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Ein schmutziges, schwarzstrubes Mannli, welches mit Tannzapfenöl, Rekholderöl und anderen derartigen köstlichen Stoffen hausierte, kam öfters auf den Knubel und war Anni gar anständig; es tat bescheiden, wünschte ihm immer Gottes Glück und Segen, wenn es Abschied nahm, und fragte, ob es ein andermal wieder zusprechen dürfe? Es treffe es nirgends so an, landauf, landab. Dem klagte Anni einmal in einer vertrauten Stunde seine Not, wie Michel heiraten sollte und es ihm gehe; es müsse anfangen zu glauben, es laufe im ganzen Lande kein Meitschi mehr, das einen guten Blutstropfen im Leibe habe. Das Mannli sagte, es glaub's; es sei bös mit der jetzigen Welt, es sei kein Glaube mehr, nichts als Hoffart und neue Lehre: dass d'Sonne um d'Sterne umlauf und d'Welt o so, und dass es no meh Mönsche gäb als hie uf der Welt und einst in d'r Ewigkeit.
«Oeppis Dumms eso!» sagte Anni.
«Ja, nur an dem an kannst du sehen, wie es geht in der Welt», sagte das Mannli. «Ich bin froh, ich bin alt und brauche nicht lange mehr dabeizusein; wenn es noch lange währen sollte, müsste man ja am Grausen sterben. Daneben ist das der Trost, dass es immer auch noch rechte Leute gibt, bsunderbar so an Nebenausorten, wo d'r Tüfel no nit hicho isch. Da sind noch Meitscheni, wie sie ehemals waren, mit Stumphosen und kuderigen Hemlistöcken. Ich muss meine Sachen so kümmerlich zusammenlesen in den Wäldern und Krachen, wo ganz ab der Welt sind und das ganze Jahr keine sterbliche Seele hinkommt; da sind noch Leute, wie man sie zu keinen Zeiten bräver fand, wo an Gott glauben und den Teufel fürchten.»
«So!» sagte Anni, «sind da noch rechte Leute? Gottlob! Denen werden wir es zu verdanken haben, dass Gott den Menschen nicht alles verhagelt und verblitzt. Aber das werden nur so arme Leute sein, Besenbinder, Tuftmannleni und Heubeeriweiber und der Gattig Leute, welche unsern Herrgott nötig haben fürs täglich Brot?»
«Allweg der grösste Teil», antwortete der Alte, «von wegen wer reich ist, der sonnet sein Geld gerne, und deretwegen treibt es ihn dahin, wo die Sonne den ganzen Tag scheinet. Aber es gibt andere doch auch, potz Türk! wo grosses Vermögen halten und schön leben können; aber sie lieben die Welt nicht, haben sich lieber still an einem Nebenausort, wo sie können beten und essen, wie und was sie wollen, ohne dass ihnen alle Augenblicke jemand, den es nichts angeht, das Maul dreinhängt und befehlen will.»
«So!» sagte Anni, «gibt es deren Leute auch noch? Hatte geglaubt, die wären längst ausgestorben und die Welt wäre gleich bis z'hingerst, wo es dann gerade runtergeht in die Hölle, und bis z'oberst auf den höchsten Schneeberg hinauf. Nun, das werden so alte Leute sein, so mit dem einen Bein im Grab, mit dem andern im Himmel; Meitscheni werden die keine mehr haben, welche man heiraten könnte und mit Freuden.»
«Warum nicht?» sagte das Mannli. «Es gibt sie mit und ohne Meitscheni, wie es ja Bäume gibt mit und ohne Mistelen, und Tannen mit und ohne Tannzapfen, doch haben der mehrer Teil Tannzapfen. Gottlob! Warum fragst? Meinst, wo Meitscheni seien, da finde der Teufel das Töri offen?»
«He, allweg tun es ihm die eher auf als alte Leute», antwortete Anni. «Aber ich meine eigentlich, ab wohl so an einem Ort eine wäre für Michel, e Bravi, e Frommi u notti kei Dummi, eine Eingezogene und die doch wüsste Bescheid zu geben, es mit Gott und Menschen gut meinte und Vieh und Diensten gönnte, wie es recht wäre, und wie man es hier im Brauch hat?»
Das Mannli schoss begreiflich nicht sogleich zweg wie ein Fuchs, der auf einen Hasen gelauert, sondern tat sehr verwundert, dass Michel noch keine hätte; er brauche ja nur den kleinen Finger zum Fenster hinauszustrecken, so hingen ihm zehne dran, meinte er.
Anni sprach des weitern vom sündhaften Weibervolk, und wie schlimm es Michel bei seinen Versuchen gegangen, was das für Menscher gewesen seien ohne Religion und ohne Verstand, wenn man die näher untersucht, welche man am allermeisten gerühmt hätte.
Unter dem Vorwand, es möchte erst recht wissen, wie man eine wolle, von wegen es wisse wohl, wenn es fehle, habe man schlechten Dank, fragte das Mannli noch allerlei; aber was es eigentlich wollte, den rechten Punkt, brachte es doch nicht heraus.
Anni blieb bei dem, was es anfangs schon gesagt, eine Fromme und Treue, welche bete und Menschen und Vieh es gönne, und von rechten Leuten her; apart reich brauchte sie nicht zu sein.
Es wüsste eine, sagte endlich das Mannli, wo ihn düeche, sie passe nicht übel, darneben wolle es gar nichts gesagt haben; wenn es Michel dann wieder so ginge, so möchte es nicht schuld sein. Er müsse was Eigenes an sich haben, was es nicht kenne, dass es ihm allemal so gehe; darum, wie gesagt, es wolle lieber nichts sagen, so verfehle es sich nicht. Das ist keine dumme Manier, seine Hände in Unschuld zu waschen. «Nun», sagte es endlich, als Anni immer hitziger in ihn drang, «wenn du es g'hebt haben willst, warum nicht, so will ich es dir sagen; kannst ja immer daraus machen, was du willst: es ist eine Küherstochter.»
«Was?» sagte Anni, «eine Küherstochter! Von denen habe ich immer gehört, sie täten nicht gut im Bauernstand, seien nichts nutz zur Arbeit, verstünden nichts von der Haushaltig, könnten nichts als Nidle fressen, schwingen mit den Knechten und allfällig auch melken, wenn sie nicht zu faul würden dazu.»
