach der Melodie eines Gassenhauers, der ohngefähr so heißen mag:

    So gehen wir gassatenGassaten aus gassaten,
Wir lustigenAus lustgen Cameraden,
Und ziehen frank und frei.

    Und was man uns genommen,
Das haben wir nicht bekommen;
Und wenn uns nun der Teufel holt,
So sind wir auch dabei.

Vor den ansehnlichsten Häusern und auch vor dem unsern machten sie Fronte, sangen einen Vers desselben Lieds oder auch eines etwas ernsteren, und dann zogen sie weiter. Der militärische Geist war auch schon völlig in diese Schwarzröcke gefahren.

Daß die Kosaken, die auf dem Markte halten, von allen Menschen umgeben und angestaunt werden, ohne sich in ihrer Gemüthsruhe im mindesten stören zu lassen, darf ich kaum sagen; aber wie lief jung und alt zusammen, als sie ein Kameel mitbrachten, zum ächten asiatischen Wahrzeichen. Ich sah mehrere dieser seltsamen Fremdlinge vor einem Laden stehn, wo Nürnberger Tand feil war. Sie kauften Nadelbüchsen und hatten große Freude an den Pferdchen, besonders aber an den bespannten Kutschen. Sie unterhielten sich darüber, deuteten auf alles ganz nah mit einer gewissen naiven Anmuth hin, berührten aber nichts.

Auf demselben Spaziergang kaufte ich einen Fündling. Ihr müßt aber nicht erschrecken, als wenn die Familie vermehrt werden sollte, vielmehr dient Herrn Riemer zur Nachricht, daß es ein seltsames Gestein seie, dem man keinen Namen geben kann, und das sich vielleicht nur einmal findet. Daß Truppen, besonders aber Officiere, zu Pferd und zu Fuß, in Wagen und auf Wagen hin- und herziehen, läßt sich denken. An Fourage-Fuhren fehlt es nicht, vom Lande kommen viele Menschen herein, und es ist ein großes Treiben den ganzen Tag. Dazwischen fehlt es nicht an Orgelmännern, seltsam gekleideten Kindern, die Kunststücke machen, und sonst an Buden und Läden, wo, wie an der Messe, allerlei Wunderliches zu sehn ist.

Ich habe mir einen Plan von Dresden angeschafft und mache mich nach demselben mit der Stadt und den Vorstädten bekannt. Bewegung und Zerstreuung thun mir gar wohl. Ich fange nun erst an, mich wieder zu erkennen. Geht es euch auch gut, so bleibt mir nichts weiter zu wünschen. Ich habe noch nicht viel Personen gesehn, und ist auch nicht viel Freude dabei. Man hört nichts, als was man leider schon mit sich selbst hat abthun müssen. Das Vergangene zu hören, ist ekelhaft, und wer wüßte von der Zukunft was zu sagen. Proclamationen, Befehle, Gedichte und Flugschriften gibts unzählige. Für August wird eine vollständige Sammlung gemacht.

 

Wenn es Dir, mein liebes Kind, so gut geht, als Du es um mich sonst und jetzt verdienst, so kannst Du zufrieden sein. Die Bewegung und Zerstreuung hat mich bald wieder hergestellt. Lebe recht wohl und liebe mich. Vogel besorgt Dir alles an mich.

[Dresden,] den 25. April 1813.

G.

 

Beiliegende Blätter gibst Du nicht aus der Hand, vorlesenDavor gestrichen näch[stens]. Vgl. das letzte Wort des Briefes könnt ihr daraus nach Belieben und Schicklichkeit. Gedichte kommen nächstens.

 

541. Goethe

Teplitz, den 10. Mai 1813.

Seit meiner Abreise habe ich manche Blätter dictirt, die, wie ich hoffe, nach und nach in euere Hände kommen werden. Gestern erhielt ich das Schreiben vom 30. April, wofür Wolffen der schönste Dank gesagt sein soll, so wie für alles Gute, was er euch in diesen unruhigen Zeiten geleistet hat. Mir ist es durchaus wohl gegangen, und nichts als Angenehmes und Unterrichtendes ist mir begegnet. Ich recapitulire kurz die Geschichte der vergangenen drei Wochen. Den 17. übernachteten wir in Naumburg, den 18. in Leipzig, den 19. in Meißen; den 20. besahen wir uns früh in Meißen und langten Abends in Dresden an. Die Wege waren durchaus vortrefflich und das Wetter meist sehr schön. Den 21. sahen wir uns in Dresden um, betrachteten besonders die Mengsischen Gypsabgüsse, den 22. das Kupferstichcabinet und auf der Galerie. Ich sah mich in den Vorstädten um; den 23. fuhren wir nach Tharandt und hatten eine lehrreiche Unterhaltung mit Forstrath Cotta, auch fand ich O'Carolls daselbst. Den 24. kam der russische Kaiser und der König von Preußen nach Dresden. Sonntag, den 25., reisten wir um Mittag ab und nach Pirna. Den 26., nach einer Fahrt von 9 Stunden, kamen wir nach Teplitz, den 27. kam der Kaiser von Rußland, die Hoheit zu besuchen. Mittwoch, den 28., fing ich an zu baden, Abends fuhren wir gegen Bilin. Den 29. nach Graupen, die Zinnwerke zu besuchen. Den 30. Mittags und Abends bei der Hoheit. Meine Arbeiten waren seit meiner Ankunft gut von Statten gegangen. Vom 1. Mai bis den 8. gebadet, gearbeitet, und in der Gegend umhergefahren. Den 9. fuhr die Hoheit mit ihrer Schwester Katharina, welche den 7. Abends angekommen war, nach Prag.

Das Baden bekommt mir ganz außerordentlich wohl, ich wüßte nicht, mich jemals besser befunden zu haben. Die Zahl der Curgäste vermehrt sich täglich durch Blessirte und Personen von Dresden. Die Einlösungsscheine haben seit unserm Hiersein zwischen 142 und 160 geschwankt. Der Aufwand ist dem Karlsbader vom vorigen Jahre ohngefähr gleich. Kutsch und Pferde machen die größte Annehmlichkeit des Aufenthalts. Der Kutscher versieht allen Dienst hinlänglich; wir wohnen in einem kleinen Gartenhause und haben die schönsten Blüthen vor uns. Da ich wegen eurer im Ganzen beruhigt bin, so wüßte ich mir weiter nichts zu wünschen. Schreibt mir manchmal auf dem eingeschlagenen Wege, ich werde das Gleiche thun. Lebet recht wohl! in Hoffnung eines fröhlichen Wiedersehns. Grüßet alle Freunde.

 

542. Goethe

Ob Du, mein liebes Kind, die Geschichte unserer ersten Reisetage, die ich bei Herrn von Verlohren in Dresden zurückließ, erhalten hast, ist freilich sehr ungewiß. Auch ist erst gestern über Eger ein Brief an Dich abgegangen. Weil dieser aber wahrscheinlich geschwinder zu Dir kommt, so will ich Dir dessen Inhalt kürzlich wiederholen, vorher aber sagen, daß mich der Brief vom 30. April höchlich vergnügt hat, für den, so wie für alles andre Gute Wolffen der beste Dank werden soll.

Sonnabend, den 17., kamen wir zeitig nach Naumburg und besahn uns noch in der Stadt. Den 18. waren wir in Leipzig und konnten uns umsehn. Abends gingen wir in ein Declamatorium. Den 19. kamen wir Abends nach Meißen, bei dem herlichsten Weg und dem besten Wetter. Uns begegneten fast keine Truppen. Den 20. besahen wir uns im Dom und sonst, und fuhren Abends nach Dresden. Den 21. und 22. besahen wir die Merkwürdigkeiten von Dresden. Den 23. fuhren wir nach Tharandt, wo wir den Forstrath Cotta besuchten. Den 24. kamen Kaiser und König. Es war ein unendliches Treiben und Wesen. Den 25. fuhren wir nach Pirna und hatten daselbst einen sehr schönen Abend. Den 26. um 3 Uhr waren wir in Töplitz. Ich fing gleich an zu baden, spazieren zu fahren und zu arbeiten. Die umliegende Gegend besuche ich fleißig. So ging es fort bis Sonntag, den 9. Da erhielt ich euren Brief, der mich sehr beruhigte. Die Hoheit ging nach Tafel ab, und seit der Zeit Hab ich im Stillen mein einfaches Leben fortgetrieben. Das Bad bekommt mir wieder ganz vortrefflich, und es fehlt mir nichts als öftere und ausführlichere Nachricht von euch.

Ein herzliches Lebewohl.

Teplitz, den 14. Mai 1813.

G.

 

543. Goethe

[Teplitz, 27. April 1813.]

