Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zweiter Gesang.
Amor und Psyche.

Nacht schon deckte das Meer und Campania's schattige Berge,
Die um Neapolis' Golf sanft gürtend im Kranze daherstehn,
Still abspiegelnd die Häupter im ewig erblauenden Sunde.
Immer erschaudert am Tag von des Helios Kusse die Welle,
Immer in lauliger Nacht von dem Kuß sehnsüchtiger Sterne.
Sieh', und es glomm jetzt voller und voller ein Schein des Vesuv auf,
Feurige Wolken umschwebten die Kuppe des grollenden Berges,
Weit hin brannte die Luft und der Spiegel des Meeres vom Abglanz,
Weit in das Land auch zuckte die Glut, um die Fluren von Nola,
Wo stets Flora die Au'n und die Hügel mit würzigen Blüten,
Gleich wie mit Flammen bestreut, und der feuerumknospte Granatbaum
Persephoneia's brennt von der roten vulcanischen Blume.
Und als wäre dem Meer auf's Neue der Abend entstiegen,
Ward vom Schein des Vesuv rings purpurn Himmel und Erde,
Purpurfarben die Stadt, und es leuchteten Plätze und Straßen.
 
     Aber Euphorion ging an dem Ufer des Meeres entlangwärts,
Einsam strebend, mit zagendem Fuß; oft hemmte den Schritt er,
Und er beschaute verwundert Pompejis entzückendes Nachtbild,
Wie an dem Golf es erblühte vom rosigen Schauder des Berges.
Flimmernd erglänzten die Tempel, und hell das erhabene Forum,
Rötlich die Zinnen der Stadt, die Theater und Hallen von Marmor.
Aber die Häuser gereiht in den schnurgrad laufenden Gassen,
Zierlich und klein, gleich Villen zu sehn, Lusthäuser des Sommers,
Wahrlich sie schienen gebaut von des Golfs Meergöttern zur Wohnung
Glücklichem Menschengeschlecht, das spielend die Tage dahinlebt;
Und gleich Ampeln zusammt um das Meer nun stralten sie Licht aus.
Grell auch waren im Hafen die schwärzlichen Schiffe beschimmert,
Welche gedrängt am tuffenen Wehr dort lagen vor Anker.
Und mit dem Blicke bemüht, als hätte Serapion's Schiffer
Drüben gefunden, am glänzenden Bild es erkennend der Isis,
Stand jetzt lange Euphorion da; ihm schien es, als sah er
Selber des Kaufherrn dunkle Gestalt an dem Steuer gelehnet,
Wie er die Sterne des Pols und das Leuchten des Berges beschaute.
Und er entwich schnell hin an des Meeres umlenkender Biegung,
Wie vor seines Gemüts strafbaren Gedanken ein Flüchtling.
Aber die Nacht durchirrte Getön seltsamlich und fremde,
Als ob Kraniche fern auf sausenden Schwingen dahinflöhn
Ueber die See, und vom Wandergesang in den Lüften es rauschte.

 
     Sieh', und es stand am Ufer des Arrius fürstliches Landhaus
Nah, in dem Hain der Platanen und wipfelnder Pinienbäume,
Rings von Gemäuer umfaßt, drauf mächtige Blumengefäße
Ragten, und Statuen auch anlockten mit sanfter Erscheinung.
Gern dort weilte der Reiche im Herbst, des Besitzes sich freuend
Und des entzückenden Landes; so weit es der Sarnus bespülte
Oder die Woge des Golfs, schlang Ring zum Ringe das Gut sich
Ihm. Was Väter zuvor in der Fremde, die stolzen, gegründet,
Häuser und Land in Rom, in Apulien, Samnium, oder
An dem venetischen Strande, verkaufte der Enkel bedächtig,
Hier sein Erbe zu häufen in zahllos blühenden Gütern,
Heimisch im Heimischen groß. Schon halb war eigen Pompeji,
Halb ihm Herkulanum, und selbst bis Stabiä dehnte
Rings um den Fuß des Vesuv sich Arrius' schöner Besitz aus,
 
