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Ein klarer Himmel lag über der Erde, und über dieselbe strich von Osten her ein frischer Wind. Der Ostertag war da, der schöne und hehre, der alle Jahre uns das Zeugnis bringt, dass aufersteht, was begraben worden, dass an die Sonne soll, was im Verborgenen liegt. Er bringt als Frühlingsengel Freude allen Kreaturen, auch denen, welche weder Jahre noch Tage zählen können, welche keine Ahnung haben von des Tages hoher Bedeutung als des immer wiederkehrenden Boten, der das Dasein einer andern Welt verkündet. Die Amseln schlagen im Busche, vielleicht dass bereits ein früherwachter Kuckuck ruft; munter gackeln die Hühner, verkünden es der Welt, wie sie ein Ei gelegt, aus dem was werden kann, was noch im verborgenen liegt, ein verschlossenes Grab, in welches ein Leben geschlossen sei. Darum haben die Eier am Ostertage ihre wahre, hohe Bedeutung, sie sind gleichsam Wappen und Sinnbild dieses Tages. Man hat viel über der Ostereier Ursprung und Bedeutung gedacht, wenigstens geschrieben, und ist die Sache doch so einfach. Das Ei ist eine geheimnisvolle Kapsel, welche ein Werdendes birgt, ein rauhes Grab, aus welchem, wenn die Schale bricht, ein neues, feineres Leben zutage tritt. Darum freut sich der absonderlich der Ostereier, dessen eigentlich Leben in der Zukunft ist, dessen eigentlich Wesen noch verhüllt und verborgen liegt. Darum ist Ostern der Kinder Freudentag, darum lieben sie so sehr die Ostereier. Der Kinder Leben liegt in der Zukunft, das Beste in ihm, Zeitliches und Ewiges ist noch verhüllt im Kinde, muss erst auferstehen. Darum lieben Mädchen, in denen so viel steckt, was werden möchte, die Ostereier so sehr, lieben das Eierspiel, welches wir Düpfen heissen, in welchem Schalen zerbrochen, Eier gewonnen und verloren werden, so sehr, laufen stundenweit auf einen Platz, wo das Düpfen munter geht, lassen unverdrossen die Eier sich von Buben zerschlagen, rauben, und verschenken holdselig, was ihnen nicht geraubt, nicht zerschlagen wird.
Für dieses Düpfen am Ostertag ist weit und breit kein Platz berühmter als Kirchberg mit der langen Brücke über die wilde Emme. Nach Kirchberg strömt weit umher das junge Volk, füllt die Brücke, füllt die weiten Plätze diesseits und jenseits der Emme, füllt die Wirtshäuser, düpft und brüllt, trinkt und zankt unverdrossen bis tief in die Nacht hinein, dass der ganze Himmel voll Getöse und es dem Pfarrer auf dem Berge oft ganz übel wird und derselbe jedes Ohr mit einem Baumwollenballen verpallisadieren muss, um bei Gehör und Verstand zu bleiben. Viel tausend Eier, hart gesotten, bunt gefärbt, oft mit schönen Sprüchen verziert, werden hergetragen und verdüpft. Doch auch in die harmlose Freude mischt sich der Betrug. Lose Buben fabrizieren hölzerne, ja steinerne Eier, füllen ausgehöhlte Eier mit Harz, wodurch die Spitzen stärker werden als die Spitzen der natürlichen Eier, diese einschlagen und somit gewinnen; denn wer mit der Spitze seines Eies die Spitze von des Gegners Ei bricht, hat dasselbe gewonnen. Starke Eier werden gesucht und gefürchtet, vor den künstlichen sucht man sich zu hüten, besichtigt des Gegners Ei, handelt darum, es in die Hand nehmen zu dürfen. Ein Hauptwitz besteht darin, dass ein Bursche, der von einem Mädchen ein Ei zum Besichtigen in die Hand bekommt, damit davonläuft. Natürlich das Mädchen in vollen Sprüngen auf und nach, und wie dann dies schreit, sich zerrt und sich reisst und doch nicht beisst! Wer alle Witze und Streiche erzählen wollte, welche an einem solchen Tage verübt werden, der müsste viel Zeit und Papier zu seiner Verfügung haben.
An den Ostertagen, von welchen wir reden wollen, ging es zu Kirchberg ganz besonders laut und lustig zu. Ein Eieraufleset sollte stattfinden, die Hühner hatten mit Legen nicht gekargt, besonders da, wo man den Haber nicht sparte. Der schöne Himmel und der trockene Weg erlaubten auch den Mädchen mit minder guten Schuhen und Strümpfen, an der Fröhlichkeit teilzunehmen. So zottelte es von allen Seiten her Kirchberg zu, noch ganz anders als die eidgenössischen Truppen Luzern. Die Brücke war gedrängt voll, die Verbindung zwischen beiden Ufern war äusserst mühsam geworden, und wer hinüber wollte, der musste gut mit Geduld versehen sein, denn er verbrauchte viel. Fuhr ein Fuhrwerk auf die Brücke, welcher Art es sein mochte, so war es akkurat wie ein Keil, der in hartes Holz getrieben werden soll. Kein Mensch wich einen Zoll breit, bis ihn ein Pferd mit der Nase stiess und auf die Füsse trat, dann wich er fluchend so weit, dass ihn entweder die Gabel in die Seite stiess oder die Räder seine Beine streiften und ihm alle möglichen Verwünschungen gegen Horn- und alles andere Vieh auspressten. Der Fuhrmann konnte nichts dafür, warum wich man nicht aus; und wer nicht auswich, war auch nicht schuld, denn da ist's eine Kunst, auszuweichen, wo man gepresst ineinandersteht, und zwar auf einer Brücke, welche seit Menschengedenken morsch gewesen ist und wahrscheinlich noch zu Kinder und Kindeskinder Zeiten morsch sein wird, und wo alle Augenblicke die Geländer krachen.
Es ist kurios mit dieser Brücke. Die Emme erbarmte sich schon mehrmals dieser altersschwachen Brücke, riss Fetzen weg und begrub sie. Und siehe, handkehrum stand die alte morsche Brücke wieder da, streckte sich lang und matt über die Emme hin als wie ein matter Mensch, der sich zu Bette legen will. Die Geländer krachten wohl, aber brachen nicht, ein Wunder, welches alle Jahre sich wiederholt, wohl das grösste, das je in Kirchberg sich zugetragen. Grosses Unglück wär's nicht, wenn einmal ein Geländer brechen würde; Beine würden kaum gebrochen, die Brücke liegt ja fast mehr unter als über der Emme und hat bedeutende Anlagen zu Aehnlichkeiten mit dem berühmten Tunnel zu London.
Fast wie einem schweren Schiffe mit den Wellen, ging es einem grossen und mächtig breiten Burschen, der mit gespreizten Beinen, die Arme weit vom Leibe weg, über die Brücke segeln wollte. In selbstbewusster Ruhe schob er sich vorwärts, schob beiseite, was ihm im Wege war, doch nicht buben- und boshaft, sondern ganz kaltblütig, weil es ihm eben im Wege war, und vollkommen gleichgültig, war's ein trotziger Junge oder ein hübsches Mädchen. Was leicht wich, schob er leicht; was sich schwer machte, schob er halt, bis es ging. Ein grosser, schwer mit Silber beschlagener Kübel hing ihm im Maule und rauchte bedenklich; am kleinen Finger der rechten Hand hatte er einen schweren silbernen Ring, einen sogenannten Schlagring. Solche Ringe waren ehedem sehr in der Mode und wirklich ganz besonders dienlich, Löcher in die Köpfe oder Zähne in den Hals zu schlagen; es waren so gleichsam die Siegel grosser Bauernsöhne, welche sie auf die Köpfe ihrer Nebenmenschen drückten. – Ums Düpfen kümmerte er sich nicht, Eier merkte man nicht bei ihm, bei keinem Mädchen stellte er sich. Und doch war sein Gesicht so, wie es die Mädchen gerne sehen, und er war auch im Alter, in welchem man die Mädchen am liebsten sieht. Sein Ziel, nach welchem er segelte, schien in der Ferne zu liegen. Ihm auf der Ferse war ein gewaltiger Hund, und drei muntere, aber grobe Burschen steuerten hinter ihm in gleichem Fahrwasser.
«Was ist das für ein Gusti (junges Rind)?» schrie plötzlich ein Mädchen auf. Es war eben mitten in einem interessanten Märten ums Düpfen mit einem sehr interessanten Burschen und meinte, das Recht, zu stehen wo es wolle, so gut zu haben als irgend jemand, und meinte nicht, es müsse seine Geschäfte abbrechen, um einem dicken Mannsbild Platz zu machen, ward aber um seiner freien Meinung willen gar hart und unsanft auf die Seite mehr geschleudert als geschoben.
«Nit so laut!» sagte ein anderes grosses, schönes Mädchen, aber mit kühnen, wilden Augen. «Es ist Michel auf dem Knubel, ein ungeleckt Kalb, aber es lohnte sich der Mühe, es zu lecken. Seine Eltern sind im Kirchhof, er hat einen bezahlten Hof, ausgeliehenes Geld. Wart, den will ich stellen!» Und rasch ging das Mädchen vor, ergriff den Michel bei einem seiner dicken Arme und rief: «Seh, Michel, düpfen! Oder hast keine Eier, musstest die Hühner verkaufen, weil du den Haber selbst gebrauchtest für Habermus und Haberbrei?«
Das war starker Tusch. Habermus und Haberbrei sind gegenwärtig auf einem reichen Bauerntisch, was Kutteln und Krös auf einem Herrentisch, und mit Unrecht: Haberspeisen waren unserer Väter Speisen, sind sicher nahrhafter als dünne Kaffeebrühe und blosse Kartoffeln. Michel fühlte den Tusch, doch langsam ging er ihm ins Fleisch. Langsam drehte er sich um und sagte: «Wenn dein Vater Hühner nach Solothurn fährt, so sag ihm, er solle auf dem Knubel vorbeikommen, vielleicht dass noch was für ihn zu handeln wäre, wenn er Geld hat für ein Huhn oder zwei.»
«Mein Vater hat noch nie auf sieben Höfen herumspringen müssen um Geld, wenn er den Mauser hat zahlen sollen, wie es andern begegnet sein soll,» antwortete das Mädchen.
«Wie lange ist es denn», antwortete Michel, «dass er den letzten Kreuzer wechseln liess, um Schnaps zu kaufen?»
«He», sagte das Mädchen, «das war gerade am gleichen Tage, wo du deine letzten Eier an ein kreuzerig Weggli tauschtest, aus welchem dir deine Kindermutter den letzten Milchbrocken machte, der so grausam gut gewesen, und dem du jetzt noch nachplärest.»
Dieser Schuss traf einigermassen, Michel stellte daher den Witz ein, er sagte bloss: «Selb lügst», wollte abbrechen und weiter.
«Ich wollte mich doch schämen», sagte hartnäckig das Mädchen, «der Bauer auf dem Knubel sein wollen und nicht ein einziges Ei vermögen an der Ostern.»
Zornig sagte Michel: «Wer sagt, ich hätte keine Eier?»
«He», antwortete das Mädchen, «hast welche, so zeig' sie, komm und düpf!»
«Meinst'?» sagte Michel. «Ich hätte viel zu tun, wenn ich mit allen Hagstüdene und allen Bauerntöchtern vom Gitzigrat und von Schattenhalb düpfen wollte. Wenn du düpft haben musst, so frage hinter mir die Knechte; vielleicht dass einer mit dir mag, vielleicht auch nicht.» Nach diesen Worten segelte Michel unaufhaltsam weiter vor seinem Gefolge her. Stolzer ist nie ein Sohn von Frankreich vor seinem Gefolge hergeritten, als Michel vor seinem Gefolge, dem Hunde und den drei Knechten, einherschritt. Die Knechte neckten begreiflich das Mädchen. Das Mädchen würdigte dieselben keiner Antwort, sah dem Michel nach mit stillschweigend zornigen Blicken, in welchen mit grossen Buchstaben geschrieben stand: «Wart du nur, dir will ich!»
Wie oben gesagt worden, war an diesem Tage noch ein Eieraufleset angestellt. Wir wissen nicht, ist diese Sitte bloss bernerisch oder weiter herum verbreitet. Dieses Spiel fand gewöhnlich an Ostern oder Ostermontag statt. Die Burschen eines Dorfes oder eines Bezirks teilen sich in zwei Parteien: Der einen liegt ob, Eier aufzulesen, der andern, zu laufen an einen bestimmten Ort und zurückzukehren, ehe die Eier aufgelesen sind. Begreiflich springt nicht die ganze Partei, sondern jede derselben wählt sich den bestgebauten, langatmigsten Burschen als Läufer aus. Nun wird der Ort bestimmt, wohin der Läufer einer Partei vom Platze weg, wo die Eier aufgelesen werden, zu laufen, einen Schoppen zu trinken und zurückzukehren hat. Dieser Ort ist zumeist eine halbe Stunde entfernt, doch näher und weiter nach der Lokalität. Im Verhältnis zu der bestimmten Entfernung werden nun zwei- bis dreihundert Eier in einer Entfernung von einem Fuss auseinander, zumeist in zwei Reihen nebeneinander auf die Erde gelegt. Der Läufer der zweiten Partei hat die Aufgabe, diese Eier eins nach dem andern aufzulesen und je eins nach dem andern in eine am obern Ende mit Spreue gefüllte Wanne hinzutragen. Doch ist es ihm vergönnt, sie in die Wanne zu werfen, von so weit her er will, und einer aus seiner Partei kann auch die Wanne halten, drehen und vorstrecken, doch nicht näher gehen. Indessen ist dieses Werfen nicht immer fördernd und um so weniger, je mehr der Läufer erhitzt und gespannt und somit im Werfen unsicherer wird; denn für jedes im Werfen oder sonstwie zerbrochene Ei wird ihm ein neues hingelegt, welches wiederum aufgelesen werden muss. Von der Wanne weg laufen beide miteinander ab, von der einen Partei wird der Aufleser beaufsichtigt, von der andern Partei sind einige im bestimmten Wirtshause, sehen zu, dass dem Läufer der Wein nicht entgegengetragen und von ihm ordentlich ausgetrunken werde. Darauf kommt es also an, wer mit seiner Aufgabe zuerst fertig und wieder bei der Wanne ist; fast immer gewinnt der, welcher die Eier aufliest. Es ist eine lustige Art von Wettlauf, doch waltet ein eigener Unstern darüber, denn gewöhnlich endet dieses Spiel mit blutigen Köpfen oder doch mit Streit und Zank.
Jede ordentliche Sache hat eine Spitze, das Eierlesen deren sogar zwei. Auf dem Spiel steht eine Wette, bestehend in einer Uerti. Die verlierende Partei muss eine Zeche bezahlen, das bringt Aerger und Unmut, und, je mehr Wein dazu gegossen wird, desto mächtiger gären beide Elemente. Dazu kommt noch, dass zumeist jeder Bursche ein Mädchen einladet, das Fest mit einem Ball eröffnet und beschlossen wird. Man ist auf dem Lande, in der jungen Welt nämlich, noch nicht so selbstsüchtig wie in der Stadt, so blasiert, huldigt so ganz dem Grundsatze: «Selber essen macht fett.» Bei solchen Gelegenheiten haben die Burschen gerne ihre Mädchen bei sich, machen ihnen gerne auch eine Freude und zwar gratis. Geiger und Mädchen sind aber wiederum zwei Elemente, welche nicht besonders zum Frieden dienen, wenn ohnehin das Blut kocht.