«Nit, nit!» sagte das Mannli. «Selb ist doch nicht so; ich komme viel auf den Bergen herum und kenne das Volk auch, das ist besser, als man glaubt, und vom rechten Glauben findet man dort mehr als in den Dörfern. Wenn etwa die eine oder die andere bös ausfällt, muss man nicht gleich alle in ein Band zusammenbinden. Die, wo ich meine, kühert auch nicht mehr; der Vater ist gestorben, der Bruder fährt z'Alp; sie wohnt bei ihrer Mutter im Milchmusgraben, wo sie ein Heimet haben, kein grosses, so um genug zu arbeiten und zu essen zu haben. Die Tocher macht d'Sach meist, d'Mutter ist alt, aber noch scharf und befiehlt, und d'Tochter macht, was die Mutter sagt; kein bös Wort habe ich sie der Mutter je geben hören, und tät sie's, ich glaube, die Alte haute ihr aufs Maul, und die Tochter nähme es an, wenn sie schon eine ist, wo nicht bald ein Mannevolk fürchtete. Es wäre gerade eine für Michel der Postur nach, braver hast noch keine gesehen, und ein Gesicht hat sie, schöner kann man es nicht malen, ganz wie Milch und Blut; eine Säumutter ist sie, es mag ihr keine Luzernerin nach. Aber sie bleibt auch daheim, rennt nicht wie läufig jeder Lustbarkeit nach, und es ist noch die Frage, ob man sie an einen Ort hinbrächte; sie hat bis dahin dem Mannevolk gar nichts nachgefragt, und wenn einer kam, ferggerte sie ihn kurz ab. Es möge nichts mit dem Zeug zu tun haben, es gruse ihm drob, hat das Meitschi manchmal gesagt, dass ich es selbst gehört. Indessen ist den Meitschene nie recht zu trauen; es ist ihnen manchmal ganz anders, als sie d'rglyche tun, und die, welche getan wie jung, wild Katzen, werden oft ungsinnet so zahm wie Katzen, welche man ihr Lebtag gepantscht.»
Die Sache gefiel Anni. Man könnte allweg probieren, meinte es; gerate es, wohl und gut; sei nichts damit, nun, in Gottes Namen, so sei d'Sach am gleichen Ort, und man müsse anders dranhin. Das versalbte Oelmannli liess sich endlich herbei und versprach, den Liebesboten zu machen, nachdem Anni ihm versprochen hatte, es ihm nie nachzutragen, es möge gehen wie es wolle, gehe es aber gut, ihm gehörig daran zu denken.
Alsbald wanderte der seltsame Liebesbote dem Milchmusgraben zu. Dieser Milchmusgraben ist ein freundlich, enges Tälchen, hoch in den Bergen oben, eine Art von Rinne zwischen zwei Alpen. Vor Winden geschützt ist's mild und lieblich dort; der Baumwuchs ist noch nicht verkrüppelt, mächtige Birnbäume breiten ihre schirmenden Aeste über die Dächer aus. Dort, in einem saubern Haus, wohnte die Küherin. Die hellen Fenster glitzerten und glühten eben in der Abendsonne, als unser Oelmännchen dort ankam; es war wohl bekannt dort, seine Bitte um ein Nachtlager ward ihm gerne gewährt. In dieser Abgeschiedenheit sind solche Besuche, wie schon gesagt, sehr willkommen; sie sind die lebendigen Zeitungen, man vernimmt doch auch, was in der Welt vorgeht, irgendein grosses Unglück, ein grobes Verbrechen oder eine lächerliche Geschichte, welche das nächste Jahr im Kalender erscheinen werde.
Die Tochter hausierte draussen herum, während die Mutter zum Mannli sich setzte, das Abendessen rüstend. Die Mutter gehörte unter die tapfern Weiber, welche sich mit der Welt herumschlagen unbesiegt, welche weder Kopf noch Mut verlieren, es mag an sie kommen, was da will, Gutes und Böses, welche nie unschlüssig gute Gelegenheiten vorüberlassen oder aus Behaglichkeit und Angewöhnung Altes behalten und Neues, Besseres von sich stossen. Es gibt solche tapfere, praktische Weiber in allen Ständen und gewöhnlich bleiben sie tapfer und praktisch bis ins höchste Alter. Nachdem es ihr Bericht erstattet hatte über die Vorfallenheiten in den Dörfern, wo die Küherin früher gewintert, und daher begierigst forschte nach dem Schicksale der Bäuerinnen, mit welchen sie in Freundschaft, und noch mehr nach deren, mit denen sie in Feindschaft gelebt (es ist sehr merkwürdig, wie eine Küherin eine Bäuerin und eine Bäuerin eine Küherin taxieren, und mit welchen Augen sie sich gegenseitig messen, doch davon ein andermal), sagte es, es düechi ihn, Mareili sei allemal schöner, wenn er komme; es nehme ihn nur wunder, dass es nicht längst einen Mann habe. Natürlich sagte die Mutter, es hätte nur am Willen und nicht am Können gefehlt; Ursach zu pressieren, hätte es nicht, es sei ihm noch lange wohl so, und wenn's ihm anders komme, so finde es immer noch einen, dafür brauche sie nicht Kummer zu haben.
Sie habe recht, sagte das Oelmannli; es hätte es auch so. Ans Meitschi sei sie gewöhnt und habe Freude, wenn sie dasselbe von weitem sehe; wenn es fort wäre, das Leben freute sie nicht mehr, sie hätte eine Längiziti, sie stünde es nicht aus.
Oh, sagte die Küherin, wegen selbem sei es ihr nicht. Man müsse sich in alles schicken in der Welt, und wenn das Meitschi heiraten wolle und seine Sache gut machen könne, sei sie die letzte, welche es ihm wehren wollte; sei es ihm hier erleidet, könne es an einen andern Ort hin; es sei nicht, dass sie meine, die Sonne scheine nur an einem Orte. Dumm sei es, wenn eine Mutter meine, die Tochter solle ihretwegen nicht heiraten; die Mutter sei ja übernächtig; wenn sie ungsinnet sterbe, was sie dann der Tochter helfen könne, und was die dann anfangen solle?
