Nikolai Gogol
Die toten Seelen
Nikolai Gogol

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zweites Kapitel

Die guten Pferde legten mit Tschitschikow die zehn Werst lange Strecke in kaum mehr als einer halben Stunde zurück: erst ging der Weg durch einen Eichenwald, dann an Getreidefeldern vorbei, die inmitten frischgepflügten Äckern grünten, dann am Rande der Anhöhe, von der aus sich immer neue Aussichten boten; dann führte er durch eine breite Allee von Linden, deren Knospen eben erst aufgingen, mitten ins Dorf. Hier machte die Allee eine Wendung nach rechts, verwandelte sich in eine Allee von Pappeln, die unten mit Flechtwerk eingefaßt waren, und endete vor einem gußeisernen Gittertor, durch das man die reich verzierte Fassade des Generalshauses mit den acht korinthischen Säulen sehen konnte. Überall roch es nach Ölfarbe, die alles verjüngt und keinem Ding Zeit läßt, alt zu werden. Der Hof war so sauber wie Parkett. Tschitschikow sprang mit Respekt aus dem Wagen, ließ sich beim General anmelden und wurde direkt ins Kabinett geführt. Der General setzte ihn mit seinem majestätischen Äußern in Erstaunen. Er trug einen gesteppten Atlasschlafrock von herrlicher Purpurfarbe. Ein offener Blick, ein männliches Gesicht, graumelierter Schnurr- und Backenbart, kurz geschnittenes Haar im Nacken, ein dicker, dreistöckiger, d. h. drei Falten bildender Hals mit einer Querfalte: mit einem Worte, es war einer von den malerischen Generalen, an denen das Jahr 1812 so reich gewesen war. General Betrischtschew hatte wie die meisten von uns eine Menge von Vorzügen und eine Menge von Mängeln. Die einen wie die anderen waren in ihm, wie es beim Russen so oft der Fall ist, in malerischer Unordnung durcheinandergewürfelt. In entscheidenden Augenblicken zeigte er Großmut, Tapferkeit, grenzenlose Freigebigkeit und Verstand in allen Dingen; daneben war er aber launisch, ehrgeizig, selbstsüchtig und zeigte alle die kleinen Empfindlichkeiten, ohne die kein Russe auskommen kann, wenn er ohne Arbeit dasitzt und keine entscheidenden . . . Er mochte alle, die ihn im Dienste überholt hatten, nicht leiden und äußerte sich über sie bissig in scharfen Epigrammen. Am meisten bekam von ihm einer seiner früheren Kameraden ab, der, nach seiner Ansicht, wie an Klugheit so an Fähigkeiten ihm nachstand, der ihn aber schon überholt hatte und Generalgouverneur zweier Gouvernements war, wie zum Trotz derselben, in denen sich seine Besitzungen befanden, so daß er von ihm gewissermaßen abhing. Um sich an ihm zu rächen, verspottete er ihn bei jeder Gelegenheit, tadelte jede seiner Anordnungen und sah in allen seinen Maßnahmen und Handlungen den Gipfel der Dummheit. Alles war an ihm höchst merkwürdig; so war er ein eifriger Vorkämpfer jeder Aufklärung und liebte es, Dinge zu wissen, die die anderen nicht wußten; diejenigen aber, die etwas wußten, was er nicht wußte, konnte er nicht leiden. Mit einem Worte, er liebte es, mit seinem Verstände zu brillieren. Obwohl er fast ausschließlich von Ausländern erzogen worden war, wollte er die Rolle eines echt russischen Grandseigneurs spielen. Es ist auch nicht zu verwundern, daß er bei diesem ungleichmäßigen Charakter und den auffallenden inneren Widersprüchen auf seiner Laufbahn vielen Unannehmlichkeiten begegnete, so daß er schließlich seinen Abschied nehmen mußte; dies schrieb er aber einer vermeintlichen feindlichen Partei zu und hatte nicht den Mut, auch nur einen Teil der Schuld auf sich selbst zu nehmen. Auch außer Dienst behielt er die gleiche malerische und majestätische Haltung. Ganz gleich, ob er einen Rock, einen Frack oder einen Schlafrock anhatte, er war immer derselbe. Von der Stimme bis zur kleinsten Gebärde war an ihm alles gebieterisch und befehlend und weckte in den ihm Untergebenen wenn nicht Achtung, so doch jedenfalls Furcht.