     Jetzo nahte Euphorion leis der geöffneten Pforte;
Wie er am Tor nun stand und zum stralenden Hause hinaufsah,
Unruhvoll, denn tausend Gedanken bestürmten den Geist ihm,
Sieh', da nahm an der Hand ihn plötzlich der heitere Ion,
Sein schon harrend, und rief: wie spät doch kamst du! den Vater
Hat nun Pansa geholt, daß gegen den Fuß des Vesuv sie
Reiten, zu schaun, ob irgend die Kuppe des Kraters er wechselt,
Denn uns haben die Winzer, die ängstlichen, Solches gemeldet.
Aber so komm' in das Haus, wir plaudern mitsammen ein Stündchen;
Drinnen im Saal noch tanzen die Mädchen erklingende Tänze,
Die zu dem morgenden Tag in der römischen Weise sich üben,
Froh mit Gesang, und sie alle belehrt die verständige Schwester.
 
     Sprach's, und es eilte voran durch Buxuslauben des Gartens
Ion, und schwang sich empor zur prächtigen Treppe des Hauses,
Die, aus gelbem Gestein, zu der Säulenarkade hinanstieg.
Nun durchschritten den Flur sie, den schattig gebauten; ein jeder
Gast wol freute sich dort, zu betrachten die farbigen Wände,
Und den gefälligen Schmuck des musivisch erglänzenden Bodens.
Aber es scholl vom Saale daher viel fröhliches Klingen,
Lallender Flöten Getön und der Kastanietten Geklapper,
Mädchengekicher zugleich, und der Tact tanzschwingender Füße.
Gleich in das innre Gemach nun führte den Zaudernden Ion,
Aber er selber, der Schalk, im Nu fortspringend enteilte.
 
     Reizvoll war das Gemach und von woliger Ruhe beschattet,
Matt vom Schimmer erhellt der herabwärts schwebenden Ampel.
Rings auf rötlicher Wand wie im Luftraum glänzten Figuren,
Spielende, schön, gleich Bildern der Nacht, die lieblich der Traum malt;
Denn dort hatte mit künstlichem Sinn der verständige Maler
Ueber die Wände gebreitet die farbige Dichtung. Masken
Sah man hier aus Blumen entsprießen und schwärmende Falter,
Dort des Anakreon Grille das zierlichste Wägelchen lenkend,
Welches gezwungen im Schritt fortzog buntschillernd ein Vogel;
Amorinen sodann, die träumerisch saßen am Weiher,
Aus der crystallenen Welle die zappelnden Fische sich angelnd.
Doch vor allem ergötzten den Blick dort jene Monaden
Ueber dem schwärzlichen Grund, holdschwebend in wallenden Schleiern,
Welche das seidne Gelock zum Spiel hinwarfen dem Winde,
Aufwärts blickend, als ob gen Himmel die Seligen flögen.
Reich war alles umher, und in Fülle des Schönen geordnet,
Rings da funkelte Gold, rings Elfbein, Perlen und Lazur,
Rings anmutiger Schmuck der Geräte und Tische und Schränke.
Aber es plätscherte dort aus wölbiger Nische der Springquell
Kühl in die Muschel hinab, die knieend die Nymphe von Marmor
Ihm darbot, ein Gebilde des rühmlichen Künstlers Menandros.
Sieh', und inmitten ein Tisch grad unter die Ampel gestellet
War, alabastergefügt, hell glänzte die Platte dem Mond gleich;
Doch nichts trug er von Schmuck, wie immer es lieben die Mädchen,
Sächelchen gern auskramend, zur Schau sie zu stellen, die Kästchen,
Oder die Bildchen von Gold und des Meers buntfarbige Muscheln.
Sondern es leuchtete drauf alleinzig ein Salbengefäß nur,
So wie die Tulpe geformt mit dem schön ausschweifenden Kelche,
Wenn der Cicade den Tau sie kredenzet, die Hebe der Blumen.
Doch nicht stand's auf haltendem Stiel, denn eine Pandora
Trug's in geschwungenen Händen, und über dem Deckel gebildet
Sah man Venus, wie wenn von dem Bade die Göttin emporstieg.
Freudig erkannt' es der Meister, und nahm's vom Tisch in die Hände
Gleich, sein eigenes Werk, das einst er in trauriger Stunde
Selber geformt und Ione gebracht zur Abschiedsgabe.
 