Nachdem das Mannli diese Gesinnung verdientermassen gerühmt und gesagt, nicht unter Hunderten denke eine so gegen ihre Kinder, rückte es allmählich mit seinem Auftrag hervor. He nun so dann, wenn sie so denke, sagte es, so wolle es ihr was sagen. Wenn es hätte merken können, dass es ihr im geringsten zuwider wäre, nicht mit zehn Rossen hätte man ein Wörtchen von ihm herausgebracht. Warum gute Leute böse machen, selb wär ja dumm. Nun rückte es heraus mit Annis Auftrag, wie es ihn zwar ungern übernommen, denn es wisse, wie es einem bei solchen Sachen gehen könne, und welchen Dank man zumeist davon habe. Daneben hätte es gedacht, so weit könne es sich doch nicht verfehlen, wenn es mit der Wahrheit umgehe, nichts dazu- und nichts davontäte und es nicht mache wie die Weiberhändler, welche lögen, dass die Schwarten krachten, und hintendrein, wenn beide auch so recht angeschmiert seien, sich den Hals voll lachten. Es müsse sagen, wie es ihm sei; es wolle nicht z'Best geredet haben, aber es möchte Mareili das Glück gönnen; besser mache es es sein Lebtag nicht als mit dem Knubelbauer, sowohl wegem Vermögen, als wegen der Person. Nun setzte es Michels Herrlichkeiten auseinander. «Warum hat so einer nicht längst eine Frau?» fragte die Küherin, «muss er da eine zuhinderst in den Bergen suchen? Da muss was nicht richtig sein; lass sehn, gib die Karten füre und use mit der Wahrheit; du weisst, ich verstehe nicht Spass.»
«He sieh, d'Sach ist die!» antwortete der Alte. Nun erzählte er ziemlich wahrhaftig, wie es sich verhalte, sagte namentlich die Gründe heraus, warum Anni keine aus der Nähe wolle.
Darüber lachte die Küherin. Die Alte sei nicht dumm, sagte sie, die könnte ihr gefallen; aber sie werde wahrscheinlich nicht saubere Finger haben, und der Hauptgrund werde der sein, dass sie die am meisten scheue, welche ihr am längsten ins Spiel gesehen.
Da vertrat das Mannli Anni ehrlich und sagte, unter Hunderten hätte nicht eine so gehandelt, und ehe es Michel einen Kreuzer veruntreute, würde es lieber Sami, seinem eigenen Sohn, stehlen, was er hätte, und es Michel anhängen. Es sage immer, es habe es dessen Mutter auf dem Totenbette versprochen, zu ihm zu sehen wie zum eigenen Kinde, und das wolle es halten; wie sollte es sonst an den Tod denken und was Michelis Mutter antworten, wenn sie ihns frage: «Und Anni, wie hest m'r zu Micheli gluegt?»
Das sei gut für Micheli, sagte die Küherin, aber könnte dest böser sein für eine junge Frau; die Alte werde meinen, sie wolle Bäuerin bleiben, die junge Frau sollte Hund sein, darum werde keine anbeissen wollen.
Nicht einmal, sagte das Mannli; Anni sei gar nicht bös, und wenn eine Micheli flattiere, gehörig zu ihm sehe und nicht alles auf einmal anders wolle, sondern bei Anni zu Rat ginge und ihns noch etwas Meister liesse, was es eigentlich auch verdiene, so glaube es, eine junge Frau hätte die besten Händel.
«Aber warum wollte ihn denn keine, etwas muss ihnen doch im Weg gewesen sein?» fragte die Alte.
Das wisse es nicht, antwortete das Mannli; etwas sei da, aber was, darüber hätte es noch nicht kommen können. D'Sach werde beidweg erzählt: Michel sage, es sei ihm bis dato keine anständig gewesen, und die Mädchen behaupteten, einen solchen Uflat hätten sie nicht mögen, fast lieber d'r Tüfel. Was an der Sache sei, wisse es nicht; Michel habe ein gutes Herz, aber ein Grober sei er – «und von Höflichkeit und Dyri-Därimachen wird er nicht viel wissen, und das werden die Meitschi nicht verstanden, sondern wüst getan haben, wie so junge Meitscheni es im Brauch haben, wenn einer ihnen nicht gleich flattiert, wie es ihnen am liebsten ist. D'Sach wird auf gar mängerlei Art brichtet und d'rby bin i nie gsy, sust wett ihs scho wüsse.»
«Hör du», sagte die Küherin, «d'Sach gfallt m'r so übel nit; aber was d'Marei d'rzue seit, weiss ich nicht. Mir war lieber ein Küher gewesen, ich sag's offen, als so ein missvergnügt Bäuerlein, welches den Kümi spaltet, balget statt betet und den ganzen Tag ein Gesicht macht, wo die Kühe von der Milch kämen auf den Bergen, wenn sie es alle Tage sehen müssten. Aber wenn der Bursch ist, wie du sagst, so ist es nicht so einer, und eine Frau kann's gut haben bei ihm. Ich hätte ihn zwar nicht genommen, d's Lebe auf den Bergen ist doch ganz anders als in den Kerkern da unten und d's Jauchzen auf den Weiden lustiger als Furchen hacken oder Kraut rüsten. Aber d's Meitschi ist sich des Lebens da oben weniger gewöhnt als ich; es kann's machen, wie es will, und wie es es macht, so hat's es. Doch das glaub nicht, dass es dir an einen Ort express deretwegen hinkommt, das tut es sein Lebtag nicht, und wenn es damit die schönste Alp verdienen könnte.»
«Aber wie machen dann?» fragte das Mannli.
«He, weisst was!» sagte die Frau. «In vierzehn Tagen ist Hutwylmarkt, dorthin wollen wir mit jungen Schweinen, wir haben deren einen ganzen Stall voll. Bei «Möhren» stellen wir ein; wenn wir verkauft haben und eingekramt, was nötig ist, werden wir allweg dort essen. Ist dem Bursch was an der Sache gelegen, so kann er dorthin kommen; es gibt weniger zu reden, und können doch einander gschauen, so weit es nötig ist. Das wird sich gleich erzeigen, ob's einander anzieht oder nicht.»
Das gefalle ihm, sagte das Mannli; so komme es am besten, es glaube es selbst. Es könne diesen Abend schon um die Stauden schlagen und brichten, wie der Knubelbauer einer sei und wie er's habe, damit das Meitschi gleich wisse, mit wem es zu tun habe, und sich darnach einrichten könne.
«Mach, was du willst!» sagte die Mutter; «aber darauf zähl; merkt Marei, dass es ein abgeredet Spiel ist, so tut es wüst, kommt entweder nicht oder gschirret aus, dass es keine Art hat. Es ist ein gutes Meitschi, aber ein handliches, wenn es abkommt; ich wollte dann lieber nicht dabeisein.»
