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Erster Band

Die feinen Zigarren.

1.

Nach dem Abendessen begab man sich in das Rauchzimmer. Das war eisernes Gesetz und durfte durchaus nicht anders sein. Die beiden Herren wären vielleicht lieber noch bei Tische sitzengeblieben, um im Nachgenusse der kulinarischen Meisterleistungen in aller Behaglichkeit ihre Zigarre zu rauchen, aber das ging nicht, ging absolut nicht. Das wußten sie so schon lange, und nun schien ihnen der Aufbruch und die Auswanderung nur das Selbstverständliche. Die schöne Hausfrau hatte das so eingeführt. In ihrem Hause durfte nur im Rauchzimmer geraucht werden. Dort hielt sie sogar gelegentlich mit und rauchte selbst in Gesellschaft eine Zigarette, aber für alle anderen Gemächer bestand – das setzte sie durch – strengstes Rauchverbot.

Frau Violet Grumbach hielt wie auf sich selbst, so auch auf den Rahmen für ihre Persönlichkeit, auf ihre Wohnung. Wie ihre äußere Erscheinung mit aller nur erdenkbaren Sorgfalt, mit Geschmack und guter Berechnung in Szene gesetzt war, so auch die Wohnung. Die Einrichtung war modern, war kostbar, alles war blitzblank und funkelte förmlich vor Sauberkeit. Und da sagt man noch manchmal, daß gewesene Künstlerinnen im allgemeinen keine guten Hausfrauen abgäben!

Frau Violet war Schauspielerin gewesen. Nicht eine von den allerersten, aber sicherlich eine der allerhübschesten. Auch jetzt noch – alles, was wahr ist! – war sie eine ungemein anziehende Frau. Etwas unter Mittelgröße, die Formen von angenehm entwickelter rundlicher Fülle, jetzt doch schon beträchtlich mehr entwickelt als zuzeiten ihrer aktiven Künstlerschaft; lichtblondes, immer kunstreich geordnetes Haar, lebhaft blitzende graue Augen, feingezeichnete zarte, rote Lippen und ein pikantes, keckes Stumpfnäschen, das dem runden Gesichtchen auch jetzt noch eine Art kindlichen Ausdruckes lieh, – alles in allem ein sehr angenehmes Ensemble.

Zu den Mahlzeiten liebte sie es, immer in besonders gewählter Toilette zu erscheinen. Kinder waren nicht im Hause, so hatte sie Zeit dazu, überhaupt besaß sie eine ganz gute Art, sich das Leben zu verschönen; sie schmückte sich und ihre Umgebung. Da begreift es sich denn, daß sie ihre Vorhänge, ihre Spitzen und Deckchen, ihre Plafonds und Seidentapeten nicht der bösen Wirkung des Tabaksqualms aussetzen wollte.

Heute war nur ein Gast anwesend, der alte Hausfreund Dagobert Trostler, und der war im Hause Grumbach so zu Hause, daß man seinetwegen keinerlei Umstände mehr machte; wenn Frau Violet doch wieder große Toilette angelegt hatte, so galt das nicht einmal eigentlich ihm. Es war einmal Gepflogenheit, die eingehalten ward, auch wenn sie mit ihrem Mann allein zu Tische ging. Höchstens daß einige Nuancen auf Rechnung des Gastes kamen, so der herzförmige Ausschnitt der weißen Spitzenbluse, der dem Beobachter einige Aus- und Einblicke gestaltete, und die halblangen Spitzenärmel, die den rundlichen Unterarmen, die sich zu den seinen Handgelenken und den hübschen kleinen Händen zart verjüngten, den wünschenswerten Spielraum gewährten.

Andreas Grumbach, Besitzer einer großen und sehr einträglichen Jutespinnerei, Präsident der Allgemeinen Bauunternehmungsbank und außerdem Träger zahlreicher Titel und Würden, war ganz erheblich älter als seine Gattin; so an zwanzig Jahre, und wenn es verwehrt ist, das Alter der Damen mit allzu brutaler Genauigkeit nachzurechnen, so darf es bei ihm schon verraten werden. Er mochte doch so seine drei- oder vierundfünfzig Lenze gesehen haben, aber er sah sogar noch etwas älter aus, als er war. Sein schönes dunkelbraunes, glattgebürstetes Haar bewies nichts. Er hätte auch außer Haus frisieren lassen können. Der Backenbart zu beiden Seiten schimmerte schon sehr stark ins Silbrige, und dabei trug er doch das Kinn ausrasiert in dem Bestreben, doch etwas jünger auszusehen und den Silbersegen nicht allzusehr anwachsen zu lassen.

Dagobert Trostler, sein alter Freund, war durchaus nicht damit einverstanden gewesen, als Grumbach, einem holden Johannistriebe nachgehend, vor etwa sechs Jahren die Schauspielerin Violet Moorlank als sein ehelich Gemahl in sein Haus führte. Es war aber nichts dagegen zu machen, und schließlich hatte Dagobert auf der ganzen Linie unrecht behalten. Es ward eine ganz akzeptable und respektable Menage daraus, die Ehe gestaltete sich zu einer durchaus glücklichen.

