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Schon vor einigen Jahren hatte ich mir vorgestellt, daß es lohnend sein könnte, die Geschichte jener Philosophentochter Athenaïs zu schreiben, welche im fünften Jahrhundert als die byzantinische Kaiserin Eudokia durch ihren Geist und ihre Erlebnisse berühmt gewesen ist. Erst mein Aufenthalt in Athen im Frühjahr 1880 hat mich dazu angeregt, diesen Plan aufzunehmen.
Wenn man auf der Akropolis Athens, vor dem Tempel der Nike Apteros, oder der Parthenos sitzend, in die Betrachtung der Geschichte Griechenlands sich versenkt, so erscheinen dort der erregten Phantasie deutlicher und persönlicher die Gestalten der Vorzeit, und bald ist man, wie Odysseus im Reiche der Schatten, von einem Chor hellenischer Geister umringt, an die man manche Frage richten möchte. Ich erinnerte mich dort auch jener genialen Athenerin, deren Schicksale ich in ihren Umrissen kannte, und zwar aus der Geschichte ihrer Tochter Eudoxia, der Gemalin des römischen Kaisers Valentinian III.
Nach meiner Rückkehr von Athen zog ich das Material für eine Biographie der Athenaïs aus den byzantinischen Geschichtschreibern. Ich überzeugte mich dabei, daß eher noch eine Anschauung jener rätselhaften Zeit, als ein lebendiges Porträt der berühmten Frau zu gewinnen sei. Doch das hat mich nicht von meinem Vorsatze abgeschreckt. Denn zu anziehend ist der Prozeß jener Epoche selbst, wo das antike Heidenthum in der Stadt Platos den letzten Verzweiflungskampf mit dem christlichen Glauben kämpft; wo die alten Götter des Olymp in einem schauerlichen Weltbrande untergehen; wo die großen Barbarenkönige Alarich, Genserich und Attila wie apokalyptische Reiter ihren Verheerungszug durch die Länder der alten Cultur nehmen; wo die großen christlichen Theologen, ihre Verbündete in der Vernichtung der schönen antiken Welt, Hieronymus, Augustinus, Johannes Chrysostomus, die beiden griechischen Gregore, Cyrillus und der Papst Leo I., das dogmatische Lehrgebäude der Kirche feststellen; und wo endlich jene seltsame asiatisch-griechische Schöpfung der Geschichte, die wir den Byzantinismus nennen, ihre erste bestimmte Physiognomie zu zeigen beginnt.
Nun bietet sich als ein Mittelpunkt, um welchen solche und andere Erscheinungen sich aufreihen lassen, gerade Athenaïs Eudokia dar, weil sie selbst das Heidentum mit dem Christentum verbindet, indem sie aus jenem in dieses, und aus dem noch antik-philosophischen Athen in das orthodox-christliche Byzanz übertritt. Wenn nicht schon solche geistige Gegensätze ihr Leben merkwürdig machten, so würden dies in jedem Falle die wundervollen Scenen thun, auf welchen sich dasselbe bewegt hat; denn diese sind die Städte Athen, Constantinopel und Jerusalem, und zwar im fünften Jahrhundert. Eine Anschauung von ihnen in jener Uebergangsepoche zu gewinnen, war für mich ein Reiz mehr, der mich nach dem Gegenstande zog.
Die Deutschen, deren Forschungslust kaum noch ein verborgener Winkel im Leben der Welt entgangen ist, haben diesen Stoff noch nicht geschichtlich behandelt. Ich kenne überhaupt nur eine kleine Schrift über Athenaïs, welche Wilhelm Wiegand, Director des Gymnasiums zu Worms, unter dem Titel »Eudoxia, Gemalin des oströmischen Kaisers Theodosius II.« im Jahre 1871 veröffentlicht hat. (Der Name muß Eudokia geschrieben werden.) Der Verfasser hat sein Buch als »ein culturhistorisches Bild zur Vermittlung des Humanismus und des Christentums« bezeichnet. Ich habe es mit Genuß gelesen, und wünsche ihm mehr Verbreitung, als es gefunden zu haben scheint. Es ist das Product eines durch die hellenische Literatur gebildeten und philosophisch geschulten Mannes; seinem Stoff aber hat er durch novellistische Erfindung einen erhöhten Reiz zu geben geglaubt.
