Jeremias Gotthelf
Leiden und Freuden eines Schulmeisters
Jeremias Gotthelf

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Achtzehntes Kapitel

Wie ich einen Pfarrer besuche

An diesem Besuch dräyte ich bis ans Ende der Woche. Zum Herrn zu gehen ist ein Ereignis für jeden in der Gemeinde, besonders für einen schüchtern jungen Schulmeister damaliger Zeit. Es steht gar so fremdartig aus das steinerne Haus, der Klopfer an der Thür und die schwarze Kleidung. Der Herr selbst ist so eine Majestätsperson, eingehüllt in dichten Dunstkreis von Amt und Würde, und man weiß nie, wann es aus dieser Wolke blitzen und donnern wird, ob man gelegen oder ungelegen kömmt. Aber eine verfluchte Schadenfreude hat man, wenn aus dieser Wolke heraus etwas menschliches durchzwitzeret. Dennoch will man diese Wolke; man lebt wohl an dem geheimen Schauer vor derselben, fast wie an Gespenstergeschichten. Wo ein Pfarrer derselben sich entkleiden will und aus derselben heraustreten möchte, da schreit man zetter Mordio! als ob man die Kirche abbrechen, Hand an das Christentum legen wollte. Man glaubt, eine solche geheimnis- und grauenvolle Wolke müsse neben der Kirche sich lagern und über das Christentum, und mitten drin solle der Herr stehen, eben um zu Zeiten zu donnern und zu blitzen. Für das einfache, rein und schön menschliche hat man noch so wenig Sinn, als für die Liebe Gottes. Man will die Furcht und das Grauen; man will lieber zittern wie ein Kind, als lieben wie ein Kind.

Langsam machte ich mich eines abends auf; kürzer wurden meine Schritte, je näher ich dem Hause kam, und mit klopfendem Herzen klopfte ich an der Thür. Lange stund ich draußen; es regte sich niemand drinnen. Endlich wagte ich noch einmal zu klopfen. Da kam eine Magd, aus dem vollen, kauenden Munde mich anschnurrend, was ich so pressierlichs habe, daß sie nicht einmal z'Abe nehmen könne ruhig? Ich wolle zum Pfarrer, sagte ich. Der Herr Pfarrer trinke z'Abe, erwiderte die brämte Köchin; ich könne warte, bis er fertig sei. Die Leute hätten keinen Verstand, daß sie immer zur Essenszeit kämen, sie sötte's doch afe müsse.

Ich stund lange wartend; da stürmten zwei Kinder heraus, sagten mir weder »guten Abend« noch »Gott grüeß ech!« sondern beguckten mich von allen Seiten, fragten, wer ich sei, was ich wolle, ob ich die Schuhe abgewischt, und sagten, dMamma heyg gseit, es syg doch uverschant, daß me dr Papa nit emal rüihig lay z'Abe trinke. Das alles hörte ich verblüfft an und antwortete so gut ich konnte, bis man mich endlich zum Herrn herein rief und in ein kleines düsteres Stübchen fühlte. Der Herr, ein stattlicher Mann mit einem schwarzen Küherkäppli auf dem Kopf, stopfte eben seine Pfeife und sah sich nicht nach mir um, bis er fertig war und Feuer zu schlagen begann. Das stille Warten schnürte mir den Hals fast zusammen, wie die Kinderlehre. Endlich begann er: es sei Zeit, daß ich mich endlich zeige. Er könne gar nicht begreifen, was so ein junger Schulmeister heutzutage sinne, daß er vier Wochen Schule halte, ehe er zum Pfarrer komme. Aber sie wollten heutzutage alle oben aus. Er könne gar nicht begreifen, wie auch ein Schulmeister so in eine Schule platschen könne, wie vom Himmel herab, ohne mit seinem Vorgänger und mit dem Pfarrer geredet zu haben über den Standpunkt der Schule und die allerlei sonstigen Verhältnisse, die man kennen müsse, wenn man gut fahren wolle. Aber wir meinten halt, wir seien Propheten, und eine Schule sei so eine Bettlerkutte, wo es graglych sei, ob man oben oder unten, hinten oder vornen zu flicken anfange. So kapitelte er mir stehend ab, mächtige Tabakswolken um sein Haupt wirbelnd. Nachdem ich mich so gut möglich versprochen hatte mit Mangel an Zeit, besonders wegen den Kinderlehren (da rühmte ich mich nicht, wie gleytig ich sie mache), stellte er mir eine Stabelle dar und setzte sich in einen großen Sessel mit langem langem Rücken und Leder überzogen, wie ich noch keinen gesehen hatte. Was mich aber besonders arig düechte, war ein Feuer in der Wand in der Stube, ein Feuer das nicht rauchnete und nichts anzündete und auf dem man nicht kochete, sondern nur dabei hockte und Tubak anzündete und darein speute. Was doch die Herrelüt nicht alles ersinnen, um ihrem Geld und ihrem Holz abzukommen!