Als Mareili draussen fertig war, sass es auch drinnen ab, es hörte auch gerne brichten aus der Welt herauf. Es war ein prächtig Meitschi, aber in der Tat, in seine Hände passte ein Morgenstern besser als eine Nähnadel; Kühnheit sass ihm auf der Stirne, dass man damit einen ganzen Rudel von verlaufenen Doktoren und Professoren hätte versehen können. Das Oelmannli machte seine Sache nicht schlecht, sondern ganz unverfänglich: es brichtete von allem, was den Leuten z'reden gebe da unten, und so kam es ganz natürlich auf Michel und seine Geschichten, und wie es nicht begreifen könne, wie das zugehe, dass sich immer alles zerschlage. Es könne zuletzt nichts anderes glauben, als es sei Hexenwerk dahinter; ein Meitschi, es möchte für eins sein, was es wollte, könnte es sicher nirgends besser machen als mit Micheli. Mareili hatte grossen Spass bei den Geschichten, sagte, es möchte den doch mal selbsten sehn, es nehme ihns wunder, ob er Hörner habe, dass ihn keine wolle, und gab auf diese Weise selbst Gelegenheit, dass das Mannli sich des nähern über ihn auslassen und länger bei ihm verweilen konnte.
Am folgenden Morgen nahm das Mannli dankend Abschied und wollte als Zeche etwas Tannzapfenöl da lassen. Als man es ablehnte, weil man noch vorrätiges habe, sagte es, so wolle es das nächste Mal, wo es sie auf einem Markte, oder wo es sei, antreffe, eine Halbe zahlen, wenn sie sich seiner nicht verschämten.
«Red nit z'lut», sagte Mareili, «wenn es dir nicht ernst ist; du könntest reuig werden.»
«Willst kommen?» sagte das Mannli und hielt die Hand dar.
«Allweg, wenn du mich heissest!» sagte Mareili und schlug ein. «Aber eins vorbehalten: die Halbe muss besser sein als deine Tannzapfenrustig, Zehnbatzigen, hörst!»
«Es sei, kannst selbst befehlen, wie du es haben willst!»
«Gut so», sagte Mareili, «es gilt; komm auf Huttwyl in vierzehn Tagen, und wenn du ordentlich tust und brav zahlst, tanz ich noch einen mit dir.»
«Und kann dann mit dir heim?» fragte der Alte mit Lachen.
«Warum nit?» sagte Mareili. «Für alt Vögel hat man immer ein Nest, allweg; wenn wir die Schweine verkauft, ist dann der Stall leer!«
Und verschwunden war Mareili in der Tür.
«Das ist mir eins! Es nimmt mich wunder, wie das geht», brummte das Mannli, schritt fürbass und gab seinen Bericht auf dem Knubel ab. Michel sagte, er habe den Glauben, diesmal gebe es was, es gehe nicht z'leerem ab. Kosten zu haben und d's Gspött obendrein, erleide ihm, zuletzt wollte er lieber zum Bonaparte; dort wolle er ihnen das Lachen schon vertreiben, solange er sich rühren könne, und könne er sich nicht mehr rühren, so könnten sie seinethalben lachen oder nicht lachen, was fragte er dem mehr darnach! So an einer rechten Küherin hätte er noch Freude, die müsste ihn z'grechtem lehren schwingen, er wollte sie dann brichten, wie man fäle (ringe).
Wie es an einem Huttwylmärit geht, kann sich jedermann denken, der schon auf einem andern Markte gewesen ist. Ach, du meine Güte, was so an einem Markte und besonders an einem Huttwylmarkt, wo Aargauer und Luzerner in Haufen kommen und ganz besonders die Schweinehändler zahlreich vertreten sind, geredet, geschwatzt, geschnattert, geflucht wird! Wer die Worte zählen müsste, welche zu allen Mäulern auf dem Geissen- und Schafmärit, Kuh- und Schweinemärit in allen Gassen und allen Kneipen flüssig werden und zutage kommen! Oder wenn sie alle einen Leib und Federn kriegten, zu Krähen, Elstern, Spatzen würden, den Leuten über die Köpfe stiegen und herumflatterten über den Märit, was das für eine Wolke geben müsste! Dagegen wäre eine Wolke von Heuschrecken ein Kinderspiel; da könnte man Sonne, Mond und Sternen Adieu sagen für immerdar, da bräche kein Lichtstrahl mehr durch in alle Ewigkeit. Oder es würden als schwarze Krähen oder gespregelte Elstern jedem seine Worte, welche er gesprochen, nachflattern nach Hause, ein geflügeltes Geleite, so gleichsam eine selbstgemachte Leibgarde – Blitz und Blau! Wie kämen da die Schweinehändler zum Beispiel heim mit einer schwarzen Leibwache, mit einer grossen Wolke! Das wäre ein Luegen, diese grossen, schwarzen geflügelten Wolken, sich wälzend durch die Strassen, und mittendrin, so gleichsam als Kern, ein Schweine- oder anderer Händler! Es würde eine merkwürdige Welt abgeben, wenn es so mit allen Worten ginge, dass sie Flügel und Federn kriegten und zum Geleite ihrer Schöpfer würden. Ach Frankfurt, du arme Stadt, du mit dem langen Parlamente, welches das Reden für ganz Deutschland verdinget hat, und Reden fliessen lässt Tag und Nacht, o Frankfurt, du arme Stadt, dann könntest du dem Lichte adieu sagen für immer, und mit dem Gaslicht wäre es auch aus, weil keine Luft mehr wäre, da würde es düster werden im hellen Frankfurt. Da wäre viel in Oel zu machen, vielleicht dass in diesem Geschäft die meisten Frankfurter sich trösten könnten.
Unser Mannli, welches eben in Oel machte, steckelte begreiflich aus irgendeinem der grossen Tannenwälder hervor auf Huttwyl zu. Doch nicht schwarzgrau und versalbet, wie es hausieren ging, sondern ordentlich gewaschen und gekleidet wie ein anderer Mensch. Es wusste wohl, mit Hausieren schaffte es an einem Märit nicht viel; die geputzten Leute lieben ein Oelmannli im Gedränge nicht, denn eine Berührung mit ihm hat unangenehme Folgen, noch viel weniger kaufen sie an einem solchen Tage seine Handelsartikel. Ein Fläschchen Tannzapfenöl oder anderes der Art stösst niemand gerne in die Tasche, es könnte zerdrückt werden, und da wären die Folgen ebenfalls nicht angenehm. Wer das Mannli nur in seinem Handwerkskleid gesehen, hätte es heute kaum wieder erkannt. Es ist gewöhnlich ein Unterschied zwischen einem gewaschenen und einem ungewaschenen Menschen; an diesem Mannli war er besonders auffallend. Das wichtige Geschäft, welches seiner wartete, welches es eingeleitet hatte, gab ihm ein Selbstbewusstsein, welches fast wie Kühnheit aussah. «Ich bin der Mann, der das getan!» drückte sich in seinen Mienen und allen Bewegungen aus.