Dagobert selbst war Junggeselle geblieben. Er war ein ausgedienter Lebemann mit stark gelichtetem Scheitel und einem Petrus-Schöpfchen. Sein sokratisches Gesicht wurde belebt durch zwei dunkle ausdrucksvolle Augen. Jetzt hatte er nur noch zwei große Passionen, die Musik und die Kriminalistik. Sein großes Vermögen gestattete ihm, sich diesen seinen beiden so divergierenden Liebhabereien ohne jegliche andere Sorge zu widmen. Zur Musik hatte er ein genießendes und ein schaffendes Verhältnis. Seine Freunde behaupteten, daß er stärker war im ersteren. Auch er hatte Violet schon gekannt, als sie noch dem Theater angehörte, und wenn es damals irgendeine ihrer Rollen mit sich brachte, daß sie einige Lieder zu singen hatte, so war er es, der sie ihr einstudierte. Natürlich als Amateur. Auf allen Tätigkeitsgebieten, aus denen er sich umtat, blieb er Amateur, passionierter Dilettant, gentleman-rider. Seinen Profit hatte er aber bei jenen musikalischen Einpaukungen doch. Es gelang ihm nämlich manchmal, auf diesem Wege die eine oder die andere seiner eigenen Kompositionen als Einlagen in die Öffentlichkeit zu schmuggeln.

Was seine kriminalistischen Neigungen betraf, so äußerten die sich zunächst darin, daß er am liebsten von bedeutenden Raubmorden und halbwegs anständigen Unterschlagungen sprach. Er war überzeugt, daß an ihm ein Kriminalkommissär von Klasse verloren gegangen wäre, und behauptete steif und fest, daß, wenn alle Stricke rissen, er sehr wohl in der Lage sei, sich als Detektiv sein Brot zu verdienen. Seine Freunde machten sich auch oft genug lustig über ihn. Nicht etwa, daß sie an seinem einschlägigen Talent gezweifelt hätten. Von dem hatte er ja oft genug überzeugende Proben geliefert. Sie fanden nur die Passion sonderbar, sich selbst eine Rute auf den Rücken zu binden. Denn seine Liebhaberei brachte ihm nicht nur mancherlei Unannehmlichkeiten ein, sondern sie verstrickte ihn gelegentlich wohl auch in recht gefährliche Situationen. Wenn es irgendwo eine Ansammlung von Menschen gab, war er sicher mit dabei, aber nicht mit dem allgemeinen Interesse an dem aktuellen Vorgange, welcher Art er auch sein mochte, – er paßte auf Taschendiebe und trachtete, sie bei der Arbeit zu beobachten und auf frischer Tat zu ertappen. Er geriet da nicht selten in bedenkliche Verwicklungen, aber es gelang ihm doch, manchen Langfinger der Polizei in die Hände zu liefern. So liebte er es auch, bei dunklen Kriminalfällen auf eigene Faust Nachforschungen anzustellen, und daher kam es, daß er sich alle möglichen Scherereien auf den Hals lud, alle Augenblicke bei Gericht zu tun hatte oder auf die Polizei zitiert wurde, der seine privaten Bemühungen manchmal schon unbequem geworden waren, – aber das alles machte ihm Vergnügen. Er war eben Amateur. –

Man begab sich also ins Rauchzimmer.

Die beiden Herren setzten sich an das Rauchtischchen, das in der Nähe des Fensters stand, Frau Violet nahm auf einer kleinen gepolsterten Bank Platz, die – ein ganz reizendes Möbelstück – sich von dem hohen und feingegliederten Kamin bis zur Tür hinzog und dort den Raum sehr schicklich ausfüllte. Der Kamin stand in einer Ecke, und so war dort ein sehr trauliches Plätzchen geschaffen.

Grumbach nahm vom Rauchtische ein Zigarrenkistchen; nicht auf gut Glück. Es waren deren mehrere da, und er hatte erst bedachtsam gewählt. Er öffnete es und wollte die Zigarren eben Dagobert reichen, als er stutzte.

»Ich weiß nicht,« sagte er nachdenklich, »es muß in meinem Hause doch noch einen Liebhaber geben – gerade für diese Sorte. Es wäre kein schlechter Geschmack. Das Stück kostet einen Gulden!«

»Bemerkst du Abgänge?« fragte Dagobert.

»Ich glaube sie zu bemerken,« erwiderte Grumbach.

»In unserem Hause wird nichts gestohlen!« warf Frau Violet ein in Verteidigung ihrer Hausfrauenehre.

»Gott sei Dank – nicht!« gab Grumbach zurück. »Und doch – ganz bestimmt kann ich es natürlich nicht behaupten – aber mir ist, als hätten aus der oberen Lage gestern nur zwei Zigarren gefehlt, und heute fehlen da acht oder neun Stück.«

»Eigene Schuld,« bemerkte Dagobert. »Müßtest sie eben unter Verschluß halten!«

»Man soll in seinem Hause auch etwas frei herumliegen lassen können!«

»Vielleicht irrst du dich doch?« gab Frau Violet zu bedenken.

»Es wäre nicht unmöglich, aber ich glaub's nicht. Nun, ein Unglück ist's gerade nicht, aber es beunruhigt.«

»Das müßte doch nicht schwer sein, der Sache auf den Grund zu kommen,« äußerte Dagobert, in dem sich die Detektivleidenschaft zu regen begann.