Freitag, den 23., fuhren wir nach Tharandt. Der Weg dahin durch ein Thal an der Weißeritz hinauf, das sich bald sehr verengt, bald wieder erweitert und zu schönem Feldbau Gelegenheit gibt, ist höchst angenehm. Die Lage des Badeörtchens selbst ist wirklich gefällig. An dem Puncte, wo zwei Thäler zusammenkommen, steht die Ruine eines großen und weitläuftigen Schlosses auf einer isolirten Anhöhe. Um dieselbe und in die beiden Thäler hinauf ist der Ort gebaut, das Badehaus groß und geräumig und auch zum logiren eingerichtet. Ich erneuerte die Bekanntschaft mit Herrn Forstrath Cotta, dessen Anstalt, junge Leute zum Forstwesen zu bilden, sehr gut gedeiht. Andere Erziehungsinstitute schließen sich an und greifen ineinander. Auch besuchte ich Herrn von O'Caroll, der mit Tochter und Enkel sich in jenes friedliche Eckchen der Welt geflüchtet hat. Wir speisten und tranken gut und waren Abends zur rechten Zeit wieder zu Hause. Ich besuchte noch Frau von Grotthuß.

Sonnabends früh war alles auf den Beinen, weil man die Ankunft der Potentaten erwartete. Ich ging über die Brücke und besuchte Kügelgen in der Neustadt. Kosaken, Ulanen, andere Reuterei, Fuhrwerke aller Art, von den schlechtsten Kibitken bis zu den kostbarsten Reisewagen, bewegten sich hereinwärts, die wohlmontirte und sich gut präsentirende Dresdner Bürgergarde hinauswärts. Die Ankunft der hohen Häupter verzog sich. Ich ging wieder zurück nach Hause, sodann mit meiner Wirthin, Frau von Burgsdorf, in die Canzlei des Finanzcollegiums, deren Fenster gerade auf die Brücke gingen. Doch als mirs da zu warm und zu eng ward, ging ich mit Forstrath Cotta wieder in die Neustadt, nach dem Schwarzen Thor, wo man ein paar bekränzte Säulen aufgerichtet hatte, an deren Fuß die Bewillkommnung vor sich gehn und hübsche, weißgekleidete Kinder wie gewöhnlich Blumen streuen sollten. Hier erfuhr ich den Unfall, welcher Weimar betroffen hatte, auf eine Weise,die mich mehr verdroß, als erschreckte. Meine eigne, so wunderbare und unvorsetzliche Entfernung gab mir die Hoffnung, daß auch von euch das Übel werde entfernt geblieben sein. Kaiser und König ritten endlich ein; es war ½1 Uhr. Die Garden, wundersam schön, männlich und militärisch, folgten, bei 8000 Mann Infanterie. Mit Roth kamen wir zurück in die Stadt. Auf dem Neumarkte hielten Kaiser und König. Hier sah ich noch den Rest der Infanterie, alsdann Cavallerie und starke Artillerie vorbei defilieren. Nachts war Illumination, fast durchaus mit Lichtern hinter den Fenstern. Ein einziges Haus hatte einen transparenten Tempel, daneben Inschriften mit ziemlich kleinen Buchstaben, an welchen die Zuschauer die Schärfe ihrer Augen übten, ohne daß sie solche ganz hätten lesen können. Überhaupt scheint man, was diese Dinge betrifft, in Dresden nicht stark zu sein. So waren die Festone, womit die beiden Empfangssäulen oben verbunden waren, dergestalt dünn und mager, daß man sie den Mädchen auf die Kleider hätte garniren können. Ein starker Wind trieb sie nach der Stadt zu, so daß die hereinreitenden Fürsten wenig davon gesehn haben.

Sonntag Quasimodogeniti, den 25. Da entschieden war, daß die Hoheit nicht herüberkommen, sondern der Kaiser sie in Töplitz besuchen würde, so machten wir die Vorbereitungen zur Abreise. Ich dankte Herrn und Frau Hofrath von Burgsdorf, meinen freundlichen Wirthen, für gute Aufnahme, ingleichen Herrn Hauptmann Verlohren für seine Vorsorge. Wir wurden aus der Ressource, deren Vorsteher er ist, trefflich, reichlich und wohlfeil gespeist und getränkt.

Um 1 Uhr fuhren wir auf vortrefflichem Weg und bei herrlichem Wetter nach Pirna. Es liegt gar anmuthig an der Elbe. Wir kehrten im ›Rößchen‹ ein. Nach Tische besuchten wir den Dom, der ein merkwürdiges Gebäude ist. Nicht so alt wie der Meißner, aber doch auch sehr lobenswürdig. Die hie und da eingeschriebenen Jahrszahlen deuten auf die Mitte des 16. Jahrhunderts. Außen ist zwar ein Basrelief von 1404, das aber bei einem neuen Bau nur eingemauert scheint. Das Merkwürdigste war uns der Taufstein. Um den runden Fuß desselben, auf dem viereckten Sockel, sind zusammenhängende Gruppen von Kindern angebracht, wie folgt:

Erste SeiteAlles kursiv Gedruckte ist von Goethe nachträglich hinzugefügt
Drei schlafende, ein erwachtes,
betendes
zwei, die sich mit den Haaren
eines kleinern beschäftigen
 
Zweite Seite, gegen den Altar gekehrt
Ein verbindendes Ein verbindendes
Ein Schildhaltendes Ein Tafelhaltendes
1561.
Ein Schildhaltendes
 
Dritte Seite, Fortsetzung der ersten
Zwei spielen mit einem
Hunde, ein drittes will Theil nehmen
Zwei sich liebkosende Ein trinkendes
 
Vierte Seite, gegen die Kirche gekehrt
Drei Mußverzehrende Ein drittes durch Theilnahme
verbindendes
Zwei Obstverzehrende

Dieß sind die Vorstellungen der vier Seiten, wobei zu bemerken ist, daß immer die letzte Figur der einen Seite, perspectivisch, mit in die folgende Seite componirt. Man sieht leicht, daß der Gedanke sehr naiv ist: denn was könnte man artiger thun, als die Kindheit um den Taufstein versammeln. Die Compositionen sind durchaus kunstgerecht, die einzelnen Stellungen allerliebst, die Figürchen ohngefähr 6 Zoll hoch. Ich will suchen, eine Zeichnung davon zu erhalten.

Wir gingen nach dem Flusse, der die Gegend sehr belebt, sahen mehrere auf- und abfahrende Schiffe. Diese sind sehr lang, vielleicht 90–100 Fuß. Ein solches Schiff trägt 1800–2000 Scheffel (Dresdner) Getraide. Die Pirnaischen Steine werden auch darauf nach Dresden und weiter transportirt. Ein dergleichen mit Steinen beladenes Schiff strandete Sonnabends an einem Pfeiler der Dresdner Brücke. Die Schiffer waren sonst gewohnt, durch die jetzt gesprengten Bogen zu fahren, und sind noch nicht genug unterrichtet, wie sie durch die andern durchkommen sollen, besonders da wegen der verschütteten 2 Bogen der Strom durch die übrigen gewaltsamer durchzieht. An dem Elbufer der Stadt Pirna fanden wir dergleichen Steine, die oberwärts herabkommen, mehr jedoch große, aufgesetzte Haufen Kalksteine, 2 bis 3 Stunden von Pirna, bei Nensdorf und Borne gebrochen. Er muß mit dem Thonschiefer verwandt sein, denn er hat eine ganz schiefrige Lage. Auch Mühlsteine fanden wir von Kotta, eine Stunde von Pirna. Wir unterhielten uns mit einem entlassenen sächsischen Artilleristen, der uns allerlei Notizen gab, uns auf die Höhe hinter den Sonnenstein führt. Der Sonnenuntergang war unendlich schön, höherauchig; die Scheibe feuerroth und noch röther der Wiederschein im Wasser. Die Aussicht nach dem Königstein und Lilienstein sehr interessant. Seitdem Torgau zur Festung bestimmt ist, so hat man den Sonnenstein, ein weitläuftiges Schloß gleich über Pirna, zum Irren-, Kranken- und Besserungshaus mit großen Kosten eingerichtet, ansehnliche Gärten ummauert, pp. Die Anstalt soll vortrefflich sein und von einem geschickten Arzte BinizVon Goethe nachträglich in die frei gelassen Lücke gesetzt besorgt.

Montag, den 26., fuhren wir um 6 Uhr von Pirna ab, kamen um halb 11 in Peterswalde an, verweilten eine Stunde. Bei der Capelle war die Aussicht ganz wunderbar. Durch starken Höhenrauch waren die hinter einander stehenden Bergreihen vortrefflich abgestuft. Um 3 Uhr in Töplitz im ›Schiff‹ eingekehrt und zwar im Gartenhause. Es ward ausgepackt. Nach Tische kam Herr von Ende. Abends ging ich zur Hoheit. Es regnete indessen sehr stark.

 

Teplitz, den 21. Mai 1813.