Es war noch früh am Tage. Stunden mussten verrinnen, ehe sein Geschäft anging; aber es machte ihm keinen Kummer, wie die Zeit verbringen. So ein Mannli hat erstlich eine Geduld, zäh wie Handschuhleder; zweitens hat es gar viele Bekannte und mit allen etwas zu reden, sie zu fragen, abzureden, Aussichten zu eröffnen; drittens hat es für alles Augen und Ohren, ihns interessiert alles, was auf einem Markte getan, gesprochen, gehandelt wird. Es hat es akkurat wie ein Lumpensammler in Paris: es sammelt alles mögliche, es ist jede Sache für etwas gut. Es sieht sich die Pferde an, dem Handel zu, obgleich es sein Lebtag nie ein Ross gehabt und nie eins haben wird. Aber es ist ihm schon manchmal bequem geworden, wenn es einem Bauer Auskunft geben konnte, wie es um die Pferde gegangen, oder ihm sagen konnte: «Dort und dort steht ein Ross, ich glaube, das wäre für dich; der Mann hatte es auf dem letzten Markte, aber es wollte ihm nichts gelten; ich glaube, es wäre ihm grusam feil!» Es konnte, an seinen langen Stock gelehnt, eine halbe Stunde hinter ihm ganz unbekannten Leuten stehn und ihrem Gespräch ablosen. Es wusste anfangs nicht, warum; aber es sah es den Leuten an, dass sie miteinander was reden wollten, welches sie für wichtig hielten, und des unbekannten Mannlis achteten sie sich wenig. Im Verlauf des Gespräches kam es darüber, wer sie waren, und hatte schon oft Notizen aufgeschnappt, die ihm soviel wert waren als der beste Handel. Es stand an den Krämerständen von allen Sorten, sah zu, wer kaufte und was, und merkte sich die Preise von allen Waren. Es war auf dem ganzen Markte nicht mancher, der über alles besser Auskunft geben und sicherer raten konnte, als dieses Mannli. Von einer solchen besonnenen Aufmerksamkeit haben viele Leute keinen Begriff; ja, es gibt viele Leute, welche ihr Lebtag durch die Welt gehen, als hätten sie weder Augen noch Ohren noch eine Nase zum Riechen, eine total erschlaffte, tote Auffassungskraft; sie mögen kommen, woher sie wollen, sie wissen nichts, haben nichts gesehen, nichts gehört, können höchstens sagen, was sie gegessen und getrunken; was für Kleider der angehabt und welche diese. Das sind traurige Leute, haben aber auch gewöhnlich grausame Langeweile, auf welsch sagt man, sie seien blasiert. Es sind gewöhnlich Leute, die sich für nichts interessieren als für ihre eigene Person, und da diese sehr langweilig ist, so müssen sie Langeweile haben, ganz begreiflich.
So hatte das Mannli bereits viel Zeit verbraucht, ehe es auf den Säumärit kam, um nachzusehen, ob seine Kühersleute samt ihren Faselschweinen eingerückt seien. Sie waren richtig da und hatten sechs sackers schöne Schweine, langgezogen und doch heruntergewachsen, mit geringelten Schwänzen und glattem Haar und bsunderbar schönen Ohren, auf welche bei den Schweinen viel mehr gesehen wird als auf die Augen. Bei Schweinen legt man auf den Ausdruck kein grosses Gewicht. Sie hatten Kauf, es war ein ordentlich Gedränge um sie; ob eigentlich bloss der Schweine wegen, wissen wir nicht, können aber vermuten, Mutter und Tochter hätten manchem mehr in die Augen geschienen. Die Mutter war eine stattliche Frau, so für einen alten Gritti von Witlig mehr als gut, und die Tochter ein gewaltig schönes Mädchen, von denen eins, wo man unwillkürlich stehen bleibt, wenn sie einem unter die Augen kommen – diese Exemplare sind selten.
Das Mannli besah die Sachlage, hütete sich aber wohl, sich vorzudrängen und in den Handel hineinzufallen. Es sah, wie beide ihren Vorteil wohl verstanden, die Preise sehr hoch hielten; sie wussten wohl, dass man sie mit ihren schlanken und blanken Schweinen nicht heimziehen liess. Es dachte, die treffe es in einer guten Weile noch da an; es müsse doch nach Michel sich umsehen, ob der eingerückt sei oder die Sache vertrampelt habe. Fand es ihn, so gedachte es denselben so zu postieren bei «Möhren», dass, wenn es mit dem Weibervolk nachkäme, um die versprochene Halbe zu zahlen, er Platz bei ihnen finde. Das war nicht so leicht zu machen, wie es scheinen möchte, wenn man weiss, wie das an Jahrmärkten sich drängt und einbisst (einkeilt), wo man erst kaum ein Bein über eine Bank bringen kann, und drängt und drückt, bis endlich der ganze Leib sich hineingeschoben, akkurat wie ein Keil in hartes Holz. Bäri, Michel und Sami waren der Art von Geschöpfen, welche sich weder drängen noch klemmen liessen, aber Platz versperren konnten für sechse, ohne dass man viel merkte, noch viel weniger jemand Lust bekam, sie zusammenzuschieben. Aber, wie es lief, und wie es suchte, seinen Michel fand es nicht; er war bei «Möhren» nicht, bei der «Sonne» nicht, auf dem Rathaus nicht, im «Bädli» nicht, nicht auf dem Ross-, nicht auf dem Kuhmärit, kein Mensch wollte so einen gesehen haben. Plötzlich ging dem Mannli ein Licht auf: «Da Löhl, der kegelt an einem Ort, und wenn der mal dabei ist, so weiss er nicht mehr, wo er ist, und man bringt ihn nicht mehr davon weg.» Es dachte den Michel schon halb gefunden; es lief von Kegelbahn zu Kegelbahn, aber Michel war nirgends, und schon ging's auf zwölfe.