     Jetzo rauschte die Thür', und es rauschte ein wallend Gewand auf,
Aber sie selber, die Herrliche, stand vor dem Schauenden plötzlich,
Arrius' Tochter Ione. Der Himmlischen Einer vergleichbar
Stand sie die hohe, die volle Gestalt der Gespielin bewegt da.
Staunend betrachtete ihn das entzückende Mädchen, erschrocken
Sah er empor und verwirrt; zur Erde die Augen geschlagen
Stand er bestürzt, in den Händen das schöne Pandoragebilde,
Gleich als wär' er gekommen, ein Gebender zagenden Herzens,
Ihr das Gebilde zu bieten, und sie, in die Hand es zu nehmen.
 
     Wie doch, sagte sie lächelnd, gemahnst du jetzo der Zeit mich,
Als du der Scheidenden einst zum Abschied botest das Bildwerk.
Vor mir standest du da, wie jetzt im selben Gemache
Einst am Abend, ich nahm's aus schenkenden Händen erfreut dir.
Sieh', nun sind sie verlebt und versponnen die Jahre, da bin ich
Wieder, da stehst du wieder vor mir in der gleichen Erscheinung,
Als ob über dem Haupt uns stille gestanden die Stunde,
Ja, als Gebender immer, Euphorion, tratest du vor mich,
Und so kehrst du mir wieder, der Gabenverarmten ein Geber.
 
Aber der Jüngling schlug jetzt auf, der Verwirrte, die dunkel
Blühenden Augen, und senkte sie wieder, und ernsthaft sprach er:
Wol steht stille die Zeit, die rastlos alles verwandelt,
Dem, der einsam bleibt, von des Tags einförmigem Kreise
Immer umhegt; wie sollte die Zeit und die Welt ihn ändern?
Hütet er still doch nur der Erinnerung heilige Schätze,
Hütet die selbigen Freuden getreu und das nämliche Leid auch.
Doch wer draußen die großen und wechselnden Tage dahinlebt,
Fröhlich genießend die Fülle der Welt und des Lebens Erscheinung,
Dem wol schwindet das Einst wie ein dunkel zerronnenes Traumbild,
Aber er wandelt sich auch, kehrt wieder er heim zu den Seinen,
Kennt er sie kaum, und es faßt ihn nimmer die kleinliche Enge.
Also bist auch du mir, o edele Herrin, verwandelt.
 
     Schnell antwortete drauf mit besonnener Rede die Jungfrau:
Ja! wol lebt' ich in Rom die beweglichen Jahre, der Heimat
Fern und den guten Gefreunden, so wollt's ja selber der Vater,
Da mir Verwais'ten so frühe die zärtliche Mutter dahinstarb.
Prachtvoll ist sie und groß die unsägliche blendende Welt dort,
Doch mich schreckt ihr wüstes Gewühl, Rom gleichet dem Chaos,
Wo sich alles bewegt und bekämpft, ineinander sich wirrend.
Sieh', da zagte mir oft mein Herz, und ich fühlte allein mich,
Sinnlos schien mir die Welt, falsch jegliches Treiben der Menschen.
Aber es spottete mein gar oft mit der spitzigen Rede
Tadelnd die Muhme, gedacht' ich verlangend der besseren Heimat.
Häufige Tränen vergoß ich, so oft mein schönes Pompeji
Ich in den Geist mir rief und den Golf und die sanften Gestade,
Oder die Wohnung hier mit den farbigen kleinen Gemächern.
Ja, mir wanderten oft aus Rom die betrübten Gedanken
Sehnend zurück zur Zeit der beglückteren heimischen Kindheit,
Gleich wie die Schwalben zum Lenz sich kehren, das Nest aussuchend,
Wo gramlos sie gediehn an den sonnigen Spielen sich freuend.
Aber es starb ach! dir die geliebteste Mutter Serena,
Treueste Pflegerin mir, der immer ich alles vertraute.
Jetzt an dem appischen Weg ruht fern sie in Rom, und den Sohn nicht
Schaut sie, das darbende Herz mit den Blicken der Liebe sich tröstend.
Aber ein freundliches Wort auch wollt' ich dir sagen des Willkomms,
Daß du morgen mir nicht voll grämendem Vorwurf dastehst,
Wenn in dem Saal zum Fest sich die herrlichen Freunde versammeln.
 