Ich hoffe, Du wirst die sechs ersten Blätter meines Reisetagebuchs, die ich bei Herrn von Verlohren zurückließ, jetzo wohl erhalten haben. Auch schrieb ich ein Zettelchen durch einen Weimarischen Kutscher (Knecht bei Herrn Sorge) am 9. Mai, ferner den 10. über Karlsbad und den 14. durch Graf Edling. Die beiden letzten waren ziemlich gleichlautend, es ist also genug, wenn Du nur einen erhalten hast. Von mir kann ich nur sagen, daß ich mich recht wohl befinde. Das Bad thut seine alten Dienste. Wir sind fleißig und fahren sodann in der Gegend umher. Ohne die Equipage wäre hier nicht zu leben: denn da man so nah am Kriegsschauplatz ist, daß man Nachts sogar manchmal die Feuerzeichen am Himmel sieht, wenn irgend ein unglücklicher Ort brennt; da man von lauter Flüchtigen, Blessirten, Geängstigten umgeben ist, so sucht man gern in die Weite zu kommen, wenn man zu Hause sein bißchen Geschäft abgethan hat. Der Frühling ist hier unendlich schön, besonders blühn die Kastanien jetzt im Park und an allen Wegen auf das allervollkommenste. Das Leben ist ohngefähr so theuer hier, wie vor dem Jahre in Karlsbad. Es wird wenig Unterschied sein.

Hiernächst muß ich den Kutscher loben, der nicht allein Pferde und Geschirr, wie immer, sehr gut hält, sondern auch seinen übrigen Dienst dergestalt versieht, daß man es nicht besser wünschen kann. Schon durch seine Ehrlichkeit wird mehr erspart, als zu berechnen ist.

Euere durch Herrn von Spiegel gesendeten Briefe sind mir von Prag zugekommen. Sie haben mir sehr viel Vergnügen gemacht. In der jetzigen Zeit kann man nur Gott danken, wenn man auf seinen Füßen stehen bleibt. Das Unglück, was jetzt Dresden und die Gegend aussteht, darf man sich gar nicht vergegenwärtigen. Ich habe bis jetzt 17 Mal gebadet, und will so fortfahren. Alles kommt darauf an, wie meine Arbeit von Statten geht. Bis jetzt läßt sie sich gut an. Der künftige Monat muß ausweisen, was weiter zu thun ist. Grüße Professor Riemer zum schönsten und theil ihm das Gegenwärtige mit. Ich danke ihm für seine Zuschrift. Ich habe mir die griechische und römische Technologie in Dresden angeschafft und studire sie fleißig. Sobald ein paar Bücher der Biographie im Reinen sind, sende ich sie ab. Auch Hofrath Meyer grüße zum schönsten und laß ihm besonders die Stelle vom Taufstein zu Pirna lesen; diese ist ihm zugedacht. August soll gleichfalls Dank für sein Briefchen haben. Könnt ihr mir auf irgend eine Weise wieder etwas zubringen, so thut es. Frau von Stein alles Liebe und Gute, wie allen Freunden und Nachbarn, nicht weniger Wolffs und sämmtlichen Schauspielgenossen. So viel für dießmal, mit dem herzlichsten Lebewohl! welches auch dem kleinen Mandarinen gelten soll.

G.

 

Da es mir nun, wie Du siehst, so wohl als möglich geht, so danke ich Dir herzlich für den Antrieb, mich hierher zu begeben. Einige Tage später wäre es unmöglich gewesen. Was Du erduldet hast, möge eine fröhliche Folgezeit vergelten. Bis jetzt steht alles noch schwankend, so daß man keinen Plan machen, noch sich etwas vornehmen kann; sobald dieß möglich ist, hörest Du mehr von mir. Indessen schreibe ich von Zeit zu Zeit, laßt mich auch etwas vernehmen.

August soll mich dem Erbprinzen, sowie dem Prinzen Bernhard bestens empfehlen. Letzterem sende ich das Mährchen vom Todtentanze, in eine Ballade verwandelt, mit gegenwärtiger Gelegenheit und hoffe, es wird Spaß machen.

Von Karl kann ich euch so viel sagen, daß derselbe, obgleich von seiner Geliebten und Schwiegermutter begünstigt, noch nicht zu seinem Ziele gelangen können. Weil aber doch zuletzt durch Beharrlichkeit alles möglich wird, so wird sich das auch machen. Er ist gegenwärtig hier, um gewisser Negotiationen willen, zu deren Beförderung ich ihm ein zweites Attestat, ohngefähr im Sinn des ersten, nicht versage. Die Beharrlichkeit, wie gesagt, von Mutter und Tochter scheint immer die gleiche, und sie wird es denn doch noch zuletzt dahin bringen, daß wir Karln als Hausbesitzer in Karlsbad, wozu ihn sein Name schon berechtigt, dereinst begrüßen werden.

 

544. Goethe

Teplitz, den 1. Juni 1813.

Gestern langte Dein Brief vom 24.Geändert aus unleserlicher Zahl glücklich an, ist also nicht länger wie billig unterwegs gewesen. Überhaupt sendet nur alles durch Vogeln an Verlohren, da erhalte ich es am sichersten und geschwindesten. Es freut mich sehr, daß ihr die bisherigen Unbilden mit gutem Muthe ertragen habt. Fahret ja so fort und in der Lage, in der ihr seid, beklagt euch ja über nichts: denn wie es in denen Gegenden aussieht, wo die Armeen wirklich zusammentreffen, das darf man sich gar nicht vergegenwärtigen. Wir befinden uns wohl und sind fleißig. In kurzer Zeit wird das Manuscript an Riemer abgehn, dem ich alsdann schreibe. Ich habe jetzt nur zwei Briefe von Dir; der mittlere, durch Frau von Berg, scheint noch unterwegs zu sein. Meine Sendung durch Stallmeister Sievers wird nun auch in eueren Händen sein. Und so wäre nun alles wieder zwischen uns im Gange. Ich schreibe deßhalb auch gleich wieder, ob ich schon nicht viel zu melden habe. Der gute Voigt thut mir sehr leid. August soll mich ja gelegentlich dem Herrn Geh. Rath empfehlen und ihm meine Theilnahme bezeigen. Auch möchte ich etwas von Meyer und Knebel hören, wie es denen gegangen ist, und wie sie sich befinden. Körners sind noch hier, in einer sehr unangenehmen Lage. Ihr Sohn ist bei den Preußen, und sie mögen überhaupt beim Einrücken der nordischen Alliirten etwas laut gewesen sein, deßwegen, scheint es, mögen sie nicht gern nach Dresden zurück. Ich fahre sie einen Tag um den andern spazieren; es ist dieß doch Unterhaltung und Zeitvertreib. Dr. Schütze ist auch von Karlsbad hier angekommen, wird aber bald nach Dresden gehn. Sonst ist von alten Bekannten niemand hier außer Dr. Kapp und die Gräfin Brühl. Auch diese seh ich selten und sonst gar niemand. Die Gegend ist jetzt unendlich schön und das Wetter herrlich, recht für ein warmes Bad geeignet. Ich wünsche Dir auch schönes Wetter und reichliche Gartenfrüchte. Wegen 20 kleiner Flaschen Egerbrunnen geht heute ein Brief an den Inspector ab. Die Pferde befinden sich sehr wohl, es wird ihnen nicht viel zugemuthet. Der Kutscher macht seine Sachen vor wie nach höchst lobenswürdig, und läßt mir manchmal merken, daß er auch gegen Dich belobt sein möchte. Das Essen ist hier nicht sonderlich und theuer, der Wein auch nicht wohlfeil, indessen läßt es sich ertragen. Ich habe schon 28 Bäder genommen und werde im Juni so fortfahren. Vielleicht läßt sich in 4 Wochen eher entscheiden, was man thun will. Schreibt mir von Zeit zu Zeit dasselbige. Grüße Augusten zum schönsten. Er soll ja mit seinem Weimarischen Zustande zufrieden sein, wenn er auch manchmal lästig ist. Was die jungen Geschäftsleute hier ausstehn, die für Freund und Feind die Bedürfnisse herbeischaffen sollen und deßhalb immer mit im Felde liegen müssen, geht über alle Begriffe. Grüßet alles. Hierneben steht das verlangte Liedchen, dem man freilich Tag und Stunde nicht ansieht, wo es entstanden ist. Es findet sich leicht eine Melodie dazu. Wenn ich zurückkomme, soll mich die Engels damit empfangen.

G.

 

    Ich habe geliebet, nun lieb ich erst recht;
Erst war ich der Diener, nun bin ich der Knecht,
Erst war ich der Diener von allen;
Nun fesselt mich diese charmante Person,
Sie thuet mir alles zur Liebe, zum Lohn;
Sie kann nur allein mir gefallen.

    Ich habe geglaubet, nun glaub ich erst recht;
Und geht es auch wunderlich, geht es auch schlecht,
Ich bleibe beim gläubigen Orden.
So düster es oft und so dunkel es war
In drängenden Nöthen, in naher Gefahr,
Auf einmal ists lichter geworden.

    Ich habe gespeiset, nun speis ich erst gut;
Bei heiterem Sinne, mit fröhlichem Blut
Ist alles an Tafel vergessen.
Die Jugend verschlingt nur, dann sauset sie fort;
Ich liebe zu tafeln am lustigen Ort,
Ich kost und ich schmecke beim Essen.

    Ich habe getrunken, nun trink ich erst gern;
Der Wein, er erhöht uns, er macht uns zum Herrn
Und löset die sklavischen Zungen.
Ja! schonet nur nicht das erquickende Naß;
Denn schwindet der älteste Wein aus dem Faß,
So altern dagegen die jungen.