Dieses sogenannte Eiermahl, wobei die Wirtin je nach ihrer Kunst Eier verbraucht, wird jedoch einstweilen noch nicht am heiligen Tage selbst, an Ostern, gehalten, wenigstens in jener Zeit nicht, in welche unsere Erzählung fällt. Man war damals noch nicht so gebildet wie jetzt, stand noch nicht auf der heutigen Kulturstufe, liess den Geiger nicht die heiligen Töne verquiken und verquaken, hielt für nötig, ruhige Punkte zu haben im Weltgetümmel, damit der Mensch zur Besinnung komme und sich zurechtfinden könne, wo er sei, und ob er auf dem Kopf oder auf den Füssen stehe. Nun gibt es aber auch Zeiten und Regierungen, wo alles darauf ankommt, dass männiglich sturm bleibe, nicht wisse, stehe er auf dem Kopfe oder auf den Füssen; da ist's dann freilich nötig, dass man alle Töne loslässt Tag und Nacht, dass blasen und brüllen, klarinetten und kanonieren, geigen und gruchsen, posaunen und prasten, singen und springen muss, und zwar so scharf er es vermag, wenn er nicht verdächtigt werden will, wer nur immer blasen und brüllen, klarinetten und kanonieren, geigen und gruchsen, posaunen und prasten, singen und springen kann, vom Säuglinge weg bis zum Greis. Das ist einer der wichtigsten Punkte in der demagogischen Staatskunst. Begreiflich gehen die rechten Staatskünstler mit dem Beispiel voran und zwar unnachahmlich. Es ist wohl möglich, dass man einmal in den Kirchen, gegenüber der Kanzel, eine Bühne errichtet für solche Künstler, welche der Teufel angestellt hat und als Hanswurste figurieren lässt, alles Heilige dem dummen Volke wegzubugsieren.
Mit Eiermahl, Tanz und obligater Prügelei musste man warten, wenigstens bis Ostermontag, des Publikums wegen und nicht wegen der eigenen Religion. Auch damals also liess man in Kirchberg Ostern Ostern sein und tat, wozu man Lust hatte, bis ans Geigen, und die Polizei hatte keinen Sinn für Ostern, war ihr auch nicht zuzumuten, ja, man gibt ihr schuld, sie hätte Zwecke verfolgt, welche eben durchaus nicht österlich waren. Die Wirtshäuser waren überfüllt, es wurden es allgemach auch die Köpfe; und wenn es voll in den Köpfen wird, fängt es bekanntlich an, in den Fingern zu spuken, und dann Ostern hin, Ostern her!
Michel auf dem Knubel gehörte zu keiner der Parteien, er wohnte nicht in der Nähe, aber er sah solchen Dingen gern zu, und wenn er sich auch nicht ungern zeigte, wo viele Menschen zusammenkamen, so kann man es ihm nicht verübeln. Seine Vasallen hatten ihm einen grossen Begriff von seiner Majestät beigebracht, ihm eingeredet, er sei mehr als Goliath, mehr als die sieben Haimonskinder alle miteinander. An solchen Orten sah er dann, wie die Leute ihn betrachteten, als wäre er eine fremdländische Kreatur, mit Erstaunen und mit Grauen, sah, wie einer dem andern die Ellbogen freundschaftlichst in die Nieren stiess, und hörte mit der grössten Wonne: «Sieh, dort der Grosse, wo breit ist wie ein Tennstor, das ist der junge Bauer auf dem Knubel, das ist ein Grüsel, mit Geld und Kraft mag den keiner, der schwingt obenaus im Schweizerland.» Michel war ein junger Laffe, tat dümmer als er war, meinte, unter den Leuten müsse er sich so recht spienzeln, seinen Kübel im Maul, seinen Ring am Finger und dazu ein Gesicht machen, als ob er nicht bloss allen Pfeffer auf dem ganzen Erdboden gefressen hätte, sondern auch das Land, wo er wächst, mit allen Pfeffersträuchen dazu.
Darum eigentlich kam er mit Gefolge nach Kirchberg und weder des Düpfens noch des Eierauflesens wegen. Er hatte zwar des allgemeinen Gebrauchs wegen auch Eier im Sack und düpfte sogar und zwar selbst mit Mädchen. Aber sie mussten ihm bekannt sein und ihn ansprechen dafür, unbekannte Bauerntöchter vom Gitzigrat fertigte er über die Achsel ab. Ward er angesprochen, tat er es wie eine Gnade, als ob er Sultan wäre, schritt dann fürbass ebenso. Aus dem Weibervolke machte er sich durchaus nichts; tanzte er einmal und hielt das Mädchen zu Gast, so war es nur, um zu zeigen, der Bauer auf dem Knubel vermöge den Geiger zu bezahlen und eine Uerti obendrein. Wollte ihm ein anderer das Mädchen abjagen, so konnte er eine vaterländische Prügelten anstellen, aber nicht des Mädchens wegen, sondern um zu zeigen, wie stark er sei. Wollte ihm aber niemand das Mädchen abjagen, so liess er es sonst laufen. Michel war so eine rechte wahrhaftige Lümmel-Majestät, aber eine gutmütige.
Als das Eierauflesen aus war, der Aufleser, welcher sehr geschickt im Werfen der Eier nach der Wanne gewesen war, gewonnen hatte, wälzte sich die Masse den Wirtshäusern zu, um abzusitzen und zu erwarmen. Michel tat auch also, wälzte sich mächtig durch die Menge und pflanzte sich hinter einem Tische auf, als ob er hier den jüngsten Tag erwarten wolle. Zu seinen Füssen lag Bäri, der Hund, auf dem Vorstuhl sassen die Knechte, liessen sich's wohlsein, denn Michel kargte nicht beim Traktieren. Das Wirtshaus, in welchem Michel war, füllte sich zum Ersticken und zwar mit allerlei Volk von verschiedenen Dörfern. Aus allen Ecken schrie man nach Wein, mit den Mädchen ward um die letzten Eier gerungen, was mit einer radikalen Plünderung endigte. Lärm und Spektakel waren gross. Man verstand sein eigen Wort kaum, und schwer war's, sich durchs Getümmel zu drängen, schwerer als auf der Brücke. Dort nahm man's kaltblütig, hier war's, als sei alles mit Büchsenpulver angefüllt, als schwirrten böse Geister in der Luft und bliesen die Menschen mit Zanksucht an. Warf man Streitende zur Türe hinaus, kamen sie durch die Fenster wieder herein, und zehnmal wilder als vorher. Löschte man den Streit in der Stube, flammte er in den Gängen um so gewaltiger auf. Die Frühlingslust spukte in den starken Gliedern, und zumeist tut dann der Mensch am wüstesten, wenn es sich am wenigsten ziemt. Michel sass, vom Streite unberührt, hinterm Tisch in guter Ruhe und rauchte einen Kübel Tabak dazu. Nur zuweilen knurrte Bäri, der Hund, oder einer der Knechte stand auf und trieb einen Knäuel Streitender, der sie belästigte, mit einem tüchtigen Stoss ins Fahrwasser des Streites hinaus. Hinter Knechten, Hund und Tisch sass Michel in der vollständigsten Sicherheit, hätte in allem Behagen geniessen können, was ihn gelüstete.
Wahrscheinlich stach ihn der Böse, es gramselte ihm in allen Gliedern; plötzlich mitten im wildesten Lärm schrie er nach seiner Uerti und wollte fort samt Gefolge, welches vielleicht lieber länger gesessen wäre, indessen keine Einwendungen versuchte. Langsam, gsatzlich rückte Michel aus, drückte sich ins Gedränge, wollte durch Stube und Haus, wie er diesen Nachmittag über die Brücke gekommen. Aber jetzt war anderes Wetter. Damals war die Luft rein gewesen, jetzt flogen Gläser und Flaschen drin herum, als ob es Schneeflocken wären.
«Will der schon heim?» hörte Michel eine Stimme fragen. «Für den ist's hohe Zeit, um diese Zeit müssen die Kinder ins Bett, längst wird ihm die Kindermutter sein Breili zweghaben», antwortete eine andere Stimme.
Zornig sah Michel sich nach dieser Stimme, welche er heute schon einmal gehört zu haben glaubte, um; da splitterte ihm ein Glas am Backen. Nun ging das Pauken los, Michel hielt sich berechtigt, auf den Wurf hin dreinzuschlagen, ganz gleichgültig, wen er traf, und hinter ihm her hielten die Knechte sich für ebenso berechtigt als der Meister. Michels Ring schien ein wahrhafter Zauberring zu sein; von ihm berührt, beugten sich die kühnsten Häupter, und manches fiel in tiefen Schlaf. Alles schlug nun auf Michel ein, und je mehr Schläge Michel kriegte, desto munterer schien er zu werden; es schien, als erwache er eigentlich erst jetzt so recht. Es wäre eine ordentliche Freude gewesen, ihm zuzusehen, wenn dabei nicht Augen, Nasen, Zähne usw. gefährdet gewesen wären. Michel brach sich Bahn mitten durch das wildeste Getümmel, schlug sich auf gesunden Beinen ins Freie.
Draussen hielt er still, rüstete sich auf den Heimweg, zog einen sorgfältig geborgenen Kübel aus der Tasche, brachte ihn ins Gleis, stopfte frisch, achtete sich der Steine und Scheite wenig, welche um ihn herumflogen. Eben hatte er Stein und Schwamm zur Hand genommen, den Kübel ins Maul gesteckt und wollte Feuer schlagen, da traf ein Scheit hauptsächlich die Pfeife, dass sie ihm aus dem Maule flog und die Zähne wackelten. «Bäri, fass!» rief er, und wie ein Pfeil schoss Bäri in die Nacht hinein, als ob er nur auf diesen Ruf gewartet hätte. Bäri war ein ganz vortrefflicher Hund mit Löwenkraft und Menschenverstand, daher auch wie ein Zwillingsbruder von Michel geliebt. Im grössten Streit half Bäri seinem Meister nie ungeheissen, ausser wenn derselbe fiel, dann hätten wir niemanden, dem sein Leben lieb gewesen, raten mögen, Michel anzurühren. Wurde er irgendwie getroffen oder geschlagen, dann hatte er nicht das Recht, ungeheissen zuzubeissen. Sagte aber Michel: «Bäri, fass!» oder: «Bäri, nimm!», so fasste Bäri und nicht für Spass und liess nicht los, bis Michel sagte: «Bäri, gang dänne» oder: «Bäri, hintere!» Bäri hörte auf der Welt kein Wort lieber als das: «Bäri, fass!» Wie es aus Michels Mund war, schoss er fort wie ein Pfeil vom Bogen, und ungesäumt lag am Boden, was Bäri fassen sollte.
So geschah es auch jetzt. Laut fluchte es in der Nähe, dann hörte man einen dumpfen Fall, einen lauten Schrei, Bäris zornig Knurren. «Geht und luegit!» sagte Michel zu den Knechten, suchte kaltblütig seine Pfeife zusammen, richtete sie ein und ging langsam nach. Sie fanden Bäri schrittlings stehend über einer dunkeln Gestalt, die blanken Zähne knurrend dicht an deren Gesicht, und zorniger ward das Knurren, und das Maul tat sich über dem Gesichte zum Fassen auf, sobald die Gestalt einen Laut von sich geben wollte. Die Knechte fanden sich nicht berufen, den Menschen zu erlösen, auch sprangen sie denen nicht nach, welche sie in der Ferne laufen hörten. Zu g'wundrig zu sein in dunkler Nacht kann unheimlich werden. Sie hatten ihr Gespött mit dem armen Teufel, und wenn der reden wollte, sperrte Bäri das Maul auf, drückte ihm die Zähne ins Gesicht, doch ohne zu beissen. Eben eine bequeme Stellung ist dies nicht für einen Menschen, sie ist ungefähr die eines konservativen Freiburgers, mit dem Unterschiede, dass der Bäri, der auf dem Freiburger steht mit dem Maule am Gesicht, eine Regierung ist, und nicht ein Hund. Michel hielt von je Pressieren für ungesund, fand sich auch nicht bewogen, diesmal eine Ausnahme zu machen. Er kam langsam nach, und erst als seine Pfeife ordentlich brannte, sagte er: «Hintere, Bäri, hintere!» Bäri meinte ebenfalls nicht, dass besondere Eile am Platze sei, langsam zog er das Bein zurück, liess ab von den zärtlichen Berührungen und entfernte sich missmutig von dem Menschen.
Sobald dieser frei war, fluchte er schrecklich und begehrte mörderlich auf. Als er sich endlich erhoben hatte, sah man, dass es ein Landjäger war. «Du Knubelkalb, du verflucht's, habe ich dich endlich, jetzt will ich dir's zeigen, du musst mir dahin, wo du längst hingehört; morgen mache ich die Anzeige im Schloss, dein Hund muss zum Schinder, du unter die Roten. Der Bonaparte ist die rechte Kindermutter für solche Kälber, der putzt ihnen die Nase. Der Bigelpeterli wird Freud haben, wenn er dich in die Lieferung bekommt.»
Die Schweiz musste Napoleon laut Vertrag vier Regimenter oder sechzehntausend Mann stellen und vollzählig erhalten. Napoleon verbrauchte rasch seine Soldaten, plagte daher seine sogenannten Verbündeten beständig mit Befehlen zur Ergänzung. Nun war die Freiwilligkeit nicht mehr sehr gross, seitdem man vernahm, wie heiss es in Spanien zugehe, und wie kalt es in Russland sei. Die Werbung ging daher sehr schläfrig, und die Regierungen mussten zu allerlei künstlichen Mitteln die Zuflucht nehmen. Die schlausten Werber wurden angestellt, alle Listen ihnen erlaubt, bei allen Streichen durch die Finger gesehen, und wen sie einmal hatten, den hatten sie, wenn sie wollten. Unter diesen Werbern blieb Bigelpeterli berüchtigt und wegen seinem Witz berühmt bis auf den heutigen Tag. Es geschah aber auch, dass man Bursche, welche wegen Schlägereien oder anderm Frevel ins Zuchthaus oder in die Verbannung sollten, nach Frankreich spedierte, angeblich zwar mit ihrem Willen. Dieser modus procedendi wurde dann aber auch von Landjägern und Werbern zu schweren Brandschatzungen missbraucht, wenn sie einmal einen Reichen in die Hände bekommen konnten. Auch sollen die Manieren der reichen Bauernsöhne nie so fein gewesen sein als dazumal.
Es war, als Michel das begegnete, noch nicht die böste Zeit und doch erschrak er sehr. Er war tapfer auf den Strassen, aber vor dem Krieg hatte er einen heiligen Schrecken, er tauschte seinen Knubel nicht an ganz Russland. Er wollte daher begütigende Worte versuchen, der Hund habe ihn nicht gekannt und nicht gedacht, dass, wo mit Scheiten geworfen werde, ein Landjäger zugegen sei. Aber solchen Menschen manierlich zu kommen, ist gefährlich, sie werden gern um so gröber und unverschämter. Der Landjäger war vorher bloss grob gewesen, jetzt ward er fürchterlich, tat, als ob er Michel Handschellen anlegen und ihn noch in dieser Nacht nach Frankreich spedieren wolle. Da trat Sami, Michels Lieblingsknecht und gleichsam sein Milchbruder, vor und sagte: «Nur sachte, und jetzt hast Zeit, zu schweigen und dich zu streichen, du Unglücksmacher, sonst geht es mit dir dem Teufel zu; du hast den ganzen Streit angezettelt und immer wieder angeblasen, um Bussen zu ziehen oder zu brandschatzen. Anderer Unglück ist eure Ernte. Es sind Leute da, welche sagen werden, wo man will, wie du und dein Kamerad das ganze Spiel abgekartet haben. Hast du das Scheit nicht selbst geworfen, so warst du doch dabei, als es geworfen ward, und weisst, wer es getan. Ist das nicht genug, so soll dir bewiesen werden, wie du dich kaufen lassest, kurz, der schlechtest Lumpenhund bist, welcher in unserer Herren Kutte herumläuft. Morgen gehe ich ins Schloss, zähl darauf, und zeige dem Oberamtmann an, welche Lausbuben und Unglücksmacher er zu Landjägern habe. Er ist ein stolzer Herr, aber kein ungerechter, der wird mit solchem Pack sauber ausfahren, zähl darauf!»
Diese Sprache machte Eindruck auf den Landjäger, von wegen derselbe kannte den Oberamtmann, wusste wohl, was er ihnen oft gesagt, und dass er nicht Spass verstehe, am allerwenigsten von den Landjägern. Der Landjäger liess die Milch hinunter, und endlich kam ein Vergleich zustande, der ungefähr in den Worten enthalten ist: «Schweigst du mir, so schweig ich dir.»
