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Sechstes Kapitel

Wieder vor der Muttergottes in Maria-Buch

Im strafgerichtlichen Verfahren gegen die Klöckl Marie trat bald danach eine Beschleunigung und Wendung zum Besseren ein. Die Verhöre hatten ein Ende und die Anklage wurde fertig gestellt.

Dieselbe deutete mit viel Geist die Handlungsweise der Kärntnerin als eine verbrecherische, und danach lautete auch der Strafantrag auf langjährigen schweren Kerker.

Das Kollegium verwarf diese gestelzte Ansicht; es konnte den Tatbestand eines Verbrechens nicht für gegeben erkennen. Damit war für die junge Büßerin schon viel gewonnen; nicht die Hölle sollte sich ihr auftun, sondern nur noch ein bißchen Fegefeuer hatte sie zu bestehen. Und dasselbe ließ kein unauslöschliches Brandmal zurück; die Gereinigte konnte dann wieder mutig unter die Leute treten und Ehre erwerben.

Der Einzelrichter, welcher schließlich die Sache zur Aburteilung bekam, rechnete nicht nur die Untersuchungshaft, sondern auch die lange Krankheit der Marie in ihre Strafdauer ein; hatte doch während dieser Leidenszeit schon der Herr Aktuar seine Fangarme da- und dorthin ausgestreckt. Wenn also diese doppelte, schon überstandene Haft in Abzug gebracht wurde, so hatte die Verurteilte nur noch die kurze Frist von einer Woche und etlichen Tagen zu verbüßen. Dieses Urteil erfreute alle, die um die traurige Wallfahrt wußten – Steiner, den grimmigen, aber kränkte es; denn Ehrgeiz und Voreingenommenheit drängen oft die edlere Regung des Mitleids zurück.

Die Marie hatte einen Lichtpunkt in ihrer düstern Zelle, der von der kargenden Novembersonne unabhängig war, und dieser war das Herz der Frau Groggerin. Dahin wollte die Vielgeprüfte zurückflüchten. Sie wollte die alte Frau hegen und pflegen; sie wollte im Hause derselben wieder frisch und munter die Hände rühren, um alles andere aber sich nicht bekümmern.

Und so kam der Morgen, an dem sie aus der qualvollen Enge von neuem in die weite Welt treten konnte. Recht wie eine Wanderdirne kam sie sich vor mit ihrem Bündel, das auch den schrecklichen Zögger mit dem wärmenden Linnen und dem bergenden Tüchlein enthielt – alles hatte man ihr zurückgegeben, nur nicht das arme Kind! Wo dieses ein stilles Plätzchen gefunden, hatte ihr die gute Frau Groggerin ausgekundschaftet – dahin wollte sie zunächst, und ins Haus des Doktors noch, versteht sich; dann aber über die Berge, St. Gertraud zu; heim, nach einem langen trostlosen Irrgange heim! So hatte sie sich's zurecht gelegt.

Der Morgen war frisch; er färbte die Wangen der vor der Schwelle Aufatmenden und für einen Augenblick wie befangen Haltenden. Sie blickte dankbar zum Himmel auf, und dieser blendete sie, wiewohl er einer grauen Decke glich mit einem runden Ölfleck am Saume: – der Sonne! Es war ja der Allerseelenmonat.

Weißwinterlicher Reif lag auf den Dächern; Baum und Strauch in den Gärten, an den Berghängen war silbern umsponnen – aber Silber glitzert nicht so; das ist das Edelgeschmeide, mit welchem der Frost kahle Äste und kalte Herzen behängt.

Mit einem Ach der Überraschung und des Bangens schritt die Sinnende vorwärts, das Bündel unter dem Arm.

Da trat sie von der Straßenecke her ein Mann an, der sie schon längere Zeit mit Teilnahme beobachtet hatte.