«Nein», dachte es, «wenn der Lappi nicht will, so hat er gehabt!» und steuerte wieder dem Säumärit zu, um sich zu zeigen und seine Verbindlichkeit zu lösen, damit sie nicht Ursache hätten, über ihn zu zürnen; denn versprochen sei versprochen. Dass die reiche Küherin und ihre schöne Tochter sich von ihm eine Flasche zahlen liessen, daran hatte es keinen Zweifel; es wusste, dass, wenn Mutter oder Tochter nicht gleich kommen wollte, die andere sagen würde: «Komm, er hätte es sonst ungern, er könnte meinen, man verschämte sich seiner, und wegen der Kosten hat man sich nicht zu schinieren, die kann man ja mehr als gut machen.» Darin liegt ein viel feineres Gefühl und grösseres Wohlwollen, als wenn sie sich geweigert und eine gesagt hätte: «Pfi Tüfel, wie magst mit einem solchen armen Mannli gehen und ihm Wein abtrinken, der hat sein Geld anders zu gebrauchen!» Im ersten Benehmen liegt eine Bindekraft, welche die Stände nicht so weit hätte auseinandergehen und sich feindselig gegenüberstellen lassen, wenn sie sich öfters fände.
Auf dem Säumärit ging's noch immer lebhaft zu; längst wäre die Sonne verschwunden und rabenschwarz es dort geworden, wenn jedes Wort zu einer Krähe oder gar einem Storch geraten wäre. Die Schweinehändler waren heiser geworden, die Schweine grunzten und quikten vor Hunger; man konnte beider Stimmen fast nicht mehr unterscheiden, so ähnlich klangen die quikenden und die heisern Töne. Dass sein Weibervolk noch am Platze sei, merkte es von ferne am Gedränge; es schob sich durch, denn es hielt es jetzt an der Zeit, sich zu zeigen. Als es in die vordern Glieder kam, unter einem Arm durch einen Blick tun konnte, da ging ihm das Maul vor Erstaunen sperrangelweit auf, und die Beine standen still, ganz steif, denn drinnen sah er Michel stehen und der Küherin harte Taler auf die Hand zählen und hörte ihn sagen: «Das wär's, und wenn die Mass noch zahlt ist, so wären wir richtig!»
«Ja, und dem Meitschi einen Zehnbätzler Trinkgeld!» sagte die Mutter.
«Den muss es haben», sagte Michel.
«Lue mir auch», sagte das Mannli für sich, «was dem nicht in Sinn gekommen! Der ist gescheiter, als man ihn dafür ansieht; hat der mal die Säue auf dem Knubel, kommt ihm das Meitschi noch einmal so lieb nach, von wegen es zieht ihns, es hat ein Herz zu den Säuen wie nicht bald eins.» Es brach vollends durch, stellte sich vor, tat sehr verwundert, Michel da zu finden, erklärte sich bereit, die versprochene Flasche zu zahlen. Die Mutter hatte ihm zugeblickt, sobald sie ihn sah, das Mädchen aber schäkerte mit ihm: sie bedürften jetzt seines Weines nicht, sie hätten jetzt selbst; wär's ihm ernst gewesen, es wäre früher gekommen und nicht erst jetzt, wo es gehört, dass sie Weinkauf gemacht hätten. Sie werden nicht soviel gemacht haben, dass sie seinen nicht auch noch möchten; allweg komme es mit und wolle nachbessern, wenn sie mit dem andern fertig seien, sagte das Mannli.
«Mach's!» sagte das Meitschi, «aber sag mir erst, wer ist der Bursche, du kennst ihn?»
Ehe noch das Mannli antwortete, schnellte das Meitschi sich herum; es war vom Wegführen der Schweine die Rede, da musste das Meitschi sie doch noch einmal sehen, Abschied von ihnen nehmen, Glück auf den Weg wünschen. Es hatten sich nämlich, wie üblich, sobald der Handel abgeschlossen war, Burschen hinzugedrängt, gefragt, wo die Schweine hinmüssten, sie wollten sie ihm heimtreiben. Es verstand sich von selbst, dass so ein Michel nicht selbst die Schweine vor sich herjagte. Man wusste wohl, so einer ging nicht vom Markte, dass er noch mit Schweinen heimkommen konnte. Michel hatte sich eingelassen mit ihnen und gesagt, sie müssten auf den Knubel, es werde aber keiner da sein, der so weit treiben möge.
«Ist's d'r Knubelbur?» fragte das Meitschi, sich umdrehend, das Männchen. Es nickte. Neugierig wie ein Bergkind sah es ihn an; es dünkte das Mannli, d'Sach sei richtig.
Nachdem Michel seine Schweine übergeben hatte und im voraus für das Heimjagen bezahlt und zwar einem ihm durchaus unbekannten Burschen und dazu mit voller Sicherheit, dass dieser seinen Auftrag recht verrichten werde, und das Meitschi ihm dringlich anempfohlen, dass er sie nicht plage oder erhitze («Denk, es isch e Tüfel, und wenn du d'Säu plagst, so plagt di d'r Tüfel o!»), wurden sie rätig, in der Tat, zu «Möhren» zu gehen und den Weinkauf zu trinken!
«Aber wie tut's, Wein in nüchternen Magen?» sagte die Mutter. «Ich hülf lieber was essen, das Tau isch m'r afe ab em Mage, es düecht mi, i syg ganz hohl innefer.»
«He», sagte Michel, «dawider wird niemand was haben; es ist mir auch drum, und Wy zum Esse schickt sich bsunderbar wohl!»
«Mutter, wollen wir nicht erst unsere Sachen verrichten?» fragte das Meitschi. «Du weisst, m'r hei mängergattig.»
«He», sagte die Mutter, es ist nachher noch immer Zeit; jetzt düecht mi, i möcht Neuis un e weni abhocke, bi ganz gstabelig vom Stah.» Das Mädchen machte keine Einwendungen, brummte bloss: «Ja, wenn me einist abg'hockt isch, so adieu V'rrichtige.» Wahrscheinlich hatte es bereits Erfahrungen gemacht in diesem Fache.
Michel voran brach Bahn, fuhr durch die Flut der Menschen wie durch weichen Schnee der Schneepflug; hinter ihm her war ein ruhig Gehen, dass die Küherin meinte, so einen sollte man immer voranhaben, wenn man auf einem Märit sei, man würde minder gestossen und gedrückt.