»Das Einfachste wird sein, deinen Rat zu befolgen, Dagobert. Verschließen – das ist der beste Schutz!«

»Das wäre mir nicht interessant genug,« lautete die Antwort. »Man muß den Marder erwischen!«

»Soll ich mich vielleicht auf die Lauer legen und tagelang aufpassen? Da komme ich noch billiger weg, wenn ich's mich ein paar Zigarren kosten lasse.«

»Du mußt doch wissen, wer Zutritt in das Zimmer hat!«

»Für meinen Diener stehe ich. Der nimmt nichts!«

»Und ich für mein Stubenmädchen,« beeilte sich Frau Violet hinzuzufügen. »Sie ist seit meiner Kindheit bei mir, und es ist noch nicht eine Stecknadel weggekommen!«

»Desto besser!« fuhr Dagobert fort. »Glaubst du, daß täglich Abgänge vorkommen?«

»I bewahre! Das fehlte gerade noch! Vorige Woche glaubte ich's einmal schon bemerkt zu haben und dann einmal vielleicht auch in der vorvorigen Woche.«

Dann ließ man das Thema fallen. Man sprach noch eine Weile von den Tagesereignissen, die gerade die öffentliche Meinung beschäftigten: darauf erhoben sich Hausfrau und Hausherr, um sich noch ein wenig herzurichten für die Oper. Es war gerade ihr Logentag, Mittwoch, und Dagobert sollte wie gewöhnlich mit von der Partie sein. Einen so alten Bekannten und vertrauten Hausfreund durfte man schon ein Viertelstündchen allein lassen, ohne sich erst groß zu entschuldigen.

Frau Violet meinte im spöttischen Scherz, es müsse ihr sogar sehr erwünscht sein, eine Weile allein bleiben zu dürfen, da er nun um so ungestörter dem düsteren Problem nachsinnen könne, wohin die verschwundenen Zigarren wohl geraten sein mögen. Er als Meisterdetektiv werde das doch gewiß herausbringen!

Es hätte nicht erst dieses spöttischen Appells bedurft, um ihn an seine Liebhaberei zu erinnern. Er hatte im stillen ohnedies schon bei sich beschlossen, den Täter zu entdecken, und so war es ihm nun ganz besonders willkommen, sich ungestört auf dem Schauplatz der Tat genau umsehen zu können. Der Fall war ja herzlich unbedeutend und geringfügig, aber was tut ein Amateur nicht, um im Training zu bleiben? Man nimmt einmal auch so etwas mit.

Er setzte sich, als er allein war, in seinem Fauteuil zurecht und begann nachzudenken. Gar so einfach war die Geschichte denn doch nicht. Die letzte Untat war am Tage vorher begangen worden. Er besah sich das Zigarrenkistchen, den Rauchtisch – da war nichts zu entdecken. Es war einfach ekelhaft, was in dem Hause für Reinlichkeit herrschte! Wie da täglich aufgeräumt und aufgewischt wird! Da soll dann ein Mensch etwa noch einen Fingerabdruck auf dem Holzrahmen des Rauchtisches entdecken, der die rote Tuchfüllung der Platte umgrenzt! Der Rahmen war wahrscheinlich auch gestern nicht staubig, und seither ist ja wieder unsinnig gewischt und gebürstet worden, – und da soll ein Mensch daktyloskopische Studien machen!

Damit war es also nichts.

Im Zimmer leuchteten jetzt vier elektrische Lampen. Er drehte mit einem Griff auch noch die übrigen acht auf. Strahlende Helle erfüllte nun den Raum, und jetzt untersuchte er weiter. Er schritt das Gemach nach allen Richtungen ab, und überall hin sandte er den forschenden Blick, ohne irgendeinen Anhaltspunkt finden zu können.

Dann setzte er sich wieder an den Rauchtisch. Es war klar, daß dieser das Zentrum für die Nachforschungen bilden müsse. Wie er aber auch spähte, hier ließ sich keine Spur und kein corpus delicti entdecken, – doch – eben als er wieder seine Wanderungen aufnehmen wollte, bemerkte er etwas. Eingebettet in der schmalen Spalte zwischen Tuch und Holzrahmen des Rauchtisches und über sie herausragend ein Haar, dunkel und glänzend, nicht lang – gerade gezogen vielleicht fünf Zentimeter, aber es hatte die Tendenz, sich zu einem Kreise zu schließen.

Dagobert fuhr mit der Hand über Tuch, Rahmen und Spalte, wo das Haar steckte. Dieses bog sich und blieb stecken. Es hat also auch Bürste und Staubtuch standhalten können. Anderseits – bei der Art, wie hier rein gemacht wurde, wie bereits erwähnt – geradezu ekelhaft! – war es wohl anzunehmen, daß der Widerstand kaum von Dauer sein würde. Mehrfache Angriffe würden das Haar doch wohl wegfegen. Es war also ganz gut möglich, ja wahrscheinlich, daß es erst gestern hingelangt ist.

Er dachte einen Augenblick daran, sich den Diener hereinzuläuten, um sich zu vergewissern, ob nicht heute schon irgend jemand, der nicht zum Hause gehörte, das Zimmer betreten hätte, vielleicht ihn auch darüber auszuholen, wer gestern dagewesen sei, aber er verwarf den Gedanken sofort wieder. Natürlich wollte er, mußte er spionieren, aber nicht bei der Dienerschaft! Das konnte zu albernem Gerede führen, und eine gewisse Rücksicht war er doch dem Hause seines besten Freundes schuldig.