» Du hier?« rief sie schmerzlich erregt aus. »Daß du mir noch einmal in den Weg treten würdest, hätt' ich mir wahrlich nicht verhofft. Es ist wohl eine schadenfreudige Neugier, was dich hergeführt hat. Ja, so schaut die Marie aus, nachdem du sie ins Unglück gebracht hast.«

»Wenn du auch noch so herb bist, ich verdien' es und kann's dir nicht verübeln,« antwortete der junge Mann; es ist Huber, der Kohlschreiber .... »Aber glaub mir, Marie, ich bin ein anderer geworden. Ich habe gezittert für dich, ich freu' mich, daß es so gut ausgegangen ist, ich komme in der besten Absicht.«

»Wie damals? – Gott verzeih' dir's! Ich will dir nichts nachtragen; aber daß es aus ist zwischen uns, hättest du dir wohl denken können.«

»Das kann dein letztes Wort nicht sein. Wenn du willst, führe ich dich frischweg zum Pfarrer, und schon am nächsten Sonntag soll die Welt erfahren, daß ich mich ehrlich zu dir bekenne...«

» Heiraten willst? Ich wünsch' dir viel Glück dazu. Aber doch mich nicht! Du hättest mich näher gehabt, und damals hätt' ich dir keine Schand' mit ins Haus zu bringen gebraucht.«

»Was du Schande nennst, ist kaum ein Schatten, und den leite ich auf mich ab. Ich bin der schwärzere Teil und das bringt schon mein Geschäft mit sich. Auch haben mir's die Leute empfindlich genug eingetränkt, daß ich so leichtsinnig gewesen bin. Ich werde dir erzählen davon.«

»Laß das; ich hab' vor meiner eigenen Tür zu kehren.«

»Schau, Marie! Ich habe in meinem ganzen Leben noch nichts so ernstlich überlegt und für so rechtschaffen erkannt, als daß ich an dir gutmachen soll, was ich verbrochen habe.«

»Hast du's damals nicht auch überlegt gehabt, oder ist dir damals das Lügen noch leichter angekommen?«

»Aber ich habe dir ja schon gesagt, daß ich ein anderer Mensch geworden, nicht auf einmal, aber nach und nach, und daß ich meinen Vorwitz, meine Flatterhaftigkeit auch nicht leicht zu büßen gehabt habe.«

»Und das alles soll ich glauben können, von dir glauben können?«

»Hab' ich dir nicht bereits die beste Probe vorgeschlagen?«

»Also heiraten möchtest mich – jetzt? Es geht nicht, guter Mann, auch wenn ich an deine Bekehrung glauben wollt'. Wir täten ja immer ein kleines, armes, kaltes Ding zwischen uns haben. Du weißt wohl nicht, wo unser Kleines liegt? Kannst mitkommen, wenn's dich freut. Es kann auch nicht schaden, wenn es seinen Vater kennen lernt.«

Der junge Mann antwortete nicht, schritt aber, selber ernst, weiter an der Seite des ernsten Mädchens.

Und sie kamen vor die Stadt hinaus und bogen in eine Seitengasse, und vor ihnen lag der ummauerte viereckige Hof, daraus ein bereiftes Kreuz hochauf ragte. Von Bäumen, die kein Blätterrauschen hatten, war das stille Geviert umstanden. An Halbkuppeln, welche über die Mauer reichten, merkte man, daß da auch viele Reiche Einkehr gehalten; sie gehörten Denkmalkapellen an.

Die zwei traten ein, und als wüßte sie längst Bescheid, oder aber vom Mutterinstinkt getrieben, eilte die Gertrauder Marie bis in den hintersten Winkel vor. Ein neueres hölzernes Kreuzlein war ihr Ziel – die gute Groggerin hatte es in die frierende Erde stecken lassen.

Die unglückliche Mutter warf sich davor auf die Knie; ein Strom von Tränen entstürzte ihr; sie betete – mein Gott, das arme Würmchen, das nichts verbrochen und nur ein Paar schmerzliche Atemzüge getan, braucht doch kein Gebet? Still! Was ein Mutterherz betet, errät ein anderes nicht so leicht.

»Da liegt's!« sagte sie, sich erhebend ... «Ist dir nicht auch ein bißchen leid darum?«

»Wir sind noch jung; Gott kann uns verzeihen und ein neues Glück bescheren,« antwortete Huber, dem gleichfalls Tränen in den Augen standen.