So geht es gewöhnlich. Eine Floh, welche uns gebissen, jagt man, bis man sie hat, dann zerdrückt man sie: menschliches Ungeziefer aber schüttelt man bloss von sich ab, lässt es laufen, ja, hat noch Freude daran, wenn es von uns weg nach andern springt und beisst. «Können jetzt auch luegen, wie sie es abschütteln!» denkt man. Mit dieser Selbstsucht richtet man unsäglichen Schaden an, erhält die Macht der Schlechten, mehrt deren Trotz und Uebermut, denn sie haben ja nichts zu fürchten, als am einen oder andern Orte vergeblich anzuspringen und abgeschüttelt zu werden. Müssten sie das Zertreten fürchten, es wäre anders. Wie mancher wohl wurde durch diesen Spitzbuben von Landjäger später noch unglücklich, der sein Wesen sicherlich forttrieb, nur vorsichtiger und schlauer! Nun, unserm Michel war es nicht zuzumuten, des allgemeinen Besten wegen freiwillig einen Gang ins Schloss zu tun, dem Oberamtmann unter die Augen zu stehen und eine Anzeige zu riskieren. Versetzen doch solche, welche was ganz anderes vorstellen wollen als unser Michel, keinen Fuss, wenn es gilt, Schaden zu wenden vom ganzen Vaterlande, geschweige denn dass sie das Maul auftäten und die verzeigten und offenbar machten, welche es ins Verderben führen.
Im schönen Bewusstsein, viel verrichtet zu haben, zog Michel mit seinem Gefolge unangefochten heim. An vier solche Burschen und einen Hund traut man sich auf offener Strasse und freiem Felde nicht so leicht. Die angetrunkenen Knechte im Siegesübermut hätten gern noch ein zur Seite liegendes Dorf besucht, wo Kampf und Blut nicht gefehlt hätten. Aber Michel wollte nicht, nicht weil er sich fürchtete, aber er meinte nicht, dass alles an einem Tag getan werden müsse; er war mit dem diesmal Vollbrachten vollständig befriedigt. Es sei morgen auch noch ein Tag, sagte er. Michel hatte einige Löcher im Kopf, Beulen am Leibe, aber er achtete sie so wenig als Bremsenstiche, hatte sie vergessen, als er heimkam, legte sich zu Bette, ohne nach ihnen gesehen zu haben.
Am andern Tage schlief Michel, bis hoch am Himmel die Sonne stand. Endlich begann es zu tagen vor seinen Augen; aber Michel pflegte nicht eines Satzes aus dem Bette zu springen; selbst wenn unter ihm das Bett gebrannt, so hätte er sich noch gedreht, gestreckt, einigemal gegähnt, dann erst hätte er das Bett verlassen, in einem Satze vielleicht oder vielleicht auch langsamer. Als nun Michel mit etwelchem Geräusch seine Vorübungen zum Aufstehen mit Gähnen und Strecken machte, öffnete sich die Türe, und eine ältliche Frau trat ins Stübchen. Aber sowie sie einen Blick auf das Bett getan, schrie sie laut auf und schlug die Hände über dem Kopfe zusammen: «Ach du meine Güte, Michel, mein Micheli (ein beiläufig über zwei Zentner schwerer Micheli) wie siehst du aus, wie haben sie dich aber zugerichtet!»
«Was ist, Anni?» fragte Michel und hob das Haupt aus dem Kissen.
Da erst schrie Anni recht: «Mein Gott, mein Gott, lebst oder bist tot? Bist du denn nicht sicher, wenn du von Hause gehst? Oh, wärst daheim geblieben, ich hielt dir so dringlich an, wollte dir zweimal Küchli backen und Nidle stosse, aber es musste nicht sein, es musste erzwängt sein, und jetzt kommst du mir so heim! Und wo waren die Knechte, was taten Sami und Bäri? Was nützen die alle, wenn du so zwegkommst?»
«Was ist Aparts, dass du so machst?» fragte Michel verwundert. «Bist du denn so sturm im Kopf, dass du nichts weisst? Es ist sich aber nicht zu wundern, man muss sich nur wundern, dass du noch lebst. Sieh selbst!» sagte die Frau, nahm ein Spiegelchen von der Wand und hielt es ihm vor.
Da wäre doch Michel beinahe vor sich selbst erschrocken. Er sah aus wie ein alter Märtyrer, gepeitscht, halbgeschunden und halb von den Hunden gefressen, voll Blut und Striemen. Das blutgetränkte Haar hing ihm über das dicke Gesicht hinunter, das blutige Hemd klebte ihm am Leibe, dass man es für den blutigen geschundenen Leib selbst hätte halten können. Noch andere Leute als Anni wären über ihn erschrocken; denn man hätte wirklich meinen sollen, es sei nur eine Wunde. «Das ist wüster als bös», sagte Michel zu Anni, welche sich gebärdete wie eine gedungene hebräische Klagefrau. «Hol' Wasser, mach' das Blut ab und gib ein frisches Hemd, so ist d'Sach richtig!»
Anni, welche von vielen Berichten her einige Sachkenntnis in solchen Fällen hatte, fragte, ob es nicht besser sei, ehe es wasche, zu Männern zu schicken, um Zeugen zu haben, wie er ausgesehen, und zu einem Arzt, um ihn zu verbinden, damit man den Mördern und Schindhunden, welche ihn so zugerichtet, den Meister zeigen könne? Aber Michel meinte, es wäre gut, es wäre heute niemand übler zweg als er, und wollte nicht; Anni musste sich bequemen, laues Wasser zu holen, um seinem Micheli sein Köpfli zu waschen. Je eifriger es wusch, desto eifriger redete und jammerte es dazu. Als das Werk vollbracht war, sah Michel wieder ganz ordentlich aus, dass Anni es fast ungern hatte und tat, als ob es Michel lieber halbtot gesehen, um dann nach Herzenslust über ihn weinen und klagen, über die Täter schimpfen und lästern zu können.
Um desto brünstiger wandte es nun sein Mitleid Michels Kleidern zu. Er hatte nämlich am Ostertag all sein Bestes angezogen; da war nichts mehr sauber, das eine zerrissen, das andere mit Blut getränkt und dieses eingetrocknet. Er komme noch um all seine Sachen, jammerte Anni, wenn er sich seiner Sache so wenig achte. So kostbare Kleider und alle dahin! Hätte er ihns gestern geweckt, dass es das Blut noch feucht hätte auswaschen können, so wollte es nichts sagen, jetzt möge er zusehen, wie es werde. Wenn es ihm nicht eingefallen, so hätte es Sami in Sinn kommen sollen, dem stünde es wohl an, der Witzigere zu sein, sei er doch sieben Wochen und drei Tage älter als Michel. Aber wenn er nicht besser tue, müsse der ihm aus dem Hause. Bei allen Lumpengeschichten sei er der erste und der letzte und vielleicht der Urheber. Zu gut dazu sei er nicht.
Sami war Annis leiblicher Sohn, und Anni war Michels Kindermagd gewesen, jetzt die ihm um die Nase geriebene Kindermutter. Michels Mutter war nämlich gestorben, als derselbe noch in den Windeln war, darauf vertrat Anni Mutterstelle an ihm und zwar so, dass ihr fast gleich alter Sohn Sami gegen Michel immer den kürzern ziehen musste, Michel ihr immer der Liebere schien. Im Grunde des Herzens war es aber nicht, aber für Michel kam zu der Liebe die Treue der Pflicht. Michels Mutter hatte auf dem Sterbebett zu Anni gesagt: «Gäll, du luegst immer zu ihm und luegst, dass er nit unterdrückt wird, wenn es hier eine Aenderig (Stiefmutter) geben sollte?» Das hatte Anni versprochen und hielt es. Aber Michels Vater dachte nicht mehr ans Heiraten. Er war ein Mann von wenig Worten und einförmigem Tun; eine neue Frau zu suchen und sie zu dressieren oder sich in neu eingezügelte Gewohnheiten zu fügen, wäre ihm in Tod zuwider gewesen. Er war brav, soweit er es verstand, hatte den üblichen Glauben, dass ein Gott sei und man durch Christum selig werde, während er eigentlich zwei Mächten diente, dem Gelde und der Kraft; das waren ihm die höchsten «Worte auf Erden.
Die grösste Freude hatte er an seinem Micheli, in dessen Person sollten ihm die beiden Worte verehelicht werden. Der Micheli brachte bereits Tatzen auf die Welt wie ein junger Bär. Anni mästete ihn, als wäre er ein junges Kalb, bei welchem die Mästung die Hauptsache ist. Es hatte seine grösste Freude am Erfolg seiner Erziehung, als dem Micheli die Glieder aufschwollen wie einem jungen Ochsen, und dachte nicht daran, dass es das grösste Wunder sei, dass Micheli nicht an dieser Erziehung starb, sondern sie aushielt und sogar gesund. Vom achten Jahre an musste er alle Frühjahre eine Kur machen, aber nicht mit so dünnem Wasser, welches nach Eisen oder Schwefel riecht und nichts kann als durchziehen, sondern mit Rossmilch. «Stark wie ein Ross», sagte man, wenn man den höchsten Grad von menschlicher Stärke bezeichnen will, und stark wie ein Ross werde, wer brav Rossmilch trinke. Und wie man Rosse, welche man stark und ausdauernd haben will, frei laufen lässt, spät einspannt, erst wenn die Knochen hart geworden, so wurde Michel zu keiner Arbeit streng gehalten, er konnte etwas machen oder nichts, dazu und davon, wie er wollte. Er wurde auch stark, das freute den Vater sehr, fürs Geld wolle er schon sorgen, dachte derselbe.
Als Michel zum ersten Male einen Mütt Korn aufnahm aus freier Hand, ein Mäss Roggen über den Daumen ausleerte, den schwersten Knecht am Rockkragen mit den Zähnen durch die Tenne trug, ward es als häusliches Fest gefeiert, und das ganze Hofgesinde pries Michels Kraft und Herrlichkeit acht Tage lang. Michel war wirklich sehr stark und von einer Beschaffenheit, dass man fast hätte glauben sollen, er könne sich eisern machen. Man konnte mit Zaunstecken auf ihn schlagen, er bog sich darunter so wenig, als er sich viel daraus machte. Es war ein grosses Glück, dass er bei solcher Erziehung sehr gutmütig und sehr behaglich war. Er beleidigte niemand mutwillig, hatte nicht Freude daran, irgendeinen armen Teufel zu peinigen, nur musste ihm niemand den Streit auf den Leib bringen, er wusste ihn nicht zu vermeiden, er war zu jung dazu. Es muss einer erst so recht gefeckt und gewogen sein, wenn er mitten unter neidischen oder zanksüchtigen Leuten keinen Streit mehr kriegen soll. Michel war es wohl daheim, eine Pfeife Tabak, ein ruhiger Sitz, ein gutes Stück Brot oder Fleisch und ein Schluck Milch dazu waren ihm die liebsten Sachen. Er hatte nicht die unstete Natur einer Wespe, welche von einer Pinte zur andern fahren muss wie eine Wespe von einer Fensterscheibe zur andern; er war am liebsten daheim, und es bedurfte ein ordentliches Aufrütteln, wenn er ausziehen sollte. Und wo ist eigentlich ein rechter Bauer am schönsten als eben daheim, sei es hinter dem Pflug oder auf der Bank vor dem Hause? Nun gab es aber viele Bauernsöhne, welche ebenfalls stark sein wollten und reich genug waren, ihre Kraft zu erproben. Die wuchsen an Michel und hetzten andere an ihn, und bis man an Michels Kraft glaubte, kostete es viel Blut und Geld. Aber das war gerade das Geld, welches Michels Vater am allerwenigsten reute. Als er das erste Mal zweihundert Taler Schmerzengeld zahlen musste, hatte er grössere Freude daran, als wenn er zweitausend Taler geerbt hätte. Wenn Michel von Natur nicht so friedfertig gewesen, so hätte des Vaters Art, wie er Prügeleien aufnahm, ihn dazu bringen können, den ganzen Knubelhof zu verklopfen. Gar manches Knechtlein und manch armer Bauernsohn liess von Michel sich gerne prügeln, um ein tüchtig Schmerzengeld zu erpressen, welches Michels Vater ohne viel Federlesens und ohne jeweils zu prozessieren zahlte.
Derselbe genoss indessen die Freude nicht lange, sondern starb, als Michel das Alter erreicht hatte, wo er sein Gut selbst verwalten konnte. Michel war nun ein reicher Mann, eine der besten Partien des Landes, um sich gehörig auszudrücken. Der Knubelhof gehörte unter die schönen Höfe: reich an Weide und Wald, Wasser und Wiesen, Baumgarten und Ackerland, kurz einer von den Höfen, auf welchen ein rechter Bauer ein Edelmann und eine rechte Bäuerin eine kleine Königin ist. Zu dem Hofe erbte Michel viel Geld, bares und angelegtes, und Hülle und Fülle in Speicher und Kasten, in Ställen und Keller und Kammern. Zu einem guten Bauer, der die Sachen nicht erst erwerben muss, sondern sie bloss zu erhalten braucht, hatte er gute Anlagen. Begreiflicherweise muss man einen sehr grossen Unterschied machen zwischen Erwerben und Erhalten. Mancher ist trefflich zum Erwerben, aber behalten kann er's nicht; mancher könnte behalten, wenn er was hätte, aber zum Erwerb taugt er nicht. Michel konnte alle Arbeiten, und leicht ging's ihm von der Hand, aber er meinte nicht, dass er alles allein machen müsse, er arbeitete bloss der Ehre, nicht der Lust wegen. Michel verstand sich auf Kühe und Pferde ziemlich, aber Handelsgeist hatte er nicht, er kaufte und verkaufte, was der allgemeine Gebrauch mit sich brachte. Der Vater hatte ihn von früher Jugend an auf alle Märkte mitgenommen, angeblich, damit er den Handel kennen lerne, eigentlich aber um wohl zu leben an der Bewunderung, welche man allenthalben dem reichen Knubelbauer um seines schönen Bubens willen spendete. Neben diesen Eigenschaften war Michel gar nicht vertunlich, und den grössten Teil der Zeit brachte er daheim zu, da liebte er allerdings gute Nidle, guten Anken, guten Käs, ein schön Stücklein Fleisch, Speck und Schinken, Küchli, einen guten Schluck Kirschwasser und Tabak. Von dem letztern hatte er aber keinen Verstand; wenn ihm das Pfund vier Batzen kosten sollte, so kratzte er sich in den Haaren. Schöne beschlagene Pfeifen liebte er und schwere, grosse Uhren, mit diesen handelte er einigermassen, und das mochte ihn im Jahr vielleicht einige Taler kosten. Nun freilich kostete ihn das Wirtshaus etwas, weil er meist mit Gefolge darin erschien; indessen geschah es bei weitem nicht alle Sonntage. Was ihn am meisten kostete, waren Schlägereien und die damit verbundenen Brandschatzungen. Indessen ein Bauer, der seine zweitausend Taler Einkünfte hat, mag schon etwas ertragen, selbst wenn er aus einer Art Uebermut niemand Geld abfordert, zwölf bis fünfzehn Zinse von den Kapitalien ausstehen lässt, obgleich nach dem zehnten Zins das Gesetz die Verjährung erklärt, wenn der Schuldner davon Gebrauch machen will.
