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(Rustan hat ergrimmt das über dem Becher auf dem Tische links ausgebreitete Tuch hinweggerissen.)
König.
Doch, dort steht er. Wie er blinkt,
Freundlich mir entgegenwinkt!
Ach, was ist seitdem vergangen,
Seit mein Mund an dir gehangen!
Zanga, geh nach Licht! (Zanga geht ab.) Du, Alter,
Bring mir her dort jenen Becher,
Jenen frohen, holden Wein!
Ach, vielleicht, daß von dem Glück,
Das in mir, als ich getrunken,
In den Kelch ein Hauch gesunken,
Und er gibt ihn nun zurück.
Bring den Becher, bring den Wein!
(Er hat sich auf das Sofa gestreckt. Der alte Kaleb geht nach dem Becher auf dem Tisch links. Da er ihn bereits ergriffen, fällt ihm Rustan in den Arm.)
Rustan.
König, trink nicht!
König.
Und warum?
Rustan.
Nicht aus dieses Mannes Hand,
Der durch schlau erdachte Lügen
Ab mir deine Gunst gewandt,
Und der töten kann, wie lügen;
Nicht aus dieses Mannes Hand!
König.
Ruhig sei du nur zur Stund'!
Was er sprach, (Die Schrift in seiner Hand haltend.) was hier geschrieben,
Ist dem Wahren treu geblieben,
Wahrheit sprach sein stummer Mund.
Und so nehm ich mit Vertrauen
Das Gefäß aus seiner Hand.
Wer wird allen denn mißtrauen,
Weil ein einz'ger nicht bestand?
Rustan.
Wohl denn! sei's zum Glück gewandt!
(Er läßt den Alten los, der den Becher dem Könige bringt.)
König.
Rustan, sieh hier diesen Becher,
Den ich erst dir zugetrunken,
Erst als Erben und als Sohn,
Sieh, ich halt ihn jetzt noch immer
Mit versöhnlichem Gemüt.
Dünkt es gut dir, aufzuklären,
Was geschehn, was du getan; –
Zwar nicht mehr als Sohn und Erbe,
Da reicht Höhres nur hinan; –
Doch mit Zeichen meiner Gnade,
Mit Geschenken reich geschmückt,
Sollst du ziehen deine Pfade,
Wie kein Sterblicher beglückt.
Laß den Frieden uns erneuen!
(Den Becher emporhebend.)
Rustan! Allen, die bereuen!
Rustan (vor sich hin).
Prosit! – Wen's zuerst gereut!
(Er wendet sich ab.)
(Da der König im Begriffe ist zu trinken, öffnen sich die Vorhänge des Zeltes und Zaziga tritt ein; hinter ihm Diener mit Lichtern und Wein.)
König.
Setzt die Lichter auf den Tisch,
Und geht hin zu meiner Tochter;
Ich will hier des Abends Kühle
Noch ein Stündchen mir genießen.
Erst zu Nacht erwartet mich!
Aber fort mit den Gefäßen!
Hier ja steht mein Freudenwein. (Er trinkt.)
Nie ja trank ich so gewürzten,
Feurig-starken, schäum'gen, dunkeln;
Jugendähnlich gleitet er
Durch die abgespannten Fibern
Und die Luft im Raum erzittert
Von dem sprühend geist'gen Duft.
Köstlich! labend! (Er trinkt.)
Zanga.
Herr, o sieh!
Rustan.
Schweig!
Zanga.
Die Führer auch des Heeres
Sind gewonnen, Euch zu Dienste.
Über Undank murren sie,
Harren Eurer.
Rustan.
Nun, ich komme.
König.
Geht ihr andern! Kaleb, bleib!
(Die Diener gehen.)
Laß uns sehen diese Schrift,
Die zerstreuten einzlen Blätter,
Die dein Sohn aus der Verbannung,
Nebst der Schutzschrift, die wir lasen,
Schrieb dem tiefgekränkten Vater.
Hier stehn Namen, die ich kenne.
Horch! und – schweig! sagt' ich beinah,
Doch du schweigst ja jetzt und immer.