Nun liegt nichts näher, als die Versuchung, die wunderbare Geschichte der Athenaïs in Novellenform zu behandeln, und das hat bereits im 18. Jahrhundert ein Franzose, Baculard d'Arnaud, in einem sentimentalen Roman gethan. Ich wundere mich, daß von unseren heutigen Dichtern, welche gerade Zustände und Zeiten, die vom modernen Bewußtsein am weitesten abgelegen sind, mit so vielem Geschick und Erfolge in sogenannten culturhistorischen Romanen dargestellt haben, keiner an Athenaïs sich versucht hat, und doch hat Kingsley in seiner »Hypatia« gezeigt, wie dankbar für einen reflectirenden Dichter eben diese Epoche des im Christentum untergehenden Hellenismus sein kann.
Ich bestätige indeß das Urteil Georg Finlay's, der in seinem geistvollen Buche »Griechenland unter den Römern« gesagt hat: »Das ereignißvolle Leben Eudokias, der Gemalin Theodosius II., braucht keine romantischen Begebenheiten aus orientalischen Märchen zu borgen; es erfordert nur einiges Genie seines Erzählers, um ein reiches Gewebe der Romantik zu entfalten.«
Wenn meine Leser solches Talent in dieser Schrift vermissen, werden sie doch in ihr überall die Wahrheitsliebe des Geschichtschreibers finden, welcher jede willkürliche Zuthat abgelehnt und aus allen historischen Quellen geschöpft hat, um auf dem Hintergrunde der Zeit die Gestalt der Athenaïs in ihrer geschichtlichen Wirklichkeit erscheinen zu lassen. Die Natur dieser Quellen aber ist solche, daß nur eine Skizze daraus hervorgehen konnte: vielleicht um so besser für den Leser, weil er hier noch selbstthätig bleiben kann, während er in einem kleinen Rahmen immer eine Fülle von Dingen gewahrt, die ihm Perspectiven in das große Weltleben eröffnen.
Ich habe meiner Schrift die Uebersetzung eines Gesanges des Gedichts der geistvollen Kaiserin beigegeben, welches Cyprianus und Justina heißt. Diese Dichtung wird jedem Leser willkommen sein, denn sie läßt die geistigen Züge der Zeit schärfer hervortreten. Das griechische Original ist im heroischen Versmaß geschrieben. Aber sein tief gehender Inhalt paßt so wenig zu unserm immer leicht aus seinen Zügeln fahrenden deutschen Hexameter, daß ich den Jambus gewählt habe, der eine recht philosophische Versart ist.
Meine Uebersetzung beansprucht nicht das Lob solcher philologischen Treue, als die lateinische in der Ausgabe des Florentiners Bandini vom Jahre 1762 verdient. Diese ist hexametrisch. Wer den griechischen Text zur Hand nimmt, wird begreifen, daß bei der oft rätselhaften tief dunkeln Natur des Gedichtes seine wortgenaue Wiedergabe nicht überall möglich war. Die Fülle, Würde und Energie des griechischen wie des lateinischen Hexameters machen bei der Gewalt der antiken Sprache außerdem vieles Mittelmäßige noch immer genießbar, wenn dasselbe in einer modernen Sprache geradezu unerträglich wird. Meine Leser werden es billigen, daß ich einiges Unbedeutende und Unverständliche fortgelassen, oder große Längen und Wiederholungen des Originals durch Zusammenziehung vermieden habe.
Das Gedicht der Kaiserin Athenaïs Eudokia ist bei uns so gut wie unbekannt; und niemals ist von ihm, so viel ich weiß, eine deutsche Uebersetzung versucht worden. Sein literarischer Wert aber ist kein geringerer als dieser, daß es die erste dichterische Behandlung eines Themas ist, dessen modernste Gestalt die Faustsage genannt werden kann.
München, im October 1881.
F. G.