Franz Grillparzer
Die Ahnfrau
Franz Grillparzer

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Soldat (zum Hauptmann).
Eben hat man einen Räuber,
Der im Schilfe lag verborgen
Von dem nahgelegnen Weiher,
Edler Herr, hier eingebracht.

Graf.
Einen Räuber?

Berta.
Güt'ger Gott!

Graf.
Jüngling noch? Von schlankem Wuchse?

Soldat.
Nein, Herr Graf, beinah schon Greis.
Er verlangt mit Euch zu sprechen.
Wicht'ges hab' er zu verkünden,
Wichtiges für ihn und Euch.

Hauptmann.
Mag der Bösewicht es wagen
Dieses Mannes letzte Stunden –

Graf.
Laßt ihn kommen, lieber Herr!
Hat er sich gen mich vergangen,
Will ich sterbend ihm verzeihn,
Oder ward vielleicht von mir
Ihm Beleid'gung oder Unbild,
Soll ich aus dem Leben scheiden
Mit des Armen Fluch beschwert?

Hauptmann.
Wohl, er komme!

(Soldat ab.)

Günther.
Gnäd'ger Herr,
Unbequem ist dieses Lager.
Ihr erlaubt es wohl, wir tragen
Euch in Euer Schlafgemach.

Graf.
Nein, nicht doch! Hier will ich bleiben,
Hier in dieser heil'gen Halle:
Die des Knaben muntre Spiele,
Die des Jünglings bunte Träume,
Die des Mannes Taten sah,
Soll auch sehn des Greises Ende.
Hier, wo meiner Ahnen Geister
Mich mit leisem Flug umschweben,
Hier, wo von den hohen Wänden
Eine lange, würd'ge Reihe,
Die noch jetzt der Ruhm erhebt,
Niederschaut auf ihren Erben,
Wo die Väter einst gelebt,
Soll der letzte Enkel sterben!

(Boleslav tritt ein, von Wachen geführt.)

Boleslav (sich auf die Kniee niederwerfend).
Gnäd'ger Herr, ach habt Erbarmen!
Laßt mich Gnade, Gnade finden,
Sprecht für mich ein mächtig Wort!
Und zum Lohne will ich dann
Eine Kunde Euch erteilen,
Die schnell Euer Siechtum heilen,
Euch mit Lust erfüllen soll.

Graf.
Gibt's für mich gleich keine Kunde,
Die so mächtig wie du sprichst,
Doch versprach ich dir zur Stunde,
Hier in meines Freundes Geist,
Wenn's zum Guten was du weißt
Sollst du gnäd'ge Richter finden,
Gnädig auch bei schweren Sünden.

Boleslav.
Wohl so hört, ach, und verzeiht!
Einst, jetzt sind's wohl zwanzig Jahre,
Ging ich eines Sommerabends,
Damals schon auf schlimmen Wegen,
Hier an Euerm Schloß vorbei.
Wie ich lauernd ringsum spähe,
Da gewahr ich an dem Weiher,
Der an Eure Mauern stößt,
Einen schönen, holden Knaben,
Kaum drei Jahre mocht' er haben;
Der warf spielend Stein auf Stein
In die klare Flut hinein.

Günther.
Güt'ger Gott!

Graf.
Was werd ich hören!

Boleslav.
Schön und köstlich war sein Kleid,
Und um seinen weißen Nacken
Hing ein funkelndes Geschmeid.
Mich gelüstet nach der Beute.
Ringsum schau ich, nirgends Leute,
Ich und er nur ganz allein.
Ich versuch's ihn anzulocken,
Abzulocken ihn vom Schlosse,
Zeig ihm Blumen, zeig ihm Früchte,
Und der Knabe froh und heiter
Folgt mir weiter, immer weiter
Bei des Abends Dämmerschein
In den düstern Wald hinein.

Graf.
Ach es war, es war mein Sohn!

Günther.
Und wir glaubten ihn ertrunken,
In des Weihers Schlamm versunken,
Weil sein Hut im Wasser schwamm!

Graf.
Jubelst du in toller Lust,
Glaubst du, daß in Räubers Brust
Menschlichkeit und Mitleid wohnet?
Glaubst du, daß er ihn verschonet?

Boleslav.
Ja ich habe ihn verschont!
Morden wollten ihn die Brüder,
Daß nicht durch des Knaben Mund
Unsre Wege würden kund,
Doch ich setzte mich dawider.
Und als die Gefährten schwören,
Nimmer soll' er wiederkehren
Aus des Waldes Nacht heraus
In der Eltern heimisch Haus,
Da, Herr, dau'rte mich der Kleine,
Da ward Euer Sohn der meine.
Bald vergaß er Euch und sich,
Und er ehrt als Vater mich.