     Wie wenn schwebend Getön von äolischen Flöten am Abend
Sinkt in das Herz und erweckt traumseliges süßes Verlangen,
Also schwebte das Wort ihn an, die melodische Stimme
Gramvoll sollt' ich erscheinen? und habe die Jahre, so rief er,
Mir doch einzig erhellt mit dem Licht des erseufzeten Tages?
Sieh', nun naht er, und mir auch wird aufgehen ein Festtag,
Dort in des Vaters gerüstetem Saal, denn festlichen Anteil
Gönnst du, Edele, mir mit der freundlich ermunternden Rede.
 
     Aber es wandte Ione sich schnell vom stralenden Blick ihm,
Sah in die flimmernde Nacht, die über dem dampfenden Meere
Purpurn lag, und die schwarzen Cypressen und Pinienwipfel
Rot wie mit Feuer bedeckte; es regte sich nirgend ein Lufthauch,
Dennoch rauschte das Meer, man hörte die Wogen erbranden.
 
     Und jetzt sagte das Mädchen: wie fremd ist worden die Welt mir,
Alles erscheinet umher dem erkennenden Geiste verwandelt,
Anders die Loose der Menschen in ihrem gesonderten Schicksal,
Du auch scheinst mir ein and'rer, ich seh' dein Sclavengewand nun;
Das doch nimmer zuvor mir gekränkt die unsorgliche Seele,
Jetzo den Unmut regt es mir auf, dich also zu finden
Dunkel und schwermutsvoll und den schweigenden Gram in dem Antlitz,
Der das Gemüt mir straft wie ein stumm anklagender Vorwurf.
Denn mit erhabenem Sinn ausrüstete wahrlich ein Gott dich,
Himmlische Gaben dir leihend vor andern gewöhnlichen Menschen.
Steht doch nie die Natur in dem Busen des edelen Manns still,
Sondern sie treibt in das Große beständig und Weite; da muß er
Wirken und bilden, die göttliche Kraft in's Leben verbreitend,
Daß ihn einst zu den Besten geselle die rühmende Nachwelt.
All' das hab' ich bedacht voll Gram seit meiner Zurückkunft,
Da du mir wieder erschienst und ich sah dein trüberes Wesen,
Daß ich den Freund mir kaum und den frohen Gespielen erkannte.
Viel auch hat mir der Bruder berichtet, und sagte mir manches,
Wie in der Werkstatt du ein Gebild ausführtest in Thone,
Daß ich den Sinn wol gleich in dem ahnenden Geiste begriffen,
Dein sehnsüchtig Gemüt und die heimlich empörten Gedanken.
Aber vernimm mein Wort, denn dies ja wollt' ich dir sagen:
Flehend umfass' ich die Kniee dem Vater, mit schmerzlichen Bitten
Los dich bitt' ich von ihm, daß, ledig der kränkenden Knechtschaft,
Frei in die Welt du wanderst, verlassend das kleine Pompeji,
Andere Städte zu schau'n, wo treffliche Männer vereint sind.
Denn ob ungern auch, doch wird mir der Vater den Wunsch wol
Morgen gewähren, bewegt von des Festtags mächtiger Freude.
 