    Ich habe getanzt und dem Tanze gelobt;
Und wird auch kein Schleifer, kein Walzer getobt,
So drehn wir ein sittiges Tänzchen.
Und wer sich der Blumen recht viele verflicht,
Und hält auch die ein' und die andere nicht,
Ihm bleibet ein munteres Kränzchen.

    Drum frisch nur aufs neue, bedenke dich nicht!
Denn wer sich die Rosen, die blühenden, bricht,
Den kützeln fürwahr nur die Dornen.
So heute wie gestern es flimmert der Stern;
Nur halte von hängenden Köpfen dich fern
Und lebe dir immer von vornen.

Entsprungen Leipzig, den 18. April 1813 in Solbrigs Declamatorium, geschrieben Oschatz, den 19. April, bei einem sehr friedlichen Mittagsessen.

 

Ich lege noch ein Blättchen bei, um Dir zu sagen, daß ich von Wien sehr erfreuliche Nachrichten habe, die mich überzeugen, daß Ihro Majestät fortfahren, in Gnade und Huld meiner zu gedenken. Über die Rede zu Wielands Andenken hat sie mir das Freundlichste sagen lassen. In so trüben Zeiten, wo man kaum mehr weiß, wohin man die Augen richten soll, thut ein solcher Sonnenblick gar zu wohl.

Wolffs Brief, den Du mir ankündigst, will ich abwarten und ihm sodann selbst schreiben und ihm für seinen treuen Beistand vorläufigen Dank sagen. Grüße das Ehepaar unterdessen zum allerschönsten.

Wie es unserer Schopenhauer ergangen, möchte ich doch auch wissen. Grüße sie von mir und versichere sie meiner Theilnahme.

 

545. Goethe

[Teplitz, 6. Juni 1813.]

Pfingsten, das liebste, lieblichste Fest bringt mir einen Brief von Dir, bis auf einen sind alle angekommen; da Du aber sie gleichlautend ausstelltest, so weiß ich, wie es ohngefähr bei euch aussieht, und wiederhole: danket Gott, daß ihr so davongekommen seid, ich habe ganz Anderes gesehen.

Ein Brief an Wolff wird angekommen sein. Ich sprach von Johns Krankheit, er ist wieder besser. Das Übel hat er sich durch einen temperleinischen Eigensinn zugezogen, es ward aber sehr ernsthaft. Nun ist er besser, ich habe mich der Lage gemäß eingerichtet, und an meiner Arbeit schadets mir nicht. Ich hatte so sehr viel vorgearbeitet, daß ich einige Wochen zur Revision brauche. Ich komme mit allem, was ich mir vorgenommen, sehr gut zu Stande. Am goldenen Ei solls nicht fehlen. Daß Du das Mögliche thust, weiß ich und erkenn es; fahre so fort und vergnüge Dich dazwischen, bis wir uns wieder in der Gegenwart einer treuen Liebe erfreuen können.

Zur Communication brauchts nun weiter keine Umstände. Schreibt mir nur direct nach Töplitz durch Dresden, so habe ich den Brief bald genug. Ohngefähr am 10. Tag.

Gesellschaft seh ich fast gar nicht, sie sind alle im Augenblick ersoffen und quälen sich von Morgen zu Abend mit widersprechenden Neuigkeiten; aber mit meiner Hauptsache geht es gut und muß immer noch besser gehn, da mir das Bad sehr wohl bekommt, und ich Zeit habe, alles wohl zu überlegen.

Wenn Du meinen Brief nicht lesen kannst, so wird Uli aushelfen, ich gewöhne mir fast ihre Hand an, es sieht fast aus, als wenn ich in sie verliebt wäre.

Kannst Du mir ohne große Beschwerlichkeit etwas von unsern Jenaischen Freunden sagen, und wie diese durch die Zeit durchgekommen sind? Vom guten Knebel möcht ich gern etwas wissen. Sie haben es vielleicht leidlicher gehabt als ihr.

Seit dem 27.Über gestrichenem: 24. Mai, dem Datum Deines letzten Briefes, wirst Du erhalten haben:

  1. Ein Paquet durch Stallmeister Sievers unterm 24.
  2. Einen Brief. Antwort auf Deinen vom 24. Mit Liedchen und Nachricht des besorgten Brunnens unterm 1. Juni.

NB. am 5. ging ein Brief an Wolff ab.

So weit war ich gestern gekommen. Heute noch einiges. Ich freue mich sehr, daß alles bei euch wieder im alten Gleise geht, die Besorgung der Gärten, das Theater und das liebe Belvedere. Fahret so fort, das Nöthige zu thun und euch zu vergnügen.

Melde mir doch auch etwas von Geh. Regierungs-Rath von Müller und grüße ihn schönstens. Ingleichen von Falk, auch diesem sage ein freundlich Wort, Lortzings nicht weniger.

Ich wünschte nur, Du könntest ein paar Tage mit mir in meinem Gartenhause sein. Das Gärtchen ist klein, liegt aber frei und hat die schönste Aussicht. Das Baden bekommt mir sehr gut, auch habe ich einen guten Wein gefunden und kann alle Tage Krebse haben; so siehst Du also, daß mir nichts abgeht.

John hat gut geschlafen, und es steht viel besser mit ihm. Madame Schopenhauer viel Grüße! wie ist es ihr da draußen ergangen? Meldet mir so nach und nach, was sich sagen läßt, und behaltet mich lieb. Teplitz, den 7. Juni 1813, als am 2. Pfingsttage.

G.

Frau von Heygendorf die schönsten Grüße, auch Herrn Hofkammer-Rath und Genast.

 

546. Goethe

[Teplitz, 10. Juni 1813]

Wie euch der Sonntag immer etwas Gefährliches gebracht hat, so war es bei mir umgekehrt; jederzeit begegnete mir etwas Erwünschtes an diesem Tage, und zwar nach Maßgabe seines Namens, als Jubilate, Exaudi, u. s. w.

Durch die mehreren Briefe, die nun alle bei mir angekommen sind, seh ich nun, wie es bei euch steht; wir müssen eben wie alle Welt abwarten, was es geben kann. Der Stillstand läßt uns Frieden hoffen. Indessen wird der Besuch, wenn ihr welchen habt, desto eher bei euch bleiben.

Ich habe nun schon 36 mal gebadet und befinde mich dabei sehr wohl und thätig; auch wohne ich so hübsch und bin so gut eingerichtet, daß ich mich nicht wegsehne. Nirgends könnte ich meine Arbeit auf den Grad fördern wie hier, ich denke, sie soll gelingen.

 

[Teplitz,] den 14. Juni 1813.

Vorstehendes war geschrieben, als sich ein Reitknecht meldet, der nach Weimar geht. Ich will dieß Blättchen gleich mitgeben. Er wird euch sagen, daß er mich ganz wohl in meinem Gärtchen angetroffen hat.

John ruckt sich auch wieder zurechte. Deine und Augustens Briefe bis zum 6. Juni habe alle erhalten. Auch einen sehr werthen Brief vom Herzog.

Schlossern habe direct über Eger geschrieben. Eine Anweisung für Ramann lege ich bei. Schlosser ist avertirt.

Das Andre für August. Es sind keine Neuigkeiten, aber Originalpapiere.

Soeben fällt mir ein, die Rolle hinzuzufügen. Adieu.

G.

Dem Überbringer erzeigst Du was Angenehmes.

 

547. Goethe

Teplitz, den 26. Juni 1813. a.

Es ist ein sehr guter Gedanke, mein liebes Kind, daß Du die Briefe von so langer Zeit her ordnest, so wie es sehr artig war, daß Du sie alle aufgehoben hast. Woran soll man sich mehr ergetzen in diesen Tagen, wo so vieles vergeht, als an dem Zeugniß, daß es selbst auf Erden noch etwas Unvergängliches gibt. Augusts gute Einrichtung mit den Papiertaschen hat also auch auf Dich gewirkt. Sie kommt mir auch zu Statten: denn ich habe mir, bei meiner Ankunft, dergleichen zusammengeleimt und habe alles in besserer Ordnung als vor dem Jahre.

Deine Briefe sind alle glücklich angekommen und, wie ich daraus ersehe, auch die meinigen bei euch. Wir hätten es uns aber bequemer machen können, wenn wir sie gleich Anfangs numerirt hätten. Da braucht es nicht so viele Wiederholungen, deswegen will ich auch gleich die gegenwärtigen BlätterVon Goethe über der Zeile nachgetragen oben in der Ecke mit a und so fortund so fort von Goethe über der Zeile nachgetragen bezeichnen: denn ich werde Dir doch noch von hier aus mehr als einmalVon Goethe aus einen geändert schreiben.

Mit dem dritten Bande geht es seinen Gang. Das erste Buch und den größten Theil des zweiten habe ich nach Dresden geschickt, adressirt an August. Wahrscheinlich nimmt es Peucer mit nach Weimar. Ich werde mich nicht vom Platze bewegen, bis ich mit den übrigen so weit bin, daß es mir nicht mehr fehlen kann. So eine Arbeit ist viel größer, ja ungeheuerer, als man es sich vorstellt. Da ich aber noch drei Monate Zeit habe, so brauche ich mich nicht gerade zu ängstigen.