Nun nachdem er austurniert hatte und wir saßen, wurde er manierlicher und fragte mich, was ich bis dahin in der Schule gemacht und wie ich fortzufahren gedächte?

Ich berichtete ordentlich meinen gewohnten Gang, wie die Kinder vernachläßigt gewesen, wie ich mich befleiße und die Kinder schon merklich vorwärts gekommen seien. Wann ich denn zu schreiben und zu rechnen anfangen wolle? fragte er weiter. He! es hätten schon zwei oder drei Buben gesagt, sie wollten nach dem Neujahr zu schreiben anfangen und wollten Heustöcke rechnen lernen. Der Pfarrer sagte mir aber: das gehe nicht so, wie jeder wolle; was in der Schule gehen solle, habe eben er zu befehlen. Er wolle nun nicht, daß ein Kind zu rechnen und zu schreiben anfange, ehe es das Siegfriedli und das Fragenbuch auswendig gelernt, und allemal bei Anfang der Schule müsse vor allem aus alles auswendiggelernte repetiert werden, und wenn sie die ganze Bibel auswendig könnten. Darauf müsse man streng halten; Religion sei die Hauptsache in der Schule, und wenn eins nichts auswendig wisse, so wisse man nichts anzufangen mit ihm in der Unterweisung. Aber wenn dann dieses gemacht sei, so solle man nicht lange fragen: wer will rechnen? wer will schreiben? sondern da müßten alle es lernen, so viel sie davon noch lernen könnten. Vor allem aus die Buben, die hätten es am notwendigsten, sie mögen reich oder arm sein; ja die Armen brauchten es noch mehr als die Reichen. Aber auch die Mädchen sollten es lernen; sie wüßten nicht, wozu es ihnen käme, und wie sie es brauchen könnten. Alle Tage sollte ich mit denen, welche das Ihre auswendig gelernt, des vormittags eine Stunde rechnen, des nachmittags eine Stunde schreiben; vielleicht gebe es noch mehr Zeit dazu. Dem vorigen Schulmeister habe er es auch befohlen gehabt, allein es nie dahin bringen können. Ein einziges Mädchen habe es angefangen, allein am Ende, weil es nicht das einzige bleiben wollte, es auch unterlassen.

Nachdem der Herr damit fertig war, sprang er zu einem andern Thema über. Er sagte mir, daß ich mich dann als ein Schulmeister aufführen und nicht mit der jungen Burst abgeben solle und dem Weibervolk. Sie hätten die Freude daran, so ein junges Bürschchen, das Schulmeister sei, zu löken, in alles hineinzusprengen, was wüst sei, erstlich um über ihn zu lachen, im Glauben, sie seien viel gescheuter als so ein Schulmeister, und zweitens, ihr eigen Thun und Lassen mit dem Sprüchlein zu beschönigen: »Dr Schumeister het's o gmacht, er isch geng vora gsi, u was e Schumeister macht, dörfe mr doch o mache; so eine wird wohl wüsse, was agent«. Ich solle mich hüten. Gerade in der Schnabelweid seien Menschen, welche die größte Freude an solchem hätten, und der frühere Schulmeister habe es erfahren. Am Abend solle ich zu Hause bleiben und mich in allerlei üben und des nachts in meinem Bette sein, das stehe einem Schulmeister wohl an.