Anni, seine Kindermutter, war auf dem Knubel nicht die Majestät, aber das Faktotum, führte die Haushaltung treu, als ob es die eigene wäre, und mit Einsicht und Verstand dazu. Es liess nichts zuschanden gehen, übte Guttaten, wie es dem Hofe wohl anstand, aber nicht zur Erhebung der eigenen Person wie der ungerechte Haushalter im Evangelium, und pflegte seinen Micheli noch immer, als ob er ein Wickelkind wäre. Es war überhaupt eine eigentümliche Haushaltung, wie schwerlich mehr eine im ganzen Lande zu finden ist. Michel war der Angel, um welchen sich alles drehte, der grosse Bauer, der Gewaltige und doch eigentlich das Kind, welches alle als Kind behandelten, verhätschelten, jedoch mit Respekt. Der Knubelhof war so eine Art Schlaraffenland, von allen gesucht, von niemand freiwillig verlassen. Michel gönnte es seinen Leuten, Speise und Trank waren gut und im Ueberfluss, die Löhne nicht besser als an andern Orten, aber auf einige Taler extra kam es Michel nicht an, wenn man es ihm zu treffen wusste. Mit der Arbeit brauchte sich niemand zu übertun, in Wind und Wetter sprengte Michel seine Leute wenig herum, jedenfalls nie aus Bosheit, wie es hie und da zu geschehen pflegt, sondern nur, wenn Not vorhanden war. Er hatte Leute genug und nicht halb zu wenig, keiner war gezwungen für zwei zu schaffen, wenn er nicht pfuschen und im Rückstand bleiben wollte, jeder konnte gut und bequem machen, was ihm oblag. Darum sah der Knubelhof auch schöner aus als so viele andere, wo mit den Händen gekargt wird und die Zeit immer zu kurz ist für die wenigen Leute und die viele Arbeit; denn Michel plagte der Geiz nicht, sein Lebenszweck war nicht, noch reicher zu werden, des Jahres so und so viel tausend Gulden vorzuschlagen, sondern er wollte auf dem schönsten Hofe der berühmteste und stärkste Bauer sein. Wenn nun ein sogenanntes grosses Werch anging, Heuet, Ernte u. s. w., wo die Leute sich gegenseitig aufpassen, wann angefangen und was täglich geschafft wird, und jeder der Beste sein will, dann wollte Michel sich auch zeigen, dann trat er an seines Volkes Spitze, und dreingeschlagen musste werden, dass Funken stoben, damit allenthalben es heisse: «Seht, wie es bei Michel geht! Der ist aber los; wenn er will, mag ihn keiner; er ist fertig, wenn die andern kaum angefangen haben.» Sein Volk gönnte ihm auch diese Freude, schaffte sich fast die Seele aus dem Leibe, und nicht zu seinem Schaden, denn, je grössere Freude Michel hatte, desto offener war seine Hand, und desto freigebiger war er mit Speise und Trank; und war der Sturm vorbei, so hatten es die Arbeiter um so besser, er liess sie ordentlich verschnaufen.
So hatte Michel auch sehr selten über Untreue zu klagen. Der Wächter fehlte nicht, Anni hatte die Augen offen, man hätte meinen sollen wie ein Hase Tag und Nacht. Anni ward nicht mit den aufrührerischen Augen betrachtet als eine Dienstmagd, welche eine unrechtmässige Gewalt sich angemasst, sondern als Hausmutter, wie Anni es auch wirklich war. Und wenn Anni auch immer sagte: «Meine Schweine, mein Flachs, unsere Kühe» usw., so hatte es doch reine Hände, ein sauber Gewissen, sah treuer zu Michels Sache, als manche Mutter zum Vermögen ihres Sohnes; Anni hatte also nicht Ursache, jemanden durch die Finger zu sehen; es konnte niemand zu ihm sagen: «Schweigst du mir, so schweig ich dir.» Da also niemand droben gerne fort wollte, so nahm jedes sich sehr in acht, dass es nicht fort musste. Es gab ein ordentlich Aufsehen, wenn ein Knecht oder eine Magd vom Knubel ging. Es kam daher wie der Landsturm, dass man zehn Höfe mit den Aspiranten um eine einzige Stelle hätte versehen können; es ging wie in einem hungrigen Lande um eine Staatsstelle, oder wie wenn die Tauben ziehen auf einen vereinzelten Erbsacker.
So lebte Michel in vollem Behagen und Genügen, in weiter Runde war er sicher der einzige Mensch, der keine Wünsche hatte, deren Erfüllung nicht in seiner Macht stand. Und wenn er schon wie jetzt Löcher im Kopf und Beulen am Leibe hatte, störte dies sein Behagen nicht im mindesten, im Gegenteil, er genoss das frohe Selbstgefühl, andere hätten noch viel grössere Löcher und noch viel mächtigere Beulen.
Als er frisch gewaschen aufgestanden war, setzte er sich mit gutem Appetit ans Frühstück und liess sichs wohlsein trotz einem Engländer. Sein Frühstück glich aber auch einem englischen, bestand nicht bloss aus dünnem Kaffee und hartem Brot, Käs und Butter waren auch da samt Eiertätsch und Erdäpfelrösti. «Und wenn du durch den Morgen hungrig wirst, so ist Schinken und sonst noch Fleisch im Kuchischaft», sagte Anni. «Ich hätte es auch aufstellen können, aber ich wusste nicht, ob es dir recht sei; du wirst mir so wunderlich, es ist dir gar nichts mehr zu treffen, es erleidet mir, so dabeizusein.»
«Wird öppe nit sein, oder was mache ich Wunderliches?» sagte Michel, der an solche Vorwürfe gewöhnt schien, kaltblütig.
«Da mag ich dir auftragen, was ich will, und anwenden, wie ich will, du sagst nie mehr, dass es dich gut dünke, und dass es dir recht sei. Das muss einem gmühen, selb glaub!» Anni gehörte zu der grossen Klasse der Köchinnen, welche nicht zufrieden ist, wenn man zeigt, dass die Speisen gut sind, indem man tapfer davon isst, sondern die auch will, dass man rühmt, wie gut sie seien.
Michel pressierte nicht mit dem Essen, musste auch zwischendurch Anni Rechenschaft ablegen, wie er gestern den Tag verbracht. Anni war mit dem Bericht durchaus nicht zufrieden. «Aber Micheli, Micheli», sagte es, «denkst du denn nie daran, dass du auch ein Mensch bist und totgeschlagen werden könntest, und wer erbt dann den Hof? Und noch dazu an einem so wichtigen Tage, an der heiligen Oster, denk' wenn du da in der schweren Sünd' ungesinnet hättest sterben müssen! Denkt doch das junge Volk nie, was es für ein Tag ist! An dir dünkt es mich nichts anderes, du hast den Verstand noch nicht, bist noch zu jung dazu. Aber Sami sollte ihn haben, der Lümmel wäre alt genug dazu. Wenn er nicht anders tut, muss er mir weg. Ich will nicht, wenn es ein Unglück gibt, dass alle Leute es mir vorhalten, mein Bub sei schuld daran.» Michel redete dem Sami z'Best, erzählte, wie er es dem Landjäger gemacht, und wie man den jetzt noch verklagen könnte, wenn man wollte. Aber darin fand Anni keinen Trost, sondern Stoff zu neuem Jammer. «Was, jetzt noch den Landjäger trappen, das ist ärger, als wenn ihr dem Landvogt Schelm gesagt. Der vergisst euch das nicht, der ruht nicht, bis er dich unglücklich gemacht hat, bis er dich fort hat nach Frankreich in den Krieg. Denkst du denn auch gar nicht, wie es dir wäre, wenn du den Hof mit dem Rücken ansehen und in den Krieg müsstest, wo sie mit Kanonen schiessen und express auf die Leute, und keinen Menschen borgen (schonen), sei er, wer er wolle? Micheli, gingest gerne? Und gehen musst, wenn es so fortgeht!»
Das machte Michel wirklich bedenklich, denn einstweilen begehrte er nicht, ein Kriegsheld zu werden. Er dachte wohl daran, im Notfall vermöchte er einen zu kaufen. Aber er wusste auch Fälle, wo Hass dahinter war oder man einen Menschen forthaben oder damit strafen wollte, dass man keinen Stellvertreter annahm. Wie vordem gesagt, schickte man besonders gern Schläger und Händelsüchtige hin. Dort, kalkulierte man, könnten sie ihre Lust am besten büssen, dreinschlagen nach Herzenslust und sogar pflichtgemäss. Michel sagte: den Krieg fürchte er nicht, es würde ihm gar nichts machen, zu gehen, wenn er wäre wie andere Leute. Aber er habe oft gehört, im Kriege käme ungefähr die Hälfte mit dem Leben davon, und jetzt unterm Napoleon nicht einmal. Nun sei er so dick als zwei deren Hungerleider, welche sich gewöhnlich anwerben liessen; da wüsste er ja im voraus, dass er das Leben nicht davonbrächte; denn täte es nicht den einen halben Teil treffen, so nähme es doch den andern. Und wenn man das vorauswüsste, wäre es ja dumm, wenn man ginge. Allweg lachte, wer diesen Kalkül hörte.
Anni verschwatzte sich selten und nie, solange noch was abzuwaschen war. Sobald Michel fertig war mit Essen, trug es ab und machte sich ans Waschen. Michel aber griff nach seiner Pfeife und machte seine übliche Runde ums Haus und in den Ställen. Dies ist eine Uebung, welche kein Bauer, auch wenn er nicht mehr selbst arbeitet, je versäumen sollte. Es ist denn doch des Herrn Auge, welches die Ordnung erhalten soll. Michel hatte sonst sehr grosse Freude an diesen Ställen, und mit Recht; denn schönere Pferde, stattlichere Kühe sah man selten, aber diesmal sah er wenig von diesen Schönheiten, es lag ihm zu dick vor den Augen. Es kam ihm immer in Sinn, wenn der Landjäger ihn doch verklagen würde, wenn er dies alles verlassen müsste. Dann kam ihn grosser Aerger an über sein Wüsttun, und starke Entschlüsse, alle Ausflüge zu unterlassen und auf seinem Knubel zu bleiben, da könne er machen, was er wolle, und fechte ihn hier jemand an, so habe er das Recht, ihn totzuschlagen. So studierte Michel tief, vielleicht zum ersten Male in seinem Leben, so tief, dass er das Horn, mit welchem man die Leute auf dem weiten Hof herum zusammen- und zum Essen rief, fast überhört hätte.
Der Hunger plagte ihn zwar nicht, aber des allgemeinen Gebrauchs wegen nahm er doch seinen Platz oben am Tische ein, hinter dem Tisch pflanzte sich das Mannsvolk auf, auf dem Vorstuhl sassen die leichten Truppen, das Weibervolk nämlich, welches frei ab- und zugehen musste. Drei grosse Milchkacheln voll ganzer Milch, d. h. die Nidle nicht abgestreift, standen auf dem Tisch. Ein besonderer Napf stand neben Michel, gefüllt mit purer Nidle, so gut und dick, als Anni sie zwegbringen konnte. So hätte es Michel von Kindsbeinen an gehabt, sagte Anni, und es wüsste nicht, warum er es als Bauer schlechter haben solle, als er es als Kind gehabt. Solche Nidle ist bekanntlich eben nicht gegen den Durst, daher Michel sehr oft seinen Löffel über den Napf weg in die grosse Milchkachel steckte. Das nahm ihm aber Anni allemal übel. Es sehe wohl, sagte es, er schätze je länger je weniger, was es an ihm tue. Es selbst versuchte nie etwas von der Nidle; was Michel übrigliess, wanderte in den Ankenkübel. Es hätte schrecklich schlecht gelebt, wenn es seine Milch an die Nidle hätte tauschen sollen; aber Micheli sollte Nidle brauchen. Das sei nur Bosheit und ihm z'Trotz. Sie sei ihm als Kind gut gewesen und hätte so wohl angeschlagen, so wüsste es gar nicht, warum er sie jetzt nicht mehr brauchen wolle. – Sobald man gebetet hatte, brachten die Knechte das Gespräch auf die gestrigen Heldentaten, sie taten zwei Würfe mit einem Stein, einen nach dem Wohlgefallen des Meisters und einen nach der Huld der Jungfrauen, welche auf dem Vorstuhl sassen. Homer machte es wohl etwas fliessender, wenn er von Achill oder Ajax sprach, als diese Knechte, da sie die Taten ihres Meisters priesen; aber grösser stellte er seine Helden nicht dar, als diese den ihren. Zu Hunderten seien die Dörfler da unten an ihn geschossen wie Bremsen an ein Ross, aber Michel habe sich nicht umgesehen, habe seine Streiche geführt wie vom Himmel herab, und wen er nur angerührt, habe sich gestreckt, so lang er gewesen. Er hätte nicht gebraucht, nachzubessern und, was beim erstenmal sich nicht gegeben, zum zweiten- und drittenmal zu versuchen. Wunder täte es sie nicht nehmen, wenn sie jetzt noch dort lägen, wo sie hingefallen. Was der Meister nicht niedergeschlagen, das hätten sie gebürstet, dass die Haut samt den Haaren davongefahren. Jeder wollte Streiche aufgefangen haben, welche dem Meister gegolten, niedergeschlagen haben, wer ihn im Rücken angegriffen. Jeder hatte Heldentaten begangen, darüber zankten sie, aber darin waren sie einig, dass sie alle gegen den Meister nichts gewesen, der sei durch alles durchgefahren wie ein Ochse durch einen Bohnenplätz. Auch Samis und Baris wurde mit Ehren gedacht, der Landjäger ausgescholten, beraten, wie man es ihm das nächste Mal machen wolle. Es wurde erzählt, was das vor dem Meister einen Respekt gegeben, wie sie mitten im Streit und Schlagen gehört: wie der Knubelbauer sei doch keiner, selb sei wahr, und das sei doch dumm, dass man den nicht ruhig lasse, er täte ja niemandem was zuleid, aber wer sich an ihn wage, komme entweder weg wie ein Hund oder liege am Boden wie ein Kalb.
Kurz, sie redeten schön, vertrieben dem Meister die Grillen, füllten ihn wieder mit Selbstbewusstsein, wie man mit Gas einen Luftballon füllt, dass nicht bloss keine Wolke mehr auf seiner Seele lag, sondern dass ihn dünkte, er sei zunächst an der Sonne und glänze selbst wie die Sonne. Anni redete beständig drein, vernütigte alles, wollte abbrechen, aber man hatte heute keine Ohren für ihns, man sah zu deutlich, wie es dem Meister wohltat und wie gern es die Jungfrauen hörten. Man spann den Faden fort; da hob Anni, als es den letzten Löffel niedergelegt sah, rasch die Tafel auf, raffte einiges Geräte zusammen und befahl den Mägden, das übrige nachzubringen. Diese mussten gehorchen, so gut als englische Damen, wenn die Hausfrau sich erhebt und in das Teezimmer schreitet. Ob gern oder ungern, was sein muss, muss sein, sowohl auf dem Knubel als in England. Aber wie in England die Herren, blieben hier die Knechte sitzen; denn der Meister blieb ebenfalls sitzen, und die Knechte spannen fort an ihren homerischen Gesängen und dem Meister schwoll das Herz mehr und mehr, kühn leuchteten seine Augen und auf die Zunge wälzten sich, ungefähr wie man ein Zuckerfass aus dem Keller schrotet, die Worte: «Z'arbeiten trägt heute nichts ab, z'arbeiten ist nicht viel – wie wär's, wenn wir heute wieder nach Kirchberg gingen, luegten, ob die noch da lägen, wo sie gestern gelegen, und dann luegten, wie es im Eiermahl geht; es soll heute sein. Es wäre zu probieren, ob man auch tanzen dürfte, oder ob nur die Kirchberger Prinzen das Recht dazu hätten?»
Doch ehe noch diese Worte hinauf bis auf die Lippen geschrotet waren, was bei Michel immer etwas Zeit brauchte, streckte eine Magd die Nase zur Türe herein und rief: «Michel, sollest usecho, sind zwei da, wollen mit dir reden!»
«Kennst sie?» fragte Michel.
«Habe sie nie gesehen», sagte die Magd, «aber allem an sind sie unten aus den Dörfern.»
Die Knechte sahen einander an, als ob sie sich gegenseitig fragen wollten, ob sie wüssten, was die wohl wollten. Natürlich ward die Tafel nun auch vom männlichen Geschlechte aufgehoben. Im Herausgehen sagte Sami zu Michel: «Sie mögen an dich bringen, was sie wollen, so lass dich nicht erschrecken, mach' nit öppe d'r Narr!» Draussen standen zwei, auch Michel kannte sie nicht. Sie fragten Michel: ob er der Knubelbauer sei, sie hätten ein Wort mit ihm zu sprechen. Michel hiess sie in die Stube kommen. Ho, sagten sie, sie hülfen da ein wenig nebenausgehen, sie hätten mit ihm etwas im Vertrauen zu reden. Wer nämlich recht vorsichtig sein will, redet vertrauliche Worte am liebsten im Freien, wo keine Wand ist, an welche ein Ohr sich legen und hinter welcher man das daran gelegte Ohr nicht sehen kann.