Da Dir das kalte Bad zwischen Weimar und Belvedere wohl bekommen ist, so brauchst Du Dich über die Whistmarken nicht zu betrüben. Wenn Du sie nicht wieder erhältst, so finden sich in Dresden wohl dieselbigen oder andere.

Vor allen Dingen muß ich nun die Ankunft des Herzogs erwarten. Es ist mir sehr angenehm, daß er sich entschlossen hat; er hätte sonst gewiß den traurigsten Winter verlebt. Ich wünsche nur, daß es ihm so wohl bekommt wie mir. Ich habe mich sehr lange nicht so gut befunden, aber freilich auch schon fünfundvierzigmal gebadet und mich sehr diät gehalten, wozu die hiesige Küche freilich den besten Anlaß gibt.

Die Theurung ist freilich groß in dieser Gegend, indem unsere Wirthe selbst 1½ Kopfstück für eine Mandel Eier geben müssen. Ein gebratenes, kleines Huhn wird zu 1 Gulden (2 Kopfstück)Die Klammer nachträglich über der Zeile angerechnet, die Flasche Melniker 15 Groschen. So genau wir leben, kommen wir die Woche nur mit 50 Gulden Sächsisch aus, und da darf kein merkliches Extraordinarium Statt finden. Die ersten Einlösungsscheine habe ich von Prag zu 157, die letzten zu 152 erhalten.

Unsere Wohnung ist und bleibt sehr angenehm, aber die Kälte ist groß, so wie die Trockne; über beides werden große Klagen von Badegästen und Landleuten geführt.

Ich sehe nun fast gar niemand mehr: denn da die Sachen überhaupt so confus und ungewiß stehn, so sind die Menschen noch confuser und ungewisser. Ich halte mich an meine Arbeit, wie es auch am Ende jeder thun muß, er mag ein Geschäft oder ein Handwerk haben, welches er will.

Daß Du Dich so gut eingerichtet hast, freut mich gar sehr. Deine Gegenwart erspart uns wenigstens die Hälfte von dem, was es sonst kosten würde: denn Du kannst doch gar manches ableiten und das Unvermeidliche wohlfeiler einrichten; auch soll Dir dafür der schönste Dank gesagt sein, und ich hoffe, wir wollen das, was uns übrig bleibt, noch vergnüglich genießen.

Auch Uli grüße besonders. Sie soll gelobt sein, daß sie mein Westchen auch zur Zeit der Noth nicht zurückgesetzt hat. Ich verlange sehr danach. Vielleicht habt ihr den glücklichen Gedanken gehabt, es des Herzogs Leuten mitzugeben. Es ist auch recht schön und glücklich, daß sie sich den fatalen Verlust nicht allzu sehr zu Herzen nimmt. Bleibt immer hübsch einig und vergnügt unter unserm Dache, und wir wollen noch eine Zeit lang zusehn.

Heute hab ich einen merkwürdigen Besuch gehabt und zwar Herrn von Dankelmann, der sich sehr angelegentlich nach seiner Frau und Kindern erkundigt. Sein rechtes Auge war mit einer schwarzen Binde bedeckt, welche zugleich diese ganze Seite des Kopfs verhüllte.

Er hatte bei einem der leichten Corps gestanden, welches im Eislebischen operirte, wo man sich ganz wohl befunden haben mag. Von seinem Chef an den General Wintzingerode beordert, wohnte er der Schlacht vom (b.) 2. Mai mit guter Besonnenheit bei: denn er wußte recht hübsche Rechenschaft davon zu geben. Durch einen Sturz mit dem Pferde gequetscht und sonst beschädigt, retirirte er mit den Alliirten, erhielt die Erlaubniß, in Großenhain über der Elbe sich zu curiren und zu pflegen, mußte aber auch von da fort und wurde, als er sein Corps wieder aufsuchte, von russischen Marodeurs geplündert und mißhandelt. Endlich gelangte er nach Breslau und glaubte sich in Sicherheit; allein die Franzosen rückten unvermuthet ein und nahmen ihn nebst noch ein paar hundert Officieren gefangen. Bei dieser Gelegenheit wurde er abermals ausgeplündert und erhielt eine Kopfwunde, durch welche das Auge mit zu leiden scheint; und so ist er denn wieder nach Sachsen gekommen, hat sich, wie es scheint, selbst ranzionirt, sieht sich nun in Böhmen um und will durch einen Umweg wieder nach Preußen. Dieses hat er mir erzählt, und ich schreibe es umständlich, weil man doch auch in Weimar die Schicksale dieses wunderlichen und unglücklichen Menschen nicht ungern vernehmen wird.

Dieses ist einer von den vielen Tausenden, die jetzt in der Irre herumgehn und nicht wissen, welchem Heiligen sie sich widmen sollen. Am schlimmsten sind die königlich sächsischen Landeskinder dran, besonders die, welche bei Leipzig den 18. Juni gefangen worden. Man verfährt gegen sie, ihr Vermögen, ihre Eltern sehr streng, und sie werden von niemand bedauert, weil selbst die Wohlwollenden doch immer meinen, sie hätten es können bleiben lassen.

 

Den 27. Juni.

Die Sonntage fahren fort, sich immer sehr gut gegen mich zu betragen, und so hab ich gestern spät endlich den Brief durch Frau von Berg erhalten. Er machte mir viel Freude, weil ich auch zurück sah, daß ihr euch, den Umständen nach, leidlich und immer thätig und resolut verhalten habt. Allen tüchtigen Menschen bleibt durchaus nicht weiter zu thun, und wenn der Schmied immer sein Hufeisen schmiedet und die Köchin immer kocht, so ist das Nothwendige und Rechte gethan im Krieg wie im Frieden. Alles reden, schwätzen und klatschen ist vom Übel.

Durch Frau von Berg habe ich denn auch erst heute früh die recht umständlichen und eigentlichen Nachrichten von mancherlei Dingen, die sich dort ereignet, erhalten, und die ich nur im Allgemeinsten gewußt, daher sie mir nicht wohl begreiflich schienen. Diese Damen haben sich lange genug in jener Gegend aufgehalten und manches gehört, wodurch ihre Relationen ziemlich vollständig werden konnten.

Frau von Schiller hatte Deinen Brief eingeschlossen. Empfiehl mich ihr zum allerschönsten; ich bin sehr dankbar, daß sie meiner auch in der Abwesenheit freundlich gedenkt. Dagegen habe ich auch für sie fleißig gearbeitet, ich hoffe, sie soll sich dessen nächsten Winter erfreuen.

Von Wien hab ich wieder einen himmlischen Brief, und es ist sehr glücklich, daß man vom Südost etwas höchst Erfreuliches vernimmt, da von Nordwest nichts als Unheil zu erwarten steht. Niemand kann auch nur für den nächsten Tag gut sagen. Meine Lage wird durch die Ankunft des Herzogs sehr gesichert: denn es mag erfolgen, was da will, so ist er davon doch immer eher unterrichtet als wir Particuliers, und es ist meine Schuldigkeit und zugleich mein Vortheil, mich an ihn anzuschließen. Haltet euch nur an eurer Stelle, so gut ihr könnt, und wegen meiner seid unbesorgt; ich will schon das Meinige thun, damit meine Abwesenheit unserem Zusammensein zum Vortheil gereiche.

 

Den 28.

Was die nächste Zeit und die Zukunft betrifft, so wollen wir ganz ruhig sein. Dieß wiederhole ich Dir: thue nur jedes in jedem Augenblick das Seinige.

Wegen John wird manches zu besprechen sein; er ist gut, aber krank, durch körperliche Anlage und vielleicht durch Schuld. Dießmal übertrag ichs, es kostet mich, aber es hat mir noch nicht geschadet. Man muß jetzt alle Verhältnisse respectiren und Gott danken, wenn man leidliche Tage hat. Mein Befinden ist sehr gut und läßt mir alles zu, was ich will und soll. Wir erwarten den Herzog zur Cur, die Großfürstin Katharine als Durchreisende. Ich will aber mein Packet schließen, damit es der nächste Bote, an dem es nicht fehlen wird, mitnimmt. Lebe wohl. Liebe mich.

Erfahrung gibt Zutrauen, Zutrauen Hoffnung, und Hoffnung läßt nicht zu Schanden werden. So stehts ohngefähr geschrieben.

G.

 

Teplitz, den 1. Juli 1813. c.

Ich will immer noch ein neues Blatt anfangen, da ich doch noch manches zu erzählen habe. Die Großfürstin Katharina war gestern hier, auf einem kleinen Umwege, den sie macht, nach Karlsbad zu gehen. Ich ward veranlaßt, sie zu sehen, und habe sie der Großfürstin Marie sehr ähnlich gefunden. Sie ist um weniges größer, aber im Gesicht, an Gestalt und Betragen erkennt man das Schwesterliche. Sie war sehr freundlich, und mir ist es höchst angenehm, ihr aufgewartet zu haben.