»Das war' ein frevelhaftes Hoffen! Ein Bauer, der mit der Gottesgab' nicht umzugehen weiß, verdient keine gesegnete Ernte.«

»Und doch,« sagte der junge Mann mit Nachdruck, »und doch sehe ich für dich keine andere Genugtuung und für mich keine andere Sühne, als daß wir nun gemeinschaftlich das Leben tragen, mit dem wir bisher nicht am besten umgesprungen.«

»Und wenn du wirklich Ernst machen wolltest: ich könnt' eine heimliche Angst nicht überwinden; ich müßt' immer glauben, als ging' neuerdings das Unglück an mit dir; und daß ich noch eine Freud' haben sollt', hab' ich mir schon lang' verredet.«

»Marie, ich lass' nicht nach, zu deinem eigenen Besten nicht! Ich habe mir das alles schon so schön ausgemalt; du wirst ein gutes Heim bei mir haben, und um was wir gewitzigter sind, um das werden wir ja gescheiter und bescheidener hausen.«

»Ich seh' wohl, daß du's jetzt nicht schlecht mit mir meinst. Aber ich hab' mir halt die Angst angelernt, und zu verdenken ist's mir wahrlich nicht, und guter Rat ist teuer.«

»So frag, eh' du ja sagst, bei der guten Frau Mutter in St. Gertraud an.«

»Und wie wär's, wenn wir die Muttergottes in Buch um Rat fragten? Ich bin ihr eh auch einen andächtigen Besuch schuldig.«

»Einverstanden, Marie! Und jetzt gleich! Dein Bündel können wir ins nächste beste Haus derweil zum Aufbewahren geben.«

»Du meinst also ...?«

»Frisch Vorwärts, Marie!«

Auf dem Weg durchs starrende Wäldchen war man nicht so redselig, als soeben zuvor auf dem stillen Friedhofe. Man hatte sich ausgesprochen, aus dem Tiefsten heraus, und nun schien jedes dem Nachhall der eigenen Worte und der des andern zu lauschen. Marie überlegte zagenden Herzens; mutiger schritt ihr Huber zur Seite. Aber er hätte nicht vermocht in die Empfindungen und Gedanken der Gefährtin einzugreifen, und Gleichgültiges, Munteres wollte ihm nicht über die Zunge.

Um nicht neugierigen Blicken zu begegnen, hatte man einen kleinen Umweg gemacht und war hinter der Stadt herumgekommen. Das war aber nun wirklich der Waldweg nach Maria-Buch. Marie hatte ihn schon einmal, in umgekehrter Richtung, geführt von der mitleidigen Pfarrersmagd, zurückgelegt: aber sie entsann sich keines Baumes, keines Strauches, keiner Krümmung, Lichtung oder Unebenheit: wie mußte ihr damals gewesen sein! Sie dankte Gott, der ihr denn doch wieder die Wildnis gelichtet und ehrliche Pfade gewiesen. Sie war gehobenen Gemütes, wenn auch noch nicht Freude darin aufgezündet war.

Die Kirche stand offen; die eine und andere Messe mochte schon vorüber sein – es war kein Priester am Altar.

Marie eilte zu den Gnadenstufen vor, kniete da nieder und betete lange, weltvergessen, mit der Madonna allein wie damals; aber ihre Bitten waren jetzt zahmer, lauterer, und sie konnte vertrauensselig den Blick erheben.

Huber war in einem der hinteren Betstühle zurückgeblieben. Er war sicherlich auch in keiner oberflächlichen Stimmung. Aber sobald er merkte, daß seine Gefährtin für eine Weile der Wirklichkeit entrückt war, schlich er sachte hinaus und ließ sich das Zimmer des Herrn Pfarrers weisen.

Er traf den geistlichen Herrn beim Frühstück, und seinem einnehmenden Wesen ward ein freundlicher Empfang. Rasch bekannte und erzählte er, daß er der gewissenlose Verführer der Klöckl Marie sei, daß er willens, dieselbe zu versöhnen und ihr die Hand zu reichen; daß sie heute aus ihrer Haft entlassen worden, mit ihm hieher gepilgert und drinnen in der Kirche sei, betend, zweifelnd, ob sie ihm ohne neuen Frevel die Hand reichen dürfe, da ein kleines, armes, totes Wesen zwischen ihm und ihr.

Der Pfarrer begriff unschwer und die offene, mutige Weise des jungen Mannes gefiel ihm. Nachdem er noch über dies und das sich näher erkundigt hatte, schickte er den Mesner ab, die Beterin zu holen.