(Rustan ist, den übrigen folgend, bis zu des Zeltes Ausgang gekommen, dort bleibt er stehen und tut, lauschend, einige Schritte zurück. Der König liegt lesend auf dem Sofa, an dessen Seite der alte Kaleb, auf den Knien niedergekauert, zuhört. Die Lichter auf dem Tische erhellen die Gruppe. Der übrige Teil der Bühne ist dunkel.)
Der König (liest).
»An den Quellen des Wahia
Leb ich einsam, ein Verbannter,
Nah des alten Massud Hause.«
Also schreibt dein armer Sohn
In dem ersten seiner Blätter.
»Sah dort Mirza, seine Tochter,
Sie, die einz'ge, die vergleichbar,
Nahe mindstens kommt Gülnaren,
Meines Herrn erlauchter Tochter.«
Wohl erlaucht! Hättst du's bedacht,
Dein Geschick wär' leicht und milde.
(Weiterlesend.)
»Rustan, Rustan, wilder Jäger!
Warum quälst du deine Liebe,
Suchst auf unbetretnen Pfaden
Ein noch zweifelhaft Geschick?«
(Die hintern Vorhänge werden durchsichtig und zeigen in heller Beleuchtung Mirza mit in dem Schoße liegenden Händen vor der Hütte ihres Vaters sitzend. Vor ihr steht ein Greis, in Gestalt und Kleidung ganz dem alten Kaleb ähnlich. Er hält eine kleine Harfe im Arm. Rustan, der zusammenfahrend einige Schritte zurückgewichen ist, macht, mit beiden Händen auf die beiden Greise zeigend, ihre Ähnlichkeit bemerkbar.)
König (lesend).
»Schau, sie kommt dir ja entgegen,
Sorgt um dich mit frommen Blick,
(Mirzas Gestalt erhebt sich.)
Kehr zurück auf deinen Wegen,
Wenn nicht hier, wo ist das Glück?«
Rustan.
Mirza! Mirza!
(Die Erscheinung verschwindet.)
König.
Wer ist hier?
Rustan (vortretend).
Ich, mein Fürst.
König.
Und was führt her dich?
Rustan.
Nennen hört' ich meinen Namen,
Und ich glaubte, Herr, du riefst.
König.
Nicht nach dir; doch rief ich Rustan;
War's ein andrer gleich, der fern wohnt
An den Quellen des Wahia.
Doch, da hier, magst du nur bleiben.
Manches steht wohl hier geschrieben,
Das du deuten kannst und sollst.
(Rustan zieht sich zurück.)
Der König (liest weiter).
»Rustan, Rustan! wilder Jäger« – (Einhaltend.)
Wird's mir dunkel doch und wirre!
Alter, rück die Leuchte näher,
Schlummer, scheint's, trübt meinen Blick.
Noch ein Schluck. (Er trinkt.)
Nun, so scheint's besser. (Er liest.)
»Rustan, Rustan, wilder Jäger,
Kehr zurück auf deinen Pfaden!
Was ist Ruhm, der Größe Glück?
Sieh auf mich! Weil ich getrachtet
Nach zu Hohem, nach Verbotnem,
Irr ich hier in dieser Wüste,
Freigestellt das nackte Leben
Jedes Meuchelmörders Dolch.«
(Die Wand des Zeltes wird von neuen durchscheinend. Es zeigt sich, hell beleuchtet, der Mann vom Felsen. Der braune Mantel hängt nachschleppend über die rechte Schulter. An der linken entblößtem Brust nagt eine Natter, die er in der Hand hält.)
König (liest).
»Und wenn ich ihn auch zermalme,
Wie der Hirt die Schlange tritt,
Bin ich minder tot?«
(Der Mann vom Felsen macht eine Bewegung mit der Hand, als wollte er die Schlange nach Rustan schleudern.)
Rustan (niederstürzend).
Entsetzen!
(Die Erscheinung verschwindet.)
König.
Was ist hier?
(Die Umhänge des Ruhebettes zurückschlagend.)
Rustan am Boden?
Was geschah? Sieh, Alter, hin!
(Der alte Kaleb nähert sich dem Hingesunkenen.)