Tschitschikow empfand das eine wie das andere: Achtung und Furcht. Den Kopf ehrerbietig zur Seite geneigt, die Hände gespreizt, wie wenn er ein Tablett mit Tassen heben wollte, verbeugte er sich wunderbar elegant mit dem ganzen Rumpfe und sagte: »Ich hielt es für meine Pflicht, mich Eurer Exzellenz vorzustellen. Da ich hohe Achtung vor den Tugenden der Männer habe, die das Vaterland auf dem Schlachtfelde erretteten, hielt ich es für meine Pflicht, mich Eurer Exzellenz persönlich vorzustellen.«

Dem General schien diese Einleitung nicht zu mißfallen. Er nickte höchst gnädig mit dem Kopfe und sagte: »Es freut mich sehr, Sie kennenzulernen. Wollen Sie doch Platz nehmen. Wo haben Sie gedient?«

»Meine dienstliche Laufbahn«, begann Tschitschikow, sich setzend, doch nicht etwa in die Mitte des Sessels, sondern etwas schief und mit der Hand die Armlehne ergreifend, »begann im Rentamte, Exzellenz. Ihren weiteren Verlauf nahm dieselbe in verschiedenen Ressorts: ich war am Hofgericht, an einer Baukommission und am Zollamte angestellt. Mein Leben ließe sich mit einem Schiffe inmitten Meereswellen vergleichen, Exzellenz. Ich bin sozusagen mit Geduld großgezogen worden und bin, man kann wohl sagen, die personifizierte Geduld . . . Was ich aber von meinen Feinden auszustehen hatte, die mir selbst nach dem Leben trachteten, das vermag weder ein Wort, noch eine Farbe, noch sozusagen ein Pinsel wiederzugeben, und so suche ich an meinem Lebensabend einen Winkel, um den Rest meiner Tage zu verbringen. Vorläufig wohne ich beim nächsten Nachbar Eurer Exzellenz . . .«

»Bei wem denn?«

»Bei Tjentjetnikow, Exzellenz.«

Der General verzog das Gesicht.

»Exzellenz, er bereut es sehr, daß er Ihnen nicht den schuldigen Respekt erwiesen hat.«

»Respekt, wovor?«

»Vor den Verdiensten Eurer Exzellenz. Er findet keine Worte . . . Er sagt: ›Wenn ich nur könnte, auf irgendeine Weise . . . denn ich weiß‹, sagt er, ›die Männer wohl zu schätzen, die das Vaterland verteidigt haben.‹ So sagt er.«

»Aber erlauben Sie, was hat er denn? Ich bin ihm doch gar nicht böse«, sagte der General, viel milder werdend. »Ich habe in meinem Herzen eine aufrichtige Zuneigung zu ihm gefaßt und bin überzeugt, daß aus ihm mit der Zeit ein höchst nützlicher Mensch werden wird.«

»Euer Exzellenz haben just das richtige Wort gebraucht: in der Tat, ein höchst nützlicher Mensch; er versteht es, mit Worten zu kämpfen und kann auch gut schreiben.«

»Ich meine, er wird wohl irgendeinen Unsinn schreiben – macht er nicht Verse?«

»Nein, Eure Exzellenz, es ist kein Unsinn . . . Es ist etwas sehr Vernünftiges . . . Er schreibt . . . eine Geschichte, Eure Exzellenz.«

»Eine Geschichte? Was für eine?«

»Eine Geschichte . . .« Tschitschikow machte hier eine Pause, entweder weil vor ihm ein General saß, oder um einfach der Sache einen größeren Nachdruck zu verleihen. Er fuhr fort: »Eine Geschichte der Generale, Exzellenz.«

»Wieso, der Generale? Welcher Generale?«

»Der Generale im allgemeinen, Exzellenz. Das heißt eigentlich der vaterländischen Generale.«

Tschitschikow kam plötzlich ganz aus dem Konzept; er war nahe daran, auszuspucken und sagte zu sich selbst: – Mein Gott, was schwatze ich da zusammen? –