Eine merkwürdige Bekanntschaft habe ich sodann gemacht, einen Rittmeister von Schwane[n]feld, der den Gesandten in Gotha überfallen, Schwebeln entführt und sonst auf dem Thüringer Wald sein Wesen getrieben hat. Es ist ein junger Mann, von starkem Körperbau, regelmäßigem Gesicht, dem Bart und straubige Haare etwas Wildes geben. Im Gespräch ist er zwar kurz gebunden, aber bedeutend und, wenn er seine Abenteuer erzählt, ganz charmant, ja geistreich. Da er in diesem Feldzuge, so kurz er war, viel gewagt, gethan und gelitten hat, so ist er heimlich ergrimmt, daß nichts aus allen den Anstalten geworden ist, und spricht unter Vertrauten ganz offen über die vielen Fehler und Versehen, die von Anfang vorkamen. Er macht die Personen, ihre Reden und Betragen, besonders die alten Generale, gar treffend nach und sagt überhaupt viel, was ich ihm nicht nachsagen möchte. Er kommt Abends in den Garten herunter, und wenn nicht zu viel Personen beisammen sind, ist er offen und unterhaltend. Er hat mich mehr als einmal bis zu Thränen lachen gemacht.

Von diesen Dingen sagt ihr nur den Vertrautesten. Meine Briefe überhaupt gebt ihr nicht aus Händen; erzählen und vorlesen daraus werdet ihr mit Vorsicht. Ich wünsche nur, daß wir wieder so weit sein mögen, um reden zu dürfen wie dieser Soldat, der, als passionirter Theilnehmer, vernünftiger und mäßiger von allem spricht, als die sämmtlichen müßigen, philisterhaften Zuschauer.

Die Verlängerung des Waffenstillstandes beruhigt uns hier; die Einrichtung des Schlosses und der Stadt Gitschin zu einem Congreß gibt die besten Hoffnungen denen, die den Frieden wünschen. Worunter ich denn auch im Stillen gehöre. Denn laut darf man mit solchen Gesinnungen nicht sein. Lebe recht wohl. Du hörst bald wieder von mir. Grüße alles.

G.

 

Am 3. Juli.

Nun kann ich euch noch vermelden, daß euer Brief vom 26. Juni bei mir angekommen ist, und ich freue mich, daraus zu ersehen, daß es euch leidlich geht; nur beunruhigts mich einigermaßen, daß ihr einer Rolle nicht gedenkt, die ich dem Weimarischen Reitknecht mitgegeben habe, der am 14. Juni von hier abging. Auf dieser Rolle war, nebst andern Dingen, eine Anweisung für Ramann auf 300 Gulden Rheinisch an Schlosser aufgewickelt. Erkundigt euch sogleich, wenn sie nicht angekommen sein sollte, nach diesem Menschen, dessen Namen ich leider nicht weißDie Worte nach diesem ... nicht weiß nachträglich am Rande hinzugefügt. Und August müßte gleich an Schlosser schreiben, daß die Assignation nicht honorirt würde, wenn sie nicht durch eure Hände gegangen ist. Ich tröste mich damit, daß ihr oft etwas in Briefen vergeßt und auslaßt, was man gern wissen möchte. Lebe recht wohl. In Prag war ich noch nicht. NB. Desport hat von Dresden ein Packet an August mitgenommen. Gebt mir bald Nachricht, so wie von der Rolle.

Da die Sache wegen der übersendeten Rolle von Bedeutung ist, so lege ich deßhalb noch ein besonderes Zettelchen bei.

Den 14. Juni kam ein Weimarischer Reitknecht zu mir, dessen Namen ich leider nicht gefragt habe, und sagte, er gehe mit Pferden, die bisher krank gewesen, nunmehr auch nach Weimar, und fragte, ob ich etwas zu bestellen hätte?

Ich gab ihm hierauf eine Rolle mit, auf welche Folgendes gewickelt war:

  1. ein Kupfer, die Sprengung der Dresdner Brücke vorstellend.
  2. eine Anweisung für Ramann auf 300 Gulden Rheinisch.
  3. ein Brief an Dich.

Dieser Reitknecht hätte eigentlich den dritten Tag in Weimar sein müssen; da aber zu jener Zeit die Freicorps noch im Voigtland schwärmten, wovon wir nicht unterrichtet waren, und ihr nichts von der Ankunft derselben meldet, so habe ich allerdings Ursache, besorgt zu sein. Zwar wird mich Herr von Seebach, welcher nächstens mit dem Herzog hier erwartet wird, hierüber schon aufklären; sollte erAus es aber nicht angekommen sein, wie ihr ja bei Herrn Hofkammerrath gleich Nachricht einziehn könnt, so müßte der Herr Lyceumsdirector Schlosser in Frankfurt sogleich davon benachrichtigt werden.

Teplitz, den 3. Juli 1813.

G.

 
Soeben fällt mir ein, daß ihr wahrscheinlich in denen Herrn von Seebach mitgegebnen Briefen der Rolle gedacht habt; ich will also dessen Ankunft, welche in einigen Tagen erfolgen wird, ruhig abwarten.

G.

 

548. Goethe

Teplitz, den 1. Juli 1813. d.

Damit ich nicht irre werde, will ich gleich dieses Blatt fortsetzen.

Den 6.

Gestern Abend sind Durchlaucht der Herzog angekommen. Es ist mir sehr lieb für ihn, daß erder dieser Bäder sich in einiger Ruhe bedienen kann, und wünsche nur, daß sie ihm so wohl thun als mir.

Die Sorge wegen der Rolle ist mir nunmehr ganz benommen; und ob ihr gleich der Assignation für Ramann nicht erwähnt, so hoffe ich doch, ihr habt sie ihm zugestellt, und die Sache ist in Richtigkeit.

Auf meine Anfrage, ob ein Brief an Wolff, der am 6. Juni von hier abgegangen und zwar über Eger, angekommen sei, hat mir auch niemand geantwortet. Ihr seid recht liebe Kinder, aber ich bitte, wenn ihr schreibt, so seht die letzten Briefe an und meldet das Gewünschte.

Ich werde diesem Briefe eine Anweisung an Frege auf 300 Thaler beilegen, damit haltet Haus und besorgt die Zwangs-Anleihe, so gut es gehen will. Zwar ist es freilich hart, daß man das, was man soeben mühselig verdient hat, gleich wieder hergeben soll; indessen muß man schon zufrieden sein, daß man es verdienen konnte. Von Hauptmann von Böhme und nun von Durchlaucht dem Herzog habe ich so viel von euren Schicksalen gehört, daß ich gerne zahlen will, ohne gelitten zu haben, da ich doch, wenn ich mitgelitten hätte, noch darüber auch zahlen müßte.

Es geht eine Gelegenheit nach Weimar, also schnell Adieu.

Ich erwarte nun Nachricht, daß das Manuscript für Riemer und ein kleines Packet unterm 3. Juli bei euch angekommen sei. Lebet recht wohl. Wir haben jetzt hier herrlich Wetter.

G.

 

549. Goethe

Teplitz, den 16. Juli 1813. e.

Soeben erhalte ich euren Brief mit der Nachricht von Augusts Krankheit und ziemlicher Genesung; dagegen habe auch nur Klagen zu schreiben: denn John hat einen Rückfall gehabt, und die Ärzte wollen, er soll nach Karlsbad gehen. Ich habe mich möglichst zusammengenommen, daß ich in der Hauptsache nicht gehindert ward; aber Unannehmliches und Kosten genug hat es mir verursacht. Ich will ihn bald nach Karlsbad schicken und ihm das Michaels-Quartal vorschießen, mehr kann ich nicht thun. Es wird daher nothwendig, daß man seinen Eltern die Sache zwar schonend, aber deutlich vorstellt, damit sie für seinen ferneren Aufenthalt und seine Rückreise sorgen. Er wird seine Zustände selbst geschrieben haben, sie waren und sind sehr schlimm. Überlegt also die Sache und sprich mit der Mutter schonend, aber vernehmlich und meldet mir das Weitere gelegentlich.

Daß August von einer solchen Krankheit überfallen worden, ist sonderbar genug, er soll sich nur bei der Genesung schonen; denn das ist gerade die gefährlichste Zeit. Ich habe diese Tage viel an ihn gedacht und ihn zu mir gewünscht, indem ich die Zinnwerke von Zinnwalde und Altenberg besah. Ich bringe schöne Suiten mit. Grüße ihn schönstens. Das ist ein leidiges Jahr!

Riemer danke für seinen Brief, er hat mir viel Freude gemacht. Die Folge des Manuscripts kommt auch bald.

Die Hoheit ist hier mit dem Erbprinzen, sie hat mir ein paar sehr artige Bronze-Leuchter mitgebracht und ist wie immer allerliebst, aber auch von der Zeit unendlich gedruckt. Der Herzog ist wohl und munter, und mit mir ist es immer im Gleichen.

August soll sich nur in Acht nehmen, denn diese Krankheiten, wenn sie glücklich vorübergehen, bringen eher Nutzen als Schaden.

Für John dagegen fürchte ich sehr; wir wollen sehen, was das Karlsbad leistet. Dr. Stark ist hier und hat sich seiner freundlich angenommen.