Rustan (sich emporrichtend).
Ist er fort? Ha, Zauberkünste!
Und doch nur der Sinne Traum.
(Nach rückwärts gewendet.)
Kommst du immer, wenn's zu spät?
Immer, wenn's bereits geschehen?
Sieh den Becher halb geleert,
Ganz erfüllt schon mein Geschick.
König.
Mir wird schwül, mein Innres brennt.
Aufwärts bäumen sieh die Fluten,
Alle Tropfen meines Blutes.
Böser Trank. – Was war im Becher?
Rustan! Rustan! Was im Becher?
Rustan (bebend).
Herr, weiß ich's?
König.
Und das Gefäß!
Was nur trübte meine Augen?
Das ist nicht derselbe Becher!
Fremde Zeichen stehen drauf,
Sinnlos wilde, wirre Zeichen.
Wo mein Becher? Rustan, Rustan!
Rustan (in die Knie sinkend).
Herr, weiß ich's?
Die Alte (kommt hinter den Umhängen des Ruhebettes hervor. Sie rollt den mitgenommenen Becher mit dem Fuße vor sich her, dem Vorgrunde zu).
Hi, hi, hi!
Lauf mein Rädchen,
Spinn dein Fädchen!
Nun und nie!
Hi, hi!
(Sie verschwindet hinter den Vorhängen.)
(Rustan hat sich bemüht den rollenden Becher aufzuhalten und unter dem am Boden liegenden Mantel zu verbergen.)
König.
Welch Geräusch? – Das ist mein Becher;
Dieser hier ein unterschobner.
(Er ist vom Bette aufgestanden.)
Rustan, Rustan! Heil'ge Götter!
Ist denn niemand hier? Kein Helfer?
Alter, komm, sei du mir Stütze!
(Zu Rustan, der noch immer mit dem Becher beschäftigt ist.)
Ha, umsonst verhüllst du es!
Ewig sichtbar dein Verbrechen!
Alter, hilf! Ach, ich vergehe!
Hört denn niemand? Eilt nach Ärzten!
Rettung! Beistand! Rache! Hilfe!
(Er sinkt am Eingange des Zeltes den dort Entgegenkommenden in die Arme. Die Vorhänge schließen sich über der Gruppe.)
Rustan (nachdem er einige Male nach dem vor ihm liegenden Becher gegriffen hat, ihn endlich fassend).
Endlich! Endlich! – Ha, und dort!
(Er hebt auch den zweiten neben dem Ruhebette liegenden Becher auf, die Becher in beiden Händen wechselweise betrachtend.)
Eins und eins!
(Mit den Augen am Boden suchend.)
Wo ist der zweite?
Eins und eins! Der zweite, wo?
Wo der andre, andre Becher?
(Er sinkt erschöpft mit dem Haupt gegen das Ruhebette.)
Zanga (kommt).
Herr! ach, alles ist verloren!
Rustan (fährt empor).
Zanga.
In den Armen drauß der Seinen
Liegt der alte Fürst vergehend.
Seine Lippen stammeln Worte,
Er enthüllt wohl, was geschehn,
Was hier vorging, spricht er aus.
Rustan (den Tisch neben dem Sofa von der Stelle rückend).
Fort den Tisch hier und das Bette!
Dort hinaus entkam die Alte;
Da hinaus entflieh auch ich.
Zanga.
Fruchtlos, denn hier grenzt die Halle
An des Schlosses innre Räume;
Hier im Wege feste Mauern,
Dort verwehrt's ein tobend Volk.
Rustan.
Hier hinaus! Mit meinen Zähnen
Will ich an der Mauer brechen,
Hier mit diesen meinen Armen
Einen Rettungsweg zur Flucht.
Zanga.
All umsonst! Denn horch! man kommt.
Rustan.
Nun, so halt bereit dein Messer,
Und wenn sie mich greifen, Zanga,
Stoß von rückwärts mir's in Leib.
Hörst du wohl? von rückwärts, Zanga,
Und wenn alles erst verloren.
(Er steht, auf Zanga gestützt, mit vorhängendem Haupte.)
