Ferdinand Gregorovius
Athenaïs
Ferdinand Gregorovius

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XXIII.

Die zweite Reise Eudokias nach Jerusalem war entweder wirklich freiwillig, oder ihr Gemal gab ihr vor der Welt diesen Schein. Sie verließ die Kaiserburg, wo sie schon mehr als zwanzig Jahre lang das Diadem der Augusta getragen hatte, schwerlich mit der Ueberzeugung, daß sie nun für immer dem Glanze der großen Welt zu entsagen habe. Sie hoffte vielmehr, nach Constantinopel zurückzukehren, wenn sie ihren Gemal von ihrer Unschuld würde überzeugt haben. Und noch auf ihrem Todtenbette hat sie diese beteuert.

Sie reiste auch diesmal in das gelobte Land mit allen Ehren einer Kaiserin. Aber da sie jetzt ein unglückliches Weib war, so verdiente erst diese ihre zweite Wallfahrt solchen Namen, mochte sie am heiligen Grabe eine wirkliche Schuld, was mehr als zweifelhaft ist, zu sühnen, oder nur ihr rätselhaftes Glück in der Welt durch Entsagung zu büßen haben.

Die Kunden der Zeitgenossen über diese merkwürdige Frau sind schon in der Epoche sparsam, wo sie auf dem Gipfel ihrer Herrlichkeit die Blicke der Welt auf sich zog, und sie versiegen fast ganz mit dem Augenblick, wo sie in dem entfernten Jerusalem aus dem Zusammenhange mit den geschichtlichen Ereignissen trat. Kein Byzantiner hat das Leben Eudokias in jenem Exil mit Teilnahme verfolgt, und von ihr selbst gibt es keine Art von schriftlichen Nachrichten darüber. Nur hier und da wird ihrer, in plötzlicher und zusammenhangsloser Weise, von diesem oder jenem Autor gedacht.

So überrascht es nicht wenig zu lesen, was der Graf Marcellinus zum Jahre 444, als Theodosius zum achtzehnten mal und Albinus Consuln waren, ohne jede Vermittlung mit andern Ereignissen aufgezeichnet hat: »Den Presbyter Severus und den Diaconus Johannes, die der Kaiserin Eudokia in der Stadt Aelia dienstbar waren, tödtete der Graf der Leibwachen Saturninus, welchen der Kaiser Theodosius abgeschickt hatte. Eudokia hat, ich weiß nicht von welchem Schmerz außer sich geraten, den Saturninus sofort umgebracht. Alsbald ist sie auf Befehl ihres Gemales ihres fürstlichen Gefolges beraubt worden, und in Jerusalem geblieben, um dort zu sterben.«Statimque mariti imperatoris nutu regiis spoliata ministris apud Aeliam civitatem moritura remansit.

In so furchtbar lakonische Worte ist eine neue Tragödie zusammengedrängt, und vor unsern Augen verwandelt plötzlich jähe Leidenschaft Charaktere, an deren Sanftmut wir uns gewöhnt haben, in das Gegenteil. Schon die Hinrichtung des Paulinus hat das Bild zerstört, welches die Geschichtschreiber jener Zeit Sokrates und Sozomenus von Theodosius dem Zweiten als dem Muster aller Güte wie auf Goldgrund gemalt haben.

An der Wahrheit der Angabe des Marcellinus dürfen wir nicht zweifeln, denn die Ermordung jener beiden Geistlichen kennen auch andere Geschichtschreiber, und sie schreiben dieselbe der Eifersucht des Kaisers zu. Eudokia, so wird erzählt, nahm als ihre Begleiter nach Jerusalem den Presbyter Severus und den Diaconus Johannes mit sich. Der Kaiser vernahm, daß diese Männer seine Gemalin schon in Constantinopel häufig besucht hatten, daß sie jetzt mit ihr in Jerusalem seien, und auch viele Geschenke von ihr empfingen; er schickte daher Briefe dorthin, und ließ sie umbringen.Theophanes, I, 157, und Cedrenus, I, 601. Obwol die für die Geschichte der Athenaïs ältesten Quellen, selbst das Chronicon Paschale und Malalas, nichts davon sagen, beweist doch die Übereinstimmung jener beiden Byzantiner mit Marcellinus, daß diese Ereignisse bekannt waren, um so mehr, als sie den Marcellinus nicht abgeschrieben haben. Denn sie sagen nichts von Saturninus.

Rasende Eifersucht machte also aus dem menschenfreundlichen Theodosius einen Mann des Blutes, und die liebenswürdigste der Kaiserinnen wurde, so scheint es, durch die ihren Gefühlen und ihrer Würde wiederholt angethane Gewalt zu einer Handlung hingerissen, die sowol den Grundsätzen der Philosophie als den Geboten der christlichen Religion widersprach.

Wenn sie eine solche That wirklich beging, so muß ihre Aufregung über die Ermordung ihrer geistlichen Freunde durch Ursachen vergrößert worden sein, von denen wir eben so wenig Kenntniß haben, als von den wahren Motiven, welche Theodosius bestimmten, den Blutbefehl zu erlassen, und Saturninus sich zu dessen Vollstreckung herzugeben. Dieser Mann von patricischem Range war vielleicht derselbe Saturninus, welcher schon in der letzten Zeit des Kaisers Arcadius im Kriege mit dem Gothenführer Gainas sich namhaft gemacht hatte. Ohne Zweifel gehörte er zu den Gegnern Eudokias.