     Aber Euphorion stand wie betäubt vom Schlage des Wortes,
Blässe des Todes umfing sein Antlitz; heftig empor jetzt
Streckt' er die Hände, und rief: wie hast du ersonnen, Ione,
Mir solch Leid, in die Oede zu wandern, ein schweifender Flüchtling?
Wol schmückt herrlich den Mann die erhabene Krone der Freiheit,
Ihm ist Gipfel der Kraft sie und thatenbesiegelnde Weihe.
Ach! ich ersehnte sie heiß, aus Liebe zur heiligen Bildkunst,
Die in das Herz mir gab, dem verachteten Sclaven, die Muse;
Daß mir andre das Werk nicht schmäh'n handschaffender Arbeit,
Um dies dunkle Gewand auch meine Gebilde verhöhnend.
Aber ich übte die Kunst still mühend in traurigen Stunden,
Rastlos sann ich und schuf, in dem Busen zu stillen den Dämon.
Lösung hofft' ich dereinst, so wiss' es, o Herrin, ich hoffte
Auf dein eigenes Fest, ob dann großmütig der Vater
Mir mit der Freiheit lohnte das Werk, das heimlich ich aussann,
Nächte und Tage bemüht zu erschaffen die würdigste Schöpfung.
Sieh', das waren verworr'ne Gedanken, ein kindischer Schmerz nur
War's, im Busen genährt von der haltlos schweifenden Sehnsucht.
Eh' in die Tiefe versenkt' ich des Meers mein liebstes Gebilde,
Daß es verschlungen von ihm kein menschliches Auge beglücke,
Eh's in die Welt mich triebe von deinem beselenden Anblick.
Warst du die Muse der Kunst doch mir, und die Muse des Lebens,
Herrliche du, die frühe mit heiterem Ernst mir des Schönen
Welt aufschloß, und die Werke mir lehrte der göttlichen Charis.
Denn du wecktest den bildenden Geist in dem jungen Gemüte
Auf zur formenden Kunst, du lenktest die schüchternen Hände,
Als ich ein Knabe dem Vater in seiner dädalischen Werkstatt
Zusah, wenn er das dunkle Metall zum Wundergebilde
Ernst sich und still auswob mit den rastlos flechtenden Händen.
Dann in gefügiges Wachs nachformt' ich ein schmeichelndes Bildwerk,
Dir dann bot ich es dar, glückselig und hoch wie ein Künstler.
Aber Entzückung floß in die Brust mir, freute das Werk dich
Innig; und anderes sann ich mir aus, und ich trug es beseligt
Immer dir zu, und so ward ich ein Bildner im tändelnden Spiele.
Denn dein schwebendes Bild stand über den Sinnen mir ewig.
Ewig verwob in das Werk sich mir dein eigenes Leben.
Sieh', da wurde die Hand mir leicht, und es drängten sich mächtig
Knospen an Knospen hervor aus meinem berauschten Gemüte,
Daß mein Vater erstaunte und selbst dein strengerer Vater
Arrius mich an das Herz gleich eigenem Sohne heraufnahm.
Aber es kam die verödende Zeit, du gingst und es schwand mir
Schnell mein Genius auch in die zweifelverdüsterte Nacht hin.
Bildlos ward mir die Seele, betrübet von fremden Gewalten,
Und da nahm ich zuerst dies schimpfliche Sclavengewand wahr;
Ketten erfühlt' ich um mich, und es sank mein Herz in die Knechtschaft,
Laß mich schweigen der Zeit, denn jetzt ja ist sie verwunden,
Frei nun ward ich, so wie wer lang in dem dumpfigen Turme
Schmachtete, aber das Tor springt auf, und es atmet herein ihm
Plötzlich das himmlische Licht und des Lenzes lebendiger Odem.
Nimmer, Ione, gescheh's! nicht zieh' ich das Sclavengewand aus,
Wäre die Freiheit doch gleich Tod mir, wahrlich die Welt mir
Rings wie verödete Nacht, und ein sternlos düster Gefängniß.
Ich wol weiß es, es wählt dein Vater alsbald den Gemal dir
Unter den Jünglingen aus und den Ersten der reichen Bewerber;
Dann, wenn heim an den eigenen Herd du ziehest, o dann noch
Laß mich schmücken mit Kunst und mit manchem Gebilde die Wohnung,
Daß du meiner gedenkst, des Gefährten entschwundener Kindheit.
 