Graf.
Gott! Mein Sohn! – Er lebt! er lebt!
Aber wie? – Ha, unter Räubern!
Ist wohl gar? – Weh ist –

Boleslav (mit gesenkten Augen).
Was ich!

Graf.
Räuber? – Gott, er sagt nicht: Nein!
Schweigt erstarrt und sagt nicht: Nein!
Ha mein Sohn ein Räuber, Räuber!
Hätt' ihn doch dein schwarzer Mund
Tückisch Wassergrab verschlungen,
Besser, schien's mir gleich so hart,
Wär' sein Name nie erklungen,
Als mit Räuber jetzt gepaart.
Aber ach, was fluch ich ihm?
Gott, hab Dank für diesen Strahl!
Räuber! War's denn seine Wahl?
Bring ihn, Guter, bring ihn mir,
Auch für den Räuber dank ich dir!

Boleslav.
Er ist hier in Euerm Schlosse!

Graf.
Hier? –

Boleslav.
Ja, Herr, Euch unbekannt.
Jener Fremde der heut abend
Matt und bleich um Zuflucht bat –

Berta.
Jaromir?

Boleslav.
Derselbe, ja!

Graf.
Teufel! Schadenfroher Teufel!
Nimm's zurück das Donnerwort,
Nimm's zurück!

Boleslav.
Er ist's, mein Herr!

Graf.
Widerruf!

Boleslav.
Ich kann nicht, Herr!

Graf (sich mit höchster Anstrengung aller Kräfte vom Lager aufrichtend).
Widerruf!

Hauptmann (besänftigend zum Grafen).
Herr Graf!

(Auf Boleslav zeigend.)

Fort mit ihm!

Boleslav.
Mein Herr Ritter!

Hauptmann.
Fort mit ihm!

(Boleslav wird abgeführt.)

Graf.
Er geht fort, und sagt nicht: Nein!
So begrabt mich denn ihr Mauern,
Und Verwüstung brich herein,
Stürzet ein ihr festen Säulen,
Die der Erde Ball getragen,
Denn den Vater hat sein Sohn erschlagen!

(Zurücksinkend.)

Berta (aufs Lager hinstürzend).
Todespforte tu dich auf!

(- Pause. – Alle stehen in stummen Entsetzen.)

Graf.
Wie hab ich so oft geklagt,
Daß ein Sohn mir ward versagt,
Kampfgerecht und lehenbar,
Wie der Väter hohe Schar.
Seht des Schicksals giftigen Hohn!
Seht, ich habe einen Sohn,
Es erhielt ihn mild am Leben,
Mir den Todesstreich zu geben!

Wenn mein Aug' sich tränend netzte,
War die Klage ohne Not,
Väter, ich bin nicht der Letzte!
Noch lebt einer! – am Schafott! – –
Was liegt dort zu meinen Füßen
Und blinkt mich so blutig an?

Günther (den Dolch aufhebend und hinhaltend).
's ist der Dolch, der Euch verwundet!

Graf.
Dieser war es? Dieser Dolch?
Ja du bist es, blutig Eisen,
Ja, du bist's, du bist dasselbe,
Das des Ahnherrn blinde Wut
Tauchte in der Gattin Blut.
Ich seh dich, und es wird helle,
Hell vor meinem trüben Blick.
Seht ihr mich verwundert an?
Das hat nicht mein Sohn getan!
Tiefverhüllte, finstre Mächte
Lenkten seine schwanke Rechte!

(Günthern anfassend.)

Wie war, Alter, deine Sage,
Von der Ahnfrau früher Schuld,
Von dem sündigen Geschlecht,
Das in Sünden ward geboren
Um in Sünden zu vergehn!
Seht ihr jenen blut'gen Punkt
Aus der grauen Väterwelt,
Glühendhell herüberblinken?
Seht, vom Vater zu dem Sohne
Und vom Enkel hin zum Enkel
Rollt er wachsend, wallend fort,
Und zuletzt zum Strom geschwollen,
Hin durch wildgesprengte Dämme,
Über Felder, über Fluren,
Menschendaseins, Menschenglücks
Leichtdahingeschwemmte Spuren,
Wälzt er seine Fluten her,
Uferlos, ein wildes Meer.
Ha, es steigt, es schwillt heran,
Des Gebäudes Fugen krachen,
Sinkend schwankt die Decke droben
Und ich fühle mich gehoben!