Nun lebet wohl. Habt Dank für alles Gute und Sorgfältige, es wird ja wohl bessere Jahre geben. Alle Briefe sind mir richtig geworden. Nun lebe wohl und gedenke mein! Den 12. Juli habe ich bei einem großen Gastmahl im Stillen gefeiert.

G.

 

550. Goethe

Hierbei, mein liebstes Kind, findest Du ein Blatt, das Du Johns Eltern mittheilen magst; die Sache muß ein Ende nehmen, wie Du Heinrichen zuletzt auch entlassen mußtest. Diese Menschen, wie es ihnen wohlgeht, wollen sich und nicht der Herrschaft leben, und so ist es besser, man scheidet. Wenn Du zuNachträglich über der Zeile Johns übrigen Untugenden noch eine schwere Krankheit denkst, der man alles verzeihen muß, so stellst Du Dir vor, was ich gelitten habe. Er ist prätentiös, speisewählerisch, genäschig, trunkliebend, dämperich und arbeitet nie zur rechten Zeit. Überhaupt war es mit Riemer eine andere Sache. JohnÜber gestrichenem Dieser schreibt nur reinlich und gut, weiter leistet er auch nichts, und das kann man wohlfeiler haben. Mein Gedanke wäre, niemanden wieder ins Haus zu nehmen, sondern einen jungen Menschen zu dingen, der die Morgenstunden für mich schriebe und nachher an seineÜber gestrichenem andre Geschäfte gingeÜber der Zeile nachgetragen; was sodann bei mirsodann bei mir über gestrichenem nachher vorfiele, da könnte mir August beistehn, ich hülfe mir auch wohl selber, wie ich ja auch jetzt thun muß. Überlege die Sache, und wir werden ja wohl auch darüber hinauskommen. Grüße die genesenden Kinder. Das sind ja seltsame Ereignisse! Es ist nicht genug, daß man von außen gedrängt und verletzt wird, man hat auch noch mit innerlichen Zufällen zu kämpfen. Behalte guten Muth! Mir will er oft ausgehen: denn in der totalen Einsamkeit, in der ich lebe, wird es doch zuletzt ganz schrecklich. Ich habe nun auch gar niemand, dem ich sagen könnte, wie mir zu Muthe sei. Daß ich mich so wohl als möglich befinde, ist das größte Glück. Auch meine Arbeit habe ich trotz aller Hindernisse weit genug gebracht. Doch steht mir noch ein schweres Stück bevor. Lebe recht wohl. Liebe mich und grüße alles.

Teplitz, den 23. Juli 1813.

Goethe.

Dienemann beträgt sich musterhaft in allem.

 

551. Goethe

Geheime Secretär Vogel schreibt schon einige Tage für mich, nun rückt die Arbeit wieder, und ich bin wieder zufrieden. Verzeihe mir nur, wenn meine letzten Briefe allzu verdrießlich waren, es stürmte gar so mancherlei auf mich los; nun geht es aber schon wieder besser. Ich wiederhole nicht, was in dem Brief an Riemer steht, laß Dir ihn vorweisen.

Hauptmann Böhme, der diese Depesche überbringt, wird Dir sagen, daß ich mich recht wohl befinde. Der Herzog ist auch wohl und munter, wie ihm denn Teplitz immer bekommt und behagt. Herr von Wolfskeel und Peucer waren hier, sie konnten nicht Guts genug von der französchen Komödie und nicht Trauriges genug von dem Zustand von Dresden erzählen. Auch dieß verleidet mir die Lust, dorthin zu gehen und des trefflichen Theaters zu genießen. Ich denke jetzt nur, meine Arbeit zu vollenden und zu euch zurückzukehren; ich habe es recht satt, wie Schillers Taucher, allein in der gräßlichen Einsamkeit und wohl gar unter den Ungeheuern der traurigen Öde zu leben. Die Teplitzer Wasser aber versöhnen freilich mit allem. Nun lebe wohl, liebe mich und grüße alles. [Teplitz,] den 27. Juli 1813.

G.

Mit John wollen wir es sachte gehen lassen; was gut und recht ist, wird sich geben.

 

552. Goethe

Es sind zwar seit einiger Zeit allerlei Paquete und Briefe an euch gelegentlich abgegangen, welche auch nach und nach wohl ankommen werden. Jetzt will ich nur durch eine abermalige Gelegenheit melden, daß ich mich ganz wohl befinde. John ist in Karlsbad und bessert sich. Ich werde für seinen dortigen Unterhalt, sowie für seine Nachhausereise Sorge tragen; vielleicht kann er mit Dr. Stark, der im Gefolg Durchlaucht Herzogs dieser Tage nach Franzenbrunn geht, zur Rückreise Gesellschaft machen. Was an mich gelangen soll, wird an Herrn Hauptmann Verlohren in Dresden geschickt. In kurzer Zeit sollt ihr erfahren, wohin ich mich wende. In vierzehn Tagen wird Töplitz eine völlige Einöde sein. Mehr wüßte ich für jetzt nichts mehr zu sagen, als daß ich euch allen recht wohl zu leben wünsche.

Töplitz, den 1.August 1813.

G.

 

553. Goethe

Ich kann Dir, mein allerliebstes Kind, nicht genug danken, daß Du Dich so ruhig, gefaßt und zugleich thätig erhältst, alles gut einrichtest und August und Uli wieder aufquäkelst. Wir wollen, hoffe ich, gesund wieder zusammentreffen. Der Herzog geht nächsten Freitag ab; sodann werde ich noch einige Tage zusehen, mich einrichten und auf Dresden wandern. Von da sollst Du gleich Nachricht haben, ich denke mich nicht lange dort zu verweilen. Daß Du die Whistmarken wiederbekommen hast, ist sehr artig und ein gutes Zeichen. Des Herzogs Küchkalesche bringt vier Steinkasten mit, die werden nicht eröffnet, bis ich komme. Wegen John habe ich aus vielen Ursachen, die ich nicht anführen will, mit Geh. Secretär Vogel verabredet, daß der für seine Cur in Karlsbad und für dessen Rückkehr sorgt. Gib Johns Eltern hievon NachrichtDieser Satz am Rande nachgetragen In der Entfernung wäre hierüber zu handeln nicht möglich. Jetzt lebe wohl, gedenke mein und liebe mich.

Teplitz, den 3. August 1813.

G.

An Riemer die schönsten Grüße. Er wird nun längst abermals eine Sendung Manuscript erhalten haben. Grüße alles. Besonders auch Herrn Hofkammerrath.

Noch will ich hinzufügen, daß mich Dein Blatt auf den ganzen Tag vergnügt gemacht hat.

*

Am 10. August, morgens 6 Uhr, reist Goethe von Teplitz ab.

*

 

554. Goethe

In Dresden bin ich am 10., Nachmittags um 3 Uhr, beim schönsten Wetter, glücklich angelangt, noch zeitig genug, um einen Theil des Napoleon-Festes, das auf diesen Tag verlegt war, mit anzusehen.

Nachts Feuerwerk und Illumination. Nun will ich einige Tage zusehen und dann zu euch zurückkehren. Wie sehr freue ich mich darauf.

Riemern sage, der Postmeister von Peterswalde habe mir seinen lieben Brief überreicht; überall würde er mich gefreut haben, aber an der jetzt so bedeutenden Gränze am meisten. Alles, was Riemer am Manuscript beliebt, billige im Voraus.

Nun lebet recht wohl. Ich schreibe nun nicht wieder.

[Dresden,] den 11. August 1813.

G.

Für John ist in Karlsbad und Franzenbrunn gesorgt.

Die Pferde bringe ich nicht in natura, aber in Kopfstücken mit. Ich habe sie, da das eine lahm geworden, noch glücklich genug in Teplitz verkauft.

 

555. Goethe

Da eben eine Stafette abgeht, so melde ich Dir, mein liebstes Kind, daß ich bald möglichst von hier abgehe und bald bei euch zu sein hoffe. Worauf ich mich sehr freue. Ein paar höchst vergnügte Tage habe ich hier zugebracht. Grüße alles. Dresden, den 14. August 1813.

Goethe.

*

 

 

 

*

555 a. Goethe

[Stadt-Ilm, 26. August 1813.]

Ich ging im Walde
So vor mich hin,
Und nichts zu suchen
Das war mein Sinn.

Im Schatten sah ich
Ein Blümchen stehn,
Wie Sterne blinkend,
Wie Äuglein schön.

Ich wollt es brechen,
Da sagt' es fein:
Soll ich zum Welken
Gebrochen sein?

Mit allen Wurzeln
Hob ich es aus
Und trugs zumÜber gestrichenem pflanzts im Garten
Am hübschen Haus.

Ich pflanzt es wieder
Am kühlen Ort;
Nun zweigt und blüht es
Mir immer fort.

    26. August 1813.

 

556. Goethe

[Ilmenau.] Am 28. August 1813.