In Hafen kamen sie glücklich, aber wo Anker werfen jetzt? Da war guter Rat teuer. «Möhren» war zum Ersticken voll; hie und da hätte sich noch ein Bein hineinpressen lassen, aber zehn Beine und zwar dicke, samt Zubehörde, war was anderes. Da steht man so herum, halb verlegen, halb zornig, kann hungrig und durstig zusehen, wie andere im Hirse sitzen und es sich behagen lassen, weiss nicht, soll man gehen, soll man warten. Hier und dort wird eins gerufen zum Bescheid tun, nun, es ist allweg ein nasser Finger auf eine trockene Zunge, aber alsbald wird man desto glustiger; man sucht jemanden von der Wirtschaft aufzufangen, um von ihm sich unterbringen zu lassen. Die dienstbaren Geister schiessen herum wie zornige Wespen, tun meist, als hörten sie nicht; kriegt man endlich einen dieser flüchtigen, hässigen Geister zwischen die Finger, stellt ihn, bringt manierlich sein Verlangen vor, schnauzt er: «Ich kann nicht jedem Platz suchen, ich hätte viel zu tun, wenn ich mich damit befassen wollte; suchet selbst, und findet ihr keinen, so wartet oder geht in Gottes Namen weiter, ich kann nicht helfen!» Hat er solchen Blast losgelassen, fährt er ab, hinaus zur Türe. Ist im Wirtshause es so eingerichtet, dass der Wirt kein besonderes Geschäft hat, keine Stube zu bedienen, sondern bloss die Aufsicht führt, so erbarmt sich dieser zuweilen der platzlosen Gäste, wenn er zufällig zu ihrer Not kommt. Ihm ist begreiflich daran gelegen, dass sie weder in Gottes Namen noch sonst weitergehen.
Michel hätte fast Mut gehabt, einen Tisch rein zu fegen; er brannte innerlich vor Galanterie und hätte sie gern durch besondere Zeichen und Aufmerksamkeiten kundgetan. Glücklicherweise verliessen drei Bleienbacher Kuhhändler einen Tisch, wo sie ihre Morgensuppe gegessen, sonst wer weiss, was geschehen wäre! Alsbald hob Michel sein schweres Bein über die Bank, rief die andern her und übte nun so eindrucksvolle Manieren, dass, wo früher drei gesessen, sich nun fünfe bequem hinsetzen konnten. Nun sassen sie; und Sitzen, wenn man müde ist, ist allweg schön, aber denn doch nicht alles, und, je länger man das andere misst, desto geringer schlägt man das Sitzen an; ja man wird nur aleweil böser. Man glaubte mit demselben alles gewonnen, und jetzt sieht man, dass es ohne Essen und Trinken hell nichts ist. Aehnliches muss man im Leben sehr oft erfahren, dass nichts ist, an was man alles setzte, wenn man nicht wieder und immer wieder alles an anderes setzt. Mit Trommeln und Rufen zogen sie endlich einen der Geister, so gleichsam einen fliegenden Holländer, in ihre Nähe.
«Befehlt ihr was, oder habt ihr befohlen?» fragte der Geist.
«Hol e Mass Zehnbatzigen, aber gschwind; dann musst das weitere wissen!» befahl Michel. Der Geist verschwand, und Michel fühlte sich gross in seinem Gemüte, zündete mit schönem Selbstbewusstsein seine Pfeife an, und: der Gattig Zeug müsse man befehlen, dass sie wüssten, dass befohlen sei, und wenn man nicht zu ihnen rede, dass sie meinten, man schiesse ihnen mit einer Pistole in die Ohren, so gränneten sie einen nur aus, und man könnte lange warten, ehe sie einen bedienten, bemerkte er.
Nun wandte sich Michel seinem Kauf zu, denn er war in dieser Beziehung jeder Zoll ein Bauer, und sagte, verflucht teuer habe er sie, aber sie hätten ihm gefallen, und wenn das sei, habe er nicht nötig, auf den Kreuzer zu sehen. Er möchte nur wissen, wie sie gefüttert worden, damit er mit der gleichen Kost fortfahren könne; er hätte sonst immer gehört, vor Küherssäuen solle man sich hüten, die seien trieben, dass es keine Art hätte; aber wenn man d'Sach hätte, so brauche man sich nicht so in acht zu nehmen, wenn man nur wüsste. was sie liebten. Nun ward das beliebte Kreuzfeuer zwischen Küher und Bauer eröffnet, welches einige Zeit vergessen liess, dass man noch immer im trocknen sass. Indessen verschlang der Geist den Leib nicht auf zu lange, die Ungeduld wuchs; von ferne zeigte sich der fliegende Holländer. Michel brüllte ihm seine Meinung nach, wie erfahrene Jäger weithin auf vorüberzwickende Hasen schiessen in der Hoffnung, ein verlorenes Korn wohl anzubringen. «Gleich, gleich!» tönte es wieder, und der Holländer verschwand, erschien indessen doch bald wieder mit einer Mass und Gläsern und wurde von Michel angebrüllt, was das für eine Ordnung sei; wenn er das gewusst, hätte er das Essen mitbringen wollen.
Sie sollten verzeihen, sagte der Geist, er vermöge sich dessen nichts; er bediene diesen Tisch nicht, darum sollten sie ihm die Mass auch gleich zahlen; das andere, wo hierher gehöre, sei angeschossen und habe stark zur Nase aus geblutet, die wasche es soeben ab und werde bald wieder erscheinen, dem könnten sie dann befehlen.
Das waren nicht tröstliche Aussichten; wenn so ein vorschützig Ding anschiesst und blutet, so ist gewöhnlich nicht bloss die Nase zu waschen, sondern andere Dinge noch mehr.
So war es auch; es ging mörderlich lang, die Mass war ausgetrunken, Michel brüllte nach allen Himmelsgegenden, bis endlich ein halbgewaschenes Ding erschien mit geschwollener Nase, verweinten Augen und fragte, ob es Wein bringen solle oder ob sie sonst noch was bestellt hätten. Das vernahm etwas über die Lumpenordnung, und wenn man gewusst, wie man bedient werde, so wäre man weitergegangen. Das Ding entschuldigte sich mit seinem Missgeschick, hing im Vorbeigehen der Wirtin die Bemerkung an, dass, wenn sie nicht eine so Wüste wäre, so würde sie genug Leute anstellen, damit nicht eins für drei springen müsse, und versprach das Beste. Nun, endlich kam Suppe; die war bald verschwunden, denn man kann denken, wie die Leute hungrig waren, da es weit über Mittag war. Zudem waren es Leute, welche mit einem sehr muntern Appetit gesegnet waren: so eine wohlkonditionierte Küherstochter ist imstande, was zu versorgen. Endlich kam das Uebliche nach. Michel hatte, obschon er eigentlich bloss eine Mass schuldete, sich vorgenommen, sich recht splendid zu machen; es dünkte ihn, es lohne sich wohl der Mühe. Er hatte daher, als gefragt wurde, was man befehle, alsbald das Wort genommen und nicht bloss gesagt: «Neuis uf einem Teller!», sondern gesagt, sie wollten z'Mittag essen wie üblich und bräuchlich. Das könne wohl lange gehen, hatte drauf die Küherin gesagt.