Nachdem er diese Predigt, mit zweien so ungleichartigen Teilen, gehalten hatte, während ich, wie es in einer Predigt bräuchlich ist, stille geschwiegen, aber meinen Teil gedacht hatte, ward er zusehends einsilbiger und mir ward auch, wenn ich nur da dänne wäre, ehe vielleicht noch ein dritter Teil nachkäme. Aber ich wußte nicht recht, wie gehen, wie aufstehen. Ich ribsete auf dem Stuhle herum, brachte es aber nicht ab demselben, bis endlich der Herr selbst aufstund und sagte: »He nun Käser! ihr habt gehört, wie ich es haben will; ich will hoffen, ihr lichtet euch darnach, sonst kömmt es nicht gut.« Ich werde thun, was mir möglich sei, antwortete ich, wünschte dem Herrn eine gute Nacht, drehte mich von ihm weg der Thüre zu, und unter der geöffneten machte ich, mit dem Kopf gegen den Gang hinaus, den Rücken dem Herrn zukehrend, einen gar schönen und tiefen Reverenz, so daß ich ab der Schwelle mit dem Kopf etwas unsanft an die Mauer stolperte und unendlich froh war, als ich nicht nur dm Herrn, sondern auch das Haus hinter mir hatte.

Himmel! wie wirbelte mir die gehörte Predigt im Kopfe herum, noch keine so! Da sollte also in der Schule ein jedes rechnen und schreiben können, Arme und Reiche, Knaben und Mädchen! Was doch so ein Pfarrer nicht alles ersinnet und was er einem nicht alles zumutet!

Unvernünftig kam es mir vor, daß alle dieses lernen sollten. Es wisse doch jeder wohl, ob er Schreiben und Rechnen brauchen könne, dachte ich; das sei nur ersonnen, um die Bauren zu plagen und ihnen unnötige Kosten zu machen und um den Schulmeister zu kujonieren. Wie sollte man diesem zumuten, daß er bei dem vielen bhören noch mit so vielen rechne und schreibe? Wenn ja nur drei schreiben, so habe man immer mit ihnen zu thun, wie dann, wenn dreißig bis vierzig schreiben? Herrgott! welche Unvernunft und noch dazu von einem Pfarrer! Wer soll dann mit den andern buchstabieren und lesen? Wohl das würde lange gehen bis eins lesen lernte. So was könne aber nur einem in Sinn kommen, der nie selbst Schule gehalten und in seiner Studierstube so allerlei ausspintisiere aus langer Weile, dachte ich mir, und ich wünschte nur, der Herr möchte selbst Schule halten, um zu erfahren, wie wenig er davon verstehe und wie komod es sei, so von seinem langen Sessel aus zu befehlen, was man selbst nicht machen könne.

Ebenso ereiferte ich mich über den zweiten Teil der Predigt. Da nahm ich von vornen herein an, der Pfarrer sei schalus über mich, daß ich es so gut mit den Leuten könne, daß sie mich so lieb hätten, mir so in die Kinderlehre liefen, und wolle mich auf diese Weise ihnen entfremden und das gute Verhältnis stören. Es lächerte mich, daß er glauben konnte, die Leute wollten mich zum Besten haben und zum Sündenbock brauchen. Da wisse er doch wenig, wie lieb die Leute mich hätten, wie treuherzig sie es mit mir meinten und wie gescheut ich sei. Übrigens ginge ihn die Sache nichts an, meinte ich; ich sei kein Herr, sondern ein Schulmeister, der so gut das Recht habe, sich lustig zu machen, als ein anderer. Was das doch anders sei, zu Kilt zu gehen? Das sei ja von jeher so gewesen, und wenn einer eine Frau wolle, so müsse er auch thun wie ein anderer. Wie es wohl kommen würde, wenn ich so apartig mich aufführen wollte, wie der Herr meine? Da würden ja die Leute sagen, ich sei hochmütig und wolle vornehm thun, und da würden sie mich auslachen und nichts auf mir halten. Aber so ein Herr wisse gar nicht, was der Brauch sei und wie es eigentlich zugehe. Der habe seine Nase nur in den Büchern. Und der habe gar gut den Leuten dies und das zu verbieten – er lasse es sich doch auch wohl sein in seinem Hause, habe Wein im Keller und ein Feuer in der Wand, bei dem er rüihig sitzen könne Sommer und Winter und tubaken.