»Entschuldigen Sie, ich verstehe es nicht ganz . . . Was soll es denn werden: die Geschichte einer bestimmten Epoche oder eine Reihe einzelner Biographien? Gedenkt er alle Generale aufzunehmen oder nur die, die an den Ereignissen des Jahres 1812 beteiligt waren?«

»Gewiß, Euer Exzellenz, nur solche, die im Jahre 1812 beteiligt waren!« Nachdem er dies gesagt, dachte er sich: – Man schlage mich tot, ich verstehe nichts! –

»Warum kommt er dann nicht mal zu mir? Ich könnte ihm recht viel interessantes Material liefern.«

»Er getraut sich nicht, Exzellenz.«

»Unsinn! Wegen eines dummen Wortes, das ich so ganz zwischen uns fallen gelassen habe . . . Ich bin ja nicht so ein Mensch. Ich bin sogar bereit, selbst zu ihm hinzufahren.«

»Das wird er nicht zulassen, er wird selbst herkommen«, sagte Tschitschikow. Nun hatte er seine Selbstbeherrschung wieder und dachte sich: – Dieses Glück! Wie gut habe ich es mit den Generalen getroffen! Die sind mir aber ganz zufällig eingefallen. –

Im Kabinett raschelte es. Die Nußholztür eines geschnitzten Schrankes ging ganz von selbst auf, und auf ihrer Rückseite zeigte sich, die Hand an der Messingklinke, ein reizendes lebendes Bild. Wäre plötzlich in einem dunklen Zimmer ein von starken Lampen durchleuchtetes Transparentbild erschienen, so hätte es durch die Plötzlichkeit seines Erscheinens keinen so mächtigen Eindruck machen können, wie diese kleine Gestalt. Offenbar war sie ins Zimmer getreten, um etwas zu sagen, als sie aber einen Unbekannten sah . . . mit ihr zugleich war gleichsam ein Sonnenstrahl eingedrungen, und das ganze düstere Kabinett des Generals schien zu lächeln. Tschitschikow konnte sich im ersten Augenblick keine Rechenschaft darüber ablegen, was eigentlich vor ihm stand. Es war schwer zu sagen, aus welchem Lande sie stammte. Ein so reines, edles Gesichtsoval könnte man wohl nirgends finden, höchstens auf antiken Kameen. Schlank und leicht wie ein Pfeil, schien sie alles zu überragen. Es war aber nur eine Täuschung. Sie war gar nicht groß gewachsen. Die Täuschung beruhte auf dem ungewöhnlich harmonischen Verhältnis ihrer Glieder zueinander. Ihr Kleid saß so, als hätten sich die besten Schneiderinnen zusammengetan, um sich zu beraten, wie sie am besten zu kleiden wäre. Aber auch das war eine Täuschung. Ihr Kleid war ganz von selbst entstanden: die Nadel hatte ein nicht mal zugeschnittenes Stück einfarbigen Stoffes aufs Geratewohl an zwei oder drei Stellen zusammengerafft, und schon hatte er sich selbst in so wunderbaren Falten um sie geschmiegt, daß, wenn man sie auf einem Bilde darstellen wollte, alle nach der Mode gekleideten jungen Mädchen im Vergleich zu ihr wie bunte Puppen vom Trödelmarkte ausgesehen hätten. Hätte man sie aber mit allen Falten des sie umschmiegenden Gewandes in Marmor nachgebildet, so würde man das Werk einem genialen Künstler zuschreiben. Nur eines war nicht gut: sie war gar zu schlank und hager.

»Ich will Ihnen meinen Liebling vorstellen!« sagte der General, sich an Tschitschikow wendend. »Ihren Familiennamen, auch Ihren Vor- und Vaternamen weiß ich übrigens noch immer nicht.«

»Soll man denn den Vor- und Vaternamen eines Menschen kennen, der sich durch keinerlei Tugenden ausgezeichnet hat?« sagte Tschitschikow bescheiden, den Kopf auf die Seite neigend.