(Die Vorhänge des Zeltes teilen sich nach beiden Seiten. Die Stadt ist vom Monde hell beleuchtet. Volk erfüllt den äußern Raum.)
Gülnare (von ihren Frauen gefolgt, kommt von der linken Seite und eilt nach dem Vorgrunde).
Hier ist der, den ich genannt!
Rustan.
Zanga! Deinen Dolch! Gib Waffen!
Gülnare.
Herr, zu dir gehn meine Schritte.
Tot im Staube liegt mein Vater,
Und die wutentbrannten Mörder –
Rustan.
Wer? Wer sah's? Wer weiß? Weiß ich's?
Gülnare (fortfahrend).
Jener greise, stumme Mann,
Der, den Tod des Sohnes rächend,
Ausgestreckt die frevle Hand
Nach des edlen Fürsten Leben,
Seine Helfer und Genossen
Ruhen nicht, bis sie dem Vater
Mich, die Tochter, nachgesandt.
Zwar, der Frevler ist gefangen,
Aber mächtig sind die Seinen,
Man befreit ihn, er kehrt wieder,
Und vollendet sein Geschäft.
Rustan.
Zanga! Zanga! Spricht sie? Hör ich?
Gülnare (kniend).
Herr, o stoß mich nicht zurück!
Deinen Namen auf den Lippen,
Starb der gute, alte Vater,
Gleich, als wollt' er seine Liebe,
Sein Vertraun auf deinen Beistand
Noch im Abschied von dem Leben
Mir als letzte Erbschaft geben.
»Rustan«, sprach er, und verschied.
Und so fleh ich denn im Staube:
Nimm die Einsame, Verlaßne,
Einst bestimmt zu nähern Banden,
Nimm sie auf in deinen Schutz!
(Trompeten.)
Gülnare (aufstehend).
Hörst du? Auch das Heer in Aufruhr.
Es rückt an auf diese Mauern.
Deinen Namen nennen sie,
Ihren Führer, dich, als Herrn.
Und das Volk schart sich zu ihnen,
Alle gegen mich gerichtet,
Ohne deinen, deinen Schutz.
(Von der linken Seite, außer den Vorhängen, bringen einige Gewaffnete den alten Kaleb.)
Gülnare.
Siehst du dort den grauen Mörder?
Wie er funkelt, wie er glüht!
Weh!
Zanga (die Hand an den Säbel gelegt).
Auf ihn! Haut ihn in Stücke!
(Von der rechten Seite, aus dem Hintergrunde, ziehen in Reihen bewaffnete Krieger und schwenken sich gegen die Mitte zu halb auf.)
Gülnare.
Dort das Heer! Ich bin verloren!
Rustan (gegen Zanga und die Bewaffneten, die den alten Kaleb bedrohen).
Halt!
(Gegen die Reihen der Krieger.)
Und ihr!
(Auf Kaleb.)
Was er verbrochen,
Ob er schuldig, ob er's nicht,
Übergebt ihn meiner Obhut
Und bestellet ein Gericht.
(Gegen das Heer.)
Und ihr andern, wackre Krieger,
Aber schuldig jetzt – gleich mir!
(Er wirft sich vor Gülnaren nieder.)
Werft, gleich mir, euch hin im Staube.
Eure Herrscherin steht hier!
(Die vordersten des Heeres knien, die übrigen senken die Lanzen.)
Gülnare.
Habe Dank! – Euch sei verziehen!
Allzu glücklich, als Empörer,
Daß, was ihr mit Trotz begehrt,
Eure Fürstin frei gewährt.
(Man hat den Turban des Königs gebracht und die Krone davon abgelöst.)
Dieses Landes Herrscherschmuck,
Er bleibt mein, ich geb ihn niemand,
Sollte Tod mich übereilen,
Niemand, keinem, auch nicht dir!
Geben nie – wohl aber teilen!
(Sie hebt die Krone in der Rechten hoch empor, während Rustan mit den Zeichen wilder Verzweiflung die Stirne gegen den Boden drückt.)
Das Volk.
Hoch Gülnare, unsre Fürstin!
Hoch Gülnare, Rustan! Rustan!
(Der Vorhang fällt.)