Er hob also das Haar mit den Fingerspitzen heraus und barg es mit aller Sorgfalt in seinem Taschenbuche. Dann setzte er seine Nachforschungen fort. Er sah sich in dem ganzen Zimmer noch einmal gut um; es war wohl kaum noch etwas zu holen. Die Beleuchtung war so hell, daß ihm nicht leicht etwas entgehen konnte. Oben auf der glatt polierten Fläche des schwarzmarmornen Kamingesimses bemerkte er ein dunkles Klümpchen, das den scharfen geraden Zug der Linie unterbrach. Ob es wohl verlohnte? Für einen Detektiv verlohnt sich alles, kann sich alles verlohnen.

Er rückte sich einen Ledersessel hin und stieg auf ihn. Ein Zigarrenstummel, etwa vier Zentimeter lang. Eine ganz leichte Staubdecke auf der polierten Platte. Wenn die Hausfrau das wüßte! Da ist heute nicht abgewischt worden. Der Herr Bediente hat sich's bequem gemacht. Wahrscheinlich wischt er da nur jeden zweiten oder dritten Tag ab. Älter war die dünne Staubschicht nicht. Auch der Stummel war nicht älter. Das konnte ein Raucher schon beurteilen. Und noch eins. Auf der Staubfläche zeigte sich keine Spur einer Hand oder eines Fingers. Die Platte war also nicht schon staubig, als der Zigarrenrest da hingelegt wurde. Er dürfte also – er ist also gestern hingelegt worden.

Dagobert untersuchte den Rest. Er stammte von der inkriminierten Sorte.

Nun stieg Dagobert vom Sessel, steckte den bedachtsam verpackten Stumpf in die Tasche, löschte die überzähligen Lampen wieder aus und fuhr dann, als die Zeit gekommen war, mit in die Oper.

2.

Grumbach hatte die ganze Zigarrenaffäre am nächsten Tage schon wieder vergessen. Der vielbeschäftigte Fabrikherr und Großkaufmann hatte wahrhaftig an anderes zu denken. Er kam auch später nicht wieder auf sie zurück, weil sich kein Anlaß dazu ergab. Ganz zu Ende war sie aber doch noch nicht.

Dagobert hatte fast eine ganze Woche verstreichen lassen, bevor er sich wieder in dem Grumbachschen Hause sehen ließ. Das letztemal war er am Mittwoch dort gewesen, und erst am darauffolgenden Dienstagabend zeigte er sich wieder. Frau Violet empfing ihn im Rauchzimmer. Das Diner war vorbei, und zum Kaffee, den er mit ihr nehmen sollte, rauchte sie selber ganz gern eine Zigarette.

»Ich komme Ihnen ungelegen, gnädige Frau?« begann er die Unterhaltung.

»Sie sind mir immer willkommen, Herr Dagobert,« erwiderte sie liebenswürdig, aber etwas betreten schien sie doch, als sie sich auf der Kaminbank zurechtsetzte.

»Ich meinte nur,« fuhr er harmlos fort, »weil ich ja annehmen konnte, den Herrn Gemahl nicht zu Hause zu treffen.«

»Allerdings – Dienstag ist sein Klubtag; da ist er nie zu Hause. Desto angenehmer für mich, Gesellschaft zu haben.«

»Es wäre aber doch auch möglich gewesen, daß Gnädige sich bereits mit anderweitiger Gesellschaft versorgt hätten, und ich vielleicht nur störend gewesen sein würde.«

»Sie stören niemals, Herr Dagobert,« versicherte sie eifrig und lenkte dann ab, indem sie ihn, um dem Gespräche eine andere Wendung zu geben, bei seiner schwachen Seite packte und ihn mit seiner Detektivleidenschaft zu necken begann.

»Nun? Haben Sie den ruchlosen Zigarrenmarder noch immer nicht entdeckt?« fragte sie mit fröhlichem Spott.

»Spotten Sie nicht zu früh, Gnädige!«

»Mein Gott, ein paar Zigarren können leicht wegkommen, ohne daß man erfährt, wohin sie geraten sind. Man sollte gar nicht forschen. Am nächsten liegt es, den Diener zu beargwöhnen. Er ist sicherlich unschuldig, aber wenn einmal der Verdacht geweckt ist, – mein Mann ist sehr genau! – da kann der arme Teufel leicht um sein Brot kommen.«

»Wir werden uns ja gleich überzeugen,« entgegnete Dagobert und drückte auf den elektrischen Taster.

Frau Violet erschrak über seine Voreiligkeit und machte eine Bewegung, ihn zurückzuhalten, aber es war schon zu spät. Im nächsten Augenblick stand der Diener im Zimmer der Befehle gewärtig.

»Sie, lieber Franz,« begann Dagobert, »Sie werden so gut sein, mir einen Fiaker zu holen, so etwa in einer Stunde.«

»Sehr wohl, gnädiger Herr!«

»Hier, lieber Freund, für Ihre Mühe eine feine Zigarre!« Dagobert griff dabei nach dem Kistchen.

»Ich bitte um Verzeihung, gnädiger Herr, ich rauche nicht.«

»Ach, Unsinn, Franz!« sagte Dagobert. »Jetzt tun Sie nur Ihre Zigarrentasche heraus; wir wollen sie einmal ordentlich anfüllen.« Und er griff jetzt mit der ganzen Hand in das Kistchen.

Franz lachte mit dem ganzen Gesicht über den herablassenden Scherz und versicherte noch einmal, daß er kein Raucher sei.