So mit dem Pfarrer in Gedanken prozedierend und räsonierend kam ich in mein Dörfchen zurück und ging nicht heim. Ein junger Mensch, der den Kopf voll hat, besonders wenn es Ärger ist über einen andern, vermag es selten über sich, die Sache in sich selbsten zu verwerchen; es drangt ihn, die ganze Pastete unverdaut auszukramen seinen Freunden, und für seine Freunde hält er gar zu gerne die ersten besten, welche ihm zuhören wollen. Ich trat also in ein Haus ab, wo man mir besonders wohl zu wollen schien, und setzte mich dort auf den Ofentritt. Ich machte ein saures Gesicht, gab manches Zeichen des Mißvergnügens von mir, bis man mich endlich fragte: was mir über den Weg gelaufen sei, daß ich so Schetzti mache. Natürlich antwortete ich nicht auf die erste, sondern erst auf die dritte Frage, daß ich bei dem Pfarrer gewesen sei, und daß der mich taub gemacht habe. Ich erzählte die Anmutungen, die er an mich gestellt. Das war den Leuten angeholfen. Potz Wetter, wie pulverte die Frau, daß ihre Meitschene rechnen und schreiben sollten! Das wäre afe schön, wenn die Kinder gscheuter und geschickter werden sollten, als die Alten! Da mochte der Tüfel dabei sein! Schon jetzt wäre kein Gehorsam mehr. Was selligs abtrage? Werche sei die Hauptsache. Sie könne auch nicht schreiben und rechnen, aber sie sei doch eine Bäurin, und es nehme sie Wunder, wo eine her kommen wolle und sagen: sie sei die töllere und husligere. Der Mann begehrte nicht minder auf, daß ein jeder Hudelbub lernen sollte, was ein Baurensohn. Das mache nur schlechte Leute und die würden dann die Nase in alles stecken und befehlen wollen; da möchte er auch dabei sein. Aber der Pfarrer hocke den Bauren auf, wo er nur immer könne. Er möge es ihnen nicht gönnen, daß sie mehr hätten als er. Er halte es mit allen schlechten Leuten, er höre einem jeden und verrätsche dann die Bauren bei dem Landvogt, wie der Schreiber sage; aber der Landvogt meine es besser mit ihnen als der Pfarrer. Sie zahlen den Schulmeister, und ich solle nur so fortfahren, wie ich angefangen habe; gerade so sei es ihnen recht.

Ebenso machten sie seine Ermahnungen wegen der Aufführung herunter, die ich ihnen natürlich auch klagte. Es sei schlecht vom Pfarrer, den Schulmeister so aufzuweisen und sie zu verdächtigen. Es ärgere den Pfarrer nur, daß er nicht mitmachen dürfe; er sei nicht besser als ein Anderer, aber darum gönne er auch niemanden eine Freude. Sie hätten einem Schulmeister wenig darauf, wenn er thun wollte, wie ein Herr. Ich sei ihrer Gattig und solle auch thun wie sie. Auf solches Gedamp solle ich gar nicht hören und den Pfarrer Pfarrer sein lassen, sie machten es auch so. Ich fand, daß die Leute durchaus recht hätten, und wir wurden einig, daß es beim Alten bleiben solle.


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