     Also rief er, es flehten vom Aug' ihm schmerzliche Blicke.
Aber mit stockender Stimme versetzte das herrliche Mädchen,
Und ihr wallte das Herz in dem atmenden Busen bewegt auf:
Wie so seltsam ist mir zu Mut, als schaudert die Erde
Leise mir unter dem Fuß, und es wird traumschlafend das Haupt mir.
Schwül auch weht es herab, und es gleißt die entzündete Nacht so
Fiebernd am Himmel, und sieh', da kommt mir das seltene Traumbild
Wieder in Sinn, das gestern zu Nacht mein Lager umschwebte.
Aber ich weiß gar wol, dies war mein eigenes Denken,
Weil von des Ikarus Bilde so viel mein Bruder mir sagte.
Sieh', und ich saß in der Nacht voll Angst dort über dem Berge,
Wo sich der Schlund ihm rot, der entsetzliche Krater heraufthut.
Schwarz war rings das Gefild mit der schwefligen Asche bestreuet,
Schwarz stand unten das Meer, und es schien am Himmel ein Stern nur;
Aber ein ringelndes Feuer umfloß mich rauchender Lava.
Sieh', da standst du plötzlich vor mir, zwei stralende Flügel
Ueber den Schultern gewölbt, und du hieltst in den Händen bereit noch
Andere Flügel und sprachst: wie lang noch soll' ich, Ione,
Tragen die Ketten? du kamst, doch ganz ja bist du vergeßsam,
Aber ich machte mir Flügel, und dir auch herrliche selber.
Komm, wir fliegen hinaus weit über die wallende Meerflut,
Eh' des Vesuvius Brand uns beiden die Schwingen verzehrte.
Und da faßtest du mich, und zusammen ich fuhr und erwachte.
 
     Also das Mädchen, und plötzlich erschreckt dann sagte sie ernsthaft:
Was doch red' ich zu dir! nicht weiß ein verständiges Wort ich
Heute zu sagen, so ganz sind mir traumwankend die Sinne
Vom Glutflimmer der Luft und der Schwüle des libyschen Windes.
Hin sind nun für immer der Kindheit trauliche Tage,
Und wir stehen wie Freunde an trennenden Stromes Gestaden,
Welche zum Abschied sich die beweglichen Zeichen entsenden.
Ja! wol weiß ich, es scheinet das Heil uns öfter ein Unheil,
Denn es verhüllen die Götter das Glück in ein schwarzes Gewölk oft,
Aber das edle Gemüt beugt fromm sich jeglichem Schicksal,
Herrlich entschlossen erfüllt's, was immer die Himmlischen fodern,
Bis ihm leuchtend der Pfad zu dem schöneren Ziele sich aufthut.
Sieh', ich kam, doch du mußt gehen, o Guter, sobald mir
Morgen am Fest mein Vater die heißeste Bitte gewähret.
O dann wisse, wie gern dein denken die Freunde, und dein ich
Ewig gedenke; so lass, o Euphorion, schweigen und gehn mich.
 
     Aber so wie von des Traumes Umstrickung plötzlich der Schläfer
Los sich ringt, dem pochend an's Haupt der ambrosische Lichtstral
Weckt die betaumelten Geister, und klar ihm tagt das Bewußtsein,
Also wachte das Herz schnell auf in dem Busen dem Jüngling,
Schmerzvoll sah er empor, doch selig zugleich, und das Haupt dann
Ließ vorunter er sinken — er schwieg — nur fester die Hände
Drückt' auf's Herz er und fester. Und beide sie schwiegen und standen
Gegeneinander die Herrlichen stumm; doch zwischen den Guten
Unsichtbar stand lächelnd der himmlische Zauberer Amor,
Rührte herüber sie an und hinüber, von Herze zu Herzen
Ihnen verknüpfend das Weh. Und es seufzte die Welle des Meeres
Tief; still hingen die Lüfte und schwül am gleißenden Himmel,
Und des Vesuvius Schein fiel zuckend in's dämmernde Zimmer,
Seltsam rot, und umatmete hell und umzauberte beide
Junge Gestalten; es rollte herauf dumpfrollend Getöse,
Wie als schauderte tief, krampfspürend die fiebernde Erde.
 
     Aber es schaute Ione des Freund's Antlitz, und die Züge
Sah sie, die edeln, erblassen, es wurden die Augen mit einmal
Trüb' auch ihr, und sie streckte die Hände hinüber und sagte:
Lebe, Euphorion, wol! Wie jetzt er die pulsenden Hände
Faßte und hielt, und sie warm in den seinigen fühlte und wärmer,
Unter dem Fuß ihm dünkte die zuckende Erde zu taumeln.
Aber es donnerte dumpf, dumpf auf, allwärts in den Tiefen,
Rollend am Himmel erscholl es, und rollend im Schlunde des Berges.
Dann wie ein Krampf zog's an, mehrmal, und es klirrte die Wohnung,
Klirrten die Mauern erschaudernd und schütterten dröhnend die Säulen
Helle mit klingendem Klang, und der Flut gleich wallte der Boden.
 