Es ist für jeden ruhig Urteilenden eine schwere Zumutung zu glauben, daß die Kaiserin, wie sehr sie immer gereizt und gekränkt worden war, in der Nähe des heiligen Grabes ihr Gewissen mit einer Blutschuld beladen hat. Die Sympathie, welche die Anmut und Bildung dieser Frau in uns erwecken, können uns zweifeln machen, ob die lakonischen Berichte von Geschichtschreibern, die nicht ihre Zeitgenossen gewesen sind, Glauben verdienen.

Nun aber wird unser Zweifel durch die Aussage eines andern Byzantiners erschüttert, welcher durchaus der Zeitgenosse Eudokias gewesen ist. Dies ist Priskus, ein Staatsmann im Dienste des Kaisers Theodosius.

Im Jahre 448 schickte der Hunnenkönig Attila eine Gesandtschaft an den Hof in Constantinopel. Unter den Forderungen, die er dort stellen ließ, war auch diese, dem Gallier Constantinus, seinem eigenen Geheimschreiber, die reiche Erbtochter des Saturninus zur Gemalin zu geben, was der Kaiser Theodosius ihm zuvor versprochen hatte. Priskus, welcher dies erzählt, bemerkt dabei in der trockensten Kürze, daß diesen Saturninus »Athenaïs oder Eudokia, die Gemalin des Theodosius umgebracht hatte«. Er berichtet dann weiter, daß der Kaiser sein dem Attila gegebenes Versprechen nicht erfüllen konnte, weil Zeno, der Befehlshaber des isaurischen Kriegsvolkes in Byzanz, jenes Mädchen bereits seinem Freunde Rufus verlobt hatte. Priskus selbst begleitete hierauf den kaiserlichen Minister Maximinus nach dem Hoflager des Hunnenkönigs in Ungarn, und von dieser Sendung hat er einen Bericht abgefaßt, welcher so berühmt und so wichtig ist, wie der spätere Gesandtschaftsbericht des Bischofs Liutprand von Cremona, des Boten eines deutschen Kaisers an den byzantinischen Hof.Saturninum autem interemerat Athenais seu Eudocia, uxor Theodosii: Prisci Panitae Fragmenta (Fragm. Histor. Graecor. ed. Carl Müller, IV, 93). Priskus versagt der Kaiserin jeden Titel und benennt sie nur bei ihren Namen, den heidnischen voran. Cedrenus, I, 600, erzählt den Tod der Geistlichen durch Theodosius, aber er hat nichts von Saturninus.

Das Blut des Saturninus an der Hand Eudokias würde ein Frauenideal zerstören, und die bezaubernde Philosophin aus Athen fast zu dem Range der Königin Christine von Schweden herabsetzen, deren barbarische Gemütsart die seltenste Gelehrsamkeit nicht zu bändigen vermocht hat. Ihr tiefer Fall in dem heiligen Jerusalem, wo sie nur Werken der Andacht hingegeben war, würde dem Pessimisten die traurige Erfahrung bestätigen, daß der dämonische Eingriff einer Minute hinreichen kann, auch die Besten unter den Menschen in Schuld zu stürzen, und das schöne Ebenmaß eines Lebens voll Anmut und Würde zu zerstören.

Das Zeugniß eines Mannes, welcher Zeitgenosse der Kaiserin gewesen ist, kann nicht ohne Weiteres abgewiesen werden. Es beweist sonnenklar die Thatsache der Ermordung des Saturninus, ohne deren nähere Umstände anzugeben. Diese haben spätere Byzantiner auch nur flüchtig bemerkt, und aus Nachrichten und Traditionen geschöpft, die uns verloren gegangen sind. Sie alle behaupten, wie Priskus, daß Saturninus von der Kaiserin Eudokia ums Leben gebracht worden sei. Jedoch sie verschweigen alles dasjenige, was über die Weise des Geschehens aufklären könnte. Der Bevollmächtigte des Theodosius wurde in Jerusalem getödtet, weil er die treuen Diener der Kaiserin hingerichtet hatte; sein eigener Tod war demnach die Folge der Erbitterung der tief beleidigten Eudokia. Aber hat sie selbst diesen Blutbefehl gegeben?

Eine Verbannte, die zwar noch immer die Ehren der Augusta, aber nicht deren Macht besaß, konnte schwerlich ein gesetzmäßiges Todesurteil aussprechen und vollziehen lassen, noch überhaupt es wagen, den schon genug verbitterten Kaiser durch die Tödtung eines der angesehensten Großen des Reichs zum Aeußersten herauszufordern. Die Ermordung des Grafen Saturninus konnte nur geschehen entweder durch die Dolche willfähriger Diener Eudokias, oder in einem Tumult durch die Freunde und Rächer der von ihm umgebrachten Priester. Dann aber konnte sein Tod, unter Verschweigung aller näheren Umstände, einfach der Kaiserin als That zugeschrieben werden, weil die von ihr erlittene Kränkung die wirkliche Ursache davon gewesen war.

Jeder besonnene Richter wird, wenn man ihm als einzige belastende Zeugenaussage von der Schuld Eudokias am Tode des Saturninus den Bericht des Priskus vorlegt, urteilen, daß dieser eine Zeitgenosse der Angeklagten nicht hinreichender Zeuge sein kann, weil er, fern von dem Ort der Handlung, diese nur durch Hörensagen überliefert erhalten hat, und erst sich selbst von dem Verdacht befreien müßte, in leichtsinniger Weise jene Aussage gemacht zu haben.


 << zurück weiter >>