»Na, dann ist's ja gut,« bemerkte Dagobert leutselig, »dann werden wir uns schon noch miteinander verrechnen. Sie sollen deshalb nicht zu kurz kommen.«

Der Diener verbeugte sich und verließ geräuschlos das Zimmer.

»Sie sehen. Gnädige,« nahm darauf Dagobert wieder das Wort. »Er ist es nicht gewesen.«

Nun war es an Frau Violet, hell aufzulachen.

»Wenn das Ihre ganze Kunst ist, Dagobert, dann lassen Sie sich nur ruhig wieder das Lehrgeld zurückgeben! Ich sage ja nicht, daß er's gewesen ist – er ist es bestimmt nicht gewesen –, aber selbst, wenn er sich schuldig gefühlt hätte, glauben Sie wirklich, daß er Ihnen in diese plumpe Falle gegangen wäre?«

»Wer sagt Ihnen denn, Frau Violet, daß das meine ganze Kunst ist? Ich wollte Ihnen nur vordemonstrieren, daß er der Schuldige nicht sein kann.«

»Weil Sie ihm sofort alles glauben! Sie sind naiv, Dagobert.«

»Für mich war es ganz zwecklos, ihn vorzuladen. Ich wollte nur vor Ihnen seine Ehrenrettung bewerkstelligen. Eigentlich recht überflüssiger Weise. Denn auch Sie sind von seiner Unschuld überzeugt, und damit könnten wir ja die Sache als abgeschlossen betrachten.«

»Dagobert, Sie wissen mehr, als Sie sagen wollen.«

»Ich will alles sagen, wenn es Sie interessiert, meine Gnädige.«

»Es interessiert mich sehr.«

»Wäre es nicht besser, überhaupt nichts mehr davon zu reden?«

»Ja, warum sollte das nun besser sein, Dagobert?«

»Ich dachte nur – ich weiß nämlich alles.«

»Um so besser! Lassen Sie hören, was Sie herausgebracht haben.«

»Es ist ja möglich, daß ich im einzelnen irre, dann werden Sie in der Lage sein, mich zu korrigieren.«

»Ich?!« Sie sah ihn groß an.

»Sie, meine Gnädige. Es ist ja auch möglich, daß ich mich schwer blamiere – ich glaube es nicht, aber möglich wäre es immerhin. Sie müssen berücksichtigen, daß ich ausschließlich auf meine Kombination angewiesen war und es ganz selbstverständlich verschmäht habe, Ihre Dienerschaft auszuhorchen.«

»Keine so lange Einleitung, Dagobert; zur Sache, wenn ich bitten darf.«

»Gut, ich decke meine Karten auf. Sie erinnern sich, meine Gnädigste, daß ich am letzten Mittwoch zum erstenmal von den Abgängen erfuhr. Fünf Minuten später hatte ich die genaue Personenbeschreibung –«

»Wie haben Sie denn das angefangen?«

»Die genaue Personenbeschreibung des – des Rauchers. Ich denke, wir bleiben bei dieser Bezeichnung und vermeiden den odiosen Ausdruck Dieb oder auch nur Zigarrendieb. Die Zigarren sind ja tatsächlich nicht gestohlen, sondern nur geraucht worden, ohne daß der Hausherr davon wußte. Der Raucher ist also ein hochgewachsener junger Mann, einen guten Kopf größer als ich, mit einem wohlgepflegten schwarzen Bart und prachtvollen Zähnen.«

»Woher wissen Sie das?«

»Ich werde Ihnen alles sagen, Gnädigste. Übrigens hoffe ich, die Richtigkeit der von mir gelieferten Personenbeschreibung heute noch eklatant bestätigt zu sehen. Ich rechne nämlich darauf, daß der vortreffliche junge Mann binnen kurzem uns die Ehre seiner Gesellschaft gewähren wird. Ich habe auch schon das Kistchen mit seiner Lieblingssorte zurechtgerückt.«

Da tat sich die Tür auf, und der Diener trat mit der Meldung ein, daß der Wagen für den gnädigen Herrn bestellt sei und pünktlich zur festgesetzten Zeit vorfahren werde. Dann richtete er an die Hausfrau die Frage, ob es ihm nun erlaubt sei, zu »gehen«. Die Erlaubnis wurde erteilt, und er zog sich dann mit einer devoten Verbeugung und einem dankenden »Küß d' Hand!« wieder zurück.

»Franz ist nämlich ein Theaternarr,« erläuterte Frau Violet. »Einmal in der Woche muß er ins Theater gehen, und da gebe ich ihm am liebsten den Dienstagabend frei, wo mein Mann ohnedies nicht zu Hause ist, er also am leichtesten entbehrt werden kann.«

»Ach sooo!« erwiderte Dagobert nachdenklich. »Nun, das ist ja ganz in der Ordnung.«

»Lassen Sie sich aber dadurch nur nicht ablenken, lieber Dagobert,« fuhr Frau Violet fort. »Sie sind mir die Aufklärung schuldig, wie Sie zu jener Personenbeschreibung gelangt sind.«

»Ich hatte am Mittwoch, als Sie und Ihr Herr Gemahl sich zurückzogen, um sich fürs Theater fertig zu machen, einige Minuten Zeit zur Untersuchung. Die Sache wäre vielleicht schwierig geworden, wenn ich am Schauplatz der Tat keine Spuren gefunden hätte.«