Wahrscheinlich hatten sie sich bereits den passendsten Platz auserlesen, wie, wenn man angreifen will, man sich erst das Terrain besichtigt. Sie gingen neben dem Hause einem kleinen Hügelchen zu, wo höchstens nur eine Maus im Loche unbemerkt horchen konnte. Dort sagte der eine: «Es wird dir z'Sinn cho, warum wir da sind. Du weisst, wie du gestern in Kirchberg getan; jetzt liegen in Kirchberg zwei in der Leistung (Verpflegung). Sie sind bös zweg, so Gott will, stehen sie wieder auf, aber gewiss ist es nicht. Jedenfalls werden sie zeitlebens ein Näggis (Schaden) davontragen. Uebrigens brauchst du uns nicht zu glauben, da ist das Doktorzeugnis, da lies, wenn du kannst. Der Doktor hatte es gleich anzeigen wollen; wenn solches permittiert sei und nicht handlich gestraft werde, sei ja niemand seines Lebens sicher, hat er gesagt. Wenn es der Oberamtmann vernehme, werde der wohl dem Knubelbauer das Handwerk legen ein für allemal. Aber wir haben dir nicht z'Bösem wollen, unglücklich zu machen begehren wir dich nicht, du wirst wissen, wie man jetzt mit Schlägern und Händelmachern abfährt. Es sind zwei arme Burschen, welche ihr Brot verdienen müssen; so schien uns, wenn du ein Namhaftes tun würdest, so könnte man schweigen und stille sein bei der Sache. Wie meinst?»
Da machte Michel ein dumm Gesicht und hatte beide Hände in den Westentaschen, wie es damals Mode war; später fuhr man damit in die Hosensäcke, gegenwärtig in die Rocktaschen, denn etwas muss der Mensch haben, wohin er mit den Händen fahren kann. Hat er nichts, so hat er auch keine Haltung, und das ist fatal. Und wenn er auch etwas hat, darein er fahren kann, so schützt es ihn doch nicht immer vor Verlegenheit; das erfuhr Michel jetzt.
«Was düecht dich, was willst? Red'!» sagte der, welcher bis dahin geschwiegen, «wir haben weit heim, es pressiert uns.»
Da sagte Michel endlich: etwas sei gegangen, selb sei wahr, aber es hätten noch viele andere geschlagen als er, die Burschen könnten von andern geschlagen sein so gut als von ihm, selb sei doch vorerst zu untersuchen, ehe er eintrete.
«Die Sache ist ausgemacht, untersuchen mangelt sich da nicht», sagte der eine der Anschicksmänner; «wie man den Rosseisen gleich ansieht, welcher Schmied sie gemacht hat, so kennt man alsbald die Köpfe, welche der Knubelbauer beschlagen hat. Daneben wie du willst! Es war uns um dich; und willst nicht, so hast gehabt, anhalten wollen wir dir nicht. Wir können auf dem Heimwege gleich beim Schloss vorbei, die Anzeige machen und das Doktorzeugnis abgeben.»
«He, einen Tag oder zwei Bedenkzeit, dass man sich öppe besinne cha, wird doch wohl zu haben sein?» sagte Michel zu den Männern.
Dazu hätten sie keinen Auftrag, sagten sie. Unterdessen könnte die Sache von einer andern Seite angezeigt werden, dann sei sie aus ihren Händen. «Mach' aus, so ist es ausgemacht!» Daneben zwingen wollten sie ihn nicht. Er solle ihnen nur, wenn er schreiben könne, ein Zeugnis machen, dass sie dagewesen seien. – Das hätte Michel zu einer andern Zeit vielleicht getan, denn er konnte sich gar nicht erinnern, jemand so gedroschen zu haben, dass er in der Leistung liegen musste, und seine Knechte konnten es auch kaum getan haben. Sie hatten sich bei niemand besonders aufgehalten, nur so gleichsam im ununterbrochenen Vorrücken aus dem Wege geschlagen, was darauf gewesen, und Schweizerköpfe mögen mehr als einen Schlag ertragen, und werden sie auch sturm geschlagen, hat es nicht viel zu sagen, und fällt auch einer hin, steht er zumeist alsbald wieder auf. Aber die Umstände, die Geschichte mit dem Landjäger, Bigelpeterli und Napoleon und der Teufel, den Anni ihm im Gütterli gezeigt, hatten Michel angst gemacht, er fürchtete sich vor einer Untersuchung. Michel suchte diese Angst freilich zu verbergen, so gut er konnte, aber er hatte noch zu wenig Brot gegessen, um die zwei Anschicksmänner zu täuschen. Ein Bauer merkt es dem andern auf der Stelle an, ob er fest ist im Gemüt oder erschrocken. Man hört hundertmal: «Diese Kuh habe ich wohlfeil, aber sie war feil. Ich merkte es dem Mannli gleich an, dass ihm angst war, sie zu verkaufen, weil er Geld haben musste. Da hielt ich nieder und schüttelte dazu die Taler im Hosensack, bis er mir sie gab. Was nützen d'Vörtel, wenn man sie nicht braucht!»
Die Männer wandten sich zum Gehen, taten so gleichgültig und sicher, dass es Michel immer katzängster wurde, er sie in die Stube kommen hiess, ihnen dort Kirschwasser aufstellte, es endlich mit ihnen z'Tod und Amen ausmachte. Aber es kostete Michel ein schweres Geld, und mit schweren Seufzern gab er es. Michel liebte, wie gesagt, das Geld nicht vorzugsweise, dachte eigentlich wenig daran, aber ein solcher Lümmel war er doch nicht, dass er es unbeschwert, so mir nichts, dir nichts zum Fenster auswarf oder verschlenggete, wie man zu sagen pflegt. Aber z'Krieg, z'Krieg wollte er nicht, den Knubelhof konnte er nicht mitnehmen, und was halfen ihm Bäri und Schlagring im Krieg gegen Dragoner und Kanonen?
Als die Männer das Geld hatten, pressierten sie fort und strichen sich mit so langen Schritten, dass Michel dachte: «Die fürchten, ich könnte reuig werden, denen hätte ich es anders machen können!» Aber es war eben jetzt eine ausgemachte Sache. Er seufzte über das schwere Sündengeld und dachte, das sei am Ende doch keine Sache, welche sein müsste, in Zukunft könne man sich davor hüten. Die Lust, ans Eiermahl zu gehen, wo es sicherlich wieder Schläge gab, war ihm durchaus vergangen, sein Selbstbewusstsein hatte gar keinen Flug mehr.
Schwermütig trappete er ums Haus herum, und siehe da, plötzlich standen wieder zwei Männer vor ihm, und wieder waren es zwei sogenannte Anschicksmänner. In Wynigen liege einer krank in der Leistung, den Michel in Kirchberg geschlagen. Derselbe habe es zwingen wollen, heimzugehen, aber in Wynigen müssen liegen bleiben. Er sei so zweg, dass sie nicht wüssten, ob sie ihn noch lebendig antreffen würden, wenn sie heimkämen. Wenn er ausmachen wolle, wohl und gut, sonst könne man es auch anders machen.
Diese zweite Hiobspost fuhr Michel ins Gebein, trieb ihm das Blut ins Haupt. «Glaubt ihr denn, der Knubelbauer sei nur da, um sich brandschatzen zu lassen? Da könnte mir jeder Schelm im Lande kommen und sagen: ›Michel, hast mich geschlagen, gib Geld!‹ Das ist mir ganz das gleiche, wie wenn mir einer auf der Strasse sagt: ›Blut oder Geld!‹ Jetzt macht, dieweil eure Beine noch ganz sind, dass ihr mir vom Hause wegkommt!» Aber diese Männer waren weder erschrockenen Herzens noch auf den Kopf gefallen. Sie liefen nicht alsbald davon, sondern sie liessen scharfe Worte fallen, welche Michel ins Herz schnitten. Sie redeten vom Krieg, sagten, Michel schicke sich wohl dahin, aber ungewohnt werde es ihm denn doch sein, wenn er von allem fortmüsse, und die Kindermutter mitzunehmen, schicke sich doch nicht wohl. Nun, wie man's mache, hätte man's! An einem andern Orte könne man auch sein, warum nicht, wenn man das Leben hätte; und sei man tot, dann mangle man nichts mehr, dann sei es an einem Orte wie am andern. «He nun so dann, so adieu wohl, und es wäre dir zu wünschen, dass du nie reuig würdest!» Kurz, sie redeten, stachen, hieben, mürbten Michel, dass sie endlich, statt mit einem Abschlag, mit einem schönen Schübel Geld ablaufen konnten.
Das tat Michel mehr als weh; er dachte, das werde gehen wie bei Hiob, bis er fertig sei, und hinterher komme doch der – Landjäger und nehme ihn. Er ging ins Bett; da liesse man ihn doch ruhig schlafen, dachte er, aber seine Gedanken irrten ihn am Schlaf. Michel war nicht dumm, aber unerfahren fast wie ein Kind und erschrockenen Herzens in gewissen Dingen, so furchtlos er in andern war. Der Mut und die Furcht wohnen in den meisten Herzen friedlich beisammen, der gleiche Mensch kann Löwe oder Hase sein, je nachdem die Gefahr ist, die an ihn kommt, und je nachdem das Element ist, aus welchem sie kommt. Es kann einer ein Utüfel gegen das Feuer sein, vor dem Wasser aber springt er, so weit er kann. Michel sah wohl, er war gemolken worden, nicht bloss wie eine Kuh von einem Melker, sondern wie ein Staat, an dessen Euter jedes Kalb im Lande sein durstiges Maul hängt. Neben diesem Aerger tauchte ein zweiter auf. Gestern zweimal, einmal auf der Brücke und einmal im Wirtshause, und heute wieder hatte man ihm die Kindermutter, Bröckeli, Breili um die Nase gerieben. Für ein Kind schien man ihn nicht bloss zu halten, sondern im Publikum zu verschreien, zu verlachen und weit umher, sonst hätte man es ihm nicht in Kirchberg vorgehalten. Das ist für einen, welcher meint, er sei hochberühmt, so weit sein Name genannt werde, eine fatale Entdeckung, und das Fatalste war, dass er, als er anfing darüber nachzudenken, selbst finden musste, etwas sei an der Sache. Anni war seine Kindermutter auf den Dupf wie vor zwanzig Jahren. Anni band ihm noch immer die Schuhe, band ihm das Halstuch, zog ihm den Hemdenkragen zweg, ja, kämmte ihm das Haar hinten schön über den Kragen und vorne über die Stirn herab, kochte ihm Eiertätschli, stellte ihm Nidle zweg, buk seine Küchelschnitten doppelt, trug Kümmernisse um ihn im Herzen und zutage wie um ein fünfjährig Bübchen. Das wurmte ihn sehr, aber guter Rat, wie helfen, fiel ihm über Nacht nicht ein.
Darum war er am folgenden Tage sehr übler Laune, wie man es immer ist, wenn man entweder sich bewusst ist, dumm getan zu haben in der Vergangenheit, oder witzig tun möchte in der Zukunft und nicht weiss wie. Er war wunderlich, Anni konnte es ihm nicht treffen, ja, er schnauzte es sogar. Darüber weinte und grollte Anni. Das sei sein Lohn, sagte es, dass es sein Schuhwisch sein solle und alles entgelten, was er dumm anstelle. Es vermöge sich dessen ja doch nichts, dass er vorgestern den Lümmel gemacht und alle geprügelt, gestern den Löhl und von allen sich hinwiederum habe brandschatzen lassen. So wolle es nicht dabeisein, sondern aufpacken und gehen; für ein Plätzlein, ruhig zu sterben, werde der liebe Gott wohl sorgen. Er wisse, wie es es gemeint habe und wie man es ihm jetzt mache. Dieses Grollen tat Michel wieder weh, denn er hatte ein weich Herz und Anni lieb, aber er hatte eben die Manieren nicht, mit welchen man grollendes Weibervolk versöhnt. Sie sind ziemlich bekannt und nicht schwer zu lernen, wenn man nicht durchaus ein Stock ist; aber es muss halt doch alles gelernt sein auf der Welt, bis an die gehörigen Ausnahmen, unter welche begreiflich das Regieren gehört, von dem man neuerdings wieder die Entdeckung gemacht, dass es keine Kunst, sondern eine Naturanlage sei, deren Organ aber nicht oben im Schädel, sondern im Maule sitzt.
Als im trüben Grollen der Morgen verflossen war und über Mittag das Wetter nicht heiterer wurde, ging Michel ins Stübli und wollte ein Rühigs nehmen.
Kaum hatte er sich gelegt, klopfte es draussen hart. Hochauf fuhr Michel und sagte: «Ist aber so ein – da?» Da fragte eine grobe Stimme: «Habt ihr nichts Feisses?» Solche Stimmen sind, wenn auch nicht die letzten Posaunen, welche aus dem Grabe wecken, so doch Instrumente, welche jeden Bauer aus dem Schlafe sprengen, besonders wenn er was Feisses hat oder die Stimme bekannt tönt. «Du sollest hinauskommen», rief eine Stimme zur Türe hinein, «es ist ein Bernmetzger da!» Michel ging, kannte aber den Metzger nicht, war störrisch ohnehin und gab ablehnenden Bescheid. Er hätte doch vernommen da unten, er hatte ein besonders fettes Milchkalb, wie man lange keines gesehen das Land auf, das Land ab, es wiege über zwei Zentner. Er möchte es wenigstens sehen, sie würden doch vielleicht des Handels einig, wenn es nicht schon verheissen sei, sagte der Metzger. «Nun», sagte Michel, «das Kalb kann ich dir zeigen», ging mit Schritten, wie er sie lange nicht gemacht, in die Stube, holte hinter dem Zeithäusli, wo die Stöcke gewöhnlich verwahrt stehen, einen Dornenstock und fuhr mit flammendem Gesichte auf den Metzger los und schrie: «Siehst jetzt das Milchkalb, gschau's recht!» Der Metzger sagte erschrocken: «Nit, nit, ich habe nichts Böses gemeint, man hat mir es so angegeben, mich heraufgeschickt!» Aber Michel hörte keine Einsprache des Metzgers, sondern schlug unbarmherzig auf ihn los. Da versuchte des Metzgers Hund was zur Sache zu sagen, aber da war Bäri bei der Hand, gab bündig Bescheid, dass Metzger und Hund nichts Besseres wussten, als ihr Heil in der Flucht zu suchen. Sie stoben übers Feld durch Korn und Bohnen aus Leibeskräften. Michel konnte nicht viel daran machen, des Metzgers Beine waren um etwas leichter, aber Bäri wohl, der überschoss den armen Metzgerhund, dass er das Rad schlug wie ein Hase, den man in den Kopf geschossen.
Der Lärm hatte die ganze Mannschaft auf die Beine gebracht, welche sich über die Exekution fast totlachen wollte; nur Anni schlug unter der Küchentür die Hände über dem Kopfe zusammen und jammerte über die heutige Welt, die seit Adams Zeiten nie so schlecht gewesen, solche Frechheit hätte es doch nicht gedacht zu erleben. Es nehme ihns nur wunder, dass der liebe Gott so lange Geduld hätte, dass er nicht vierzig Tage und vierzig Nächte nicht bloss Wasser, sondern Pulver regnen lasse und am einundvierzigsten den Blitz dreinschlagen. Das gäbe eine rechte Aufräumeten, den wüsten Leuten müsste man es gönnen, sie wüssten dann einmal, wer Meister sei, und die brävern hätten es besser und wieder Platz auf der Welt. – Als Metzger und Hund verstoben waren und jedes wieder an seine Arbeit gegangen, polterte Michel in die Stube hinein, wo Anni im Samzeug kramte, da es die Zeit war, wo rechte Weiber das Gartenfieber haben. Er polterte in der Stube herum, sein Zorn wuchs, statt sich zu verflüchtigen. Anni wollte ihn bedauern, ihm zusprechen: «Micheli, sei nit böse», sagte es, «das sind wüste Leute, musst dich denen nicht achten.» Aber dieser Zuspruch war Oel ins Feuer. So wolle er nicht mehr dabeisein, sagte er, aller Leute Narr im Spiel wolle er nicht sein, so erleide ihm das Leben. Am besten sei's, er gehe in Krieg, da bleibe er an einem Orte dahinten, wo er niemand zum Gespött mehr sei. Hier könnten ihn die Leute doch nicht in Ruhe lassen, wenn er auch keinem sterblichen Menschen was zuleide tue. Begreiflich rechnete Michel die Löcher, welche er den Leuten in die Köpfe schlug, für nichts, denn sie taten ihm nicht weh. So rechnen bekanntlich die Leute: was ihnen nicht wehtut, ist kein Weh, und was ihnen nicht Leid verursacht, keine Beleidigung.