Tiefverhüllte Warnerin,
Sünd'ge Mutter sünd'ger Kinder,
Trittst du dräuend hin vor mich?
Triumphiere! Freue dich!
Bald, bald ist dein Stamm vernichtet;
Ist mein Sohn doch schon gerichtet!
Nimm denn auch dies Leben hin,
Es stirbt der letzte Borotin! (Sinkt sterbend zurück.)

Günther.
Gott! Es sprengen die Verbande!
Weh, er stirbt!

(Über ihn gebeugt, die Hand auf seine Brust gelegt, nach einer Pause.)

Er ist nicht mehr! –
Kalt und bleich sind diese Wangen,
Diese Brust hat ausgebebt.
Qualvoll ist er heimgegangen,
Qualvoll, so wie er gelebt.
Fahr denn wohl, du reine Seele,
Ach und deine Tugenden
Tragen dich wie lichte Engel,
Von der Erde Leiden los
In des Allerbarmers Schoß.
Schlummre bis zum Morgenrot,
Guter Herr, und was dies Leben,
Karg und hart, dir nicht gegeben,
Gebe freundlich dir der Tod!

(Er sinkt betend auf die Kniee nieder. Der Hauptmann und alle Umstehenden entblößen die Häupter. Feierliche Stille.)

Hauptmann.
So, ihm ward der Andacht Zoll!
Und jetzt Freunde, auf, zu rächen
Das entsetzliche Verbrechen
Auf des blut'gen Mörders Haupt!

Günther.
Wie, Ihr wolltet?

Hauptmann.
Fort, mir nach!

(Ab mit seinen Leuten.)

Günther.
Güt'ger Himmel! Haltet ein!
Hört Ihr nicht? Es ist sein Sohn!
Meines Herren einz'ger Sohn!
Fräulein Berta! – Hört doch, hört!

(Dem Hauptmanne nach.)

Berta (sich aufrichtend).
Rief man mir? – Nu, Berta rief es,
Ei, und Berta ist mein Name. –
Aber nein, ich bin allein!

(Vom Boden aufstehend.)

Stille, still! Hier liegt mein Vater,
Liegt so sanft und regt sich nicht.
Stille! Stille! Stille! Stille!

Wie so schwer ist dieser Kopf,
Meine Augen trübe, trübe!
Ach ich weiß wohl, manche Dinge,
Manche Dinge sind geschehn,
Noch vor kurzem erst geschehn;
Sinnend denk ich drüber nach;
Aber ach, ein lichter Punkt,
Der hier an der Stirne brennt,
Der verschlingt die wirren Bilder!

Halt! Halt! Sagten sie denn nicht,
Nicht, mein Vater sei ein Räuber?
Nicht mein Vater, nicht mein Vater!
Jaromir, so hieß der Räuber!
Der stahl eines Mädchens Herz
Aus dem tiefverschloßnen Busen,
Ach, und statt des warmen Herzens
Legte er in ihren Busen
Einen kalten Skorpion,
Der nun grimmig, wütend nagt
Und zu Tod' das Mädchen plagt.
Und ein Sohn erschlug den Vater

(freudig.)

Und mein Bruder kam zurück,
Mein ertrunkner, toter Bruder!
Und der Bruder – Halt! – Hinunter!
Nur hinunter, da hinunter!
Fort in euren schwarzen Käfich!

(Die Hand krampfig aufs Herz gepreßt.)

Nage, nage, gift'ges Tier,
Nage, aber schweige mir!

(Ein Licht vom Tische nehmend.)

Ei, ich will nur schlafen gehn,
Schlafen, schlafen, schlafen gehn.
Lieblich sind des Schlafes Träume,
Nur das Wachen träumt so schwer!

(Ihre umherschweifenden Blicke auf den Tisch heftend.)

Was blinkt dort vom Tisch mich an?
O ich kenn dich, schönes Fläschchen!
Gab mir's nicht mein Bräutigam?
Gab zum Brautgeschenke mir's.
Sprach er nicht als er mir's gab,
Daß in dieser kleinen Wiege
Schlummernd drin der Schlummer liege?
Ach der Schlummer! Ja, der Schlummer!
Laß an deinem Rand mich nippen,
Kühlen diese heißen Lippen,
Aber leise – leise – leise. –

(Sie geht auf den Zehenspitzen, mit jedem Schritte mehr wankend auf den Tisch zu. Eh' sie ihn noch erreicht, sinkt sie zu Boden.)

Ende des vierten Aufzuges


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