»Man muß doch immerhin wissen . . .«

»Pawel Iwanowitsch, Exzellenz!« sagte Tschitschikow, indem er sich mit einer beinahe militärischen Gewandtheit verbeugte und mit der Leichtigkeit eines Gummiballs zurückprallte.

»Ulinjka!« wandte sich der General an die Tochter: »Pawel Iwanowitsch hat soeben eine höchst interessante Neuigkeit mitgeteilt. Unser Nachbar Tjentjetnikow ist doch nicht so dumm, wie wir es geglaubt haben. Er befaßt sich mit einer recht wichtigen Arbeit: er schreibt die Geschichte der Generale des Jahres 1812.«

»Wer hat denn geglaubt, daß er dumm sei?« entgegnete sie schnell. »Höchstens Wischnepokromow, dem du so vertraust, der aber ein hohler und gemeiner Mensch ist!«

»Warum denn gemein? Etwas hohl ist er allerdings«, sagte der General.

»Er ist auch etwas gemein und niederträchtig und nicht nur etwas hohl. Wer seine Brüder so schlecht behandelt und seine leibliche Schwester aus dem Hause gejagt hat, der ist ein gemeiner Mensch.«

»Das erzählt man sich nur.«

»Solche Dinge wird man nicht ohne Grund erzählen. Ich verstehe es wirklich nicht, Vater, wie du es mit deinem guten und edlen Herzen fertigbringst, mit einem Menschen zu verkehren, der von dir so verschieden ist wie die Erde vom Himmel, und von dem du selbst weißt, daß er schlecht ist.«

»Nun sehen Sie«, sagte der General lächelnd zu Tschitschikow: »So streiten wir uns immer herum.« Darauf wandte er sich an seine Opponentin und fuhr fort:

»Herzchen, ich kann ihn doch nicht hinausjagen!«

»Warum denn hinausjagen? Aber warum erweist du ihm soviel Aufmerksamkeit, warum liebst du ihn?«

Hier hielt es Tschitschikow für nötig, ins Gespräch einzugreifen.

»Alle Menschen verlangen nach Liebe, gnädiges Fräulein«, sagte Tschitschikow. »Was soll man machen? Auch das Haustier liebt es, daß man es streichelt; es steckt seine Schnauze aus dem Stalle heraus: bitte, streichle mich!«

Der General fing an zu lachen. »Ja, es steckt wirklich seine Schnauze heraus: bitte, streichle mich! . . . Ha, ha, ha! Auch so ein Kerl hat nicht nur die Schnauze, sondern den ganzen Körper voll Dreck, und doch verlangt er Anerkennung . . . Ha, ha, ha, ha!« Und der ganze Körper des Generals erbebte vor Lachen. Seine Schultern, die einst mit üppigen Epaulettes geschmückt waren, zitterten so, als ob sie auch jetzt noch die üppigen Epaulettes trügen.

Auch Tschitschikow gab eine Interjektion des Lachens von sich, doch aus Respekt vor dem General wandte er hierbei den Vokal »e« an: »He, he, he, he!« Auch sein Körper erzitterte vor Lachen, aber die Schultern zitterten nicht, da sie niemals üppige Epaulettes getragen hatten.

»So einer bestiehlt den Staat, und dann verlangt er noch eine Belohnung, diese Kanaille! Ich muß, sagt er, meine Anerkennung haben, denn ich habe mich so abgemüht . . . Ha, ha, ha, ha!«

Das edle, liebreizende Gesicht des jungen Mädchens zeigte einen schmerzlichen Ausdruck. »Ach, Papa! Ich verstehe nicht, wie du bloß lachen kannst! Mich stimmen solche ehrlose Handlungen nur traurig. Wenn ich sehe, daß ein Betrug ganz öffentlich verübt wird und der Schuldige nicht von allgemeiner Verachtung bestraft wird, so weiß ich gar nicht, wie mir ist, ich werde dann zornig und sogar schlecht: ich denke, ich denke . . .« Und sie brach beinahe in Tränen aus.