Nun kehrte sich das Wetter, und dass Michel sterben wollte, drehte Anni das Herz um. «So red' mir nicht!» sagte es. «Könntest dich versündigen, ich stehe es nicht aus, und du hast nicht Ursache. Wenn schon Brandschatzer da gewesen sind und so ein Metzgerkalb, so macht das die Sache nicht aus. Wenn du daheim bleibst, so kommen die Brandschatzer nicht mehr, und den andern wird es wohl erleiden, wenn du mit ihnen ausfährst, wie du es dem gemacht hast. Von einem solchen Hof weg und so jung, denk', Micheli, so einen gibt es auf Erden und im Himmel nicht. Die Hühner legen vierzehn Tage früher als an allen andern Orten; und wenn ich in die Stadt gehe, so fragen mir die vornehmsten Herrenfrauen nach und geben mir gern einen halben Kreuzer mehr für das Pfund Anken: es sei keiner so süss wie der Knubelanken, sagen sie immer. Und redest dann von Krieg und Sterben, nein, Micheli, selb ist dir nicht Ernst. Red' nur nicht mehr so, könntest dich doch verfehlen, wenn es unser Herrgott für Ernst nehmen würde; er ist manchmal viel exakter, als man meint.»
«Nun», sagte Micheli, und schlug mit der Faust auf den Tisch wie ein trotzig Kind, «wenn ich nicht sterben soll, so will ich heiraten, selb will ich dann, das muss mir sein!»
Da stand nun Anni, alle Löcher im Gesicht angelweit aufgesperrt, nicht bloss wie Frau Loth, als sie hinter sich sah in Sodoms und Gomorrhas Flammenmeer, sondern als ob es sehe den Blitz vom Himmel fahren in das Pulver hinein, welches es vierzig Tage geregnet, als ob es bereits sehe, wie die Menschen als gebratene Gänse gen Himmel führen. Es hatte ihm den Atem gestellt, die Sprache fand es nicht. Endlich begann es zu schnopsen, als ob es eine halbe Stunde unter Wasser gelegen, und schnopsete immer: «Heiraten, heiraten, ach, ach heiraten, ach, ach, ach Gott und alle Güte!»
Das Wort hatte es getroffen wie ein gewaltiger elektrischer Schlag und war ihm in alle Glieder gefahren. Von dem Gedanken, dass Micheli je heiraten könne, war es so weit entfernt, als vom Morgen der Abend ist. Mütter denken schon an das Heiraten der Söhne, wenn sie ihnen zum erstenmal die Brust reichen, halten Musterung unter den Töchtern des Landes, ob wohl eine würdig des Glückes sei, bei ihr Söhniswyb zu werden. Hat eine eine Sohnsfrau, so kann sie möglicherweise Grossmutter werden, und dies betrachten Weiber in einem gewissen Alter als ein Avancement, welches mit gewissen Berechtigungen verbunden ist. Kindermütter aber haben es ganz anders, natürlich. Sie denken zwar nicht daran, Sonne, Mond und Sterne zu stellen, wie Josua es getan, indessen, was sie als Kind empfangen, möchten sie doch als das gleiche Kind behalten in alle Ewigkeit; denn ist es mit dem Kinde aus, ist es auch aus mit der Mutterschaft. Es ist also nicht bloss Eigennutz dabei, sondern wirkliche mütterliche Liebe, welche nicht um das Kind kommen will.
«Du mein Gott», ächzte Anni endlich im Zusammenhang, «jetzt gar noch heiraten, jetzt ist mir nicht mehr zu helfen! Du, Micheli, mein Micheli heiraten! Was habe ich dir zuleid getan, dass du mir das antun willst? Tust du mir das zuleid, dann ist es aus mit mir, dann bin ich fertig! Nun, mir ist es gleich, aber wer sieht dann zu dir, kocht dir, was du liebst, bettet dir, wie du gerne liegst, sorgt für weisse Hemden, platzet dir die Strümpfe und nimmt es an mit Geduld, wenn du wüst tust? Du kannst mich erbarmen, Micheli, aber du wirst dich bis dahin wohl noch anders besinnen.» «He», sagte Micheli, «wenn ich schon heirate, kannst du die Sache gleich machen; es sagt ja niemand, dass du fort sollest. Was du nicht machen magst, nimmt dir die Junge ab.»
«Ja, abnehmen, da bleiben, d'Sach machen, jawohl, das käme schön; da sieht man, was du für ein Kind bist! Du guter Micheli, du weisst nicht, was das Weibervolk ist heutzutage, und wie die heutigen Meitscheni sind!» jammerte Anni. «Die können nichts und mögen nichts als den Narren machen, Roten saufen, vor dem Haus hocken, z'Märit laufen und fressen, was Geld kostet. Mögen niemand leiden, wissen nichts, machen nichts und hassen und verfolgen alle, wo ihnen d'Sach machen müssen, und gönnen niemand das lautere Wasser. Aufgestrüsst sind sie von Kindsbeinen an wie die Pfauen, und weiss dir doch keine mehr, wo man den Hühnern die Eier greift! Stumphosen trägt dir keine mehr, da müssen dir ganze Strümpfe mit Fürfüssen sein jahraus, jahrein, denk', Micheli, dann ist es auseiertätschlet, und Milch kannst aus Tannzapfen drücken. Eier und Milch werden dir gebraucht, dass du gar nichts davon weisst, du armes Tropfli! Dem soll ich zusehen, nichts dazu sagen, selb stünde ich nicht aus. Und wenn ich mich auch noch leiden wollte bei einem Brösmeli Brot und einem Tröpfli blauer Milch und es abverdienen mit Kuderspinnen und Wollerupfen. Aber sehen, wie du ermagerst und dir die Kleidleni am Lybli umeschlottern wie des Grossvaters Kutte an einem Bohnenstecken, nein, Micheli, nein, das will ich nicht, das drückte mir das Herz ab.»
«Tu nicht so», sagte Michel, «ich habe einstweilen ja noch keine, und sövli bös wird d'Sach nit sy. Es läuft ja doch mancher junge Mann herum mit einem Kopf wie ein Käskessi und einem Bauch wie ein Landfass. Es wird doch wohl ein Weibervölchli zu finden sein, ein freines und arbeitsames, welches weiss, warum es da ist, und luegt, dass ich nicht ermagere, und dich ästimiert.»
«Was Tüfels frage ich dem Gästimier nach, und was mangelst du jemanden, der zu dir luegt? Habe ich bis dahin nicht zu dir geluegt, eine Mutter hätte es nicht besser können! Oder sag, wo habe ich gefehlt? Habe ich gestohlen, verschleipft, die Faule gemacht?» begehrte Anni auf.
«Nit, nit, Anni», sagte Michel, «aber es ist ja so der allgemeine Brauch, dass man heiratet, und aparti töt het's niemere, und so het's mi düecht, i chäm damit mängem ab und chäm us d'r junge Burschet.»
«Oh, Micheli, du gutes Tröpfli, du bist dazu noch viel z'dumm, es ist sich aber nicht viel zu verwundern, so jung, wie du noch bist», entgegnete sie. «Oh, du weisst nicht, wie das heutige Weibervolk ist, und weisst nicht, wie bös die Welt ist, und wie nirgends mehr Glauben ist und niemand mehr tut, wie es der Brauch ist. In zehn Jahren hast du vielleicht den rechten Verstand und vielleicht auch nicht, aber bis dahin bessert unser Herrgott die Welt, dressiert und rangschiert sie anders. Dann kannst du es in Gottes Namen probieren, wenns zwängen willst; aber zähle darauf, du wirst mir einmal reuig!»
«Jetzt schweig mir mit dem Gstürm», sagte Michel, «wenn du mich nicht töten willst! Los, Anni, selb ging doch wohl lang, ich stand es nicht aus, es tät ein Unglück geben, wenn ich mir die Kindermutter sollte vorhalten lassen, wenn ich mein Lebtag ein Kalb sein sollte.» Nun gab es erst recht Feuer und Jammer bei Anni, als es hörte, wie man seinem Micheli die Kindermutter vorhielt. Das sei doch unerhört, dass man eine alte Frau so verbrüele in der «Welt, und tue es doch keinem Kindlein was zuleide, und betet und g'arbeitet hätte es sein Lebtag, es wäre gut, es täte es niemand minder. Es wolle wetten, das käme von Dirnen her, welche ihm es nicht gönnen möchten, dass Michel ihns lieb habe, die gern selbst Kindermutter wären auf dem Knubel. Es wisse wohl, das Weibervolk sei immer gewesen, wie es gewesen von Eva her. Es nehme ihns nur wunder, dass der liebe Gott nicht gleich die Eva abgeschafft,, als er gesehen, wie sie geraten, und eine andere gemacht. Aber nicht aus Mannefleisch, da sei es kein Wunder, wenn sie bubig würden. Aber so schlecht wie jetzt sei doch das Weibervolk nie gewesen; zu seiner Zeit hätte man sich doch geschämt, einem so unter die Nase zu stehen und so nötlich zu tun. Es möchte die Taschen nur kennen, welche das getan; denen wollte es sagen, was sie wären. ««Wärst du aber was wert gewesen, so hättest es ihnen gemacht wie dem Metzger, oder Sami oder Bäri an sie hingereiset, sie hätten dir dein Lebtag die Kindermutter nicht mehr vorgehalten. Oh, hättest mich lieb, du hättest das gemacht; aber ich sehe wohl, du verschämst dich meiner, ich bin dir auch im Weg, und das ist jetzt mein Lohn und mein Dank, dass ich meine besten Jahre hier verbraucht, Tag und Nacht keine Ruhe gehabt und für alles gesorgt, als ob es meine Sache wäre. Ach, wenn ich nur schon weg wäre und sechs Schuh unter der Erde. Wer weiss, was für Elend ich noch erleben muss!» – Und in völlige Trostlosigkeit versank Anni, dass Michel schweigen musste und trösten, es sei noch keine gemachte Sache, und nicht dass es sein müsste; wenn es ihm so zuwider sei, könne man es ja unterwegs lassen.
Michel sprach im Ernste so, aber der Gedanke ans Heiraten war einmal da, und er ward seiner nicht mehr los. Es gibt Gedanken, welche stärker sind als alle Michel, Platz nehmen, wo sie wollen, und da bleiben, man mag sie wollen oder nicht. Solche Gedanken vertreibt man nur mit andern Gedanken, aber eben hatte Michel keine andern, oder was er dachte so nebenbei, stärkte nur diese Gedanken. Er versagte sich aus Furcht vor bösen Folgen seine Hauptfreude, die Schlägereien. Kinder tauschen aber ein Spielzeug nur gegen ein ander Spielzeug; wenn sie vom Ballspiel ablassen, ergreifen sie mit um so grösserer Hitze das Stöckeln; von dem bringt sie weder Schulmeister noch Haselstecken ab.
Michel musste immer an die Stimme in Kirchberg und an den Metzger denken, und das Ende von allem war immer: «Heiraten wäre doch gut, und e Frau sött zueche; was will ich sonst und was habe ich für Freude auf der Welt?»
Sami kam in eine schwere Stellung, denn Michel und Anni machten ihm Mitteilungen; indessen war er der Stellung gewachsen. Anni sagte zu ihm: «Du warst ein Lumpenbub und Nichtsnutz von je und wirst einer bleiben in alle Ewigkeit, du machst mir nichts als Verdruss und hast in Gottes Namen keine Freude, als irgendein Lumpenwerk anzustellen oder sonst was Dummes. Du hast ihm das Weiben in Kopf getan und niemand anders und denkst nicht, was du für ein Unglück angerichtet hast, und wie es dem armen Micheli ergehen wird, nein, daran denkst du nicht! Hoffentlich geht es dir zuerst an die Beine, und das erste, was eine junge Frau macht, wenn sie auf den Knubel kommt, ist, dass sie dich fortjagt, und kommt es ihr nicht in Sinn, so gebe ich es ihr an. Dann kannst einen andern Platz suchen, wie du hier einen hast. Tue Micheli die Flausen wieder aus dem Kopfe, welche du ihm hineingemacht, sonst sieh zu, wie es dir ergeht. Es wird dir eingetrieben werden, zähl darauf!» Dann kam Michel zu Sami und sagte: «Was düecht dich, Sami, wäre wybe nit gut? Du weisst, wie es mir in Kirchberg ging, wie man mir da die Kindermutter vorhielt, und wie man mich sonst ausspielt an allen Orten, und weisst, wie man mir aufpasst und mich unglücklich machen möchte. Da dachte ich, eine Frau wäre gut, da könnte ich daheim bleiben und doch Freude haben. Anni ist alt; wenn es dahintenbleiben sollte, wären wir bös dran, wer sollte die Sache machen? Jetzt hingegen könnte es eine Frau brichten, dass die dann wüsste, wie es gehen sollte, wie man es gerne hat und wie es der Brauch ist, könnte es ihr zeigen, wie man den Hühnern die Eier greift, wie man die Milchkacheln brüht, und was sonst noch Wichtiges vorkommt in einem Bauernwesen. Doch sage ich Anni, ich möchte wybe, so tut es wüst und sagt, es wolle ihns töte. Selb will ich auch nicht, aber es düecht mi, es sött ihm nit sövli mache, und es sött Verstand brauche; so kann's doch nicht immer bleiben. Red mit der Mutter u säg, si soll Verstand brauche, es werd se nit töte, wenn i scho wybi, und sie könne dann ja die Junge brichten, wie sie es haben wolle!»
Sami war so zwischen zwei Feuern, es ward ihm nicht angst dabei, Sami war nicht dumm, er kalkulierte: «Michel muss heiraten, selb ist natürlich; tät er's nicht, wär's ja dumm! Die Mutter ist übernächtig, stirbt sie, kommt eine Magd ans Brett und macht d'Sach, und der Tüfel weiss, wie dann die tut und was ihr in Kopf schiesst, wenn sie das Heft in die Hand kriegt. Jetzt eine nehmen, ist d's Best, die dressiert dann die Mutter, was der Brauch ist und wie es Michel liebt, und dass alle wohl dabei sind und es akkurat geht wie jetzt, wo niemand zu klagen hat. Aber wohl auslesen muss man, die Katze nicht im Sack kaufen, darum ist das Beste, man nehme die Sache zur Hand und helfe Michel eine suchen, wehren hülfe doch nichts, und dann könnte man ihm nicht zu einer helfen, welche allen beliebt. Es muss kein Geizhund sein, welche einer Floh den Schmutz ausdrückt, wenn sie eine Suppe machen will. Ein Schlärpli wollen wir auch nicht, welches am Morgen sterben will, wenn es auf muss, den ganzen Tag nichts tut, als ums Haus herum gränne, welches die Sonne nicht ertragen mag und den Regen nicht, wo man ein apart Druckli muss machen lassen, um es im Lande herumzuführen. Auch so einen Ausbund und Meisterkäs wollen wir nicht, welcher alles besser weiss und alles neu will, dem man keine Hacke recht in der Hand hat und kein Rübli schabt, wie es ihm anständig ist. Da möcht der Tüfel d'rby sy, wenn man Mist zetten soll und die Bäuerin kommt, nimmt einem die Gabel aus der Hand und zeigt, wie man Mist zetten müsse, und konnte noch über kein Spänchen springen, als man es schon hundertmal gemacht! Auch eine Werchader mag ich nicht. So eine, wo meint, es solle nie Feierabend sein, und nach Mitternacht aufruft, den ganzen Tag brüllet, bald vor dem Hause, bald hinter dem Hause, und gar noch vormähen will, oder den Pflug halten, wo meint, man solle für drei werchen und für e halbe fressen. Nei nadisch, so eine wollen wir auch nicht, und Michel kriegte bald genug. Aber eben darum muss man nicht wüst tun, sondern anerbieten, man wolle helfen suchen, so eine eben Rechte, welche es allen gönnt und etwas anrührt, weiss, was Werchen ist, aber Verstand braucht und nicht vergisst, dass morgen auch noch ein Tag ist, dass, wie man nicht alles in einem Tage essen, man auch nicht alles in einem Tage werchen mag.»