»Und Sie haben welche gefunden?«

»Ja. In der Spalte des Rauchtisches ein Haar und hier oben am Kamin einen Zigarrenrest.«

»Die konnten aber schon lange hier und dort liegen!«

»Ich hatte meine guten Gründe, anzunehmen, daß es wirklich corpora delicti und erst am Tage vorher dorthin gelangt seien. Ich habe dann bei mir zu Hause die beiden Gegenstände genau, das Haar sogar mikroskopisch untersucht.«

»Und das Resultat?«

»Ein vollkommen befriedigendes. Das Haar wies auf einen Täter mit schönem schwarzen Bart. Naturechtes Schwarz, keine Spur von künstlichem Farbstoff – also ein alter Mann ist unser Raucher nicht. Ich kann sogar sagen, daß es ein junger Mann ist. Denn das Haar war weich, bieg- und schmiegsam. Nicht gerade erster Flaum, aber doch noch immer zart. Es hätte derber, borstiger sein müssen, wenn da vorher schon jahrelang ein Rasiermesser gewaltet hätte. Der junge Mann hält auch etwas auf seinen Bart, denn unter dem Mikroskop wies das Haar eine Spur von Brillantine auf. Das ist ein ganz harmloses, kosmetisches Mittel, aber ein wenig eitel muß man doch sein, um es anzuwenden. Da Sie den Täter kennen, Gnädigste, werden Sie ja beurteilen können, ob meine Annahme eine richtige oder irrige ist.«

»Ich glaube, daß Sie sich da in eine fixe Idee verrannt haben.«

»Möglich; aber das ist ja nicht von Belang. Gehen wir weiter. Hier oben am Kaminsims lag der Zigarrenrest.«

»Zu welchen Schlüssen führte Sie der?«

»Es war mir zunächst angenehm, feststellen zu können, daß die Sorte stimmte. Die weiteren Schlüsse ergaben sich von selbst. Erlauben Sie jetzt, daß ich noch einmal auf Ihren Diener zurückkomme. Ich erwähne da etwas beinahe zum Schluß, wovon ich ausgegangen bin und womit ich eigentlich angefangen habe. Nicht ohne Grund hatte ich ihn jetzt hereinzitiert. Sie sollten sich ihn noch einmal ansehen. Also der Mensch ist blond, und sein Gesicht ist, wie sich das für einen ordentlichen Diener gehört, der auch bei Tisch serviert, glatt rasiert. Er hat ferner, wie es sich eigentlich für einen ordentlichen Diener nicht gehört und wie Sie sich überzeugen konnten, als er uns so freundlich angrinste, recht schadhafte Zähne. Endlich konnten Sie sehen, daß seine Statur eine ziemlich kleine ist. Er ist noch etwas kleiner als ich, und wir haben doch festgestellt, daß der unbekannte Täter einen schwarzen Bart trägt, sehr gute Zähne hat und einen Kopf größer ist als ich.«

»Das haben wir durchaus noch nicht festgestellt!«

»Dann wollen wir es gleich besorgen. Die Spitze der Zigarre war nicht mit einem Messer abgeschnitten, sondern prompt und glatt abgebissen worden. Dazu gehören gute Zähne. Darüber wären wir also im klaren. Nun muß noch seine ungewöhnliche Körperlänge bewiesen werden. Nichts einfacher als das. Reproduzieren wir einmal die Situation, meine Gnädige –, eigentlich gar nicht nötig. Denn sie ist schon hergestellt. Sie auf Ihrem bevorzugten Platze –, ich in respektvoller Entfernung, aber doch gerade noch nahe genug für unsere Konversation, Ihnen gegenüberstehend, an den Kamin gelehnt. Die Aussicht, die ich da beinahe aus der Vogelperspektive genieße, ist eine entzückende. Sie brauchen nicht zu drohen, Frau Violet –, eine entzückende. Auch ich würde ohne besonderen Grund meinen glücklichen Beobachterposten nicht verlassen. Wenn ich aber eine Zigarre wegzulegen hätte, so müßte ich mich zum Rauchtische begeben, auf dem die Aschenbecher stehen. Denn ich könnte nicht auf den Sims hinauflangen, mir wäre er zu hoch! Da hätte ich nun die Personenbeschreibung begründet. Stimmt sie, meine Gnädigste?«

»Sie stimmt,« gab Frau Violet lachend zu. »Ich mache Ihnen mein Kompliment, Herr Dagobert. Sie sind ein fürchterlicher Mensch, und ich sehe schon, es wird doch am besten sein, wenn ich selber gleich ein umfassendes Geständnis ablege, sonst glauben Sie am Ende noch Gott weiß was!«

»Keine Geständnisse! Ich lehne sie ab. Geständnisse können – ich spreche natürlich ganz akademisch – können auch falsch sein. Es sind auf Grund von falschen Geständnissen schon Justizmorde verübt worden, und nichts vermag mich mehr aufzuregen, als der Gedanke an einen Justizmord. Zudem – ich brauche das Geständnis nicht; es kann mir nichts mehr nützen. Ich bin hier nur Untersuchungsrichter und habe kein Urteil zu schöpfen. Meine Aufgabe war, den Tatbestand aufzuklären und die Täterschaft zu erweisen. Ob dann bei der Schlußverhandlung gestanden oder geleugnet wird, das geht mich nichts an.«