     Aber so wie an dem schwefelentatmenden Saum des Avernus
Flugs vom Dunste betäubt hintaumelt die zwitschernde Schwalbe
Ueber den rötlichen Sand, ihn fegend mit greifenden Flügeln,
Also schwankte das Mädchen vom Schlag der elektrischen Lüfte,
Also taumelte sie und entsank an die Schulter dem Freunde,
Ueber die Brust ihm fielen die weichlichen Locken, es glühte
Ihm am Herzen das himmlische Haupt, und die glänzenden Arme
Schlang sie, sich stützend, herauf, und der Bebende faßte sie mächtig.
Stand, an den Sinnen betäubt; vom Erdstoß wankte die Welt rings.
Aber er stand wie entrückt, ihm schien's sein taumelndes Herz nur,
Wie es versank im Gewoge der jauchzenden Jammerentzückung.
Ihnen zerpflückte des Munds aufstammelnde Worte wie Blumen
Amor, streuend umher Ausruf, Anruf und das Flüstern
Heiliger Namen der Liebe, Euphorion's Namen, Ione's,  

     Stimmen erschollen im Haus, lautgellende Stimmen der Mädchen,
Und in die Thüre zugleich sprang schreiend der zitternde Ion:
Weh uns, wehe, so rief er, es schwankt hinstürzend die Wohnung,
Hoch auflodert der Berg, und bedeckt ist alles mit Lichtflut;
Aber den Garten herauf kam jetzo der Vater zurück uns.
 
     Und kaum rief er das Wort, kaum hatten die Hände gelöset
Jene, da sieh', schon stand in der Thüre der eilige Vater,
Arrius, ragend an Haupt und Gestalt in der faltigen Toga,
Ernst und gebietend zu sehn; doch nicht der Verworrenen Antlitz
Sah er, zu sehr ja selbst in den schaudernden Sinnen bezwungen,
Noch auch achtete deß er, wie schnell in das Nebengemach nun
Eilte die Tochter, und wie zur Erde die Blicke hinabwärts
Heftend der Glühende stand im Gemache Euphorion vor ihm.
Doch mit dem herrschenden Blick ansah er den Schweigenden fragend,
Zornvoll nicht, doch streng, und er sprach die gehaltenen Worte:
Was doch hier in dem Frauengemach, o Knabe, verweilst du,
Frech vordringend? so mein du wartetest, wahrlich ein andrer
Ort wol ziemte dir da, in dem Vorhof oder der Halle
Unter dem übrigen Schwarm; denn nichts Unschickliches soll mir
Ganz austilgen die Zucht und die Regel des edelen Hauses.
Daß du selber mir nicht Zorn weckst, dir kürzend die Wolthat
Freundlicher Gaben — und wol kein Anderer rühmet der Gunst sich,
Welche dir Arrius schenkt und die eigenen Kinder des Hauses.
Auf und hinweg mir, Knabe, und flink mir morgenden Tages
Alle beschämt, o Grieche, mit ruhmvoll tüchtigem Werke,
Sprach's, und er eilte der Tochter sogleich in das Nebengemach nach.
 
     Doch wie berauscht noch stand, wie im Traume der Jüngling.
Halb nur Arrius' Stimme vernahm er, und halb nur kränkte das Wort ihn;
Also stand er versenkt in ein inneres Anschaun. Aber
Rasch mit erweckendem Ruf an der Hand nahm selber das Kind ihn,
Führte sogleich in den Flur ihn fort und zur offenen Halle,
Als er hinweg nun floh in des seltsam dämmernden Gartens
Flammenumwitterter Nacht, und die zuckende, schwebende Glut sah
Ueber den Himmel herauf und das Meer und die Erde gebreitet,
Als ob innen der Geist ihm wäre gelöst vom Dasein,
War es zu Sinn ihm da, als flog er den Himmel entlang nun,
Ikarus gleich, gramselig entzückt auf Flügeln Aurora's.



 << zurück weiter >>