Nachdem also Sami seinen Plan entworfen hatte trotz dem Radetzky, führte er seine Truppen ins Feld. Er sagte zu Michel: «Du hast recht, g'wybet muess sy. Es wäre lätz, wenn der Hof in fremde Hände käme, die Verwandten würden doch lachen und aufpassen wie die Aehrenleser, bis der Bauer mit dem Wagen von dem Acker ist. Und wenn die Mutter stirbt, wer soll d'Sach machen und zu allem sehen? Aber du weisst, wie das Weibervolk ist, nütnutz heutzutag. Der Kuhhandel ist e bschissner (trügerischer) Handel, aber mit dem Weibervolk wird man noch zehnmal ärger angeschmiert, und dann ist's bös, man kann nicht ändern. Darum muss man Vorsicht brauchen und wohl luegen, dass man die Rechte kriegt, eine, welche zu allem luegt und es allen gönnt und bsungerbar dir, von wegen du bist dich dessen gewöhnt von Kindsbeinen an. Es gibt deren, welche den ganzen Tag die Kaffeekanne auf dem Feuer haben, aber dem Mann kein Tropfli geben; und vernehmen sie, dass er einen Schoppen getrunken oder gar guten Kameraden eine Halbe gezahlt, tröhlen sie sich am Boden herum, bis sie nicht mehr wissen, was oben und was unten ist. Lueg, du weisst gar nit, wie es geit. Aber wenn man Vorsicht braucht und sich Mühe gibt, wird doch wohl eine zu finden sein, welche kein Hund ist und doch auch kein Uflat. Aufs Geld brauchst aparte nicht zu sehen, und mit der Hübschi ist es so: sie ist wohl gut, aber man muss sich gar manchmal anders gewöhnen, bis sie alte Weiber sind und aussehen wie zweijährige Aepfel.» Das dünkte Michel sehr verständig und er fand grossen Trost in diesen Worten.
Mit der Mutter musste Sami andere Worte brauchen, da hatte er einen harten Stand. «Mutter», sagte er, «denk', Michel ist über fünfundzwanzig, und du bist alt, kannst über Nacht dahintenbleiben, wer soll dann die Sache machen und zu Michel luegen? Drum sieh ihm für eine, welche es gut meint und dem Hofe wohl ansteht, für eine Kurzweilige und doch Manierliche, wo dann da ist, wenn du stirbst, und d'Sach gleich in die Finger nimmt, wie du sie brichtet hast.»
Jä, jetzt ging das Wetter schön los! «So», sagte Anni, «meinst, ich sollte über Nacht sterben, bei einer Jungen sei es kurzweiliger. Du bist doch d'r wüstest Kerli unter der Sonne, der Mutter das Sterben zu gönnen; du bist gerade wie dein Vater, darum brach er auch beide Beine unter der Buche und musste so früh davon. Ich musste auch plären, als ich mit ihm zur Kirche ging; aber seither musste ich oft denken, wie wohl es mir gegangen, dass unser Hergott ihm so früh davonhalf. Mach' nicht, dass es dir auch so geht! Jawolle, der Mutter z'sage, sie sollte über Nacht sterben, ist das schon erhört worden!»
«Mutter, verkehre mir die Worte nicht!» sagte Sami, «du weisst wohl, was ich gesagt und wie ich es gemeint. Aber was ist das gemacht von einer Mutter, wenn sie es ihrem Mann gönnt, dass er beide Beine gebrochen, und ihrem einzigen Sohne anwünscht, dass es ihm auch so gehen möge!»
«Lue, wie du lügst!» zankte Anni, «von dem habe ich kein Wort gesagt, schämst dich nicht, der Mutter die Worte zu verdrehen? Und verdient es denn eigentlich einer, der an der heiligen Oster dem Narrenwerk nachläuft und sogar Menschenblut vergiesst, besser? Und wär's schade um solche Beine, welche noch dazu andern vorlaufen auf den Wegen des Teufels?»
«Mutter», sagte Sami zornig, «du bist eine wüste Frau und weisst nicht was du redest.»
Annis Antwort kann man sich denken. Kurz, Sami, der nicht absetzen wollte, hatte fünf Tage zu tun, ehe er seine Mutter bloss dahin brachte, dass sie ihm seine Worte nicht verkehrte und zornig wieder an den Kopf warf, sondern sie in stillem Grollen auffing, kaute, verschluckte und darüber nachdachte.
Sami hätte vielleicht fünf Wochen oder fünf Monate dazu gebraucht, aber in dem Masse, als Michel den Gedanken ans Heiraten sich einbürgerte in seinem Kopfe, in dem Masse drängte er Sami an Anni hin. Es sei ihm lieb und wert als wie eine Mutter, aber die Kindermutter wolle er sich nicht mehr vorhalten lassen, und das höre nicht auf, bis eine Frau auf dem Knubel sei; wolle Anni das nicht, so gehe er z'Krieg. Die Anhänglichkeit war nicht verwischt, aber der Stolz erregt, der die Liebe nicht verzehrt hatte, aber doch die alte Stellung altershalb unhaltbar fand. Sami begriff dieses und redete der Mutter fernere fünf Tage zu, bis sie endlich nicht bloss nachdachte, sondern sagte: «Nu, wenn du's zwängen willst, so zwäng's, aber wenn es nicht gut kommt, so gebe mir niemand schuld, es ist dann zu hoffen, dass es an dir vergolten werde.» Nun, mit dieser Antwort liess sich schon was machen, sie war bereits einlässig, sie beruhigte Michel, und brachte Anni dahin, dass es den Gegenstand selbst in Anregung brachte, als einige Tage niemand etwas darüber zu ihm sagte. Das ist immer das beste Mittel, über einen einmal angeregten Gegenstand zum Reden und Eintreten zu bringen, wenn man wieder davon schweigt. Der Gwunder, was jetzt gehe, vielleicht gar etwas hinterm Rücken, tut sicher die Zunge in Gang bringen.
«Und was hast dann für eine im Gring?» schnellte einmal Anni Michel an, als es bei ihm vorüberfuhr, und eröffnete so die ferneren Unterhandlungen.
«Keine aparte», sagte Michel. «Begreif, ich möchte nicht so die erste beste nur des allgemeinen Gebrauchs wegen; eine Gute, die sich brichten lässt und es mir und dir und allen gönnt.» Diese Worte waren wie Balsam auf Annis Gemüt. «Du armes Tröpfli du, davon verstehst du nichts und kennst die Welt nicht, weisst nicht, was heutzutage die Meitscheni für Schlangen sind. Wenn man meint, man habe einen Engel an der Hand, hat man die wüsteste Kröte am Hals.»
«He», sagte Michel, «man muss recht luege, gut nachfragen, sich wohl bsinne, dann wird es doch kaum fehlen können.»
«O Micheli, d'r g'scheitst Händler wird mit Kühen betrogen, wie viel hundertmal leichter nicht ein junger Löffel mit einem Meitschi! Die, wo am meisten dyri däri machen, am schönsten unterngucken können, grad die sind Utüfle und tun, als ob des Teufels Grossmutter ihre nächste Base sei.»
«He, das ist nit so schlimm», sagte Michel, «nicht halb so bös. Jetzt grad, von des Bauern im Guggeli Töchtern eine, es sind ihrer manche, haben es bös, es wäre eine froh, zu kommen und für dich d'Sach zu machen, es sind brave Menschen, und auf das Geld brauche ich nicht zu sehen.»
Potz Türk und Blau! wie es da losging und so während der ganzen Inspektion bei jedem Mädchen, welches Sami oder Michel vorführten; in der ganzen Runde fand keines Gnade. Wenn am Mädchen selbst nicht so viel auszusetzen war, dass ihm seine Verwerfung unzweifelhaft schien, oder Sami oder Michel einwendende Gesichter – zu Worten kam es selten – machten, so machte Anni es wie ein Metzger, wenn das Fleisch auf der Waage zu wenig zieht: derselbe legt Knochen, sogenanntes Ausgewicht bei, etwas, welches den Ausschlag gibt. Solchen Mädchen legte Anni auch Ausgewicht bei, einen Urgrossvater, welcher im Zuchthaus, eine Grossmutter, welche im Schwingstuhl oder in der Trülle gewesen, eine Mutter, welche dem Teufel von dem Karren gefallen, einen Vater, der einen Eid getan, von welchem man glaubte, er sei falsch gewesen, Vatersbrüder, welche gröbelige Grusle seien, eine Schwester, welche ein unehelich Kind gehabt, einen Bruder, der geschieden sei usw., usw. Wo aber gar nichts Anzubringendes offen auf der Hand lag, was freilich nicht oft vorkam, da sagte Anni, gerade das scheue es am allermeisten. An allen Orten sei etwas, und wo man nichts wisse, da seien die Leute nur schlauer als die andern und hätten um so grössere Ursache, es zu verbergen, es sei gewöhnlich zehnmal schlimmer als das, was alle Leute wüssten.
Michel wurde ganz traurig, schlug auf den Tisch und fragte: «So soll ich denn keine haben!»
«Warum nicht!» sagte Anni, «ja freilich, aber nicht die erste beste, guet luege und sich wohl bsinne, hast ja selbst gesagt. Ihr habt sie da ums Haus herum zusammengelesen, und das gefällt mir nicht; nur keine aus der Nähe, sonst bist plaget alle Tage bis ins Grab. Du hast niemand nötig, welcher dir zweghilft mit Zug und Geld, Holz und Leuten; da ist ein Schwäher in der Nähe, der helfen kann, kommod. Nimmst du aber eine aus der Nähe, hast du das ganze Pack beständig vor der Türe. Hat der Schwäher was nötig, schickt er zum Tochtermann oder kommt und nimmt es ungefragt, und niemand sagt dir ein ‹Danke Gott!› dafür. Hat die Mutter was nötig, Geld, Anken, Schnitz, Fleisch, kurzum was es ist, muss es die Tochter geben und d'Sach wird dir verschleipft, du weisst nicht wie. Küchelt man einmal, und kriegt es das Pack in die Nase, so kommt die ganze Haushaltung mit Hund und Katze, frisst, dass sie sich binden müssen und denken: es tut's ihm wohl. Röstet man Kaffee, so ist ein Kind da mit einem Teller und sagt, Mutter habe keinen gerösteten, man solle ihr doch leihen; sobald sie röste, wolle sie ihn wiedergeben. Aber der muss gute Augen haben, der eine Bohne wiedersieht! Macht der Mann mal der Frau ein sauer Gesicht, läuft sie zur Mutter; weiss sie etwas nicht, läuft sie zur Mutter; soll sie was tun, das ihr zuwider ist, läuft sie zur Mutter; die kommt daher, ist gesotten und gebraten hier, und der Hof ist der ihre, d'Sach ist ihre und du hast so wenig mehr zu befehlen, als der Türlistock vor dem Hause. Selb wirst nicht wollen.»
«Selb nit», sagte Michel, «aber was machen?»
«Mi muess luege», sagte Anni, «gut nachfragen, wenn du es doch willst ghabt ha, man hat Gelegenheit genug dazu, es gibt immer Leute, welche man fragen kann.»
Es war Anni selbst nach und nach ernst mit der Sache geworden, seine Gedanken hatten eine Wendung gemacht. Es gibt Köpfe, deren Gedankengang einer verrosteten Türe gleicht. Wo diese steht, da steht sie; bringt man sie mit aller Gewalt einen Ruck weiter, so steht sie da wieder, bis eine neue Gewalttat sie noch weiter bringt. Zuweilen jedoch, durch die eigene Schwere gedrückt, fällt sie ins alte Rostloch zurück, aus dem man sie erst mit so grosser Mühe gehoben.
Nun hatte Anni bis dahin immer nur an seinen Micheli gedacht, gedacht, es gehe ihm so gut, besser nütze nichts, jede Veränderung brächte ihm nur Böseres, besonders eine Frau, so eine junge, wüste, tüfelsüchtige, wie man sie heutzutag habe, und die obendrein nichts verstände als zu brauchen, was ihr unter die Finger komme; das hielte Micheli nicht aus, es müsste ihn töten.
Nun aber hatte Sami ihm gesagt, es könnte ihns töten und zwar über Nacht; so wenig es an Michels Alter dache und sah, wie er zum Mann geworden, ebensowenig dachte es daran, wie ihm die Jahre zuwuchsen und es eine alte Frau geworden. Und wenn es nun über Nacht starb, wer sah dann zu Micheli, wer half ihm eine Frau suchen, wer dressierte und rangschierte sie, wenn sie einmal da war, bis sie ein manierlich Mönschli ward? Es kriegte ordentlich Hitz zur Sach und streckte seine zahlreichen Fühlfäden aus in alle Lande.
Anni stand weit umher bei vielen sogenannten untergebenen Leuten in grösserem Verkehr und Ansehen, als gar manche Bäuerin. Es war zwar nur Kindermutter, aber zugleich auch Verwalterin eines der schönsten Höfe, mit uneingeschränkten Vollmachten, und hatte Geld in den Händen, gerade so viel als ihm beliebte. Den kleinen Handel mit Eiern, Anken, Hühnern, Milch usw. betrieb es allein, nahm das Geld ein, schaffte an, was nötig war; was es übrig hatte, gab es Michel, und Michel nahm, was Anni gab, in unbedingtem Vertrauen. So gut in diesem Punkt hat's selten eine Bäuerin, geschweige denn eine Herrenfrau. Hühner- und Kachelträger, Tauben- und Garnhändler, Besenbinder, Scherenschleifer, Weckenweiber und Lumpensammler, Ankenhändler, Kesselflicker, Kachelhefter, Schweinborsten- und Federnsammler, Metzger, Müller, Hausierer mit Halstüchern, Schmöck- und Karmeliterwasser, Aarwangenbalsam und Tannzapfenöl und andern guten Dingen mehr gingen beständig ab und zu. So ein rechter Bauernhof ist eine unerschöpfliche Fundgrube von unzählbaren Herrlichkeiten und wahrscheinlich eine viel nachhaltigere als die Goldgruben von Kalifornien. Zu diesen allen kamen noch Bettler und Uebernächtler. Viel der obengenannten Herrschaften samt den Bettlern übernachten, sooft sie können, in Bauernhäusern und auf Höfen. Aber es wandern noch viele Leute durchs Land, welche gern Geld sparen, auf den Höfen um ein Nachtlager bitten. Sind sie einmal so an einem Orte über Nacht gewesen, so betrachten sie sich als Bekannte, als eingeführt, gleichsam als berechtigt, Gastfreundschaft zu fordern; kehren sie ein andermal wieder, sagt so einer getrost: «Gottwillche, bin auch wieder da; könnte ich wieder übernacht sein?» Die Uebernächtler hat man bald im warmen Stall, zuweilen auch in einem Bette, denn selbst hier ist Rangunterschied. Mit dem Nachtlager ist zumeist aber auch Abendessen und Frühstück verbunden.
Diese grosse Gastfreiheit kostet, hat indessen auch ihre Vorteile. Wenn ein Uebernächtler, sei er, von welcher Sorte er wolle, nicht ganz dumm ist, so sucht er die erhaltene Wohltat zu vergelten, indem er seinen Gastgebern kurze Zeit macht. Auf einsamen Höfen schleicht oft die Zeit gar langsam und einförmig dahin, besonders in langen Abenden dem Mannevolk, welches nicht spinnt, keine Stubenarbeit hat, wenn das morndrige Frühstück gerüstet ist, und dazu nicht lesen mag. Da ist so ein Mensch, der aus der Fremde oder nur aus einer andern Landesgegend kommt und was zu erzählen weiss, gar sehr willkommen. Die Dorfgeschichten vom Pfarrer, Schulmeister, Doktor, Gemeinderat usw. werden ausgetauscht, und wenn der Mensch aus der Fremde was zu erzählen weiss, ob wahr oder gelogen, so lebt die ganze Haushaltung wohl daran. Am Morgen heisst es dann: «Wir haben hinecht einen Uebernächtler gehabt, e tusigs e kurzwylige, der konnte brichten, man konnte nicht genug hören, er war aber auch weit umher, einmal auch in Frankreich und ein andermal im Aargau.» Das ist eine Seite. Die andere Seite ist die, dass man durch diese Leute allerlei Botschaften kann verrichten, Bescheid, Bestellungen machen lassen. Solche Leute stellen gar zu oft die Liebesboten vor. Man würde es ihnen gar nicht ansehen. Am kommodsten kann die Hausfrau ein vertrautes Wort mit solch einem Menschen reden, wenn sie ihn zum Frühstück ruft, nachdem die andern abgegessen haben; da ist die Stube leer und die Mitteilungen unbehorcht. Anni hatte also reiche Gelegenheit, Erkundigungen einzuziehen über alle Bauerntöchter im Unterland und Oberland, im ganzen Vaterland. Aber da stiess es wieder auf Schwierigkeiten, an welche es gar nicht gedacht. Aus triftigen Gründen, wie wir gesehen, wollte es keine Frau aus der Nähe, aber wiederum war ihm kein anderer Landesteil anständig, um darin eine Frau zu suchen; gegen jeden hatte es Vorurteile. Im Unterlande waren sie ihm zu grob und unreinlich, im Mittellande zu langsam und hochmütig, um Bern herum Dienstagsschleipfe und Märitbiggern, im Oberland zu faul und hoffärtig; da war guter Rat teuer. Eine Unzahl von Mädchen, womit man ganz Neuseeland samt Kalifornien hätte versehen können, fielen auf diese Weise aus und wurden gar nicht berücksichtigt. Eine andere Menge Mädchen, welche so gleichsam weder im Oberland noch Unterland, sondern auf zulässigem, neutralem Gebiete wohnten, wurden von den Berichterstattern, welche Annis Anforderungen nicht kannten, mit Rühmen ganz verpfuscht, sie wurden dargestellt, dass es Anni die Haare zu Berge stellte.