»Bitte, sei uns nur nicht böse«, sagte der General. »Wir können nichts dafür. Nicht wahr?« wandte er sich an Tschitschikow. »Gib mir einen Kuß und geh. Ich werde mich gleich zum Mittagessen umkleiden. Ich hoffe,« sagte er, Tschitschikow gerade in die Augen blickend, »daß du bei mir zu Mittag ißt?«

»Wenn es nur Eurer Exzellenz . . .«

»Bitte, ohne Rangordnung! Ich bin noch, Gott sei Dank, in der Lage, einen Gast zu bewirten. Eine Kohlsuppe wird es immer geben.«

Tschitschikow spreizte beide Arme und neigte den Kopf dankbar und ehrfurchtsvoll, so daß alle Gegenstände im Zimmer für eine Weile seinen Blicken entschwanden und er nur noch die Spitzen seiner Halbschuhe sehen konnte. Nachdem er eine Zeitlang in dieser ehrerbietigen Stellung verharrt hatte, hob er den Kopf wieder, sah aber Ulinjka nicht mehr. Sie war verschwunden. An ihrer Stelle stand ein riesenhafter Kammerdiener mit mächtigem Schnurr- und Backenbart, mit einer silbernen Schüssel und einem Waschbecken in der Hand.

»Du erlaubst doch, daß ich mich in deiner Gegenwart anziehe?«

»Sie dürfen sich in meiner Gegenwart nicht nur anziehen, sondern auch alles andere verrichten, was Euer Exzellenz beliebt.«

Der General zog den einen Arm aus dem Schlafrock heraus, krempelte die Hemdärmel auf den starken Armen auf und begann sich zu waschen, wobei er wie eine Ente um sich spritzte und prustete. Das Seifenwasser flog nach allen Seiten.

»Ja, sie lieben wirklich Anerkennung,« sagte er, während er sich seinen Hals rings herum abtrocknete . . . »Ein jeder will gestreichelt sein! Ohne die Anerkennung wird er wohl gar nicht stehlen wollen! Ha, ha, ha!«

Tschitschikow war in einer unbeschreiblich guten Laune. Plötzlich kam über ihn Begeisterung. – Der General ist ein lustiger und gutmütiger Kerl, warum sollte ich es nicht versuchen?! – dachte er sich. Als er sah, daß der Kammerdiener mit der Schüssel hinausgegangen war, rief er aus: »Euer Exzellenz! Da Sie schon so gütig und aufmerksam gegen alle sind, wende ich mich an Sie mit einer großen Bitte.«

»Was ist's für eine Bitte?« – Tschitschikow sah sich um.

»Ich habe, Exzellenz, einen alten Onkel, er besitzt dreihundert Seelen und zweitausend . . . außer mir gibt es keine Erben. Infolge seines Alters kann er sein Gut nicht selbst verwalten, will es aber auch nicht mir anvertrauen. Und zwar mit einer sehr merkwürdigen Begründung! Er sagt: ›Ich kenne meinen Neffen nicht! Vielleicht ist er ein Verschwender. Er soll mir zuerst zeigen, daß er zuverlässig ist. Soll er sich erst dreihundert Seelen erwerben, dann werde ich ihm auch meine dreihundert überlassen.‹«

»Er ist also ganz dumm?« fragte der General.

»Daß er dumm ist, wäre noch nicht das schlimmste. Aber versetzen Sie sich in meine Lage, Exzellenz! Der Alte hat sich eine Haushälterin zugelegt, und die Haushälterin hat Kinder. Es kann leicht passieren, daß die alles erben.«

»Der dumme Greis hat seinen letzten Verstand verloren, das ist alles«, versetzte der General. »Ich sehe aber nicht ein, wie ich hier helfen könnte!« sagte er, Tschitschikow erstaunt anblickend.

»Ich habe mir folgendes ausgedacht. Wenn Sie mir alle toten Seelen Ihres Gutes in der Form überlassen, als ob sie noch am Leben wären, Exzellenz, durch einen Kaufvertrag, so könnte ich diesen Kaufvertrag dem Alten vorweisen, und dann würde er mir die Erbschaft ausfolgen.«

Der General fing hier so laut zu lachen an, wie wohl noch kein Mensch gelacht hat. So wie er stand, fiel er in den Sessel. Er warf den Kopf in den Nacken und schien am Ersticken. Das ganze Haus geriet in Unruhe. Der Kammerdiener erschien im Kabinett. Die Tochter kam erschrocken herbeigelaufen.