Ich wachte zeitig auf, ohne mich des Tags zu erinnern. Ein Kranz mit Glück auf! von Bergrath Voigt, den mir Dienemann ans Bette brachte, erinnerte mich erst (s. No. 1); ich war noch nicht angezogen, als ich Durchlaucht den Herzog, den Prinzen und Gefolge herankommen sah, und eilte auf der Straße entgegen. Da gab es freundliche Begrüßungen, und kaum waren sie auf meinem Zimmer, als drei kleine Mädchen mit Sträußen und Goldpapier-Bogen auf Tellern hereintraten. Das Gedicht (No. 2) von Serenissimo entdeckt ich zuletzt. (No. 3) vom Grafen Edling. (No. 4) noch unbekannt. (No. 5) von Fritsch. Kaum hatte man sich damit bekannt gemacht, so traten drei hübsche Mädchen herein, jede einen Kranz haltend; sie recitirten ihre Gedichte (No. 6.7.8) gar hübsch, und als die letzte mir den Kranz aufsetzte, küßte ich sie gar behaglich und holte es bei den andern nach.

Bald hierauf kamen die Mütter und Großmütter mit den Enkeln und kleinsten Kindern und brachten eine bekränzte Kartoffel-Torte. Welche, so heiß sie war, dem Prinzen Bernhard fürtrefflich schmeckte. Und so war unerwartet ein sehr artiges, mannigfaltiges, wohlgemeintes, ja rührendes Fest entstanden, wo ich im Sürtout und ohne Halsbinde figurirte. So viel für dießmal. Ich siegle, damit es bei nächster Gelegenheit abgehe. Das war also auch wieder ein guter Rath, der mich nach Ilmenau hinwies. Daß ich unterwegs heiter war, saht ihr aus den Verslein. Gestern war ich sechs Stunden zu Pferde, welches mir sehr wohl bekam. Meine überraschende Ankunft machte viel Spaß. – Möget ihr dergleichen genießen!

G.

 

[Beilagen]

Nr. 1.

Glückauf, zu dem heutigen festlichen

Tage!

dem 28. August 1813.

 

No. 2.

Ilmenau
28. August 1813.

Wer mal vom Weibe geboren ist,
Der spare füran keine List,
Den Lebensfaden lang zu spinnen
Und täglich nur darauf zu sinnen,
Wie Wohlsein, Lust und Fröhlichkeit
Ihn bei dem Spinnen stets geleit'.

Dieß Künstchen hast du wohl verstanden,
Du spannest gut in fremden Landen,
Sowie zu Haus; dein Faden zwirnte fest.
Nun drehe fort, und halte steif den Rest.
Mein Rath ist, wünsch an diesem Tage:
Entfernt von dir sei alle Plage.

 

No. 3.

An
Herrn Geheimen Rath von Goethe.

Sagt, wo bin ich hingerathen?
Lacht doch hier kein blauer Himmel,
Tragen Berge nur Kartoffeln,
Wehen gar zu rauhe Lüfte,
Ach! wo bin ich hingerathen? –
Halt! ich sehe, den ich suche,
Den der Sonnengott erzogen,
Mit der Lyra, reich besaitet,
In den feuchten Wäldern sitzen.
Nun, so soll sein Blick mir lachen,
Und sein feurig Wort mich wärmen;
Ja, er soll den deutschen Wald
Zum Orangenhaine zaubern. –
Heißt das aber Kunst zu leben,
Wenn ich fodre, statt zu geben? –
Ei! die ausgelassne Freude
Kümmert kein Decorum heute.
Heute schenkt' er uns sich selber,
Laßt die Schenkung fest uns halten,
Und die Parzen kniend flehen,
Daß sie lang und rosenhell
Ihm das seidne Fädchen drehen.
Wandl er tief in Norden ein,
Doch will ich sein Schatte sein.
Wenn ihn seine Deutschen ehren,
Soll es meine Roma hören.
O, wer weiß, sieht er mich gerne,
Denket, ach! der milden Ferne,
Wo ihm Amor schalkhaft lachte
Und, um stille Mitternacht,
Brauner Mädchen Küsse brachte.

Ilmenau, den 23. August 1813.

G. v. E.

 

No. 4.

Dem
Hochbetrauten Beschützer
und Patrono
der
magnifiquen Academiae Jenensis
überreicht
diese sich so nennende Gratulation
ein
ungenannter, doch wohlgekannter
Musensohn.

Ilmenau
am Thüringer Walde,
den 28. August 1313.

Mich sendet Academica
Zu ihrem Mäcenaten,
Ich soll in bester Formula
Obgleich ganz unberathen –
Begratuliren diesen Tag;
Ach, helfe doch, wer helfen mag.

Ich ging oft ins Collegium
Wie Professores wissen;
Die Weisheit hab ich, ohne Ruhm,
An Schuhen abgerissen;
Doch Verse machen lernt ich nie,
Ich trieb Natur-Philosophie.

Ich steh in Jena, dacht ichs schon,
Wie Butter an der Sonne,
Es stockt die Gratulation
An diesem Tag der Wonne;
Doch hab ich Ehre gnug daran,
Daß ich mit dir nur reden kann.

Erdenk dir selber, großer Geist!
Was Professores wollten,
Als sie – darob ich hergereist –
Dir Wünsche multum zollten.
Denn ich, der Bruder Studio,
Ich sage nur:
                    Leb lang und froh!

X. Y. Z.

 

No. 5.

Gegrüßet seist Du im Bergland!
oft erfreue Dich die Felswand,
einst geborsten am schroffen Rand,
treue Freunde umgeben Dich
heut recht innig und freuen sich
einer wie alle! glaubs sicherlich.

 

No. 6.

            Erste Jungfrau.

Dich suchten wir, geehrter Mann!
Und zittern, Dich zu finden.
Wiss, es gebot ein hoher Geist,
Die Kränze Dir zu winden.
Und wir – wir dachten nur des Glücks
Und nicht an unsre Schwächen;
Was wir gewünscht und nie gehofft –
Kann, wer das fühlt, wohl sprechen? –
Auch hörst du keinen Wunsch von mir,
Du schaffst Dir selbst die Welten,
Und zauberst Alle mit hinein –
O! laß mich schweigend dieß vergelten.

(Übergibt den Kranz von Vergißmeinnicht.)

 

No. 7.

            Zweite Jungfrau.

Der Liebe Wort gilt überall,
    Du wirst es freundlich hören;
Drum, was die Schwester nicht gewagt.
    Wag ich, Dir zu beschwören.
Dein Geist, der in das Tiefste blickt,
    Zum Höchsten Brücken bauet,
Bedarf doch zu des Lebens Glück
    Des Herzens, dem er trauet;
Drum nimm im Kranz das stille Pfand
    Der herzlichen Verehrung.
Vergiß nicht, die Dir alles weihn;
    Gib allen oft Belehrung.

(Übergibt den Rosenkranz.)

 

No. 8.

            Dritte Jungfrau.

Ihr Schwestern, laßt auch mich zum Wort!
Zwar weiß ichs kaum zu sagen,
Doch hier in unserm freien Wald,
Hier läßt sein Blick michs wagen.
Was hölfe Geist und Kraft und Glück,
Will Dich die Freude fliehen?
Sie jagt ich von den Bergen auf,
Um bei Dir einzuziehen.
Daß sie nun gleich, zu unsrer Lust,
Auf Deiner Stirne throne! –
Für dich trug längst der ewge Wald
Die helle Eichenkrone.

(Übergibt einen Eichenkranz.)

 

557. Goethe

Vogel hat mir so schöne Federn geschnitten, daß dadurch die Lust, zu schreiben, bei mir erregt wird. Vom 28. wißt ihr das meiste, nur muß ich noch melden, daß Abends der Stadtrath mir ein Ständchen brachte und durch die Vorsteher etwas Freundliches sagen ließ.

Am 27. war ich sechs Stunden zu Pferde und sah bei dieser Gelegenheit einen großen und schönen Theil der Gegend. Am 29. ward wieder ausgelitten, in die Gebirge. Abend Ball auf dem sehr wohlgebauten Felsenkeller-Saal, wo ich euch auch wohl hätte mögen herumspringen sehen. Das alles ist mir wohl bekommen, und ich habe auch schon gute Gedanken gehabt. Heute, den 30., bin ich zu Hause geblieben, um auszuruhen und mit Bergrath Voigt allerlei Mineralogisches zu treiben. Für August habe ich wieder sechs hübsche Versteinerungen ausgesucht. Er soll die sämmtlichen pseudo-vulkanischen Producte, die auf dem runden Tischchen in dem Garten-Zimmer liegen, in eine Schachtel packen und mit nächster Gelegenheit herauf schicken. Ich suche dagegen, euch etwas von dem wahrhaften Angelröder Schafkäse zu verschaffen.

Der Gedanke war höchst glücklich, mich hierher zu dirigiren. Es gefällt mir so wohl, und ich denke hier zu bleiben; denn in dieser Ruhe und Abgeschiedenheit gelingt mir gewiß manche Arbeit. Grüße Riemern! Erfreut euch jedes beruhigten Tages.

Schönsten Dank für den Brief. Hier das Neuste vom Tage. Ihr könnt eure Namen in schönster Glorie lesen.

Was ich thun will, bin noch nicht entschieden; lebet recht wohl.

[Ilmenau,] den 30. August 1813.

G.


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