Dieser erkannte in ihr allsogleich das unglückliche Mädchen mit dem Zögger. Er näherte sich ihr lächelnd und sagte: »Kennt mich die liebe kärntnerische Dirn nicht mehr? Jetzt ruft dich der Herr Pfarrer, und ein junger, sauberer Bursch steht drin bei ihm – heut' geht's wohl aus einem anderen Ton?«

»Ihr seid's, Herr Mesner? Ihr habt Mitleid mit mir gehabt, Gott vergelt's Euch!«

Und für sich fügte die Gestörte hinzu: Daß er schon drin ist beim Herrn Pfarrer, daran erkenn' ich, daß er rechtschaffen Ernst macht. Nun denn, in Gottes Namen!

Der Geistliche hatte keine große Mühe, das geängstigte Herz des Mädchens vollends zu beschwichtigen. Er äußerte seine Freude darüber, daß der armen Pilgerin nicht übler mitgespielt worden sei, wie auch darüber, daß sie so gut aussehe, indem er scherzend bemerkte: Ich hätte nicht gedacht, daß die Kerkerrosen so schön blühen – es muß wohl von einem guten Gewissen herkommen. Dann fuhr er fort, es müsse sie ja freuen, beitragen zu können, daß ihr Freund auf den rechten Weg zurückgelange; sie beide seien schwer heimgesucht worden, aber Gott liebe die, die er züchtigt; dann sei ja ein geordneter christlicher Hausstand als Sakrament an sich schon ein gottwohlgefälliges, gesegnetes Wesen, und es sei nichts weniger als eine Sünde, mit ernstem Bedacht in denselben zu treten; nur leichtfertige Ehen seien mit der Gefahr verbunden, übel zu geraten. Das und des Schicklichen noch mehr legte der würdige Priester der ängstlichen Braut ans Herz.

Dann langte er sogleich das große Buch hervor, um die beiden als richtige Brautleute einzutragen. Das Mädchen kannte er schon sattsam aus den Gerichtsakten, in welche auch seine Zeugenschaft mit verflochten worden, und der Mann, der von der Arrestschwelle hinweg seine Geliebte zum Traualtar führen wollte, flößte ihm auch ohne die näher beglaubigenden Papiere Vertrauen ein.

Auf dem Rückwege in die Stadt erzählte Huber seiner Braut von dem Empfange, der ihm im Hause des Doktors geworden.

»Und du willst mich dennoch dahin begleiten?« fragte Marie verwundert.

»Eben deshalb!« war die Antwort ... »Die Lektion hat mir gut getan, und der scharfe Herr soll sehen, daß sie auch etwas genützt hat.«

Und im Doktorshause kam es zu artigen Überraschungen. Der Bezirksarzt sagte laut zum Kohlschreiber: »Herr Huber, ich habe Sie neulich etwas gehofmeistert; ich bin Ihnen Genugtuung schuldig – wenn Sie einen Beistand brauchen, verfügen Sie über mich.«

»Und ich,« fiel Frau Schlag ein, »gebe der Marie aus meinem eigenen Herzen und im Namen ihrer abwesenden Freundin Grogger den Brautsegen.«

»Und dann darf wohl ich als Brautjungfer mit dabei sein?« machte sich aus dem Hintergrunde Luise, das wackere Kammerkätzchen, bemerkbar.

Natürlich wurde das alles dankbar und freudig angenommen.

Die Trauung fand in der Gnadenkirche Maria-Buch statt. Der Herr Pfarrer selbst nahm sie vor, trotz Zipperlein und Atemnot; seine Ansprache war ebenso sachlich als erbauend.

Der Mesner war so wie so an seinem Platz. Die Kuhdirn Julie hatte sich für das Stündchen leicht frei zu machen gewußt. Das alles ist nicht sehr verwunderlich.

Aber daß der lange Veit gesagt hatte: Heute spannen wir später ein, und daß er mit seinem klugen Spitz noch rechtzeitig vor Maria-Buch anlangte, verdient besonders hervorgehoben zu werden. Denn daß ein Fuhrmann von der großen, geraden Heerstraße abweiche, dazu braucht's viel.

Die Hochzeitsreise ging selbstverständlich an der Dreikönig-Resi vorüber nach St. Gertraud, zur guten Frau Groggerin.

Verlagswerbung an dieser Stelle gelöscht. Re.


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