»Vater, was hast du?« fragte sie, ihm ganz ratlos in die Augen blickend.

Der General vermochte aber lange keinen Ton von sich zu geben.

»Es ist nichts, Liebling; hab nur keine Angst. Geh auf dein Zimmer; wir kommen gleich zu Tisch. Sei unbesorgt. Ha, ha, ha!«

Nachdem ihm noch einigemal der Atem ausgegangen war, brach er mit neuer Kraft in sein Generalslachen aus, das vom Vorzimmer bis zum entlegensten Zimmer widerhallte.

Tschitschikow geriet ernsthaft in Unruhe.

»Der Onkel, ach, der Onkel! Wird der ein dummes Gesicht machen! Ha, ha, ha! Statt der Lebenden wird er Tote kriegen! Ha, ha!«

– Er fängt schon wieder an! – dachte sich Tschitschikow. – Wie kitzlig er ist! Daß er nur nicht zerspringt! –

»Ha, ha, ha!« fuhr der General fort. »So ein Esel! Daß ein Mensch nur auf so eine Idee kommt: ›Soll er sich erst selbst dreihundert Seelen erwerben, dann werde ich ihm auch meine dreihundert überlassen!‹ Er ist doch ein Esel!«

»Es stimmt, Exzellenz, er ist ein Esel.«

»Aber auch dein Einfall, dem Alten Tote vorzusetzen, ist nicht schlecht! Ha, ha, ha! Ich würde, Gott weiß was alles hergeben, um dabei zu sein, wenn du ihm den Kaufvertrag bringst. Wie ist er sonst? Sehr alt?«

»Achtzig Jahre . . .«

»Er bewegt sich aber noch, ist rüstig? Er muß doch noch rüstig sein, wenn er mit einer Haushälterin zusammenlebt!«

»Gar nicht rüstig, Exzellenz! Er zerfällt beinahe!«

»Dieser Dummkopf! Er ist doch ein Dummkopf?«

»Sehr recht, Exzellenz, ein Dummkopf.«

»Er fährt aber noch aus? Geht in Gesellschaft? Hält sich noch auf den Beinen?«

»Er hält sich noch, wenn auch mit Mühe.«

»Dieser Dummkopf! Ist aber noch rüstig? Hat noch Zähne?«

»Nur noch zwei Zähne, Exzellenz.«

»Dieser Esel! Nimm es mir nicht übel, Bruder . . . Wenn es auch dein Onkel ist, er ist doch ein Esel.«

»Er ist ein Esel, Exzellenz. Er ist zwar mein Verwandter, und es fällt mir schwer, es einzugestehen, aber was soll ich machen!«

Tschitschikow log: es fiel ihm gar nicht schwer, es einzugestehen, um so weniger, als er wohl kaum je einen Onkel gehabt hat.

»Wollen also Exzellenz mir die . . .«

»Ich soll dir die toten Seelen überlassen? Für eine so glänzende Idee will ich sie dir mit dem Boden und mit ihren Behausungen überlassen! Nimm dir den ganzen Friedhof! Ha, ha, ha, ha! Aber der Alte, der Alte! Ha, ha, ha, ha! Wird der zum Narren gehalten! Ha, ha, ha, ha! . . .«

Und das Lachen des Generals widerhallte wieder in allen Zimmern des Generalshauses . . .Das Ende des Kapitels fehlt. Prof. Schewyrjow, dem Gogol das Kapitel unter vier Augen vorgelesen hat, teilt mit, daß das Ende dieses II. Kapitels folgendes enthielt: Versöhnung des Generals Betrischtschew mit Tjentjetnikow: ein Mittagessen beim General und eine Unterhaltung über die Ereignisse des Jahres 1812; Verlobung Ulinjkas mit Tjentjetnikow; ihr Gebet am Grabe der Mutter; ein Gespräch der Verlobten im Garten. Tschitschikow begibt sich im Auftrage des Generals zu dessen Verwandten, um die Verlobung anzuzeigen; zunächst fährt er zu einem dieser Verwandten, dem Obersten Koschkarjow. Anm. d. Ü.


 << zurück weiter >>