»Gut, also hören wir weiter!«

»Ich mußte also weiter kombinieren. Der hochgewachsene junge Mann mit dem schönen Bart und den guten Zähnen hat seine Zigarre hier in Ihrer Gegenwart geraucht und Ihnen dabei Gesellschaft geleistet. Er hat mit Ihnen geplaudert, wie ich jetzt mit Ihnen plaudere. Ein besonderes Geheimnis konnte nicht dahinter stecken.«

»Gott sei Dank, daß Sie mir das wenigstens nicht zutrauen, Dagobert!«

»Konnte nicht dahinter stecken. Wir kennen uns nun schon lange genug – Sie sind eine kluge Frau. Sie wissen, was auf dem Spiele steht, und Sie machen keine Dummheiten.«

»Ich danke für das ehrende Vertrauen!«

»Mein Vertrauen ist auch felsenfest, nicht minder mein Respekt. Aber es ist nicht nur das. Ich habe offene Augen und gute Ohren. Ich selbst hätte irgendeinmal etwas bemerken, oder irgendein Gerede hätte auch zu mir dringen müssen. Nichts von alledem. Sie haben da einen Besuch empfangen, der weiter nicht auffallen konnte, sonst wäre er schon aufgefallen. Warum fiel er nicht auf? Weil Sie ihn oft empfangen. Es mußte also ein ganz harmloser Besuch sein. Ein Umstand konnte allerdings stutzig machen. Aus den hingeworfenen Äußerungen Ihres Mannes konnte ich mir so ungefähr herausnehmen, daß die Zigarren gewöhnlich am Dienstagabend verschwanden, zu der Zeit also, wo er im Klub war. Was ich nicht wußte, was Sie aber angaben, ist, daß am Dienstag Ihr Diener das Theater zu besuchen pflegt.«

»Hoffentlich ziehen Sie aus diesem Umstand nicht auch Ihre Schlüsse!«

»Ich denke nicht dran. Tatsache scheint mir, daß der junge Mann ziemlich häufig im Hause vorspricht, daß er aber gerade am Dienstag etwas länger verweilt und die Hausfrau unterhält.«

»Das ist richtig, aber ich kann versichern, daß die Unterhaltungen ganz harmloser Natur sind.«

»Daran habe ich niemals gezweifelt, zumal der junge Mann – wie soll ich sagen? – ein wenig unter Ihrem Stande ist.«

»Wie haben Sie das nun wieder herausgebracht, Dagobert?«

»Es erklärt sich von selbst, gnädige Frau. Freund Grumbach hat nicht eine oder zwei Zigarren vermißt, sondern gleich sechs oder sieben. Sie erinnern sich; nach seiner Angabe hatten aus der obersten Schicht am Tage vorher zwei Zigarren gefehlt. Die hat Grumbach jedenfalls selber herausgenommen und sich dabei halb unwillkürlich das Bild eingeprägt, das das Innere des Kistchens darbot. Einen Tag später schien es ihm, als fehlten acht oder neun Stück. Also Abgang von sechs oder sieben Stück. Man raucht aber nicht sechs oder sieben schwere Zigarren während eines Plauderstündchens mit der Hausfrau, man raucht eine, wenn's hoch kommt zwei. Der Vorgang war nun der, daß die Hausfrau den jungen Mann beim Abschied ermutigt hat, sich noch einige Zigarren einzustecken.«

»Auch das ist richtig. Aber daraus folgt doch noch nicht, daß ich mich, wie Sie sich auszudrücken belieben, unter meinem Stande unterhalten hätte.«

»Ich bitte um Verzeihung, meine Gnädigste. Einem gesellschaftlich vollwertigen Besuch empfiehlt die Hausfrau vielleicht, sich auf den Weg eine Zigarre mitzunehmen –, eine! Natürlich ohne Betonung. Eine Handvoll zu geben oder – zu nehmen, das deutet schon auf einen gewissen gesellschaftlichen Abstand.«

»Sie sind wirklich der reine Kriminalkommissär, Dagobert!«

»Auf einen Abstand und doch auch auf eine gewisse Sympathie.«

»Es ist auch ein ganz netter, liebenswürdiger junger Mann. Haben Sie sonst noch etwas herausgebracht?«

»O, noch eine ganze Masse! Ich legte mir die Frage vor: Was kann das für ein junger Mann sein, der so oft, vielleicht täglich, ins Haus kommt, ohne daß es irgendwie auffiele? Die Antwort darauf war nicht schwer. Es konnte nur ein Beamter aus dem Bureau Ihres Mannes sein, wohl einer, der die Aufgabe hat, jeden Tag am Abend dem Chef die Kassaschlüssel oder den Tagesrapport zu überbringen.«

»Er bringt allerdings nach Geschäftsschluß die tägliche Abrechnung nach Haus. Mein Mann hat sich das so eingerichtet.«

»Woran er sehr recht getan hat. Das weiß ich übrigens nun auch. Denn ich war inzwischen bei Ihrem Direktor.«

»Nein, was Sie nicht alles treiben, wenn Sie eine Spur verfolgen!«

»Man fängt entweder nicht an, meine Gnädigste, oder man fängt an, dann aber muß man auch bis ans Ende gehen, sonst hätte es keinen Sinn.«

»Und was haben Sie bei dem Direktor ausgerichtet?«

»Alles, was ich wünschen konnte.«

»Lassen Sie hören, Dagobert!«

»Ich sagte ihm, daß ich gekommen sei, einen jungen Mann zu protegieren –, er solle mich nur dem Chef nicht verraten. Der Direktor lächelte. Er wisse ganz gut, daß, wenn ich vom Chef etwas wolle, es von vornherein bewilligt sei. Wohl möglich, gab ich zu, es wäre mir aber lieber, ihn nicht direkt um den Freundschaftsdienst zu bitten. Der Direktor begriff oder tat, als begriffe er, und stellte sich mir zur Verfügung.«

Um was handelt es sich? fragte er.