«Gäll, Mutter», bemerkte die Tochter, «es wäre doch gut gewesen, wenn wir vorher unsere Sache verrichtet hätten! Da kann ich wieder lange warten auf das, was du mir verheissen.»
«He, wenn wir geschwind machen, ist's noch alle Zeit», sagte die Mutter; «was sie bringen, wird uns mit Schein so lange nicht säumen.» In der Tat brachte das Jüngferchen ganz kleine Plättchen und wenig drauf, und dazu war noch ein Gast da, auf den nicht gerechnet war, und der doch einen so mächtigen Appetit hatte als eins der andern, und das war Bäri. Mareili sass obenan, neben ihr auf dem Vorstuhl war Michel und zwischen beiden Bäri. Bäri machte glänzende Augen über den Tisch weg und sah dann an seinen Meister hin mit fragenden Blicken. Als ein Gericht vorüber war, Michel bloss an sich selbst gedacht hatte, begann Bäri ihn zu mahnen, stüpfte ihn mit der Nase am Ellbogen. «Jaso», sagte Michel, «hab' ich dich vergessen!» Nun bediente er auch Bäri, meinte aber deswegen nicht, dass er zu kurz kommen wolle, sondern nahm doppelt, eine Gabel voll für sich, dann eine für Bäri und so weiter, und wenn er es einmal vergass, rnüpfte Bäri am Ellbogen mit seiner saftigen Schnauze. Wir müssen sagen, dass dies nicht zu grosser Erbauung der Gesellschaft diente; sie fand dies unverschämt und grob. Dem Oelmannli war es bange, als es auf den Gesichtern die sich bildenden Wolken sah.
«Seh, Hung», sagte es, «du könntest warten, bis die andern gehabt!»
«Bricht ne, wenn d'chast!» sagte Michel und fuhr fort; wenn Bäri müpfte, gab ihm Michel. Endlich kam Braten, Schinken und so weiter. Bäri liebte Schinken bsunderbar, Mareili ebenso, und wenn es so einen Schinken sah, kalkulierte es immer, wie schwer die Sau, von welcher der Schinken kam, gewesen sein müsse. Kaum hatte Michel seine tapfere Portion auf dem Teller, müpfte Bari.
Da schoss Mareili das Blut zu Haupt. «Das nähme mich doch wunder, ob der nicht noch zu brichten wäre!» sagte es und schlug mit der umgekehrten Gabel den Bäri auf die Schnauze, so stark es konnte. Ja, so was hatte Bäri noch nicht erlebt; er riss das Maul auf, machte die Zähne blank und schoss eines Satzes dem Mareili gegen das Gesicht. Das fuhr zurück auf die Mutter, wollte dreinschlagen, aber Bäri fasste die Hand, die Mutter schrie laut auf, Michel fuhr Bäri nach und griff nach dessen Nacken, stiess aber dabei an die aufwartende Seele, so dass sie eine Datere, welche sie in der Hand hatte, fallen liess und wieder stromweise zu bluten anfing. Nun brüllte alles in der Stube laut auf, es gab einen Mordsspektakel, welchen viele benutzten, um sich zu streichen, ohne die Zeche zu bezahlen, ein Witz, dem viele als ordentliches Handwerk obliegen. Begreiflich kam alsbald der Wirt dahergefahren und hinterher die Wirtin. Ihnen lief gleich die blutende und heulende Aufwärterin an, sie hörten das zornige Schnauben des Hundes, Michels Fluchen, der Küherin Angstgeschrei, der Tochter Aufbegehren, das Gekreisch der übrigen Weiber, kurz, es war wie Mord und Mordgeschrei. Ohne lange Untersuchung fuhr der Wirt auf Michel dar und wollte ihn packen; nun liess Michel den Hund los und fasste den Wirt, und nun ward der Lärm noch höllischer, eine allgemeine Schlägerei stand in Aussicht. Da tat das Oelmannli seine Pflicht und mittelte; es war mit dem Wirte gut bekannt, der hörte auf dasselbe, und Michel war es auch nicht wohl im Gemüte, er hätte den halben Hof gegeben, wenn dies nicht begegnet wäre. Sobald der Wirt hörte, dass er nicht zu Schaden kommen solle, sondern einer da sei, der gutzumachen vermöge, liess er sich nieder und besänftigte sich.
Aber anders hatten es die Kühersleute, da war alles Einreden, da waren Hopfen und Malz verloren. Vielleicht hätte die Mutter sich begütigen lassen, denn Michel entschuldigte sich nach Vermögen: er vermöge sich dessen nichts, hätte das Meitschi Bäri nicht auf die Schnauze getroffen, er hätte nichts gemacht, er sei der freinst Schlabi, den es gebe; aber das müsse man keinem Hund machen. Darum solle es nicht zürnen und zufrieden sein, er wolle Wein kommen lassen, soviel sie möchten, und daneben gutmachen, wie sie es begehrten; so vernünftig redete Michel.
«Komm, Mutter!» sagte Mareili, und riss sie bei der Hand; «i mah die Hüng nimme schmöcke un nimme gseh, un es wohlet m'r erst, wenn mir e Stung wyt vo dene Ufläte sy. Wenn i numme myni arme Säuli wieder hätt'; die cheu mi dure; wie es dene geit bi sellige Utiere, weiss d'r Tüfel!»
«He, tue nit so bös, Meitschi!» sagte Michel; «dene soll's nit bös ergah. Komm in acht oder vierzehn Tagen, dann sollst sehen, wie die scho ta hei» (zugenommen).
«Zum Tüfel oder zu dir käme mir in eins! Komm, Mutter, komm!» rief Mareili. Michel wollte sie halten, aber Mareili schnellte sich so rasch weg, hob so drohend die Faust und sagte: «Bis m'r d's Herrgotts u rüehr mi a!», dass Michel es nicht versuchte und Mareili ungehindert mit der Mutter abfuhr.
Man kann sich kaum vorstellen, was nun für Geschichten aus dem Vorfall gemacht wurden. Hätte man sie alle zusammengetragen, sie hätten einen gräulichen Mordroman gefüllt. Die abgebissene Nase der Aufwärterin und die gefressene Hand von Mareili waren die Zentralpunkte in den Erzählungen, die um so weiter bekannt wurden, weil Michel bereits die Aufmerksamkeit eines grossen Kreises an seine Person gefesselt hatte.