Von einer sagte man: das sei eine, das gebe eine rechte Bäuerin, die koche ganz allein, und es dünke einen, mit nichts, sie brauche gar nichts. Eier und Anken und deren Zeug könne die verkaufen wie nirgends, nur aus dieser Sache löse sie ein Sündengeld. Michel sei glücklich, wenn er die kriege, da könne er darauf zählen, dass ihm kein Brösmeli nebenausgehe und er ein schrecklich reicher Mann werde. Dann hiess es wieder: dort wäre eine Rechte, das gröbste Mannevolk tue ihr nicht die Schuhriemen auf, die scheue alles nicht, ins Wüsteste gehe sie voran, sei am Morgen zuerst und wecke die Knechte, am Abend zuletzt; wenn alles nieder sei, sehe sie noch zu Feuer und Licht, mache die Haushaltung allein, jage früh am Morgen auf das Feld hinaus, gehe dann auch noch nach, ja, führe den Pflug dem besten Bauern z'Trotz. Das sei eine, die könnte ausschwingen am Ostermontag zu Bern oder an der Lüdern Kilbi. Oder aber, man redete von einer: das sei doch das styfst und freinst Meitschi, das man weit und breit antreffe, das würde hier dem Hofe doch tusigs wohl anstehen. Es komme immer daher wie aus einem Druckli und sei doch ganz gemein, möge sich mit den ärmsten Leuten gmühen, könne mit einer alten Frau brichten ganze Stunden lang, es habe immer das schönste Maienzeug weit und breit. Man sage sogar, es könne neuis auf dem Klavier machen und tanzen dazu bsungerbar schön. Daneben rühre es nicht viel an, meine nicht, es müsse die Finger in allem haben und die Nase noch dazu. Es darf den Leuten etwas anvertrauen, und wie sie es machen, ist es ihm recht. Ja, die Leute haben es bsunderbar gut dort; wenn die Sache schon ihre wäre, sie könnten es nicht besser haben, rühmen sie.
Begreiflich kam man mit solchem Ruhm bei Anni übel an. Anni war eine Justemilieuanerin, es wollte weder eine, die alles machte, noch eine, die nichts machte, weder eine, die alles verkaufte, noch eine, die nichts verkaufte. Auf diese Weise zog sich die Sache in die Länge, es wollte sich Anni bei seiner Wunderlichkeit gar nichts anziehen, was ihm anständig gewesen wäre.
Endlich verlor Sami die Geduld und sagte: «Mutter, so geht dies bis z'Niemerlistag, du musst anders dran, vom blossen Brichten gibt es keinen Käs, du findest keine, wo alles ist, wie es dich düecht, dass es sein sollte. Vernimmst ein anständig Mensch von braven Leuten her, so muss man zusammen. Michel muss es selbst sehen, man muss ihm Bescheid machen, dass es an ein gnamtes Ort komme. Lue, Mutter, du bist nicht der lieb Gott und kannst zwegkarten, wie du es in deinem alten Kopf hast; du musst dem lieben Gott auch etwas überlassen, er hat es sonst ungern. Düecht es Michel, das Meitschi gefalle ihm, so kann man anhängen und luegen; düecht es ihn, er möge es nicht, so lässt man's fahren.»
«Gerade so», sagte Anni, «wird man angeschmiert, zähl drauf, Bub! Dass du doch immer witziger sein willst als d'Mutter! Hinter Wein und Bratis kann jede Gränne ein süsses Maul machen. Wenn man einem den Hals brav salbt, so ist es keine Kunst, holdselig und glatt zu reden, dass man meinen sollte, es pfeife ein Engel vom Himmel herab. Du musst ein Meitschi sehen am Morgen, wenn es aus dem Gaden kommt, am Sautrog, wenn es ihn ausputzt und das Fressen dreinschüttet, am Tisch, wie es die Erdäpfel schindet und isst, und was es für ein Maul dazu macht, ob es zum Schein isst und auf das Hinterstübli hoffet oder aus Hunger. Am Sonntag, wenn es z'Predigt geht, und meinethalb auch im Wirtshaus, wenn die Buben, einer am Fürtuch, einer am Kittel hanget und einer es bei der Hand schreisst. Lue, Sami, dann weisst, was es Meitschi ist, und was es cha!»
«Ja, Mutter, wenn's so ist, so machet Euch auf die Beine und gucket den Meitscheni nach am Sautrog und im Wirtshaus und hocket nicht da bei Euern alten Weibern hinter dem Ofen; Brichten ist noch lange nicht Gschauen.»
«Du bist ein Löhl», sagte Anni, «treibst das Gespött mit der Mutter, und das ist schlecht von dir, dass du es nur weisst!»
«Mutter, nit böse sein, aber d'Sach ist doch so. Wer will das Meitschi auf die Art, wie du sagst, gschaue, wo man keine Bekanntschaft hat?; und aus der Nähe willst ja keine. Mit der Bekanntschaft muss doch angefangen sein, und so mir nichts, dir nichts nachts einem Meitschi die Fenster einschlagen und brüllen: ›Wott yche, bi d'r Knubelbur!‹ selb wär doch wohl grob. Aber zähl druf, Mutter, das recht Gesicht, wo es daheim macht, kann man einem Meitschi auch hinter Wein und Bratis füre mache, wenn man es recht anfängt. Die Hauptsache ist die, dass man merke, ob ein Meitschi aufrichtig sei und gutmeinend, einem d'Sach gönnt und Verstand hat und z'brauche weiss. Brichte, wie man d'Sach will, kann man jeden Menschen, wo Verstand hat; das Gutmeinen aber kann man niemand einschütten wie einer Kuh ein Trank; wenn das fehlt, so fehlt's und d'Sach hat g'fehlt!»
«Wie meinst denn», fragte Anni, «dass man so einer das Gesicht fecken und das rechte füremache söll, wenn du doch witziger sein willst als die andern Leute?»
«He», sagte Sami, «da ist nichts leichter als dies. Michel muss recht wüst tun, fluchen und sonst donnern, das Fleisch an den Wänden herumtreiben und saufen wie eine Kuh bei verbranntem Emd. Da kann man gleich sehen, was die erleiden mag, ob sie es ihm gönnt, oder ob es eine Taubsüchtige ist und meint, es solle alles gehen nach ihrem Gring.»
Dagegen erhob sich Michel und zwar mit mehr Anstand als mancher Ratsherr, das heisst mit Verstand. Selb sei ihm doch nicht anständig, so den Unflat zu machen; wenn das Meitschi in einen Grausen käme, so wäre er ja schuld daran; wenn es aber seine Freude hätte am Wüsttun, so wüsste man erst noch nicht, wie man das auszulegen hätte. Es dünke ihn, es zeigte sich am besten, ob es geduldig sei und ihm Freude gönne, wenn er und Sami sagten, es düeche sie, sie möchten ein wenig kegeln, wenn es nichts dawider habe; und wenn es sage: ›Meinetwegen!‹, ein bis zwei Stunden miteinander machten, und das Meitschi sitzen liessen allein. Wäre es dann noch freundlich und manierlich, so könnte man ja sehen, dass es gutmeinend sei. – Michel wäre diese Probe natürlich sehr anständig gewesen, er liebte das Kegeln sehr, dabei konnte er seine grosse Kraft zeigen, und zwei Stunden Kegeln gingen ihm leichter als zwei Minuten mit einem Meitschi reden.
«Jawolle, ja, so muss man es machen, wenn man wissen will, was ein Meitschi für ein Herz hat! Ich bin eine Alte, aber wenn ich noch jung wäre und liesse mich bescheiden hiehin und dorthin, und der, welcher mich kommen heissen, liesse mich sitzen und kegelte, ich wartete nicht eine halbe Stunde, ich täte den Weg unter die Füsse nehmen und liefe heim. Warum nicht gar, da zwei Stunden in der Einsamkeit sitzen, die Zähne trocknen und sich auslachen lassen, das wäre ja mehr als am Halseisen stehen. Ihns düechte es, wenn es Michel wäre, so täte es anständig, aber vergeuden mit Aufwarten täte es nicht, sondern die Sache so wohlfeil als möglich machen, dawider kann kein Meitschi was haben, sondern es könne denken, es kriege keinen vertunlichen Mann und komme nicht um seine Sache. Ich liesse es bei einer halben Sechsbatzigen, für sechs Kreuzer Brot und einem Schnifeli Käs bewenden. Das ist für die Notdurft; wenn sie Michel kriegte, wäre das auch für d'Freud viel genug. Wenn sie dareinstimmte und bei der Sache vergnügt und zufrieden wäre, so hülf ich da anfangen Bekanntschaft machen und d'Sach besser untersuchen.»
«Aber, Mutter, das wäre ja getan, ein Besenbinder und Schwefelhölzler macht es stolzer; was müsste so eine denken, was Michel wäre und was Michel hätte? Anständig ist anständig! Warum nicht Kaffee und Erdäpfelrösti oder langes Kraut und blaue Milch?» sagte Sami; «das wäre eine lustige Aufwart, möchte nicht dabeisein, da kannst dann selbst mit, Mutter, auf deinen alten Beinen.»
Sami war der Unvermeidliche, den Michel immer mitnahm, wenn er drei Schritte aus der Dorfmark ging. Er war eine Art Dolmetsch bei allen Angelegenheiten, bei Lustbarkeiten und beim Kuhhandel; dass er ihn auf dem Weibersuchet begleiten musste, verstand sich ganz von selbst, so dass es durchaus nicht als Anmassung auszulegen ist, wenn Sami annahm, er werde dabeisein müssen. Er unterlag nicht Selbsttäuschungen, wie sie so manchem Vaterlandsfreund übers Haupt gewachsen sind. Michel hatte weder Aehnlichkeit mit Demosthenes noch mit Cicero, vielmehr mit einem morgenländischen Sultan, der bloss Gebärden macht und neben sich einen Dolmetsch hat. Michel war stolz wie einer und wieder schüchtern oder unbeholfen; es wohnen manchmal gar seltsame Dinge nebeneinander.
Es ist kein Narrenwerk, eine ordentliche Weiberprobe zu ersinnen, das erfuhren die drei; sie ist noch viel schwerer als eine Milchprobe für die Käsbauern, welche stichhält. Wer so eine erfinden täte, könnte in Zeiten, wo nicht Geldmangel ist und die Leute zu heiraten vermögen, in aller Kürze ein steinreicher Mann werden. Nun, den drei muss man es nachreden: sie liessen sich durch den ersten missratenen Versuch nicht abschrecken, sie sannen und sannen, wie schwer ihnen auch das Sinnen ging, bis sie die Rechte gefunden zu haben glaubten und alle drei in dem Glauben einig waren, wenn die nicht gut sei, so nütze alles Sinnen nichts, es gebe keine mehr. Nun pressierte es Anni selbst, die Probe zu probieren, von wegen, sagte es, Suchen sei nicht Finden, man könne vielleicht ein dutzendmal probieren, ehe man zur Rechten komme. Sobald Anni auf diesem Punkte angelangt war, war das Anstellen derartiger Konferenzen sehr leicht; sie sind eine Landessitte und eine sehr naturgemässe. Man bescheidet ein Mädchen, von welchem man gehört, mit welchem man Bekanntschaft machen möchte, weil sich da eine Heirat zu schicken scheint, an einen dritten Ort, redet miteinander, gschaut sich gegenseitig, und gefällt man sich nicht oder wird sonst des Handels nicht einig, so geht man kaltblütig und ohne alle Konsequenz auseinander. Diese Konferenzen werden zuweilen durch Verwandte, viel öfter aber durch eigene Liebesboten vermittelt, Schwefelhölzler, Kachelhefter, Schwammweiber, ehe die Zündhölzchen das solide Feuerzeug verdrängten, alte Mägde und sehr oft durch eigentliche Weiberhändler, von welchen merkwürdigen Gewerbsleuten an einem andern Orte weitläufiger die Rede sein wird. Es findet es also kein Mensch unanständig, wenn Bauerntöchter und selbst reiche und vornehme einer solchen Einladung Folge leisten. Nur muss der Ruf von einem rechten Bauernburschen kommen; käme er von einem Musterreuter zum Beispiel, und ginge sie, und es käme aus, ja dann wäre es schon ganz was anderes. In Städten sagt man, wenn davon die Rede ist, eine Tochter hätte Lust zu heiraten: «Pfi tusig! Wie mag die doch, die muss nicht alles sein!», wenn man Ursache hat, ihr so was nachzureden, das heisst, sie hätte Lust, zu heiraten. «Pfi tusig!» Es ist ungefähr so wie in England, wo in anständiger Gesellschaft kein Mensch das Wort Hosen aussprechen darf, und wo man doch seltsame Augen machen würde, wenn nicht alle Mannsbilder sich gehörig mit Hosen versehen hätten. Nun, auch auf dem Lande sagen sechszehn- bis siebzehnjährige Mädchen, wenn man ihnen vom Heiraten spricht: «Pfi Tüfel, wer möchte!» Es sei einer der ärgste Uflat als der ander, es gruse ihnen, wenn sie einen nur von weitem sehen müssten. Aber denen kommt es schon anders und zwar ohne Wallisbad, ganz naturgemäss. Steht die Zahl zwanzig im Rücken, da ändern sich die Redensarten, und nach und nach heisst es wohl: «Warum nicht! Wenn ich es gut machen könnte, wäre ich ja ein Narr, wenn ich es nicht täte; aber er müsste mir gefallen, e Freine und e Hübsche sy; so einen von der Gasse, e Fötzel oder e alte Gritti, selb nit, lieber ledig sterben!» Indessen nach und nach werden die Ausnahmen geringer und die Anforderungen milder, denn sein Lebtag nur Gotte oder Base sein, wird mit der Zeit doch ungemein langweilig. Es ist daher keiner Bauerntochter zu verargen, wenn sie in ebenrechtem Alter gern Bäuerin werden möchte. Erstlich kann eine Bauerntochter nichts naturgemässer werden als eine Bäuerin, aber zweitens auch nichts Schöneres. So eine rechte Bäuerin mit offenem Herzen und offener Hand, klarem Verstand, festem Willen und Uebung in allen Dingen ist eine wahre Majestät, eine Enkelin der Königin Bertha, welche vom Volk betrachtet wird mit Furcht und Liebe und gläubigem Vertrauen, dass sie helfen werde in jeder Not, Werdenden und Sterbenden eine wahrhaftige Helferin. So eine Bäuerin ist ganz was anderes als eine Königin, welche nichts anderes kann als den König angrännen und die Hofdamen schnauzen. Ja, sie ist ganz was anderes als nur so eine Base oder Gotte, deren Schicksal viel Aehnlichkeit hat mit dem einer Gans, mit dem Unterschiede jedoch, dass man eine Gans nur zweimal rupft im Jahre, die Base oder Gotte aber das ganze Jahr durch gerupft wird. So eine Bäuerin tritt in einen Kreis, in welchem die Mittel ihres wahren Lebenszweckes liegen. Wenn nun Hochgebildete und sogenannte Fortschrittler sich die Beine unten ablaufen, um schlechte Ratsherren zu werden, und man dies republikanisch, schön und edel findet, so ist es sicher noch republikanischer, schöner und edler und vaterlandsliebender, wenn Mädchen ebenfalls ihre Beine in Bewegung setzen und zwar nicht um schlechte Ratsherren, sondern um gute Bäuerinnen zu werden.