Sie haben da einen jungen Mann im Kontor, erwiderte ich, – na, wie heißt er doch nur? Ich habe so ein scheußliches Namensgedächtnis! Tut übrigens nichts; werde schon draufkommen. Also ein auffallend großer junger Mann mit liebenswürdigen Manieren – sonst hätte er Ihnen nicht gefallen, meine Gnädigste –, mit einem schönen schwarzen Bart und guten Zähnen. Abends bringt er gewöhnlich dem Chef –

Ach, das ist ja unser Sekretär Sommer! unterbrach mich der Direktor.

Sommer, natürlich Sommer! Daß mir der Name entfallen konnte! Sehen Sie, lieber Direktor, Sommer ist ja ein ganz begabter Mensch, aber er ist in der Kanzlei, bei der Korrespondenz nicht am richtigen Platze. Es fehlt die letzte Genauigkeit und Exaktheit bei der Arbeit. Dagegen müßte er sich vortrefflich verwenden lassen für den Verkehr mit den Parteien. Ich weiß, daß Sie schon geraume Zeit nach einer geeigneten Persönlichkeit suchen zur Leitung der Verkaufsfiliale in Graz. Wäre das nichts für Sommer?

Der Direktor schlug sich mit der Hand auf die Stirne.

Donnerwetter, das ist eine Idee! Da suchen wir uns die Augen aus dem Kopfe und haben den Mann in nächster Nähe! Natürlich ist Sommer wie geschaffen dafür! Sie üben da nicht Protektion an ihm, sondern erweisen uns einen Dienst mit Ihrem Vorschlag. Er geht nach Graz. Die Sache ist abgemacht.

»Sie sehen, meine Gnädigste, ich war glücklich genug, ein wenig Vorsehung spielen zu können.«

»Aber Dagobert, wie konnten Sie die Behauptung riskieren, daß der junge Mensch nicht fürs Bureau tauge?«

»Da war nichts riskiert dabei. Ich verließ mich auf mein bißchen Psychologie. Der richtige Bureaumensch ist immer mehr oder minder – bis zu einem gewissen Grade – Pedant. Er wird es durch seine Beschäftigung, die unausgesetzte minuziöse Genauigkeit erfordert. Ein Pedant ist unser Freund nicht. Der richtige Bureaumensch beißt die Spitzen der Zigarren nicht mit den Zähnen herunter, sondern er schneidet sie säuberlich ab mit dem Federmesser oder mit einer besonderen Maschinerie, die er sicher bei sich trägt, wenn er Zigarrenraucher ist. Und noch etwas tut der richtige Bureaumensch nicht. Er legt Zigarrenstummel nicht auf Marmorkamine. Er bemüht sich vielmehr zum Aschenbecher und deponiert den Rest dort, immer bestrebt, darauf zu achten, daß nicht etwas von der Asche daneben gehe. Unser sorgloser junger Freund, der es mit einem Zigarrenstummel nicht so genau nimmt, wird es wahrscheinlich auch mit der Bureauarbeit nicht gar zu genau nehmen. Er hat's nicht in sich!«

»Und daraus haben Sie dann gleich geschlossen, daß er der richtige Mann für den Parteienverkehr ist?«

»Nicht nur daraus, sondern auch aus der Bevorzugung, die Sie ihm haben zuteil werden lassen, meine Gnädigste. Er muß ein sehr angenehmes Mundwerk haben, wird wohl auch ein kleiner Schwerenöter sein. Das alles ist ganz vortrefflich, wenn man mit der Kundschaft in persönliche Berührung zu treten hat.«

»Eines müssen Sie mir noch aufklären, Dagobert. Sie haben sich bemüht, den jungen Mann wegzubringen, weil Sie um meine Tugend besorgt waren?«

»Aber, Frau Violet! Sie wissen doch, welches Vertrauen ich in Sie setze! Da ich aber wußte, daß die abgängigen Zigarren durch Ihre Hände gegangen waren, und Sie daraus Ihrem Manne gegenüber ein Geheimnis machten, mußte der Raucher notwendigerweise verschwinden. Das mußte sein!«

»Ein Geheimnis! Da steckt ja die Ungeschicklichkeit von mir. Ich hatte es meinem Manne nicht gleich gesagt; hatte nicht daran gedacht, und als er dann eine Affäre daraus machte, da wäre es so merkwürdig herausgekommen. Es wäre mir peinlich gewesen.«

»Geradeso habe ich es aufgefaßt, gnädige Frau ... Für mich dürfte übrigens der Wagen vorgefahren sein. Sollte der junge Mann noch kommen, sich zu verabschieden, dann bieten Sie ihm zur Abwechslung eine Zigarre von einer anderen Sorte an, und dann wird diese wichtige Affäre für alle Zeit erledigt sein.«


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